Das www.Blick.ch-Girl vom [Massage-]Salon nebenan

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fraences
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Das www.Blick.ch-Girl vom [Massage-]Salon nebenan

#1

Beitrag von fraences »

Zeitung "Blick.ch" hat Sexworker Lana als Cover-Model und Girl des Monats ausgewählt und die Zeitung 20min.ch veröffentlicht den Vorgang und outet die Sexarbeiterin:

Auf ein Mineral mit Lana
Das «Blick»-Girl vom [Massage-]Salon nebenan



von: A. Mustedanagic

Sie ist der Augustliebling der «Blick»-Leser: die kaufmännische Angestellte Lana. Sie hat beste Chancen, Girl des Jahres 2011 zu werden.

20 Minuten Online besuchte sie bei der Arbeit im Sexclub.

Lana als Mädchen von nebenan...
...und Lana beim Kampf um den Titel als Star des Jahres.

«Blick» sucht das Girl des Jahres – und hat zumindest im August eine sehr valable Kandidatin gefunden: Lana, 28. Sie ist «1,74 Meter gross, 52 Kilo schwer, single und lebt alleine». Als «Star des Tages» aus Birsfelden blickt die «kaufmännische Angestellte» ungeschminkt in die Kamera, ganz das Mädchen von nebenan. Erst nachdem Hairstylisten und Make-up-Artistin ihr «VIP-Programm» (Blick) beendet haben, präsentiert sie sich als Vamp in Reizwäsche. Lanas bescheidene Erwartung an den Wettbewerb: «Ein paar schöne Fotos als Erinnerung an einen schönen Tag.»

Den Jubeltag als «Blick»-Girl des Augusts wolle sie mit ein paar Freundinnen kräftig feiern, erklärte Lana und betonte, beim Mazda, den es als Jahrespreis zu gewinnen gebe, sei ihr die Farbe egal.

Inzwischen läuft das Finale der Schönsten. Lana hat beste Chancen und dafür noch einen Gang höher geschaltet. Ihre Lippen sind seit dem ersten Shooting deutlich voluminöser geworden und ihr Outfit hat sie im Finalistinnen-Shooting auf eine geschickt platzierte Handtasche reduziert. Ob so viel Freizügigkeit und Erotik einer kaufmännischen Angestellten aus Birsfelden jubeln die Leser in den Kommentaren: «Das Beste, was ich im Blick je gesehen habe», schreibt einer und ein anderer: «Eine wunderschöne, und tolle Frau!» Lana, das Mädchen von nebenan im «Playboy»-Stil – unglaublich und wahnsinnig mutig für viele Leser.

Schöne Fotos von Lana gibt es auch auf der Homepage eines noblen Sexsalons zu sehen. Im Erotikclub in Zürich Enge, einem Geschäftsviertel mit vielen Banken und Versicherungen, kennt man «Blick»-Schwarm Lana allerdings als Gwendolyne, 24.

Sie kommt aus Lettland und wohnt in Zürich.

Als Escortgirl im Massagesalon von nebenan bietet sie «einen Topservice, mit Küssen, Französisch pur und vielem mehr».

20 Minuten Online hat sie dort besucht und sprach mit ihr über die schönste Nebenbeschäftigung der Welt.





? Hallo, du bist Gwendolyne, nicht?
! Gwendolyne aka Lana: Ja, woher kennst du mich?

[Die Zeitung outet die Sexarbeiterin und ihren Künstlernamen?!
Anm. Marc]

? Ich habe dich im «Blick» gesehen.
! In einem Werbespot war ich auch schon!

? Ich habe dich gesucht.
! Wie süss! Bist du Reporter?

? Ja. Ich wollte herausfinden, wie du «Blick»-Girl wurdest.
! Eine Freundin hat da mitgemacht. Ich fand es witzig und hab mich auch angeboten.

