Polizeigewalt Stuttgart21
-
- PlatinStern
- Beiträge: 1330
- Registriert: 14.03.2008, 12:01
- Wohnort: Berlin
- Ich bin: ehemalige SexarbeiterIn
-
- unverzichtbar
- Beiträge: 178
- Registriert: 02.10.2010, 14:48
- Ich bin: Keine Angabe
Rechtssicherheit für alle geht vor Gerechtigkeit für einzeln
Genau das ist auch das Hauptargument, wenn es darum geht, an Fehlurteilen von Gerichten festzuhalten, auch wenn deren Rechtswidrigkeit nahezu offensichtlich ist.
So sind (nicht nur in Deutschland) etwa die Hürden an ein Wiederaufnahmeverfahren extrem hoch. Selbst wenn Einigkeit darüber herrscht, dass man die Unrichtigkeit eines Strafurteils in einem Wiederaufnahmeverfahren zweifelsfrei belegen könnte, resultiert daraus noch lange kein Anspruch auf dessen Durchführung. Es existieren weitere erhebliche Hindernisse, die zum Teil lediglich von der rechtsprechenden Gewalt in den ausdrücklichen Wortlaut des Gesetzes "hineininterpretiert" werden (was aber in sämtlichen Rechtsgebieten gängige Praxis ist).
In Zivilverfahren, in denen es lediglich um Vermögensinteressen und nicht um Freiheitsrechte von Bürgern geht, hat man den ohnehin strengen Formalien (schon daran kann ein Wiederaufnahmegesuch scheitern, ohne dass jemand sich mit der Sache selbst beschäftigt hätte) noch weitere zugefügt (Fristen etc.).
Soweit gegen ein Fehlurteil kein Rechtsmittel (mehr) existiert (diese Möglichkeit wird/wurde vom Gesetzgeber aus ökonomischen Gründen immer weiter eingeschränkt, weil der grundgesetzlich abgesicherte Rechtsgewährungsanspruch in aller Regel lediglich eine einzige Instanz beinhaltet), darf man den Zug durchaus als endgültig abgefahren ansehen.
Der Anspruch des Staates (und der Allgemeinheit) auf Rechtssicherheit steht in Deutschland weit über dem Recht des Individuums auf Gerechtigkeit. Auch das ist ein "Bürgerrecht", dass vom betroffenen Einzelnen hinzunehmen ist. So wie etwa die Pflicht, sich als letztlich Unschuldiger einem Strafverfahren stellen zu müssen mit der Festlegung, dass der Staat im Falle eines Freispruchs nur einen (gelegentlich sogar recht kleinen) Teil des Verteidigerhonorars erstattet. Die im Falle eines Freispruchs zu erstattenden Verteidigerkosten sind derart bemessen, dass ich es bereits in durchschnittlichen Sachen für völlig unmöglich halte, für diese Beträge einen Verteidiger zu finden.
Auch hier sagt die höchstrichterliche Rechtsprechung, dass der staatliche Anspruch auf Strafverfolgung weitaus höher zu bewerten ist als das Recht des Individuums, und die Verpflichtung des Einzelnen zur Duldung der Strafverfolgung auch die Verpflichtung zur Tragung der Verteidigerkosten beinhalte. Staatlicherseits sei es daher nicht erforderlich, einen vollen Ausgleich zu gewähren.
Die lausige Haftentschädigung für unrechtmäßig inhaftierte Personen unterliegt demselben Grundsatz.
Wer aus der Rechtsstaatlichkeit ein Recht des Einzelnen auf Gerechtigkeit herleitet, der irrt gewaltig – und zwar weltweit.
Die Rechtssicherheit ist halt ein hohes Gut im Rechtsstaat.
J.K.
So sind (nicht nur in Deutschland) etwa die Hürden an ein Wiederaufnahmeverfahren extrem hoch. Selbst wenn Einigkeit darüber herrscht, dass man die Unrichtigkeit eines Strafurteils in einem Wiederaufnahmeverfahren zweifelsfrei belegen könnte, resultiert daraus noch lange kein Anspruch auf dessen Durchführung. Es existieren weitere erhebliche Hindernisse, die zum Teil lediglich von der rechtsprechenden Gewalt in den ausdrücklichen Wortlaut des Gesetzes "hineininterpretiert" werden (was aber in sämtlichen Rechtsgebieten gängige Praxis ist).
In Zivilverfahren, in denen es lediglich um Vermögensinteressen und nicht um Freiheitsrechte von Bürgern geht, hat man den ohnehin strengen Formalien (schon daran kann ein Wiederaufnahmegesuch scheitern, ohne dass jemand sich mit der Sache selbst beschäftigt hätte) noch weitere zugefügt (Fristen etc.).
Soweit gegen ein Fehlurteil kein Rechtsmittel (mehr) existiert (diese Möglichkeit wird/wurde vom Gesetzgeber aus ökonomischen Gründen immer weiter eingeschränkt, weil der grundgesetzlich abgesicherte Rechtsgewährungsanspruch in aller Regel lediglich eine einzige Instanz beinhaltet), darf man den Zug durchaus als endgültig abgefahren ansehen.
Der Anspruch des Staates (und der Allgemeinheit) auf Rechtssicherheit steht in Deutschland weit über dem Recht des Individuums auf Gerechtigkeit. Auch das ist ein "Bürgerrecht", dass vom betroffenen Einzelnen hinzunehmen ist. So wie etwa die Pflicht, sich als letztlich Unschuldiger einem Strafverfahren stellen zu müssen mit der Festlegung, dass der Staat im Falle eines Freispruchs nur einen (gelegentlich sogar recht kleinen) Teil des Verteidigerhonorars erstattet. Die im Falle eines Freispruchs zu erstattenden Verteidigerkosten sind derart bemessen, dass ich es bereits in durchschnittlichen Sachen für völlig unmöglich halte, für diese Beträge einen Verteidiger zu finden.
Auch hier sagt die höchstrichterliche Rechtsprechung, dass der staatliche Anspruch auf Strafverfolgung weitaus höher zu bewerten ist als das Recht des Individuums, und die Verpflichtung des Einzelnen zur Duldung der Strafverfolgung auch die Verpflichtung zur Tragung der Verteidigerkosten beinhalte. Staatlicherseits sei es daher nicht erforderlich, einen vollen Ausgleich zu gewähren.
Die lausige Haftentschädigung für unrechtmäßig inhaftierte Personen unterliegt demselben Grundsatz.
Wer aus der Rechtsstaatlichkeit ein Recht des Einzelnen auf Gerechtigkeit herleitet, der irrt gewaltig – und zwar weltweit.
Die Rechtssicherheit ist halt ein hohes Gut im Rechtsstaat.
J.K.
"Vor Schelme, die den Mantel der Justiz gebrauchen, um ihre üble Paßiones auszuführen, vor diese kann sich kein Mensch hüten, die sind ärger als die größten Spitzbuben, die in der Welt sind." (König Friedrich II. im Jahre 1779)
-
- unverzichtbar
- Beiträge: 178
- Registriert: 02.10.2010, 14:48
- Ich bin: Keine Angabe
RE: Polizeigewalt Stuttgart21
Nachdem nun unter Einsatz lebensbedrohlicher Waffen zwei Demonstranten ohne Not schwerstverletzt wurden, und die Verantwortlichen diesen Einsatz auch noch rechtfertigen, sind wir wieder auf dem Niveau von 1967 angelangt.
Wenn ein Staat das Gewaltmonopol für sich beansprucht, indem er das Recht der Bürger auf Selbstverteidigung drastisch einschränkt (etwa indem er die Nutzung von Waffen auf seine Organe beschränkt), erwächst daraus unstreitig die Verpflichtung des Staates, diesen für den einzelnen Bürger nachteiligen Eingriff in seine Wehrhaftigkeit dadurch auszugleichen, dass er den insoweit wehrlosen Bürger durch Ausübung von Staatsgewalt schützt. Das ist nicht etwa nur eine These, sondern allgemeine Ansicht in der Rechtslehre.
Wenn der Staat sein Gewaltmonopol dann aber nicht nur zum Schutz des Bürgers nutzt, sondern massiv gegen ihn, muss der Staat damit rechnen, dass etliche Bürger ein derart missbrauchtes Gewaltmonopol in Frage zu stellen - bis hin zur Überzeugung Einzelner, dem Staat unter diesen Voraussetzungen die Rechtmäßigkeit des ihrer Einschätzung nach missbrauchten Gewaltmonopols vollständig aberkennen zu dürfen.
Genau das geschah aber nach dem Tod des Studenten Ohnesorg im Jahre 1967. Die Entwicklung der Vorgänge in den 1970er Jahren, die dann im "Deutschen Herbst" gipfelten, dürfte auch denjenigen geläufig sein, die es nicht selbst miterlebt haben.
