Studie: Herausforderungen des Datenschutzes in der Politik

Beiträge betreffend SW im Hinblick auf Gesellschaft bzw. politische Reaktionen
Benutzeravatar
fraences
Admina
Admina
Beiträge: 7427
Registriert: 07.09.2009, 04:52
Wohnort: Frankfurt a. Main Hessen
Ich bin: Keine Angabe

Studie: Herausforderungen des Datenschutzes in der Politik

Beitrag von fraences »

Herausforderungen des Datenschutzes
in der Politik gegen Menschenhandel


Herausgeber
Bundesweiter Koordinierungskreis gegen Menschenhandel e.V. (KOK e.V.)


Im Rahmen der europäischen NGO Inititative datACT – data protection in anti-trafficking action hat der KOK in Zusammenarbeit mit dem europäischen Netzwerk gegen Menschenhandel La Strada International den Praxisleitfaden "Herausforderungen des Datenschutzes in der Politik gegen Menschenhandel" herausgegeben. Die Studie gibt einen Überblick über die europäischen Datenschutzgesetzgebung, Methoden zur Datensparsamkeitsanalyse für Fachberatungsstellen, eine Analyse von Datenschutzrechten für Betroffene von Menschenhandel sowie die Datenschutzstandards für die Arbeit der Fachberatungsstellen. Darüber hinaus bietet die Studie eine Erörterung der rechtlichen Argumente, die 2013 zum Scheitern des niederländischen Vorhabens zur Meldepflicht von Prostituierten führte.


Punkt 3.
DAS KONZEPT „SENSIBLER DATEN“ UND
DIE VERPFLICHTENDE REGISTRIERUNG
VON SEXARBEITER*INNEN ALS MITTEL ZUR
BEKÄMPFUNG DES MENSCHENHANDELS


Autorinnen
http://www.datact-project.org/fileadmin ... ine.pdfPia Roth, Dr. Bärbel Heide Uhl, Marjan Wijers, Wiesje Zikkenheiner.
Wer glaubt ein Christ zu sein, weil er die Kirche besucht, irrt sich.Man wird ja auch kein Auto, wenn man in eine Garage geht. (Albert Schweitzer)

*****
Fakten und Infos über Prostitution

Benutzeravatar
Jupiter
verifizierte UserIn
verifizierte UserIn
Beiträge: 893
Registriert: 13.08.2010, 09:30
Wohnort: Südbaden
Ich bin: Keine Angabe

RE: Studie: Herausforderungen des Datenschutzes in der Polit

Beitrag von Jupiter »

@Fraences, beim Link ist ein Fehler drin, lösche am Ende "Pia", damit nur noch die Erweiterung "pdf" stehen bleibt.
Beim Suchen ist mir noch aufgefallen, dass hier noch mehr Informationen unter "Documentation" zu finden ist:
http://www.datact-project.org/materials ... ation.html

Gruß Jupiter
Wenn du fühlst, dass in deinem Herzen etwas fehlt, dann kannst du, auch wenn du im Luxus lebst, nicht glücklich sein.

(Tenzin Gyatso, 14. Dalai Lama)

Benutzeravatar
fraences
Admina
Admina
Beiträge: 7427
Registriert: 07.09.2009, 04:52
Wohnort: Frankfurt a. Main Hessen
Ich bin: Keine Angabe

Beitrag von fraences »

Wer glaubt ein Christ zu sein, weil er die Kirche besucht, irrt sich.Man wird ja auch kein Auto, wenn man in eine Garage geht. (Albert Schweitzer)

*****
Fakten und Infos über Prostitution

Benutzeravatar
Nymphe
ModeratorIn
ModeratorIn
Beiträge: 375
Registriert: 09.12.2008, 01:32
Ich bin: Keine Angabe

RE: Studie: Herausforderungen des Datenschutzes in der Polit

Beitrag von Nymphe »

Manchmal ist Wissenschaft zum weinen schön. :)

Was mich in dem Zusammenhang interessieren würde: Wie hat eigentlich Österreich den EU-Datenschutz umgesetzt? Hat auf der Grundlage schonmal jemand in Österreich gegen die Registrierung von Sexworkern geklagt?
It is no measure of health to be well adjusted to a profoundly sick society.

Benutzeravatar
Jupiter
verifizierte UserIn
verifizierte UserIn
Beiträge: 893
Registriert: 13.08.2010, 09:30
Wohnort: Südbaden
Ich bin: Keine Angabe

RE: Studie: Herausforderungen des Datenschutzes in der Polit

Beitrag von Jupiter »

Ein sehr lesenswerter Bericht. Er zeigt sehr deutlich die ganze Problematik der Datenerfassung in Bezug auf Menschenhandel auf.

Am Ende der Einleitung (S. 19) wird besonders herausgestellt, warum die entsprechende Datenerfassung unbedingt anonym sein muss.

Damit zeigt sich schon hier, dass das vorgesehene ProstSchG keinesvoll wie behauptet, der Bekämpfung des Menschenhandel dienen kann.

