Richter kippen Bordellverbot/BVG Urteil Sperrgebietsverordnu

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annainga
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RE: Richter kippen Bordellverbot

Beitrag von annainga »

der VGH kassel sollte zudem die eigene stadt prüfen, auf deren stadtverwaltungsseiten seit jahren dazu aufgerufen wird, prostituierte anzuzeigen.

Sie fühlen sich durch Prostitution an einer bestimmten Stelle im Stadtgebiet gestört oder belästigt? Wir können Ihnen telefonisch Auskunft darüber geben, ob die Prostitution dort zulässig oder verboten ist! Ist die Prostitution verboten, können Sie die Polizei anrufen und bitten, die Person zu ermitteln und bei uns anzuzeigen. Ist Ihnen die Person selbst bekannt, können Sie diese auch direkt bei uns anzeigen; schriftlich per Post oder persönlich in unseren Diensträumen.

http://www.serviceportal-kassel.de/cms0 ... index.html

das steht da schon seit jahren und seit jahren reg ich ich darüber auf.

wie toll, dass es endlich gerichtsurteile gibt, die damit schluss machen.

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fraences
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RE: Richter kippen Bordellverbot

Beitrag von fraences »

Keine Einschränkung der Ermächtigung zum Erlass einer Sperrgebietsverordnung infolge des Prostitutionsgesetzes

Die ge­setz­li­che Er­mäch­ti­gung zum Er­lass einer Sperr­ge­biets­ver­ord­nung in Art. 297 des Ein­füh­rungs­ge­setz­buchs zum Straf­ge­setz­buch (EGStGB) ist nicht dahin ein­ge­schränkt, eine Sperr­ge­biets­ver­ord­nung dürfe eine öf­fent­lich nicht wahr­nehm­ba­re Aus­übung der Pro­sti­tu­ti­on nur unter der Vor­aus­set­zung un­ter­bin­den, dass sie eine kon­kre­te Be­läs­ti­gung der Öf­fent­lich­keit durch Be­gleit­erschei­nun­gen der Pro­sti­tu­ti­on her­vor­ruft. Das hat das Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt in Leip­zig heute ent­schie­den.

Nach Art. 297 EGStGB kann zum Schutz der Ju­gend oder des öf­fent­li­chen An­stan­des für Teile des Ge­biets einer Ge­mein­de durch Rechts­ver­ord­nung ver­bo­ten wer­den, der Pro­sti­tu­ti­on nach­zu­ge­hen. Ge­stützt hier­auf er­ließ der dafür zu­stän­di­ge Re­gie­rungs­prä­si­dent Darm­stadts im Jahre 1986 die Ver­ord­nung zum Schut­ze der Ju­gend und des öf­fent­li­chen An­stands in Frank­furt am Main (Sperr­ge­biets­ver­ord­nung). Sie un­ter­sagt in einem näher um­schrie­be­nen Teil des Stadt­ge­biets jede Form der Pro­sti­tu­ti­ons­aus­übung und lässt sie in an­de­ren eben­falls näher um­schrie­be­nen Tei­len zu. Im üb­ri­gen Stadt­ge­biet ist es ver­bo­ten, auf öf­fent­li­chen Stra­ßen, Wegen, Plät­zen, in öf­fent­li­chen An­la­gen und an sons­ti­gen Orten, die von dort ein­ge­se­hen wer­den kön­nen, sowie in Pro­sti­tu­ier­ten­wohn­hei­men, Pro­sti­tu­ier­ten­un­ter­künf­ten und ähn­li­chen Ein­rich­tun­gen (u. a. in so­ge­nann­ten Mas­sa­ge­sa­lons und sons­ti­gen über­wie­gend von Pro­sti­tu­ier­ten ge­nutz­ten Häu­sern) der Pro­sti­tu­ti­on nach­zu­ge­hen.

Der Klä­ger ver­mie­te­te das Hin­ter­haus auf einem ihm ge­hö­ren­den Haus­grund­stück zum Be­trieb eines so­ge­nann­ten Mas­sa­ge­stu­di­os, in dem Pro­sti­tu­ier­te ihre Dienst­leis­tun­gen an­bie­ten. Das Grund­stück liegt in dem Teil der Stadt Frank­furt am Main, in dem nach der Sperr­ge­biets­ver­ord­nung die Pro­sti­tu­ti­on in Pro­sti­tu­ier­ten­wohn­hei­men, Pro­sti­tu­ier­ten­un­ter­künf­ten und ähn­li­chen Ein­rich­tun­gen ver­bo­ten ist. Die be­klag­te Stadt Frank­furt am Main un­ter­sag­te dem Klä­ger durch die an­ge­foch­te­ne Ver­fü­gung, seine Lie­gen­schaft zur Aus­übung der Pro­sti­tu­ti­on zur Ver­fü­gung zu stel­len, und stütz­te sich hier­für auf einen Ver­stoß gegen die Sperr­ge­biets­ver­ord­nung. Das Ver­wal­tungs­ge­richt Frank­furt am Main wies die hier­ge­gen er­ho­be­ne Klage des Klä­gers ab. Der Ver­wal­tungs­ge­richts­hof Kas­sel hob auf die Be­ru­fung des Klä­gers die Un­ter­sa­gungs­ver­fü­gung auf: Die weit­ge­hen­de Le­ga­li­sie­rung der Pro­sti­tu­ti­on durch das am 1. Ja­nu­ar 2002 in Kraft ge­tre­te­ne Pro­sti­tu­ti­ons­ge­setz und der darin ma­ni­fes­tier­te Wan­del der ge­sell­schaft­li­chen Ak­zep­tanz der Pro­sti­tu­ti­on ver­bö­ten es, bei der An­wen­dung der Er­mäch­ti­gungs­grund­la­ge des Art. 297 EGStGB die Aus­übung der Pro­sti­tu­ti­on au­ßer­halb aus­ge­wie­se­ner To­le­ranz­zo­nen als Stö­rung der öf­fent­li­chen Si­cher­heit oder Ord­nung ein­zu­stu­fen, ohne die aus ihrer Aus­übung re­sul­tie­ren­de schäd­li­che Aus­wir­kun­gen auf die Nach­bar­schaft, ins­be­son­de­re auf dort le­ben­de Ju­gend­li­che und Kin­der kon­kret zu be­wer­ten.

Auf die Re­vi­si­on der be­klag­ten Stadt hat das Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt die Ab­wei­sung der Klage durch das erst­in­stanz­li­che Ur­teil wie­der­her­ge­stellt. Die Le­ga­li­sie­rung der Pro­sti­tu­ti­ons­aus­übung nach Maß­ga­be des Pro­sti­tu­ti­ons­ge­set­zes aus dem Jahr 2001 schließt es nicht aus, durch den Er­lass von Sperr­ge­biets­ver­ord­nun­gen eine lo­ka­le Steue­rung der Pro­sti­tu­ti­ons­aus­übung aus ord­nungs­recht­li­chen Grün­den zu be­wir­ken. Der Ju­gend­schutz sowie die Wah­rung des öf­fent­li­chen An­stan­des sind le­gi­ti­me Ge­mein­wohl­zie­le. Auch un­ter­halb der po­li­zei­recht­li­chen Ge­fah­ren­schwel­le dür­fen die be­tref­fen­den Schutz­gü­ter vor er­heb­li­chen Be­ein­träch­ti­gun­gen be­wahrt wer­den. Der Schutz des öf­fent­li­chen An­stands er­for­dert dabei, dass die Ei­gen­art be­trof­fe­ner Ge­bie­te durch eine be­son­de­re Schutz­be­dürf­tig­keit und Sen­si­bi­li­tät, z.B. als Ge­biet mit hohem Wohn­an­teil sowie Schu­len, Kin­der­gär­ten, Kir­chen und so­zia­len Ein­rich­tun­gen, ge­kenn­zeich­net ist, und dass daher eine nach außen in Er­schei­nung tre­ten­de Aus­übung der Pro­sti­tu­ti­on ty­pi­scher­wei­se damit ver­bun­de­ne Be­läs­ti­gun­gen und mi­lieu­be­ding­te Un­ru­he, wie z.B. das Wer­ben von Frei­ern und an­stö­ßi­ges Ver­hal­ten ge­gen­über Pas­san­tin­nen und An­woh­ne­rin­nen, be­fürch­ten las­sen muss. Für den Er­lass einer Ver­ord­nung ge­nügt die Pro­gno­se, dass das ver­bo­te­ne Ver­hal­ten in hin­rei­chen­der Weise die abs­trak­te Mög­lich­keit einer sol­chen Be­ein­träch­ti­gung be­grün­det. Dass die Pro­sti­tu­ti­ons­aus­übung die abs­trak­te Mög­lich­keit einer Be­ein­träch­ti­gung des Ju­gend­schut­zes oder des öf­fent­li­chen An­stan­des be­grün­det, so­fern sie im räum­li­chen Be­zugs­feld von Ge­bie­ten statt­fin­det, die auf­grund ihrer Ei­gen­art durch eine be­son­de­re Schutz­be­dürf­tig­keit und Sen­si­bi­li­tät ge­kenn­zeich­net sind, steht außer Frage. Nach den Fest­stel­lun­gen des Ver­wal­tungs­ge­richts­hofs be­fin­den sich in dem in Rede ste­hen­den Ge­biet je­den­falls Kin­der­ta­ges­stät­ten und eine Schu­le sowie Wohn­an­la­gen. Das Ge­biet ist schon des­we­gen durch eine be­son­de­re Schutz­be­dürf­tig­keit und Sen­si­bi­li­tät ge­kenn­zeich­net.

