Hure spielen

Buchtips für Sexworker oder von Sexworkern
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fraences
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Hure spielen

Beitrag von fraences »

http://www.rosalux.de/news/40782

«Hure spielen»

Die Arbeit der Sexarbeit. Lesereise mit Autorin Melissa Gira Grant.



In der Debatte um ein Verbot der Prostitution kommen Sexarbeiterinnen (und erst recht Sexarbeiter) kaum selbst zu Wort. Dabei fällt auf, dass auch viele Feministinnen ein Verbot befürworten. Melissa Gira Grant argumentiert dagegen, dass dies eine zutiefst sexistische Auffassung von Prostituierten sei, wie sie eigentlich eher konservativen alten Männern unterstellt werden könnte: als unterdrückte Opfer, die es zu befreien gilt. Die aus dieser Bevormundung folgende Forderung, Prostitution gehöre verboten, wird aber kaum jemals von den Sexarbeiter_innen selbst vertreten.

In «Hure spielen» stellt Melissa Gira Grant, Journalistin und ehemalige Sexarbeiterin, die Dinge vom Kopf auf die Füße und lässt die Akteure selbst zu Wort kommen. Dabei entlarvt sie die Position von Alice Schwarzer & Co. als paternalistischen Willen zur Kontrolle und plädiert für einen grundsätzlich neuen Blick auf die Sexindustrie. Sie berücksichtigt auch männliche und transsexuelle Sexarbeit.

Mithu M. Sanyal, die bekannte feministische Kulturwissenschaftlerin, hat für die deutsche Ausgabe ein Vorwort geschrieben, in dem sie Grants Positionen in die deutsche und europäische Debatte einordnet.

Die Termine:

17.10. Berlin
18.10. Hamburg
20.10. Köln
21.10. Bonn


Prostitutionsdebatte: "Sexarbeiterinnen Opfer zu nennen, ist doch keine Hilfe"

Von Christina Rietz


Mit ihrem Buch "Hure spielen" kämpft die US-Autorin Melissa Grant gegen die internationale "Prostituiertenrettungsindustrie". Im Interview erklärt sie, was Sexarbeiterinnen wirklich hilft.


SPIEGEL ONLINE: Frau Grant, Sie sind Autorin, haben aber auch selbst als Sexarbeiterin gearbeitet. In Ihrem Buch schreiben Sie nun explizit nicht von Ihren Erfahrungen. Warum?


Grant: Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter haben ihre eigenen Geschichten aufgeschrieben. Ich habe meine Erfahrungen nicht eingebracht, weil mich sonst alle Leute nur nach dem Sex gefragt hätten, nicht nach den Arbeitsbedingungen, der Polizei, den Medien, den Gesetzen. Deshalb werde ich mit meinen eigenen Memoiren noch warten.
SPIEGEL ONLINE: Warum ist das Leben als Sexarbeiterin in den USA so schwierig?

Grant: Weil hier das Kaufen und Verkaufen von Sex illegal ist. Das zieht große Probleme nach sich: Es ist zwar legal, Kondome bei sich zu tragen. Aber wenn die Polizei jemanden der Prostitution verdächtigt, verwendet sie Kondome als Beweismittel. Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter müssen in den USA deshalb oft überlegen: Packe ich die Präservative ein - und nehme in Kauf deshalb festgenommen zu werden?

Zur Person

Melissa Gira Grant, Jahrgang 1978, ist eine amerikanische Autorin und ehemalige Sexarbeiterin. In ihrer Streitschrift "Hure spielen" setzt sie sich kritisch mit der Prostitutionsdebatte auseinander, kritisiert Polizei und Gesetzgeber und fordert, Sexarbeiter nicht ständig als Opfer oder als Kriminelle zu betrachten. Im Oktober kommt Grant nach Deutschland, um ihr Buch zu präsentieren - und um gegen die internationale "Prostituiertenrettungsindustrie" zu kämpfen.
SPIEGEL ONLINE: Ist also die Polizei der Feind?
Grant: Die Polizei ist ein Quell der Gewalt gegen Sexarbeiterinnen. Überall. Das Kondomproblem existiert so noch in vielen anderen Ländern. Für die USA wäre es schon ein erster Schritt, wenn Prostituierte nicht mehr kriminalisiert würden. Deutschland ist da schon weiter, aber auch dort kann man einiges verbessern, Sexarbeiterinnen am Gesetzgebungsprozess beteiligen, beispielsweise.