? Hatte die Redaktion nichts dagegen, dass du in einem Sexclub arbeitest?
! Nein, wieso auch? Das ist Privatsache.


? Aber haben sie es auf der Redaktion gewusst?
! Ich hab es ihnen gesagt, als ich nach meinen Hobbys gefragt wurde.

? Geschrieben haben sie es aber nicht.
! Nein, aber ich schäme mich nicht dafür. Hast du etwas gegen Sex?

? Nein, sicher nicht. Ich fand es nur seltsam, dass du in einem Sexclub arbeitest, aber als kaufmännische Angestellte beschrieben wirst.
! Ich arbeite auch in einem Consulting-Büro. Der Sexclub ist nur mein Hobby.


? Bloss ein Hobby?
! Ich bin viel unterwegs, habe aber keine Zeit für eine richtige Beziehung – und ich liebe Sex. Hier im Club kann ich nette Männer kennenlernen, ohne unter Druck zu stehen, sie wieder zu treffen. Wenn mir jemand gefällt, kann ich Ja sagen, wenn nicht, lass ich es sein. Ich bin nicht auf das Geld angewiesen.

? Wissen deine Kollegen in der Consulting-Agentur von deinem Hobby?
! Ja, aber das stört dort niemanden. Ich werde nicht nach meiner Nebenbeschäftigung beurteilt.

? Du stammst aus Lettland. Warum sprichst du so gut Deutsch?
! Weil ich schon lange in der Schweiz bin. Ich spreche auch Russisch und Englisch. Das ist in meinem Beruf wichtig. Unsere Firma vermietet Yachten und Privatjets. Da hat man mit internationalen Kunden zu tun. Mein Job gefällt mir, ich komme viel herum. Soeben bin ich aus Dubrovnik zurückgekommen.

? Du wohnst in Birsfelden, stand im «Blick».
! Seit drei Monaten lebe ich in Zürich. Das ist einfacher. In Basel habe ich aber lange gelebt und Psychologie studiert. Aber ich habe das Studium abgebrochen, wegen dem Job.

? Wirst du oft auf deine Tätigkeit im Sex-Club angesprochen?
! Nein. Aber es würde mich auch nicht stören. Ich mache das hier, weil es mir gefällt. Ich habe Spass an Sex. Ich führe ein tolles Leben, bin in gepflegter Atmosphäre, komme viel rum. Meine Favoriten sind Paris und New York.

? Hast du keine Angst, dass dich jemand erkennen könnte?
! Nein, wieso auch? Die Leute wissen, was ich tue. Ich schäme mich nicht dafür. Hierher kommen Männer nicht nur wegen dem Sex. Die Frauen sprechen alle gut Deutsch – oft auch eine zweite und dritte Sprache. Das ist wichtig. Ich war als Begleiterin schon in allen noblen Restaurants und Discos von Zürich. Sex allerdings gibt es nur hier im Club.

? Warum?
! Die Leute sehen Sex oft als etwas Schlechtes. Man wird immer gleich gefragt, was arbeitest du? Was macht dein Freund? Der Job ist so wichtig, die Person kommt viel zu kurz. Je gebildeter jemand ist, desto unwichtiger wird, wer ich bin. Das geniesse ich. Gebildete Menschen können differenzieren. So, hast du noch mehr Fragen? Ich würde gerne wieder zu den anderen.

? Ich würde gerne über dich schreiben, wenn ich darf.
! Aber sicher. Soll ich dir meine Nummer geben?





Folgende Fragen stellte 20 Minuten Online dem «Blick»:

- Dürfen Prostituierte und Sex-Arbeiterinnen an der Wahl des Stars des Tages teilnehmen? Wenn nein, wie schliessen Sie das aus?
- Wie gehen Sie damit um, wenn Sie Kenntnis davon haben, dass «Star des Tages»-Kandidatinnen sich prostituieren?»
- «Haben «Professionelle» bereits beim «Blick»-Girl mitgemacht?