BVerwG 6 C 28.13 - Ur­teil vom 17. De­zem­ber 2014

Vor­in­stan­zen:
VGH Kas­sel 8 A 1245/12 - Ur­teil vom 31. Ja­nu­ar 2013
VG Frank­furt am Main 5 K 4980/11.F - Ur­teil vom 03. Fe­bru­ar 2012

http://www.bverwg.de/presse/pressemitte ... 2014&nr=83
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RE: Richter kippen Bordellverbot

Beitrag von fraences »

Keine Einschränkung der Ermächtigung zum Erlass einer Sperrgebietsverordnung infolge des Prostitutionsgesetzes

Die ge­setz­li­che Er­mäch­ti­gung zum Er­lass einer Sperr­ge­biets­ver­ord­nung in Art. 297 des Ein­füh­rungs­ge­setz­buchs zum Straf­ge­setz­buch (EGStGB) ist nicht dahin ein­ge­schränkt, eine Sperr­ge­biets­ver­ord­nung dürfe eine öf­fent­lich nicht wahr­nehm­ba­re Aus­übung der Pro­sti­tu­ti­on nur unter der Vor­aus­set­zung un­ter­bin­den, dass sie eine kon­kre­te Be­läs­ti­gung der Öf­fent­lich­keit durch Be­gleit­erschei­nun­gen der Pro­sti­tu­ti­on her­vor­ruft. Das hat das Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt in Leip­zig heute ent­schie­den.

Nach Art. 297 EGStGB kann zum Schutz der Ju­gend oder des öf­fent­li­chen An­stan­des für Teile des Ge­biets einer Ge­mein­de durch Rechts­ver­ord­nung ver­bo­ten wer­den, der Pro­sti­tu­ti­on nach­zu­ge­hen. Ge­stützt hier­auf er­ließ der dafür zu­stän­di­ge Re­gie­rungs­prä­si­dent Darm­stadts im Jahre 1986 die Ver­ord­nung zum Schut­ze der Ju­gend und des öf­fent­li­chen An­stands in Frank­furt am Main (Sperr­ge­biets­ver­ord­nung). Sie un­ter­sagt in einem näher um­schrie­be­nen Teil des Stadt­ge­biets jede Form der Pro­sti­tu­ti­ons­aus­übung und lässt sie in an­de­ren eben­falls näher um­schrie­be­nen Tei­len zu. Im üb­ri­gen Stadt­ge­biet ist es ver­bo­ten, auf öf­fent­li­chen Stra­ßen, Wegen, Plät­zen, in öf­fent­li­chen An­la­gen und an sons­ti­gen Orten, die von dort ein­ge­se­hen wer­den kön­nen, sowie in Pro­sti­tu­ier­ten­wohn­hei­men, Pro­sti­tu­ier­ten­un­ter­künf­ten und ähn­li­chen Ein­rich­tun­gen (u. a. in so­ge­nann­ten Mas­sa­ge­sa­lons und sons­ti­gen über­wie­gend von Pro­sti­tu­ier­ten ge­nutz­ten Häu­sern) der Pro­sti­tu­ti­on nach­zu­ge­hen.

Der Klä­ger ver­mie­te­te das Hin­ter­haus auf einem ihm ge­hö­ren­den Haus­grund­stück zum Be­trieb eines so­ge­nann­ten Mas­sa­ge­stu­di­os, in dem Pro­sti­tu­ier­te ihre Dienst­leis­tun­gen an­bie­ten. Das Grund­stück liegt in dem Teil der Stadt Frank­furt am Main, in dem nach der Sperr­ge­biets­ver­ord­nung die Pro­sti­tu­ti­on in Pro­sti­tu­ier­ten­wohn­hei­men, Pro­sti­tu­ier­ten­un­ter­künf­ten und ähn­li­chen Ein­rich­tun­gen ver­bo­ten ist. Die be­klag­te Stadt Frank­furt am Main un­ter­sag­te dem Klä­ger durch die an­ge­foch­te­ne Ver­fü­gung, seine Lie­gen­schaft zur Aus­übung der Pro­sti­tu­ti­on zur Ver­fü­gung zu stel­len, und stütz­te sich hier­für auf einen Ver­stoß gegen die Sperr­ge­biets­ver­ord­nung. Das Ver­wal­tungs­ge­richt Frank­furt am Main wies die hier­ge­gen er­ho­be­ne Klage des Klä­gers ab. Der Ver­wal­tungs­ge­richts­hof Kas­sel hob auf die Be­ru­fung des Klä­gers die Un­ter­sa­gungs­ver­fü­gung auf: Die weit­ge­hen­de Le­ga­li­sie­rung der Pro­sti­tu­ti­on durch das am 1. Ja­nu­ar 2002 in Kraft ge­tre­te­ne Pro­sti­tu­ti­ons­ge­setz und der darin ma­ni­fes­tier­te Wan­del der ge­sell­schaft­li­chen Ak­zep­tanz der Pro­sti­tu­ti­on ver­bö­ten es, bei der An­wen­dung der Er­mäch­ti­gungs­grund­la­ge des Art. 297 EGStGB die Aus­übung der Pro­sti­tu­ti­on au­ßer­halb aus­ge­wie­se­ner To­le­ranz­zo­nen als Stö­rung der öf­fent­li­chen Si­cher­heit oder Ord­nung ein­zu­stu­fen, ohne die aus ihrer Aus­übung re­sul­tie­ren­de schäd­li­che Aus­wir­kun­gen auf die Nach­bar­schaft, ins­be­son­de­re auf dort le­ben­de Ju­gend­li­che und Kin­der kon­kret zu be­wer­ten.