Jch kann nur jedem, der sich für Datenschutz interessiert, empfehlen, diese Ausarbeitung zu lesen.

Gruß Jupiter
Wenn du fühlst, dass in deinem Herzen etwas fehlt, dann kannst du, auch wenn du im Luxus lebst, nicht glücklich sein.

(Tenzin Gyatso, 14. Dalai Lama)

Klaus Fricke
Nicht mehr aktiv
Beiträge: 1121
Registriert: 05.11.2010, 16:16
Wohnort: Bremen / Sougia - Kreta
Ich bin: Keine Angabe

RE: Studie: Herausforderungen des Datenschutzes in der Polit

Beitrag von Klaus Fricke »




Solange Schutz vor Stigmatisierung rechtlich unbedeutend bleibt,
ist die Diskussion um Datenschutz sekundär


Nicht nur die ausführliche Darstellung des niederländischen Gesetzgebungsverfahrens, an dessen Ende die Ablehnung einer Registrierungspflicht für SW stand, ist für unsere Diskussion von Interesse.

Daneben finde ich folgende Überlegungen von La Strada / KOK wichtig:

Es werden Empfehlungen ausgesprochen, die bei der Einrichtung einer nationalen Berichterstattung oder gleichwertiger Mechanismen zum Menschenhandel Berücksichtigung finden sollen. Neben den Standards, die unmittelbar dem Schutz der Daten von Personen dienen sollen, die von Menschenhandel betroffen sind, wird auf Standards hingewiesen, die Kontexte von Menschenhandel erfassen sollen:

"• Die Datenerhebung durch die Berichterstattungsstelle sollte sich nicht nur auf den Menschenhandel allein beschränken, sondern auch die breiteren Rahmenbedingungen von Wirtschaftsordnung, Exklusion, Rassismus, Grenzkontrollen, Deregulierung der Arbeit etc. in Betracht ziehen." (S. 81 und 108 Hervorhebungen K.F.)

Ausserdem wird von La Strada und KOK immer wieder auf den Stigmatisierungshintergrund von SW und dessen Gefahren für die physische und psychische Integrität insbesondere dann hingewiesen, wenn Sexarbeitende in ihren Herkunftscommunities und/oder -Staaten sozialer Verachtung oder Kriminalisierung ausgesetzt sind.

"Außerdem werden personenbezogene Daten der Betroffenen von Menschenhandel von zahlreichen Regierungs- und Nicht-Regierungsorganisationen sowie zwischenstaatlichen Organisationen gespeichert und zwar im Rahmen der Harmonisierung der Datenerhebungsverfahren in der EU und der OSZE-Region, der Rationalisierung der grenzüberschreitenden Unterstützung der Betroffenen von Menschenhandel, der Entwicklung transnationaler Verweisungsmechanismen und der Zunahme der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit der Polizei. In vielen Fällen betrifft dies sensible Daten, aufgrund derer die Betroffenen von Menschenhandel dem Risiko von Vergeltungsmaßnahmen durch Täter*innen, Strafverfolgung oder Strafvollzug durch die Behörden in den Ländern, in denen Prostituierte kriminalisiert wird, sowie dem sozialen Ausschluss aus ihrem gesellschaftlichen Umfeld ausgesetzt werden könnten." (S. 42 f, Hervorhebungen K.F.)

"Wie der Europarat in seinem ‚Erläuternden Bericht zur Konvention‘ (Explanatory Report of the Council of Europe Convention) feststellt, ist der Schutz des Privatlebens und der Identität der Betroffenen von Menschenhandel angesichts der von den Menschenhändler*innen ausgehenden Gefahr grundlegend für die physische Sicherheit der Betroffenen. Sie dient, auch angesichts von Scham und der Gefahr der Stigmatisierung sowohl der Betroffenen als auch von deren Familien, der Wahrung von Chancen auf soziale Integration im Herkunftsland, im Zielland oder in einem Drittland." (S. 63, Hervorhebungen K.F.)

Leider wurden diese "breiteren Rahmenbedingungen" sozialer Exklusion und sozialer Ächtung bisher nicht systematisch wissenschaftlich erhoben und berücksichtigt. Solange die Tatsache und die Folgen des historisch tradierten Hurenstigmas jedoch nicht in gesetzgeberische Massnahmen und in den sozialen Alltagsdiskurs eingehen, sondern weiter der Verdrängung durch die Vorverurteilung der Sexarbeit als „Gewalt gegen Frauen“ (insofern zu „99 % Zwang zu sexuellem Missbrauch“) unterliegen, bleibt dessen Wirkung hinter dem Rücken aller Agierender (Bourdieu: habituell) relevant.

Insofern Dank an La Strada und KOK für den Praxisleitfaden zum Datenschutz für Betroffene von Menschenhandel. Er behandelt allerdings ein sekundäres Problem. Wo bleibt der Leitfaden zum Umfang von und Schutz der Sexarbeit vor Stigmatisierung, sozialer Ächtung, Kriminalisierung, Diffamierung und Diskriminierung? Wann findet diese Realität wissensbasiert Eingang in den Rechts- und den sozialen Diskurs?