Protest gegen geplante Preisverleihung an Peter Singer

Hier findet Ihr aktuelle Pressemeldungen, die nicht unbedingt etwas mit dem Thema Sexwork zu tun haben.
Sentenza
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Beitrag von Sentenza »

Peter Singer ist Sohn österreichischer Juden, die 1938 vor den Nazis nach Australien geflohen sind. Das sollte man bedenken, bevor man Vergleiche anstellt, die man eigentlich eh selbst doof findet.

Angenommen eine Frau ist schwanger und in den ersten Schwangerschaftswochen wird festgestellt, dass das Kind mit einer schweren Behinderung geboren werden würde. Würdest Du der Frau zugestehen über das Lebensrecht dieses Kindes zu entscheiden, also es eventuell abzutreiben? Wenn ja, bist Du Dir mit Singer nur darin uneinig, bis zu welchem Zeitpunkt das erlaubt sein soll. Das Kriterium, bis wann es erlaubt sein soll, ist bei Singer das Ausmaß, in dem ein Lebewesen Rationalität, Selbstbewusstsein, die Fähigkeit zu fühlen hat und sich selbst als kontinuierliches mentales Wesen mit einem Willen zu leben wahrnimmt. In dieser Hinsicht besteht für ihn zwischen einem neugeborenen Säugling und einem Fötus kein wesentlicher Unterschied.

Ein wesentlicher Punkt ist auch, dass Singer nicht abwägt, ob behindertes Leben besser ist als gar kein Leben. Singer sieht keinen Mangel an menschlichem Leben. Die Eltern entscheiden also nicht zwischen "Will ich ein behindertes Kind oder gar keines?", sondern zwischen: "Will ich ein behindertes Kind oder ein nicht behindertes Kind?" Da ist es für Singer ganz klar, dass nichtbehindertes Leben besser ist. Dagegen mögen Menschen wie Kasharius sagen: "Behindertes Leben ist genau so wertvoll wie nichtbehindertes Leben. Behinderte können genau so glücklich sein, wie nicht Behinderte." Dem würde Singer entgegenhalten: "Du hältst es also für unnötig, dass Contergan verboten ist, denn ein Contergan-Kind ist genau so ein glückliches und liebenswürdiges und wertvolles Kind wie ein anderes. Ob ein Kind gesund oder als Contergan-Krüppel zur Welt kommt, ist also völlig einerlei. Ein Verbot von Contergan drückt geradezu eine Geringschätzung von Behinderten aus, weil es impliziert, dass behindertes Leben weniger wünschenswert ist als nicht behindertes." Singer geht davon aus, dass die meisten Menschen so eine Argumentation absurd finden, also durchaus einsehen, dass Leben mit Behinderung nicht gleichwertig mit Leben ohne Behinderung ist.
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Sentenza
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Beitrag von Sentenza »

Peter Singer ist Sohn österreichischer Juden, die 1938 vor den Nazis nach Australien geflohen sind. Das sollte man bedenken, bevor man Vergleiche anstellt, die man eigentlich eh selbst doof findet.

Angenommen eine Frau ist schwanger und in den ersten Schwangerschaftswochen wird festgestellt, dass das Kind mit einer schweren Behinderung geboren werden würde. Würdest Du der Frau zugestehen über das Lebensrecht dieses Kindes zu entscheiden, also es eventuell abzutreiben? Wenn ja, bist Du Dir mit Singer nur darin uneinig, bis zu welchem Zeitpunkt das erlaubt sein soll. Das Kriterium, bis wann es erlaubt sein soll, ist bei Singer das Ausmaß, in dem ein Lebewesen Rationalität, Selbstbewusstsein, die Fähigkeit zu fühlen hat und sich selbst als kontinuierliches mentales Wesen mit einem Willen zu leben wahrnimmt. In dieser Hinsicht besteht für ihn zwischen einem neugeborenen Säugling und einem Fötus kein wesentlicher Unterschied.