Auf die Re­vi­si­on der be­klag­ten Stadt hat das Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt die Ab­wei­sung der Klage durch das erst­in­stanz­li­che Ur­teil wie­der­her­ge­stellt. Die Le­ga­li­sie­rung der Pro­sti­tu­ti­ons­aus­übung nach Maß­ga­be des Pro­sti­tu­ti­ons­ge­set­zes aus dem Jahr 2001 schließt es nicht aus, durch den Er­lass von Sperr­ge­biets­ver­ord­nun­gen eine lo­ka­le Steue­rung der Pro­sti­tu­ti­ons­aus­übung aus ord­nungs­recht­li­chen Grün­den zu be­wir­ken. Der Ju­gend­schutz sowie die Wah­rung des öf­fent­li­chen An­stan­des sind le­gi­ti­me Ge­mein­wohl­zie­le. Auch un­ter­halb der po­li­zei­recht­li­chen Ge­fah­ren­schwel­le dür­fen die be­tref­fen­den Schutz­gü­ter vor er­heb­li­chen Be­ein­träch­ti­gun­gen be­wahrt wer­den. Der Schutz des öf­fent­li­chen An­stands er­for­dert dabei, dass die Ei­gen­art be­trof­fe­ner Ge­bie­te durch eine be­son­de­re Schutz­be­dürf­tig­keit und Sen­si­bi­li­tät, z.B. als Ge­biet mit hohem Wohn­an­teil sowie Schu­len, Kin­der­gär­ten, Kir­chen und so­zia­len Ein­rich­tun­gen, ge­kenn­zeich­net ist, und dass daher eine nach außen in Er­schei­nung tre­ten­de Aus­übung der Pro­sti­tu­ti­on ty­pi­scher­wei­se damit ver­bun­de­ne Be­läs­ti­gun­gen und mi­lieu­be­ding­te Un­ru­he, wie z.B. das Wer­ben von Frei­ern und an­stö­ßi­ges Ver­hal­ten ge­gen­über Pas­san­tin­nen und An­woh­ne­rin­nen, be­fürch­ten las­sen muss. Für den Er­lass einer Ver­ord­nung ge­nügt die Pro­gno­se, dass das ver­bo­te­ne Ver­hal­ten in hin­rei­chen­der Weise die abs­trak­te Mög­lich­keit einer sol­chen Be­ein­träch­ti­gung be­grün­det. Dass die Pro­sti­tu­ti­ons­aus­übung die abs­trak­te Mög­lich­keit einer Be­ein­träch­ti­gung des Ju­gend­schut­zes oder des öf­fent­li­chen An­stan­des be­grün­det, so­fern sie im räum­li­chen Be­zugs­feld von Ge­bie­ten statt­fin­det, die auf­grund ihrer Ei­gen­art durch eine be­son­de­re Schutz­be­dürf­tig­keit und Sen­si­bi­li­tät ge­kenn­zeich­net sind, steht außer Frage. Nach den Fest­stel­lun­gen des Ver­wal­tungs­ge­richts­hofs be­fin­den sich in dem in Rede ste­hen­den Ge­biet je­den­falls Kin­der­ta­ges­stät­ten und eine Schu­le sowie Wohn­an­la­gen. Das Ge­biet ist schon des­we­gen durch eine be­son­de­re Schutz­be­dürf­tig­keit und Sen­si­bi­li­tät ge­kenn­zeich­net.

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http://www.bverwg.de/presse/pressemitte ... 2014&nr=83
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Beitrag von fraences »

Ich müsste eigentlich den Titel ändern. jetzt nach dem heutigen Urteil.

Hier noch mal ein Artikel, wo raus man die Begründung des Urteils besser erkennen kann. Und wie sich die Stadt Frankfurt sich darüber freut.

Markus Frank: 'Mit unserer Sperrgebietsverordnung schützen wir unsere Wohngebiete vor Prostitution'
Stadtrat Markus Frank, Februar 2014, © Stadt Frankfurt am Main
Dieses Bild vergrößern.
Bundesverwaltungsgericht bestätigt Untersagungsverfügung der Stadt Frankfurt
(pia) Die Stadt Frankfurt hatte einen Fall von Wohnungsprostitution im Geltungsbereich der sogenannten Sperrgebietsverordnung, der „Verordnung zum Schutze der Jugend und des öffentlichen Anstandes in Frankfurt am Main vom 23. Dezember 1986“ aufgegriffen und wegen der Lage in einem Wohngebiet in unmittelbarer Nähe zu einer Schule eine Untersagungsverfügung erlassen. Dagegen war der Betreiber des „Massagestudios“ vorgegangen und hatte beim Hessischen Verwaltungsgerichtshof am 31. Januar 2013 Recht bekommen. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsfragen im Zusammenhang mit den Auswirkungen des Prostitutionsgesetzes auf die Bekämpfung der verbotenen Prostitution hatte das Bundesverwaltungsgericht die Revision dieser Entscheidung zugelassen und die Haltung der Stadt heute bestätigt.

Zu entscheiden war, ob die geltende Sperrgebietsverordnung für die Stadt Frankfurt nach Inkrafttreten des Prostitutionsgesetzes noch eine rechtmäßige und geeignete Ermächtigungsgrundlage für eine solche Verfügung ist.

Das Bundesverwaltungsgericht bestätigte nunmehr die Stadt Frankfurt in ihrer Entscheidung, dass es auch nach Inkrafttreten des Prostitutionsgesetzes möglich sein muss, besondere Stadtgebiete zu schützen. Ohne auf den konkreten Betrieb abzustellen, muss es einer Kommune generell möglich sein, zum Schutz ihrer Bewohner Wohngebiete vor bordellähnlichen Betrieben zu schützen. Gerade der Jugendschutz stelle besondere Anforderungen an eine Kommune.

Stadtrat Markus Frank ist sehr zufrieden mit der Entscheidung: „Der Jugendschutz genießt Verfassungsrang. Kinder und Jugendliche haben ein Recht auf Entfaltung ihrer Persönlichkeit. Sie bedürfen des besonderen Schutzes. Wir sehen es als unsere Aufgabe an, von Kindern und Jugendlichen Einflüsse fernzuhalten, die sich zum Beispiel wegen der Kommerzialisierung sexueller Handlungen, auf ihre Einstellung zur Sexualität und damit auf die Entwicklung ihrer Persönlichkeit nachteilig auswirken können.“

Auch wolle man Belästigungen der Anwohner, milieubedingte Unruhe, das Ansprechen Unbeteiligter sowie das Anfahren und Abfahren der Freier als sichtbare Begleiterscheinungen der Prostitution in Wohngebieten ausschließen. „Es gibt viele Fälle von Wohnungsprostitution, wo wir diese leider nicht so eindeutig verbieten können, wie wir selbst es uns wünschen. Insofern war der heute verhandelte Fall aufgrund seiner Eindeutigkeit Wohnungsprostitution im unmittelbaren Umfeld von Wohnbebauung und einer Schule für uns so wichtig. Hätte uns das Bundesverwaltungsgericht nicht Recht gegeben, hätten wir künftig über eingeschränkte Handlungsmöglichkeiten verfügt, gegen Wohnungsprostitution im Sperrgebiet vorzugehen“, so Frank.

http://www.frankfurt.de/sixcms/detail.p ... ]=27239245
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RE: Richter kippen Bordellverbot

Beitrag von fraences »

Hier das Urteil über die Sperrgebietsverordnung FRankfurt aus dem Jahre 1986

http://www.lareda.hessenrecht.hessen.de ... doc.part=L

Die angegriffene Rechtsverordnung verletzt die Antragstellerin auch nicht in ihrem Grundrecht auf freie Berufsausübung (Art.12 Abs.1 Satz 2 GG). Auch insoweit kann offenbleiben, ob dieses Grundrecht überhaupt dem Schutz der gewerbsmäßigen Vermietung von Wohnraum an Prostituierte dient. In die Freiheit der Berufsausübung darf nämlich eingegriffen werden, wenn vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls dies als zweckmäßig erscheinen lassen. Die Einschränkung der Prostitution durch die Festlegung von Sperrbezirken, in denen die Ausübung der Gewerbsunzucht verboten ist, entspricht diesen Anforderungen, da die hier angegriffene Rechtsverordnung nur erlassen werden durfte, wenn dies zum Schutz der Jugend und des öffentlichen Anstandes geboten war, was -- wie dargelegt -- der Fall ist.
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RE: Richter kippen Bordellverbot

Beitrag von fraences »

http://www.fr-online.de/frankfurt/urtei ... 59742.html

URTEIL WOHNUNGSBORDELLE
Massage-Studio muss schließen
Von GEORG LEPPERT

Die Stadt Frankfurt stritt jahrelang mit einem Hausbesitzer um ein Wohnungsbordell. Foto: dpa
Die Stadt Frankfurt stritt jahrelang mit einem Hausbesitzer um ein Wohnungsbordell. Jetzt hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig das letzte Wort zum „Chantal“-Massagestudio gesprochen.


FRANKFURT –
Der seit Jahren währende Streit zwischen der Stadt und dem Massagesalon „Chantal“ in Bornheim ist entschieden. Siegerin: die Stadt. Sie darf den Betrieb im „Chantal“ untersagen. Das hat das Bundesverwaltungsgericht am Mittwoch in Leipzig entschieden. Damit ist klar, dass das Studio bald schließen wird. „Ich habe Sofortvollzug angeordnet“, sagte Ordnungsdezernent Markus Frank (CDU) der Frankfurter Rundschau.

