Ein Sexkaufverbot macht Prostitution nur unsichtbar, hilft aber niemandem
Erstellt: 21.03.2023, 08:28 Uhr
Von: Robert Wagner
Eine Prostituierte wartet auf ihrem Zimmer in einem Bordell. © Andreas Arnold/dpa/Collage/BuzzFeed
Eine Europaabgeordnete der SPD fordert die Kriminalisierung von Freiern. Was sich gut anhört, erweist sich als Trugschluss. Es geht nicht um den Schutz von Frauen.
Wieder einmal bringen Stimmen aus der SPD dieses Thema aufs Tableau. Maria Noichl, Europaabgeordnete und Chefin der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen (AsF), fordert in einem Interview mit der Rheinischen Post ein Verbot der Prostitution nach dem sogenannten nordischen Modell. Das sieht vor, dass nicht die Prostituierte, sondern der Freier kriminalisiert wird. Seit über 20 Jahren gilt ein entsprechendes Gesetz in Schweden, daher der Name.
Was sich zunächst gut anhört, erweist sich als problematisch. Es stimmt: Die Sexarbeiter:innen brauchen nach diesem Modell keine Strafverfolgung zu befürchten.
Langfristig jedoch fördert eine solche Politik ihre Diskriminierung und erschwert ihre Arbeitsbedingungen, da die Sexarbeit an sich in die Illegalität verlagert wird. Das würde für die Sexarbeiter:innen ganz automatisch ein Weniger an Schutz und ein Mehr an gesellschaftlicher Ausgrenzung bedeuten.
Sexkaufverbot wäre in der Konsequenz ein Rückschritt
Genau diese Zusammenhänge haben die damalige rot-grüne Regierung 2001 dazu bewogen, mit dem Prostitutionsgesetz einen völlig neuen Weg zu gehen und Sexarbeit zu legalisieren, um die Situation der Betroffenen zu verbessern. Zuvor galt Prostitution als sittenwidrig und Sexarbeiter:innen konnten sich weder sozial versichern noch bei einer Krankenkasse anmelden. Dieses Gesetz sei „gescheitert“, behauptet nun Noichl, und Deutschland zu einem „Schwamm“ geworden, der „alle aufsaugt, die an der Prostitution verdienen.“
Was Noichl und andere Politikerinnen, auffällig häufig aus der SPD, fordern, käme in der Konsequenz einem gesellschaftlichen Rückschritt gleich. Wozu ein Sexkaufverbot nach nordischem Modell führt, kann man gut in Frankreich beobachten. Dort wurde ein entsprechendes Gesetz 2016 erlassen.
NGOs und Gewerkschaften sprechen von „Verelendung“ der betroffenen Sexarbeiter:innen, wie der Deutschlandfunk berichtete.
Ihre Lage habe sich in Wirklichkeit verschlechtert.
Forderung nach einem Sexkaufverbot
Bereits 2019 twitterte Noichl zum internationalen Hurentag (2. Juni) sehr bestimmt „zur Klarstellung“: „Sexarbeit ist weder Sex noch Arbeit. Sexarbeit ist Menschenrechtsverletzung.“ Der taz, die die Debatte aufmerksam beobachtete, sagte sie damals: „Am Tag von 30 Männern penetriert zu werden, mag für eine sehr kleine Gruppe die Erfüllung sein“, die Realität sehe aber anders aus. Prostitution sei „ein Spinnennetz, in dem sich Frauen verfangen“. Als gingen Sexarbeiter:innen dieser Tätigkeit nach, weil sie es genießen würden, täglich Sex mit 30 Männern zu haben.
Aus gehässigen Kommentaren wie diesem spricht meiner Ansicht nach eine Geringschätzung all derer, die der Sexarbeit nachgehen, ohne sich als Opfer zu sehen. Ihre Mitstreiterin Leni Breymaier, Bundestagsabgeordnete und frühere Landesvorsitzende der SPD Baden-Württemberg, sagte 2019 laut taz, sie halte es für „Wahnsinn“, wenn zwischen Prostitution und Zwangsprostitution unterschieden wird. „Als ob Prostitution etwas anderes sein könnte als Zwang“, sagte sie.
Noichl und Konsorten lassen keine Zweifel daran aufkommen, wie borniert sie in dieser Sache sind.
Es geht ihnen nicht um pragmatischen Schutz von Frauen, sondern um Moral und Ideologie. Sexarbeit ist per se immer schlecht und darf es folglich nicht geben. Eine „Welt ohne Prostitution“ wünscht sich Breymaier laut taz. Eine utopische Forderung, die letztlich nur auf die Unsichtbarmachung der verhassten Sexarbeit abzielt.
Was mit den Betroffenen danach konkret geschieht, interessiert wohl bestenfalls am Rande.
https://www.buzzfeed.de/news/ein-sexkau ... 59851.html
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Was beim Sexkaufverbot bzw. bei der Freierbestrafung mit den Sexarbeiter*innen passieren könnte, kann man am Beispiel in Frankreich lesen.
Ist aus dem Archiv aus 2017.
Archiv
Frankreich
Was hat das Prostituiertengesetz gebracht?
Im April 2016 die damalige französische Regierung als fünftes Land in Europa den Besuch bei Prostituierten unter Strafe gestellt. Seitdem hat sich für die rund 40.000 Sexarbeiter viel verändert – allerdings nicht nur im positiven Sinne.
Von Bettina Kaps | 30.05.2017
Prostituierte auf dem Weg in ein Bordell.
