Microbiom

Hier soll eine kleine Datenbank entstehen, die sich vornehmlich mit über den Geschlechtsverkehr übertragbaren Krankheiten und dem Schutz vor ihnen beschäftigt
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Marc of Frankfurt
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Microbiom

Beitrag von Marc of Frankfurt »

Mikrobiom / Microbiome


Ist ein Super-Organismus. Ein neues erweitertes Konzept von unserem Körper als Zellen-Ökosystem. Früher als Mikroflora bezeichnet.

Ein Microbiom einer Person besteht aus 100 Billionen Zellen (10^14 Mikroben: 99% Bakterien, Pilze, Viren etc. wovon es 10.000 Arten gibt), das sind viel mehr als die menschlichen Zellen,
mit 8 Millionen nicht-menschlichen Genen (360mal so viel wie die 22.000 menschlichen Gene),
wiegt ca. 1 kg pro Person,
ist wie ein eigenes Organ welches mit und in uns ein Gleichgewichtssystem und eine Lebens-Symbiose verwirklicht.

Es ist höchst divers (Vielfalt) und dynamisch (Veränderung).
Humane Genome untereinander sind zu 99,9% identisch, zwei Escherichia-coli-Genome können sich bis zu 40% unterscheiden. Das Microbiom mutiert ständig und passt sich an. Höhere Vielfalt und Veränderbarkeit kann bessere Widerstandsfähigkeit und schnellere Heilung bedeuten.

Menschen unterscheiden sich in 3 Enterotypen (1 Bacteroid, 2 Prevotella-, 3 Ruminococcus-Bakterien dominieren in der Darmflora).





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Mehr
http://de.wikipedia.org/wiki/Mikrobiom
http://en.wikipedia.org/wiki/Microbiome

2012 http://www.aerzteblatt.de/archiv/127068 ... an-agieren

US Forschungsprojekt seit 2007
www.genome.gov





Microbiome of Sex Workers

The Vaginal Microbiome and Its Clinical Correlates in a Cohort of African Sex Workers

Sample of African sex workers with a high prevalence of HIV and STIs, six vaginal microbiome clusters were identified. Sex workers with a vaginal microbiome dominated by Lactobacillus crispatus (but not L. iners) did NOT have bacterial STIs and were LESS LIKELY to have viral STIs than women with other microbiome compositions. Lactobacillus crispatus stabilizes normal microflora. Bacterial vaginosis (BV) is a gynecologic condition traditionally characterized by a relatively low abundance of vaginal Lactobacillus sp. accompanied by polymicrobial anaerobic overgrowth.
Borgdorff H. e.a. Amsterdam Institute for Global Health and Development (AIGHD), 2013
http://sti.bmj.com/content/89/Suppl_1/A84.1

Frauen: Vaginal microbiome and sexually transmitted infections: an epidemiologic perspective. Rebecca M. Brotman, 2011
http://www.jci.org/articles/view/57172

Männer: Characteristic Male Urine Microbiomes Associate with Asymptomatic Sexually Transmitted Infection. David E. Nelson e.a., 2010
composition of male urine microbiomes is related to STI. Uncultivated bacteria associated with female genital tract pathology were abundant in specimens from men who had STI.
http://www.plosone.org/article/info:doi ... ne.0014116

Sex differences in the gut microbiome drive hormone-dependent regulation of autoimmunity. Markle JG, 2013 http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/23328391

Christian perspective: Sexual bonding, microbiomes, and the physical nature of the one-flesh union. http://sunshinemaryandthedragon.wordpre ... esh-union/





Übersicht Sexwork & STI (sexually transmitted infection/Sexkrankheiten)
(Lübeck Studie 2008)
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| Quelle

:007 Sexworker testen ihre Kunden selbst auf STI vor der Sexdienstleistung
www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?t=1310

:007 Kalkulation Sexarbeit-HIV Risiko von Lyciska
www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?t=1844 SW only

:007 Kondome schützen!
Fachwissen für SW: Kondomanwendung durchsetzen
www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?p=17196#17196 SW only





Im Microbiom liegt vermutlich das begründet, was wir beim Sexkontakt bezeichnen als "Die Chemie muß stimmen". D.h. Menschen suchen und finden sich unbewußt nach den Biosignalen ihres gesammten Zell-Ökosystem-Superorganismus. Nicht nur Phermone und Augenzwinkern "Na Schatzi, wie wärs?" ;-)

Ob sich daraus ein Liebesideal oder traditionelle monogame Werte ableiten wie (Zwangs-)heirat?

Beispiel Küssen und Oralverkehr: Many of the microbes that live in the body arrive first in the food we eat. At least 600 different species live in the mouth and throat, approximately 280 of which have been isolated and named. An imbalance of microorganisms within the mouth can lead to cavities, gum disease and the infection of root canals.

Ob sich aus dem Microbiomprojekt Folgerungen bezüglich Promiskuität, Prostitution und Sexarbeit ableiten lassen, die bis in den sozial-ethischen Bereich hineinreichen?

So wie man politischen Haß und moralische Empörung heute biologisch erklären kann www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?p=81789#81789 wird man evt. auch mal die Sexwork-Freindlichkeit und Misoharlotry (Whorephobia) erklären können, oder?





