„Alle Frauen tauschen Sex gegen Geld“

Berichte, Dokus, Artikel und ja: auch Talkshows zum Thema Sexarbeit werden hier diskutiert
Benutzeravatar
fraences
Admina
Admina
Beiträge: 7435
Registriert: 07.09.2009, 04:52
Wohnort: Frankfurt a. Main Hessen
Ich bin: Keine Angabe

„Alle Frauen tauschen Sex gegen Geld“

Beitrag von fraences »

Feministin über Sexarbeit
„Alle Frauen tauschen Sex gegen Geld


Wenn Frauen Prostituierte befreien wollen, lohnt es sich, zweimal hinzusehen, meint die englische Feministin Laurie Penny.

taz: Alice Schwarzer sagt, Sexarbeit sei eine Menschenrechtsverletzung. Was sagen Sie?

Laurie Penny: Ich selbst habe diese Arbeit noch nicht gemacht, allerdings sind Freunde von mir Sexarbeiterinnen. Ich glaube, die Frage nach der Menschenrechtsverletzung ist die falsche. Wichtiger ist, wie kann ihre Arbeit so gestaltet werden, dass sie die Menschenwürde nicht verletzt? Ein Verbot der Prostitution, wie Alice Schwarzer es fordert, das hatten wir viele Jahre und haben es noch in den meisten Ländern der Welt. Das hat den Sexabeiterinnen noch nie genutzt.

Jemand, den ich vielleicht gar nicht mag, überschreitet meine Intimitätsgrenzen. Kann das normale Arbeit sein?

Es gibt viele Arten von Arbeit, die über persönliche Grenzen geht oder verletzend ist. Frauen haben schon immer Emotionalität und Intimität verkauft. Sehen Sie sich die typischen Frauenjobs an. Und es wird mehr: Wir sollen uns mit unserer ganzen Persönlichkeit unserem Arbeitgeber zur Verfügung stellen. Wir alle verkaufen immer mal wieder Gefühle.

Auch manche Exprostituierten sagen, Prostitution mache einen kaputt. Während ihrer Tätigkeit hätten sie zwar behauptet, sie seien selbstbestimmt –aber nur aus Selbstschutz.

Natürlich können Menschen sehr schlechte Erfahrungen in der Sexarbeit machen. Die meisten dieser Erfahrungen machen sie, weil Sexarbeit illegalisiert ist oder in einer Grauzone stattfindet. Es wird Zeit, daran etwas zu ändern.
im Interview:
Laurie Penny

27, ist eine britische Feministin und Autorin. Sie unterhält den Blog „Penny Red“ und schreibt als Kolumnistin für das Magazin New Statesman. In ihrem Buch "Fleischmarkt" (Nautilus, 2012) untersucht sie die versteckten Strukturen der Verdinglichung des weiblichen Körpers im Kapitalismus.

Schwarzer sagt, dass viele ausländische Sexarbeiterinnen ihre Rechte gar nicht einfordern können.

Man soll also Leuten die Rechte verweigern, weil sie zu dumm oder Ausländer sind? Ich dachte, dass Feminismus das Gegenteil sei: Frauen handlungsfähig machen.

Sie meinen, man spricht von Würde und meint Kontrolle?

Absolut. Das war in der gesamten Geschichte der Prostitution so: Es gibt Frauen mit Würde und Frauen ohne Würde. Das ist verletzend, nicht nur für Prostituierte, sondern für alle Frauen. Frauen, die mit mehreren Männern schlafen, werden abgewertet. Hier spielt das Patriarchat mit dem Staat zusammen: Die Sexarbeiterin wird aus der Gesellschaft ausgeschlossen, weil die promiske Frau ausgeschlossen werden muss. Denn sie stellt das Patriarchat infrage. Emotionale Arbeit der Frauen ist in unserer Gesellschaft nur dann gut, wenn sie unbezahlt ist: Männer und Kinder lieben und all diese Liebesdienste an ihnen verrichten.

Feministinnen wollen Prostituierte retten, weil sie Angst vor der promisken Frau haben?

