PRO PROSTITUTION - Grundrechtsrelevanz

Wo melde ich meinen Beruf an, mit welcher Steuerlast muss ich rechnen, womit ist zu rechnen, wenn ich die Anmeldung verabsäume, ... Fragen über Fragen. Hier sollen sie Antworten finden.
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Kasharius
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PRO PROSTITUTION - Grundrechtsrelevanz

Beitrag von Kasharius »

Bei aller Skepsis Einiger auch hier im Forum:

Die aktuelle Debatte um die beiden Apelle PRO und CONTRA Sexarbeit lassen deutlich werden: So ganz einfach werden es die Befürworter eines totalen Verbots der Sexarbeit in Deutschland, inklusive Freierbestrafung nicht haben. Dazu findet der Apell PRO PROSTITUTION zuviel positiven Wiederhall.

Ein derartiges Verbot wäre auch grundgesetzwidrig. Ich möchte hier auf die entsprechende Maßstäbe bei der Reglementierung von sexuellem Verhalten hinweisen die das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung zur Strafbarkeit der Geschwisterliebe aufgestellt hat:


aa)
Das Grundgesetz hat den Intim- und Sexualbereich des Menschen als Teil seiner Privatsphäre unter den verfassungsrechtlichen Schutz des Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG gestellt.
BVerfGE 120, 224 (238); BVerfGE 120, 224 (239)

Dazu gehört, dass der Einzelne sein Verhältnis zur Sexualität und seine geschlechtlichen Beziehungen zu einem Partner einrichten und grundsätzlich selbst darüber befinden kann, ob, in welchen Grenzen und mit welchen Zielen er Einwirkungen Dritter darauf hinnehmen will
(vgl. BVerfGE 47, 46 [73 f.]; 60, 123 [134]; 88, 87 [97]; 96, 56 [61]).
32

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht in seiner Ausprägung als Recht auf sexuelle Selbstbestimmung ist allerdings nicht vorbehaltlos gewährleistet.

Der Einzelne muss, soweit nicht in den unantastbaren Bereich privater Lebensgestaltung eingegriffen wird, staatliche Maßnahmen hinnehmen, die im überwiegenden Interesse der Allgemeinheit oder im Hinblick auf grundrechtlich geschützte Interessen Dritter unter strikter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgebots ergriffen werden
(vgl. BVerfGE 27, 344 [351]; 65, 1 [44]; 96, 56 [61]; stRspr).

Absolut geschützt und damit der Einwirkung der öffentlichen Gewalt entzogen ist ein Kernbereich privater Lebensgestaltung
(vgl. BVerfGE 80, 367 [373]; 90, 145 [171]; 109, 279 [313] m.w.N.).

Ob ein Sachverhalt dem unantastbaren Kernbereich zuzuordnen ist, hängt davon ab, ob er nach seinem Inhalt höchstpersönlichen Charakters ist, also auch davon, in welcher Art und Intensität er aus sich heraus die Sphäre anderer oder Belange der Gemeinschaft berührt; maßgeblich sind die Besonderheiten des jeweiligen Falles
(vgl. BVerfGE 34, 238 [248]; 80, 367 [374]; 109, 279 [314 f.])
33


bb)
Einschränkungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts gemäß Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG bedürfen einer verfassungsmäßigen gesetzlichen Grundlage, aus der sich die Voraussetzungen und der Umfang der Beschränkungen klar und für den Einzelnen erkennbar ergeben
(vgl. BVerfGE 65, 1 [44]).

In materieller Hinsicht ist der Gesetzgeber zur Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit verpflichtet.


Beschluss
des Zweiten Senats vom 26. Februar 2008
-- 2 BvR 392/07 --


An diesen Maßstäben wird jede gesetzliche Regelung zu messen sein.



Freue mich auf weitere postings

Kasharius grüßt

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Beitrag von friederike »

Es fällt ja in der Diskussion auf, dass die Schwarzer und ihre Anhänger/Anhängerinnen über Grundrechte überhaupt nicht nachdenken.

Zum Glück kann auch die verfassungsändernde Mehrheit, die wir ja anscheinend demnächst haben werden, an diesen Bereich nicht dran.

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Jupiter
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Re: PRO PROSTITUTION - Grundrechtsrelevanz

Beitrag von Jupiter »

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Kasharius hat geschrieben:Bei aller Skepsis Einiger auch hier im Forum:

Die aktuelle Debatte um die beiden Apelle PRO und CONTRA Sexarbeit lassen deutlich werden: So ganz einfach werden es die Befürworter eines totalen Verbots der Sexarbeit in Deutschland, inklusive Freierbestrafung nicht haben. Dazu findet der Apell PRO PROSTITUTION zuviel positiven Wiederhall.