SPIEGEL ONLINE: In Ihrem Buch schreiben Sie, dass man Prostituierte trotz aller Gewalt gegen sie nicht als Opfer sehen sollte. Warum?

Grant: Wer Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter Opfer nennt, meint, sich in sie hineinfühlen zu können und glaubt, über ihre Befindlichkeiten besser Auskunft geben zu dürfen als die Prostituierten selbst. Sie Opfer zu nennen, hilft doch nichts. Wir müssen stattdessen über die vielen Gefahren in ihrem Leben sprechen: die Polizei, die Diskriminierung im Gesundheitssystem, in der Ausbildung oder beim Finden einer Wohnung. Darauf möchte ich mit meinem Buch aufmerksam machen.

SPIEGEL ONLINE: Aber sind manche Prostituierte nicht tatsächlich Opfer ihrer Lebensumstände und wollen eigentlich aus dem Job raus?

Grant: Die gleiche Frage können wir auch Taxifahrern, Putzfrauen oder Espresso-Baristas stellen, und die Antworten würden sich kaum unterscheiden. Heutzutage arbeiten vielen Frauen in schlechtbezahlten Dienstleistungsjobs. Wenn man sich mal die Arbeitsbedingungen dort anschaut, kann man verstehen, warum jemand in die Sexarbeit wechselt - wegen der besseren Bezahlung, der flexibleren Arbeitszeiten. Nur kann man darüber dann im nächsten Bewerbungsgespräch nicht mehr reden. Wenn deine Arbeit als dreckig oder kriminell angesehen wird, dann hast du zwangsläufig eine Lücke im Lebenslauf.

SPIEGEL ONLINE: Seit wann und warum werden Prostituierte denn als kriminell angesehen?

Grant: In früheren Epochen wurden Prostituierte durchaus geschätzt: zum Beispiel die gebildeten Hetären im antiken Griechenland oder die Kurtisanen in der Renaissance. Erst im 18. und 19. Jahrhundert setzte eine Kriminalisierung ein. Man begann, Sexarbeiterinnen als "gefallene Frauen" zu betrachten, als ein Problem, das man lösen musste. Also wurden Gesetze erlassen, die Prostitution erschwerten. Heute ist das nicht anders. Wenn man sich auf Strafgesetze und die Polizei verlässt, um mit Sexarbeit umzugehen, behandelt man Prostituierte ja immer noch als Kriminelle.

SPIEGEL ONLINE: Aber es gibt doch genug Menschen, die Prostituierten helfen und die Arbeitsbedingungen verbessern wollen, viele feministische Organisationen beispielsweise. Dennoch kritisieren Sie gerade den Feminismus in Ihrem Buch.

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Grant: Sexarbeiterinnen wollen, dass Feministinnen ihre Rechte unterstützen. Leider schweigen viele Feministinnen aber, wenn es um dieses Thema geht. Manche machen sogar Stimmung gegen sichere Arbeitsbedingungen für Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter. Die Organisationen "Equality Now" und die "Coalition Against Trafficking in Women" unterstützen, dass Sexarbeiter von HIV-Aufklärungsprojekten ausgeschlossen werden. Sie sagen den Regierungen, dass Sexarbeit besser komplett geächtet werden sollte. Solche Feministinnen benutzen die Gesundheit der Sexarbeiter für ihr politisches Spiel, ähnlich wie Gruppen, die gegen Abtreibung sind.
SPIEGEL ONLINE: Über einen Vorfall, der Sie besonders aufgeregt hat, schreiben Sie in Ihrem Buch häufiger. Ein amerikanischer Journalist war dabei, als ein Bordell in Kambodscha von der Polizei geschlossen wurde. Er bezeichnete das als Sieg und Rettung der Frauen, Sie sehen das anders. Warum?

Grant: Ich benutze seine eigenen Worte: Die Rettung der Mädchen ist der leichte Teil. Sexarbeit ist nicht das größte Problem von Frauen, die Sexarbeit machen. Es ist der Mangel an anderer Arbeit, von der man leben kann.

http://www.spiegel.de/kultur/gesellscha ... 93039.html
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RE: Hure spielen

Beitrag von lust4fun »

Taz-Interview, 7.10.14
http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/arti ... b545e5c5e4

"Ihre Haltung zu Arbeit ist elitär"

FEMINISMUS Die Journalistin Melissa Gira Grant ist eine der prominentesten Stimmen in der Debatte über Sexarbeit in den USA. Ihr Buch "Hure spielen" stellt gleich mehrere Annahmen auf den Kopf, die auch in Deutschland die Debatte dominieren

INTERVIEW CHRIS KÖVER

taz: Frau Grant, was wäre gewonnen, wenn wir Sexarbeit als Arbeit betrachten würden?

