ProstG: Deutsches Prostitutionsgesetz

Beiträge betreffend SW im Hinblick auf Gesellschaft bzw. politische Reaktionen
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Marc of Frankfurt
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Sexworker Justice Ansatz

Beitrag von Marc of Frankfurt »

Was Sexworker für Strategien verfolgen oder politisch fordern:

Drei-Dimensionale Strategie



1. Sexworker Services
oder Sexworker Gesundheit (Dienstleistungen für Sexworker):
anonyme kostenfreie niederschwellige flächendeckende Gesundheitsangebote, Sexworker 24/7-Hotline/Infozentrum, Sozialberatungsstellen, Akzeptanzkampagne ... (Ärzte, Sozialarbeiter...)

2. Sexworker Rechte:
Entkriminaliserung, Legalisierung, Arbeitsrecht der Prostitution, Rechtsberatung, Vereinheitlichung lokaler Regelungen, Prozesskostenhilfe, Opferbetreuung und -entschädigung, Bleiberechte (T-Visum), Antidiskriminierungsgesetz... (Juristen...)

3. Sexworker Gerechtigkeit:
Selbstorganisation (Gewerkschaft, Lobby), Empowerment, Education (Sexworker Academy), Sozialeinrichtungen (Sexworker Sparkasse, Sexworker Altenheim) ... (Sexworker...)


www.eminism.org/blog/entry/415
Zuletzt geändert von Marc of Frankfurt am 31.12.2013, 11:03, insgesamt 1-mal geändert.

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fraences
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RE: ProstG: Deutsches Prostitutionsgesetz

Beitrag von fraences »

Vorschlag: CSU will Prostitution unter 21 verbieten

Die CSU will die Prostitution in Deutschland eindämmen. Frauen, die ihre Dienste anbieten, sollen mindestens 21 Jahre alt sein, sich bei den Behörden anmelden und regelmäßig zum Gesundheitsamt gehen müssen. Die Partei will junge Frauen so vor Menschenhandel und Zwangsprostitution schützen.

München - Die CSU will die Prostitution von Frauen unter 21 verbieten lassen. "Das gesetzliche Alter für die Ausübung der Prostitution ist auf 21 Jahre heraufzusetzen", heißt es im Entwurf eines Papiers, das die CSU-Landesgruppe auf ihrer traditionellen Klausur Anfang Januar in Wildbad Kreuth beschließen will. Die Partei begründet den Schritt damit, dass vermehrt junge, unerfahrene Frauen Opfer von Menschenhandel und Zwangsprostitution würden.

Für Prostituierte soll es nach dem Willen der CSU-Landesgruppe eine Pflicht zur Anmeldung bei den Behörden geben. "Diese würde die Arbeit der zuständigen Polizei- und Ordnungsbehörden erheblich erleichtern. Es wäre deutlich leichter, zwischen legaler Prostitution und illegaler Zwangsausbeutung zu unterscheiden", heißt es zur Begründung. Zudem sollen Prostituierte künftig zu regelmäßigen Untersuchungen durch das Gesundheitsamt verpflichtet werden. Über das Papier hatte zuerst die "Passauer Neue Presse" berichtet.
Die CSU plädiert für "eine neue, umfassende Regulierung der Prostitution und der Prostitutionsstätten in Deutschland durch ein eigenes Gesetz". Das sei längst überfällig. Das geltende Recht schütze schon lange nicht mehr die Prostituierten, argumentiert die Partei. Zuhälter, Kriminelle und Bordellbetreiber hätten dies ausgenutzt und Deutschland zum "Bordell Europas" gemacht. Eine gewünschte Gegenmaßnahme: Beim Verdacht der Zuhälterei möchte die CSU-Landesgruppe eine Telekommunikationsüberwachung ermöglichen.

Ein Komplettverbot der Prostitution lehnt die CSU ab. "Es würde letztlich nur zu einer Verlagerung der Prostitution in die Illegalität und zu einer weiteren Abschottung des Milieus führen", heißt es in dem Entwurf des Papiers. Zuhälter und Kriminelle würden damit weiter gestärkt, die Rechte der Prostituierten weiter geschwächt. Man müsse vielmehr klare Grenzen zwischen illegaler und legaler Prostitution ziehen.

www.spiegel.de/politik/deutschland/csu- ... 41275.html
Wer glaubt ein Christ zu sein, weil er die Kirche besucht, irrt sich.Man wird ja auch kein Auto, wenn man in eine Garage geht. (Albert Schweitzer)

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RE: ProstG: Deutsches Prostitutionsgesetz

Beitrag von fraences »

Warum es Unsinn ist, das Mindestalter für die Ausübung der Sexarbeit auf 21 zu erhöhen

von Sonia Dolinsek

http://menschenhandelheute.net/2013/12/ ... u-erhohen/
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RE: ProstG: Deutsches Prostitutionsgesetz

Beitrag von fraences »

edit: doppelt
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RE: ProstG: Deutsches Prostitutionsgesetz

Beitrag von fraences »

Klausurtagung der CSU-Landesgruppe in Wildbad Kreuth vom 7. bis 9. Januar 2014

DER MENSCH IST KEINE WARE: PROSTITUTION REGULIEREN – MENSCHENHANDEL BEKÄMPFEN





Antwort vom Bundesverband
www.sexwork-deutschland.de/?p=874
Dateianhänge
ENTWURF- Kreuth-Beschluss 2014 - DER MENSCH IST KEINE WARE PROSTITUTION REGULIEREN – MENSCHENHANDEL BEKÄMPFEN.pdf
von CSU-Landesgruppe.de - Max Straubinger MdB, Parlamentarischer Geschäftsführer
(207.88 KiB) 260-mal heruntergeladen
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Beitrag von malin »

Mir wird ganz schwindelig wenn ich lese wie sie den Begriff "Schutz" der SW in den Mund nehmen, um dann die aberwitzigs SW-feindlichen Gesetzesforderungen aufzustellen.

Dies sind alles Gesetze die darauf abzielen aktive und selbstbestimmte SW durch Zwang/Stigmatisierung/Demütigung/Repression wieder in einen semilegalen und schwachen Zustand zurückzudrängen.
Und ihnen ganz nebenbei fast jede Chance nehmen, jemals wieder in ein bürgerliches Anstellungsverhältnis zu wechseln.