Wenn es der Deutsche Staat dann noch ausdrücklich begrüßt, dass das Volk gegen staatliche Repressalien aufbegehrt und "Widerstandskämpfer" über alle Maßen ehrt (natürlich nur in der Liste von ihm selbst definierter "Schurkenstaaten"), darf man sich nicht wirklich wundern, dass solche Indoktrination in die Hose geht, wenn die eigenen Bürger nicht mehr nachvollziehen können, worin der Unterschied staatlichen Machtmissbrauchs in den "guten" und den "bösen" Staaten eigentlich besteht. Dass Machtmissbrauch durch einen der Guten so viel besser ist, als der Missbrauch durch Böse, ist wirklich nicht ganz einfach einzusehen.
Bevor ein Staat auf die eigenen Bürger losgeht, sollte er unbedingt vorher darüber belehren, warum das gleiche eben nicht dasselbe ist. Von allein kann so etwas dem einfach strukturierten Bürger natürlich nicht einleuchten. Wie soll er im vielfach angeprangerten Schulsystem denn lernen, dass es "gute" und "böse" Polizeigewalt gibt. Vielleicht sollte die Staatsführung vorher vereinfacht erklären, dass "gute" Polizeigewalt unter grünen Mützen entsteht und diese keinesfalls vergleichbar mit der "bösen" ist. Diese Merkregel ist wenigstens leicht verständlich.
Die Gefahr, dass auch das nicht gleich jeder Depp schnallt, muss der Staat dann halt in Kauf nehmen.
Wenn das Thema nicht so ernst wäre, könnte man fast noch sarkastisch reagieren ...
J.K.
Wenn ein Staat das Gewaltmonopol für sich beansprucht, indem er das Recht der Bürger auf Selbstverteidigung drastisch einschränkt (etwa indem er die Nutzung von Waffen auf seine Organe beschränkt), erwächst daraus unstreitig die Verpflichtung des Staates, diesen für den einzelnen Bürger nachteiligen Eingriff in seine Wehrhaftigkeit dadurch auszugleichen, dass er den insoweit wehrlosen Bürger durch Ausübung von Staatsgewalt schützt. Das ist nicht etwa nur eine These, sondern allgemeine Ansicht in der Rechtslehre.
Wenn der Staat sein Gewaltmonopol dann aber nicht nur zum Schutz des Bürgers nutzt, sondern massiv gegen ihn, muss der Staat damit rechnen, dass etliche Bürger ein derart missbrauchtes Gewaltmonopol in Frage zu stellen - bis hin zur Überzeugung Einzelner, dem Staat unter diesen Voraussetzungen die Rechtmäßigkeit des ihrer Einschätzung nach missbrauchten Gewaltmonopols vollständig aberkennen zu dürfen.
Genau das geschah aber nach dem Tod des Studenten Ohnesorg im Jahre 1967. Die Entwicklung der Vorgänge in den 1970er Jahren, die dann im "Deutschen Herbst" gipfelten, dürfte auch denjenigen geläufig sein, die es nicht selbst miterlebt haben.
Wenn es der Deutsche Staat dann noch ausdrücklich begrüßt, dass das Volk gegen staatliche Repressalien aufbegehrt und "Widerstandskämpfer" über alle Maßen ehrt (natürlich nur in der Liste von ihm selbst definierter "Schurkenstaaten"), darf man sich nicht wirklich wundern, dass solche Indoktrination in die Hose geht, wenn die eigenen Bürger nicht mehr nachvollziehen können, worin der Unterschied staatlichen Machtmissbrauchs in den "guten" und den "bösen" Staaten eigentlich besteht. Dass Machtmissbrauch durch einen der Guten so viel besser ist, als der Missbrauch durch Böse, ist wirklich nicht ganz einfach einzusehen.
Bevor ein Staat auf die eigenen Bürger losgeht, sollte er unbedingt vorher darüber belehren, warum das gleiche eben nicht dasselbe ist. Von allein kann so etwas dem einfach strukturierten Bürger natürlich nicht einleuchten. Wie soll er im vielfach angeprangerten Schulsystem denn lernen, dass es "gute" und "böse" Polizeigewalt gibt. Vielleicht sollte die Staatsführung vorher vereinfacht erklären, dass "gute" Polizeigewalt unter grünen Mützen entsteht und diese keinesfalls vergleichbar mit der "bösen" ist. Diese Merkregel ist wenigstens leicht verständlich.
Die Gefahr, dass auch das nicht gleich jeder Depp schnallt, muss der Staat dann halt in Kauf nehmen.
Wenn das Thema nicht so ernst wäre, könnte man fast noch sarkastisch reagieren ...
J.K.
"Vor Schelme, die den Mantel der Justiz gebrauchen, um ihre üble Paßiones auszuführen, vor diese kann sich kein Mensch hüten, die sind ärger als die größten Spitzbuben, die in der Welt sind." (König Friedrich II. im Jahre 1779)
-
- PlatinStern
- Beiträge: 1330
- Registriert: 14.03.2008, 12:01
- Wohnort: Berlin
- Ich bin: ehemalige SexarbeiterIn
Danke J.K. für deine Statements, die ich gerne lese. Ich bin von dieser Entwicklung entsetzt; als Mappus gestern die Regierungserklärung verlas, die selbstverständlich keinerlei Einsichtsfähigkeit oder Entschuldigung gegenüber der Polizeigewalt an Demonstranten zeitigte, blieb mir bei solcher Selbstgerechtigkeit und Kaltschnäuzigkeit zum wiederholten Male der Mund offen stehen. Auch der Rest der "christlichen" Veranstaltung war eine Farce. An Stuttgart 21 entzünden sich sehr viele Unzufriedenheiten, die mit der BASTA Politik nicht nur einen Namen kennt, sondern fast alle Parteien übergreifend beobachtet werden kann. Schwach finde ich teilweise die Einwände manch politischer Akteure, die sich dem kritischen Lager zu rechnen und dabei sehr populistisch argumentieren, den Ernst der Lage noch für sich und ihre Parteiinteressen auszunutzen suchen. Einfach widerlich das Ganze.
Zuletzt geändert von Ariane am 08.10.2010, 07:03, insgesamt 1-mal geändert.
love people, use things - not the other way round
-
- verifizierte UserIn
- Beiträge: 2968
- Registriert: 27.04.2008, 15:25
- Ich bin: Keine Angabe

Da geht es aber nur um Rechtssicherheit für Konzerne und deren Projekte.Ariane hat geschrieben:"Was würde aus der Gesellschaft werden, wenn der Rechtsstaat Rechtssicherheit nicht mehr garantieren könnte?"
Regierungserklärung Mappus, gerade eben, zu Stuttgart 21
Die Verlängerung der Laufzeiten von Atomkraftwerken begründete gestern Patrick Döring (FDP) damit, dass dies im Wahlprogramm 2009 gestanden hätte, folgerichtig Schwarz-Gelb den Vertrag von 2000 aufkündigen konnte.
Wenn solche Trendwende innerhalb eines Entscheidungsprozesses stattfindet ist dies legitim (siehe "STOP"-Aktion gegen Pädophilie. Von Schwarz-Rot beschlossen, von Schwarz-Gelb gekippt).
Cem Özdemir wurde gestern von Plasberg gefragt, ob eine Grüne Landesregierung S21 stoppt und rückabwickelt: der hat sich nicht festgelegt.
Am Samstag Nacht lief ich nach einer Veranstaltung durch den Schlosspark: Ca, 200 Menschen aller Altersgruppen schliefen unter den Bäumen. Um alle Bäume brannten Grablichter.
Ein paar< Meter weiter ein gespenstisches Bild: Brummende Notstromaggregate, taghell erleuchtet. Sperrgitter 100 m vor dem Bauzaun. Mindestens 100 Polizisten bewachten das Absperrgitter.
Im Bahnhof: mit Gittern abgesperrte Notausgänge, abgesperrt auf Anordnung der Polizei. Am Freitag während der Grossdemo, konnten die Bahnsteige (16 Gleise!) nur durch einen einzigen Eingang betreten werden. Personenkontrollen wie am Flughafen obwohl nirgends Demonstranten im Bahnhof zu sehen waren.
Auf Wunsch des Users umgenannter Account
-
- SW Analyst
- Beiträge: 14095
- Registriert: 01.08.2006, 14:30
- Ich bin: Keine Angabe
Es kommen immer mehr Details ans Tageslicht, dass die linksextremen Gesellschaftskritiker und Terroristen der 68er Jahre wohl von den Geheimdiensten instrumentalisiert wurden.