Melissa Gira Grant: So lange wir Sexarbeit nur als Sexualität und Gewalt sehen, kommen wir nicht weiter. Wenn jemand etwas tut, um Geld zu verdienen, nennen wir das in jedem anderen Kontext Arbeit. Es gibt sicher Leute, für die Sexarbeit ausschließlich eine gewalttätige Erfahrung ist, aber das heißt nicht, dass es für alle so ist oder dass es keine Arbeit ist. Eine Ehe ist eine Ehe, auch wenn es darin zu Missbrauch kam. Eine Sweatshop-Arbeiterin arbeitet, auch wenn sie ausgebeutet wird. In anderen Kontexten können wir diese Komplexität akzeptieren, in der Sicht auf Sexarbeit fehlt sie.

Gerade für Feministinnen scheint es oft schwer, diese Komplexität anzuerkennen.

Ich dachte ursprünglich, das läge am Sex, aber inzwischen denke ich, es liegt an der Arbeit. Wenn große feministische Organisationen über Arbeit sprechen, dann geht es meist um gleichen Lohn für Männer und Frauen, ihre Haltung zu Arbeit ist elitär. Aber feministische Debatten über Arbeitsrechte können sich nicht nur darum drehen, mehr Frauen in Führungsetagen bekommen. Es geht um unser Recht, kollektiv zu verhandeln, ein Gehalt zu bekommen, von dem wir leben können. Feministinnen haben viele solcher blinder Flecken: Hausarbeit, Einzelhandel, all die Berufe, die in der Regel unterbezahlt von Frauen mit wenigen Optionen ausgeübt werden.

Ein Schlüsselbegriff in der Debatte ist Wahlfreiheit: Sind die Frauen arme Opfer oder ist Sexarbeit für sie eine Form der Selbstermächtigung?

Das ist eine Sackgasse. Wenn Magazine wie Emma sagen: Das sind arme, missbrauchte Frauen, die keine Kontrolle über ihr Leben haben, entspricht das der Vorstellung, die die meisten Menschen haben. Aber die richtige Antwort darauf ist in meinen Augen nicht, zu rufen: "Ich liebe meinen Job!" Ob du deinen Job liebst oder nicht, ist irrelevant für die Frage, ob dir Rechte zustehen. Mein Eindruck ist, dass die Debatte über Sexarbeit als Auffangbecken dient für viele unserer eigenen Ängste. Es ist einfach zu sagen: wie schlimm, dass diese Frauen zur Ware gemacht werden, aber hey, warum sprechen wir nicht über deinen Job?

Sie beginnen das Buch mit einem Kapitel zu Polizeigewalt und schreiben über den Voyeurismus der Medien und die "Rettungsindustrie".

Um die Konversation zu drehen. Um auf die Akteure zu schauen, die das Leben von SexarbeiterInnen gefährlicher machen, die Bedingungen gewalttätiger und den Zugang zu Gerechtigkeit schwieriger. Wenn SexarbeiterInnen ausgeschlossen sind von den Gesprächen über Gesetze, die sie beeinflussen, wenn sie ständiger Bedrohung vonseiten der Polizei ausgesetzt sind und wenn sie keine Ebene finden mit Leuten, die sich als progressiv begreifen, dann wird es für sie schwer, Kontrolle über ihr Leben zu gewinnen. Sexarbeiterinnen - egal wo sie arbeiten - werden stigmatisiert und diskriminiert.

Das Stigma wird oft als die größere Belastung beschrieben als die Arbeit.

Ich habe auch keine konkreten Antworten. Aber offen über das Stigma zu sprechen, mit dem SexarbeiterInnen konfrontiert sind - selbst vonseiten derer, die sie unterstützen wollen -, ist eine der größten Herausforderungen.

Was können wir tun?

