20.02.2013
Gericht:
Oberverwaltungsgericht NRW
Spruchkörper:
14. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
14 A 1763/12
Vorinstanz:
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, 2 K 4833/10
Tenor:
Das angegriffene Urteil wird geändert und sein Tenor wie folgt neu gefasst: Soweit das Verfahren in der Hauptsache für erledigt erklärt worden ist, wird es eingestellt.
Der Vergnügungssteuerbescheid der Beklagten vom 24. September 2010 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 15. Juli 2011 wird aufgehoben, soweit in ihm eine Vergnügungssteuer von mehr als 16.267,33 Euro festgesetzt wurde.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens erster Instanz tragen die Klägerin und die Beklagte je zur Hälfte.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die jeweilige Vollstreckungsschuldnerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die jeweilige Vollstreckungsgläubigerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Tatbestand:
2
Die Klägerin betreibt auf ihrem Grundstück T.-----ring in Dorsten seit dem Jahr 2002 den bordellartigen Betrieb I. .
3
Der Rat der Beklagten beschloss am 16. Dezember 2009 eine Vergnügungssteuersatzung für sexuelle Vergnügungen in der Stadt Dorsten ab dem 1. Januar 2010. Diese Satzung haben das Innen- und das Finanzministerium unter dem 10. Mai 2010 genehmigt. Die Sexsteuersatzung wurde am 20. Mai 2010 erneut beschlossen und am 25. Juni 2010 im Amtsblatt der Beklagten bekannt gemacht. Danach bemisst sich die Steuer nach der Größe des benutzten Raumes. Sie beträgt gemäß § 3 Abs. 3a für den bordellartigen Betrieb 3,00 Euro je Veranstaltungstag und angefangene 10 qm.
4
Nach einem Ortstermin zur Ermittlung der maßgeblichen Flächen setzte die Beklagte für das Jahr 2010 die Vergnügungssteuer durch Bescheid vom 24. September 2010 in Höhe von 33.150,00 Euro fest. Sie berücksichtige hierbei für den Innenbereich eine Fläche von 257,55 qm und 359 Veranstaltungstage. Hieraus ergab sich eine Steuer von 28.002,00 Euro. Für den Außenbereich nahm sie eine Fläche von 660 qm und 26 Veranstaltungstagen an. Sie ging davon aus, dass eine Benutzung nur an warmen Tagen in den Monaten Mai bis September stattfinde, wobei in diesen Monaten an durchschnittlich 53 Tagen eine Temperatur von über 25 Grad zu verzeichnen sei. Da unterstellt werde, dass die Außenfläche nicht an allen diesen Tagen genutzt werden könne, werde nur die Hälfte dieser Tage (somit 26) in Ansatz gebracht. Hieraus ergab sich eine Steuer von 5.148,00 Euro.
5
Nachdem die Klägerin weitere Angaben zu den Außenanlagen gemacht hatte, legte die Beklagte hierfür nur noch 335 qm zugrunde und reduzierte nach Klageerhebung mit Änderungsbescheid vom 15. Juli 2011 die für den Außenbereich festgesetzte Vergnügungssteuer auf 2.652,00 Euro. Insgesamt ergab sich somit für das Jahr 2010 eine Steuer von 30.654,00 Euro. Hinsichtlich des ursprünglich geforderten Mehrbetrags haben die Beteiligten die Hauptsache für erledigt erklärt.
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Zur Begründung ihrer am 26. Oktober 2010 erhobenen Klage hat die Klägerin geltend gemacht, der in der Satzung verwendete Raumgrößenmaßstab sei ungeeignet, den Vergnügungsaufwand der Freier abzubilden. Die angeordnete rückwirkende Geltung der Satzung verstoße gegen Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes - GG -. Im September 2010 habe sie - die Klägerin - nicht mit einer rückwirkenden Besteuerung ab Januar 2010 rechnen müssen.
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Die Klägerin hat beantragt,
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den Bescheid der Beklagten vom 24. September 2010 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 15. Juli 2011 über die Festsetzung von Vergnügungssteuern für das Jahr 2010 aufzuheben.
