„[...] es ist ganz unmöglich, eine Definition von dem zu geben,
was gute Sitten sind.“
(Abgeordneter Stadthagen in der Debatte zur zweiten Beratung
des BGB-Kommisionsentwurfes im Reichstag am 20.06.1896)
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
S. 10
2. Das Prostitutionsgesetz
S. 15
2.1. Entstehungsgeschichte
S. 15
2.2. Verfassungsgemäßes Zustandekommen des Prostitutions-
gesetzes
S. 17
2.2.1. Gesetzgebungskompetenz des Bundes S. 17
2.2.2. Zustimmungspflicht des Bundesrates
S. 17
2.3. Die Rechtslage vor Verabschiedung des Prostitutionsgesetzes im Spiegel der zivilrechtlichen Spruchpraxis
S. 18
2.3.1. Die Judikatur des Reichsgerichtes S. 19
2.3.2. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes S. 20
2.3.2.1. Die (kompromißlosen) Ausgangsentscheidungen S. 20
2.3.2.2. Die neuere Bordellpacht-Rechtsprechung als erster Wendepunkt S. 22
2.3.2.3. Die „Telefonsex“-Rechtsprechung des BGH als erneuter Wendepunkt S. 25
2.3.2.3.1 Telefonsex I S. 25
2.3.2.3.2. Telefonsex II S. 26
2.3.2.4. Zusammenfassung S. 28
2.4.
Der Inhalt des Prostitutionsgesetzes
S. 30
2.4.1. Der alternative PDS-Entwurf S. 32
2.4.2. Entwürfe der vergangenen Jahre S. 33
2.5.
Die Kritik am Regierungsentwurf
S. 34
2.6.
Die Bewertung des Prostitutionsgesetzes im einzelnen
S. 35
2.6.1. Abschaffung des Vorkasse-Prinzips S. 36
2.6.2. Abschaffung der Sittenwidrigkeit - Anspruch und Wirklichkeit S. 38
2.6.3. Die Anwendung der Vorschriften des BGB auf das Prostitutions-
gesetz S. 40
2.6.4. Die Regelungen des Prostitutionsgesetzes im einzelnen S. 41
2.6.4.1. Der sachliche Anwendungsbereich S. 41
2.6.4.1.1. Positive Abgrenzung S. 41
2.6.4.1.2. Negative Abgrenzung S. 42
2.6.4.2. Der persönliche Anwendungsbereich S. 43
2.6.4.2.1. Das Prostitutionsgesetz und der Schutz von (beschränkt) Geschäftsfähigen S. 44
2.6.4.2.2. Prostitutionsgesetz und Schutz der Ehe S. 46
2.6.4.3. Rechtliche Unverbindlichkeit des Prostitutionsgesetzes S. 47
2.6.5. Einordnung des Gesetzes in das zivilrechtliche Vertragssystem S. 49
2.6.5.1. Der zweiseitig verpflichtende Vertrag S. 50
2.6.5.2. Der einseitig verpflichtende Vertrag S. 50
2.6.5.3. Verfügende Verträge S. 51
2.6.5.4. Zuordnung des Prostitutionsgesetzes S. 51
2.6.5.4.1. Der Prostitutionsvertrag als Naturalobligation S. 52
2.6.5.4.2. Der Prostitutionsvertrag als synallagmatisches Vertragsverhältnis S. 53
2.6.5.4.3. Ergebnis S. 53
2.6.5.4.4. Auflösung des gesetzgeberischen Widerspruches S. 54
2.6.6. Das Zustandekommen des Vertrages zwischen Prostituierter und Kunden S. 54
2.6.6.1. Straßenprostitution S. 55
2.6.6.1.1. Schaufensterprostitution als Sonderproblem S. 56
2.6.6.2. Vertragsschluß im Bordell S. 56
2.6.6.3. Vertragsschluß in den Räumen des Kunden S. 57
2.6.6.4. Das Zustandekommen von Telefonsexverträgen S. 57