Feministinnen müssen sich klarmachen, dass SexarbeiterInnen die Debatten über ihre Arbeit bereits seit Langem führen - nur ohne sie. Es gibt eine ungebrochene Linie von SexarbeiterInnen, die sich organisieren, ihre Arbeit theoretisch einbetten. Feministinnen müssen das nicht neu erfinden. Sie müssen nur einen Raum schaffen, in dem das gehört wird und sicherstellen, dass jede Konversation über Sexarbeit von den Leuten angeführt wird, die tatsächlich Sexarbeit machen. Wenn Medien sich fragen: Wo ist die Sexarbeiterin, die mit uns spricht, dann denken sie schon falsch. Sie sollten sich eher fragen: Warum spricht keine bei uns über ihre Erfahrung mit Sexarbeit? Wovor müsste sie Angst haben? Ich habe in feministischen Organisationen gearbeitet und nichts über meine Arbeit zu der Zeit gesagt.

Ihr Buch ist bewusst kein biografischer Bericht.

Das ist ein zentraler Punkt. Das Buch sagt nicht: Das sind meine Argument für eine Politik von Sexarbeit basierend auf meinen persönlichen Erfahrungen. Es sind meine Argumente, basierend auf 40 Jahren politischer Organisation, geleistet von SexarbeiterInnnen. Es ist Journalismus, eine soziologische Analyse, eine Polemik, es ist keine Biografie. Die Art, wie wir SexarbeiterInnen ständig nötigen wollen, ihre Geschichten zu erzählen, erinnert mich daran, wie wir als Kultur mit Frauen umgehen, die vergewaltigt wurden. Sie sollen alles haarklein nacherzählen, sonst glauben wir ihnen nicht. Das muss nicht sein. Wenn ich SexarbeiterInnen interviewe, frage ich sie nach ihrer Erfahrung mit Polizei, ob sie Zugang zu Gesundheitsversorgung haben. Ich habe nie jemanden gefragt, was sie gemacht hat, wie oft oder ob sie es gut fand. Ich muss das nicht wissen, um über Menschenrechte zu sprechen.

Melissa Gira Grant: "Hure spielen. Die Arbeit der Sexarbeit". Edition Nautilus, Hamburg 2014, 192 S., 14,90 Euro



Melissa Gira Grant

ist freie Journalistin und ehemalige Sexarbeiterin. Sie schreibt über Sex, Politik und Technologie und veröffentlicht unter anderem in The Nation, The Atlantic, Wired und The Guardian. 2010 gründete sie den Verlag Glass Houses Press. In ihrem Buch "Hure spielen. Die Arbeit der Sexarbeit" fordert sie, SexarbeiterInnen nicht weiter unter dem Aspekt von Gewalt und Ausbeutung zu betrachten und anzufangen, Sexarbeit als das zu sehen, was sie ist: etwas, das Menschen tun, um in einer Zeit schwindender Optionen zu überleben. Ihre Webseite ist www.melissagiragrant.com.

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Beitrag von Doris67 »

Grant hat völlig recht.
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Beitrag von fraences »

Hab ihr Buch in einer Nacht verschlungen. Absolut lesenswert.

Würde mir wünschen, das ihr politische Ansatz bei uns in Deutschland ankommt.

Denke das in den Länder , die bereits jahrelang repressiv mit Prostitution umgehen, die Sexworker ein ganz anderes Bewusstsein haben, als wir hier in Deutschland, wo es bis jetzt (noch) sehr liberal geduldet würde.

Ich habe stark den Eindruck, das viele sich ein solches Paradigmawechsel der mit dem neuen Prostituiertenschutzgesetz garnicht vorstellen können.
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Beitrag von Doris67 »

Fraences: So ist es. Es fehlt in Deutschland sehr an Bewußtsein, sowohl dessen, was an Repression kommen wird als auch dessen, was an Widerstand und Kampf möglich ist.
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RE: Hure spielen

Beitrag von fraences »

Retten? Nein, danke

Melissa Gira Grant über Huren, Schlampen und Wegsperrfeministinnen

Schöne Wörter kann es nicht genug geben: »Wegsperrfeminismus« ist eines, das man nach der Lektüre von Melissa Gira Grants Buch »Hure spielen. Die Arbeit der Sexarbeit« sicher im Kopf behält, auch wenn die Autorin es von der Soziologin Elizabeth Bernstein übernommen hat. Treffender lässt sich kaum die Einstellung jener beschreiben, die zuletzt etwa mit ihrem »Appell gegen Prostitution« von sich reden machten und ihrem so genannten Feminismus, »der es der staatlichen Ordnungsmacht überlässt, Geschlechtergerechtigkeit herbeizuführen«.