Wir hatten es schon einmal so, es ist erst gut 10 Jahre her - damals blühte die Gewalt, und es war ein wunderbares Leben für Zuhälter.
liebe grüsse malin

eventuell fehlende buchstaben sind durch meine klemmende tastatur bedingt :-)

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fraences
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Prostitution? Ja bitte!

Beitrag von fraences »

GESELLSCHAFT
Prostitution? Ja bitte!


In Deutschland wird derzeit über politische Maßnahmen gegen Prostitution diskutiert. Prostitution berührt die intimsten öffentlichen und privaten Bereiche und ist dementsprechend ein heikles Thema. Diskussionen über Prostitution werden selten sachlich geführt. Ich möchte mich nun in einigen Zeilen an dieses Thema heranwagen.

Grundsätzlich gilt es, eine gemeinsame Basis zu erarbeiten. Ich denke wir sind uns alle darin einig, dass jeder Mensch über seine Sexualität selbst bestimmen darf. Das heißt, kein Mensch darf zu sexuellen Handlungen gezwungen werden. Pointiert ausgedrückt heißt das: „Meine Vagina/mein Penis gehört mir – und ich mache damit was ICH will“
So argumentierend könnte man doch meinen: Wenn ein Mensch nicht dazu gezwungen werden darf, sexuelle Handlungen auszuführen, wie kann dann jemand das Recht haben, einem Menschen freiwillige sexuelle Handlungen zu untersagen? Wäre dies nicht ein massiver Einschnitt in die Selbstbestimmung des Individuums?

Ein Gegenargument gegen diesen individualistischen Zugang zur Prostitution ist die Frage des Zwanges. Wo beginnt Zwang und wo hört Zwang auf? Menschenhandel, sexuelle Ausbeutung und Gewalt sind eindeutig als Zwang identifizierbar und dementsprechend verwerflich. Doch es gibt auch den „sanften“ Zwang. Ein Mensch kann auch durch ökonomische Not dazu gezwungen sein, seinen Körper „eigentlich“ gegen seinen Willen zu verkaufen.
Doch nun stellt sich die entscheidende Frage: Verbessert ein Verbot der Prostitution die ökonomische Situation des Notleidenden? Wohl eher nicht. Ich denke sogar, ein solches Verbot wäre gefährlich. Wäre Prostitution legal, könnte sie in einem geregelten, rechtssicheren Bereich stattfinden. Wäre Prostitution jedoch verboten, müsste die notleidende Person sich in illegale Gefilde begeben.
Wer also die Prostitution abschaffen will, damit Menschen in ökonomischer Not nicht mehr ihren Körper verkaufen müssen, sollte sich eher um eine anständige Wirtschaftspolitik denn um das Verbot einvernehmlichen Geschlechtsverkehrs gegen Geld bemühen.

In der Realität stößt man mit einem solch rationalen Zugang zum Thema meist auf wenig Gegenliebe, da Prostitution für viele Menschen ein hochemotionales Thema ist. Prostitution ist in ihren Augen nicht nur eine Methode, Geld für eine Dienstleistung zu erhalten. Prostitution ist ein Phänomen, das die Menschen offensichtlich tiefergehend berührt. Es geht um Macht, es geht um Liebe, es geht um Moral und auch um unsere monogame Grundeinstellung. Diese emotionale Ladung führt dazu, dass die Prostitution bis heute in einem rechtlichen Graubereich stattfindet – aus Scheu vor etwaigen Konflikten.

Jeder Mensch hat das Recht über seinen Körper zu bestimmen, auch Menschen, die sexuelle Handlungen für Geld anbieten wollen. Wir sollten dementsprechende rechtliche Rahmenbedingungen schaffen, um allen in der Prostitution tätigen Menschen den Respekt entgegenzubringen, den sie verdienen. Es gibt keinen moralischen Grund dafür, einvernehmlichen Sex zu verbieten. Ein Verbot der Prostitution löst das Problem der Zwangsprostitution nicht, sondern könnte dieses Problem sogar noch verschlimmern. Dadurch würden auch all jene, die diesen Beruf aus freien Stücken ausüben (wollen) in die Illegalität gedrängt. Das kann nicht der Anspruch einer westlich-aufgeklärten Gesellschaft sein

http://www.salto.bz/de/article/05012014 ... n-ja-bitte
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Marc of Frankfurt
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Rettungs-Industrie

Beitrag von Marc of Frankfurt »

Das Prinzip der abolitionistischen, christlichen Politiker



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[This picture which appears in the new edition of the Irish underground newspaper Rabble, alongside a very sharp critique of the Turn Off The Red Light campaign in Ireland.]

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RE: Prostitution? Ja bitte!

Beitrag von lust4fun »

Es ist ein recht "braver" Text des Südtirolers. Wie eine Rhethorikübung engagierter Jungjournalisten.

Der Autor könnte das Arbeitspapier der CSU (Bad Kreuth) hernehmen und zum Schluss gelangen: Na also, die Vernunft setzt sich durch. Denn da heißt es auch:

"Aus Sicht der CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag wäre ein vollständiges Verbot der Prostitution, so wie in Frankreich diskutiert und in Schweden praktiziert, der falsche Weg. Es würde letztlich nur zu einer Verlagerung der Prostitution in die Illegalität und einer weiteren Abschottung des Milieus führen. (...) Die Ausübung der Prostitution in Deutschland muss reguliert und der Schutz der Prostituierten deutlich verbessert werden."

Das politische Konfliktfeld besteht nicht in solchen globalen Sätzen, sondern in der Feinanalyse der vorgeschlagenen Maßnahmen hinsichtlich der handlungsleitenden Motive und der konkreten Wirkungszusammenhänge im Einzelnen.

Solange man nur die globale Absicht beschwört, "einvernehmlichen Sex" nicht verbieten zu wollen, läuft man in unserer aktuellen Lage Gefahr, die eigentlichen Kampffelder zu übersehen.

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Beitrag von Fragender »

Und wie immer stellt sich die Frage, warum denn angesichts der Tatsache, dass die meisten Menschen ihre Selbstbestimmung nicht freiwillig abgeben, sondern weil sie das Geld brauchen, die Prostitutionskritiker nicht auch auf die Idee kommen, die Erwerbsarbeit insgesamt wegen Freiheitsberaubung zu verbieten.

