Berliner Orgie von Thomas Brussig - Prostitution getestet

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Zwerg
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Berliner Orgie von Thomas Brussig - Prostitution getestet

Beitrag von Zwerg »

Thomas Brussig besuchte in Berlin Orte, an denen man Sex kaufen kann. Im Buch "Berliner Orgie" sind seine Reportagen gesammelt. Doch für High-Class-Escorts hat das Budget offenbar nicht gereicht und für richtig krasse Etablissements fehlte es an Mut.

Ungefähr zu dem Zeitpunkt, als auf einmal auch jeder Mensch plötzlich zum Fußballfan wurde, war es plötzlich normal, dass intelligente, junge, oft auch schreibende Männer ins Bordell gehen. Man hörte sie darüber sprechen, man sah sie darüber schreiben, man konnte sich darüber ein klein wenig wundern.
Es waren die charmanten attraktiven Großmäuler, scheinbar keine Zukurzgekommenen, die sich mit ihren Puffgängen brüsteten. So als könnten sie endlich mal die anstrengenden Frauen abschütteln und, wie der Klebefabrikant Heinrich Haffenloher in der TV-Serie "Kir Royal" über seinen Besuch in der Großstadt München dröhnte, "einfach mal die Sau rauslassen".
Houellebecqs Swingerklubbesuche

Und ein bisschen später, so um die Jahrtausendwende, übten sich vor allem französische Autoren in autobiografisch gestützten sexuellen Grenzüberschreitungen. Am prominentesten dabei die Kunstkritikerin Catherine Millet, die ihre Promiskuität wie einen Laborversuch beschrieb und Swingerklubbesucher Michel Houellebecq, der dem Paarungsverhalten seiner Mitmenschen kompletten Würdeverlust attestierte.

Insofern kommt es spät, aber nicht überraschend, dass sich ein weiterer deutscher Literat dem Thema Prostitution widmet. In diesem Fall ist es der bekennende Nichtbordellgänger Thomas Brussig, der für die "B.Z" Freudenhäuser, Straßenstriche, Sexkinos in der Hauptstadt besuchte. Seine gesammelten Reportagen erscheinen jetzt unter dem Titel "Berliner Orgie". Dies zur Warnung: Für eine Orgie ist das Buch recht nüchtern.
Brussigs nüchterne Orgie

Er habe seiner Frau versprechen müssen, dass es nie "zum Äußersten" komme, erklärt der Autor, wenn auch ziemlich spät im Buch. Da hat der Leser die Hoffnung darauf bereits verloren und findet, das hätte man ihm auch mal früher mitteilen können. Denn präzise Vorabsprachen erwartet Brussig auch von den Prostituierten, die er trifft.

Er mokiert sich über den "Handverkehr", zugegeben ein etwas missglückter Fachausdruck, doch lässt er sich noch nicht einmal darauf ein. Aber überall wittert er Abzocke im Nachhinein, überteuerten Sekt und ein ungutes Preis-Leistungs-Verhältnis. Er schleicht durch die Stripbars und Vorortbordelle in der Rolle des Beobachters und Verbraucherschützers.

Verbraucherschützer im Bordell
Warum er den Job angenommen hat? "Weil ich diese Welt nicht kenne. Weil mich die Frauen interessieren. Weil mich meine Ahnungslosigkeit beschämt. Weil all die Stile der Prostitution ja auch Ausdruck sind für vagabundierende Leidenschaften, Sehnsüchte, Begierden und Wünsche." Er hat diesen Job ernst genommen.

Hat sich für seine Recherchen eine Ausrede zurechtgelegt, warum er in letzter Sekunde immer einen Rückzieher macht. Lässt sich im "Sexyland" immerhin hinreißen, einer Tänzerin eine Privatvorführung abzukaufen. Ringt sich nach einem umständlichen Selbstgespräch durch, die Nutten auf der Oranienburger Straße "Bordsteinflamingos" zu nennen.

Kauf einer Privatvorführung
Man erfährt über den Autor ein paar intime Details: Er besitzt weiße Boxershorts mit roten Herzen. Er albert lieber mit einer Frau, als dass er sich von ihr den Oberschenkel massieren lässt. Und: "Ich kann nicht mit jeder, und ich mag es mir auch nicht vorstellen."