Kampagne gegen Ceta
Es ist vor allem der sympathische Groll der US-amerikanischen Autorin gegenüber der »Rettungsindustrie« aus Publizistinnen, Wissenschaftlerinnen und Sozialarbeiterinnen, die meinen, für Prostituierte sprechen und handeln zu können, der das Buch angenehm belebt. »Wenn Sexarbeiter_innen von Anti-Prostitutions-Aktivist_innen ›gerettet‹ werden, heißt das, dass sie diszipliniert und wieder ihrer eigentlichen Rolle als ›gute Frauen‹ zugeführt wurden.« Grant regt sich herrlich auf über ein Projekt, das sich angeblich darüber finanziert, dass ehemalige Prostituierte Kerzen verkaufen, »aber ohne die ›geretteten‹ Arbeiterinnen hätten sie keine billigen Arbeitskräfte zur Verfügung, sie könnten keine Kerzen verkaufen und die Retter_innen hätten kein Projekt, das sie leiten könnten«.

Buch im nd-Shop bestellen:
* Melissa Gira Grant: Hure spielen. Die Arbeit der Sexarbeit. A. d. Engl. v. Georg Felix Harsch. Edition Nautilus. 192 S., br., 14,90 €.


Da, wo das Buch sehr ins Detail geht, ist es für deutsche Leserinnen und Leser nicht immer spannend, da die Situation in den USA eine ganz andere ist. Während Deutschland seit 2002 über eines der liberalsten Prostitutionsgesetze der Welt verfügt, ist Sexarbeit in den USA mit Ausnahme von Nevada strafbar. Aber bekanntlich bemühen sich manche Politiker und professionelle Weltverbesserer nach Kräften darum, das deutsche Gesetz wieder rückgängig zu machen. So schadet es nicht, bei Grant nachzulesen, dass es keine Zahlen gibt, die belegen, dass die Legalisierung der Prostitution Menschenhandel begünstige, und somit der gefühlte Anstieg hierzulande in den letzten Jahren vor allem einer Fülle von »Tatort«-Folgen mit Maria Furtwängler, Til Schweiger und anderen zu verdanken sein dürfte. Sehr wohl aber liefert Grant Zahlen, nach denen Prostituierte in aller Welt unter Polizeigewalt leiden - und zwar umso mehr, je restriktiver die Gesetze sind.

Als Diskussionsbeitrag ist »Hure spielen« ohnehin auch für das vermeintlich fortschrittlichere Deutschland bestens geeignet. Denn hier wie dort lautet die grundlegende Kritik von Sexarbeiterinnen und Sexarbeitern, dass meist über sie, aber nicht mit ihnen geredet wird. Sie wünschen sich Solidarität statt »Rettung« und verlangen, als normale Menschen anerkannt zu werden, die für ihren Lebensunterhalt einer Arbeit nachgehen, ein Privatleben haben, über einen Kopf und einen Körper verfügen. Dabei spielt es keine Rolle, ob man sich selbst vorstellen kann, sein Geld mit Sexarbeit zu verdienen, oder was man von Menschen hält, die sich sexuelle Dienstleistungen kaufen. Derlei interessiert ja auch nicht, wenn es um die Rechte von Menschen geht, die im Schlachthaus, in der Fußpflege oder im Reinigungsgewerbe arbeiten.

»Sexarbeit ist nicht einfach Sex. Sexarbeit heißt, etwas aufzuführen, eine Rolle zu spielen, Fachkönnen einzusetzen und innerhalb professioneller Grenzen eine empathische Beziehung zu jemandem aufzubauen«, schreibt Grant. Es handelt sich um eine Dienstleistung, die dafür, dass sie mehrheitlich von Frauen ausgeübt wird, im Schnitt vergleichsweise gut bezahlt wird. Auch wenn Sexarbeit keine gewöhnliche Branche ist: Wie bei anderen Dienstleistungen regelt ein Vertrag oder eine mündliche Absprache, was der Kunde für sein Geld zu erwarten hat. Ein Vertragsbruch ist ein Vertragsbruch und kann eine Straftat beinhalten. Je liberaler die Gesetzgebung, je besser organisiert die Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter und je selbstverständlicher die Solidarität mit ihnen, desto eher lässt sich kriminellen Handlungen vorbeugen.