Ein wesentlicher Punkt ist auch, dass Singer nicht abwägt, ob behindertes Leben besser ist als gar kein Leben. Singer sieht keinen Mangel an menschlichem Leben. Die Eltern entscheiden also nicht zwischen "Will ich ein behindertes Kind oder gar keines?", sondern zwischen: "Will ich ein behindertes Kind oder ein nicht behindertes Kind?" Da ist es für Singer ganz klar, dass nichtbehindertes Leben besser ist. Dagegen mögen Menschen wie Kasharius sagen: "Behindertes Leben ist genau so wertvoll wie nichtbehindertes Leben. Behinderte können genau so glücklich sein, wie nicht Behinderte." Dem würde Singer entgegenhalten: "Du hältst es also für unnötig, dass Contergan verboten ist, denn ein Contergan-Kind ist genau so ein glückliches und liebenswürdiges und wertvolles Kind wie ein anderes. Ob ein Kind gesund oder als Contergan-Krüppel zur Welt kommt, ist also völlig einerlei. Ein Verbot von Contergan drückt geradezu eine Geringschätzung von Behinderten aus, weil es impliziert, dass behindertes Leben weniger wünschenswert ist als nicht behindertes." Singer geht davon aus, dass die meisten Menschen so eine Argumentation absurd finden, also durchaus einsehen, dass Leben mit Behinderung nicht gleichwertig mit Leben ohne Behinderung ist.
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Sentenza
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Beitrag von Sentenza »

Sorry wegen Doppelposting!
Ich bekommen in dem Forum ständig alle nur erdenklichen Fehlermeldungen, wenn ich angemeldet bin. Ich kann auch nicht die Edit-Eingabemaske aufrufen, um das überzählige Posting zu löschen.
Tut mir leid.
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Lycisca
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Beitrag von Lycisca »

Sentenza hat geschrieben:Du hältst es also für unnötig, dass Contergan verboten ist, denn ein Contergan-Kind ist genau so ein glückliches und liebenswürdiges und wertvolles Kind wie ein anderes.
Das ist ein ziemlicher Unsinn und führt die Diskussion generell in eine falsche Richtung: Das Lebensrecht ist absolut und daher unabhängig davon, ob jemand glücklich ist oder nicht. Contergan ist auch nicht verboten, weil die Opfer möglicherweise unglücklich sind, sondern weil es die Möglichkeiten der Opfer im Vergleich zu Nicht-Opfern einschränkt, ihr Leben zu gestalten.

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Melanie_NRW
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RE: Protest gegen geplante Preisverleihung an Peter Singer

Beitrag von Melanie_NRW »

Oh wow.. dann ist er ja ein wahrer Heiliger... wie dumm von all den betroffenen Menschen wie Kasharius und mir, sowas nicht verstehen zu wollen. (BTW: Du hast den Zusammenhang nicht verstanden, aber auch egal... das er so einen Background hat, macht das ganze eigentlich fast noch schlimmer meiner Meinung nach)

Ich finde im übrigen nicht nur solche Vergleiche doof sondern überhaupt, das eine solche Diskussion sein muss.

Da ist fremdschämen angesagt. So oder so ist es pervers. Wer entscheidet denn bitte was normal und was "behindert" ist?
Ich kenne verdammt viele "gesunde" Menschen die total unglücklich mit ihrem Leben sind. Hätte man da die Glaskugel nehmen sollen oder ein Orakel befragen, ob sie überhaupt leben wollen und ob sie "zufriedene gesunde" Menschen werden?

Ich habe 2 Kinder und ich bin mir ziemlich sicher, das ich mich NICHT gegen ein Kind entschieden hätte. Ich wollte nicht mal so einen unsinnigen Test machen und es vorher wissen auch wenn ich familiär vorbelastet bin.

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Kasharius
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Beitrag von Kasharius »

@all

also zunächst freue ich mich über die sachliche, wenngleich kontroverse Diskussion in diesem threat. Das schließt die Beiträge von @Boris und @Sentenza mit ein. Das zeigt erneut die große Qualität dieses Forums. Ich hatte Sorge ich würde hier ein von den aktuellen und nicht geringen Problemen der SW weit entfernten Beitrag posten. DAS und mein sicher gewagter Vergleich mit den Protesten gegen die Thesen Alice Schwarzer bewogen mich meinen Rückzug aus dem Forum anzubieten. Die Resonanz darauf tut mir sehr gut.