Aber klar, alle anderen Jobs dienen ja nur der Selbstverwirklichung. Auch ich war am Montag soooo motiviert, nach 16 langweiligen Tagen in Freiheit mich endlich wieder im Gefängnis der Erwerbsarbeit selbst verwirklichen zu können. /ironie off

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lust4fun
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RE: ProstG: Deutsches Prostitutionsgesetz

Beitrag von lust4fun »

taz, 8.1.14
http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/arti ... 30a9ceb86a

Drei Paragrafen Unschuld

SÜNDENBOCK Die CSU fordert auf ihrer Klausur in Kreuth ein strengeres Prostitutionsgesetz. Denn das bestehende Recht habe den Menschenhandel begünstigt. Dabei hat beides nichts miteinander zu tun

VON LISA SCHNELL

Deutschland ist das Bordell Europas. Das scheint mittlerweile schon zur Binsenweisheit geworden zu sein. Da sind sich CSU-Hardliner wie Hans-Peter Uhl und die Frauenrechtlerin Alice Schwarzer einig. Zusammen wettern sie gegen die Reform des Prostitutionsgesetzes unter Rot-Grün, das Ende 2001 beschlossen wurde. Gerade steht es wieder am Pranger: Bei ihrer Klausurtagung in Wildbad Kreuth verabschiedet die CSU einen Gesetzentwurf, der behauptet, das liberale Prostitutionsgesetz habe "zu einer Blüte der organisierten Kriminalität geführt". Die Polizei müsste tatenlos zusehen, wie vor ihren Augen der "Mensch zum Objekt degradiert und als Ware feilgeboten wird".

Doch wer mit dem Finger auf die Reform des Prostitutionsgesetzes zeigt, der beschuldigt den Falschen. Das Reförmchen von 2001 besteht aus gerade mal drei Paragrafen, die nicht mehr als acht Zeilen umfassen. Es hat die Sittenwidrigkeit abgeschafft und die Rechte von freiwillig arbeitenden Prostituierten gegenüber ihren Arbeitgebern gestärkt. Sie können nun in die Sozialversicherung und ihren Lohn einklagen. Das war's. Es hat weder Zuhälterei noch Menschenhandel legitimiert. Die sind immer noch verboten und also strafbar.

Ob liberales Gesetz oder nicht, das scheint mit den Opfern von Menschenhandel nichts zu tun zu haben. Laut einem Bericht der Europäischen Kommission gibt es in Deutschland genauso viele Opfer von Menschenhandel pro 100.000 Einwohner wie in Schweden, wo Freier bestraft werden. Das Bundeskriminalamt hat seit der Reform des Prostitutionsgesetzes sogar weniger Opfer gezählt als zuvor. 2001, vor der Liberalisierung, gab es 987, im Jahr 2012 waren es nur 612.

Natürlich liegt die Dunkelziffer sehr viel höher. Dass viele Zuhälter ungeschoren davonkommen, liegt daran, dass es den Opfern vom Gesetzgeber nicht gerade schmackhaft gemacht wird, auszusagen. Vielen droht nach einer Aussage sogar die Abschiebung. Diese Unverschämtheit steht aber nicht im Prostitutionsgesetz, sondern im Opferschutzgesetz.

Auch der Vorwurf, dass Rot-Grün mit ihrer Reform die Polizei vom Milieu abgeschirmt hätte, läuft ins Leere. Die Polizei kann so viel kontrollieren, wie sie will, wenn die Länder Prostitution als "sozial unwerte Tätigkeit" definieren. Selbst CSU-Rechtsexperte Uhl, der in seinem Gesetzentwurf noch von "fehlenden Kontrollbefugnissen" spricht, sagt, dass jederzeit unangekündigte Kontrollen möglich sind. Polizei und Landeskriminalbeamte gaben in einer Umfrage an, dass sie seit 2002 keine "relevante Änderung ihrer polizeilichen Praxis" feststellen. Sie ergab auch, dass der Kampf gegen Zwangsprostitution nur erfolgreich sein kann, wenn das Vertrauen der Opfer gewonnen wird. Ein Polizist in Uniform und mit Schlagstock ist dazu wohl eher nicht geeignet.

Um für bessere Arbeits- und Hygienebedingungen in Bordellen zu sorgen, braucht es kein härteres Prostitutionsgesetz. Man müsste Bordelle einfach nur als Gewerbe definieren. Dann könnte auch ein Führungszeugnis für die Besitzer zur Voraussetzung gemacht werden. Das hatte Rot-Grün 2001 auch vor. Dass sie es nicht umsetzen konnten, ist den Gegnern eines liberalen Gesetzes zu verdanken. Hätte der Bund 2001 Bordelle als Gewerbe definiert, wäre die Reform des Prostitutionsgesetzes zustimmungspflichtig gewesen und damit wahrscheinlich an der schwarz-gelben Mehrheit im Bundesrat gescheitert. Die einzige Kontrolllücke hat sich die CSU also selbst zuzuschreiben.

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Beitrag von bienemaya »

Wenn es nicht hierher passt, bitte verschieben. Ein Artikel, der mir im Großen und Ganzen aus der Seele spricht.

http://www.novo-argumente.com/magazin.p ... el/0001498


Prostitution: Ein Beruf wie jeder andere
Von Johannes Richardt

(0) Kommentare

In der Kontroverse um eine Verschärfung des Prostitutionsgesetzes werden Sexarbeiterinnen mit fragwürdigen Argumenten pauschal als Opfer abstempelt. Novo-Redaktionsleiter Johannes Richardt fordert stattdessen, die Prostitution konsequent zu legalisieren.


Der Konflikt um die Prostitution ist wohl so alt wie das Gewerbe selbst. In ihm spiegeln sich gesellschaftliche Normen und Moralvorstellungen ebenso wider, wie Erwartungshaltungen an die Rolle des Staates oder an die Fähigkeit der Individuen zur Selbstbestimmung. So ist es wenig überraschend, dass im gegenwärtigen Klima großflächiger staatlicher Einmischung in alle möglichen Lebensbereiche von der Kinderziehung bis zu unseren Ernährungsgewohnheiten auch der käufliche Sex mal wieder in den Fokus einer vordergründig wohlmeinenden Regulierungsdebatte geraten ist.