2.6.7. Das Abtretungsverbot in § 2 Satz 1 ProstG S. 57
2.6.7.1. Inhalt der Regelung S. 57
2.6.7.2. Zweifel an der Notwendigkeit des Abtretungsverbotes S. 58
2.6.7.3. Das Abtretungsverbot als Hindernis einer sachgerechten Beweislastverteilung S. 58
2.6.7.3.1. Das Problem S. 58
2.6.7.3.2. Lösungsvorschlag S. 60
2.6.8. Der Einwendungsausschluß des § 2 Satz 3 ProstG S. 60
2.6.8.1. Der Anwendungsbereich S. 61
2.6.8.1.1. Der persönliche Anknüpfungspunkt - Anwendung auch auf die Prostituierte S. 61
2.6.8.1.1.1. Der Erlaßvertrag S. 61
2.6.8.1.1.2. Der Annahmeverzug des Kunden S. 62
2.6.8.1.2. Zusammenfassung S. 63
2.6.8.2. Die Einrede des nicht erfüllten Vertrages und das Verhältnis zum Einwendungsausschluß S. 63
2.6.8.2.1. Der konkrete Inhalt des Schuldverhältnisses - der sexuelle Dienst-
leistungsvertrag S. 63
2.6.8.2.2. Notwendigkeit des Einwendungsausschlusses vor dem Hintergrund einer möglichen Schlechterfüllung des Dienstvertrages S. 65
2.6.8.3. Abgrenzung zwischen Nicht- und Schlechtleistung S. 65
2.6.8.3.1. Die Schlechtleistung im sexuellen Dienstleistungsvertrag S. 66
2.6.8.3.1.1. Einzelne Beispiele S. 67
2.6.8.3.1.2. Notwendige Korrekturen bei der Auslegung von § 2 Satz 3 ProstG S. 67
2.6.8.3.1.2.1. Schäden aufgrund der Verletzung des Leistungsinteresses S. 68
2.6.8.3.1.2.2. Schäden aufgrund der Verletzung des Integritätsinteresses S. 68
2.6.8.3.2. Weitere Probleme S. 69
2.6.8.3.2.1. Fragen der Verjährung S. 69
2.6.8.3.2.2. Haftung des Erfüllungs- und Verrichtungsgehilfen S. 69
2.6.8.4. Die vollständige Nichterfüllung im sexuellen Dienstleistungsvertrag S. 70
2.6.8.4.1. Abgrenzung zur (nicht möglichen) Irrtums- bzw. Arglistanfechtung S. 71
2.6.8.4.2. Abgrenzung zur culpa in contrahendo S. 72
2.6.8.4.3. Ergebnis S. 73
2.6.8.5. Auswirkungen des § 2 Satz 3 ProstG auf Verträge mit geschäftsunfähigen Erwachsenen S. 74
2.6.8.6. Ergebnis S. 74
2.6.9. Probleme bei der Erfüllung des sexuellen Dienstleistungsvertrages S. 75
2.6.10. Weitere Probleme des sexuellen Dienstleistungsvertrages - Mietrecht S. 75
2.6.10.1. Der Vertragspartner des Kunden hinsichtlich des Zimmerzuschlages S. 76
2.6.10.1.1. Fälligkeit des Mietzinses S. 76
2.6.10.1.2. Das Problem der doppelten Inanspruchnahme des Kunden beim Zimmerzuschlag S. 77
2.6.10.1.3. Interessengerechter Lösungsansatz S. 78
2.6.10.2. Das Verhältnis von Prostituierter und Vermieter S. 79
2.6.11. Der Einfluß verbraucherschützender Vorschriften auf das Prostitutionsgesetz S. 79
2.6.11.1. Die nationalen Vorschriften des Haustürwiderrufsrechtes S. 81
2.6.11.2. Die gemeinschaftsrechtliche Haustürwiderrufsrichtlinie S. 82
2.6.11.3. Die nationalen Fernabsatzvorschriften S. 82
2.6.11.4. Die europäische Fernabsatzrichtlinie S. 83
2.7.