Hat man das alles begriffen, schafft es Grant immer noch, dass man sich an manchen Stellen ertappt fühlt. So etwa wenn sie der SlutWalk-Bewegung die Kritik von nichtweißen Feministinnen und Sexarbeiterinnen entgegenhält, die sinngemäß fragten: Warum regt ihr euch eigentlich so darüber auf, dass euch jemand als »Schlampe« bezeichnet, weil ihr einen kurzen Rock tragt? Wo ist das Problem dabei? Oder wenn der insgeheim gehegte Gedanke, dass die Geschlechterverhältnisse vielleicht doch anders wären, wenn man Sex nicht mehr kaufen könnte, als das entlarvt wird, was er ist: dem Schema »Schlampe« vs. »normale Frau« entsprungen. Und das ist vor allem eines: überflüssig.

http://www.neues-deutschland.de/artikel ... danke.html
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RE: Hure spielen

Beitrag von fraences »

«Hure spielen» / «Playing the Whore»
Buchpräsentation mit Autorin Melissa Gira Grant. [EN]
Liad Kantorowicz und Melissa Gira Grant sprechen über Arbeitsrechte in der Sexindustrie, Doppelmoral und Opfermythen.
Berlin, 17.10.2014
www.rosalux.de/documentation/51717
Auszüge aus dem Buch: Rosaluxstiftung – Lesung-hure-spielen
Video: youtu.be/UvS03_3R45k

Melissa Gira Grant ist freie Journalistin und ehemalige Sexarbeiterin. Sie schreibt über Sex, Politik und Technologie und veröffentlicht regelmäßig in The Nation, The Atlantic, Wired, The Guardian u.v.a. 2010 gründete sie den Verlag Glass Houses Press.

Liad Kantorowicz engagiert sich politisch für die Rechte von Sexarbeiter_innen in Europa. Sie ist Performance-Künstlerin, Aktivistin und ehemalige Sexarbeiterin aus Israel/Palästina, Mitbegründerin der ersten Queer-Comunity im Nahen Osten und lebt zur Zeit in Berlin.

https://soundcloud.com/rosaluxstiftung/ ... -sexarbeit
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RE: Hure spielen

Beitrag von fraences »

Es geht um Wertschätzung und Respekt!


Mit „Hure spielen“ hat Melissa Gira Grant ein viel beachtetes Buch über Sexarbeit vorgelegt. Für Stephanie Klee, selbst Sexarbeiterin, ist die Lektüre Demotivation und Ansporn zugleich.

Das, was Melissa Gira Grant, eine US-amerikanische Journalistin und Ex-Sexarbeiterin, uns in ihrem Buch „Hure spielen. Die Arbeit der Sexarbeit“ vor Augen führt, ist nahezu abtörnend. Zumindest motiviert es nicht gerade dazu, sich für die Rechte von Sexarbeiter_innen und die Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen einzusetzen, schildert Grant darin doch über weite Strecken Frustrierendes.

In zehn Kapiteln und auf 190 Seiten beschreibt sie die Rolle der Polizei in der Sexarbeit, geht ein auf die Vielfalt der Sexarbeiter_innen und die unterschiedlichsten Arbeitsmöglichkeiten. Sie erklärt die gesellschaftspolitische Debatte zur Prostitution, mit den Befürworter_innen auf der einen Seite und den Gegner_innen auf der anderen, und versucht, die gesamte Sexbranche in ein realistisches Licht zu rücken – trotz eines immer bestehenden eingeschränkten Blickwinkels.

Diskriminierungen, Demütigungen, Schikanierungen

Dabei geht sie auch auf das (Huren-)Stigma ein und zieht Vergleiche zu anderen („soliden“) Frauen, nimmt die Rettungsindustrie auseinander, um sich abschließend den verschiedenen Sexworker-Bewegungen und deren Engagement zu widmen.

Alles ist bekannt, war so oder so ähnlich schon vielfach zu lesen und zu hören.

Ausführlich berichtet sie von Diskriminierungen, Demütigungen und Schikanierungen, die Sexarbeiter_innen während der Arbeit durch Polizeibeamte erleben – besonders in Bezirken amerikanischer Großstädte mit einem hohen Anteil nichtweißer Bewohner_innen.