9
Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie hat geltend gemacht: Der ursprüngliche Verstoß gegen § 2 Abs. 2 des Kommunalabgabengesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen - KAG - sei rückwirkend geheilt worden, nachdem die ministeriellen Genehmigungen eingeholt worden seien. Die Anwendung des Flächenmaßstabes sei hier unbedenklich. Es liege keine unzulässige Rückwirkung vor, weil die Klägerin seit dem Jahr 2003 gewusst habe, dass eine sogenannte Sexsteuer erhoben werden solle. Die Steuer habe keine erdrosselnde Wirkung. Dies zeige sich schon daran, dass die Klägerin ihren Betrieb seit über acht Jahren führe und ihn erweitert habe.
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Durch das angegriffene Urteil hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen.
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Hiergegen hat die Klägerin einen Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt.
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Durch Beschluss vom 11. September 2012 hat der Senat die Berufung zugelassen, soweit die Klägerin durch den Bescheid vom 24. September 2010 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 15. Juli 2011 zu einer Vergnügungssteuer in Höhe von mehr als 16.267,33 Euro herangezogen worden ist. Damit ist die Berufung zugelassen worden für den Erhebungszeitraum vom 1. Januar 2010 bis zum 25. Juni 2010. Bezüglich des übrigen Zeitraumes ab 26. Juni 2010 hat der Senat den Zulassungsantrag abgelehnt.
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Zur Begründung ihrer Berufung macht die Klägerin geltend, der Steuermaßstab nach der Größe der Fläche sei mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar. Die rückwirkende Heranziehung für den Zeitraum vom 1. Januar 2010 bis zum 25. Juni 2010 sei unzulässig, weil sie gegen das rechtsstaatliche Vertrauensschutzgebot verstoße. Die konkrete Flächenberechnung des Betriebes sei fehlerhaft erfolgt. Die Satzung knüpfe an den Tatbestand der gezielten Einräumung der Gelegenheit zu sexuellen Vergnügungen an. Diese fänden ausschließlich in den sechs Ruheräumen statt. Die anderen Bereiche, die von den Besuchern betreten würden, dürften nicht als Veranstaltungsfläche angesehen werden.
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Die Klägerin beantragt,
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das angegriffene Urteil zu ändern und den Bescheid der Beklagten vom 24. September 2010 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 15. Juli 2011 insoweit aufzuheben, als sie zu einer Vergnügungssteuer von mehr als 16.267,33 Euro herangezogen worden ist.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Der Steuermaßstab sei nicht zu beanstanden. Da die Erfassung des individuellen Aufwandes des einzelnen Freiers kaum möglich sei, könne ein Wahrscheinlichkeitsmaßstab gewählt werden.
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Die Satzung stelle auch für den Zeitraum vom 1. Januar 2010 bis zum 20. Mai 2010 eine wirksame Ermächtigungsgrundlage dar. Es sei davon auszugehen, dass der Erlass des Innenministeriums vom 7. November 2003, mit dem er das Genehmigungserfordernis für die Einführung einer Steuer für sexuelle Vergnügungen verneint habe, in eine Genehmigung umgedeutet werden könne. Ein eventueller Irrtum des Ministeriums sei als konkludente Genehmigung auszulegen. Im Übrigen liege eine unechte Rückwirkung vor, die verfassungsrechtlich grundsätzlich zulässig sei. Gemäß § 6 Abs. 1 der Satzung sei Festsetzungszeitraum das Kalenderjahr. Da die Satzung im laufenden Kalenderjahr bekannt gemacht worden sei, handele es sich allenfalls um eine solche unechte Rückwirkung. Ein überwiegendes Vertrauen seitens der Klägerin, nicht herangezogen zu werden, bestehe nicht. Selbst wenn von einer echten Rückwirkung ausgegangen werde, liege kein schützenswertes Vertrauen der Klägerin vor. Sie habe nämlich zu keinem Zeitpunkt auf den Nichtbestand der Satzung aufgrund fehlender Genehmigung vertraut. Sie sei seit dem Jahr 2003 zur Vergnügungssteuer herangezogen worden. In den verschiedenen verwaltungsgerichtlichen Verfahren habe sie nicht das Fehlen einer Genehmigung gerügt. Die am 16. Dezember 2009 beschlossene Satzung habe formell rechtlich fortgewirkt. Es sei zu keinem Zeitpunkt mitgeteilt worden, dass auf eine Steuererhebung verzichtet werde. Die Klägerin habe damit rechnen müssen, dass die Satzungsmängel rückwirkend geheilt würden. Im Übrigen stelle sich die Frage, ob sich die Klägerin auf das Fehlen einer Genehmigung berufen könne. Die Genehmigung nach § 2 Abs. 2 KAG NRW sei weder drittschützend noch komme ihr Außenwirkung zu. Die Genehmigung habe nur Rechtswirkungen im Rahmen der Rechts- und Fachaufsicht zwischen dem Land und den Gemeinden.