@Sentenza

auch wenn ich inhaltlich anderer Meinung bin begrüße ich gerade auch Dein Posting. Den es wirft noch mal die entscheidenden Fragen auf: Wer entscheidet nach welchen Kriterien ob behindertes Leben weniger Wert ist als ein nichtbehindertes Leben? Warum muss diese Frage gestellt werden? Was genau stellt Eltern den vor diese Entscheidung und wer berät sie dann (nichtbehinderte Mediziner oder vielleicht ein Sozialarbeiter oder Psychologe mit Down-Syndrom; was heutzutage garnicht so abwegig wäre wo es jetzt auch ein 18jähriges Model mit Down-Syndrom gibt). Ich will fragen wer hat die Deutungshoheit über die Qualität behinderten Lebens. Ich finde jedenfalls am wenigsten ein (vermeintlich) nichtbehinderter Philsoph der auch nie erklärt, was er mit seinen Thesen bezweckt außer sich dann für Tierrechte einzusetzen. Das ist ja lobenswert, aber auf Kosten von Menschen mit Behinderungen und Eltern? Übrigens wer Conterganbetroffene als Krüppel bezeichnet, der diskriminiert schon. Ansonsten wurde zu diesem Argument das richtige schon gesagt. Ich will also im wahrsten Sinne des Wortes am Ende des Tages gerade Dich fragen: Müssen sich jene, wie ich, die sich von Singers Thesen verletzt und diskriminiert fühlen dies gefallen lassen und wenn ja warum?

Ich danke Dir und ich danke Euch allen mit den altbekannten Worten....

Kasharius grüßt

Klaus Fricke
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RE: Protest gegen geplante Preisverleihung an Peter Singer

Beitrag von Klaus Fricke »

Herr Singer und seine Philosophie sind mir nur unzureichend bekannt.

Den Einwand, den Kasharius vorbringt, dass Herr Singer seine Ansichten zwar diskutiert, aber, trotz der Implikationen, die sie für behinderte Menschen bzw. für nicht behinderte Eltern von behinderten Kindern haben - der unter utiliaristischen Erwägungen erzeugt Druck sich gegen deren Leben zu entscheiden - nicht revidiert, rechtfertigt für mich eine Protestaktion, die auf Verhinderung dieser Veranstaltung zielt. Damit ist das Thema, die Schwierigkeit um die es geht, jedoch nicht aus der Welt.

Neben den hier bisher vorgebrachten Argumenten, treibt mich ein anderer (flatternder) Gedanke um. Ich entschuldige mich schon mal für meinen Dilletantismus in der Sache.

Ein Kind wird geboren. Es ist behindert. Nach allem heutigen Wissen, wird es nie dazu in der Lage sein, nie auch nur den Hauch einer Chance auf das Potential haben, das zu sein, was Kant als Verantwortungssubjekt meint, dem unveräusserlich Würde als Mensch gebührt.

Als "Fleisch und Blut" der Eltern ist es, so sehe ich das, aber Teil der Eltern und deren unveräusserlicher Würde. Jede Nützlichkeitserwägung die an die Eltern herangetragen wird, richtet sich gegen die Würde der Eltern als Verantwortungssubjekte. Ein Philosophieren über das Leben, das diese Eltern "geschenkt" haben, die Relativierung dessen Wertes in einen "wissenschaftlichen" Diskurs ist ein Angriff auf die Unverletzlichkeit der Würde der Eltern(teile) die Verantwortung für das "geschenkte" Leben tragen. Daher verbietet es sich für mich, relativierend über das "geschenkte" Leben und seinen "Wert" zu philosophieren.

Den Eltern(teilen), die Verantwortung für solches, fern der Potenialität des Verantwortungssubjektes, "geschenkte" Leben übernehmen (Pflicht zur elterlichen Sorge), gebührt der zuvorderste Schutz aller staatlichen Gewalt.

Es schliessen sich dann natürlich Fragen an, die wir aus der Debatte um Schwangerschaftsabbrüche kennen. Im Grundsatz wurde dabei Frauen das Recht zugesprochen über ein Ende der Entwicklung frühen menschlichen Lebens innerhalb von Grenzen zu entscheiden. Dabei wurde das Recht des sich entwickelnden menschlichen Lebens gegenüber dem Freiheitsrecht des Verantwortungssubjektes Mutter, zu dem auch deren Entscheidungsrecht über ihren Körper und dessen Potentiale gehört, mit hohem, aber nicht absolutem Rang versehen.