Das ist der eine Grund. Ich glaube aber auch, dass Frauen, die sich selbst täglich mit sexuellem Kapital ausstatten müssen, um in der Gesellschaft Erfolg zu haben, tief in ihrem Innern eine Angst und eine Wut haben. Sex gegen Geld tauschen, das tun alle Frauen in dieser Gesellschaft mehr oder weniger. Und dieser unbarmherzige Mechanismus macht wütend. Diese Gefühle lassen sie an den Prostituierten aus, weil die den Mechanismus deutlich zeigen: Sex für Geld.

Es gibt auch eine Annäherung von Nichtsexarbeiterinnen an die Prostituierte, oder? Frauen kopieren ihre Kleidung oder lernen Poledance oder strippen. Wollen die etwas vom sexuellen Kapital der Prostituierten abhaben?

Ja, sie spielen mit diesen Elementen. Sie wollen den Gewinn dieses Kapitals abschöpfen, ohne die wirkliche Arbeit einer Poledancerin zu machen. Die Professionelle wird dabei nicht aufgewertet. Sie kann sich nicht für den nächsten Job bewerben und sagen: Ach ja, zwischen diesem und jenem Jahr war ich Poledancer. Stattdessen hat sie eine Lücke im Lebenslauf. Sexuelle Macht ist die einzige Macht, für die Frauen gefeiert werden. Zugleich werden sie dafür gehasst und bestraft, wenn sie diese Macht wirklich nutzen wollen.

Sex ist eigentlich dafür da, dass ungefähr zwei Menschen Spaß haben. In der Prostitution wird das ein asymmetrisches Verhältnis. Ist das entfremdet?

Ich glaube, dass Sex in unserer Gesellschaft ohnehin entfremdet ist. Allerdings ist der Sex der Frauen entfremdeter, weil man ihnen einredet, sie müssten Männern gefallen. Aber auch der männliche Sex wird uns problematisch präsentiert: Männer müssen Sex haben, sonst vergewaltigen sie. Es ist wie eine Naturgewalt, sie können nichts dagegen machen. Das hören die Mädchen, aber Jungen hören das auch. Ihnen wird gesagt, dass Sex die einzige Methode ist, wie sie Intimität leben können. Die Prostituierten bekommen dann fast eine Art Therapeutenrolle. Ich sehe, wie Männer damit kämpfen. Es ist sehr traurig.

Viele gehen aber auch in den Puff, weil sie es einfach finden. Es wird ihnen zu Hause zu anstrengend. Irgendwie auch schade, oder?

Tja, vielleicht gehen aber auch ihre Ehefrauen ebenso in den Puff? In der Tat waren Frauen historisch gesehen immer gegen Prostitution, weil die Sexarbeiterinnen ihren Handel „Sex gegen sozialen Schutz“ unterliefen. Das aber ist die Idee der Ehe. Deshalb würde ich gern für so etwas wie freie Liebe plädieren, wäre der Begriff nicht in den Sechzigern total entwertet worden. Der Sex sollte überhaupt kein Tauschmittel sein.

Aber es beruhen doch nicht alle Partnerschaften auf diesem Tausch Sex gegen Schutz. Frauen können sich doch allein schützen und ihr eigenes Geld verdienen.

Das wäre schön, wenn es so wäre. Es ist aber oft nicht so: Sie wissen, wie ungleich die Einkommen von Männern und Frauen sind. Es ist ein Tabu und darüber zu reden schmerzt, aber der sexuelle Wert wird auf dem Partnerschaftsmarkt möglichst gewinnbringend verkauft. So sieht es aus. Und wir werden das Thema Prostitution so lange haben, wie legaler Sex auf dem Partnerschaftsmarkt versteigert wird und außerehelicher Sex illegal oder illegitim bleibt.

Das heißt, das ganze Thema verschwindet, wenn Frauen so viel Geld verdienen wie Männer?

Man kann sich sexuell nur auf Augenhöhe begegnen, wenn man nicht von der Beziehung abhängig ist. Ich rede nicht davon, dass Frauen in Aufsichtsräte müssen. Ich rede von der Teilzeitkraft, die zu Hause unbezahlt arbeitet. Ja, die sexuellen Beziehungen sähen anders aus, wenn Frauen unabhängig wären. Frauen sähen anders aus, wenn sie unabhängig wären.