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Zuletzt geändert von Marc of Frankfurt am 07.10.2013, 08:53, insgesamt 7-mal geändert.

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Aoife
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Re: Microbiom

Beitrag von Aoife »

Sehr interessante Zusammenstellung, vielen Dank Marc!

Allerdings diesen Artikel:

          Bild
Marc of Frankfurt hat geschrieben:So wie man politischen Haß und moralische Empörung heute biologisch erklären kann www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?p=81789#81789 wird man evt. auch mal die Sexwork-Freindlichkeit und Misoharlotry (Whorephobia) erklären können, oder?
verstehe zumindest ich so, dass Haß und Empörung eben gerade nicht biologisch erklärbar sind, sondern biologisch begründeter Ekel mittels massenhypnotischer Beeinflussung an politische und moralische Meinungen gekoppelt wurde um in der Natur nicht vorgesehene Verhaltensreflexe zu erzeugen.

In diesem Rahmen verstanden will ich dir jedoch absolut Recht geben, Sexworkfeindlichkeit ist wie politischer Haß und moralische Empörung eine künstlich erzeugte Emotion ohne natürliche Funktion.

Liebe Grüße, Aoife
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Beitrag von Doris67 »

Haß und Moral sind immer soziale Konstrukte. Und daher auch dekonstruierbar und bekämpfbar.
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Eddy
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RE: Microbiom

Beitrag von Eddy »

Vielen Dank für die interessanten Links!

Aber was sind die praktischen Konsequenzen für die Sexarbeit?

SWs sollten sich durch die neuen Erkenntnisse nicht verunsichern lassen.

Ganz so neu ist das ja alles nun auch wieder nicht – jedenfalls was das genitale/vaginale Milieu bei der Frau anbelangt. Schon lange weiß man, dass dort (analog Mundhöhle und Darm) ein komplexes Ökosystem besteht mit „guten“ und „weniger guten“ Keimen; dass ein ökologisches Gleichgewicht mit Dominanz „guter“ Keime wie Laktobazillen (Milchsäurebakterien) aufrecht erhalten werden sollte, und dass übertriebene Intimhygiene dieses Gleichgewicht gefährdet.

Bekannt ist auch, dass für das Entstehen einer STI-Infektion (wie anderer Infektionen) die Infektionsdosis eine Rolle spielt. Ist das ökologische Gleichgewicht intakt, haben STI-Bakterien weniger Chancen, sich in diesem Biotop anzusiedeln und zu vermehren (und damit zu einer Infektion und Erkrankung zu führen). Die Chance, dass sie sich ansiedeln und in dem (intakten) Ökosystem Fuß fassen können, ist dann geringer - das ist nicht anders als im "großen Maßstab" draußen in der Natur, im Wald oder auf der Wiese. Ist das Ökosystem intakt, wird sich eine neu eingeführte Art dort nur schwer ansiedeln lassen.

Ist die Vaginal-/Genitalflora intakt und ungestört, finden auch die STI-Viren weniger Zielzellen, die sie für eine Infektion benötigen. Besonders deutlich ist das bei HIV. HIV benötigt bestimmte Zielzellen aus dem Immunsystem, die es infizieren kann. Liegt nun bereits eine STI oder aus anderen Gründen eine Entzündung vor (z.B. Vaginose), befinden sich viele potenzielle Zielzellen für HIV vor Ort – und das Infektionsrisiko steigt. Darum sind STIs ein eigenständiger Risikofaktor für eine HIV-Infektion im Falle der Exposition gegenüber HIV-haltigem Sperma (auch z.B. bei einem Kondomunfall). Ein STI- und entzündungsfreies. mikrobiologisch im Gleichgewicht befindliches vaginales Milieu ist damit gleichzeitig HIV-Prävention.

Auch Herpes erhöht das Risiko z.B. für HIV --- und zwar selbst dann, wenn er schon seit Wochen abgeheilt ist. Grund ist hier, dass sich in dem betreffenden Areal immer noch vermehrt Immunzellen – als Zielzellen für HIV – finden.

Ähnliches gilt für HPV – da sind es nicht Zielzellen des Immunsystems, sondern Mikrorisse in der Epitheloberfläche der Genitalschleimhäute, wie sie auch durch STIs und verschiedene Entzündungen hervorgerufen werden.

Daher ist auch die bakterielle Vaginose ein Risikofaktor für virale STIs – selbst wenn der Vaginose keine konkreten klassischen STI-Keime zugeordnet werden. Entscheidend ist die Dysbiose, die Keimverschiebung im genitalen Ökosystem, und die daraus resultierenden Folgen (wie Mikrorisse, vermehrte Immunzellen oder Bakterienarten, die eine Infektion mit anderen Keimen wie Bakterien oder Viren mittelbar oder unmittelbar fördern).