Viele Prostituierte beklagen, dass sie nun auch Kunden annehmen müssten, die sie früher abgelehnt hätten, da das französische Prostitutionsgesetz viele Freier abschreckt. (picture-alliance / Roman Vondrous)
„Le Mouvement du Nid“ bekämpft die Prostitution. Dabei greift der Verein auch zu drastischen Methoden. So hat er die Website einer vermeintlichen Escort-Agentur ins Internet gestellt. Unter dem Namen „Girls of Paradise“ bieten attraktive Frauen ihre Dienste an. Aber sobald ein Sex-Kunde ein Foto anklickt, tauchen Bilder von brutal misshandelten Frauen auf und der Freier erfährt, dass sein sogenanntes „Paradies-Mädchen“ nicht mehr verfügbar ist.
„Inès wurde mit 53 Messerstichen getötet“, sagt die Stimme.
Mit seiner Lobbyarbeit hat „Le Mouvement du Nid“ wesentlich dazu beigetragen, dass Frankreich die Bestrafung von Freiern eingeführt hat. Ein Jahr später zieht die Vorsitzende, Stéphanie Caradec, eine überwiegend positive Bilanz.
„Prostituierte werden seither nicht mehr bestraft. Das war uns wichtig. Vorher wurde Kundenfang mit drei Monaten Haft und 3.750 Euro Geldstrafe geahndet. Stattdessen machen sich jetzt die Kunden strafbar. Mindestens 936 Freier wurden schon vorübergehend festgenommen. In einer Zeit, wo sich die Polizei vorrangig mit Terrorismus beschäftigt, ist das viel.“
Zunehmende Gewalt und enorme Verelendung
Doch Cadyne Senac ist ganz anderer Ansicht. Die zierliche Frau arbeitet als Rechtsbeistand für die Sexarbeiter-Gewerkschaft STRASS und ist selbst eine von schätzungsweise 40.000 Sexarbeitern in Frankreich. Laut Sénac hat das Gesetz dramatische Folgen.
„Leider ist alles, was wir befürchtet haben, eingetreten. Die Gewalt hat zugenommen. Weil die Angst vor der Polizei viele Kunden abschreckt, müssen die Sexarbeiter noch mehr als zuvor im Verborgenen arbeiten. Zugleich wurden nur lächerlich selten Bußgelder verhängt.
Prostituierte müssen jetzt Praktiken und Kunden akzeptieren, die sie früher ablehnen konnten, weil sie sonst nicht mehr überleben können. Wir verzeichnen eine enorme Verelendung.“
Die Ärztehilfsorganisation „Medecins du monde“ teilt diese Kritik. An fünf Abenden pro Woche fahren die Helfer mit einem Bus durch Pariser Rotlicht-Viertel, in denen vor allem Chinesinnen mittleren Alters arbeiten. Sogar die Tatsache, dass die Frauen nicht mehr für Kundenfang bestraft werden können, habe ihre Lage in Wirklichkeit verschlechtert, sagt der Koordinator des Busses, Nael Marandin.
„
Die Strafverfolgung der Sex-Arbeiter wurde benutzt, um Anwohnern entgegen zu kommen und die Prostituierten aus bestimmten Gegenden zu vertreiben. Heute greift die Polizei eben zu anderen Mitteln. Im Pariser Stadtteil Belleville beispielsweise organisiert sie Razzien, um die Aufenthaltspapiere der Chinesinnen zu kontrollieren. Früher hat sie die Frauen nur ein paar Stunden wegen Kundenfang festgehalten. Jetzt droht ihnen die Abschiebung nach China.“
Das Gesetz verspricht auch Hilfen, die Prostituierten aus dem In- und Ausland den Ausstieg aus dem Gewerbe ermöglichen sollen. Die soziale Unterstützung wird aber gerade erst organisiert. Mittelfristig soll es in jedem Departement eine Kommissionen mit Vertretern von Justiz, Polizei, Sozialämtern und Hilfsvereinen geben, um die Prostituierten zu informieren und zu begleiten.
Ein Ausstieg mit Hindernissen
Der Hilfsverein „Le Mouvement du Nid“ warte schon ungeduldig darauf, dass er aktiv werden könne, sagt die Vorsitzende, Stéphanie Caradec. Die mögliche finanzielle Unterstützung für Aussteigerinnen sei allerdings gering.
„330 Euro pro Monat, das ist viel zu wenig. Aber wer aufhören will, erhält auch das Recht auf einen Platz im Notaufnahmelager, außerdem eine Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis. Vorher gab es rein gar nichts. Wir werden natürlich für mehr Mittel kämpfen.“
Nael Marandin von „Ärzte der Welt“ befürchtet hingegen, dass sich das Ausstiegsprogramm als ineffizient erweisen wird.
„
Die Frauen müssen sich verpflichten, ihr Gewerbe aufzugeben. Aber die neuen Verdienstmöglichkeiten sind ja nicht von heute auf morgen da. Wie sollen sie denn in der Zwischenzeit überleben?“
Diese Hilfsorganisation zögert. Noch ist nicht klar, ob auch sie sich um die Mitarbeit in den örtlichen Gremien bewerben will. Denn wer die Prostituierten beim Ausstieg aus dem Gewerbe begleitet, muss auch überprüfen, ob sie tatsächlich nicht mehr auf den Strich gehen.
„Wie sollen wir betreuen und gleichzeitig kontrollieren? Da verlieren wir doch unsere Glaubwürdigkeit.“
https://www.deutschlandfunk.de/frankrei ... t-100.html