Die Stadt hatte die Schließung des Studios verfügt, nachdem den Behörden bekanntwurde, dass dort keine klassischen Massagen angeboten werden, sondern Prostituierte arbeiten. Sie bezog sich dabei auf die Sperrgebietsverordnung aus dem Jahr 1986. Darin heißt es, dass Prostitution nur in ausgewiesenen Zonen erlaubt ist. In Wohnhäusern darf dem Gewerbe nachgegangen werden, sofern die Häuser nicht überwiegend als Bordelle genutzt werden und keine Kinder und Jugendlichen gefährdet werden.

Das Studio „Chantal“ sei einziger Mieter in dem Haus an der Weidenbornstraße, argumentierten die Behörden. Das Gebäude werde also ausschließlich als Bordell genutzt. Zudem sei das Wohl von Kindern und Jugendlichen gefährdet, da sich in der Umgebung zwei Kindertagesstätten und eine Realschule befänden.

Der Betreiber des „Chantal“ ging gegen die Verfügung vor und bekam im Januar 2013 vor dem Verwaltungsgerichtshof in Kassel recht. Die Richter bezogen sich auf das 2002 erlassene Prostitutionsgesetz. Danach dürfe man Prostitution nicht grundsätzlich verbieten, ohne im Einzelfall zu prüfen, ob ein Bordell schädliche Auswirkungen auf die Nachbarschaft hat. Die Sperrgebietsverordnung war damit gekippt.

„Milieubedingte Unruhe“

Das Bundesverwaltungsgericht argumentierte anders. Nicht alles, was an Gewerbe legal ist, dürfe überall ausgeübt werden. Es genüge die Prognose, „dass das verbotene Verhalten in hinreichender Weise die abstrakte Möglichkeit einer solchen Beeinträchtigung begründet“, teilte das Gericht mit. Prostitution bringe immer eine „milieubedingte Unruhe“ mit sich. In Frankfurt komme die besondere Lage dazu. Die Stadt müsse durch Steuerung der Prostitution dafür sorgen können, dass der Jugendschutz sowie die Wahrung des öffentlichen Anstandes gesichert bleiben, entschieden die Leipziger Richter am Mittwoch.

Markus Frank zeigte sich erleichtert: „Der Weg nach Leipzig hat sich gelohnt.“ Die Bundesrichter hätten eine wichtige Grundsatzentscheidung getroffen. Die Sperrgebietsverordnung sei „ein wichtiges Instrumentarium im Kampf gegen Wohnungsprostitution in der Nähe von Schulen und Wohngebieten“.

Frank kündigte an, dass nach dem Urteil außer dem „Chantal“ noch andere Betriebe schließen müssten. Es gebe an „der einen oder anderen Ecke der Stadt“ Bordelle, die nach der Sperrgebietsverordnung nicht zulässig seien. Gegen sie werde die Stadt jetzt vorgehen. Ins Detail wollte Frank nicht gehen.

Auch der Direktor des Hessischen Städtetags, Stephan Gieseler, begrüßte das Urteil: „Jetzt haben wir ein Stück Rechtssicherheit“, sagte er
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Beitrag von fraences »

Der wichtigste Satz in dem Bundesverwaltungsgerichtsurteil.

"Für den Erlass einer Verordnung genügt die Prognose, dass das verbotene Verhalten in hinreichender Weise die abstrakte Möglichkeit einer solchen Beeinträchtigung begründet."

Das heißt konkret es müssen keine Störungen vorhanden sein, sondern der bloße Verdacht reicht aus.

Ein katastrophale Urteil mit bundesweite Ausstrahlung.
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Beitrag von Lycisca »

Ganz überraschend war das Urteil nicht ... im Hinblick auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts, 1BvR224/07 vom 28.04.2009.

Dort führt BVerfG auch aus, dass ein unbegründeter Verdacht nicht ausreicht, um einen Sperrbezirk zu begründen: "Ein Normverständnis [...], wonach jede Ausübung der Prostitution zugleich den öffentlichen Anstand verletzte, würde der Vorschrift offensichtlich nicht gerecht. Ansonsten würde diese Tatbestandsvoraussetzung für den Erlass einer Sperrbezirksverordnung jegliche den Verordnungsgeber lenkende und seine Entscheidungsbefugnis eingrenzende Wirkung verlieren. Mit dem Schutz des öffentlichen Anstandes wird nach der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte nicht die Wahrung der allgemeinen Sittlichkeit bezweckt. Verstanden als Norm, die allein der Durchsetzung von herrschenden Moralvorstellungen dient, wäre die Vorschrift in der Tat verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt."

Nicht bedenklich sei hingegen "eine Norm auf dem Gebiet der Gefahrenabwehr mit der Zielsetzung, das Zusammenleben der Menschen zu ordnen, soweit ihr Verhalten sozialrelevant sei, nach außen in Erscheinung trete und das Allgemeinwohl beeinträchtigen könne. Handlungen und Zustände, die eine enge Beziehung zum Geschlechtsleben haben, könnten Belange des Allgemeinwohls insbesondere dann beeinträchtigen, wenn durch einen Öffentlichkeitsbezug andere Personen, die hiervon unbehelligt bleiben wollten, erheblich belästigt würden; dies gelte insbesondere für die Begleitumstände der Prostitution, die Dritte in schutzwürdigen Interessen berührten"

Zum unbestimmten Rechtsbegriff des öffentlichen Anstandes wird weiter ausgeführt, "dass der Erlass einer Sperrbezirksverordnung zum Schutze des öffentlichen Anstandes gerechtfertigt sein kann, wenn die Eigenart des betroffenen Gebietes durch eine besondere Schutzbedürftigkeit und Sensibilität, z.B. als Gebiet mit hohem Wohnanteil sowie Schulen, Kindergärten, Kirchen und sozialen Einrichtungen gekennzeichnet ist [...] und wenn eine nach außen in Erscheinung tretende Ausübung der Prostitution typischerweise damit verbundene Belästigungen Unbeteiligter und 'milieubedingte Unruhe', wie zum Beispiel das Werben von Freiern und anstößiges Verhalten gegenüber Passantinnen und Anwohnerinnen, befürchten lässt."

Wenn ein Betrieb bereits mehrere Jahre ohne solche Unruhe existiert, wäre eine solche Befürchtung sicher schwer zu begründen [Anm. Lycisca]

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fraences
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RE: Richter kippen Bordellverbot

Beitrag von fraences »

PRESSEMITTEILUNG

Leipziger Justizposse:
Bundesverwaltungsgericht schützt Jugend und öffentlichen Anstand vor „nicht wahrnehmbarer Ausübung der Prostitution“!

Mit seinem Urteil vom 17.12.2014 hat das Bundesverwaltungsgericht einer Klage der Stadt Frankfurt/Main gegen das "Wohnungsbordell Chantal" Recht gegeben. Damit bestätigt das oberste deutsche Verwaltungsgericht, dass der den Sperrgebietsverordnungen zugrunde liegende Ermächtigungsparagraf Art. 297 Einführungsgesetz Strafgesetzbuch ein Verbot von Prostitution auch dann rechtfertigt, wenn „eine öffentlich nicht (!) wahrnehmbare Ausübung der Prostitution“ vorliegt, bei der „eine konkrete Belästigung der Öffentlichkeit durch Begleiterscheinungen der Prostitution“ nicht (!) besteht. (vgl. Pressemitteilung des BVerwG Nr. 83/2014 zu BVerwG 6 C 28.13) Der „öffentliche Anstand“ in Deutschland bleibt damit gewahrt – so das Gericht. Kinder und Jugendliche dürfen aufatmen! Sie bleiben geschützt!

Wie kein anderes Urteil belegt diese Einlassung des Bundesverwaltungsgerichts, dass es in Fragen der Prostitution nicht um einen rationalen Interessenausgleich geht, sondern um juristisch verbrämte Machtpolitik, deren einziges Anliegen es ist, mit bizarren Argumentations-Pirouetten überkommene Rechtsmaßstäbe des vergangenen Jahrhunderts in das neue Jahrhundert hinüberzuretten.