Schlußfolgerungen und Novellierungsvorschläge
S. 83
3.
Der Einfluß des Prostitutionsgesetzes auf das gewerbliche Ordnungsrecht
S. 85
3.1.
Das "Café-Pssst"-Urteil des Verwaltungsgerichtes Berlin S. 85
3.2.
Das Urteil
S. 85
3.2.1. Sachverhalt S. 85
3.2.2. Entscheidungsgründe S. 86
3.3.
Die Ausgangslage
S. 89
3.3.1. Die Urteile des Bundesverwaltungsgerichtes zu geschlechts-
bezogenen Handlungen S. 90
3.3.1.1. Die "Verbannungs"-Rechtsprechung S. 90
3.3.1.2. Die "Peep-Show"-Entscheidungen S. 95
3.3.1.3. Prostitution und Bau(planungs)recht S. 98
3.3.1.4. Exkurs: Die Laserdromeproblematik S. 99
3.3.2. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes zu
Art. 1 Abs. 1 GG S. 101
3.3.3. Fazit S. 107
3.4.
Bewertung der (selbstbestimmten) Prostitution vor dem
Hintergrund des Art. 1 Abs. 1 GG
S. 107
3.4.1. Verfassungsrechtlicher Maßstab der Prostitution S. 107
3.4.2. Die Auslegung des Art. 1 Abs. 1 GG durch das Bundesverfassungsgericht S. 110
3.4.3. Widersprüchliche Entscheidungsmaßstäbe S. 112
3.4.4. Resumée S. 114
3.4.4.1. Exkurs: Die Menschenwürde im Kontext moderner medizinischer Verfahren S. 116
3.5.
Der präzisere verfassungsrechtliche Anknüpfungspunkt
S. 119
3.5.1. Prostitution als Beruf im Sinne des Art. 12 Abs. 1 GG und das Verhältnis zur allgemeinen Handlungsfreiheit S. 119
3.6.
Der Einfluß auf das Gewerberecht am Beispiel von § 33a
Abs. 2 Nr. 2 GewO
S. 120
3.6.1. Der Regelungsgehalt S. 120
3.6.2. Entstehungsgeschichte S. 121
3.6.3. Sachlicher und persönlicher Anwendungsbereich S. 122
3.7.
Der Einfluß auf das Gaststättenrecht am Beispiel von § 4
Abs. 1 Nr. 1 GastG
S. 122
3.7.1. Entstehungsgeschichte des GastG S. 122
3.7.2. Der Regelungsgehalt der Vorschriften S. 123
3.7.3. Problemstellung S. 124
3.7.3.1. Die guten Sitten als Anknüpfungspunkt S. 124
3.7.3.1.1. Die Auslegung durch das Bundesverfassungsgericht S. 125
3.7.3.1.2. Position des gewerberechtlichen Schrifttums S. 127
3.7.3.1.3. Der historische Ursprung des Begriffes der "guten Sitten" S. 130
3.7.3.1.3.1. Die Redaktion des § 138 Abs. 1 BGB S. 130
3.7.3.1.3.2. Die Rechtsprechung des Reichsgerichtes unter Berücksichtigung
der "Anstands-Formel" S. 134
3.7.3.1.3.2.1. Das Reichsgericht S. 134
3.7.3.1.3.2.2. Die Entscheidungen S. 135
3.7.3.1.3.3. Die Postitionen der Vertreter des historischen Schrifttums S. 138
3.7.3.1.3.4. Zwischenergebnis S. 140
3.7.3.1.3.5. Die Sichtweise auf Prostitution zur Entstehungszeit des BGB -
zwei Beispiele S. 140
3.7.3.1.3.5.1. Die juristische Sicht S. 140
3.7.3.1.3.5.2. Die caricative Sichtweise S. 142
3.7.3.1.3.5.3. Zusammenfassung S. 143
3.7.3.1.4. Die gegenwärtige Diskussion am Beispiel der sogenannten
Swingerclubs S. 143
3.7.3.1.4.1. Das Schrifttum S. 144
3.7.3.1.4.2. Die Rechtsprechung zu Swingerclubs S. 145
3.7.3.1.4.2.1. Entscheidungen vergangener Jahre S. 145
3.7.3.1.4.2.2. Das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes vom 29. April 2002 S. 146
3.7.3.1.4.2.3. Die Revisionsentscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes S. 147
3.7.3.1.4.3. Die Haltung der Politik S. 148
3.7.3.1.4.4. Zusammenfassung S. 148
3.8.