Die Tötung eines geborenen Kindes und sei es mit der "rationalen Begründung" eines mit Sicherheit festgestellten Fehlens der Potentialität Verantwortungssubjekt und damit Träger*in menschlicher Würde werden zu können, so verstehe ich und sehe ich das, ist damit ausgeschlossen. Darüber zu entscheiden, steht auch Eltern(teilen) nicht zu. Sie übernehmen vielmehr die Stellvertreterschaft für die Wahrung der Unverletzlichkeit Würde des Kindes und haben dieses als imaginiertes Verantwortungssubjekt in ihr Handeln als Verantwortungssubjekte einzubeziehen, da die Zulassung einer Verletzung der Würde des Kindes zugleich eine Preisgabe der Unverletzlichkeit der eigenen Person wäre.


Zudem denke ich, dass die Diskussion dieser Fragen in diesem Forum wegen des Zusammenhangs zu den Themen Freiheitsrechte und Gleichbehandlung, die den Aktiven im Feld der erotischen und sexuellen Dienstleistungen verwehrt werden, seine, wenn auch abstrakte, Berechtigung hat. Sofern wir Freiheitsrechte und Gleichbehandlung einfordern, stehen wir in objektiven Interessenzusammenhang mit Anderen, denen Freiheits- und Gleichheitsrechte vorenthalten, die also entwertet werden.

Möget Ihr mich jetzt, aber bitte nur argumentativ, steinigen
Zuletzt geändert von Klaus Fricke am 21.05.2015, 01:05, insgesamt 3-mal geändert.

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Kasharius
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Beitrag von Kasharius »

@Klaus

danke und entweder lassen wir uns beide steinigen oder aber keiner wird hier gesteinigt.

Kasharius grüßt und sagt gute Nacht

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Lucille
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Beitrag von Lucille »

Das Absprechen der Existenzberechtigung als voll-'wertiges' Leben in gesellschaftskonformer 'Norm' wird der zu manipulierenden Masse in wohldosierten, kleinen Moralportionen nahegebracht ...

( wo ist Monty Pythons Steineverkäufer?)

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Lycisca
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Beitrag von Lycisca »

Heute ist zu diesem Thema ein interessanter Beitrag erschienen, den ich unten kopiere, weil er auch auf einige Elemente der Diskussion oben Bezug nimmt:

Ein eiskalter Utilitarist berechnet die Gesamtsumme des Glücks
Rudolf Taschner (Die Presse, Print Ausgabe vom 21.05.2015))

