Kampfplatz Straßenstrich - DLF 19.06.2012 -19:15

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ehemaliger_User
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Kampfplatz Straßenstrich - DLF 19.06.2012 -19:15

Beitrag von ehemaliger_User »

Kampfplatz Straßenstrich

Auseinandersetzungen um einen alten Ort

Von Ulli Schauen und Lothar Segeler

Straßenprostitution ist zwar längst legal, doch allerorten geht der Kampf um sie weiter - ob in Dortmund oder Zürich, Köln oder Wien. Im Feature treten auf: die alteingesessene Sexarbeiterin gegen die neue aus Bulgarien, die Lokalpolitikerin, Frauenberaterinnen und Anwohner, das Ordnungsamt und die Polizei, Frauenversteher und Kinderbeschützer.

Nur Freier und Zuhälter halten sich bedeckt.

Es geht um die Nutzung des öffentlichen Raums, um Freiwilligkeit und Zwang, um Kriminalität und Normalität, um Sexualität, die Jugend, die öffentliche Moral, die Erweiterung der EU - und ums Geschäft.

Das Feature lauscht dem Kampfplatz Straßenstrich - mit vielen subjektiven Ohren.

Es treten auf:
  • der Chor der Sozialberaterinnen mit einem Lied über die Wahrheit,
  • Frau Meier und der Chor der Berliner Kurfürstenstraße, jeder mit einer Strophe pro Sichtweise,
  • die studentenbewegte Immobilienmaklerin mit einem Lied über die Grenzen der Toleranz,
  • die Soziologin mit ihrem emotionalen Song über das Entwederoder und
  • Dany mit ihrem Hohen Lied der Straßenprostitution.

mit
  • Anja und Lea, Jesska und Sofia, Dany und Angie,
  • vielen stummen und zwei sprechenden Männern
  • Mechthild Eickel von Madonna,
  • Andrea Hitzke von der Mitternachtsmission,
  • Michaela Klose von Olga e.V.,
  • Elke Rehpöler von Kober e.V.,
  • Sabine Reichert und Anne Rossenbach vom Café Mäc Up des Sozialdienst katholischer Frauen
  • der Schöneberger Quartiersmanagerin Gisela Gut
  • der Anwohnerin Frau Meier
  • der Soziologin Christiane Howe
  • den Dortmunder Politikerin Marita Hetmeier und dem
  • Berlin-Schöneberger Politiker Detlef Rödiger,
  • dem Kölner Ordnungsamtsleiter Robert Kilp,
  • Danys Rechtsanwalt Wilhelm Achelpöhler,
  • Der Prostistreife mit Claudia Dresen
  • und vielen Stimmen aus dem Fernsehen
Autor und Reportage: Ulli Schauen,
Musik, Soundgestaltung und Regie: Lothar Segeler,
Ton und Technik: Christoph Német,
Es sprechen: Gregor Höppner und Jochen Kolenda,
Redaktion: Karin Beindorff

http://www.schauen.de/themen-gesellscha ... -am-di-196
http://www.dradio.de/dlf/sendungen/dasfeature/1762827/
Später nachhören:
http://www.dradio.de/aod/html/?station= ... ast=641012

Uli Schauen ist ein hervorragender Journalist. Er beobachtet genau, stellt keinen bloss.
Auf Wunsch des Users umgenannter Account

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Jason
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Am besten mit VLC anhören

Beitrag von Jason »

Der aktuelle Link zur Sendung zum nebenbei hören.

http://ondemand-mp3.dradio.de/file/drad ... 28faf5.mp3
> ich lernte Frauen zu lieben und zu hassen, aber nie sie zu verstehen <

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Marc of Frankfurt
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Gute Sendung

Beitrag von Marc of Frankfurt »

DLF
Ulli Schauen
Redaktion Karin Waldorf


Bemerkenswert:


Straßenstrich als Instrument gegen Gentrifizierung

"Wollen dass der Strich bleibt, damit die Mieten nicht so sehr steigen."


Mediale Konstruktion des Bild der fremden Prostituierten

Ulli Schauen über andere Reportagen: "Manchmal ist es praktisch dass die migrantische Sexarbeiterin kein Deutsch kann, dann ist die eigene Geschichte der deutschen Medien nicht in Gefahr."



Entlarvende Widersprüchlichkeiten in der Prostitutionspolitik:

In Berlin gelten migrantische Sexarbeiterin als Illegale, weil sie angeblich unter Zwang stünden.

In Köln dürfen gerade sie nicht auf den legalen Straßenstrich, weil sie als Profis gelten und die Drogengebraucherinnen verdrängen würden. Sie müssen sich also teuer einen Wohnwagen mieten z.B. teuer von den Hells Angels.

So bereiten die Gesetze den Boden für die Geschäftsmodelle von Zuhältern oder Rockerbanden, die der Staat eigentlich auch nicht fördern will (Großrazzien in Norddeutschland). Den (männlichen/oranisierten) Vermietern füllt also der staatliche Sperrbezirk die Kassen.