Europarechtliche Bezüge
S. 149
3.8.1. Das System der europäischen Grundfreiheiten S. 149
3.8.2. Die Position des Bundesverwaltungsgerichtes S. 150
3.8.3. Die Urteile des Europäischen Gerichtshofes S. 152
3.9.
Auswirkungen auf andere Bereiche des Ordnungsrechtes - ein kurzer Ausblick
S. 154
3.9.1. Bau(planungs)recht S. 154
3.9.2. Polizeirecht S. 155
4.
Schlußbetrachtungen
S. 157
5.
Verwendete Literatur
S. 159
 
1. Einleitung
„Die Frühschicht dämmert auf einer schwarzen Ledercouch. Die Frauen warten. Die meiste Zeit warten sie. Darauf, daß ein Mann vorbeischaut und sie erwählt, darauf, daß die Langeweile ein Ende hat. Rubina, die Schwarze, hat eine karierte Wolldecke um ihre nackte Hüfte gewickelt, sie häkelt ein weißes Tischtuch für zu Hause. Tanja, die Blonde mit den langen Locken und dem osteuropäischen Akzent, bedeckt ihren roten Tangaslip mit einem bunten Froteehandtuch, ihre Füsse hat sie in Plateau-Turnschuhen begraben, Heidi mit den kurzen rotgefärbten Haaren und der Brille sieht aus, als habe sie vor wenigen Minuten noch Akten in irgendeinem Amt geschichtet, und Kerstin mit dem schwarzen Body und den halterlosen Strümpfen hält Karten in der Rechten. Es ist früher Nachmittag, die Huren spielen Skat.“
Mit dieser Ansammlung klischeebeladener und voyeuristischer Belanglosigkeiten leitete der TAGESSPIEGEL an einem Sonntagmorgen im Sommerloch 2002 einen Artikel über ein Berliner Bordell ein und führte zugleich eine bewährte Tradition fort. Die Berichterstattung über Prostitution transportiert in der Regel mehr oder minder wohlbekannte Vorurteile über das „älteste Gewerbe der Welt“ und seine Protagonisten. Niedere Instikte zu bedienen und die sexuelle Phantasie der Leser zu beflügeln, ist auch bei sogenannten seriösen Publikationen oft das Gebot der Stunde. Die sachliche Information bleibt dabei auf der Strecke, tritt zumindest in den Hintergrund. Als das Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL in einem längeren Artikel über das Prostitutionsgesetz auch über die Hurenaktivistin Stephanie Klee - eine der Hauptinitiatorinnen des neuen Gesetzes - berichtete, konnte sich der Autor Rolf Hoppe folgende Personenbeschreibung nicht verkneifen:
„[...] sie als Schönheit zu bezeichnen, hieße die Höflichkeit sehr weit zu treiben, [...] Ihre Statur ist grobknöchig, mit breiten Schultern, schweren Hüften, und daß sie zehn Kilogramm abnehmen könnte, weiß sie selbst. Ihr Haar ist gefärbt, feuerwehrrot, und rot ist auch ihre Leinenbluse, ihr Rock. Die Farben sind zu laut für sie, ihr Parfüm ist zu schwer.“ - Und das alles, obwohl sich der Leser selbst ein Bild machen kann, denn dem Artikel ist ein großes Foto vorangestellt. Prostituierte müssen es scheinbar ertragen, derart bloßgestellt zu werden. Sie verkaufen Sex, und da kommt es vorrangig auf Äußerlichkeiten an. Diese Merkmale müssen dann aber ganz genau bis hin zum kleinsten Grübchen dokumentiert werden.