Der Kalte Krieg zwischen West und Ost hatte damals demnach tödliche Auswirkungen auch in den innenpolitischen Auseinandersetzung von Straßendemos bis zu Entführungen/Tötungen in Deutschland und Italien.
Der Kalte Krieg zwischen West und Ost hatte damals demnach tödliche Auswirkungen auch in den innenpolitischen Auseinandersetzung von Straßendemos bis zu Entführungen/Tötungen in Deutschland und Italien.
-
- unverzichtbar
- Beiträge: 178
- Registriert: 02.10.2010, 14:48
- Ich bin: Keine Angabe
RE: Polizeigewalt Stuttgart21
Instrumentalisiert und vor allen Dingen auch finanziert.
Allerdings ist es nicht ungewöhnlich, dass Bewegungen, die eigene Ziele verfolgen, von Dritten zu deren Zwecken instrumentalisiert werden. Selbst wenn die Bewegung das im Einzelfall ablehnen sollte - verhindern kann sie es kaum. Wirklich idealistische Ziele verfolgenden Gruppierungen kann dadurch sogar großer Schaden entstehen - wobei sie dem Ganzen mehr oder weniger machtlos gegenüberstehen.
Sicherlich gab es unter den 68ern welche, die sogar aktiv daran mitgewirkt und die ursprünglichen Ziele später sogar verraten haben - der ursprünglich gesellschaftspolitisch positiven Intention dieser Bewegung tut das aber keinen Abbruch.
Insbesondere in Andreas Baader sehe ich eine Person, die es verstanden hat, politische Idealisten für seine rein kriminell motivierten Vorhaben einzuspannen und es gezielt vorangetrieben hat, dass sich die RAF immer weiter von ihren politischen Zielen entfernt hat, so dass letzten Endes nur eine Organisation überblieb, die die Ausübung terroristischer Aktionen als Selbstzweck verfolgte. Von den ursprünglichen Idealen war im Endstadium rein gar nichts mehr vorhanden - jedenfalls für meine Einschätzung.
Diese latente Gefahr einer Instrumentalisierung besteht immer und überall. Wenn es nun im Rahmen von Stuttgart 21 einigen politischen Brandstiftern gelingen sollte, eine Art "Aktionsbündnis" (oder wie auch immer sich das nennen könnte) zu initiieren, wird auch das früher oder später aus dem Ruder laufen. Wer aus der Geschichte gelernt hat, sollte versuchen, die derzeit aufgeheizte Stimmung nicht noch weiter zu entfachen, indem er zusätzliches Öl ins Feuer gießt.
Wer wirklich an der Verhinderung einer gesellschaftlichen Eskalation interessiert ist, wird um einen vorübergehenden Baustopp nicht herumkommen - und zwar völlig unabhängig von der Frage, ob er letztlich gerechtfertigt ist oder nicht.
Wer nicht will, dass Stuttgart 21 die Republik nachhaltig verändert, sollte jetzt besonnen handeln.
J.K.
Allerdings ist es nicht ungewöhnlich, dass Bewegungen, die eigene Ziele verfolgen, von Dritten zu deren Zwecken instrumentalisiert werden. Selbst wenn die Bewegung das im Einzelfall ablehnen sollte - verhindern kann sie es kaum. Wirklich idealistische Ziele verfolgenden Gruppierungen kann dadurch sogar großer Schaden entstehen - wobei sie dem Ganzen mehr oder weniger machtlos gegenüberstehen.
Sicherlich gab es unter den 68ern welche, die sogar aktiv daran mitgewirkt und die ursprünglichen Ziele später sogar verraten haben - der ursprünglich gesellschaftspolitisch positiven Intention dieser Bewegung tut das aber keinen Abbruch.
Insbesondere in Andreas Baader sehe ich eine Person, die es verstanden hat, politische Idealisten für seine rein kriminell motivierten Vorhaben einzuspannen und es gezielt vorangetrieben hat, dass sich die RAF immer weiter von ihren politischen Zielen entfernt hat, so dass letzten Endes nur eine Organisation überblieb, die die Ausübung terroristischer Aktionen als Selbstzweck verfolgte. Von den ursprünglichen Idealen war im Endstadium rein gar nichts mehr vorhanden - jedenfalls für meine Einschätzung.
Diese latente Gefahr einer Instrumentalisierung besteht immer und überall. Wenn es nun im Rahmen von Stuttgart 21 einigen politischen Brandstiftern gelingen sollte, eine Art "Aktionsbündnis" (oder wie auch immer sich das nennen könnte) zu initiieren, wird auch das früher oder später aus dem Ruder laufen. Wer aus der Geschichte gelernt hat, sollte versuchen, die derzeit aufgeheizte Stimmung nicht noch weiter zu entfachen, indem er zusätzliches Öl ins Feuer gießt.
Wer wirklich an der Verhinderung einer gesellschaftlichen Eskalation interessiert ist, wird um einen vorübergehenden Baustopp nicht herumkommen - und zwar völlig unabhängig von der Frage, ob er letztlich gerechtfertigt ist oder nicht.
Wer nicht will, dass Stuttgart 21 die Republik nachhaltig verändert, sollte jetzt besonnen handeln.
J.K.
"Vor Schelme, die den Mantel der Justiz gebrauchen, um ihre üble Paßiones auszuführen, vor diese kann sich kein Mensch hüten, die sind ärger als die größten Spitzbuben, die in der Welt sind." (König Friedrich II. im Jahre 1779)
-
- Senior Admin
- Beiträge: 7067
- Registriert: 20.09.2008, 21:37
- Wohnort: Ludwigshafen am Rhein
- Ich bin: Keine Angabe
Nachdem dieser thread von Marc zur Stuttgart 21 Diskussion umgewidmet wurde hier einige Hintergründe zu dieser Thematik:
http://wdr.de/tv/monitor/sendungen/2010 ... tgart.php5
Ich denke die Problematik von Menschenrechtsverletzungen um konservative/religiöse Wähler zu gewinnen ist auch im Zusammenhang von sex work verfolgenswert.
Liebe Grüße, Aoife
http://wdr.de/tv/monitor/sendungen/2010 ... tgart.php5
Ich denke die Problematik von Menschenrechtsverletzungen um konservative/religiöse Wähler zu gewinnen ist auch im Zusammenhang von sex work verfolgenswert.
Liebe Grüße, Aoife
It's not those who inflict the most, but those who endure the most, who will conquer. MP.Vol.Bobby Sands
'I know kung fu, karate, and 37 other dangerous words'
Misspellings are *very special effects* of me keyboard
'I know kung fu, karate, and 37 other dangerous words'
Misspellings are *very special effects* of me keyboard
-
- verifizierte UserIn
- Beiträge: 893
- Registriert: 13.08.2010, 09:30
- Wohnort: Südbaden
- Ich bin: Keine Angabe
RE: Polizeigewalt Stuttgart21
Zur allgemeinen Hintergrundinformation kann auch dieser Artikel aus der heutigen SZ dienen:
http://www.sueddeutsche.de/politik/deut ... -1.1014749
Die Schweizer haben bald ihre neue Alpentransversale fertig und hier am Oberrhein geht nichts voran, weil die Mehrkosten für einen besseren Schutz der Bevölkerung gescheut werden.
Hinweis: Deutschland hat sich im Vertrag von Lugano verpflichtet, die hiesige Zulaufstrecke zeitgleich auszubauen.
Gruß Jupiter
http://www.sueddeutsche.de/politik/deut ... -1.1014749
Die Schweizer haben bald ihre neue Alpentransversale fertig und hier am Oberrhein geht nichts voran, weil die Mehrkosten für einen besseren Schutz der Bevölkerung gescheut werden.
Hinweis: Deutschland hat sich im Vertrag von Lugano verpflichtet, die hiesige Zulaufstrecke zeitgleich auszubauen.
Gruß Jupiter
Wenn du fühlst, dass in deinem Herzen etwas fehlt, dann kannst du, auch wenn du im Luxus lebst, nicht glücklich sein.
(Tenzin Gyatso, 14. Dalai Lama)
(Tenzin Gyatso, 14. Dalai Lama)
-
- SW Analyst
- Beiträge: 14095
- Registriert: 01.08.2006, 14:30
- Ich bin: Keine Angabe
Modellprojekt "Runder Tisch"
Das Modellprojekt Fakten-Schlichtung durch Dr. Heiner Geissler beim Bauprojekt Stuttgart (S21) ist ein Vorbild für Konfliktsituation und ihre Konfliktbearbeitung bei runden Tischen
www.schlichtung-s21.de
Die zugehörigen Videos:
www.youtube.com/user/phoenix#g/u oder
www.kopfbahnhof-21.de/index.php?id=650
(Samstag war wohl der letzte Schlichtungstag, hier konnte man sehen, wie mit Trix und Manipulation und Beschuligungen gearbeitet wird und wie die Gegenseiten diese teilweise erkannt und entlaven konnten... Diese letzte Sitzung 'Leistungsvergleich der Konzepte' und die Sitzung vom Freitag zum Thema 'Kosten und Finanzierung' waren wohl die spannendsten und wichtigsten...)