22
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Verfahrensakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Berufung hat Erfolg.
25
Der Bescheid vom 24. September 2010 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 15. Juli 2011 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, soweit in ihm eine Steuer von mehr als 16.267,33 Euro festgesetzt wurde. Die Beklagte durfte die Klägerin nämlich nicht zur Sexsteuer für den Zeitraum vom 1. Januar 2010 bis zum 25. Juni 2010, dem Tag der Bekanntmachung der Satzung über die Erhebung einer Steuer für sexuelle Vergnügungen in der Stadt Dorsten vom 20. Mai 2010 (VS) heranziehen. Erst am Tag nach der Bekanntmachung der Sexsteuersatzung (vgl. § 7 Abs. 4 Satz 2 der Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen - GO - ) ist wirksames Satzungsrecht entstanden.
26
Die Anordnung der rückwirkenden Inkraftsetzung der Satzung zum 1. Januar 2010 in § 11 VS ist nichtig, weil sie gegen das verfassungsrechtlich geschützte Vertrauen verstößt, dass an in der Vergangenheit liegende abgeschlossene Tatbestände nicht nachträglich belastende Folgen geknüpft werden. Es liegt nämlich eine echte Rückwirkung vor, weil sexuelle Vergnügungen in Dorsten vor Erlass der Satzung vom 20. Mai 2010 nicht (wirksam) besteuert wurden. Der Senat hat dies zu einer vergleichbaren Fallgestaltung, in dem auch für eine rückwirkend in Kraft gesetzte Sexsteuersatzung die ministeriellen Genehmigungen nach § 2 Abs. 2 des Kommunalabgabengesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen KAG erteilt wurden, entschieden.
27
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 12. April 2012 14 B 1520/11 -, NRWE, Rn. 8 ff.
28
Dieser Beschluss erging zwar in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes. Der Senat sieht aber in diesem Klageverfahren keinen Grund, von den dort gemachten Ausführungen abzuweichen. Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist der Senat deshalb auf die Ausführungen in dem Beschluss vom 12. April 2012.
29
Die Einwendungen der Beklagten hiergegen greifen nicht durch. Ihre Auffassung, es sei davon auszugehen, dass der Erlass des Innenministeriums vom 7. November 2003, mit dem es das Genehmigungserfordernis für die Einführung einer Steuer für sexuelle Vergnügungen verneint habe, in eine Genehmigung umgedeutet werden könne, geht fehl. Wenn das Innenministerium im Einvernehmen mit dem Finanzministerium seinerzeit die Rechtsauffassung vertreten hat, eine Genehmigung sei nicht erforderlich, so schließt dies die Annahme aus, es werde gleichwohl konkludent eine Genehmigung erteilt. Eine Umdeutung setzt unter anderem voraus, dass die Handlung, in die umzudeuten ist (hier: Genehmigung) auf das gleiche Ziel gerichtet ist wie die umzudeutende Handlung (hier: Verneinung der Genehmigungsbedürftigkeit), vgl. § 47 Abs. 1 des Verwaltungsverfahrensgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen - VwVfG NRW - für die Umdeutung eines fehlerhaften Verwaltungsaktes. Die durch den Erlass des Innenministeriums verneinte Genehmigungsbedürftigkeit ist gerade nicht auf dasselbe Ziel gerichtet wie eine Genehmigung. Das Innenministerium steigt - wie sich eindeutig aus dem Erlass ergibt - gar nicht in die - ermessensabhängige - Prüfung ein, ob eine Genehmigung erteilt werden soll.
30
Soweit die Beklagte auf § 6 Abs. 1 VS verweist, wonach der Festsetzungszeitraum für die Steuer das Kalenderjahr sei und dazu angibt, eine Satzung, die im laufenden Kalenderjahr bekannt gemacht werde, entfalte allenfalls unechte Rückwirkung, verkennt sie die Sach- und Rechtslage. Die Beklagte bezieht sich insoweit auf die Veranlagungszeitraumrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Diese Rechtsprechung bezieht sich auf Steuern, die am Ende des Veranlagungszeitraums (meist Kalenderjahr) entstehen. Dann stellt eine zuvor erfolgte Rechtsänderung eine unechte Rückwirkung dar, da nur eine Steuer nach der Rechtsänderung betroffen ist.