Wenn das oberste Verwaltungsgericht in seinem argumentativem Notstand glaubt, das Schreckgespenst einer durch Prostitution stets und regelmäßig erzeugten „milieubedingten Unruhe“ an die Wand malen zu müssen, so wird offenkundig, dass hier jeglicher rationalen Verständigung über „legitime Gemeinwohlziele“ der Boden entzogen wird. Die befürchtete „milieubedingte Unruhe“ erscheint als „abstrakte (!) Möglichkeit einer Beeinträchtigung des Jugendschutzes oder des öffentlichen Anstandes“ (Pressemitteilung des BVerwG Nr. 83/2014 zu BVerwG 6 C 28.13). Damit macht das Gericht auch dem Letzten klar, dass es ihm um eine mutwillige, an den Haaren herbeigezogene Konstruktion von Gefährdungen geht, dessen Sinn einzig und allein darin besteht, traditionsbewusst die Interessen notorischer Prostitutionsgegner zu bedienen.

Mit dem obligatorischen Verweis auf nahe gelegene und insofern „abstrakt“ von Prostitution beeinträchtigte Kindertagesstätten und Schulen versuchen die Leipziger Richter/innen ihrer Argumentation den Anschein von Realitätsbezug zu geben. Tatsächlich aber ist die vom Bundesverwaltungsgericht simulierte Rücksichtnahme auf eine angeblich „besondere Schutzbedürftigkeit und Sensibilität“ von Wohngebieten kein Jugendschutz, sondern ein zynischer Missbrauch von Kindern und Jugendlichen. Sie werden instrumentalisiert, um einvernehmliche sexuelle Handlungen zwischen Erwachsenen zu unterbinden.
Wer wie Frankfurts Ordnungsdezernent Frank (CDU) einer solch primitiv gestrickten höchstrichterlichen Rechtsprechung applaudiert und von deren geistigem Vakuum fasziniert ist, muss sich um den schleichenden Zerfall staatlicher Autorität nicht mehr sorgen. Die Leipziger Justizposse dürfte eigentlich nur Hohn und Spott ernten, wären da nicht die erheblichen Nachteile für die betroffenen Menschen im Prostitutionsgewerbe als absehbare Folgen des Gerichtsurteils

Ganz nebenbei lieferte die Weisheit des Leipziger Bundesverwaltungsgerichts einen erneuten Beleg dafür, dass das Prostitutionsgesetz von 2002 nichts taugt, wenn es um eine konsequente rechtliche Gleichstellung von Sexarbeit mit anderen Erwerbstätigkeiten geht.

Deshalb fordert Doña Carmen e.V. eine vollständige Legalisierung von Prostitution, die diesen Namen tatsächlich verdient. Voraussetzung dafür ist die Abschaffung diskriminierender strafrechtlicher Sonderbestimmungen wie etwa die des Art. 297 EG Strafgesetzbuch (Ermächtigung zu Sperrgebietsverordnungen).

Das grundgesetzlich geschützte Recht auf ungehinderte Berufsausübung darf auch Sexarbeiter/innen in der Prostitution nicht länger vorenthalten werden!
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Fax: 069-76750882

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Klaus Fricke
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RE: Richter kippen Bordellverbot

Beitrag von Klaus Fricke »

Zitat:
"Für den Erlass einer Verordnung genügt die Prognose, dass das verbotene Verhalten in hinreichender
Weise die abstrakte Möglichkeit einer solchen Beeinträchtigung begründet."
(millieubedingte Unruhe)

Selbst im Bericht über sexuelle Ausbeutung und Prostitution und deren Auswirkungen auf die Gleichstellung
der Geschlechter
, (S.10 f), der erklärten Gegnerin von sexuellen und erotischen Dienstleistungen, Mary
Honeyball und unlängst in Gesetzentwurf der Grünen zum Schutz der von Menschenhandel-Betroffenen
http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/032/1803256.pdf (S. 10) oder auch im Bericht des Runden Tisch
Prostitution NRW http://www.mgepa.nrw.de/mediapool/pdf/e ... ericht.pdf (S. 76)
wird festgehalten, das Menschen, die im Feld der erotischen und sexuellen Dienstleistungen aktiv sind,
alltäglich und fortgesetzt




Schmähung und soziale Ächtung erfahren.


Ich gehe davon aus, dass die Ablehnung seitens der Nachbarschaft gegenüber Sexarbeitenden über die bereits erschreckend hohe Ablehnung von Sinti und Roma hinausgeht. Ebenso wie der Rassismus als eine Erscheinungsform Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit ( http://de.wikipedia.org/wiki/Gruppenbez ... ndlichkeit), ist die soziale Ächtung von SW Angehörigen eine Jahrhunderte überdauernde Form der Entrechtung, die verbunden ist mit Erscheinungen wie der Hexenverbrennung, der Kasernierung, der staatlichen Zuhälterei, der Wehrmachts- und KZ Prostitution und alltäglicher zu erduldender verbal-psychischer und sozial-relationaler, körperverletzender, in nicht wenigen Fällen lebenszerstörender Gewalt.

Sehr richtig stellt insofern das Bundesverwaltungsgericht fest, dass es überall dort, wo erotische und sexuelle Dienstleistungen erbracht werden, zur Unruhe kommt. Das Millieu aus dem diese Unruhe stammt, ist das der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit, die sich, wenn es um die Akzeptanz von Menschen, die im SW aktiv sind, geht, von der Nachbarschaft über das Quartier, den Stadteil, die Stadt, das Land, den Bund durch alle Ebenen und Zusammensetzungen des Gemeinwesens zieht, mithin auch durch Parlamente, Behörden und Gerichte.

Dieses Mehrheitsmillieu der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit empfindet die Anwesenheit von Sexarbeit als verstörend und scheut im moralischen Furor weder die Straftat der Nötigung und Beleidigung noch die der üblen Nachrede und falschen Anschuldigung. Ohne Evidenz, nach dem hier erörterten neustem höchstrichterlichen Spruch sogar ohne dazu verpflichtet zu sein, sachlich zu ermitteln, ist das Verdikt klar: Sexarbeit ist störend und gefährdend.

Die altbekannten Vorurteile,

- Roma und Sinti entführen Kinder
- Neger stinken
- Juden sind Volksschädlinge

werden hochrichterlich modernisiert

- Menschen in der Sexarbeit (Kunden, Vermietende, Sexarbeitende) sind störendes Millieu


Die sozialen und politischen Folgen dieser Haltungen, Einstellungen, jetzt ergänzt durch die die Aura richterlicher Wahrheitsfindung, sind bekannt. Sie legitimier(t)en Unrechtsstaaten, Entrechtung, Erniedrigung, Versklavung und Massaker.

Im Gegensatz zu den anerkannten Betroffen von Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, Angehörigen anderer Hautfarben, anderen Glaubens, anderer Herkunft, ist die Tatsache der Schmähung, Ächtung und Schändung der Rechte von Menschen in der Sexarbeit nach wie vor nicht als Vorverurteilung anerkannt. Dieser "Rassismus im anderen Gewand" ist sozial salonfähig, wird als menschenrechtsbasiert verkauft und hält sich, trotz der alltäglichen Evidenz der Stigmatisierung, in hoher Richterschaft und Rechtsprechung. Er gerinnt im Kriterium "in hinreichender Weise die abstrakte Möglichkeit" zum rechtsförmigen Terror. Die Würde der Menschen in der Sexarbeit, so das hohe Gericht, ist angreifbar.

Menschen in der Sexarbeit, so das Urteil, sind zweifelsfrei, auch wenn evidenzlos, Parias.

Die unter dem Segel der Fürsorglichkeit fahrende, institutionalisierte Frauenbewegung, die aus emanziptaiven Ursprüngen kommend, Bevormundung nach ihrem Glaubensbekenntnis unter dem Etikett der Gleichberechtigung realisiert, konstruiert die neuen Schändlichen. Sexarbeit ist Gewalt gegen Frauen. Aha und wie war das noch Neger ..., Roma und Sinti ..., Juden ....? Folgerichtige Bündnispartner finden die neuen Mütter der Beschämung, an altehrwürdiger Stelle, bei "unendlicher" Tradition von Hierarchie, patriarchaler Gewalt, Mord und Gewalt, autoritärer Struktur, bei den jenseits der Vernunft sich verortenden Hütern des Abendlandes, auf die im Machtdiskurs zur Legitimation regelmässig rekuriert wird (Bertrand Russel Macht), bei den Inhabern der moralischen Wahrheit, für die in den Krieg zu ziehen ist, den christlichen Kirchen, bei ihrem Personal und bei ihren mit Dekret und Diktat geführten Einrichtungen, bei diesen Spezialisten der Indoktrination, des Fegefeuers und des Totalen, der Göttlichkeit auf Erden, den neuen Pappa-Pop-Stars der ethischen Gewissheiten.

