ProstG: Deutsches Prostitutionsgesetz

Beiträge betreffend SW im Hinblick auf Gesellschaft bzw. politische Reaktionen
Klaus Fricke
Nicht mehr aktiv
Beiträge: 1121
Registriert: 05.11.2010, 16:16
Wohnort: Bremen / Sougia - Kreta
Ich bin: Keine Angabe

RE: ProstG: Deutsches Prostitutionsgesetz

Beitrag von Klaus Fricke »

Linksjugend
Ach Du Schreck - mir bleibt auch nichts erspart. Ich werde lesen, auch wenn das anstrengend und unerfreulich sein wird und - das mag dann lustvoll werden - schreiben.


Hier aber ein anderer Hinweis, zur Vervollständigung der Quellen
Qualifizierte Partizipation versus Verächtlichkeit

Die von mir geschätzte
Frau Prof. (erem.) Monika Frommel schreibt in der
Online-Ausgabe der NovoArgumente zum Thema
Prostitution: Gewerberecht statt Gängelung

http://www.novo-argumente.com/magazin.p ... el/0003133

Kurzfassung:
Anerkennung der Sexarbeit - Beendigung ideologischer Verächtlichung
Verbesserung der Arbeitssituation von SW: Gewerberechtliche Regelungen für (Indoor) Sexarbeitsorte
Empfehlung: Erlaubnispflicht für Indoor Sexarbeitsorte

Einige Textpassagen:

«Es fehlt der Rückenwind für eine angemessene Reform. Gegenwind hingegen gab es reichlich. Etwa an den Rändern der einst an Emanzipation interessierten Frauenbewegung. Sexkauf müsse verboten werden, Freier "von Zwangsprostituierten" seien zu bestrafen, 90 Prozent der Prostituierten seien Opfer von Menschenhandel, Prostitution sei ein Angriff auf "die Würde der Frau". Kaum zu glauben, dass sich emanzipiert dünkende Frauen solche Stellvertreterkämpfe führen.« (S. 2)

«Es ist schlicht abwegig, Ausbeutung - wie bisher - über den bizarren Umweg des Vorwurfs des Menschenhandels, eines Straftatbestandes, der bis vor kurzem regelmäßig auf Veranlassung der EU erweitert wurde, zu verfolgen. Dass dieser Weg zu nichts führt und auch zu nichts führen kann, wissen alle Beteiligten seit Jahren. (...) Die Ideologie ist bekannt: Menschenhandel ist immer Zwangsarbeit, Prostitution ist fast immer Zwangsprostitution (bis auf ein paar Exoten). Wie kommen Frauenpolitikerinnen auf diese schlichte Gleichung?» (S. 2)

«Nicht die [SW] Tätigkeit als solche ist schädlich, sondern der unkontrollierte ökonomische Zwang, » (S. 3)

«Die dort [in Bordellen] Tätigen (Selbstständige) können Akteneinsicht in die Gewerbeakte nehmen und sehen, ob die einbehaltenen Betriebskosten realistisch sind. Mieter haben ja auch das Recht auf Kontrolle und sie haben Mietervereine, die sie dabei unterstützen. Wieso soll das im Bordell nicht möglich sein?» (S. 3)

«Gewerbeaufsicht wäre also die Lösung» (S. 4)

«Erfahrene Behörden könnten flexibel reagieren, wenn die Betreiber die Mindeststandards unterschreiten, die mit ihnen festgelegt worden sind.» (S. 3)


Gegen die von Frau Prof. Frommel bevorzugte Erlaubnispflicht laut Gewerberecht, hat Dona Carmen zutreffend argumentiert und alternativ die Anzeigepflicht laut Gewerberecht vorgeschlagen, wobei die SW als freiberuflich selbständige anzuerkennen sind. Die Argumente muss ich hier nicht wiederholen. Ich stimme dem Vorschlag von DC zu

Insbesondere auch als Sprecher des "Haus9" finde ich die Aussage «... wenn die Betreiber die Mindeststandards unterschreiten, die mit ihnen festgelegt worden sind.» (Hvhbg. K.F.) von Prof. Frommel bemerkenswert und kann mich - vorraussetzungsvoll (s. u.) - mit ihnen anfreunden.