Oder Sexworker müssen nachts am unbeleuchteten, illegalen, gefährlichen Straßenstrich am Kölner Grüngürtel stehen, wo schon eine tote Bulgarin aufgefunden wurde.

Die strafbewehrten Sperrgebietsgesetze bewirken eine Kriminalisierungskarriere: 100 Tagessätze = 3,5 Monate Gefängnis, wenn eine Ordnungsstrafe nicht bezahlt werden kann. Köln.

Das Safer-Sex drive-in Love-Boxen Projekt in Köln ist ein PPP (private public partnership) betrieben vom Städtischen Ordnungsamt mit Hausrecht und dem Sozialdienst katholicher Frauen.



Viele neue Infos auch zu Dortmund:

Straßenstrich/Prostitutionsgegnerin Frau Hitmeyer ist Immobilienmaklerin. Das macht ihre Position sofort verständlich.

Aus dem Gerichtsurteil gegen den Straßenstrich für ein totales Sperrgebiet: Dortmund sei als Anziehungspunkt einer lawinenartigen Armutsprostitution betroffen.

Auch die clevere Fr. Hitmeyer aus der Studentenbewegungszeit sieht bei den ausländischen dunkelhäutigen Migranten und Sexworkern nur Ausbeutungsstrukturen und Mafia.

Dass die Mafia längst in Politik und Finanzsektor sitzt scheint dagegen vernachlässigbar [vgl. Bücher von Jürgen Roth, Frankfurt].


Geheimtips für Streetworking Girls: die Prosti-Streife (Ordnungsamt Köln) darf nur den ruhenden Verkehr aber nicht im rollenden Verkehr eingreifen.

Die Stadt Köln braucht 4 Vollzeitstellen um das Sperrgebiet zu überwachen. Wer kann mal ausrechnen, wieviele Sexworker-Steuerabgaben das entspricht (150 Euro/Monat und Sexworker)?


Soziologin Christiane Howe, die sich nie so gerne parteiisch pro Sexwork festlegen will und daher selten deutliche, emanzipative Sexworker Formulierungen wagt, um es sich nicht mit den Institutionen zu verderben, kommt zu der Schlußfolgerung "sowohl als auch" (Freiwilligkeit und Zwang), womit sie ausgerechnet in den Kern der realexistieren Widersprüchlickeit von Prostitutions-Vielfalt vordringt (auch eine Form von Diversity *LOL*).


Ernüchterndes:
Dany die streitbarer Sexarbeiterin kann nicht aussteigen und den Beruf wechseln, wenn sie angibt (selbständige) Prostituierte zu sein. Notgedrungen muß sie jetzt ein mutiges Experiment mit Wanderparkplatz und Internetkommunikation wagen.

Selbst 60 demonstrierende mit dem katholischen KOBER organisierte Sexworker in Dortmund haben nicht gereicht, dass Behörden und Politik mit ihnen in Dialog treten wollten.

Prostitution wird höchstens geduldet, sondern eher eingedämmt.


Bisher heute noch immer in der Grauzone und juristisch strittig:

In Orten >50.000 Einwohnern muß mindestens irgendwo eine Toleranzzone für Prostitution sein. Aber derzeit wird darum prozessiert ob das auch für Straßenstrich gilt.

Dabei ist Straßenstrich in der Prostitution ein eigenständiges Berufsbild [Dany].

In (legalisierten) Bordellbetrieben gilt bzw. es kann vorkommen:
- 100-150 Euro Tagesmiete
- Anwesenheitspflichten (Scheinselbständigkeit?)
- Gedrängt werden zu Oralverkehr ohne Kondom (Unsafe Work)
- ...

Danys Statement ist eine ermutigende Stellungnahme, dass der Straßenstrich auch ein safer-only Arbeitsplatz sein kann, wenn die Sexarbeiterin weis wie sie es anstellen muß und die Ressourcen hat es durchzusetzen (legales arbeiten, legaler Status, Sprachkenntnisse, Sexworkerkompetenzen, whore power...).
Was ebenso auch für Laufhäuser und andere Bordellbetriebe oder Termin-Wohnungen zutreffen kann...



Strukturelle Sicherheit für Sexworker
www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?p=10162#10162

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friederike
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RE: Kampfplatz Straßenstrich - DLF 19.06.2012 -19:15

Beitrag von friederike »

Zufällig habe ich einige Ausschnitte aus dieser Sendung im Radio live gehört - sie beeindruckte durch ihre Sachlichkeit, Fairness und Aufgeschlossenheit.

Das von Marc zitierte Motiv der Befürworter der Liberalität in Köln (glaub ich) habe ich auch mitbekommen: dank der Prostitution steigen die Mieten nicht und bleiben die Luxussanierer fern!

Richtig ekelhaft wirkte eine sogenannte "Prosti-Streife" der Polizei: in abstossendem Bürokratendeutsch hat eine Beamtin geschildert, wie sie Menschen auflauern, die vorschriftenwidrig "verrichten".

Endlich einmal eine lohnende Sendung!

Friederike