Vor allem aber, und da kommt das Buch richtig in Fahrt, hat Brussig das Bordell der Zukunft gesehen: mit "Sattessen am Buffet", drei Saunen, zwei Pornokinos und großem Fitnessraum. Die Frauen im "Artemis", so heißt der Laden am Westkreuz, "lächeln, zwinkern, werfen Luftküsse". Während der Fußballweltmeisterschaft bedienen sie auch mal zwei Freier gleichzeitig.

Offenbar kein Geld für High-Class-Escorts
Will man von einem hochgelobten, viel übersetzten Autor ("Wie es leuchtet") einen so expliziten Reisebericht lesen? Warum nicht. Die Liebesgeschichte zwischen Künstlern und Dirnen ist uralt und hat neben zahlreichen Fällen von Syphilis auch Bemerkenswertes hervorgebracht, wie etwa die kühl-verworfenen Bilder des Malers Christian Schad oder den "Professor Unrat" von Heinrich Mann.

Und weil Brussig auch dorthin geht, wo es traurig aussieht oder komisch riecht, zeichnet er ein vermutlich akkurates Bild vom Zustand der Prostitution in Berlin. Wenn auch kein komplettes: Für High-Class-Escorts hat das Budget offenbar nicht gereicht, für die richtig krassen Bordelle die Risikofreude.

Ein strukturelles Problem haben diese Reportagen: Da er sich nicht als Autor zu erkennen gibt und als Kunde nicht in Frage kommt, bleibt Brussig seinen Gesprächspartnerinnen relativ fern. Eines seiner größten Talente, mit Trockenheit von tiefen Gefühlen erzählen, bleibt daher ungenutzt. Es wird interessant zu beobachten sein, welche Rolle die Berliner Orgien in seinem nächsten Roman spielen.

Thomas Brussig, "Berliner Orgie", Piper, 208 Seiten, 16,90 Euro.

welt.de

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Zwerg
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Das kostet extra

Beitrag von Zwerg »

Thomas Brussigs Bordelltest

Das kostet extra


Von Johanna Adorján


Sie bestimmt die Regeln! Der Autor Thomas Brussig hat sich in Bordellen umgesehen
23. Mai 2007
Um nur ein Beispiel zu nennen: In einer ihrer jüngsten Ausgaben druckte die Berliner Boulevardzeitung „B.Z.“ unter der Überschrift „Kneifen? Drehen? Oder ziehen?“ einen „Ratgeber für Busen-Liebhaber“ (“So fummelt er richtig“), der in der Erkenntnis gipfelte, mit den Berührungen des Busens sei es „wie mit einer anständigen Käseplatte: Man beginnt stets mit den leichten und zarten, geht danach zu den kräftigeren über.“

Artikel wie diese müssen genannt werden, damit wir wissen, worüber wir jetzt reden. Dasselbe Boulevardblatt, das sich im Übrigen zu Teilen durch Sexanzeigen finanziert, fragte vergangenes Jahr beim Schriftsteller und Drehbuchautor Thomas Brussig (“Helden wie wir“, „Am kürzeren Ende der Sonnenallee“) an, ob er nicht Lust habe, für sie Bordelle zu testen. Es wird wahrscheinlich niemand überraschter gewesen sein als die Redaktion selbst - jedenfalls sagte Brussig zu und testete dann also im Auftrag des Springer-Verlags, der alle Spesen zahlte, die Hauptstadt-Puffs durch. Brussigs Recherchen sind jetzt gesammelt im Piper Verlag erschienen - und zeichnen ein erschütterndes Bild: vom Autor Thomas Brussig.

Die Frauen wollen sowieso

“Es ist etwas an der Prostitution, das ich, ganz altmodisch, nicht richtig finde“, schreibt Brussig im Vorwort seines auf Sach-, ja Fachbuch getrimmten „Reportage-Romans“: „Mich stört, dass es über das Geld läuft.“ Ein Gedanke, der kaum von der Hand zu weisen ist. Und der dennoch erst mal formuliert sein will. Beschreibt er das Phänomen der Prostitution doch nur noch einmal in anderen Worten. Ähnlich finden ja auch viele Menschen nicht richtig, dass bei einem Mord jemand umkommt oder bei einem Versicherungsbetrug eine Versicherung betrogen wird.