31
Vgl. dazu Hey, in Tipke/Lang, Steuerrecht, 21. Aufl., § 3 Rn. 263 ff.
32
Erfasst wird etwa die Konstellation, dass eine Steuer, die am Ende eines Jahres entsteht, während des laufenden Kalenderjahres erhöht wurde und die Erhöhung sich auch auf vor dem Inkrafttreten der Änderung erzielte Einkünfte erstreckt.
33
Vgl. dazu BFH, Urteil vom 25. Juni 1992, BFH IV R 9/92 - BFHE 167, 551, zum Solidaritätszuschlag (unter Hinweis auf Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts).
34
Hier geht es aber nicht um eine am Jahresende entstehende Steuer. Maßgeblich ist § 5 VS. Danach entsteht der Steueranspruch mit dem Abschluss der Veranstaltung. Dies ist nach § 3 Abs. 3 VS das Ende eines jeden Veranstaltungstages, wobei nach § 3 Abs. 4 kein weiterer Veranstaltungstag in Ansatz zu bringen ist, wenn eine Veranstaltung am nächsten Tag bis 6.00 Uhr endet. Steuerentstehungszeitpunkt ist damit der Kalendertag, da Maßstab der Veranstaltungstag ist und keine spezielle Regelung über eine anderweitige Entstehung der Steuer bestimmt ist. Aus § 6 Abs. 1 VS ergibt sich nichts Gegenteiliges. § 6 Abs. 1 VS spricht von regelmäßig wiederkehrenden Veranstaltungen, also von mehreren Veranstaltungen, die hintereinander stattfinden. Damit handelt es sich gerade nicht um eine einzige Veranstaltung. Im Übrigen betrifft die Norm nur die Festsetzung von Vorauszahlungen für die Steuer, sie besagt also nichts zum Zeitpunkt der Steuerentstehung.
35
Hier ist zudem nicht eine bereits erhobene Jahressteuer nachträglich im Sinne etwa einer Erhöhung verändert worden, sondern es wurde erst durch die Bekanntmachung der Satzung über die Erhebung einer Steuer für sexuelle Vergnügungen am 25. Juni 2010 erstmals wirksam Recht geschaffen, durch das sexuelle Vergnügungen besteuert wurden. Selbst wenn hier entsprechend der Auffassung der Beklagten von einer unechten Rückwirkung ausgegangen werden sollte, so steht dieser Fall einer echten Rückwirkung nahe und würde besonderen Anforderungen unter den Gesichtspunkten von Vertrauensschutz und Verhältnismäßigkeit unterliegen.
36
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. Oktober 2012
37
1 BvL 6/07 -, NJW 2013, 145 (146 f.).
38
Hier liegt eine echte Rückwirkung vor, die unzulässig ist,
39
vgl. OVG NRW, Beschluss vom 12. April 2012
40
a. a. O., Rn. 8 ff.
41
Soweit die Beklagte hiergegen einwendet, es handele sich bei der fehlenden Genehmigung nach § 2 Abs. 2 KAG um einen Satzungsmangel, der wie andere Satzungsmängel auch rückwirkend geheilt werden könne, weist der Senat nochmals darauf hin, dass diese Auffassung unzutreffend ist. Bei der zulässigen rückwirkenden Heilung von Satzungsmängeln war der Satzungsgeber in der Lage und berechtigt, eine Satzung zu erlassen, die diesen Mangel nicht aufwies. Hier war die Beklagte jedoch ohne Genehmigung des Finanzministeriums und des Innenministeriums gemäß § 2 Abs. 2 KAG überhaupt nicht befugt, eine Sexsteuersatzung zu erlassen; vielmehr machte erst die Genehmigung den Weg frei, wirksam eine Satzung zu erlassen, mit der die neue Steuer eingeführt wurde.