Ja, ein Job wie jeder andere war die Prostitution noch nie. Sie wurde immer bekämpft, geächtet, verboten oder zumindest stark reguliert. Lediglich die Begründungen haben sich im Laufe der Zeit gewandelt: Mal hieß es, sie fördere die Verbreitung von Geschlechtskrankheiten, mal, sie zersetze die eheliche Moral usw. usw. Heutzutage, auch das ist nicht ganz neu, geht es vor allem darum, die Prostituierten vor sich selbst und vor „Menschenhandel und Zwangsprostitution“ zu schützen – u. a. mit diesem Argument wurde im Dezember letzten Jahres in Frankreich ein Gesetz beschlossen, dass eine Bestrafung der Freier nach schwedischem Vorbild vorsieht. Auch im aktuellen Koalitionsvertrag von Union und SPD findet sich diese Argumentation als wesentliche Begründung für die Forderung nach einer Verschärfung des 2002 in Kraft getretenen Prostitutionsgesetzes (ProstG). [1]

„Die Prostitution wurde immer bekämpft, geächtet, verboten oder zumindest stark reguliert. Lediglich die Begründungen haben sich im Laufe der Zeit gewandelt.“

Das deutsche Gesetz gilt gemeinhin als eines der liberalsten weltweit. Zwar gibt es nach wie vor eine Unzahl diskriminierender Sonderrechte, die den schätzungsweise 200.000 – 400.000 ganz überwiegend weiblichen Sexarbeitern das Leben erschweren (dazu später mehr), aber immerhin ist die Prostitution hier im Gegensatz zu vielen anderen Ländern legal. Und für die Prostitutionsgegner – ganz vornweg die EMMA-Chefin Alice Schwarzer, die mit ihrem „Appell gegen Prostitution“ [2] den Ton in der aktuellen Kontroverse vorgeben hat – liegt genau hier das Problem: die angebliche Liberalität der hiesigen Gesetzgebung habe Deutschland „zu Europas Drehscheibe für Frauenhandel“ gemacht. Mit dem „Gesetz für Zuhälter und Menschenhändler“ fördere die Bundesrepublik die „moderne Sklaverei“. Bordelle würden nicht kontrolliert, Verbrechen blieben ungesühnt – kurzum: ein rechtsfreier Raum sei entstanden, dem man nur durch stärkere Kontrolle, Überwachung und Bestrafung wieder Herr werden könne.
Prostitution und Menschenhandel

Die Polizei soll’s also richten! Aber ist der behauptete Zusammenhang von legaler Prostitution und Menschenhandel wirklich so eindeutig? Ja, meint etwa eine von Regulierungsbefürwortern immer wieder ins Feld geführte Studie [3] von Seo-Young Cho, Axel Dreher und Eric Neumayer. „In Deutschland, wo Prostitution legal ist, ist der Markt 60 Mal größer als in Schweden, wo Prostitution verboten ist. Gleichzeitig hat Deutschland rund 62 Mal so viele Opfer von Menschenhandel wie Schweden, obwohl die Bevölkerung weniger als zehn Mal so groß ist“, so Dreher gegenüber der ARD. [4] Kritiker entgegnen, dass die Datenlage in diesem empirisch wenig erforschten Gebiet alles andere als klar sei. Die Studien zum Thema Menschenhandel basieren vor allem auf Schätzungen, fragwürdigen Quellen und Dunkelziffern. [5] Auch eine klare Definition, was unter Menschenhandel eigentlich zu verstehen ist, fehle – Prostituiertenselbsthilfegruppen merken an, dass die übergroße Mehrheit derjenigen Frauen, die auf sogenannte „Schlepperbanden“ zurückgreifen, dies nicht aus Zwang sondern aus rationalen Erwägungen tue, z. B. weil sich auf Grund der restriktiven Arbeits- und Einwanderungsgesetze ansonsten kaum legale Möglichkeiten der Einreise bieten. Die einzigen handfesten Zahlen zum Thema Menschenhandel, nämlich diejenigen der Polizeilichen Kriminalstatistik, scheinen die Sicht der Prostituiertenaktivisten zu bestätigen. Demnach sind die erfassten Fälle von „Menschenhandel“ (§232 StGB) hierzulande zwischen 2000 und 2012 von 1016 auf 558 – also um ca. 50 Prozent – zurückgegangen. [6]

„Die erfassten Fälle von ‚Menschenhandel‘ sind hierzulande zwischen 2000 und 2012 von 1016 auf 558 – also um ca. 50 Prozent – zurückgegangen.“
Feministischer Paternalismus

Solche Zweifel lassen die in der Regel aus privilegierten bürgerlichen Kreisen stammenden Antiprostitutionskämpfer nicht gelten – sie sehen sich als Anwälte der Opfer und Kämpfer gegen die Finsternis. Bei den in der aktuellen Diskussion weitestgehend ignorierten Prostituiertenselbsthilfegruppen handele es sich ohnehin um gekaufte „LobbyistInnen“ und den Frauen in der Sexindustrie wird pauschal die Befähigung abgesprochen, rational über ihr Leben zu bestimmen. Sie hätten keine Wahl, heißt es. Ihr Lebenswandel sei oft durch frühe Missbrauchs- und Gewalterfahrungen mehr oder weniger vorbestimmt. Hier unterscheiden sich die Argumente der heutigen Antiprostitutionskämpfer erstaunlicherweise kaum von denjenigen des späten 19. Jahrhunderts. Auch die selbsternannten „Abolitionisten“ [7] sahen in Prostituierten unter Rückgriff auf die Sprache der damals noch jungen Psychoanalyse keine zurechnungsfähigen Subjekte sondern getriebene einer kranken Seele. [8] Der paternalistische Anspruch kleidet sich damals wie heute in psychologisierende Begrifflichkeiten.

Bei aller Kritik an simplifizierenden und entmündigenden Opfermythen muss natürlich auch erwähnt werden, dass es viele Sexarbeiterinnen tatsächlich schwer im Leben hatten und haben. Es geht nicht darum, die Zustände in der Prostitution zu romantisieren. Es gibt kriminellen Zwang und Ausbeutung. Im „Niedriglohnsektor“, in dem eine große Zahl der vor allem aus Osteuropa stammenden Prostituierten arbeitet, liegt mit zum Teil beschämender Bezahlung und schlechten Arbeitsbedingungen vieles im Argen. Für viele Frauen wird die Prostitution zur biografischen Sackgasse.