Der «Blick» wollte die Fragen nicht beantworten und liess knapp ausrichten: «Kein Kommentar.»





Update, 19.10.2011, 16.55 Uhr:
«Blick» hat Lana von der Seite genommen. Unter dem bisherigen Link erscheint statt der Bilder des Stars des Tages und des Monats August eine Fehlermeldung.

Autor: Amir Mustedanagic
20 Minuten Online
www.20min.ch/news/kreuz_und_quer/story/ ... n-22173688
Wer glaubt ein Christ zu sein, weil er die Kirche besucht, irrt sich.Man wird ja auch kein Auto, wenn man in eine Garage geht. (Albert Schweitzer)

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Medienskandal?

#2

Beitrag von Marc of Frankfurt »

Jetzt verstehe ich die Story erst. (hab deswegen Stellen hervorgehoben und Absätze eingefügt etc.).


Hier hat eine Schweizer Zeitung im Internet die Konkurrenz vorgeführt und aufgedeckt, dass das Cover-Girl des Monats Sexarbeiterin ist.

Nebenbei hat die Zeitung www.20min.ch und die VerfasserIn Amir Mustedanagic dann auch die Sexarbeiterin zwangsgeoutet und ihren Künsterlamen mit ihrem bürgerlichen Namen verknüpft zusammen in der Zeitung und im Internet abgedruckt und veröffentlicht !!!

Ein unfassbarer Vorgang. Für die meisten Sexworker wäre das eine extrem bedrohliche Katastrophe und Grund per Anwalt die Entfernung der Fotos und Texte zu verlangen und evt. eine Schadensersatzklage anzustrengen...

Lana scheint das cool abzutun (siehe Interview).

Die Zeitung www.blick.ch hat alle Bilder und Texte inzwischen entfernt. Nur im Google-Cache sind sie immer noch [das Internet vergisst nicht!].

Auf der Homepage des Massagesalons ist ihr Gesicht extra unscharf verfremdet oder mit ihren langen Haaren verdeckt.

Die Zeitung www.20min.ch und der/die Journalist_in Amir Mustedanagic betätigen sich hier wie professionelle Stalker oder Denuntianten !!!





Was haltet ihr von der Sache?

Das wäre m.E. ein Fall, wo eine Sexworker-Interessenvertretung sich z.B. an den Rat der freiwilligen Medien-Selbstkontrolle richten sollte und eine entsprechend scharfe öffentliche Presseerklärung über diesen unglaublichen Sachverhalt und das Vorgehe von www.20min.ch abgeben sollte...

Oder ist alles kein Problem, nur weil die Sexarbeiterin es so locker sieht?

Ob sie in einer prekären Notlage steckt und gute Miene zu bösem Spiel machen muß?





.
Zuletzt geändert von Marc of Frankfurt am 21.10.2011, 15:43, insgesamt 2-mal geändert.

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Rechtsfolge

#3

Beitrag von Marc of Frankfurt »

Rechtsfolge dieses Zwangs-Outings durch www.20min.ch ist jetzt die Disqualifizierung im Model-Wettbewerb von www.blick.ch

Warum ein Girl nicht mehr zur Wahl steht



Exakt 503 Girls haben sich bis heute auf der Titelseite im BLICK präsentiert.

Jede muss vor dem Shooting schriftlich erklären, «dass sie zum Zeitpunkt der Aufnahmen über 18 Jahre alt ist, nie im Erotik-Business tätig war und sich zum ersten Mal für den Star des Tages ablichten lässt».

Gestern hat ein BLICK-Girl, Lana (28), im Interview mit einem Online-Portal erklärt, dass sie nebenbei in einem Zürcher Sex-Club arbeite («mein Hobby») – dass also die von ihr unterschriebene Erklärung insoweit unrichtig ist.