Nur weil Begriffe wie Seele oder Gewissen unmodern geworden sind und niemand mehr mit ihnen etwas anzufangen weiß, kann Peter Singer sein Unwesen treiben.
Nächsten Dienstag erhält der australische Philosoph Peter Singer in der Berliner Urania einen nach ihm benannten Preis für seinen Beitrag zur „Tierleidminderung“. Die Laudatio bei der Preisverleihung in Berlin wird Michael Schmidt-Salomon von der Giordano-Bruno-Stiftung halten, die bereits 2011 in Frankfurt am Main den Professor der Princeton-Universität in den USA mit ihrem Ethik-Preis ehrte.
Peter Singer bedient sich, wie 90 Jahre vor ihm der Wiener Anatom und Sozialmediziner Julius Tandler, des Begriffs „unwertes Leben“. Aus Singers Sicht setzt vollwertiges Leben Bewusstsein und Selbsterkenntnis voraus. Daher spricht er Neugeborenen und hirngeschädigten Menschen das Recht auf Leben ab und plädiert offen für aktive Sterbehilfe bei behinderten Neugeborenen, Komapatienten und anderen schwer hirngeschädigten Menschen.
Die Tötung schwerstbehinderter Säuglinge sei, so Singer, „ziemlich vernünftig“, wenn dadurch Geld für andere Zwecke des Gesundheitssystems gespart werden könne: „Ich möchte nicht, dass meine Versicherungsbeiträge erhöht werden, damit Kinder ohne Aussicht auf Lebensqualität teure Behandlungen erhalten.“
Klar, dass in Deutschland die Wogen gegen Singer hochgehen. Wortmeldungen von Politikern wie: „Dass jemand, der die Tötung behinderter Säuglinge legalisieren will, ausgerechnet in Deutschland zum wiederholten Mal einen Preis bekommt, treibt mich vor Wut auf die Palme.“ Oder: „Es ist unerträglich, dass solchen menschenverachtenden Einstellungen eine öffentliche Plattform geboten wird. Solche Ansichten dürfen nicht als legitim anerkannt werden. Sie dürfen nie wieder salonfähig werden, das lehrt uns die Geschichte“ entspringen geballter Empörung, verfehlen jedoch mit ihrem Pathos das Ziel, Singer zu widerlegen.
Peter Singer ist kein politischer Akteur, sondern Philosoph. Ganz im Sinn Voltaires bin ich der Ansicht, dass seine Philosophie grässlich ist, aber ihm soll nicht verwehrt sein, sie zu verkünden. Wenn man ihm Paroli bieten will – und dies halte ich für mehr als geboten! – muss man mit intellektuellem Geschütz gegen ihn kämpfen.
Dies ist in einer Zeit gar nicht so einfach, in der weder Synagoge noch Kirche der Gesellschaft moralische Maßstäbe einzufordern vermögen (beim Islam liegen die Dinge bekanntlich etwas anders). Singer beruft sich auf den Utilitarismus Benthams, der in einer säkularen Welt scheinbar einzigen konsensfähigen Ethik, die auf dem Prinzip „des größten Glücks der größten Zahl“ gründet.
Das valide und wuchtige Kontra dagegen lautet: Bentham irrt, weil Moral nur den Einzelnen betrifft und die Gesellschaft, die „große Zahl“, nichts angeht. Nur das Individuum hat ein Gewissen, das ihm in der Situation, über Leben und Tod zu entscheiden, als Richtschnur dient. Der Staat hat kein Gewissen, die Gesellschaft hat kein Gewissen. Darum sind weder Staat noch Gesellschaft legitimiert, Gewissensentscheidungen, die nur Individuen und deren unmündige Nächsten betreffen, mit einem Regelsystem zu konterkarieren.
Einzigartig hat dies Gisela Hinsberger im Spectrum der „Presse“ vom 18. August 2007 in dem atemberaubenden Artikel „Sofie“ zu Papier gebracht. Sie gebar ein Kind, das Peter Singer zufolge umgebracht gehört, denn laut Singer sei „die Gesamtsumme des Glücks größer, wenn der behinderte Säugling getötet wird“. Sie entschied, für ein krankes Kind „zu sorgen, sich an seiner Lebenslust zu freuen und dafür zu kämpfen, dass es einen guten Platz in der Welt findet“. Laut Peter Singer schädigte sie damit das Gemeinwohl, „das größte Glück der größten Zahl“.
Wie erbärmlich klein ist doch die Ethik eines Utilitaristen im Vergleich zum Ethos einer Mutter, die auf ihr Gewissen hört. Nur weil Begriffe wie Seele oder Gewissen unmodern geworden sind und niemand mehr mit ihnen etwas anzufangen weiß, kann Peter Singer sein Unwesen treiben.

Zum Autor: Rudolf Taschner ist Mathematiker an der TU Wien und betreibt mit seiner Frau und mit Kollegen der TU Wien das Projekt math.space im Wiener Museumsquartier.

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RE: Protest gegen geplante Preisverleihung an Peter Singer

Beitrag von Melanie_NRW »

Schmidt-Salomon sagt Laudatio auf Peter Singer ab

http://www.giordano-bruno-stiftung.de/m ... ter-singer

Boris Büche
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RE: Protest gegen geplante Preisverleihung an Peter Singer

Beitrag von Boris Büche »

Hallo Leute!

bevor ich mich zu Wort melde zum Fortgang der Diskussion, eine persönliche Erklärung:

Ich beschäftige mich nicht theoretisch mit Moralfragen, wie sie sich hier stellen. In meinem Leben musste ich mehrfach auf so etwas eine Antwort finden.
Beide Frauen, mit denen ich ein Kind habe, konnten sich schwer oder nicht vorstellen, ein "behindertes" Kind zu bekommen.
Beide haben früher schon mal abgetrieben, diverse Freundinnen auch.
In meinem Freundeskreis hat es zwei Untersuchungen auf mögliche Kindstötung gegeben.
Auch wenn es beim Verdacht blieb - dem "was wäre wenn" konnte ich nicht ausweichen.

Ich finde einiges, was heute medizinisch möglich ist und praktiziert wird, zu gruselig, um daran teilzunehmen.
Ich werde mir z.B. nix transplantieren lassen, es sei denn es wird einem Körper entnommen, der auch in meinen Augen tot ist.
Wer aber pro Organspende ist, den werde ich nicht aufgrund meiner abweichenden emotionalen Position kritisieren.