Natürlich leugnen auch Prostituiertenaktivisten nicht, dass sich Frauen auch auf Grund schlechter Lebensperspektiven für die Arbeit im Sexgewerbe entscheiden – dies gilt aktuell insbesondere für diejenigen, die aus Krisenstaaten Südosteuropas stammen. Mangelnde Bildung, Armut oder Arbeitslosigkeit sind wichtige Faktoren. Andere haben in ihren Heimatländern bereits in der Prostitution gearbeitet und wandern nach Deutschland aus, weil sie dort einfach mehr verdienen können. Wieder andere sind nur ein paar Jahre in der Sexindustrie tätig und überweisen in dieser Zeit Geld in ihre Heimatländer, um ihre Familie zu unterstützen. Die Gründe für den Einstieg in die Branche sind sehr individuell. Aber die geplanten Gängelungen und Repressionen gegenüber Prostituierten, Bordellbetriebern und Freiern werden kaum helfen, vorhandene Missstände dauerhaft zu beseitigen.
Prostitution legalisieren!

Bessere Arbeitsbedingungen und mehr Selbstbestimmung für die Sexarbeiter erreicht man am ehesten durch die konsequente Legalisierung der Prostitution und die Gleichstellung mit anderen Erwerbstätigkeiten, wie es etwa die Frankfurter Prostituierten-Selbsthilfeorganisation Doña Carmen fordert. Das Problem ist nicht die zu liberale Gesetzgebung hierzulande, sondern dass sie bei weitem noch nicht liberal genug ist! Das rot-grüne ProstG von 2002 war bereits eine Mogelpackung, in der viele der heutigen Missstände und Grauzonen angelegt waren. Nach wie vor ist das Verdikt der „Sittenwidrigkeit“ im Zusammenhang mit Prostitution nicht vollständig abgeschafft, nach wie vor gibt es „Sperrgebiete“ und nach wie vor ist der gewerberechtliche Status der Prostitution unklar, nach wie vor wird sie steuerrechtlich sowie sozialrechtlich diskriminiert.

„Bessere Arbeitsbedingungen und mehr Selbstbestimmung für Sexarbeiter erreicht man am ehesten durch konsequente Legalisierung der Prostitution.“

Leider taucht diese Forderung in der gegenwärtigen Debatte so gut wie gar nicht auf. Es scheint nur noch um die Frage zu gehen, wie sehr das ProstG verschärft werden soll. Der Staat sollte bei der notwendigen gesetzlichen Regulierung der Prostitution jegliche moralische Wertung unterlassen. Für ihn hat der auf Bezahlung erfolgende einvernehmliche Sex zwischen zwei Erwachsenen als Dienstleistung zu gelten – sonst nichts. Bei Zwang und Gewalt greift das bereits bestehende Strafrecht. Dass erwachsene Menschen in unserer Gesellschaftsordnung entscheiden können, wie und an wen sie ihre Arbeitskraft verkaufen, ist ein historischer Fortschritt gegenüber anderen Zeiten, in denen Zünfte, kirchliche oder adelige Autoritäten über das Schicksal der Menschen bestimmten – dieses Recht sollte uneingeschränkt für jeden gelten.

Die aktuelle Kampagne gegen die Missstände im Prostitutionsgewerbe fußt auf schwachen Argumenten und traurigen Vorurteilen gegenüber den dort tätigen Menschen und deren Kunden. Gesellschaftliche Vorurteile werden verfestigt – letztlich mit dem Ziel, die Prostitution in die Illegalität zurückzudrängen. Wenn jemand die Prostitution als unmoralisch oder anstößig erachtet, kann er das gerne tun, aber in einer freiheitlichen Gesellschaft sollte das keine Frage staatlicher Gesetzgebung sein.

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Rechtgeschichte & Ethik

Beitrag von Marc of Frankfurt »

Wir wissen dass Prostitution vor 2002 und auch heute noch weitgehend über das Strafgesetz reguliert wird, weil es die kulturell etablierten Feindbilder Zuhälterei und Menschenhandel gibt (arbeitsteilige Organisation der Prostitution wird kriminalisiert und diese Rechtsnormen sind mit Gefängnisstrafen belegt also "strafbewährt").


Grundsatzdiskussion: Strafrecht:

"Gefängnisstrafen halte ich grösstenteils für verfassungswidrig"

Interview mit dem ehem. Professor für Rechtsgeschichte und Zivilrecht Uwe Wesel (FU Berlin)



...

Es gab mal Zeiten, als noch kein Staat existierte. Das waren herrschaftsfreie Zeiten. Damals lag das Recht in der Hand von miteinander verhandelnden Verwandtschaftsgruppen innerhalb eines Stammes. Wenn jemand gegen Regeln verstoßen hat, setzte man sich zusammen, und dann wurde zwischen den streitenden Parteien eine Regelung gefunden. Es gibt Wissenschaftler, die meinen, dass die Leute in der Stammesgesellschaft viel glücklicher lebten. Es gab zum Beispiel viel weniger Suizide in frühen Gesellschaften ohne Herrschaft.

...

Recht bedeutet auch Freiheit. Damals lebte man in einer sehr engen Bindung mit seiner Verwandtschaftsgruppe. Und wenn man sich da heraus bewegte, war man mehr oder weniger rechtlos. Heute ist Recht einheitlich. Allerdings ist es so, dass sich Leute, die viel Geld haben, besser vor Gericht verteidigen können als andere.

...

Juristen sagen, dass es 2 Gründe für Strafen gibt: die General- und die Spezialprävention.

- Generalprävention heißt, dass man ganz allgemein in der Gesellschaft dafür sorgt, dass keine Verbrechen begangen werden.

- Spezialprävention heißt: Mit der Strafe soll so auf den einzelnen, speziellen Täter eingewirkt werden, dass er keine Verbrechen mehr begeht.

Die Generalprävention funktioniert nicht. Das zeigt das tägliche Leben. Immer wieder wird jemand ermordet. Immer wieder werden Frauen vergewaltigt und Kinder missbraucht. Man sagt, das Strafrecht soll abschrecken. Schreckt es denn ab? Nein. Diejenigen, denen es wirklich schlecht geht, Menschen, die verzweifelt sind und die in schlechten Verhältnissen aufgewachsen sind, die kann man auch mit der Generalprävention nicht abschrecken.

Und die Spezialprävention? Die funktioniert auch nicht. Die Rückfallquote ist heute noch genau so hoch wie früher. Man kann unter dem Zwang einer Freiheitsstrafe Menschen nicht erziehen. Im Grunde kann keiner eine vernünftige Erklärung geben, wieso es überhaupt Freiheitsstrafen gibt. Nur in wenigen Fällen ist Gefängnisstrafe nötig, ansonsten halte ich sie größtenteils für verfassungswidrig.

Es gibt ein so genanntes Übermaßverbot.

