
Ganz klar - nur dieses "Schwächeln" hat seine Gründe: Mangelndes Selbstvertrauen, mangelndes Vertrauen in die Zukunft und in das Leben an sich und daraus folgend der Wunsch staatlich gepampert zu werden. Die feindliche Übernahme können wir moralisch verdammen - aber ohne unseren eigenen Ruf nach staatlicher Finanzierung wäre sie nicht möglich gewesen.Marc of Frankfurt hat geschrieben:Doch im Laufe der Jahre wo die Hurenbewegung geschwächelt hat, wurden sie von Nichtsexworker-Akademikerinnen gekapert d.h. der Stellenpool wurde den Sexarbeiter_innen und Ex-Sexarbeiter_innen förmlich geklaut bzw. unsere Community in diesem sensiblen geldwerten Aspekt enteignet

Hm - sehr schwierig von "normativer Kraft der Realität" zu sprechen, wenn es um die virtuelle Finanzierung durch einen virtuellen Staat geht. Alle beteiligten Faktoren, vom gedruckten Geld bis zur ideologisch begründeten Rechtfertigung wer dieses nach welchem ausgedachten Schlüssel erhalten soll, funktionieren doch nur, weil die Menschen noch mehrheitlich daran glauben. Im Grund genommen eine "Des Kaiser's neue Kleider" Kommödie ...Marc of Frankfurt hat geschrieben:... oder übersehe ich etwas, evt. weil wir Sexworker einfach nicht erwachsen werden wollen um die normative Kraft der Realität anzuerkennen...bla bla?
Und so scheint mir die Vorstellung der Staat habe "gut" zu sein, wie seine virtuelle Metapher, der gerechte und alles beherrschende Papa in der Phantasie der bürgerlichen Kleinfamilie, wirklich etwas unerwachsen - eine besondere Betonung dieses Verhaltens bei uns SW sehe ich jedoch nicht, eher im Gegenteil.
Insofern möchte ich auch diese Analyse etwas differenzierter sehen:

Tatsächlich haben die Frauen der ersten Emanzipationsbewegung ja keineswegs weibliche Berufstätigkeit erkämpft - sie haben vielmehr die vorbestehenden Berufsmöglichkeiten gekapert und so umgeformt, dass sie mit den absurden Moralvorstellungen von middle/upper class WASPs (white anglo-saxon protestants) vereinbar wurden. Und sie somit für andere, nicht aus diesen Klassen stammende und dieses Wertesystem akzeptierende verunmöglicht - eine wahrhaft tolle LeistungMarc of Frankfurt hat geschrieben:Laura Agustín zeigt ferner in historischer Anal-yse auf, wie sich Frauen in der ersten Emanzipationsbewegung weibliche Berufstätigkeit erkämpft haben, indem sie Hilfsorganisationen gründeten. Die Definition des Opfers und Sozialdienstempfängers ist leider eng verknüpft mit dieser ersten Frauen-Emanzipationsbewegung und ihren zweifelos positiven Errungenschaften. Aber i.d.R. stark zugunsten von weißen, christlichen, gebildeten Frauen aus der gutbürgerlichen Mittelschicht (d.h. klassenspezifisch). Während die Sexarbeiter, Miranten, Farbigen ... zu Betreuungsbedürftigen definiert wurden (das ist Klassismus bzw. Paternalismus).

So hat - um nur ein Beispiel zu geben - ja Florence Nightingale den Beruf der Krankenschwester ja keineswegs neu erfunden. Den gab es vorher schon, mit ausgeprägten therapeutischen (körperlichen und psychischen) Anteilen in der Arbeitspraxis und typischerweise Nebenverdienst als SW.
Alles was F.N. getan hat war ihr Bild einer "anständigen Frau" darüberzustülpen: Abgabe jeder Kompetenz an den Mann (den Arzt), Beschränkung der eigenen Tätigkeit auf dienende Teile (nur noch Pflege unter Verzicht auf jede Form von therapeutischer Tätigkeit) und im psychologischen Gebiet Übernahme der Rolle die Kinder (die Patienten) auf Respekt und Gehorsam gegenüber dem Familienvater (dem Arzt) zu trimmen. Plus natürlich das Zurschaustellen von asexueller "Reinheit".
http://tmh.floonet.net/articles/witches.html
Nur wenn wir diese Hintergründe kennen können wir vernünftig entscheiden, ob es Sinn macht mit einem diesen menschenunwürdigen und insbesondere frauenfeindlichen "Moral"vorstellungen verpflichteten Staat zusammenzuarbeiten - uns gar aus dessen Kassen bezahlen zu lassen?
Jedenfalls ist diese "Pflege unter männlicher Aufsicht anstelle von selbstbestimmter weiblicher Kreativität"-Thematik noch keine 200 Jahre alt, Geschichtsklitterungen die uns weismachen wollen, das sei "schon immer, zumindest seit dem Mittelalter" so gewesen sollten uns lieber hellhörig werden lassen anstelle uns zu überzeugen, dass wir um unser Recht nur innerhalb der erfundenen Grenzen kämpfen dürften. Zumindest ich stelle mir das unter "erwachsenem Verhalten" vor: Nicht klagen, dass wir armen Kinder vom ungerechten Papa Staat zu wenig Taschengeld bekommen, sondern zu hinterfragen, mit welchem Recht sich dieser erst kürzlich dahergelaufene Typ als unser Papa aufspielen will.
Liebe Grüße, Aoife