Sexworker bei Runden Tischen Prostitution:
www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?p=84819#84819
www.schlichtung-s21.de
Die zugehörigen Videos:
www.youtube.com/user/phoenix#g/u oder
www.kopfbahnhof-21.de/index.php?id=650
(Samstag war wohl der letzte Schlichtungstag, hier konnte man sehen, wie mit Trix und Manipulation und Beschuligungen gearbeitet wird und wie die Gegenseiten diese teilweise erkannt und entlaven konnten... Diese letzte Sitzung 'Leistungsvergleich der Konzepte' und die Sitzung vom Freitag zum Thema 'Kosten und Finanzierung' waren wohl die spannendsten und wichtigsten...)
Sexworker bei Runden Tischen Prostitution:
www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?p=84819#84819
-
- SW Analyst
- Beiträge: 14095
- Registriert: 01.08.2006, 14:30
- Ich bin: Keine Angabe
Aufarbeitung der Schlichtung am runden Tisch
Jetzt ist der sibyllinisch Schlichterspruch von Dr. Heiner Geissler (CDU, attac) gefallen. Formal zugunsten von S21 aber mit so vielen Nachbesserungen und Auflagen die er "S21+" nennt, so daß das ganze Projekt und seine Finanzierung nach wie vor sehr fraglich bleiben ...
(Zur Polizeigewalt am 30.9. bei der Räumung des Schloßparks mit 100 Verletzten und 2 Schwerverletzten läuft ein Untersuchungsausschuß beim Landtag, der nicht öffentlich per Internetvideos übertragen wird.)
Anal-yse des Schlichterspruchs von Wolfgang Lieb:
www.nachdenkSeiten.de/?p=7592
Das politisch gelungene Deliberations-Verfahren hat hoffentlich eine große Modell- und Ausstrahlwirkung auf unsere politische Kultur.
So z.B. auch auf runde Tische, wie sie bei Prostitution derzeit in Mode sind.
Möge auch dort das Transparenzgebot im Sinne der Sexworker-Community und breiteren Öffentlichkeit genauso idealtypisch realisiert werden.
Hier ein schlaues Beispiel, wie eine komplexe kontroverse politische Debatte und Schlichtungsrunde systematisch analysiert werden kann, um eine Ergebnisfindung zu ermöglichen:

Quelle:
http://hmmbl.wordpress.com/stuttgart21/ ... g/analyse/
Darin die Methode: Tabellenauswertung der politischen Argumente eines Schlichtungstages
Es systematisiert die rethorischen Trix und Machtspiele der Herrschenden im Gerangel mit der Protestfraktion der Bürger (Citoyen):
https://spreadsheets.google.com/pub?key ... utput=html
Siehe auch das gut gemachte Wiki zur Schlichtung:
http://stuttgart21.wikiwam.de
Evt. kann ja unser Sexworker Forum ein "quasi Wiki" für die runden Tische Prostitution werden.
.
(Zur Polizeigewalt am 30.9. bei der Räumung des Schloßparks mit 100 Verletzten und 2 Schwerverletzten läuft ein Untersuchungsausschuß beim Landtag, der nicht öffentlich per Internetvideos übertragen wird.)
Anal-yse des Schlichterspruchs von Wolfgang Lieb:
www.nachdenkSeiten.de/?p=7592
Das politisch gelungene Deliberations-Verfahren hat hoffentlich eine große Modell- und Ausstrahlwirkung auf unsere politische Kultur.
So z.B. auch auf runde Tische, wie sie bei Prostitution derzeit in Mode sind.
Möge auch dort das Transparenzgebot im Sinne der Sexworker-Community und breiteren Öffentlichkeit genauso idealtypisch realisiert werden.
Hier ein schlaues Beispiel, wie eine komplexe kontroverse politische Debatte und Schlichtungsrunde systematisch analysiert werden kann, um eine Ergebnisfindung zu ermöglichen:

Quelle:
http://hmmbl.wordpress.com/stuttgart21/ ... g/analyse/
Darin die Methode: Tabellenauswertung der politischen Argumente eines Schlichtungstages
Es systematisiert die rethorischen Trix und Machtspiele der Herrschenden im Gerangel mit der Protestfraktion der Bürger (Citoyen):
https://spreadsheets.google.com/pub?key ... utput=html
Siehe auch das gut gemachte Wiki zur Schlichtung:
http://stuttgart21.wikiwam.de
Evt. kann ja unser Sexworker Forum ein "quasi Wiki" für die runden Tische Prostitution werden.
.
-
- PlatinStern
- Beiträge: 1330
- Registriert: 14.03.2008, 12:01
- Wohnort: Berlin
- Ich bin: ehemalige SexarbeiterIn
RE: Polizeigewalt Stuttgart21
Volker Lösch, Regisseur der Nuttenrepublik, im Untersuchungsausschuss zu Stuttgart 21
Ich bitte euch, falls noch nicht gesehen, dieses Verhör zu sehen.
http://www.wikio.de/info/stuttgart-poli ... -236864823
größeres Bild:
http://vimeo.com/18015538 (40 Min.)
(danke für die Vergrösserung, A.)
Ich bitte euch, falls noch nicht gesehen, dieses Verhör zu sehen.
http://www.wikio.de/info/stuttgart-poli ... -236864823
größeres Bild:
http://vimeo.com/18015538 (40 Min.)
(danke für die Vergrösserung, A.)
Zuletzt geändert von Ariane am 12.01.2011, 17:51, insgesamt 1-mal geändert.
love people, use things - not the other way round
-
- Senior Admin
- Beiträge: 18072
- Registriert: 15.06.2006, 19:26
- Wohnort: 1050 Wien
- Ich bin: engagierter Außenstehende(r)
-
- SW Analyst
- Beiträge: 14095
- Registriert: 01.08.2006, 14:30
- Ich bin: Keine Angabe
Doku vom Untersuchungsausschuß im BW-Landtag
zum unverhältnismäßig gewalttätigen Polizeieinsatz am Tag X - 30. September 2010 - "Großes gemeinsames Duschen im Schloßsspark"
10min Trailer am Anfang im Video einer Diskussionsveranstaltung der Heinrich Böll Stiftung der Grünen am 31. Jan. 2011:
http://b-n-d.net/bnd-aktikel/lobbyismus ... ahmen.html
Dokumentation von
www.fluegel.tv
zum unverhältnismäßig gewalttätigen Polizeieinsatz am Tag X - 30. September 2010 - "Großes gemeinsames Duschen im Schloßsspark"
10min Trailer am Anfang im Video einer Diskussionsveranstaltung der Heinrich Böll Stiftung der Grünen am 31. Jan. 2011:
http://b-n-d.net/bnd-aktikel/lobbyismus ... ahmen.html
Dokumentation von
www.fluegel.tv
-
- SW Analyst
- Beiträge: 14095
- Registriert: 01.08.2006, 14:30
- Ich bin: Keine Angabe
Mehr Kaufkraft für Sexworker-Services?
Neue Arbeitsplätze wie behauptet schafft S21 auch nicht.
17.000-24.000 neu entstehende Arbeitsplätze wurde früher mal behauptet (Gutachten Uni Karlsruhe 2009).
2.500-3.850 [14-16%] lautet die aktuelle Hochrechnung.
Studie von Martin Schwarz-Kocher, 52 Geschäftsführer des gewerkschaftsnahen Stuttgarter IMU-Instituts. Wird heute abend vorgestellt:
www.kontextwochenzeitung.de/newsartikel ... -jobmotor/
www.kontextwochenzeitung.de/fileadmin/u ... _Titel.pdf
www.imu-institut.de/stuttgart/
- "Und selbst das älteste Gewerbe der Welt mochte keine Euphorie verbreiten.
Der städtische Sachgebietsleiter hatte dafür eine ganz schlichte Erklärung parat: Am Ende des Tages seien die Bauarbeiter 'einfach nur müde'."
17.000-24.000 neu entstehende Arbeitsplätze wurde früher mal behauptet (Gutachten Uni Karlsruhe 2009).
2.500-3.850 [14-16%] lautet die aktuelle Hochrechnung.