Die zum BLICK-Girl des Monats August gewählte Lana, die im BLICK-Fragebogen als Beruf «kaufmännische Angestellte» angegeben hat, ist deshalb für die Wahl zum Girl des Jahres disqualifiziert.

An ihrer Stelle erhält die Zweitplazierte des Monats August, Jacqueline (27) aus Luzern, die Chance.

...

Das BLICK-Girl des Jahres gewinnt einen schicken Mazda MX-5 Sport mit 2-Liter-Maschine und 160 PS (Wert: über 40'000 Franken [32.000 Euro]).

...

www.blick.ch/life/stardestages/waehlen- ... res-184795





Hat www.20min.ch die Sexarbeiterin um den Gewinn des Autos gebracht und wäre damit Schadensersatzpflichtig?

Ist der Ausschluß von Sexworkern aus Schönheitswettbewerben eine zulässige Diskriminierung oder nicht haltbar nach intl. Rechtsprechung?

Was wiegt schlimmer: Formular falsch ausfüllen oder eine Sexarbeiterin zwangsouten?


Sexarbeit wird gerne als Hobby bezeichnet und mit recht auch von vielen Sexworkern so wahrgenommen.
Damit haben Sexworker jedoch so gut wie nie Chancen vor Gericht. Sex gegen Geld ist fast immer gewerbliche Prostitution. Nur die Ehe genießt hier besonderen Schutz. Und genau diese Abgrenzung das ist der Sinn der Gesetze.


Der Fall verdeutlicht einmal mehr wie prekär die Migrantin Lana den Verhältnissen in ihrer neuen Wahlheimat Schweiz ausgeliefert ist als Ausländerin und Sexarbeiterin...





.

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Vertragsklausel gegen Sexworker

#4

Beitrag von ehemaliger_User »

Update 2, 20.10.2011: «Blick» hat Lana disqualifiziert und von der Wahl zum Girl des Jahres ausgeschlossen.

Ist nicht schon die Klausel "nie im Erotik-Business tätig war" diskriminierend? Ist die halbnackte Ablichtung in "Blick" nicht auch schon "Erotikgewerbe"`Oder soll die Blick-Aktion eine Art Castingveraqnstaltung für "Neue" im Sexbusiness sein? Dann würde die Klausel Sinn machen.

Das schreibt die "Blick":

Exakt 503 Girls haben sich bis heute auf der Titelseite im BLICK präsentiert. Jede muss vor dem Shooting schriftlich erklären, «dass sie zum Zeitpunkt der Aufnahmen über 18 Jahre alt ist, nie im Erotik-Business tätig war und sich zum ersten Mal für den Star des Tages ablichten lässt».

Gestern hat ein BLICK-Girl, Lana (28), im Interview mit einem Online-Portal erklärt, dass sie nebenbei in einem Zürcher Sex-Club arbeite («mein Hobby») – dass also die von ihr unterschriebene Erklärung insoweit unrichtig ist.

Die zum BLICK-Girl des Monats August gewählte Lana, die im BLICK-Fragebogen als Beruf «kaufmännische Angestellte» angegeben hat, ist deshalb für die Wahl zum Girl des Jahres disqualifiziert. An ihrer Stelle erhält die Zweitplazierte des Monats August, Jacqueline (27) aus Luzern, die Chance. Ihr Bild wure nachträglich auch aus dem Panorama-Bild entfernt und das Bild von Jacqueline reinmontiert.
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Re: Vertragsklausel gegen Sexworker

#5

Beitrag von Marc of Frankfurt »

Ich vermute, die Klausel dient dazu sich reinzuwaschen von allen nur erdenklichen und tatsächlich möglichen negativen Argumenten und Anschuldigungen gegen das Sexbiz. Das haben wir ja hier recht umfassend im intl. Sexworker Forum dokumentiert, und wir sind ja bekanntlich alle mehr oder weniger den diversen Mythen und Vorurteilen ausgeliefert insofern als die dahinter stehenden Un-Werturteile eine ganze Branche quasi in Sippenhaft zu halten versuchen. Es ist insofern m.E. eine Formulierung und Rechtsklausel biederer Doppelmoral, Stigmatisierung und Ausgrenzung.