@ alle, die protestieren wollen:
Selbstverständlich dürft ihr das! Wir sind ein einigermaßen freies Land,
und auch sachlich schwach begründeter Protest ist erlaubt.

Ich bin allerdings inzwischen noch überzeugter als zu Beginn, dass ihr euch den Falschen ausgesucht habt! Bitte, lest einmal das hier:

Michael Schmidt-Salomon versucht, Licht ins Dunkel der Debatte zu bringen

Herr Singer gehört wohl nicht zu den Menschen, die auf "Behinderte" einen Blick werfen, der sagt: "Dich sollte es nicht geben".
Die Wut über solche häufigen Erlebnisse kann ich gut nachvollziehen, und dass Betroffene es auch mal laut rausschreien möchten, auch.

Dass Herr Schmidt-Salomon heute abgesagt hat (siehe Melanies posting), habe ich registriert - aber beachtet bitte: vorsichtshalber(!)

@ Lycisca:
"Das Lebensrecht ist absolut"
Dies ist eine normative Aussage, die beschreibt, was sein soll - nicht, was ist.
Dass wir uns bemühen, der Norm möglichst nahe zu kommen, heißt nicht, dass wir sie je erfüllen können.
In Wirklichkeit gewichten wir den Wert des Lebens relativ - und zwar wir alle! (vgl. mein zweites posting hier).

@ Klaus / @ Thema:
Klaus, ich liebe Deine schöne Ausdrucksweise, und Dein Bemühen um Wahrhaftigkeit!
Deine Darlegung hat aber Lücken, die nicht auffallen, weil sie in unsere Kultur tief eingeschrieben sind.

"Als "Fleisch und Blut" der Eltern ist [das Kind], so sehe ich das, aber Teil der Eltern und deren unveräusserlicher Würde.
Jede Nützlichkeitserwägung die an die Eltern herangetragen wird, richtet sich gegen die Würde der Eltern als Verantwortungssubjekte.
(...)
Den Eltern(teilen), die Verantwortung für solches, fern der Potentialität des Verantwortungssubjektes, "geschenkte" Leben
übernehmen (Pflicht zur elterlichen Sorge), gebührt der zuvorderste Schutz aller staatlichen Gewalt."


Klingt wirklich gut, aber verschleiert, dass die "Verantwortungssubjekte" nicht frei sind, ihre Verantwortung zu leben.
Es werden durchaus Erwägungen von außen an die Subjekte herangetragen (wenn auch keine der Nützlichkeit). Diese legen fest,
worin ihre "Würde" zu bestehen hat, zu welcher Entscheidung sie kommen müssen:

"Die Tötung eines ungeborenen Kindes und sei es mit der "rationalen Begründung" eines mit Sicherheit
festgestellten Fehlens der Potentialität Verantwortungssubjekt und damit Träger*in menschlicher Würde werden zu können,
so verstehe ich und sehe ich das, ist damit ausgeschlossen. Darüber zu entscheiden, steht auch Eltern(teilen) nicht zu."


Ich war so frei, die Vorsilbe "un" einzufügen. Schon haben wir die Position strikter Abtreibungsgegner.
Ich finde, das geht, denn schließlich dürfen Feten fortgeschrittenen Entwicklungsalters nach geltender Rechtslage getötet werden - sofern das im Mutterleib geschieht.
Außerhalb des Mutterleibs ist derselbe Fötus ein Wesen, dessen Leben von den gleichen Personen absolut zu schützen ist.
Diese moralische Unterscheidung leuchtet mir nicht ein, pardon!

Sie ist angesichts der medizinischen Möglichkeiten eine juristische Notlösung, so wie derzeitige Regelungen des Schwangerschaftsabbruchs ein Kompromiss
zwischen verschiedenen Moralauffassungen sind.
Man erinnere sich: Die ursprünglich sozialistische, dann feministische Forderung war die Streichung des §218 StGB, nicht dessen Reform,
nicht die Einführung von Ausnahmevoraussetzungen!

Auch heute wird einer schwangeren Frau Eigenverantwortung nur unter Aufsicht eingeräumt.

Wenn Eltern(teile) aus ihrem Gewissen und dem Empfinden ihrer realen Möglichkeiten heraus zu der Entscheidung kommen,
ein Kind nicht zu bekommen - ob "behindert" oder nicht -
darf man ihnen Verantwortlichkeit so einfach absprechen, sie ihrer "unveräußerlichen Würde" glatt enteignen?