Das heißt: Wenn der Staat in grundlegende Rechte von Menschen eingreift, muss es sehr gute Gründe dafür geben. Und einen Menschen einzusperren ist ein gewaltiger Eingriff.

Da die Theorie der General- und die Spezialprävention nicht funktioniert, haben Strafrechtler allerdings schlicht keine vernünftige Begründung für die Freiheitsstrafe.

Dann gibt es noch die Vergeltungstheorie als Grund für Haftstrafen. Doch über Vergeltung als Selbstzweck hatte ein großer Jurist, Franz von Liszt, schon vor etwa 200 Jahren gesagt, dass sie nicht nur eine Versündigung des Herzens, sondern auch eine Verirrung des Verstandes ist. Der Staat ist nicht dazu da, Rache zu üben.

Also sind Sie komplett gegen Haftstrafen?

Nur in wenigen Fällen sind sie nötig. Wir brauchen einen Schutz der Allgemeinheit gegen die Wiederholung von schweren Straftaten wie Mord, Totschlag, Vergewaltigung und Kindesmissbrauch. Bei besonders gefährlichen Straftätern muss das manchmal auch in Form einer Sicherungsverwahrung nach der Haft geschehen. Wenn jemand aber "nur" das Eigentum eines anderen an sich genommen hat, gibt es andere Möglichkeiten.



www.fluter.de/de/130/thema/12244/





Und was machen wir jetzt mit Partnern (privat oder geschäftlich) die zu Tätern / Vergewaltigern / Ausbeutern werden?

Wie soll die Politik verfahren, wenn das Volk ruft "hängt die Menschenhändler"?

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Marc of Frankfurt
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Pflichtvorlesung ;-)

Beitrag von Marc of Frankfurt »

Syndikus Schäfer im Deutschen Reichstag um 1900:
  • "Frauen, die öffentlich über diese Sache sprechen [Prostitution/Sexwork], sind schlimmer für die öffentliche Moral als die Sache an sich".
[Hamburger Bordellstreit mit Frauenrechtlerin Lida Gustava Heimann]




Vortrag / Telekolleg für Sexworker / tolles Video:

"Sexarbeit als Beruf:
Herausforderungen für Recht und Gesellschaft“


Prof. jur. Dr. Ulrike Lembke,
Universität Hamburg

Video 1 Stunde
25.2.2013

www.fernuni-hagen.de/videostreaming/rew ... 0225.shtml





Ihr Video-Interview über Migration:
www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?p=138275#138275

Siehe auch die kommende Veranstaltung in Bremen:
Sinnvolle Reglementierung anstelle von Stigmatisierung der Sexarbeit
www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?p=138269#138269

Martin*
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Beitrag von Martin* »

Ein toller Bericht heute in der Wochenend taz 11./12.1.14 mit einem schönen Deckblatt "FGK-Zertifikat FKGK-Fachkraft Körperbetreuung / Prostitution"

Die Überschrift des Artikels finde ich nicht besonders orginell. Der Inhalt zählt, wobei Frau Schwab leider nicht auf Vorhandenes wie z.B. die Fortbildung "profiS" von Stephanie Klee verweist.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/arti ... 11a7c12fe1


Ein Loch reicht nicht


VON WALTRAUD SCHWAB

Wie haltet ihr es mit Alice Schwarzer und der Prostitution? Das ist so eine Frage, die - ganz zwanglos in die Runde geworfen - unter FreundInnen neuerdings zum Streit führt. Bist du dafür? Dagegen? Ja? Nein? Pro, contra und kein Ausweg.

Und das ist schon der Fehler. Wer sich darauf einlässt, verliert. Gerade Leute, die feministischen Ideen gegenüber offen sind, stecken in diesem Dilemma, weil sie dafür und dagegen sind.

Alice Schwarzers Vorstoß, den Umgang mit Prostitution in Deutschland zu skandalisieren, ist richtig, denn er stellt die Frage nach der Würde der Prostituierten. Dass diese nicht mit Würde rechnen können, ist unbestritten. Straßenstrich, ungeschützter Verkehr, Flatrate-Bumsen sind würdelos. Von erzwungener Prostitution ganz zu schweigen. Auch die Sprache ist abwertend: Nutte, Hure, Flittchen, Dirne. Wer eine Frau so nennt, beleidigt sie. Wer's mit "Kokotte" versucht, klingt affig, wer "Prostituierte" sagt, am ehesten neutral. "Musen" gibt es nur in der Kunst.

Die Wörter, die signifikant am häufigsten zusammen mit dem Wort "Hure" in Texten auftauchen, sind "Schlampe" und "beschimpft", wie Analysen zeigen, die solche Gleichzeitigkeiten von Wörtern ermitteln. "Würde" kommt nicht vor. Wer seinen Körper zum Zwecke sexueller Dienstleistungen verkauft, darf nicht mit Achtung rechnen. Aber auch wenn es so selten gesagt wird, eines der großen Anliegen der Frauenbewegung ist es, die Würde der Frauen herzustellen.

Das ist das eine.

Richtig ist aber auch das andere: das Recht auf Berufsausübung für die in der Prostitution arbeitenden Frauen. Auch das ist eine Haltung, die aus Frauenrechtsperspektive Sinn ergibt. Solange sich Frauen prostituieren, dies aber illegal ist, sind sie schutzlos. So kam es, dass Prostitution seit 2002 nicht mehr kriminalisiert wird. Hinzu kommt, dass ökonomische Unabhängigkeit ebenfalls eine Forderung ist, der sich Frauenrechtlerinnen nicht verschließen. Blöd nur, wenn ökonomische Unabhängigkeit mit einer Arbeit erlangt wird, die Frauen entwürdigt.

Und jetzt? Dank Alice Schwarzers Aufruf wird nun darüber gestritten, ob die Liberalisierung der Prostitution Deutschland zu einem Bordell macht. Beweisen lässt sich diese Behauptung nicht.

Das Statistische Bundesamt legt seinen Schätzungen die häufig genannte Zahl von 400.000 Prostituierten in Deutschland zugrunde. Die Statistiker gehen von leicht steigenden Zahlen aus, seit es erlaubt ist, Prostitution gewerbsmäßig zu betreiben. Tatsächlich aber ist es seit der Liberalisierung der Prostitution schwieriger, Menschenrechtsverletzungen im Sexgewerbe aufzudecken, weil die Polizei Bordelle nur bei einem konkreten Verdacht betreten darf. Sie sind ja nun legal.