Und nicht zuletzt steckt dahinter ein Abwehrmechanismus, gegen unliebsame Konkurrenz der Sexworker, die wie der Fall ebenfalls sehr gut zeigt, sehr erfolgreich vor der Kamera beim professionellen Fotoshooting posieren und wegen diesem Können oder Sexworker-Kompetenzen in Verbindung mit ihrer körperlichen Mitgift und rein physischer Begabung bestens beim Publikum ankommen... *lach*





Der Fall zeigt m.E., wie eine in Sachen Medienkompetenz unbedarfte, naive, neue und unschuldige Sexworker-Migrantin von einem Journalisten der Boulevard Presse vorgeführt und geschäftlich bis privat gefährdet oder gar ruinert werden kann. Der Vorgang hat was von Stalking wie ich schon schrieb, wozu gesten in der ARD ein Themenschwerpunkt gesendet wurde und wir parallel hier im Forum für Kolleginnen erste Hilfe leisten.

Amir Mustedanagic und www.20min.ch haben sich da ein starkes Stück geleistet aufkosten eines Menschen aus einer sexuellen Minderheit und das nur um Auflage (page views) zu erhöhen und den Mitbewerber www.blick.ch vorzuführen.

Wir sollten da nicht untätig bleiben und den Fall nutzen eine deutliche Position der Sexworker zu "Standards der Medien im Umgang mit Sexworkern" formulieren. Etwa in der Form wie unsere Sexworker Forum Deklaration:
DE www.sexworker.at/phpBB2/download.php?id=657 pdf
EN www.sexworker.at/phpBB2/pafiledb/upload ... 908f75.pdf
Zuletzt geändert von Marc of Frankfurt am 21.10.2011, 15:46, insgesamt 3-mal geändert.

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#6

Beitrag von Ariane »

Ich denke, es ist tatsächlich an der Zeit, zu einer Generalinventur überzugehen und die missbräuchliche und tendenziöse Medienberichterstattung und Diskurs über Sexworker und "Prostitution", die im deutschsprachigen Raum, in Frankreich, Grossbritannien und U.S.A übrigens ähnlich "gekennzeichnet" sind, also gleichförmige Merkmale und Stigmatisierungen aufweisen, vorzuführen. Da reicht eine Presseerklärung alleine nicht aus, die zunächst an alle Medien gesendet werden müsste, sondern es müssten gewiefte und durch Mediencoaching professionalisierte Leute aus unseren Kreisen bereit sein, Paroli zu bieten und Interviews zu führen.
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Marc of Frankfurt
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Pressekodex statt Presseerklärung

#7

Beitrag von Marc of Frankfurt »

Entwurf:


Freiwillige Selbstverpflichtung zu

Standards fairer Medienberichterstattung zu Prostitution, Sexwork & Paysexkonsum



Wir die Zeitung / das Online-Medium / die Filmproduktion xyz

verpflichten uns im Sinne eines erweiterten Pressekodex die folgenden Leitregeln und Werte in der journalistischen Arbeit zur Kenntnis zu nehmen, zu berücksichtigen und einzuhalten:
  1. Prostituierte sind Menschen wie ich und du. Sie sind weiblich, männlich oder transsexuell, hetero, schwul, bi oder polyamor, exhibitionistisch oder schüchterner ... Sie sind Mütter, Schwester, Tochter, Nachbarin, Arbeitskollegin, Lehrerin, Migrantin, Professorin oder Studentin... und neben- oder hauptberufliche Alleinselbständige Sexdienstleister_in. Sie versuchen wie alle Werktätigen ihren Unterhalt zu verdienen und für sich und ihre Angehörigen eine menschenwürdiges Leben zu ermöglichen. Sie sind nicht als Außenseiter, Bürgerschreck oder Exoten zu portraitieren.
  2. Der politisch korrekte Name lautet Sexworker / Sexarbeiter_in / Sexdienstleister_in und ist vorzuziehen vor stigmatisierenden, belasteten Begriffen wie Prostituierte, Dirne, Nutte ... oder Gunstgewerblerin. Medien haben eine Vorbildfunktion mit zeitangemessener Aufklärungsverpflichtung, wenn sie ihrer Rolle als Ordnungsmacht und 4. Gewalt im Gemeinwesen verantwortunsbewußt nachkommen wollen.
  3. Vojeuristische Schnappschüsse aus dem Rotlichtmilieu sind zwar sexy, illustrativ und wirkmächtig, aber oftmals zweckentfremdete, geklaute, einseitige, nichtkonsensuale, menschenwürdeverletzende Darstellungen der Sexarbeiter_innen und unserer intimen Lebens- und Arbeitsräumen, die wir nur für unsere Kundschaft inszenieren und öffnen. Bei allen Nachrichten zur Prostitution die Gelegenheit nutzen ein erotisches Girl vom Straßenstrich abdrucken zu können [Symbolphoto] ist niederen Instinkten folgender Boulevard Journalismus. Vojeurismus und bürgerliches Schaudern sollen ausgelöst werden um Auflage und Zugriffszahlen zu erhöht aufkosten einer stigmatisierten sexuellen Minderheit.
  4. Eine überwiegend auf ideologisch, moralischen Werten gegründete Berichterstattung, die evidenzbasierte, wissenschaftliche Forschungsergebnisse ausspart und Sexworker einseitig nur als Menschenhandelsopfer, Sexsklaven oder Schädiger und Bedrohung der Nachbarschaft darstellt und ihre Kunden und Organisatoren der Sexarbeit als Täter, ist abzulehnen.
  5. Sexarbeit ist vielfältig und hochgradig ausdifferenziert (Diversity). Eine Fokussierung auf einseitig ausgewählte Opfer/Täter-Geschichten oder nur den sichtbaren weil rot ausgeleuchteten Strich und Rotlichtviertel, verzerrt die Realität und zementiert Vorurteile, Stigma, Ausgrenzung sowie Verletzlichkeit und Ausbeutbarkeit.
  6. Sich moralisch einseitig unausgewogen fundamentalistisch gegen Prostitution zu positionieren im Nachrichten-Teil und gleichzeitig (teilweise überhöhte) Werbeeinnahmen mit Prostitutionsanzeigen zu generieren im Werbeteil ist praktizierte Doppelmoral, Scheinheiligkeit und unakzeptable Geschäftemacherei.
  7. Werbung für unsafer Sex und andere riskante, ausbeuterische Sexdienstleistungen sind abzulehnen. Wenn Schlagworte wie "alles ohne", "natur" und "tabulos" auf riskante gefährliche Sexpraktiken hinweisen sollen, sind entsprechende Anzeigen abzulehnen und dies ist der Interessen-Selbstvertretung der Sexworker mitzuteilen. Stattdessen sollte die Formulierungen der Prävention und AIDS/STD-Gesundheitsaufklärung wie "safer Sex", "Kondom" nicht länger zensiert werden. Analoges gilt bei illegaler Beschäftigung wie "Teenee-Sex" bzgl. der Problematik Minderjährigkeit oder "exotisches Frischfleisch" bei als Ausländer prekarisierten Migranten, die evt. ausgebeutete sog. Menschenhandelsopfer sind.
  8. Solange Sexworker in der Gesellschaft von einem hegemonialen Teil als soziales Übel betrachtet werden (ungeachtet der Tatsache, dass ihre Dienstleistungen von Mitgliedern der selben Gruppe auch stark nachgefragt werden), benötigen Sexworker besonderen Schutz ihrer Privatsphäre, um nicht Opfer von Gewalt- und Haßtaten zu werden. Keinesfalls darf ihre zum Schutz selbstgewählte Sexworker-Identität ausgekundschaftet und dann der Künstlername zusammen mit dem bürgerlichen Familienname, privaten Fotos von Familie, Wohnung oder ihr Gesicht und Fotos ihrer Escort-Homepage oder Facebookseite unabgedeckt ohne vorherige schriftliche Einwilligung in den Medien veröffentlicht werden. Pranger und Zwangsouting (als Mittel zur Auflagenstärkung) sind abzulehnen.
  9. Bei Produktionen und Interviews gemeinsam mit Sexworkern sind diese wahrheitsgetreu über die beabsichtigte Darstellung und Aussage zu informieren. Sie sind ordnungsgemäß über ihre Rechte wie z.B. Korrekturlesen und nachfolgende Veröffentlichungsfreigabe aufzuklären, ihnen ist ein faires Honorar zu gewähren und ihre Wünsche bezüglich Bildgestaltung, Nennung von Künstlername, Homepage und Diskretionsbedarf ist zu respektieren und einvernehmlich, klar verständlich, schriftlich festzulegen.
  10. Zusammenarbeit der Medien und ihrer Vertreter mit der langsam beginnenden Sexworker-Selbstorganisation ist zu begrüßen. Fortbildungsseminar und Pressekooperationen sind möglich.
[Siegel des Sexworker Forum] [Datum, Unterschriften]