Das würde nämlich erforderlich machen, dass ein geregeltes Verfahren der gemeinsamen Festlegung von Mindeststandards im Sinne qualifizierter Partizipation (1) in Gang gesetzt werden müsste, an dem u.a. SW unbedingt auch zu beteiligen wären. Diese Idee hätte meine Zustimmung. Eine wie auch immer geartete gesetzliche Regelung der SW, insbesondere der Indoor SW in größeren Betriebsstätten hätte ein solches Verfahren der qualifizierten Partizipation vorauszugehen. Ein solches Verfahren hätte fortgesetzt zu erfolgen, sofern gesetzliche Regelungen implementiert wären. Um ein solches geregeltes Verfahren zu ermöglichen wäre die verbandliche Organisierung der SW - Aktiven (SW, Dienstleistende für SW inkl. Vermietende, Kundschaft von SW), deren vorbehaltlose Anerkennung zu fördern.

Zudem, darauf weise ich immer wieder hin, findet die Diskussion um eine rechtliche Regelung der SW fern von der realen, alltäglichen, körperverletzenden Diskreditierung der SW im gesellschaftlichen Kontext statt. Der tägliche Kampf um die Aufrechterhaltung der erzwungenen Doppelexistenz, die Benachteiligung und Belastung, die damit verbunden ist, die alltägliche Migration zwischen "Solidem" und SW, die allgegenwärtige soziale Verachtung der SW sind Gewalterfahrungen, die bis zur Traumatisierung gehen, die identitätsirritierend zur (Selbst-) Verleugnung zwingen können.

Weder das Wie, noch das Wieviel noch das mit Welchen Folgen der Diskreditierung von SW ist empirisch valide in den Blick genommen worden, obwohl in der Diskussion um die rechtliche Regelung permanent von der Stigmatisierung der SW als besonderem Bedingungsfaktor die Rede ist, obwohl bekannt ist, das Stigmatisierung, das fortgesetzte Schmähung körperverletzende Folgen haben kann, dass verbreitet Stigmatisierung von Gruppen deren Menschenrechte eklatand verletzen, das Stigmatisierung zu Gruppenbezogen Menschenfeindlichen Handlungen und Haltungen führt, die eine Erodierung grundrechtlicher Prinzipien (Gleichheitsgrundsatz) zur Folge haben und mit dieser Bedingtheit der SW sogar begründet wird, dass sie ein Feld rechtlicher Regelung sui generis sei.

Einer gesetzlichen Regelung der SW als Rechtsfeld sui generis aufgrund vorherrschender Stigmatisierung hätte daher nicht nur ein durch die Tatsche der Stigmatisierung begründetes und unausweichliches Verfahren qualifizierter Partizipation sondern im Sinne von Rechtstatsachenforschung eine valide empirische Erhebung zu dem Wie - Wieviel - Welche vorauszugehen, mit dem als Ausgangspunkt die uneingeschränkte Anerkennung der SW als gleichwertige Erwerbstätigkeit zu etablieren wäre.

Da der derzeitige RePSG frei von empirischer Validität und frei von qualifizierter Partizipation entstanden ist, kann es für ihn nur den Weg in den Papierkorb geben. Über den Unsinn den der Entwurf im Einzelnen laboriert, den Unsinn der von z.B. Dona Carmen, vom BesD vom BSD und vom djb sehr zutreffend kritisiert worden ist, braucht man sich angesichts der grundlegenden Mängel, die seine Entstehung begleiteten, nicht zu wundern. Die Kritik muss im Einzelnen erfolgen, darüber sollte jedoch die prinzipielle menschenfeindliche Unsäglichkeit des politischen und gesellschaftlichen Umgangs mit der SW, wie Prof. Frommel ausführt «Die Ideologie [:] Prostitution ist fast immer Zwangsprostitution (bis auf ein paar Exoten).» (Hvhbg. K.F.) nicht vergessen werden. Die alltäglichen Gewaltverhältnisse, die diese entwürdigende Ideolgie für SW generiert, werden sonst Unsichtbar, sekundär.

Solange der verächtliche Blick Teil der SW Realität ist, wird keine gesetzliche Regulierung SW zu schützen in der Lage sein. Im Gegenteil, mit dem verächtlchen Blick auf SW ist der Weg zurück in den tötlich repressiven Umgang mit als z.B. pathologisch gekennzeichneten Sexualitäten (Homosexualität), man sehe das Beispiel der Moral Crusades in den USA (2), eingeschlagen.