Was also bewegt einen, den an der Prostitution vor allem die Prostitution stört, dazu, sich da hineinzubegeben? Brussig hat gleich mehrere Erklärungen für seine Leser bereit, unter anderem die, dass er sich noch nie mit diesem Thema befasst habe und dieser Auftrag - er nennt ihn „Traumjob“ - also Gelegenheit biete, etwas vollkommen Neues zu erfahren. Außerdem interessiere ihn das Verhältnis zwischen Mann und Frau, schreibt Brussig. „Denn in der Welt der Prostitution ist es in gewisser Weise auf den Kopf gestellt. Hier ist es nicht der Mann, der versucht, die Frau ins Bett zu kriegen - hier ist es umgekehrt. Frauen wollen mit Männern Sex haben. Für dieses Ziel investieren sie Zeit, Geld und Ideen: Sie sitzen oder stehen viel herum, sie machen sich zurecht, und sie müssen Ideen haben, wie sie den Mann ansprechen.“ Deswegen sei hier der Mann in der Situation, in der sonst nur Frauen seien: „umworben zu sein, die Entscheidung zu treffen. Die Frauen wollen sowieso.“

Das Buch als Porträt des Autors

Man kann „Berliner Orgie“, so der Titel des Buchs, auf mehrere Weisen lesen. Man kann es lesen, wie es ursprünglich intendiert war: als Testbericht für interessierte Konsumenten; dafür empfähle es sich aber, Mitglied der „B.Z.“-Zielgruppe zu sein, also männlich, ohne Hochschulabschluss und nur durch den Anblick einer weiblichen Brust zu einem Aufflackern von Aufmerksamkeit zu verleiten.

Man kann es als Beschreibung von Orten lesen, an die man höchstwahrscheinlich selber nie kommt. (“Denken Sie einfach an den Stil jener vielen, vielen italienischen Restaurants mit Plastikgrotten und Zimmerspringbrunnen.“)Und man kann gar nicht umhin, es als ein Porträt des Autors zu lesen. Nach der Lektüre weiß man jedenfalls mehr über Thomas Brussig, als man wissen wollte. Zum Beispiel, dass Brussig bei Prostituierten vor allem auf Frauen mit exotisch dunkler Hautfarbe steht. Und dass er bei solchen zu den hierzulande handelsüblichen Vorurteilen neigt: „Gina ist aus der Karibik, aus Jamaika. Da musst du ja wahnsinnig gut tanzen, sage ich, und indem sie den Takt der Musik mit dem Oberkörper aufnimmt, sagt sie mir: Ich tanze die ganze Zeit, Junge.“

Der Restaurantkritiker im Bordell

Oder dass er nicht „mit jeder kann“: „Ich kann mir nicht mit jeder Frau Sex vorstellen, wäre aber dann für eine ganze Menge offen.“ Und dass er mit einer geradezu rührenden Naivität gesegnet sein muss: „Vermutlich macht sie ihre Arbeit wirklich gerne, denn als sich unsere Blicke treffen, merke ich, dass sie schon versucht, mich zu verführen.“ Wie bitte? Eine Prostituierte gibt einem Mann das Gefühl, dass sie ihn heiß findet? Unglaublich, also so etwas hatte man ja noch nie gehört! Aber das Verblüffendste: Thomas Brussig hat Bordelle getestet, ohne Sex zu haben. Seiner Ehefrau zuliebe habe er darauf verzichtet, schreibt er.

Wie ein Restaurantkritiker, dem für seine Beurteilung der Anblick der Tischdecke genügt, ist Thomas Brussig durchs Rotlichtmilieu gezogen und hat sich mit Prostituierten: unterhalten. Er ist dabei zu folgendem Ergebnis gekommen: “Dass in der Prostitution Männer Frauen kaufen, ist ein Irrtum, eine Verkennung der wahren Lage. Vielleicht sind sich auch alle Beteiligten über die wahren Verhältnisse im Klaren, verschweigen es nur aus Gründen der Peinlichkeit (Männer) und aus Geschäftssinn (Frauen). Der Mann kriegt nicht, was er will. Er bekommt ein Spektrum von Möglichkeiten angeboten, mit dem er sich zufriedengeben muss.