Studie von Martin Schwarz-Kocher, 52 Geschäftsführer des gewerkschaftsnahen Stuttgarter IMU-Instituts. Wird heute abend vorgestellt:
www.kontextwochenzeitung.de/newsartikel ... -jobmotor/
www.kontextwochenzeitung.de/fileadmin/u ... _Titel.pdf
www.imu-institut.de/stuttgart/
-
- SW Analyst
- Beiträge: 14095
- Registriert: 01.08.2006, 14:30
- Ich bin: Keine Angabe
-
- SW Analyst
- Beiträge: 14095
- Registriert: 01.08.2006, 14:30
- Ich bin: Keine Angabe
Faktencheck
Neues Wiki gibt interessante Hintergrundinformationen und Medienanalyse:
www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?p=107225#107225
www.wikireal.org/wiki/Stuttgart_21
Und zu den geheimgehaltenen gestiegenen Kosten:
http://frontal21.zdf.de/ZDFde/inhalt/6/ ... 90,00.html
www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?p=107225#107225
www.wikireal.org/wiki/Stuttgart_21
Und zu den geheimgehaltenen gestiegenen Kosten:
http://frontal21.zdf.de/ZDFde/inhalt/6/ ... 90,00.html
-
- verifizierte UserIn
- Beiträge: 2968
- Registriert: 27.04.2008, 15:25
- Ich bin: Keine Angabe
Untersuchungsausschuss zum 30.09.2010
Das spricht Bände: Volker Lösch vor dem Untersuchungsausschuss "Schwarzer Donnerstag" des Landtags Baden-Württemberg. (Nicole Razavi ist CDU-Landtagsabgeordnete).
[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=xVmDJeR8K2o[/youtube]
Und Wolfgang Schorlau erinnert sich:
http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhal ... 973e8.html
Stuttgart - Die amerikanische Historikerin Barbara Tuchman untersuchte in einer Aufsehen erregenden Studie über "Die Torheiten der Regierenden", warum Regierungen und Regierende immer wieder eine Politik betreiben, die ihren eigenen Interessen zuwiderläuft - und, so muss man hinzufügen, oft ihren Sturz beschleunigt. Wahrscheinlich hätte Tuchman, würde sie noch leben, in dem Polizeieinsatz vom 30. September 2010 im Stuttgarter Schlossgarten eine Bestätigung ihrer Thesen gesehen. Dieser in seiner Härte und Rücksichtslosigkeit in Baden-Württemberg einmalige Einsatz war einer der zahlreichen Gründe, die zum Sturz des damaligen Ministerpräsidenten Stefan Mappus und zum Machtverlust der CDU in ihrem bisher als uneinnehmbar geltenden Stammland führten.
Ich wurde zufällig Zeuge dieses Einsatzes und beobachtete ihn von morgens zehn Uhr bis in die Nacht. Eigentlich wollte ich an diesem Tag Material für eine Romanfigur sammeln. Georg Dengler, der Held meiner Kriminalromane, ist Vater von Jakob, einem siebzehnjährigen Stuttgarter Jungen. Oft genug wurde mir auf Lesungen von Schülern vorgehalten, Dengler sei ein schlechter Vater, weil er in meinen Büchern selten etwas gemeinsam mit seinem Sohn unternehme. Diesen Vorwurf wollte ich bei meinem neuen Buch nicht länger auf meiner Figur sitzen lassen. In der Zeitung las ich von einem Schülerstreik unter dem Motto "Bildung statt Prestigebahnhof", und so fuhr ich an jenem 30. September morgens um zehn Uhr zur Kundgebung Stuttgarter Schüler, in der Hoffnung auf Inspiration für meine Romanfigur Jakob - und geriet in ein Inferno.
Auch beim ersten Wasserwerfereinsatz dabei
Merkwürdigerweise fiel mir erst lange danach ein, dass ich nicht nur bei diesem letzten Wasserwerfereinsatz in Baden-Württemberg dabei war, sondern auch beim ersten. Damals war ich gerade siebzehn Jahre alt geworden, Lehrling im zweiten Lehrjahr, passable Noten in der Berufsschule. Vor mir lag ein überschaubares Leben als kaufmännischer Angestellter. Da beschloss der Freiburger Gemeinderat eine Fahrpreiserhöhung von 40 Prozent. Ich erinnere mich noch, wie damals jeder Schüler, jeder Student und jeder Lehrling rechnete - und fluchte.
Was man heute manchmal vergisst: Die alten Nazis lebten noch. Alte Männer zogen mich auf offener Straße an den Haaren, wenn ihnen meine Frisur nicht passte. Sie beschimpften mich und meine Freunde als Gammler und Schlimmeres. Es war die Zeit, in der es gesetzlich verboten war, dass unverheiratete Paare zusammen irgendwo übernachteten, Frauen ohne Einwilligung des Ehemanns keine Arbeit annehmen konnten und Homosexualität eine Straftat war. Deutsche Talibanzeit, wenn man so will, die Hochzeit eines Konservatismus, dessen Vorurteile die Gesellschaft erdrückten und uns Jungen die Luft zum Atmen nahmen. Und Freiburg war seinerzeit besonders eng und konservativ.
Es war aber auch die Zeit, in der die Rolling Stones sangen, dass die Zeit reif sei, auf den Straßen zu kämpfen, und die Chambers Brothers ihren großen Hit mit "The Time has come today" landeten, und Jimi Hendrix jeden von uns fragte: "But first, are you experienced?" - hast du schon gelebt?
Da tauchten wie aus dem Nichts am 13. Februar 1968 Flugblätter in meiner Berufsschule auf: "Alle um 13 Uhr zum Bertholdbrunnen. Wir sind nicht machtlos." Tagelang hielt sich unser Protest. Manchmal war es fast ein Happening. Die Freiburger Polizisten erhielten Blumen von jungen Mädchen, die zunächst furchterregenden Polizeihunde fütterten wir mit Wurstresten von den Bratwürsten, die wir auf dem Münsterplatz kauften. Die Hunde wurden dann recht zutraulich.
Polizeidirektor Mayer erschien in voller Uniform auf einer studentischen Versammlung und versprach, dass die Polizei unter seinem Kommando keinen Schlagstock einsetzen würde, wenn die Demonstranten friedlich blieben. Er wurde von den Studenten mit großem Applaus verabschiedet. Am nächsten Tag wurde er abgelöst. Die Staatsmacht hatte entschieden, Ruhe und Ordnung mit allen Mitteln wieder herzustellen. Freiburg sollte das ordentliche und verschlafene Nest bleiben, das es bis dahin war. Man dürfe dem Druck der Straße nicht nachgeben.
Wasserwerfer und zwei Hundertschaften der Bereitschaftspolizei aus Göppingen zogen plötzlich auf. Sie prügelten sich durch die Stadt, die Wasserwerfer schossen auf alles, was sich bewegte, Schaufenster zerbrachen, und nach ein paar Tagen beschloss der Stadtrat, die Fahrpreiserhöhungen sollten durchgesetzt werden, von einigen kosmetischen Änderungen abgesehen. Recht und Ordnung hatten gewonnen.
Mit der Ruhe war es ein für alle Mal vorbei
Der brave Stadtrat im Verbund mit einer reaktionären Landesregierung erreichte sein Minimalziel, aber seit den Fahrpreisdemonstrationen war die Ruhe in der Stadt ein für alle Mal vorbei. Die Schlagstöcke der Bereitschaftspolizei öffneten die Köpfe von Tausenden für die marxistische Gesellschaftskritik (samt den dogmatischen Verwerfungen der siebziger Jahre). Die Wasserwerfer schossen die Stadtgesellschaft weit nach links. Ich wollte nicht mehr kaufmännischer Angestellter werden.
Bei diesem Rückblick stelle ich mir die Frage: Wie wird sich der Einsatz im Schlossgarten auf die Stuttgarter Verhältnisse auswirken? Welche Verschiebung der politischen Tektonik hat er bewirkt?
Bewusstwerdungsprozesse brauchen Zeit, und vielleicht sind zwei Jahre eine noch zu kurze Spanne für eine Bilanz. Doch zwei Beobachtungen von diesem Tag werde ich wohl nie mehr vergessen. Am Anfang lief der Einsatz völlig chaotisch, Polizeiketten zogen auf, wurden wieder abgezogen, der Kommandant schien überfordert.
Da fiel mir ein Trupp von vier oder fünf jungen Männern in Zivil auf, als Polizisten nur an einer gelben Plastikweste zu erkennen, auf deren Rückseite "Polizei" stand. Sie marschierten durch die Reihen der Kids und stießen sie aus dem Weg, schubsten die Jugendlichen ohne erkennbaren Grund; kurzum: sie verhielten sich wie die Leute, die Streit provozierten. Einer von ihnen filmte das Ganze mit einer aufgepflanzten Videokamera. Dann marschierten sie zu einem der großen Bäume, und die Jugendlichen umringten sie und wollten wissen, ob diesem Baum etwas geschehe. Da schlug der Anführer des Trupps, ein Polizist, der sich mit einem wildwestartigen Umhang kostümiert hatte, ohne Grund einem der Kids ansatzlos und mit voller Wucht ins Gesicht. Der Junge ging zu Boden; ich fotografierte den Schläger mit der Handykamera.