Kommt dann noch Kriminalität hinzu, ist das Sittengemälde dessen, was man gern als Milieu bezeichnet, komplett. Der FOCUS verband den Berliner Straßenstrich kurzerhand mit Paten aus der Türsteherszene, weil einer von ihnen wenige Wochen zuvor einen SEK-Beamten erschossen hatte. Über die konkreten Arbeitsbedingungen der dort tätigen Prostituierten verliert der Artikel kein Wort. Als der stellvertretende Vorsitzende des Zentralrates der Juden in Deutschland und Mitglied des CDU-Bundesvorstandes Michel Friedmann im Zuge des Ermittlungsverfahrens gegen einen ukrainisch-polnischen Menschenhändlerring in den Verdacht geriet, Kokain besessen und es gemeinsam mit drei Prostituierten in einem Berliner Luxushotel konsumiert zu haben, war das mediale Interesse groß. DER SPIEGEL nahm diesen Vorfall gar zum Anlaß, im Rahmen einer Titel-Story über die „Importware Sex“ zu berichten.
Die Essenz dieser Berichterstattung: Prostituierte werden auf ihr Äußeres reduziert und dem Dunstkreis der ´organisierten Kriminalität´ - was immer unter diesen Begriff zu subsumieren ist - zugeordnet. Sie sind somit vor allem eines: Opfer - dabei aber zumeist hübsch anzusehen.
Diesem Trend versuchen die Journalistin Tamara Domentat , Marcel Feige sowie Felix Ihlefeldt entgegenzuwirken. Sie zeigen auf, daß es andere, selbstbestimmte Formen der Prostitution gibt.
Rechtswissenschaftliche Arbeiten betrachteten Prostitution ebenfalls im wesentlichen unter kriminologischen oder strafrechtlichen Aspekten und verfestigten, obschon sicher unbeabsichtigt, den Opferstatus von Prostituierten. Dabei soll hier nicht in Abrede gestellt werden, daß es dirigistische respektive ausbeuterische Formen von Prostitution, nicht selten im Zusammenhang mit Kindesmißbrauch oder Menschenhandel gibt. In der jüngeren und jüngsten deutschen Geschichte wurden Prostitutierte gar vom Staat selbst zur Durchsetzung machtpolitischer Interessen benutzt. Sowohl die Nationalsozialisten, als auch die Staatssicherheit der DDR verstanden es, sich die Dienste von Prostituierten nutzbar zu machen - sei es, um Informationen zu erlangen , sei es, um die Moral der kämpfenden Truppe aufrecht zu erhalten . Das sogenannte älteste Gewerbe der Welt wurde kriminalisiert, instrumentalisiert, niemals akzeptiert - allenfalls geduldet.
Richtet man jedoch den Fokus einseitig auf diese dunkle Seite, geraten andere Aspekte aus dem Blick. Die Täter werden so unangemessen aufgewertet. Es gibt gleichwohl Männer und Frauen, die sich freiwillig und ohne Repressalien durch andere ausgesetzt zu sein, für die Ausübung der Prostitution entschieden haben. Ihnen macht diese Tätigkeit sogar Spaß. Sie setzen teilweise kritisch mit den Nachteilen auseinander, müssen aber erkennen, daß sie in der öffentlichen Wahrnehmung mit den Protagonisten der organisierten Kriminalität gleichgesetzt werden.
Die Dissertation von Ruth-Silke Laskowsky eröffnete schließlich eine neue Perspektive. Laskowsky hinterfragte nicht nur die bis dato ergangene Spruchpraxis zu geschlechtsbezogenen Handlungen der obersten Bundesgerichte, sondern ordnete Prostitution ganz selbstverständlich dem Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG zu. Die Arbeit trug wesentlich dazu bei, Prostitution auch als alternative Form der Erwerbssicherung in das Bewußtsein der (juristischen) Öffentlichkeit zu tragen.