Sie erzählt von phobischen Übergriffen auf Trans*-Frauen durch die Polizei – und davon, wie Sexarbeiter_innen auch außerhalb der Arbeitszeiten in Notsituationen Hilfe verweigert wird. Sie lebten halt im falschen Bezirk, heißt es dann von den Polizeibeamten, oder als Prostituierte seien sie doch quasi immer bei der Arbeit – sie täten also immer etwas Illegales –, ein Privatleben und private Interessen gesteht man ihnen nicht zu.

Ein ewiges Katz-und-Maus-Spiel

Auch beschreibt Grant die Daten-Sammelwut der Behörden und die öffentliche Bloßstellung der Kunden durch die Medien.

Und das alles in den USA, wo bis auf wenige Ausnahmen Prostitution verboten ist. Es dürfte also eigentlich keine Sexarbeiter_innen, keine Kunden und keine Form der Organisation von Prostitution geben. Folglich bräuchten sich auch die unterschiedlichen staatlichen Institutionen nicht damit zu befassen. Aber so ist es natürlich nicht – nirgends auf der Welt.

Die Folge davon ist ein ewiges Katz-und-Maus-Spiel: Die Behörden verfolgen Sexarbeiter_innen und versuchen, ihnen die Arbeit unmöglich zu machen, und die Sexarbeiter_innen und die von ihnen profitierenden Branchen suchen nach Lücken und Schlupflöchern, um dennoch die Arbeit ausüben und an Kunden kommen zu können.

Der (Ver-)Kauf von Sex ist einfach zu essenziell für alle Beteiligten – besonders für die Kunden, die deshalb immer einen Weg finden, um an Pay-Sex zu kommen – auch wenn sie sich andernorts oft deutlich dagegen aussprechen. So fehlen bei Grant auch nicht einige genüssliche Beschreibungen namhafter Kunden, die Opfer ihrer eigenen Doppelmoral wurden.

Repressionen gefährden Sexarbeiter_innen

Alle Beispiele, die Grant aus dem Arbeitsleben von weiblichen und Trans*-Sexarbeiterinnen (leider werden männliche nicht berücksichtigt) anführt, zeugen von den täglichen Diskriminierungen, denen zwar immer wieder Bemühungen von Selbsthilfeorganisationen und viel Empowerment entgegengesetzt werden, aber ohne nennenswerte Erfolge.

So liegen zum Beispiel die Errungenschaften der US-amerikanischen Prostituiertenorganisation COYOTE („Call Off Your Old Tired Ethics“) lediglich in den Ergebnissen der internen Diskussionen, in der Bildung von öffentlichen Positionen und der Schaffung eines Sprachrohrs sowie eines Ortes – einer Heimat für Sexarbeiter_innen. Entscheidenden Einfluss auf die gesellschaftlichen und staatlichen Strukturen haben sie dennoch nicht gewinnen können.

Wie Don Quichotte gegen Windmühlen

Trotz guter Argumente: wie das der negativen Folgen, die Repressionen auf die Lebens- und Arbeitssituation von Sexarbeiter_innen haben, die dadurch immer mehr in die Anonymität gedrängt und gefährdet werden. Trotzdem werden diese Repressionen von den Prostitutionsgegner_innen in Koalition mit den staatlichen Institutionen durchgesetzt.

Organisationen, die sich für die Rechte von Sexarbeiter_innen einsetzen, scheinen also wie der berühmte Don Quichotte gegen Windmühlen zu kämpfen – so auch wir hier in Deutschland und Europa mit unseren eigenen, kleinen Projekten (in denen zumindest die Lust und Lebensfreude nicht zu kurz kommen).

Quasi in zeitlichen Wellen bläst den Sexarbeiter_innen mal mehr, mal weniger heftig der Wind der Prostitutionsgegner_innen entgegen. Die Rettungsindustrie und eine konservative, dogmatische feministische Front rufen – mit finanzieller Unterstützung bestimmter Kreise – zum Angriff. Dabei haben sie sich nichts weniger zum Ziel gesetzt, als die Welt von der Prostitution zu befreien.

Denn Sexarbeit ist Arbeit!

Ohne Rücksicht auf Verluste und Kollateralschäden wird im vermeintlichen Kampf gegen Menschenhandel, Gewalt und Zwang in der Sexbranche alles in einen Topf geschmissen – mit der Konsequenz, dass Sexarbeiter_innen entmündigt, ihrer Menschen- und Bürgerrechte beschnitten werden und ihnen vor allem das Recht verweigert wird, für sich selbst zu sprechen und an Sexarbeit die gleichen Maßstäbe anzulegen wie an andere Formen der Erwerbsarbeit auch. Denn Sexarbeit ist Arbeit!