Die zweite Beobachtung schockierte mich noch mehr. Einige der Jugendliche waren auf Bäume geklettert, klammerten sich vier oder fünf Meter über dem Erdboden an Äste und Stämme - und die Wasserwerfer schossen auf sie. Noch jetzt, während ich diese Zeilen schreibe, sehe ich, wie der mächtige Wasserstrahl von dem Stamm abprallt, ich sehe einen Jugendlichen direkt darüber, und ich höre seine Angstschreie. Ich bin kein Jurist, sicher nicht, aber bitte, was soll das anderes sein als versuchter Totschlag?
Barbara Tuchman stellt in ihrem eingangs erwähnten Buch die Frage, wie es sein kann, dass die Menschheit in der Regierungskunst weit hinter dem zurückbleibt, was sie auf anderen Gebieten zuwege bringt. Warum zogen die Trojaner dieses merkwürdige hölzerne Pferd in ihre Stadt, obwohl einige von ihnen die Kriegslist der Griechen durchschauten? Warum stoppten die Päpste nicht die bereits sechs Jahrzehnte andauernde Korruption, Amoral und Niederschlagung aller Proteste, als bereits große Teile ihrer Anhänger genug davon hatten und sich zum Protestantismus abspalteten? Und ebenso rätselhaft ist, was die Regierung Mappus zu ihrer Ramboaktion veranlasst hat. Damit läutete sie ihren Niedergang selbst ein.
Ich habe meine Beobachtungen vom 30. September Jakob und Georg Dengler in einem Roman erleben lassen, schilderte sie vor dem Untersuchungsausschuss des Landtags und gab sie auch einem hiesigen Staatsanwalt zu Protokoll.
Geschehen ist - nichts
Geschehen ist - nichts. Vor dem Untersuchungsausschuss musste ich mir von einem schmallippigen Abgeordneten sagen lassen, bei meinen Beobachtungen sei wohl die Fantasie des Schriftstellers mit mir durchgegangen. Ich zog daraus den Schluss, dass es diesem Ausschuss nicht um die Aufklärung von Tatsachen ging.
Bei der Vernehmung durch die Staatsanwaltschaft wollte man mir dann tatsächlich weismachen, die Wasserwerferkaskaden auf die Jugendlichen, die auf den Bäumen saßen, hätten nie stattgefunden. Meine Wahrnehmung sei eine optische Täuschung gewesen. Niemand außer mir habe dies beobachtet. Aber um mich herum standen Hunderte und neben mir der Theaterregisseur Volker Lösch. Als Lösch befragt wurde, sagte man ihm, niemand außer ihm habe ausgesagt, dass auf die Kids mit den Wasserwerfern geschossen worden sei – dies einige Wochen nach meiner Aussage.
Da ich gleichzeitig weiß, mit welcher Inbrunst die gleiche Behörde die Gegner des Bahnhofprojektes verfolgt hat, habe ich daraus den Schluss gezogen, dass der Rechtsbefolgungswille bei der Stuttgarter Staatsanwaltschaft nur schwach entwickelt ist. In dieses Bild passt, dass diese Behörde auch in anderen Fällen - so beim EnBW-Skandal - gegen Mächtige erst dann ermittelt, wenn diese nicht mehr im Amt sind. Dass heute, zwei Jahre nach dem 30. September 2010, selbst offenkundige Delikte nicht abschließend ermittelt sind, zeigt, dass eine wesentliche Institution in der Stadt nicht oder nicht gut funktioniert.
Die Historikerin Barbara Tuchman sieht in der Ablehnung der Vernunft und der Weigerung, die Urteilskraft auf Grundlage von Erfahrung, gesundem Menschenverstand und verfügbarer Information zu gebrauchen, die Gründe für die Torheit der Regierenden. Tuchman hat den Epilog ihrer Studie "Eine Laterne am Heck" genannt. Sie zitiert damit den englischen Dichter Samuel Coleridge: "Aber Leidenschaft und Parteigeist machen unsere Augen blind, und das Licht, das die Erfahrung spendet, ist eine Laterne am Heck, die nur die Wellen hinter uns erleuchtet."
Trefflicher kann man die Stuttgarter Situation zwei Jahre nach dem verwerflichen Polizeieinsatz nicht beschreiben.
Wolfgang Schorlau kam vor 61 Jahren am südlichen Rand des Hunsrücks, in Idar-Oberstein, zur Welt. 1966 begann er eine Ausbildung zum Großhandelskaufmann in Freiburg. Dort schloss er sich über eine Lehrlingsgruppe der Studentenbewegung an. Später machte er - ganz bürgerlich Karriere: Schorlau arbeitete sich bis ins Management einer Computerfirma hoch, wohnte unter anderem in Köln und Koblenz. Seit dem Jahr 2000 lebt Wolfgang Schorlau als freier Autor in Stuttgart.
Mit seiner Romanreihe um den Privatermittler Dengler ist er bundesweit erfolgreich - 2006 wurde er mit dem Deutschen Krimipreis ausgezeichnet. Schorlau erlebte den Polizeieinsatz am 30. September 2010 im Schlossgarten hautnah mit. Kurz darauf gab er das Buch "Stuttgart 21. Die Argumente" heraus.
[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=xVmDJeR8K2o[/youtube]
Und Wolfgang Schorlau erinnert sich:
http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhal ... 973e8.html
Stuttgart - Die amerikanische Historikerin Barbara Tuchman untersuchte in einer Aufsehen erregenden Studie über "Die Torheiten der Regierenden", warum Regierungen und Regierende immer wieder eine Politik betreiben, die ihren eigenen Interessen zuwiderläuft - und, so muss man hinzufügen, oft ihren Sturz beschleunigt. Wahrscheinlich hätte Tuchman, würde sie noch leben, in dem Polizeieinsatz vom 30. September 2010 im Stuttgarter Schlossgarten eine Bestätigung ihrer Thesen gesehen. Dieser in seiner Härte und Rücksichtslosigkeit in Baden-Württemberg einmalige Einsatz war einer der zahlreichen Gründe, die zum Sturz des damaligen Ministerpräsidenten Stefan Mappus und zum Machtverlust der CDU in ihrem bisher als uneinnehmbar geltenden Stammland führten.
Ich wurde zufällig Zeuge dieses Einsatzes und beobachtete ihn von morgens zehn Uhr bis in die Nacht. Eigentlich wollte ich an diesem Tag Material für eine Romanfigur sammeln. Georg Dengler, der Held meiner Kriminalromane, ist Vater von Jakob, einem siebzehnjährigen Stuttgarter Jungen. Oft genug wurde mir auf Lesungen von Schülern vorgehalten, Dengler sei ein schlechter Vater, weil er in meinen Büchern selten etwas gemeinsam mit seinem Sohn unternehme. Diesen Vorwurf wollte ich bei meinem neuen Buch nicht länger auf meiner Figur sitzen lassen. In der Zeitung las ich von einem Schülerstreik unter dem Motto "Bildung statt Prestigebahnhof", und so fuhr ich an jenem 30. September morgens um zehn Uhr zur Kundgebung Stuttgarter Schüler, in der Hoffnung auf Inspiration für meine Romanfigur Jakob - und geriet in ein Inferno.
Auch beim ersten Wasserwerfereinsatz dabei
Merkwürdigerweise fiel mir erst lange danach ein, dass ich nicht nur bei diesem letzten Wasserwerfereinsatz in Baden-Württemberg dabei war, sondern auch beim ersten. Damals war ich gerade siebzehn Jahre alt geworden, Lehrling im zweiten Lehrjahr, passable Noten in der Berufsschule. Vor mir lag ein überschaubares Leben als kaufmännischer Angestellter. Da beschloss der Freiburger Gemeinderat eine Fahrpreiserhöhung von 40 Prozent. Ich erinnere mich noch, wie damals jeder Schüler, jeder Student und jeder Lehrling rechnete - und fluchte.
Was man heute manchmal vergisst: Die alten Nazis lebten noch. Alte Männer zogen mich auf offener Straße an den Haaren, wenn ihnen meine Frisur nicht passte. Sie beschimpften mich und meine Freunde als Gammler und Schlimmeres. Es war die Zeit, in der es gesetzlich verboten war, dass unverheiratete Paare zusammen irgendwo übernachteten, Frauen ohne Einwilligung des Ehemanns keine Arbeit annehmen konnten und Homosexualität eine Straftat war. Deutsche Talibanzeit, wenn man so will, die Hochzeit eines Konservatismus, dessen Vorurteile die Gesellschaft erdrückten und uns Jungen die Luft zum Atmen nahmen. Und Freiburg war seinerzeit besonders eng und konservativ.