Ein derartiges Verbot wäre auch grundgesetzwidrig
@Kasharius, was hat bisherige Bundesregierungen gehindert, Gesetze zu verabschieden, welche Grundgesetzwidrig waren und erst nach entsprechenden Klagen / Urteilen des Bundesverfassungsgerichtes geändert wurden.
Bei der Änderung des Wahlgesetzes musste dies sogar zweimal gemacht werden.

Die Regierungen handeln so, dass die Umfrageergebnisse gut aussehen, eben "Populistisches" handeln.

Gruß Jupiter
Wenn du fühlst, dass in deinem Herzen etwas fehlt, dann kannst du, auch wenn du im Luxus lebst, nicht glücklich sein.

(Tenzin Gyatso, 14. Dalai Lama)

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Kasharius
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Beitrag von Kasharius »

@frederike

ich denke den Damen Schwarzer und Konsorten liegt ja gar nichts an einer fundierten Auseinandersetzung. Insbesondere Madam Schwarzer steht als Ober-Feministin und ergraute Ikone der Frauenbewegung unter Legitimationsdruck. Die Geschichte zeigt auch bei ihr wieder: Es ist nicht gut, wenn alte Menschen zuviel Zeit haben... :002

@Jupiter

gar nichts hat die Bundesregierungen gehindert, wie von Dir beschrieben zu handeln. Aber trotzdem sollte hier sehr deutlich auch auf die Verfassungslage und die Wertungen des Bundesverfassungsgericht verwiesen werden. Regelungen die Sexarbeit unmittelbar oder auch mittelbar vollständig verhindern sind verfassungswidrig. DAS wissen auch die Hardliner in der Union. Alles andere ist Sache von Verhandlungen und hartem und klaren Widerstand. Der ist auch effektiv. Das es in der letzten Legislaturperiode kurz vor knapp doch nicht zur Verabschiedung der Gesetzesverschärfungen kam ist doch auch der Sexarbeiterbewegung zu verdanken. Sie streiten hier mit den Schwarzeranhängern durchaus mindestens auf Augenhöhe und haben m.E. durch die beschriebene Verhinderung und den gut rezipierten Apell PRO Prostitution einen klaren Punktsieg errungen.

Kasharius grüßt

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fraences
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Beitrag von fraences »

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Kasharius hat geschrieben: Alles andere ist Sache von Verhandlungen und hartem und klaren Widerstand. t
Je mehr der Druck sich erhöht, hoffe ich das der Widerstand härter wird. Sonst werden wir überrannt. EMMA Aktion ist gut getimed, und so viel Verstand traue ich den Prostitutionsgegner zu das sie genau wissen, das ihr Appel zu Abschaffung der Prostitution unrealistisch ist. Aber es lenkt gut ab, und fördert die Bereitschaft die Konzessionierung durch zu winken. Was letztendlich das Ende auf Dauer der legale Prostitution sein wird. Es zielt auf nur staatliche, kontrollierte Großbordelle ab! Zwangskasernierung!

Jetzt verstehe ich , warum STRASS Bordelle ablehnt, sie haben ja auch genug schlechte Erfahrung damit gemacht.

Von freie Berufsausübung nach § 12 GG kann dann keine Rede sein.

Liebe Grüße, Fraences
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Kasharius
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Beitrag von Kasharius »

@freances

stellt Euer Licht nicht unter den Schefel. Nach Emmas Aktion habt ihr shr gut und professionell blank gezogen. Ich möchte Euch hier einfach auch weiter ermutigen und wo ich es vermag, auch unterstützen.

Kasharius grüßt Dich herzlich

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Beitrag von fraences »

Danke, Kasharius.

Wir hätten mehr Zeit gebracht um effektiver den Widerstand aufzubauen.

Und noch jetzt "träumen" Viele davon, das es kein Paradigmawechsel geben wird oder die Haltung, wie am in Kölle sät:
"Et hät noch immer god gegange"

Klar werden wir weiter unseren Job nach gehen, die Frage ist und das können sich viele in Deutschland nicht vorstellen, wie es ist im Verborgenem zu arbeiten.
Ich habe jahrelang in der Schweiz gearbeit, als es dort in den 90er Jahre verboten war. Katz- und Mausspiel mit der Fremdenpolizei um nicht erwischt zu werden.
Wurde man verhaftet, 48 Stunden Inhaftierung, stundenlange Verhöre, Leibesvisite, sämtliches Bargeld wurde einem abgenommen, an der Grenze im Zug gesetzt und 5 Jahre Schweizverbot .Stempel im Pass.