Im Jahre 1998 erkannte auch die neugewählte rot-grüne Bundesregierung an, daß es zahlreiche Frauen und Männer gibt, die sich freiwillig dazu entschieden haben, der Prostitution nach zu gehen. Ihnen und denjenigen, die selbstbestimmten Arbeitsstrukturen Raum bieten wollen, sollte ein rechtlicher Rahmen geboten werden. Ohne Unterschied waren Prostituierte zuvor - auch im Rechtssystem - einer Doppelmoral ausgesetzt. Einerseits mußten sie Steuern zahlen , durften andererseits keine wirksamen Verträge mit Kunden oder Arbeitgebern abschließen. Die Vereinbarungen galten nach § 138 Abs. 1 BGB als sittenwidrig und waren daher nichtig.
Diesen Zustand zu verändern, trat die Bundesregierung an. Beflügelt durch eine Entscheidung des Berliner Verwaltungsgerichtes , brachte die Reformkoalition das „GESETZ ZUR REGELUNG DER RECHTSVERHÄLTNISSE DER PROSTITUIERTEN - PRO
STITUTIONSGESETZ“ auf den Weg. Eben jenes Gesetz steht im Mittelpunkt der hier vorgelegten Arbeit. Das Prositutionsgesetz besteht aus zivilrechtlichen Vorschriften und Änderungen strafrechtlicher Normen. Der Verfasser beschäftigt sich überwiegend mit dem zivilrechtlichen Teil des Gesetzes, da es hinsichtlich der Prostitution bisher keine fundierten Darstellungen der zivilrechtlichen Probleme gab. Dies nimmt auch nicht wunder, versperrte doch das dieser Tätigkeit anhaftende Verdikt der Sittenwidrigkeit die Sicht und verhinderte so Detailerörterungen. Insoweit gilt es, auch juristisches Neuland zu betreten. Nachfolgend wird das Prostitutionsgesetz vorgestellt, analysiert und sodann seine Folgen für das Zivilrecht beschrieben.
Im ersten Kapitel ist zu untersuchen, ob das Prostitutionsgesetz seinem Anspruch, die Sittenwidrigkeit der Prostitution abzuschaffen und die Rechte der Prostituierten zu stärken, gerecht wird. Nach einem Rückblick auf seine Entstehungsgeschichte, bei der auch der Frage nach dem verfassungsgemäßen Zustandekommen des Prostitutionsgesetzes nachgegangen wird, der Darstellung des Gesetzesinhaltes sowie der im Vorfeld geäußerten Kritik hieran und einer Übersicht der zivilgerichtlichen Entscheidungen des Reichsgerichtes und des BGH vor der neuen Gesetzeslage folgt eine ausführliche Würdigung der Regelungen im Einzelnen. Gleich zu Beginn werden die beiden vorrangigen Motive zur Einführung des Prostitutionsgesetzes hinterfragt. Verstoßen Verträge über die geschlechtliche Hingabe gegen Entgelt tatsächlich nicht mehr grundsätzlich gegen die guten Sitten? Werden sie nunmehr von der Rechtsordnung anerkannt? Der Wortlaut des neuen § 1 S. 1 Prostitutionsgesetz (fortan ProstG), der die Leistungspflichten der künftigen Vertragsparteien festschreibt, läßt daran zweifeln. Fraglich ist auch, ob das neue Gesetz die Rechte der Prostituierten ausschließlich stärkt. Das bis zur Verabschiedung des Gesetzes in ständiger Übung praktizierte Vorkasse-Prinzip wurde jedenfalls durch die neuen Regelungen faktisch aufgehoben.