Es war aber auch die Zeit, in der die Rolling Stones sangen, dass die Zeit reif sei, auf den Straßen zu kämpfen, und die Chambers Brothers ihren großen Hit mit "The Time has come today" landeten, und Jimi Hendrix jeden von uns fragte: "But first, are you experienced?" - hast du schon gelebt?
Da tauchten wie aus dem Nichts am 13. Februar 1968 Flugblätter in meiner Berufsschule auf: "Alle um 13 Uhr zum Bertholdbrunnen. Wir sind nicht machtlos." Tagelang hielt sich unser Protest. Manchmal war es fast ein Happening. Die Freiburger Polizisten erhielten Blumen von jungen Mädchen, die zunächst furchterregenden Polizeihunde fütterten wir mit Wurstresten von den Bratwürsten, die wir auf dem Münsterplatz kauften. Die Hunde wurden dann recht zutraulich.
Polizeidirektor Mayer erschien in voller Uniform auf einer studentischen Versammlung und versprach, dass die Polizei unter seinem Kommando keinen Schlagstock einsetzen würde, wenn die Demonstranten friedlich blieben. Er wurde von den Studenten mit großem Applaus verabschiedet. Am nächsten Tag wurde er abgelöst. Die Staatsmacht hatte entschieden, Ruhe und Ordnung mit allen Mitteln wieder herzustellen. Freiburg sollte das ordentliche und verschlafene Nest bleiben, das es bis dahin war. Man dürfe dem Druck der Straße nicht nachgeben.
Wasserwerfer und zwei Hundertschaften der Bereitschaftspolizei aus Göppingen zogen plötzlich auf. Sie prügelten sich durch die Stadt, die Wasserwerfer schossen auf alles, was sich bewegte, Schaufenster zerbrachen, und nach ein paar Tagen beschloss der Stadtrat, die Fahrpreiserhöhungen sollten durchgesetzt werden, von einigen kosmetischen Änderungen abgesehen. Recht und Ordnung hatten gewonnen.
Mit der Ruhe war es ein für alle Mal vorbei
Der brave Stadtrat im Verbund mit einer reaktionären Landesregierung erreichte sein Minimalziel, aber seit den Fahrpreisdemonstrationen war die Ruhe in der Stadt ein für alle Mal vorbei. Die Schlagstöcke der Bereitschaftspolizei öffneten die Köpfe von Tausenden für die marxistische Gesellschaftskritik (samt den dogmatischen Verwerfungen der siebziger Jahre). Die Wasserwerfer schossen die Stadtgesellschaft weit nach links. Ich wollte nicht mehr kaufmännischer Angestellter werden.
Bei diesem Rückblick stelle ich mir die Frage: Wie wird sich der Einsatz im Schlossgarten auf die Stuttgarter Verhältnisse auswirken? Welche Verschiebung der politischen Tektonik hat er bewirkt?
Bewusstwerdungsprozesse brauchen Zeit, und vielleicht sind zwei Jahre eine noch zu kurze Spanne für eine Bilanz. Doch zwei Beobachtungen von diesem Tag werde ich wohl nie mehr vergessen. Am Anfang lief der Einsatz völlig chaotisch, Polizeiketten zogen auf, wurden wieder abgezogen, der Kommandant schien überfordert.
Da fiel mir ein Trupp von vier oder fünf jungen Männern in Zivil auf, als Polizisten nur an einer gelben Plastikweste zu erkennen, auf deren Rückseite "Polizei" stand. Sie marschierten durch die Reihen der Kids und stießen sie aus dem Weg, schubsten die Jugendlichen ohne erkennbaren Grund; kurzum: sie verhielten sich wie die Leute, die Streit provozierten. Einer von ihnen filmte das Ganze mit einer aufgepflanzten Videokamera. Dann marschierten sie zu einem der großen Bäume, und die Jugendlichen umringten sie und wollten wissen, ob diesem Baum etwas geschehe. Da schlug der Anführer des Trupps, ein Polizist, der sich mit einem wildwestartigen Umhang kostümiert hatte, ohne Grund einem der Kids ansatzlos und mit voller Wucht ins Gesicht. Der Junge ging zu Boden; ich fotografierte den Schläger mit der Handykamera.
Die zweite Beobachtung schockierte mich noch mehr. Einige der Jugendliche waren auf Bäume geklettert, klammerten sich vier oder fünf Meter über dem Erdboden an Äste und Stämme - und die Wasserwerfer schossen auf sie. Noch jetzt, während ich diese Zeilen schreibe, sehe ich, wie der mächtige Wasserstrahl von dem Stamm abprallt, ich sehe einen Jugendlichen direkt darüber, und ich höre seine Angstschreie. Ich bin kein Jurist, sicher nicht, aber bitte, was soll das anderes sein als versuchter Totschlag?
Barbara Tuchman stellt in ihrem eingangs erwähnten Buch die Frage, wie es sein kann, dass die Menschheit in der Regierungskunst weit hinter dem zurückbleibt, was sie auf anderen Gebieten zuwege bringt. Warum zogen die Trojaner dieses merkwürdige hölzerne Pferd in ihre Stadt, obwohl einige von ihnen die Kriegslist der Griechen durchschauten? Warum stoppten die Päpste nicht die bereits sechs Jahrzehnte andauernde Korruption, Amoral und Niederschlagung aller Proteste, als bereits große Teile ihrer Anhänger genug davon hatten und sich zum Protestantismus abspalteten? Und ebenso rätselhaft ist, was die Regierung Mappus zu ihrer Ramboaktion veranlasst hat. Damit läutete sie ihren Niedergang selbst ein.
Ich habe meine Beobachtungen vom 30. September Jakob und Georg Dengler in einem Roman erleben lassen, schilderte sie vor dem Untersuchungsausschuss des Landtags und gab sie auch einem hiesigen Staatsanwalt zu Protokoll.
Geschehen ist - nichts
Geschehen ist - nichts. Vor dem Untersuchungsausschuss musste ich mir von einem schmallippigen Abgeordneten sagen lassen, bei meinen Beobachtungen sei wohl die Fantasie des Schriftstellers mit mir durchgegangen. Ich zog daraus den Schluss, dass es diesem Ausschuss nicht um die Aufklärung von Tatsachen ging.
Bei der Vernehmung durch die Staatsanwaltschaft wollte man mir dann tatsächlich weismachen, die Wasserwerferkaskaden auf die Jugendlichen, die auf den Bäumen saßen, hätten nie stattgefunden. Meine Wahrnehmung sei eine optische Täuschung gewesen. Niemand außer mir habe dies beobachtet. Aber um mich herum standen Hunderte und neben mir der Theaterregisseur Volker Lösch. Als Lösch befragt wurde, sagte man ihm, niemand außer ihm habe ausgesagt, dass auf die Kids mit den Wasserwerfern geschossen worden sei – dies einige Wochen nach meiner Aussage.
Da ich gleichzeitig weiß, mit welcher Inbrunst die gleiche Behörde die Gegner des Bahnhofprojektes verfolgt hat, habe ich daraus den Schluss gezogen, dass der Rechtsbefolgungswille bei der Stuttgarter Staatsanwaltschaft nur schwach entwickelt ist. In dieses Bild passt, dass diese Behörde auch in anderen Fällen - so beim EnBW-Skandal - gegen Mächtige erst dann ermittelt, wenn diese nicht mehr im Amt sind. Dass heute, zwei Jahre nach dem 30. September 2010, selbst offenkundige Delikte nicht abschließend ermittelt sind, zeigt, dass eine wesentliche Institution in der Stadt nicht oder nicht gut funktioniert.
Die Historikerin Barbara Tuchman sieht in der Ablehnung der Vernunft und der Weigerung, die Urteilskraft auf Grundlage von Erfahrung, gesundem Menschenverstand und verfügbarer Information zu gebrauchen, die Gründe für die Torheit der Regierenden. Tuchman hat den Epilog ihrer Studie "Eine Laterne am Heck" genannt. Sie zitiert damit den englischen Dichter Samuel Coleridge: "Aber Leidenschaft und Parteigeist machen unsere Augen blind, und das Licht, das die Erfahrung spendet, ist eine Laterne am Heck, die nur die Wellen hinter uns erleuchtet."
Trefflicher kann man die Stuttgarter Situation zwei Jahre nach dem verwerflichen Polizeieinsatz nicht beschreiben.