Aber wie sagt Brecht: "Die im Dunkeln sieht man nicht."

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Beitrag von Kasharius »

@freances

Euer Widerstand ist noch nicht beendet. Er beginnt erst und er wird erfolgreich sein. Sei dessen gewiss!

Kasharius grüßt

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Beitrag von fraences »

Lena bei Jauch gibt Hoffnung. Sie macht es hervorragend.
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Beitrag von Sexfürihn »

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fraences hat geschrieben:Lena bei Jauch gibt Hoffnung. Sie macht es hervorragend.

Das Problem ist, dass Frauen wie die Britz das entscheiden und ein Bild von der Arbeit eines Sexworkers haben, der nichts mit der Wahrheit zu tun hat.
Und solche Leute haben Lobby in Sendungen wie Jauch

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RE: PRO PROSTITUTION - Grundrechtsrelevanz

Beitrag von Kasharius »

Und hier nachfolgend noch einige, auch ermutigende, Aussagen des Bundesverfassungsgerichts in seiner Entscheidung zu Sperrgebietsverordnungen und deren Ermächtigungsnorm in Art. 297 EGStGB:

Ein Normverständnis von Art. 297 EGStGB, wonach jede Ausübung der Prostitution zugleich den öffentlichen Anstand verletzte, würde der Vorschrift offensichtlich nicht gerecht. Ansonsten würde diese Tatbestandsvoraussetzung für den Erlass einer Sperrbezirksverordnung jegliche den Verordnungsgeber lenkende und seine Entscheidungsbefugnis eingrenzende Wirkung verlieren. Mit dem Schutz des öffentlichen Anstandes wird nach der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte nicht die Wahrung der allgemeinen Sittlichkeit bezweckt. Verstanden als Norm, die allein der Durchsetzung von herrschenden Moralvorstellungen dient, wäre die Vorschrift in der Tat verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt.

(...)

Der Gesetzgeber hat sich mit dem Prostitutionsgesetz darauf beschränkt, zum einen die Rechtswirksamkeit des Anspruchs der Prostituierten auf das vereinbarte Entgelt (§ 1 ProstG), die fehlende Abtretbarkeit des Anspruchs und den weitgehenden Ausschluss von Einwendungen gegen diesen (§ 2 ProstG) und den Zugang zur Sozialversicherung trotz des nur eingeschränkten Weisungsrechts gegenüber abhängig beschäftigten Prostituierten (§ 3 ProstG) zu regeln sowie zum anderen die Strafbarkeit der Förderung der Prostitution und der Zuhälterei einzuschränken (Art. 2 ProstG). Dabei hat er zwar keine ausdrückliche gesetzliche Regelung dahin gehend getroffen, dass das Ausüben der Prostitution nicht sittenwidrig sei. Er ging ausweislich der Gesetzesbegründung jedoch davon aus, dass die Vereinbarung über ein Entgelt für sexuelle Leistungen und auch die Tätigkeit selbst nicht gegen die guten Sitten verstoßen (vgl. BTDrucks 14/5958, S. 4, 6). Auch die Rechtsprechung nimmt mittlerweile an, dass die Prostitution nicht mehr als sittenwidrig angesehen werden kann

(...)

Darüber hinaus geht die Behauptung der Widersprüchlichkeit der Rechtsordnung auch deswegen fehl, weil der im Erlass des Prostitutionsgesetzes zum Ausdruck kommende Anschauungswandel in diesem Bereich ein beachtlicher Gesichtspunkt bei der dem Normgeber und den Verwaltungsgerichten in Anwendung und Auslegung einfachen Rechts obliegenden Prüfung sein kann, ob und in welchem Umfang Sperrbezirke auf der Grundlage von Art. 297 EGStGB ausgewiesen werden dürfen

BVerfG, 1 BvR 224/07 vom 28.4.2009, Absatz-Nr. (1 - 31), http://www.bverfg.de/entscheidungen/rk2 ... 22407.html

Das Bundesverfassungsgericht bekennt sich hier zur generellen Abschaffung der Sittenwidrigkeit von Sexarbeit und verweist auf den Anschauungswandel bei der Regulierung von Sexarbeit als korrektiv. Diese Regulierung dient eben nicht der Durchsetzung von Moralvorstellungen (dies alles charakterisiert aber den EMMA-Apell gegen Sexarbei.)t All dies sind gewichtige Argumente die bei der Diskussion um die Verschärfung der Gesetzeslage mit in die Waagschale geworfen werden müssen.

Kasharius grüßt