Ich weigere mich, mich für meinen Job zu schämen“ | Uni-Absolventin startet Kampagne für Prostitution
09.04.2015 - 20:30 Uhr
„Es gibt keine einzelne Geschichte oder Person, die die Vielfalt und vielschichtigen Erfahrungen von Prostituierten repräsentieren kann. Aber hier ist ein Gesicht der Prostitution unter Unzähligen“ – Tilly Lawless bei Instagram
Sydney (Australien) – Es sind die Worte einer jungen, attraktiven Frau: Tilly Lawless (21) nennt sich die Australiern in den sozialen Netzwerken, postet dort freizügige Bilder von sich. Sie ist Uni-Absolventin, hat einen Abschluss in Geschichtswissenschaften. Seit zwei Jahren ist sie Prostituierte – jetzt startete sie eine Kampagne für ihren Beruf!
Unter dem Hashtag „#facesofprostitution“ geben Tilly Lawless (bedeutet auf Deutsch: „gesetzlos“) und Hunderte andere Prostituierte ihrem Job ein Gesicht. Ihr Statement: Prostitution bedeute nicht immer Zwang. Sie seien gern Prostituierte und stolz auf ihre Arbeit.
Damit reagieren die Frauen auf einen Blog-Eintrag der Menschenrechts-Organisation „Exodus Cry“, der Ende März veröffentlicht wurde – zum 25. Jubiläum des Films „Pretty Woman“. In dem Welterfolg spielt Julia Roberts die Prostituierte Vivian, die sich in den Geschäftsmann Edward Lewis (Richard Gere) verliebt – mit Happy End.
Expertin: Romantische Vorstellung hat nichts mit der Realität zu tun
Die Autorin Laila Mickelwait schreibt in dem Blog, dass sie den Film als Teenager zwar auch toll gefunden habe, er aber nichts mit der bitteren Realität zu tun habe. Die sei vielmehr eine „tragische Horror-Geschichte“. Seit Jahren versuche sie Frauen zu helfen, die von Menschenhändlern gefangen gehalten und zur Prostitution gezwungen werden.
Mickelwait zitiert ein Mädchen, das sich von dem Film-Klassiker blenden ließ und in die Hände von Zuhältern geriet. Statt Geld und der großen Liebe erwartete die junge Frau Vergewaltigung, Todesdrohungen und Raub.
Mit den Worten „Die Rolle von Julia (Roberts, Anm. d. Red.) ist reine Fantasie. Die Realität ist nicht schön. Glaubt nicht an dieses Märchen“, beendet die Menschenrechtlerin ihren Beitrag. Einen Beitrag, den die Prostituierte Tilly Lawless so nicht stehen lassen wollte.
Sie sei wütend gewesen, über die Pauschalisierung von Prostituierten, berichtet die BBC. Tilly Lawless entschied sich, selber ein Statement zu verfassen, postete es auf Facebook. Die Scarlett Alliance, die Vereinigung der Prostituierten Australiens, habe sie danach ermutigt, ihren Worten ein Gesicht zu geben – mit Bildern von sich.
Seitdem unterstützen Hunderte Prostituierte den Social-Media-Aufruf, zeigen sich bei Twitter, Instagram und Co – viele von ihnen sprechen dort erstmals öffentlich über ihren Beruf. „Das hat mich echt überrascht“, sagte Lawless.
Denn Prostituierte würden „fast nie als Menschen gesehen, stattdessen wird über ihre Körper gesprochen. Die Tatsache, dass ich mich weigere, mich für meinen Job zu schämen, gibt mir Kraft“, erklärte Lawless weiter.
Belle Knox kämpft ebenfalls für mehr Akzeptanz
Lawless’ Twitter-Kampagne erinnert an die Initiative der 19-jährigen Belle Knox aus den USA, die sich mit ihrem Job als Porno-Darstellerin ihr Studium an einer US-Elite-Universität finanziert.
„Mir wurde sehr früh beigebracht, dass Sex eine sündhafte, böse Sache ist und dass Frauen, die sich mit Sex beschäftigen, geistig gestört sind“, schrieb Belle Knox, die mit bürgerlichem Namen Miriam Weeks heißt, in einem Blog.
Medien, die Kirchen und das soziale Umfeld würden Frauen einreden, dass Männer sie nicht respektieren, wenn sie außerhalb der Ehe Sex hätten. „Sie möchten sie mit zu ihrer Mutter nach Hause bringen können. Frauen, die diesen Standard verfehlen, werden bestraft.“
Und genau das wolle sie als selbsternannte Feministin ändern! Sehr zum Ärger etablierter Frauenrechtlerinnen…
So hält die britische Soziologie-Professorin Gail Dines dagegen, Knox lasse sich vor den Karren der frauenverachtenden Sex-Industrie spannen zu lassen. Ihr Fazit: Belle Knox mache nur eine Film-Industrie populär, die unverhohlen mit Frauenhass hohe Milliarden-Umsätze mache.
„Porno bedeutet Sklaverei für Frauen“/size]
Die Kolumnistin Ruth Marcus schreibt auf der Internetseite der renommierten „Washington Post“, man müsse sich Sorgen machen um die Studentin hinter dem Künstlernamen Belle Knox. Und die in den USA bekannte Feministin Gloria Steinem geht sogar so weit, zu sagen: „Porno bedeutet Sklaverei für Frauen.“
Dass das Porno-Geschäft äußerst hart und tragisch sein kann, zeigte sich beispielsweise im Mai 2014: Damals erschütterte der Selbstmord von Alyssa Funke (19) aus Minnesota die Szene. Sie wurde gemobbt und angefeindet, bekam Depressionen.
Später nahm sie sich das Leben. Warum? Weil an der Universität von Wisconsin in River Falls, wo sie regelmäßig Einsen geschrieben hatte, herausgekommen war, dass sie einen Amateur-Porno gedreht hatte…
Die Frage bleibt: Selbstbewusst und frei, oder unterdrückt und erniedrigt – wie sieht die Realität zwischen Porno und Prostitution wirklich aus?
Expertin Mickelwait von „Exodus Cry“ nennt harte Zahlen: 75 Prozent aller weiblichen Prostituierten seien schon mindestens einmal vergewaltigt worden, 95 Prozent sei auch auf anderem Weg Schmerzen zugefügt worden. Fast 70 Prozent leiden laut der Expertin an posttraumatischen Stresssyndromen.
Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend stützt solche Zahlen: „Prostitution ist kein Beruf wie jeder andere – Prostituierte sind erheblichen psychischen und physischen Gefährdungen ausgesetzt“, heißt es auf der Seite des Ministeriums.
Es sei bekannt, dass viele Prostituierte sich in einer sozialen und psychischen Situation befinden, in der es fraglich sei, ob sie sich frei für oder gegen diese Tätigkeit entscheiden können. Das Ziel sei daher klar: Frauen und Mädchen – sowie Männern und Jungen – in der Prostitution sollen Möglichkeiten zum Ausstieg eröffnet werden.
Seit 2013 gibt es außerdem das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“: Unter der Telefonnummer 08000 - 116 016 können sich Frauen an Experten wenden.
Sandra Schneiders
http://www.bild.de/news/ausland/prostit ... .bild.html