Welcher Mann, der sich in der Kampagne gegen das Abtreibungsverbot, die auch eine Kampagne gegen das richterliche System war, polizeilicher Gewalt ausgesetzt hat, hätte damals gedacht, dass das die unverbrüchliche frauenbewegte Solidarität ist, derer er vergewissert wurde.

Grüße aus der femministischen Bewegung - Unser Körper gehört uns - Hände raus aus unseren Hosen - Eure fürsorgliche Zuhälterei brauchen wir nicht!
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RE: Richter kippen Bordellverbot

Beitrag von lust4fun »

Danke euch für Beiträge und Analysen.

Sprecher des Topos von den "milieubedingten Unruhen" (ob Richter oder Politiker) müssen sich zu Recht der Kritik von Klaus stellen.

Ich habe nur eine kleine Anmerkung dazu: Die "milieubedingte Unruhe" wird im Gerichtsurteil explizit erläutert mit "z.B. das Werben von Freiern und anstößiges Verhalten gegenüber Passantinnen und Anwohnerinnen".

Das heißt: Die "Unruhe" geht von den Sexworkern aus.

Hatten wir uns nicht im Zuge der Diskussion um die Freierbestrafung fast schon daran gewöhnt, dass in den letzten Jahren das öffentlichkeitsrelevante Erscheinunsbild der Freier im Fokus stand? Dass deren Auftreten die "Unruhe" bedingt? War diese Wahrnehmung nicht immerhin ein kleiner Fortschritt in der differenzierten soziologischen Beschreibung des "Problems"? (Trotz aller Implikationen in Richtung Schwedischen Modells?)

Hat die Engführung auf die Sichtbarkeit der SW eine phänomenologische Relevanz? Könnte es sein, dass die Differenzierungen in den letzten Jahren zu einer Ermüdung in der öffentlichen Wahrnehmung führten und ein Bedürfnis nach "einfacheren" Mustern stärker wird?

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Beitrag von Doris67 »

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RE: Richter kippen Bordellverbot

Beitrag von fraences »

Altpeter: Städte sollen Urteil zu Wohnungsprostitution umsetzen

Sozialministerin Katrin Altpeter (SPD) hat das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zur Wohnungsprostitution begrüßt.
Dieses besagt, dass Hausbesitzer ihre Räume nicht uneingeschränkt an Rotlicht-Betriebe vermieten dürfen. Die Städte und Gemeinden sind nach dem Leipziger Urteil vom Mittwoch berechtigt, auf Grundlage sogenannter Sperrgebietsverordnungen etwa Prostitution in erotischen Massagestudios zu untersagen. Altpeter fordere die Städte in Baden-Württemberg dazu auf, „reichlich und rasch von diesem Recht Gebrauch zu machen“, sagte ein Sprecher des Sozialministeriums der Deutschen Presse-Agentur. Altpeter sei gegen jede Form von Prostitution und unterstütze alle Maßnahmen, die in diese Richtung gehen.

http://www.focus.de/regional/stuttgart/ ... 54550.html
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RE: Richter kippen Bordellverbot

Beitrag von Klaus Fricke »

@Lust4fun
"Hatten wir uns nicht im Zuge der Diskussion um die Freierbestrafung fast schon daran gewöhnt, dass in den letzten Jahren das öffentlichkeitsrelevante Erscheinunsbild der Freier im Fokus stand? Dass deren Auftreten die "Unruhe" bedingt? War diese Wahrnehmung nicht immerhin ein kleiner Fortschritt in der differenzierten soziologischen Beschreibung des "Problems"?

Vielen Dank für den Anstoss zu einer Diskussion. Ich befürchte der Hoffnungsschimmer war weniger als ein Leuchten am Horizont, auch wenn es natürlich schön wäre, wenn die Rolle der Gäste in differenzierter Weise mehr Bedeutung im (Mainstream) Diskurs haben würde.

Teile und herrsche

Das veröffentlichte Erscheinungsbild der Gäste im Feld der erotischen und sexuellen Dienstleistungen, entspricht, meiner bescheidenen Kenntniss der medialen Präsenz dieser Spezies, nicht der Vielfalt der realen Phänomene. Das Gegenbild zum veröffentlichten Erscheinungsbild von Gästen findet man in Ansätzen hier: http://www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?t=12490 und besonders eindringlich, da Zärtlichkeit dokumentierend hier: http://www.sexworker.at/phpBB2/viewtopi ... 567#144567

Natürlich gibt es auch das Gegenbild und die Diskurse darum bei Sexarbeitenden, wie von translena beschrieben und mit Quellen belegt wird: http://www.sexworker.at/phpBB2/viewtopi ... 562#144562 (und folgende), was von isabella26 Marc of Frankfurt zitierend, so http://www.sexworker.at/phpBB2/viewtopi ... 575#144575, eine Lösungsmöglichkeit entwerfend, kommentiert wird: "support your local sexworkers".

Diese Realität, so die Bemühung um eine analytischen Bewertung (abgesehen von pathologischen Fällen, sofern es solche gibt), ist jedoch stigmaverursacht wenigstens
a) durch Abwertung von Sexarbeitenden,
b) durch Abwertung der Sexarbeit
c) durch Abwertung der Nachfragenden nach Sexarbeit,
d) durch Ausgrenzung der SW in ein Feld räumlicher und sozialer Entrechtung
in dem Wild-West zulässig und der heimliche Lehrplan ist, um Stigma zu legitimieren, zu tradieren, zu habitualisieren, also als falsches Leben im Falschen festzuschreiben.

Der Focus auf die Gäste schien eine Verschiebung des Blickes auf andere Mitverantwortliche, schien eine Differenzierung, schien eine andere Erzählung sein zu können. Dieser "neue" Focus folgt(e), so sehe ich das, so verstehe ich doris67, dem internalisierten oder bewusst berücksichtigten Lehrsatz: Teile und herrsche. Die Maske ist gefallen.

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RE: Richter kippen Bordellverbot

Beitrag von fraences »

»Justiz spielt sich zum Sittenwächter auf«
Das Bundesverwaltungsgericht entschied gegen ein Erotikstudio – harsche Kritik von Prostituierten. Ein Gespräch mit Juanita Rosina Henning Interview: Gitta Düperthal

Juanita Rosina Henning ist Sprecherin des gemeinnützigen Frankfurter Vereins Doña Carmen, der sich für die Rechte der Prostituierten einsetzt

Die Stadt Frankfurt am Main hatte gegen den Betreiber eines Erotik-Massagestudios vor dem Bundesverwaltungsgericht geklagt und recht bekommen. Nach dem Urteil der Leipziger Richter muss das Studio schließen, damit »Jugendschutz« und »Wahrung des öffentlichen Anstandes« gesichert bleiben. Warum kritisieren Sie das?

Das Bundesverwaltungsgericht spielt sich hier mit bizarren Argumenten zum Sittenwächter auf. Mit seinem Urteil gegen das »Wohnungsbordell Chantal« versucht es, überkommene Rechtsmaßstäbe des vergangenen Jahrhunderts ins neue hinüberzuretten. Das oberste deutsche Verwaltungsgericht legt damit den den Sperrgebietsverordnungen zugrunde liegenden Artikel 297 des Strafgesetzbuches »Verbot der Prostitution« so aus: Ein generelles Verbot erscheint selbst dann als gerechtfertigt, wenn »eine öffentlich nicht wahrnehmbare Ausübung der Prostitution« vorliegt; also »eine konkrete Belästigung der Öffentlichkeit durch Begleiterscheinungen der Prostitution« nicht besteht. Alles nur, um den »öffentlichen Anstand« in Deutschland zu wahren.

Wenn ich Sie richtig verstehe, sehen Sie das eher als Justizposse?