Die neue Bundesregierung will nun nachjustieren. Das Aufenthaltsrecht aussagewilliger Opfer von Menschenhandel soll verbessert, die Ausbeutung der Arbeitskraft stärker in den Fokus gestellt werden. So steht es im Koalitionsvertrag. Alice Schwarzer will mehr. Sie fordert etwa eine Anmeldepflicht, Gesundheitskontrollen, eine polizeilich kontrollierte Konzessionspflicht für Bordelle und eine Verschärfung des Strafrechts in Bezug auf Zuhälterei und Menschenhändler. Langfristig indes zielt der von ihr vorgelegte Appell auf die "Abschaffung des Systems Prostitution".

Und dann?

Dass eine freie Gesellschaft ohne Prostitution möglich ist, das kann auch Schwarzer nur annehmen, genau wie das Gegenteil ebenfalls angenommen werden kann. Deshalb führt eine solche Diskussion zu Zerwürfnissen, nicht zu Lösungen.

Massage und Buchhaltung

Mit dem Gesetz zur Liberalisierung der Prostitution vor mehr als zehn Jahren wurden sexuelle Dienstleistungen gewerblich möglich, Prostitution wurde also zu so etwas wie einem Beruf. Es ist ein halbherziges Gesetz. Denn nicht mitgedacht wurde, dass es für diesen Beruf auch eine Zertifizierung und damit eine Aufwertung - und Kontrolle durch Qualität - geben sollte. Wer das nicht mitdenkt, steckt im Abwertungsmodus fest, den Prostituierte beklagen. Bedeutet es doch: Sex kann jede, hinhalten kann jede, es geht nur um das Loch, es geht nicht um die Frau.

Eine Zertifizierung der Prostitution, ein Gütesiegel, eins der IHK zum Beispiel, könnte so vieles ändern. Es würde Selbstbewusstsein, Anerkennung - Güte eben - mit ins Spiel bringen. Denkbar wären mehrwöchige Trainingsprogramme und jährliche Schulungen, bei denen die Frauen, die in der Prostitution arbeiten wollen, Massagetechniken und Selbstverteidigung lernen, die Grundlagen der Gesprächsführung und Psychologie vermittelt bekommen sowie eine Einführung ins Kamasutra und in die interkulturelle Kompetenz. Sie beschäftigen sich mit der Geschichte der Kurtisanen von Aspasia in Griechenland bis Mata Hari und auch mit denen in der Literatur, Nana, Sonja, Moll Flanders, oder wie sie alle heißen, sie lernen Buchhaltung, Hygiene, Gesundheitsvorsorge und sozialarbeiterische Grundlagen. Nach Abschluss des Kurses erhält die Prostituierte ein Zertifikat.

Ein solcher Schulungskurs käme den Frauen, die die sexuellen Dienstleistungen anbieten, und den Männern, die sie nutzen, zugute. Denn damit stünde nicht mehr der Geschlechtsakt, sondern die Qualität der Dienstleistung im Mittelpunkt des Handels. Männer, die zu einer Prostituierten mit Zertifikat gehen, wissen um diese positive Auseinandersetzung mit der Leistung, die sie kaufen wollen.

Klar müssen sich Politik und Gewerkschaften auch für Mindestlöhne und faire Bezahlung in der Prostitution einsetzen. Warum sollten Maßstäbe, die sonst als fortschrittlich gelten, bei Prostitution nicht angelegt werden? Denkbar wäre zudem, dass Hurenorganisationen selbst ein Siegel für die Einhaltung sozialer Standards entwickeln. Das ist nicht ironisch gemeint.

Viele Unternehmen geben sich einen Verhaltenskodex und willigen ein, soziale und nachhaltige Standards zu wahren. "Garantiert fair gehandelt". Warum gibt es solche Gütezeichen nicht auch für Bordelle? Wenn Etablissements auf einen guten Ruf setzen, dürfte dies alles Selbstverständlichkeit sein. Und die, für die es nicht selbstverständlich ist, wer will sie?

Als das Prostitutionsgesetz liberalisiert wurde, argumentierten Prostituierte mit der Aufwertung ihrer Arbeit. Aber erst die Zertifizierung der sexuellen Dienstleistungen würde dazu beitragen. Die Politik sollte die Weichen stellen. Die Zertifizierung ist eine positiv gedachte Kontrolle. Möglich, dass das Angebot der Frauen dadurch teurer wird, aber ein hoher Preis wirkt sich ebenfalls positiv auf das Selbstwertgefühl der Dienstleisterinnen aus - und das können Feministinnen nicht schlecht finden.

Natürlich, so werden einige einwenden, wird es weiterhin einen billigen, unzertifizierten Markt geben. Warum? Weil Männer unbedingt abspritzen müssen? Dies so zu denken ist männerfeindlich. Dank geeigneter PR-Aktionen und Medienevents wird sich durchsetzen, dass es für alle besser ist, zu einer zertifizierten Frau zu gehen als zu jemandem, wo der Mann nicht weiß, was er bekommt.

Für die, die aber immer noch nur abspritzen wollen, möglichst billig, und denen eine Blumenvase mit schlankem Hals nicht reicht, bieten sich in naher Zukunft die virtuellen dreidimensionalen Peepshows an oder die Studios, in denen lebensechte Puppen - aus biozertifizierten Kunststoffen - penetriert werden können. Hauptsache, weibliche Schablone? Hauptsache, Loch?

In der Schokofabrik, einem Frauenzentrum in Berlin, stand lange eine aus Gips geformte lebensgroße weibliche Mumie, die innen hohl war. Bauarbeiter, die im Haus tätig waren, schlitzten ihr ein Loch, wo sie ihre Vagina vermuteten, und warfen von oben, dort, wo die Öffnung fürs Gesicht war, ihre Bierflaschen hinein.

Waltraud Schwab ist sonntaz-Redakteurin

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Beitrag von fraences »

Danke, Martin für den link.

Um den Weg der Zertifizierung zu bestreiten, wäre der erste wichtige gesetzliche Schritt die Entkrminalisierung. Solange unsere Branche im Strafrecht behandelt wird, fehlt es an Gleichsetzung mit anderen Branchen.

Auch ist nicht richtig, das Prostitution als Gewerbe anerkannt worden ist, nach dem ProstG.

Auch wenn einige Bundesländer (andere nicht)Gewerbeanmeldung für Betriebe annehmen. So ist es nicht gesetzlich geregelt. Da Gewerberecht Bundesrecht ist!