Das alles ist also längst bekannt. Neu ist, dass man mit modernen Sequenzierungsmethoden das komplette Biotop beschreiben kann und lange Artenliste von Bakterien erstellen kann, die da alle leben. Man kann auch individuelle Unterschiede im Mikrobiom feststellen und diese in statistische Beziehungen zum Risiko für bestimmte STIs oder Infektionsgefährdungen setzen. Man kann dann sagen: diese Frau hat ein größeres Infektionsrisiko für dieses oder jenes, und diese ein niedrigeres, und in gewissen Grenzen versuchen, das Mikrobiom zu beeinflussen und in die gewünschte Richtung zu verschieben, wobei dann die große Frage ist, wie dauerhaft die dabei erzielbaren Effekte sind.

Aber was sind die praktischen Konsequenzen für SW?

Bestehende (oder ggf. auch frisch abgeheilte) STIs erhöhen das Infektionrisiko für andere STIs.

Sehr junge SW und SW-Berufsanfängerinnen haben nachweislich ein mehrfach erhöhtes STI-Risiko vor allem im ersten Halbjahr ihrer SW-Tätigkeit, was dann allmählich zurückgeht (KABP-Surv-STI-Studie des Robert-Koch-Instituts). Kalendarisches Alter und Dauer der Sexarbeit sind damit ein wichtiger Prädiktor für das STI-Risiko. Der noch (immunologisch?) unreife Genitaltrakt junger Frauen ist besonders anfällig für STIs. Vielleicht liegt das ja auch daran, dass das Mikrobiom noch nicht optimal ist, noch nicht sein Gleichgewicht gefunden hat und störanfällig ist, und die lokale Immunantwort noch nicht voll entwickelt ist – die sich erst unter dem Einfluss sexueller Kontakte und Kontamination mit verschiedensten Erregern herausbildet.

Praktisch gesehen sind die genauen Ursachen aber zweitrangig. Die praktische Schlussfolgerung für junge SW daraus kann nur sein, sich im ersten Jahr ihrer Tätigkeit besonders engmaschig auf freiwilliger Basis untersuchen zu lassen, strikt auf Kondomanwendung zu achten (ohne Kompromisse) – und es mit der Intimhygiene nicht zu übertreiben, um die empfindliche Vaginalflora nicht zu schädigen.

Auch über die Anfängerphase hinaus verdeutlichen die Erkenntnisse die Notwendigkeit regelmäßiger Untersuchungen auf STIs und deren umgehende Behandlung – (freiwillig und im höchst eigenen Interesse!);

die Bedeutung konsequenter Kondomverwendung;

die Notwendigkeit, eine gesunde Vaginalflora (Laktobazillen!) zu erhalten bzw. wiederherzustellen;

die Vermeidung einer übertriebenen Intimhygiene (wer stets Kondome verwendet, muss damit auch nicht übertreiben)

ggf. prophylaktische Maßnahmen (Laktobazillen zuführen) während einer Antibiotikabehandlung, weil dann die Genitalflora total entgleisen kann (z.B. Dominanz von Pilzen).


Also alles nichts Neues.

Und was die Auswirkungen des Mikrobioms auf die Psyche angeht? Vielleicht mag das Mikrobiom des Darms da eine Rolle spielen, aber beim genitalen Mikrobiom dürften die Zusammenhänge banalerer Art sein. Wer z.B. wegen Dysbiose / bakterieller Vaginose oder Pilzinfektion unangenehme Empfindungen hat, ein ständiges Kribbeln, Reizgefühle oder ähnliches in dieser empfindlichen Zone, wird auch psychisch dadurch belastet werden … das ist naheliegend.

Also: alles sehr interessant - aber die Konsequenzen, die aus all dem resultieren, sind altbekannt, und damit kein Grund für SW(oder Kunden), sich nun aufgrund dieser neuen Erkenntnisse zu beunruhigen.

Langfristig sehe ich eher positive Auswirkungen auf die Gesundheit von SWs: vielleicht wird es in Zukunft besser möglich sein, ein STI-abwehrendes bzw. gefährdendes genitales mikrobielles Milieu zu diagnostizieren und dann gezielter als bisher schon möglich (Stichwort: Lactobazillen, Joghurt-Tricks usw.) dafür zu sorgen, dass ein optimales Milieu entsteht und aufrecht erhalten bleibt.

eddy

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Marc of Frankfurt
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Beitrag von Marc of Frankfurt »

Danke für die umfangreiche und sehr gut verständliche Ergänzung.

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Marc of Frankfurt
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Immunabwehr

Beitrag von Marc of Frankfurt »

Selbstheilungskräfte vor der Kamera


Immunabwehr und Körperpolizei live:
Weiße Blutzelle verfolgt und frißt Bakterium



Bild

(Wie dieses Bild gemacht wurde: www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?p=114391#114391 )


[youtube][/youtube]

Neutrophil Chases and Eats a Staphylococcus aureus Bacterium,
16mm movie by David Rogers, Vanderbilt University 1950.


Freßzelle:
http://de.wikipedia.org/wiki/Neutrophiler_Granulozyt
Staphylococcus aureus und MRSA:
http://de.wikipedia.org/wiki/Staphylococcus_aureus




Wie man sein eigenes Mikroskop aus einem Handy baut für 20 Euro
http://sexworker.at/phpBB2/viewtopic.ph ... 839#135839