Ich finde, dann werden diese hehren Worte zur bloßen Fassade.

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Kasharius
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Beitrag von Kasharius »

@Boris

ich danke Dir für Dein persönliches und inhaltliches posting sehr.

Ich werde nachher zur Urania fahren und im Nachgang hier berichten.

Kasharius grüßt

Klaus Fricke
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RE: Protest gegen geplante Preisverleihung an Peter Singer

Beitrag von Klaus Fricke »

@ Boris Büche
@ all

Es ist eine große Freude in diesem Forum Gedanken auszutauschen und diese auf dem Niveau zu diskutieren, das insbesondere diesen Thread auszeichnet. Danke!

Rincewind
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RE: Protest gegen geplante Preisverleihung an Peter Singer

Beitrag von Rincewind »

Nur um klar zu machen, aus welcher Position heraus ich schreibe.
Ich bin mit einer mehrfachen Körperbehinderung auf die Welt gekommen, die heutzutage leicht etwa aber der 25 Schwangerschaftswoche zu erkennen ist. Hinzu kamen dann noch Komplikationen während der Geburt, die die Sache auch nicht einfacher machten.
Und nun sitzt Peter Singer in seinem akademischen Elfenbeinturm und ist der Ansicht, dass meine Eltern und die Ärzte das Recht haben sollten, darüber zu entscheiden, mein Leben zu beenden, weil das Leben so nicht lebenswert oder "glücklich" und meine Eltern sollten sich eher für ein Kind an meiner Stelle entscheiden, da das Leben von Behinderten "worse off" wäre.
Heute wäre ich natürlich davon gar nicht betroffen, schließlich bin ich ja heute eine "Person".
Spätestens dann fahren die Neuronen Achterbahn, wenn man sich auf diese Argumentation einläßt.

Das alles wäre kein Problem, wenn Peter Singer in seinem Elfenbeinturm bleiben würde. Aber nein, aufgrund von seinen Vorurteilen, um nichts anderes handelt es sich, möchte er Veränderungen anregen. Und darüber hinaus gibt es noch Dritte, die seine Argumentationen aufgreifen und ausbauen.

Kritikern von P. Singer wird gerne nachgesagt, dass sie seine Texte nicht gelesen haben. Meiner Meinung nach, geht es in dieser Sache um Deutungshoheit von Begriffen und Werten.

P. Singer negiert die Qualität des Lebens von Behinderten. Als Beispiel nimmt er Menschen mit Blutgerinnungsstörungen. Manche Aktivitäten sollten diese Vermeiden und sie sind ein Leben lang auf bestimmte Medikamente angewiesen. Diese Blutgerinnungsstörung wäre aber schon kurz nach der Geburt nachzuweisen...

Es gibt recht wenige Behinderungen mit einem klaren Ursache-Wirkung-Nachweis. Eines davon ist Contergan und prompt nimmer er dies auch als Beispiel.

Singer:
"Du hältst es also für unnötig, dass Contergan verboten ist, denn ein Contergan-Kind ist genau so ein glückliches und liebenswürdiges und wertvolles Kind wie ein anderes. Ob ein Kind gesund oder als Contergan-Krüppel zur Welt kommt, ist also völlig einerlei. Ein Verbot von Contergan drückt geradezu eine Geringschätzung von Behinderten aus, weil es impliziert, dass behindertes Leben weniger wünschenswert ist als nicht behindertes."

Schauen wir uns aber mal die Fakten zu Contergan an:
Contergan kam damals als nebenwirkungsfreies Schlafmittel auf den Markt, das deshalb gerade an Schwangere empfohlen wurde. Es blieb auf den Markt, als es bald Meldungen, über Lähmungserscheinungen von Armen und Beinen gab, Es blieb zunächst auf dem Markt, als es Meldungen gab, die das Medikament in Verbindungen mit Missbildungen von Neugeborenen brachte.
Heuzutage ist der Wirkstoff von Contergan wieder zugelassen unter dem Namen Thalodomid! Die Herstellerfirma verdient Geld damit denn das nebenwirkungsfrei Medikament ist eines der wichtigsten Mittel im Kampf gegen Lepra. In Brasilien und Indien kommen deshalb immer noch Babys mit Contergan-Mißbildungen auf die Welt, da die Aufklärung von lepraerkrankten Frauen teilweise sehr mangelhaft ist.