Da sich der Wortlaut und die Materialien hierzu nicht näher verhalten, gilt es weiterhin, den sachlichen und persönlichen Anwendungsbereich des Prostitutionsgesetzes näher zu bestimmen. Welche Formen sexueller Dienstleistungen werden vom Prostitutionsgesetz erfasst? § 1 ProstG erwähnt lediglich „sexuelle Handlungen“. Unklar bleibt, ob das Gesetz nur solche Praktiken erfasst, bei denen sich die Beteiligten real, d.h. physisch gegenüberstehen oder auch zum Beispiel über das Telefon oder Internet geschlossene Sex-Verträge nach den neuen Vorschriften zu beurteilen sind. Finden die Vorschriften auch auf minderjährige Prostituierte oder Kunden Anwendung? Tangiert das Gesetz den Schutz von Ehe und Familie in Art. 6 Abs. 1 GG?
Waren aufgrund des Verdikts der Sittenwidrigkeit zivilrechtliche Detailerörterungen obsolet, stellen sich nunmehr eine Fülle von weiteren Fragen. Wie ist der zwischen Kunden und Prostituierter geschlossene Vertrag in den Katalog der Vertragstypen dogmatisch einzuordnen? Welche Pflichten werden für die Prostituierte, welche für den Kunden begründet? Welche Leistung ist geschuldet? Ist es mit dem Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts kompatibel, berücksichtigt es insbesondere die gewachsene Stellung des Verbrauchers? Gerade vor dem Hintergrund des Einwendungsausschlußes in § 2 S. 3 ProstG ergeben sich eine Reihe von Problemen. So soll dem Kunden vor allem der Schlechtleistungseinwand verwehrt werden. Dies führt jedoch nicht immer zu sachgerechten Ergebnissen. Es stellt sich auch die Frage, ob dem Kunden einer Prostituierten zumindest die Rechte aus § 311 Abs. 2 BGB n.F. oder Widerrufsrechte zustehen. Diese und weitere Probleme werden eingehend erörtert.
Der sexuelle Dienstleistungsvertrag ist mehrheitlich dadurch gekennzeichnet, daß an ihm auf der einen Seite die weibliche Prostituierte und auf der anderen Seite der männliche Kunde beteiligt sind. Der Verfasser orientiert sich ebenfalls an dieser Konstellation. Selbstverständlich existiert in unserer Gesellschaft auch heterosexuelle Prostitution zwischen männlichen Prostituierten und weiblichen Kunden sowie gleichgeschlechtliche Prostitution. Diese Formen sexueller Dienstleistungen kommen aber weitaus seltener vor. Im Übrigen spielt die geschlechtliche Zuordnung für die zu erörternden Probleme kaum eine Rolle. Soweit das Geschlecht der Beteiligten von Bedeutung ist, weist der Verfasser gesondert daraufhin.
Anhand ausgewählter rechtlicher Fallkonstellationen wird im Anschluß die weitere Praxistauglichkeit des Prostitutionsgesetzes auf den Prüfstand gestellt. Dabei geht es um die vertraglichen Beziehungen zwischen Prostituierten und den Betreibern von Bordellen, auch im mietrechtlichen Bereich. Das Prostitutionsgesetz läßt legale Arbeitsverhältnisse nun ausdrücklich zu, schränkt jedoch das Weisungsrecht des Arbeitgebers erheblich ein. Bietet das neue Recht insoweit einen realen Anreiz, Beschäftigungsverhältnisse mit Prostituierten abzuschließen? Wie gestalten sich die vertraglichen Beziehungen, wenn die Prostituierte selbständig in einem Bordell tätig ist?
Bedurfte es überhaupt eines neuen Gesetzes oder hätte sich das Ziel nicht auch mit den vorhandenen Instrumentarien erreichen lassen? Am Ende werden aus den durch die Analyse des Prostitutionsgesetzes gewonnenen Erkenntnisse konkrete Novellierungsvorschläge abgeleitet.