Das Kondom hält den Mann vom Leibe

Es ist nicht der Mann, der die Regeln macht. Sinnfälligster Ausdruck für diese Verhältnisse ist das Kondom, und wenn morgen die Aidsspritze auf den Markt käme, mit der sich die Krankheit ebenso wegimpfen ließe wie der Tripper - die Kunden der Prostitution müssten weiter Kondome benutzen. Mit dem Kondom halten sich die Huren ihre Kunden vom Leibe, wenn auch nur um Bruchteile von Millimetern. In einer Sphäre, in der es genau darum geht - für möglichst viel Geld möglichst wenig zu bieten -, ist das Kondom ein nicht mehr wegzudenkendes Utensil.“ Noch mal langsam: Brussig hält Prostituierten vor, sich vor Krankheiten schützen zu wollen, und unterstellt ihnen, dies nur zu tun, um den Männern eins auszuwischen.

Das ist, um es vorsichtig auszudrücken, originell. Irgendwie scheint er sich das alles anders vorgestellt zu haben, romantischer offenbar, und seine Enttäuschung über den geschäftlichen Teil der ganzen Angelegenheit schlägt im Laufe der einzelnen Kapitel in Bitterkeit um: „Ich frage sie nicht nach dem Alter, weil sie in einem Alter ist, in dem man das nicht mal mehr eine Hure fragt.“ Oder, noch eine Spur menschenverachtender: „So wie sie aussehen, haben sie in diesem Beruf nichts verloren. Und wenn sie sich einen Fummel anziehen, von dem sie glauben, dass er scharf aussieht, dann muss man ihnen sagen: Nicht bei dir.“

Mein schönstes Pufferlebnis

Schließlich lässt Brussig seinem Verdruss über Frauen im Allgemeinen freien Lauf: „Sie lacht. Sie mag Schmeicheleien. Auch mir gefällts, mit ihr zu flirten. Bleibt mir denn wirklich nur der Puff, wo ich noch mit einer schönen Frau flirten kann, ohne gleich wie ein Verbrecher angeguckt zu werden?“ Oder: „Fazit, als sich der EC-Kartenbeleg aus dem Terminal schiebt: Ich hab 'ne nette Frau kennengelernt, hatte 'nen schönen Abend mit ihr und hätte sie sogar ins Bett kriegen können. Eintritt und Getränke haben mich 48 Euro gekostet. Das ist nicht viel.“ So viel zur Haltung. Nun könnte man ja wenigstens beim Beruf des Testers auf schöne Texte hoffen - aber nein. Die einzelnen Kapitel sind so brav und uninspiriert geschrieben, als wären sie Schulaufsätze zum Thema: „Mein schönstes Puff-Erlebnis“.

Brussig hatte es übrigens im „Artemis“, einem Bordell, das für die erwartete gesteigerte Nachfrage während der Fußball-WM schön praktisch in Stadionnähe errichtet wurde. Brussig ist begeistert. Die Pornofilme im dortigen Kino hätten eine Handlung (“Als Drehbuchautor will ich so was einfach haben“), die Hygiene sei „sensationell“ (“Dass im ,Artemis' seit der Eröffnung etliche Hektoliter Sperma geflossen sind, merkt man nicht. Das ,Artemis' ist sauber wie ein Ibis-Hotel“); beim Oralverkehr werde „sogar aufs Kondom verzichtet“ - und „Tusch: im ,Artemis' wird hinterher bezahlt!“ Nee, also, kann man echt nichts sagen, oder? Ist schon 'ne tolle Sache, die Prostitution, wenn sie richtig gemacht wird, was, Herr Brussig?

Thomas Brussig: „Berliner Orgie“. Reportage-Roman. Piper Verlag, München 2007. 208 S., geb., 16,90 Euro.


Text: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21.05.2007, Nr. 116 / Seite 41
Bildmaterial: picture-alliance/ dpa

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Marc of Frankfurt
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Forschung oder Geschäft?

Beitrag von Marc of Frankfurt »

Zum Buch und auch ein Bild des Autors




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Im Stil eines literarischen Flaneurs betreibt der Autor Feldforschungen auf dem Strich - und erfährt von Menschen, Leidenschaften, Begierden und Wünschen.