Für die selbständige Prostitutionstätigkeit wäre es erforderlich es als Freiberuflichkeit anzuerkennen.

Leider sieht es danach aus, das wir wieder einen Sonderbehandlung in Form eines Prostitutionsstättengesetz bekommen werden. Die Sondergesetze im Strafrecht bestehen bleiben und weiter verschärft werden.

Die Professionalisierung und die Zertifizierung sind die richtigen Ansätze. Nur unter dem jetzigen Rechtslage fast unmöglich umzusetzen.

Ich finde das Konzept Fortbildung Profis als der richtig Ansatz. Dafür bedarf es Finanzierung um es weitflächig umzusetzen.

Liebe Grüße, Fraences
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Beitrag von alana »

Freiberuflichkeit wird nicht so ganz funktionieren, denn Freiberufler sind meist akademische Berufe. Aber es gäbe andere Wege, wenn man will. Aber ich glaube eher, man konzentriert sich auf die Kontrolle der Betriebe und vergisst völlig die selbständigen Sexworker. Wir werden dann so behandelt wie schon immer.

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Nymphe
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Beitrag von Nymphe »

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alana hat geschrieben:Freiberuflichkeit wird nicht so ganz funktionieren, denn Freiberufler sind meist akademische Berufe.
Heilpraktiker und Künstler (egal ob studiert oder nicht) sind auch Freiberufler. Aufgrund der Höchtpersönlichkeit der Dienstleistung würde das für Sexarbeiter sogar hervorragend passen, und einige Rechtsexperten sehen das auch so.
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Jupiter
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RE: ProstG: Deutsches Prostitutionsgesetz

Beitrag von Jupiter »

Nun meldet sich die BW-Sozialministerin Katrin Altpeter auch noch zu Wort und fordert das Prostitionsverbot entsprechend dem schwedischen Modell. Ob sie als Altenpflegerin und Lehrbeauftragte der Katholischen Fachhochschule Freiburg überhaupt weiß, wovon sie schwadroniert? Schützenhilfe erhält sie in ihrer Partei (SPD) von Landesvize Leni Breymaier.

Gruß Jupiter

http://www.badische-zeitung.de/spd-poli ... verbot-aus

SPD-Politikerinnen sprechen sich für Prostitutionsverbot aus

Arbeits- und Sozialministerin Katrin Altpeter will gegen das Sexgewerbe vorgehen. "Es ist an der Zeit, über ein Prostitutionsverbot nachzudenken", sagt die SPD-Politikerin.

"Es gibt im Zusammenhang mit käuflichem Sex auch in baden-württembergischen Innenstädten zunehmend menschenunwürdige Zustände, die wir nicht akzeptieren sollten", äußerte sich Altpeter gegenüber der Badischen Zeitung. Ein Verbot könne zur Ächtung und Bestrafung der Freier führen. Sie wolle ihre Länderkollegen für einen entsprechenden Vorstoß im Bundesrat gewinnen.
Auch SPD-Landesvize Leni Breymaier befürwortet ein Verbot. "Wir haben in Deutschland etwa 90 Prozent Zwangsprostitution, das ist moderne Sklaverei", sagte Breymaier. Auf Bundesebene kämpft die Frauenrechtlerin Alice Schwarzer für die "Abschaffung des Systems Prostitution". Zu den Erstunterzeichnerinnen ihres Aufrufs zählt die Vorsitzende des Landesfrauenrats, Angelika Klingel.

Vorbild für die Diskussion sind Schweden und Frankreich. In Schweden ist es seit längerem verboten, Sex zu kaufen. In Frankreich hat das Parlament Ende 2013 ein neues Gesetz verabschiedet, das Geldstrafen von bis zu 1500 Euro und "Aufklärungslektionen gegen käuflichen Sex" für Freier vorsieht.

Anstelle eines Verbots forderte der Grünen-Landtagsabgeordnete Jürgen Filius einen besseren Schutz vor Menschenhandel und Ausbeutung durch Prostitution. "Wir brauchen bessere Regeln zum Schutz der Frauen", sagte auch Grünen-Landeschefin Thekla Walker. Ein Baustein könne die Anhebung des Mindestalters für Prostituierte von 18 auf 21 sein, so Walker. Einen solchen Schritt hält Landesinnenminister Reinhold Gall (SPD) sogar für geboten. Erfahrungen der Polizei belegten, dass Prostituierte unter 21 besonders gefährdet seien, Opfer von Menschenhandel zu werden, schreibt Gall in einer noch unveröffentlichten Antwort auf eine Anfrage von Filius. Die Landesregierung verfügt nach Galls Angaben über keine belastbaren Zahlen über das Ausmaß der Prostitution im Land.
Wenn du fühlst, dass in deinem Herzen etwas fehlt, dann kannst du, auch wenn du im Luxus lebst, nicht glücklich sein.

(Tenzin Gyatso, 14. Dalai Lama)

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RE: ProstG: Deutsches Prostitutionsgesetz

Beitrag von fraences »

Gesetzesreform
Prostitution: Das wollen CDU und CSU ändern

Düsseldorf - Die Reform des Prostitutionsgesetzes soll nach Wunsch der Unionsfraktion schnell auf den Weg gebracht werden. Hier erfahren Sie, was CDU und CSU konkret ändern wollen.

"Wir müssen das noch vor der Sommerpause hinbekommen. Wir müssen die Frauen besser schützen", sagte die Vorsitzende der Gruppe der Frauen in der Unionsfraktion, Karin Maag, der in Düsseldorf erscheinenden "Rheinischen Post" (Dienstagausgabe). Aufgrund der Vorarbeiten der letzten Wahlperiode und der klaren Formulierungen im Koalitionsvertrag sei sie zuversichtlich, "dass wir da jetzt schnell vorankommen".

Als wichtige Änderungen nannte sie"mehr Kontrolle, ein schärferes Strafrecht und besseren Schutz für die Frauen, die dieses Gewerbe ausüben". Konkret bedeute dies, dass die gesundheitlichen Pflichtuntersuchungen von Gesundheitsämtern wieder eingeführt werden sollten.Das Mindestalter für Prostitution sollte auf 21 Jahre erhöht werden. Zudem seien strafrechtliche Änderungen notwendig, "damit Verurteilungen von Menschenhändlern nicht länger von einer Opferaussage abhängig sind".

www.merkur-online.de/aktuelles/politik/ ... 13163.html
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