Sie meinen ohne Make-up und Lippenstift?

Nein, Feminismus sollte sich nicht mit dem Urteil über das Aussehen der anderen beschäftigen. Jede Art, sich zu kleiden, wird zur Unterdrückung, wenn man denkt, man müsse sich nun so oder so kleiden. Ich zum Beispiel hätte viel Make-up, wenn ich heute nicht so spät dran gewesen wäre. Und man muss sagen: Die Vorstellung, dass Feministinnen hässlich sind, hat sehr viele junge Frauen abgeschreckt. Es ist ihre größte Angst, hässlich zu sein. Es geht darum, auch diese verinnerlichte Kontrolle abzubauen: Eine Freundin von mir rät immer zu einem Experiment: Ziehen Sie die hässlichsten Sachen an, die Sie haben, sehen Sie so furchtbar aus, wie Sie können. Und dann gehen Sie aus. Und Sie sehen, dass es den Leuten egal ist. Das ist sehr befreiend.

http://www.taz.de/!5048155/
Wer glaubt ein Christ zu sein, weil er die Kirche besucht, irrt sich.Man wird ja auch kein Auto, wenn man in eine Garage geht. (Albert Schweitzer)

*****
Fakten und Infos über Prostitution

Benutzeravatar
nicole6
ModeratorIn
ModeratorIn
Beiträge: 2333
Registriert: 11.09.2009, 13:01
Wohnort: München
Ich bin: ehemalige SexarbeiterIn

Beitrag von nicole6 »

guter Artikel! Ein Kontrast dazu war gestern ein Interview im
Radio von Bayern 2 mit Lea Ackerman, der Nonne welche
Sexarbeiterinnen "befreien" will. Sie sagte, dass ALLE Sexarbeiterinnen
Sexsklaven sind, alle würden ausgebeutet, und alle machen
es unfreiwillig. Wer meint, Sexarbeit freiwillig zu machen,
hätte ein psychisches Problem, denn schon die Aussage, freiwillig
mit Männern gegen Honorar Sex zu haben, sei ein Zeichen vor
geistiger Verwirrung. Deswegen müsse Prostitution verboten werden.
Auf die Frage des Journalisten, ob sie denke, dass mit einem
Verbot und der Kriminalisierung der Prostitution diese verhindert würde,
sagte sie, dass Prostitutionsproblem sei das gleiche wie die
Fälle von Mord, Banküberfall, Entführung, usw. Dagegen gäbe
es auch Gesetze, und trotzdem könne das Gesetz diese Taten
nicht abschaffen.
Aber diese Gesetze würden diese Taten kriminalisieren, und
darum gehe es ja, damit man wisse, dass man das nicht tun darf.

Nicole

Benutzeravatar
nicole6
ModeratorIn
ModeratorIn
Beiträge: 2333
Registriert: 11.09.2009, 13:01
Wohnort: München
Ich bin: ehemalige SexarbeiterIn

Beitrag von nicole6 »

guter Artikel! Ein Kontrast dazu war gestern ein Interview im
Radio von Bayern 2 mit Lea Ackerman, der Nonne welche
Sexarbeiterinnen "befreien" will. Sie sagte, dass ALLE Sexarbeiterinnen
Sexsklaven sind, alle würden ausgebeutet, und alle machen
es unfreiwillig. Wer meint, Sexarbeit freiwillig zu machen,
hätte ein psychisches Problem, denn schon die Aussage, freiwillig
mit Männern gegen Honorar Sex zu haben, sei ein Zeichen von
geistiger Verwirrung. Deswegen müsse Prostitution verboten werden.
Auf die Frage des Journalisten, ob sie denke, dass mit einem
Verbot und der Kriminalisierung der Prostitution diese verhindert würde,
sagte sie, dass Prostitutionsproblem sei das gleiche wie die
Fälle von Mord, Banküberfall, Entführung, usw. Dagegen gäbe
es auch Gesetze, und trotzdem könne das Gesetz diese Taten
nicht abschaffen.
Aber diese Gesetze würden diese Taten kriminalisieren, und
darum gehe es ja, damit man wisse, dass man das nicht tun darf.

Nicole