Es geht um Sex. Nicht um den zu Hause. Sondern um den, den man kaufen kann - überall, zu allen Preisen, in allen möglichen Varianten. Prostitution, das älteste Gewerbe der Welt, eines das floriert und absolut krisensicher ist. 700 einschlägige Etablissements gibt es alleine in Berlin. Thomas Brussig hat nicht alle besucht, aber eine ganze Menge - ohne es allerdings zum äußersten kommen zu lassen.



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Thomas Brussig

Ein Chronist, der sich selbst das nicht erlaubt, worüber er schreibt - das hat er schließlich seiner Frau versprochen. Wobei zu vermuten wäre, dass die meisten Männer, die Bordelle besuchen, ihren Frauen was versprechen. Aber Brussig hält sich dran. Und das wollen wir ihm auch mal glauben. Im Auftrag eines Berliner Boulevardblattes ist Brussig im WM-Sommer 2006 durch diverse Milieus der deutschen Kapitale "flaniert" - richtig, er schreibt "flaniert“.

Aufmerksamer Rotlicht-Reporter

Straßenstrich, Edelbordell, Nichtsoedelbordell - Brussig hat sich alles angeschaut: Topless-Bar, Puff, Pornokino, Table Dance. Feldforschungen auf dem Strich. Wie ist das? Wie geht das? Was erlebt man da? - Fragen die sich, seien wir ehrlich, nicht nur der Mann Thomas Brussig stellt. Er spricht, anfangs vollkommen verschüchtert, mit Huren, mit Puffmuttern, bezahlt Champagner (beziehungsweise lässt sich den Champagner von der freundlichen Boulevardzeitung bezahlen), hört Geschichten von Studentinnen, die nur mal ab und zu und von anderen, die jeden Tag. Zwar zieht er sich auch mal aus, wenn das alle anderen auch tun, aber Brussig muss auf seine Gesprächspartnerinnen wirken wie ein verstörter Verklemmter, den man zwar ganz nett finden mag, der aber nervt, weil er die Betriebsabläufe stört; so beliebt in etwa wie der Typ, der sich stundenlang teure Anzüge zeigen lässt und dann ein paar Socken kauft.

Und so hat die deutsche Kritik auch kein gutes Schamhaar an Brussigs Buch gelassen: Oberflächlich sei das Ganze, ein, wie die Neue Zürcher Zeitung schrieb, "Guide für den Hauptstadtausflug des VW-Vorstandes, ein echtes Gelegenheitsbuch.“ Eine Aussage, die allerdings noch viel oberflächlicher ist. Denn man vergesse nicht Brussigs außerordentliche Beobachtungsgabe als Rotlicht-Reporter: Er beschreibt sehr aufmerksam die traurige Abgeschmacktheit mancher Liebesoasen. Das alles ist frei von jedem erhobenen Zeigefinger, Brussig wagt es sogar einen Sex-und-Wellness-Tempel zu entdecken, den er ganz großartig findet, weil hier wirklich alle fair miteinander umgehen.

Biedere Normalität

Brussig sagt, dass in der Prostitution, die er erlebt hat - oft eine biedere Normalität wie im Finanzamt oder der Dorfkneipe herrsche. Und so heißen manche Puffs ja auch - "Freudenhaus Hase“ zum Beispiel.“ Brussig entdeckt, dass Prostitution ein außerordentlich streng reglementiertes Geschäft ist. Vorher muss meist klar sein, welche konkreten Liebesdienste bestellt werden, alles außer der Reihe kostet extra - "nachkobern“ nennt man das im Milieu und küssen gibt’s ja sowieso nicht.

Wer Abenteuer sucht ist hier falsch, Mineralwasser ist spannender. Und er entdeckt, dass viele Prostituierte, zumindest, die, die er getroffen hat, keine Opfer sind - die Männer glauben nur die Regeln zu bestimmen. Es sind Einblicke in eine Welt, von der wir nur glauben, dass sie bekannt ist. Einblicke, die aus Brussigs Buch mehr machen als nur einen etwas anderen Berlin-Reiseführer.


Ramón García-Ziemsen





Fast ein Promotion-Artikel aka Werbung. Ist man von der Deutschen Welle, unserem Nationalsender gar nicht gewohnt?





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