42
Der weitere Einwand, die Klägerin habe zu keinem Zeitpunkt auf einen Nichtbestand der Satzung aufgrund fehlender Genehmigung vertraut, weil sie in keinem der verwaltungsgerichtlichen Verfahren das Fehlen einer Genehmigung gerügt habe, erlaubt die rückwirkende Steuererhebung nicht. Da es um die Gültigkeit oder Ungültigkeit einer rückwirkenden Satzungsregelung geht, kommt es auf ein individuelles Vertrauen einzelner Steuerschuldner nicht an. Maßgeblich ist vielmehr, ob es objektive Gründe dafür gibt, dass ein Vertrauen darauf, nicht rückwirkend mit einer Steuer belastet zu werden, für die von der Satzung rückwirkend geregelten Steuerfälle zerstört war. Das ist nicht der Fall. Der bloße Versuch, ohne ministerielle Genehmigung die Sexsteuer in Dorsten einzuführen, war keine geeignete gemeindliche Willensbekundung zur Zerstörung dieses Vertrauens, da es gerade von der in das Ermessen der Ministerien gestellten Entscheidung abhing, ob die Steuer eingeführt wurde oder nicht. Wegen der bloßen Möglichkeit, dass die Genehmigung erteilt würde, war ein Steuerschuldner nicht gehalten, sich auf eine Steuerbelastung schon vor der Bekanntmachung der genehmigten Satzung einzustellen und bereits im Vorgriff auf eine eventuelle Genehmigung die Steuer preiserhöhend abzuwälzen. Vielmehr durfte er darauf vertrauen, dass er erst ab der Bekanntmachung einer genehmigten Satzung Steuern zu zahlen hatte.
43
Soweit die Klägerin geltend macht, die Genehmigung nach § 2 Abs. 2 KAG sei weder drittschützend noch komme ihr Außenwirkung zu, so dass ihr Fehlen keinen Vertrauensschutz des Steuerpflichtigen begründe, kann auch hieraus keine Zulässigkeit der Rückwirkung hergeleitet werden. Es geht nicht um eine Anfechtung der Genehmigung durch einen Steuerpflichtigen. Eine rechtsgültig erteilte Genehmigung ist vielmehr Voraussetzung für das Zustandekommen einer wirksamen Satzung.
44
Vgl. Holtbrügge, in Driehaus Kommunalabgabenrecht, Loseblattkommentar, Stand: (September 2011), § 2 Rn. 110.
45
Die Wirksamkeit des einem Abgabebescheid zugrunde liegenden Satzungsrechts ist von Amts wegen zu berücksichtigen. Ein Steuerbescheid, der sich nicht auf eine Ermächtigungsgrundlage stützen kann, ist rechtswidrig und stellt eine Rechtsverletzung dar.
46
Da die Sexsteuersatzung somit erst am Tag nach Ihrer Bekanntmachung wirksam wurde, war der Steuerbescheid vom 24. September 2010 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 15. Juli 2011 insoweit aufzuheben, als die Klägerin für den Zeitraum vom 1. Januar 2010 bis zum 25. Juni 2010 (Bekanntmachung der Satzung) zur Steuer herangezogen worden ist.
47
Für die Flächen des Innenbereiches des bordellartigen Betriebes hat die Beklagte für das gesamte Jahr 2010 359 Tage in Ansatz gebracht und hierfür eine Steuer in Höhe von 28.002,00 Euro festgesetzt. Dies ergibt eine Steuer pro Tag von 78,00 Euro. Unter Berücksichtigung der Tage, an denen nach Angaben der Klägerin das Bordell geschlossen ist (einige Feiertage) entfallen auf den Zeitraum vom 1. Januar 2010 bis zum 25. Juni 2010 172 Tage. Bei einer Sexsteuer von 78,00 Euro pro Tag ergibt dies einen Betrag von 13.416,00 Euro.
48
Für die Nutzung des Außenbereiches in den Monaten Mai bis September, also für einen Zeitraum von 153 Tagen, hat die Beklagte nach dem Änderungsbescheid vom 15. Juli 2011 insgesamt 2.652,00 Euro gefordert. Auf den Zeitraum vom 1. Mai 2010 bis zum 25. Juni 2010, also für 56 Tage, entfällt somit ein Anteil von 56/153, also ein Betrag von 970,67 Euro. Von dem insgesamt geforderten Steuerbetrag von 30.654,00 Euro für den Innen- und Außenbereich im Jahr 2010 sind somit für den Zeitraum bis zum 25. Juni 2010 14.386,67 Euro in Abzug zu bringen. In diesem Umfang hat die Klage Erfolg.
49
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 155 Abs. 1, 161 Abs. 2 VwGO.
50
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
51
Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.
http://www.justiz.nrw.de/nrwe/ovgs/ovg_ ... 30220.html
Kasharius grüßt
OVG NRW 14 A 1763/12 Urteil vom 20.02.2013 Sexsteuer
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