Rincewind
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RE: Protest gegen geplante Preisverleihung an Peter Singer

Beitrag von Rincewind »

Peter Singer wird übrigens nicht nur in Deutschland kritisiert, nein auch im angelsächsischen Raum.
Ein "Fact Sheet" über Peter Singer und ein interessantes Interview in der New York Times über ein Treffen mit Peter Singer von Harriet McBryde Johnson: Unspeakable Conversations. Unspeakable Conversations

Boris Büche
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RE: Protest gegen geplante Preisverleihung an Peter Singer

Beitrag von Boris Büche »

Danke, Rincewind, für den Artikel von Harriet McBryde Johnson!

Wunderbar, das ist Kritik! Die achtsam ist, sowohl den Kritiker, wie den Kritisierten weiterbringt.
Anstatt zu dominieren, Definitions-Hoheit zu beanspruchen, mundtot machen zu wollen.


Am Ende des Kennenlernprozesses sagt Harriet McBryde Johnson:

Wenn ich Singers Art von Vorurteil gegenüber Behinderung als ein absolutes Böses definiere, und ihn als ein Monster,
dann muss ich alle Menschen so definieren die glauben, dass Behinderte von vornherein schlechter dran sind,
oder dass ein Leben ohne ein gewisse Art von Bewusstsein keinen Wert hat.
Diese Definition würde aus vielen der Menschen Monster machen, die sich mit mir über die Bürgersteige bewegen,
Geschäfte machen, Brot backen, plauschen oder die Mühen der Lokalpolitik mit mir teilen.
Sie würde sich auf manche Mitglieder meiner Familie erstrecken, und auf die Mehrheit meiner nichtbehinderten Freunde,
Menschen, die mir persönliche Freundlichkeit erweisen und es manchmal schaffen, mich durch ihre Unwissenheit zu lieben.
Ich kann nicht leben mit einer Definition des Absolut Bösen, die sie alle umfasst.
Mein Herz lässt nicht zu, jedem einzelnen von ihnen, kategorisch, meine Zuneigung und Liebe zu verweigern.

Peter Singer hat menschliche Achtung nicht Harriet McBryde Johnson, sie sie nicht ihm verweigert, nein, sie lernten sich schätzen.
Das war nicht geplant! Und wurde von so einigen missbilligt, die die "harte Linie" bevorzugen.

Ja, stimmt - auch anderswo als in Deutschland gibt es Proteste gegen P.Singer, die in ihrer Form zu kritisieren sind.
Und warum, kann ich nach diesem Text klipp und klar sagen:

Weil jede politische Taktik, die den Kontrahenten entindividualisiert, zum Objekt macht und nicht anhört,
um vermeintlich leichter ihre Ziele erreichen zu können, diese Ziele nicht erreichen wird.

Es sei denn, Unterdrückung ist schon das Ziel.

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Lucille
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Beitrag von Lucille »

Genau darum ist dieses Thema sooooo wichtig wenn es um Sexdienstleistung geht:

"Weil jede politische Taktik, die den Kontrahenten entindividualisiert, zum Objekt macht und nicht anhört,
um vermeintlich leichter ihre Ziele erreichen zu können, diese Ziele nicht erreichen wird.

Es sei denn, Unterdrückung ist schon das Ziel. "

Danke.

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Kasharius
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Beitrag von Kasharius »

@Ricewind
@Boris Büchse

nun aus meiner Sicht ging und geht es um Protest an Singers Thesen. Die muss hart und deutich sein. Ihn als Person zu dmonisieren hilft mehr ihm als seinen Kritikern.

Bedauerlicherweise sind wir ja längst weiter: Wir reden über die Freigabe des begleiteten Suizids, Bluttests zur Früherkennung des Down-Syndroms und PID....

Behinderung wird nachwievor als zu vermeidendes bzw. zu verhinderndes Leidensrisiko angesehen.

Wer oder Was ist da schon Singer...

Ich empfehle übriggens jedem diesen Film über den Blick auf Behinderung - einen der besten wie ich finde:



K'asharius grüßt alle Herzlich

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Beitrag von Kasharius »

Tja und die Sorgen werden auch bei diesem Thema nicht weniger...
http://www.kobinet-nachrichten.org/de/1 ... nclub!.htm

Kasharius grüßt und freut sich auf Beiträge