90 Euro für eine Stunde Zärtlichkeit
Von Miriam Steimer und Anna Stommel
Für Behinderte ist es oft schwierig, ihre sexuellen Bedürfnisse zu befriedigen. Sexualbegleiterinnen wie Deva Bhusha Glöckner bieten ihnen ihre Dienste an: Glöckner verspricht Zärtlichkeit gegen Bezahlung. Das kommt nicht bei jedem gut an.
Massageöl, Federboa, Kondome. Wenn Deva Bhusha Glöckner ein "Date" hat, liegen diese Dinge immer griffbereit. Date - so nennt sie die Treffen mit ihren Kunden. Glöckner ist als Prostituierte registriert. Sie selbst aber nennt sich Sexualbegleiterin. Und auch ihre Kunden sind keine gewöhnlichen Freier. Glöckner trifft in ihrem Münchner Studio zum Beispiel geistig Behinderte, Spastiker, Rollstuhlfahrer. Wer ein Treffen mit der 43 Jahre alten Frau bucht, kauft kein Paket.
Glöckner, eine zierliche Frau mit wilden blondierten Haaren und neugierigen Augen, bietet vielmehr eine Begegnung an, bei der vorher nicht ganz klar ist, was passiert: kuscheln, anfassen, massieren - und manchmal auch Sex.
Glöckner hat sich von Lothar Sandfort ausbilden lassen. Er betreibt seit Mitte der neunziger Jahre im niedersächsischen Trebel eine Ausbildungsstätte für Sexualbegleiter - bis heute die einzige in Deutschland. Den Anstoß dazu gab sein eigenes Schicksal: Mit 20 Jahren hatte Sandfort einen Unfall, seitdem ist er querschnittsgelähmt.
Bordelle sind meist keine Alternative
"Ich trauerte darum, kein Gefühl mehr in meinem Penis zu haben. Aber ich wollte nicht in dieser Trauer versinken und suchte nach neuen Formen der Sexualität", sagt der Diplom-Psychologe. Die Ausbildung an seinem Institut für Selbst- Bestimmung Behinderter (ISBB) haben bislang 40 Personen absolviert, fast ausschließlich Frauen.
Wer Sexualbegleiterin werden will, muss sechs Erotik-Workshops besuchen. Bei diesen Wochenenden bringt Sandfort Menschen mit Behinderung und Sexualbegleiterinnen in spe zusammen. Es ist "learning by doing": Erotischer Abend, Berührungsspiele und erste Dates.
Sandfort berechnet nichts für die Ausbildung. Ihm geht es um eine Mission, nicht um Profit.
Deva Bhusha Glöckner begleiteten Berührungsängste, als sie in Trebel zum ersten Treffen ging. Es war für sie der erste sexuelle Kontakt mit Behinderten. Für viele Behinderte ist sie der erste sexuelle Kontakt überhaupt.
Einen Partner finden? Intim sein? In Wohnheimen für Behinderte ist das oft schwierig. Mehrbettzimmer lassen keinen Platz für Intimsphäre, mancher Pfleger ist überfordert, wenn sich die Hose eines Bewohners plötzlich im Schritt beult. Auch Bordelle sind meist kein Ausweg. Der Puffbesuch scheitert an unüberwindbaren Treppenstufen oder am Türsteher. Schafft ein Behinderter es doch hinein, weiß die Prostituierte nicht immer mit ihm umzugehen: Wie einen Kunden aus dem Rollstuhl heben? Was tun bei einem epileptischen Anfall?
Glöckner hat diesen Umgang gelernt. Was mit Körperbehinderten oft einfacher ist, weil sie ihre Wünsche klar formulieren können, ist bei geistig Behinderten heikler. Glöckner muss vorsichtig sein, Körpersprache deuten. Hundertprozentig sicher ist sie sich nicht immer.
"Die Energie muss stimmen"
Bei ihren Treffen bleibt es meist nicht beim bloßen Anschauen. Ob es aber wirklich zum Geschlechtsverkehr kommt, entscheidet die Sexualbegleiterin erst während des Dates:
"Die Energie muss stimmen. Das ist der Unterschied zur Prostitution, dort bestimmt der Freier, was passiert." Stimmt die Energie nicht, bricht Glöckner das Treffen ab. Zum Beispiel bei einem jungen Mann, der glaubte, das Date würde so ablaufen, wie er es aus Pornofilmen kennt.
Genau diese Unsicherheit für die Kunden kritisieren Gegner der Sexualbegleitung. Peter Wehrli etwa, Geschäftsleiter des Zentrums für selbstbestimmtes Leben in Zürich und selbst Rollstuhlfahrer, sagt: "Wer 90 Euro zahlt, muss auch wissen, was er dafür bekommt." Unter Umständen macht die Sexualbegleiterin ihren Kunden heiß und lässt ihn dann sitzen. Für Wehrli ist das inakzeptabel. "Sexualbegleitung dieser Art stempelt Behinderte als Sonderfälle ab. Krass ausgedrückt ist das therapeutische Sperma-Entleerung."
Viel wichtiger sei die Öffnung der herkömmlichen Prostitution für Menschen mit Behinderung.
Viele Behindertenverbände und Beratungsstellen jedoch halten die Sexualbegleitung für ein gutes Angebot, das allerdings noch äußerst klein ist:
Bundesweit arbeiten derzeit gerade einmal sieben Sexualbegleiterinnen.
Zudem können sich die wenigsten Menschen mit Behinderung derlei Dienste überhaupt leisten. Beispiel: Einem 25 Jahre alten Rollstuhlfahrer, der in einer Behindertenwerkstatt arbeitet, bleiben pro Monat lediglich 92 Euro Taschengeld. Glöckner nimmt 90 Euro für eine Stunde Zärtlichkeit. Meistens melden sich die Behinderten selbst, um einen Termin auszumachen. Diejenigen, die nicht sprechen können, schreiben ihr eine E-Mail. In seltenen Fällen vermitteln Eltern oder Betreuer.
"Viele der jungen Männer wollen einfach mal eine nackte Frau sehen. Dann leg ich mich manchmal auch einfach auf den Tisch und lass' sie gucken", sagt Glöckner.
http://www.spiegel.de/panorama/gesellsc ... 50166.html
anmerkung zum satz:
"Die Energie muss stimmen. Das ist der Unterschied zur Prostitution, dort bestimmt der Freier, was passiert."
das ist natürlich kein unterscheidungsmerkmal (bei prostitution bestimmt der freier, bei sexualbegleitung bestimmt die anbieterin), das ist tatsächlich abwertend. schade, aber ansonsten finde ich in dem artikel einige gute aussagen.
lieben gruß, annainga