Wolfgang Schorlau kam vor 61 Jahren am südlichen Rand des Hunsrücks, in Idar-Oberstein, zur Welt. 1966 begann er eine Ausbildung zum Großhandelskaufmann in Freiburg. Dort schloss er sich über eine Lehrlingsgruppe der Studentenbewegung an. Später machte er - ganz bürgerlich Karriere: Schorlau arbeitete sich bis ins Management einer Computerfirma hoch, wohnte unter anderem in Köln und Koblenz. Seit dem Jahr 2000 lebt Wolfgang Schorlau als freier Autor in Stuttgart.
Mit seiner Romanreihe um den Privatermittler Dengler ist er bundesweit erfolgreich - 2006 wurde er mit dem Deutschen Krimipreis ausgezeichnet. Schorlau erlebte den Polizeieinsatz am 30. September 2010 im Schlossgarten hautnah mit. Kurz darauf gab er das Buch "Stuttgart 21. Die Argumente" heraus.
Auf Wunsch des Users umgenannter Account
-
- PlatinStern
- Beiträge: 1330
- Registriert: 14.03.2008, 12:01
- Wohnort: Berlin
- Ich bin: ehemalige SexarbeiterIn
RE: Polizeigewalt Stuttgart21
love people, use things - not the other way round
-
- ModeratorIn
- Beiträge: 4103
- Registriert: 08.07.2012, 23:16
- Wohnort: Berlin
- Ich bin: engagierter Außenstehende(r)
RE: Polizeigewalt Stuttgart21
Es geht - nur zur Info für uneingeweihte umdieses Werk von Volker Lösch:
»Lulu - Die Nuttenrepublik«
nach Frank Wedekind
Inszenierung: Volker Lösch (ca. 100 min.)
mit Texten von Berliner Sexarbeiterinnen
Textfassung von Volker Lösch und Stefan Schnabel
Premiere war am 11. Dezember 2010
Lulus erster Ehemann trifft der Schlag, als er sie in flagranti mit dem Künstler Schwarz erwischt. Schwarz, ihr zweiter Ehemann, bringt sich um, als er spürt, dass er Lulu nicht gewachsen ist. Der dritte, Dr. Schöning, stirbt durch einen von ihr versehentlich ausgelösten Schuss. Lulu flieht nach Paris. In der Hauptstadt der Liebe verbraucht sie ihr Vermögen und halbseidene Freunde drohen, sie der Polizei auszuliefern. Vor den Erpressern flieht Lulu weiter nach London. Dort geht sie auf den Strich, um zu überleben. Eines Tages steht sie ihrem Mörder Jack the Ripper gegenüber ...
In Volker Löschs Inszenierung »Lulu – Die Nuttenrepublik« wird Wedekinds Jahrhundertwerk ergänzt und aufgeladen durch die Erfahrungen von Berliner Frauen, die in unterschiedlicher Weise als Sexarbeiterinnen (Bizarr-Lady, Domina, erotisches Fotomodell, Escort-Lady, Hausdame, Hure, Kurtisane, Pornodarstellerin, Puffmutter, Sklavia, Stripteasetänzerin, Tabletänzerin, Tantra-Masseuse, Zofe) tätig sind oder waren. Diese Berlinerinnen sind Fachfrauen für die Sexualität, die Ängste und Wünsche von Männern, Profis für Selbstinszenierung und Rollenspiel - und nicht zuletzt Geschäftsfrauen, die ihre Ware auf dem Markt verkaufen. Sie werden als Sprechchor auftreten und mit ihren Geschichten eine Hauptrolle in »Lulu – Die Nuttenrepublik« spielen.
Besetzung
Autor
Frank Wedekind
Inszenierung
Volker Lösch
Chorleitung
Bernd Freytag
Bühne
Carola Reuther
Kostüme
Cary Gayler
Dramaturgie
Stefan Schnabel
Anke Mo Schäfer
Licht
Erich Schneider
Lulu
Laura Tratnik
und
Ankelina Möller
Anna Schröder
Anne Abendroth
Chloé
Daniela Markus
Gina-Lisa Maiwald
Goldschwanz
Jana Olschewski
Juliane
Lisa Kablan
Lolette
Malina
Nada Njiente
Susanne Ostrowicki
Valentina Repetto
Eduard Schwarz/Rodrigo Quast
Sebastian Nakajew
Dr. Goll/Schigolch
Felix Römer
Dr. Franz Schöning/ Casti-Piani
David Ruland
Alwa Schöning
Nico Selbach
Geschwitz
Luise Wolfram
Jack
Sebastian Nakajew
Felix Römer
David Ruland
Nico Selbach
http://www.schaubuehne.de/de_DE/program ... ire/577711
Was jetzt die im Video dargestellte Vernehmungssequenz des Stuttgarter Untersuchungsausschuss zum Polizeieinsatz angeht: Wer solche Stücke inziniert und seine 14jährige Tochter auf Demos ziehen läßt braucht sich nicht zu wundern bzw. verdient es, wenn er oder seine lieben auf´s Dach kriegen. Die Rache der Konservativen ist hart aber ungerecht! Diese Vernehmung und die dort seitens der Abgeordneten kolportierten Unterstellungen gegenüber Herrn Lösch hätten einen eigenen Untersuchungsauschuss verdient!
ARMES DEUSCHLAND!
»Lulu - Die Nuttenrepublik«
nach Frank Wedekind
Inszenierung: Volker Lösch (ca. 100 min.)
mit Texten von Berliner Sexarbeiterinnen
Textfassung von Volker Lösch und Stefan Schnabel
Premiere war am 11. Dezember 2010
Lulus erster Ehemann trifft der Schlag, als er sie in flagranti mit dem Künstler Schwarz erwischt. Schwarz, ihr zweiter Ehemann, bringt sich um, als er spürt, dass er Lulu nicht gewachsen ist. Der dritte, Dr. Schöning, stirbt durch einen von ihr versehentlich ausgelösten Schuss. Lulu flieht nach Paris. In der Hauptstadt der Liebe verbraucht sie ihr Vermögen und halbseidene Freunde drohen, sie der Polizei auszuliefern. Vor den Erpressern flieht Lulu weiter nach London. Dort geht sie auf den Strich, um zu überleben. Eines Tages steht sie ihrem Mörder Jack the Ripper gegenüber ...
In Volker Löschs Inszenierung »Lulu – Die Nuttenrepublik« wird Wedekinds Jahrhundertwerk ergänzt und aufgeladen durch die Erfahrungen von Berliner Frauen, die in unterschiedlicher Weise als Sexarbeiterinnen (Bizarr-Lady, Domina, erotisches Fotomodell, Escort-Lady, Hausdame, Hure, Kurtisane, Pornodarstellerin, Puffmutter, Sklavia, Stripteasetänzerin, Tabletänzerin, Tantra-Masseuse, Zofe) tätig sind oder waren. Diese Berlinerinnen sind Fachfrauen für die Sexualität, die Ängste und Wünsche von Männern, Profis für Selbstinszenierung und Rollenspiel - und nicht zuletzt Geschäftsfrauen, die ihre Ware auf dem Markt verkaufen. Sie werden als Sprechchor auftreten und mit ihren Geschichten eine Hauptrolle in »Lulu – Die Nuttenrepublik« spielen.
Besetzung
Autor
Frank Wedekind
Inszenierung
Volker Lösch
Chorleitung
Bernd Freytag
Bühne
Carola Reuther
Kostüme
Cary Gayler
Dramaturgie
Stefan Schnabel
Anke Mo Schäfer
Licht
Erich Schneider
Lulu
Laura Tratnik
und
Ankelina Möller
Anna Schröder
Anne Abendroth
Chloé
Daniela Markus
Gina-Lisa Maiwald
Goldschwanz
Jana Olschewski
Juliane
Lisa Kablan
Lolette
Malina
Nada Njiente
Susanne Ostrowicki
Valentina Repetto
Eduard Schwarz/Rodrigo Quast
Sebastian Nakajew
Dr. Goll/Schigolch
Felix Römer
Dr. Franz Schöning/ Casti-Piani
David Ruland
Alwa Schöning
Nico Selbach
Geschwitz
Luise Wolfram
Jack
Sebastian Nakajew
Felix Römer
David Ruland
Nico Selbach
http://www.schaubuehne.de/de_DE/program ... ire/577711
Was jetzt die im Video dargestellte Vernehmungssequenz des Stuttgarter Untersuchungsausschuss zum Polizeieinsatz angeht: Wer solche Stücke inziniert und seine 14jährige Tochter auf Demos ziehen läßt braucht sich nicht zu wundern bzw. verdient es, wenn er oder seine lieben auf´s Dach kriegen. Die Rache der Konservativen ist hart aber ungerecht! Diese Vernehmung und die dort seitens der Abgeordneten kolportierten Unterstellungen gegenüber Herrn Lösch hätten einen eigenen Untersuchungsauschuss verdient!
ARMES DEUSCHLAND!