Allerdings, denn das Gericht entzieht so jeglicher rationalen Verständigung über legitime Gemeinwohlziele den Boden. Statt dessen meinen die Richter – offenbar in argumentativem Notstand – ein Schreckgespenst »milieubedingter Unruhe« an die Wand malen zu müssen. Das Gericht greift auf ein Argumentationsmuster abstrakter Gefährdung zurück; real existierende Jugendliche oder Kinder sind dort nicht betroffen. Mit dem Verweis auf nahe gelegene, aber nur »abstrakt« von Prostitution beeinträchtigte Kindertagesstätten und Schulen versuchen die Leipziger Richter, ihrer Begründung den Anschein von Realitätsbezug zu geben. Wir sehen hierin einen zynischen Missbrauch; den Versuch, Kinder und Jugendliche zu instrumentalisieren, um einvernehmliche sexuelle Handlungen zwischen Erwachsenen zu unterbinden.

Müssten Sie nicht eher die dem Urteil zugrundeliegende Gesetzgebung kritisieren?
Aktionsabo

Das Bundesverwaltungsgericht liefert einen erneuten Beleg dafür, dass das Prostitutionsgesetz von 2002 nichts taugt, wenn es um die konsequente Gleichstellung von Sexarbeit mit anderen Erwerbstätigkeiten geht. Allerdings geht es auch anders. Der Betreiber des »Chantal« war gegen das Verbot der Stadt Frankfurt bereits im Januar 2013 vorgegangen und hatte vor dem Verwaltungsgerichtshof in Kassel noch recht bekommen. Damals hatten sich die Richter auf dieses Gesetz noch in anderer Weise bezogen: Danach dürfe man Prostitution nicht grundsätzlich verbieten, ohne im Einzelfall zu prüfen, ob ein Bordell schädliche Auswirkungen auf die Nachbarschaft hat.

Ihr Fazit als Interessenvertretung der Prostituierten?

Der Verein Doña Carmen fordert die vollständige Legalisierung von Prostitution, die diesen Namen tatsächlich verdient. Voraussetzung ist die Abschaffung diskriminierender strafrechtlicher Sonderbestimmungen, wie etwa des Artikels 297 Strafgesetzbuch. Das grundgesetzlich geschützte Recht auf ungehinderte Berufsausübung darf Sexarbeiterinnen nicht länger vorenthalten werden!

Sie ärgern sich nicht nur über dieses Urteil, sondern beklagen insgesamt eine stärkere Reglementierung des horizontalen Gewerbes. Wer steht dafür in der Verantwortung?

Zum Beispiel die Vorzeigeemanze Alice Schwarzer, der wir kürzlich die »Ehrenkarte in Gold 2014 für herausragende Leistungen im Dienste des Polizeifeminismus« verliehen haben. Sie lässt keine Gelegenheit aus, um im Namen einer von ihr so verstandenen Geschlechtergleichheit gegen die »Liberalisierung« von Sexualität zu Felde zu ziehen. Ihr gesamtes Werk ist durchdrungen von einer tief empfundenen Hochachtung gegenüber polizeilicher Autorität, insbesondere hinsichtlich der segensreichen Rolle, die letzterer mit Blick auf die vergangene und zukünftige Reglementierung von Prostitution zukommt. Ihren unermüdlichen Kampf teilt sie mit christlichen Verfechtern eines ewiggestrigen sittsamen Lebens.

http://www.jungewelt.de/2014/12-27/048.php
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RE: Richter kippen Bordellverbot

Beitrag von lust4fun »

Hm, ich denke mir, dass die Auseinandersetzung um die Sichtbarkeit der Sexarbeit die Diskussion über Prostitution in den nächsten Jahren dominieren wird. Es sind dabei zwei Stränge, die man unterscheiden kann: Die Stadtplanung und der Jugendschutz.

Die "große" moralische Frage über die Legitimität von Nachfrage und Angebot von Paysex wird keine definitive Antwort erhalten; die gesellschaftliche Pluralität wird in absehbarer Zeit bestehen bleiben. Politik auf lokaler Ebene geht anders vor; sie nutzt das Vakuum für ihre Interessen und für pragmatische Schritte im Sinne von "Gestaltung" und "Lenkung". Ein Beispiel neben dem P6 ist die Vergnügungssteuer für Spielstätten, die allerorts nach Belieben angehoben wird. Es ist der Trick, ohne ein Verbot etwas aushebeln zu können ohne dabei den Widerstand einer Lobby fürchten zu müssen.

Urbane Stadtplanung könnte ein so spannendes Thema sein: Wie sieht eine zukunftsfähige Struktur aus, die weltoffen, plural und liberal ist; die für Wohnen, Arbeiten, Kultur und Freizeit attraktiv ist? Das Stuttgarter Bohnenviertel z. B. braucht zweifellos ein neues intelligentes Konzept. Gut, dass sich Bewohner aktiv zu Wort melden. Aber OB Kuhn laviert mit seinem Entwurf zwischen der Beteuerung, Sexarbeit nicht eliminieren zu wollen, und dem Getriebensein von Interessen seiner Amtsleiter, die genau das offensichtlich wollen. Ein langer Hebel ist die "Sichtbarkeit". Stuttgart ist berühmt für sein lächerliches Katz-und-Maus-Spiel in den Gassen. Sexarbeiterinnen vor den Türen werden vertrieben; hinter den Türen geduldet. Was genau ist für uns unerträglich und unzumutbar, wenn man sieht, was man weiß? Ist es dasselbe wie bei den Pegida-Bürgern, die Kopftücher auf der Straße nicht ertragen können? Oder die Bettler auf der Straße? Aus den Augen, aus dem Sinn?

Das Standardargument, das fast nie Widerspruch erhält, ist der Jugendschutz. Heilbronn hat gerade den größeren Teil seiner Hafenstraße für den Straßenstrich gesperrt. Eine einsame, reine Industriestraße, aber da seien "tagsüber teilweise auch Kinder und Jugendliche unterwegs." Was genau passiert da mit unseren Kindern? Was genau trauen wir unseren Kindern nicht zu? Was genau "dürfen" wir ihnen nicht zumuten?

Sind wir so sprachlos angesichts der Lebenswelt der Sexarbeit? Wie kann man mit Kindern darüber reden, so dass sie es auf ihrem Verständnishorizont verstehen und keine Angst davor haben müssen?

Ich glaube, dass dies ein bedeutsames öffentlichkeitwirksames Feld für Sexworker ist; dass sie davon erzählen, wie sie mit ihren eigenen Kindern über ihre Arbeit und diese Lebenswelt reden. So wie Tanja es z. B. verschiedentlich von sich als Mutter geschildert hat. Wir brauchen solche Beispiele und Modelle.

Dazu gehört auch die Erinnerung an die eigene Kindheit und das eigene Aufwachsen. Ich erinnere mich daran, wie ich als Kind vor Jahrzehnten in meiner Kleinstadt hinter einem bestimmten Gebäude ein Bordell vermutet hatte. Eine besondere Plastik an der Gebäudewand hatte diese Phantasie ausgelöst. Mich beschäftigte diese Phantasie sehr. Natürlich gab es damals keinerlei Möglichkeit, darüber zu reden. Wie reden wir heute mit Kindern?

Dazu gehören "offene" Erzählungen von lebensgeschichtlichen Phantasien. Wenn einzelne Sexworker davon erzählen, wie sie bereits im Alter von 12/14 Jahren mit der Idee bzw. der Ahnung davon beschäftigt waren, ihre eigene Sexualität irgendwie aktiv einzusetzen. Sind das Phantasien, die man verhindern kann, verhindern muss?

Die Lebenswelt der Kinder in den Kinderläden der 70er-Jahre, die Lebenswelt der Kinder in der DDR, die Lebenswelt der Kinder in den osteuropäischen Armutsländern, die Lebenswelt der Kinder muslimischer Immigranten, die Lebenswelt der Kinder westlicher "Helikoptereltern" mit freiem Zugang zu Pornographie – alle diese Lebenswelten unterscheiden sich gravierend. Was da Jugendschutz genau sein kann und soll, ist ziemlich unklar. Wir müssen darüber gesellschaftlich reden und nicht "Jugendschutz" als Totschlagargument uns um die Ohren hauen.