Sexworker, schreibt bitte Eure Kommentare und Ergänzungen z.B. dort im SW-only:
www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?t=8668

Checklisten Sexworker & Medienproduktionen
Print www.sexworker.at/phpBB2/download.php?id=518 pdf
Film www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?t=943&start=32


Litigation PR

US-Stipperin leistet sich teure Anwältin und kämpft gegen Diskriminierung
www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?p=116075#116075





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Zuletzt geändert von Marc of Frankfurt am 12.05.2012, 12:48, insgesamt 1-mal geändert.

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#8

Beitrag von Marc of Frankfurt »

Jetzt wurde die Zeitung www.20minuten.ch , die die Sexarbeiterin zwangsweise geoutet hatte, um ihr das Gewinnspiel zu vermasseln und die Konkurrenz vorzuführen, vom Schweizer Presserat schwer gerügt.


Allerdings ging es um einen anderen Fall, wo in verdeckter Recherche mit einer fake Identität eines minderjährigen Knaben ein pädophiler Lehrer und Abgeordneter angelockt wurde von einem verdeckt recherchierenden Journalisten:
  • "Der Schweizer Presserat hält es nach einer Entscheidung vom Dienstag für unlauter im Sinne von Ziffer 4 der "Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten", einen bereits suspendierten Lehrer via einer Gay-Website in der Weise von "20 minutes" aktiv zu ködern. Er erinnerte daran, dass eine verdeckte Recherche nur ausnahmsweise, unter strengen Voraussetzungen zulässig ist. Erforderlich ist ein den Eingriff in die Privatsphäre rechtfertigendes, überwiegendes öffentliches Interesse an den Informationen, die sich zudem nicht auf andere Weise beschaffen lassen. ..."

    www.queer.de/detail.php?article_id=15409
Das mit der jungen (naiven?) Sexarbeiterin geführte und abgedruckte Interview könnte man auch als "aktives ködern" auslegen.

Ob das erfolgte Zwangsouting illegal war, müßte die betroffene Sexarbeiterin selbst z.B. über den Presserat oder gerichtlich überprüfen lassen...

Hierzu ist es unabdinglich dass Sexworker guten Rechtsbeistand haben. Den stellt z.B. eine Dienstleister_innen-Gewerkschaft wie ver.di ihren Mitgliedern kostenlos zur Verfügung.

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