Das zweite Kapitel dieser Arbeit nimmt den Einfluß des Prostitutionsgesetzes auf das gewerbliche Ordnungsrecht in den Blick. Die Vorschriften des Gaststättengesetzes und der Gewerbeordnung knüpfen ihre zum Teil restriktiven Rechtsfolgen auch an den Begriff der Unsittlichkeit. Infolgedessen sahen sich Bordelle und Peep-Show-Lokale immer wieder von Schliessungen durch die Ordnungsbehörden bedroht. Beabsichtigt man nach dem Inkrafttreten des Prostitutionsgesetzes auch in dem Bereich des öffentlichen Rechtes zu neuen Bewertungen zu gelangen, müssen die gleichen Bewertungsmaßstäbe wie im Zivilrecht angewandt werden. Folglich stehen die guten Sitten als unbestimmter, somit auslegungsbedürftiger, Rechtsbegriff im Mittelpunkt der Betrachtungen.
Dabei werden zunächst die §§ 33a GewO, 4 GastG unter Berücksichtigung ihrer Entstehungsgeschichte vorgestellt. Anschließend folgt die Darstellung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes zu geschlechtsbezogenen Handlungen. Insbesondere in den sogenannten Peep-Show-Entscheidungen stellte das Bundesverwaltungsgericht bei der Bewertung der guten Sitten auf die Menschenwürde der Darstellerinnen ab und übertrug diesen Ansatz auch auf Prostituierte. Das Gericht sah in deren Tätigkeiten ausnahmslos
einen Verstoß gegen die Menschenwürde, ohne daß es auf die Freiwilligkeit der Agierenden ankam. Um nachzuprüfen, ob das Bundesverwaltungsgericht in dieser Frage von zutreffenden Prämissen ausgegangen ist, wird seine Position mit der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts und dem zu diesem Problem veröffentlichten Schriftum verglichen und analysiert.
Ebenso geht der Verfasser hinsichtlich der von dem Bundesverwaltungsgericht herangezogenen außerrechtlichen Kriterien zur Bewertung der Sittenwidrigkeit vor. In nuce geht es dabei um die Frage, ob sich die wertethischen Prinzipien einer Gesellschaft, deren sittliches Empfinden zu beurteilen ist, an gesollten (so der einschlägige Terminus) oder gelebten Verhaltensweisen orientieren. In diesem Kontext sind - anhand der reichsgerichtlichen Entscheidungen zur Anstandsformel, der Redaktion des § 138 Abs. 1 BGB und des historischen Schriftums -auch rechtsgeschichtliche Aspekte zu untersuchen. Welche Bewertungsmaßstäbe legten die Protagonisten jener Zeit an? Den Abschluß dieses historischen Abschnittes bildet eine Analyse der historischen Sichtweise auf die Prostitution zur Entstehungszeit des BGB.
Der letzte Abschnitt dieses Kapitels befasst sich mit aktuellen Entwicklungen auf dem Gebiet des Gaststättenrechtes. So spielen die Wertungen des Prostitutionsgesetzes auch bei der Zulassung sogenannter Swinger-Clubs eine entscheidende Rolle. Diesbezüglich ist der Meinungsstand in Rechtsprechung und Literatur darzustellen. Kontrovers diskutiert wird die Frage, wieweit die Ausstrahlungswirkung des Prostitutionsgesetz reicht. Daneben gilt es am Beispiel einer aktuellen, problembezogenen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes einen Auffassungswandel bei der Bewertung geschlechtsbezogener Handlungen zu konstatieren.
Gegen Ende der Arbeit thematisiert der Verfasser die europarechtliche Dimension. Inwieweit können sich Prostituierte nach ihrer rechtlichen Aufwertung durch den bundesdeutschen Gesetzgeber auf die europäischen Grundfreiheiten berufen? Mit diesem Problem befassten sich sowohl die Instanzgerichte, als auch das Bundesverwaltungsgericht und der EuGH, letzterer in zwei Judikaten. In diesem Kontext ist bei einer Analyse der Rechtssprechung des Bundesverwaltungsgerichtes eine grundlegende Änderung zu konstatieren.
Die Arbeit schließt mit einem Ausblick auf weitere ordnungsrechtliche Problemlagen und mit einer allgemeinen Bewertung der gegenwärtigen Rechtsposition Prostituierter.

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Siehe auch Sammelthema Prostitutionsrecht Deutschland: www.sexworker.at/prostg
[ergänzt Marc]