Klaus Fricke
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RE: Richter kippen Bordellverbot

Beitrag von Klaus Fricke »

@ Lust4Fun
Best practice


- Diskurs um den Schutz von Kindern und Jugendlichen vor Gefahren für die sexuelle Selbstbestimmung
- Das eigene Beispiel als Aktive im Feld der erotischen und sexuellen Dienstleistung
- Das Beispiel der eigenen Kinheits- und Jugenderinnerungen
- andere Beispiele - Ethnographie (Kind der 70er, Kind im Zeitalter von youporn)

Gute Anregung von Dir finde ich. Denn dem Diskurs um das Jugendschutzargument werden wir uns ebensowenig entziehen können, wie dem Diskurs um die Brutalisierung des Begehrens. Als Antwort sind Beispiele authentischer Erfahrung des Begehrens zumindest insoweit wirkmächtig, als Sie die Forderung Pluralität und individelle Entscheidung erfahrbar plausibel machen.

Querverweis zu: http://www.sexworker.at/phpBB2/viewtopi ... 695#144695

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Prostituierte kritisieren Urteil zu Massage-Studio

Beitrag von translena »

Dona Carmen“ Prostituierte kritisieren Urteil zu Massage-Studio

Der Verein für soziale und politische Rechte Prostituierter „Dona Carmen“ hat das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts kritisiert, in dem die Richter der Stadt Frankfurt Recht geben. Diese hatte die Prostitution in einem Bornheimer Hinterhaus untersagt.

Frankfurt.
Scharf kritisiert hat der Verein für soziale und politische Rechte Prostituierter „Dona Carmen“ das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zum „Chantal-Massagestudio“. „Wie kein anderes Urteil“ belege es, „dass es in Fragen der Prostitution nicht um einen rationalen Interessenausgleich geht, sondern um Machtpolitik, deren einziges Anliegen es ist, überkommene Rechtsmaßstäbe des vergangenen Jahrhunderts in das neue Jahrhundert hinüberzuretten“, heißt es in einer Pressemitteilung von Dona Carmen.

Im konkreten Fall war die Stadt wie berichtet gegen einen Hausbesitzer vorgegangen, der Räume in seinem Hinterhaus an das „Chantal-Massagestudio“ vermietet hatte. Auf 44 Quadratmetern boten Prostituierte dort ihre Dienste an. Die Sperrgebietsverordnung für Frankfurt verbietet jedoch diese Form der Wohnungsprostitution an dieser Stelle. Die Bundesrichter gaben der Stadt recht: Sie müsse durch Steuerung der Prostitution dafür sorgen dürfen, dass der Jugendschutz sowie der öffentliche Anstand gewahrt werde.

Schädliche Auswirkung?

Der Hessische Verwaltungsgerichtshof war in der Vorinstanz zu einer anderen Einschätzung gelangt und hatte die Untersagungsverfügung der Stadt kassiert. Die Begründung: Nachdem mit dem Prostitutionsgesetz im Jahr 2002 das „älteste Gewerbe der Welt“ legalisiert wurde, sei es unzulässig, Prostitution zu verbieten, ohne zu prüfen, ob es überhaupt schädliche Auswirkungen auf die Nachbarschaft gebe.

Die Bundesrichter argumentierten indes, Prostitution bringe eine „milieubedingte Unruhe“ und lasse „damit verbundene Belästigungen“ befürchten „wie zum Beispiel das Werben von Freiern und anstößiges Verhalten gegenüber Passantinnen und Anwohnerinnen“. Es bedürfe keiner konkreten Beeinträchtigung, aus Sicht der Richter reicht „die abstrakte Möglichkeit“, dass es dazu kommt.

Genau daran stört sich der Verein Dona Carmen: Die Richter konstruierten eine Gefährdung, die an den Haaren herbeigezogen sei, und deren „Sinn einzig und allein darin besteht, traditionsbewusst die Interessen notorischer Prostitutionsgegner zu bedienen“.

Auch dass die Richter in ihrem Urteil auf nahe gelegene Kindertagesstätten und Schulen verweisen, verärgert die Vertreter von Dona Carmen. Die Leipziger Richter versuchten auf diese Weise, „ihrer Argumentation den Anschein von Realitätsbezug zu geben“. Tatsächlich aber instrumentalisierten sie Kinder und Jugendliche, „um einvernehmliche sexuelle Handlungen zwischen Erwachsenen zu unterbinden“.

Kritik äußern die Vereinsvertreter auch an Ordnungsdezernent Markus Frank (CDU), der das Urteil der Bundesrichter begrüßt hatte. „Wer wie Frank einer solch primitiv gestrickten Rechtsprechung applaudiert und von deren geistigem Vakuum fasziniert ist, muss sich um den schleichenden Zerfall staatlicher Autorität nicht mehr sorgen“, so Dona Carmen.

Das Urteil führe zu erheblichen Nachteilen „für die betroffenen Menschen im Prostitutionsgewerbe“. Der Verein fordert „eine vollständige Legalisierung von Prostitution“ sowie die Abschaffung von Artikel 297 des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch, der Kommunen ermächtigt, Sperrgebietsverordnungen zu erlassen. „Das Recht auf ungehinderte Berufsausübung darf auf Sexarbeitern nicht länger vorenthalten werden“, fordert Dona Carmen.

Sinnvolle Regeln

Zu einer anderen Einschätzung kommt Elvira Niesner von der Beratungsorganisation Frauenrecht ist Menschenrecht (FUIM), die auch Prostituierte berät: „Es ist sinnvoll, den Markt zu organisieren und zu regeln, damit er überhaupt menschenrechtlich akzeptabel funktionieren kann“, sagte sie der Deutschen Presseagentur. Um die Frauen zu schützen sei es hilfreich, wenn Städte Transparenz herstellten und kontrollierten.

In Frankfurt sind Prostitutionsbetriebe nur in ausgewiesenen Zonen wie dem Bahnhofsviertel erlaubt. Der größte Teil der Stadt ist gemischte Sperrzone: Während Großbordelle, Massagesalons und Clubs dort nicht erlaubt sind, ist Wohnungsprostitution meist zulässig, sofern ein Haus nicht überwiegend für das horizontale Gewerbe genutzt wird.
http://www.fnp.de/lokales/frankfurt/Pro ... 75,1200880

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RE: Richter kippen Bordellverbot

Beitrag von fraences »

In Berufung auf das Urteil der Bundesverwaltungsgericht Leipzig wird eine weitere Massagesalon in Frankfurt ins Visier genommen:

Bockenheim Erneut Massagesalon in Verruf
Von Milan Jaeger

Hans-Jürgen Hammelmann von der Linken stört sich an dem „Massagesalon“, der in dem Haus an der Adalbertstraße 7a betrieben wird. Seinen Angaben zufolge ist das Massagestudio vielmehr ein bordellartiger Betrieb. „Der sogenannte Massagesalon, der in dem Wohngebäude betrieben wird, dient der Prostitution.“


Bereits mehrfach habe der Ortsbeirat den Magistrat aufgefordert die Ausübung der Prostitution in dem Haus zu verbieten. Doch daraus sei nichts geworden, der Magistrat sah keinen Handlungsbedarf, weil der Betreiber sein Etablissement nicht bewerbe, hieß es damals.

Neue Hoffnung schöpft Hammelmann nun, weil das Bundesverwaltungsgericht vergangenen Dezember der Stadt in einem ähnlichen Fall Recht gegeben hatte. Diese hatte jahrelang mit dem Betreiber eines Massagestudios an der Weidenbornstraße gestritten. Hammelmann will nun, dass die Stadt auf dieser Grundlage auch gegen den „Massagesalon“ an der Adalbertstraße vorgeht. Sein Anliegen diskutiert der Ortsbeirat 2 am Montag in seiner Sitzung.

http://www.fr-online.de/frankfurt/bocke ... 96848.html
Wer glaubt ein Christ zu sein, weil er die Kirche besucht, irrt sich.Man wird ja auch kein Auto, wenn man in eine Garage geht. (Albert Schweitzer)

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fraences
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RE: Richter kippen Bordellverbot)BVG bestätigt Sperrgebietsv

Beitrag von fraences »

Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 17.12.2014 , in dem das Verbot der Vermietung im Sperrbezirk an Anbieter_innen nicht sichtbarer Prostitution bestätigt wurde

http://www.bverwg.de/entscheidungen/pdf ... 8.13.0.pdf
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