„Sexarbeit heißt, etwas aufzuführen, eine Rolle zu spielen, Fachkönnen einzusetzen und innerhalb professioneller Grenzen eine empathische Beziehung zu jemandem aufzubauen … Wenn wir betonen, dass Sexarbeit Arbeit ist, dann betonen wir damit auch, dass eine sexualisierte Form von Arbeit nicht dasselbe wie Sexualität selbst ist“, so Grant.

Grant macht die Ursachen der Kontroverse deutlich: Diese liegen in der enormen Vielfalt der Prostitutionsbranche, den individuellen Zugängen und Positionen jeder einzelnen Sexarbeiter_in und deren permanenten Kampf ums Überleben sowie um die Ausübung eines ehrenwerten Berufes bei gleichzeitiger permanenter Verfolgung durch die Staatsgewalten und zunehmender gesellschaftlicher Ablehnung.

Hure als Verbrecherin – Hure als Opfer

Natürlich konzentriert sie sich auf den nordamerikanischen Raum, in dem sie lebt und arbeitet. Umso erstaunlicher sind die Ähnlichkeiten zu den Formen der Diskriminierung und Stigmatisierung von Sexarbeiter_innen hier in Deutschland und anderswo. Auch der Kampf von konservativen Feminist_innen und Gutmenschen um ein generelles Verbot der Prostitution zum angeblichen Schutz der Sexarbeiter_innen scheint weltweit nach dem gleichen System zu funktionieren.

Der Gewinn von Grants Buch lieg vor allem in ihrer Historienarbeit. Diese reicht vom antiken Griechenland, wo sich die Prostituierten die Worte „Folge mir!“ in die Sohlen ihrer Sandalen einritzen ließen, bis hin zur Aufwertung der mehr und mehr abgeschafften Rotlichtbezirke als Orte des friedlichen Miteinanders und der körperlichen, geistigen und spirituellen Kontakte über Klassen hinweg.

Sie zeichnet den Wandel von der Hure als Verbrecherin zum Opfer nach und die Veränderungen der Branche als Anpassung an die allgemeinen Wirtschaftsbedingungen und den erblühenden Freizeit- und Wellness-Markt.

Sie beleuchtet den Einfluss des Internets und selbst Aspekte der Gentrifizierung. Dabei räumt sie mit manchen Geschichtsfälschungen auf. Auch Herausforderungen wie Kriege und HIV/Aids und deren Auswirkungen auf die Sexbranche werden beschrieben und die Kämpfe um Rechte und Respekt in einen neuen Fokus gerückt.

Solidarität mit Sexarbeiter_innen!

Grant stellt klar: Sexarbeiter­_innen „geht es um rechtliche Anerkennung, das Ende der Diskriminierung auf dem Wohnungs- und Arbeitsmarkt, bei der Gesundheitsversorgung und Bildung sowie darum, sich frei in der Welt bewegen zu können“. Kurzum: Es geht um Wertschätzung und Respekt!

Prostitutionsgegner_innen vertreten dagegen eine sexistische, konservative und sexualfeindliche Auffassung von Prostitution, bevormunden die Sexarbeiter_innen, degradieren sie zusätzlich zu Opfern und versuchen, sie mundtot zu machen.

Trotz des ganzen Frusts, den die Lektüre von „Hure spielen“ in den vielen Beschreibungen der Zustände hervorruft, kann ich nur sagen: Egal, wo wir Sexarbeiter_innen leben und arbeiten, es lohnt sich immer, über den Tellerrand zu schauen, von den Erfahrungen und Strategien der Kolleg_innen in anderen Ländern zu lernen und uns in Solidarität zu üben: in Solidarität zwischen uns Sexarbeiter_innen und in Solidarität mit Sexarbeiter_innen.

Wir müssen die konkrete Arbeit in den Vordergrund rücken und ihre Reform von innen heraus ankurbeln und durchsetzen. Und wir müssen neue Allianzen schmieden – und eigene Kampagnen und Aktionen auf den Weg bringen.

Ich wünsche viel Freude beim Lesen nach dem Motto: Lesen bildet!


http://blog.aidshilfe.de/2015/03/19/es- ... d-respekt/
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