(1)
«Stufen der Partizipation
Unter Berücksichtigung der Ergebnisse aus unseren Forschungsprojekten und in Anlehnung an die Arbeit von Sherry Arnstein [Partizipation] entstand ein Stufenmodell, das ermöglichen soll, die Ausprägung existierender partizipativer Prozesse (...) besser zu beschreiben. (...) Nach unserem Verständnis ist Partizipation (...) ein Entwicklungsprozess. In vielen Zusammenhängen müssen zunächst Vorstufen der Partizipation realisiert werden, bevor eine umfassende Beteiligung der Zielgruppe an Entscheidungsprozessen möglich ist. Zahlreiche Maßnahmen, die sich für partizipativ halten, bieten keine Möglichkeit für eine Beeinflussung der Entscheidungsprozesse und sind daher nicht als partizipativ einzustufen.
«
http://www.partizipative-qualitaetsentw ... ation.html, abgerufen 25.01.2016, ca 18:00

(2)
D. Klimke,
Risikosexualität und das sichere Spiel der Sadomasochisten,
in (Hrsg) F. Mildenberger,
Die andere Fakultät,
Hamburg 2015,
S. 301 ff
siehe auch
http://www.sexworker.at/phpBB2/viewtopi ... 910#149910

Klaus Fricke
Nicht mehr aktiv
Beiträge: 1121
Registriert: 05.11.2010, 16:16
Wohnort: Bremen / Sougia - Kreta
Ich bin: Keine Angabe

RE: ProstG: Deutsches Prostitutionsgesetz

Beitrag von Klaus Fricke »

Siehe auch den ausführlicheren und quellenreicheren Kommentar von mir im Anschluss an den Artikel von Prof. Frommel in Novo Argumente

http://www.novo-argumente.com/magazin.p ... aengelung/

lemon
engagiert
engagiert
Beiträge: 122
Registriert: 09.03.2012, 02:28
Wohnort: Seoul
Ich bin: engagierter Außenstehende(r)

Übersetzung

Beitrag von lemon »

Frau Dr Frommels Artikel in englischer Übersetzung für diejenigen, die ihn mit anderen teilen möchten, die kein Deutsch, dafür aber Englisch verstehen.

Prostitution: Trade Supervision instead of Repression

http://wp.me/p4r4GT-k4
Always forgive your enemies; nothing annoys them so much. - Oscar Wilde

Bild

http://researchprojectgermany.wordpress.com

Klaus Fricke
Nicht mehr aktiv
Beiträge: 1121
Registriert: 05.11.2010, 16:16
Wohnort: Bremen / Sougia - Kreta
Ich bin: Keine Angabe

RE: ProstG: Deutsches Prostitutionsgesetz

Beitrag von Klaus Fricke »

Emanzipation?
Die niedersächsische Linksjugend und die Sexarbeit


In der Anlage eine Antwort auf das oben verlinkte Dokument der Linksjugend, dass ich auch als PDF (mit Markierungen) hier einstelle, um die daraus zitierten Auszüge aufindbar zu machen. Darin habe ich mich auf das emanzipatorische Menschenbild bezogen, dessen Verteidigung die Linksjugend vorgibt zu leisten, wenn sie auf der Grundlage der Erhebung von Farley u.a. meint, Sexarbeit pathologisieren zu dürfen. Der alte Kalle hätte, so meine Vermutung, die Dialektik von Erscheinung und Wesen, die die Linksjugend pflegt, nicht dem Kanon seines Denkens zugeordnet und eingeräumt, dass die pathologisierenden Rückschlüsse der Linksjugend, ein anderes Bild projizieren, als das der Vertreter*innen emanzipatorischer Interessen.

Querverweise:
Marxismus versus Moralismus
http://www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?t=8225

Kritik an der Farley Erhebung
http://www.sexworker.at/phpBB2/viewtopi ... 6019#36019

Sexarbeit und Kommunismus
http://sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?t=11240

Debatte über Prostitution und Marktgesetze
http://sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?t=1653

Ökonomie und Sexarbeit
http://sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?t=2288
Dateianhänge
2016-01-22, Marxistische Linke, Der Funke, Prostitution als Form der gesellschaftlichen Unterdrückung.pdf
(551.25 KiB) 225-mal heruntergeladen
2016-01-26, Emanzipation - Linksjugend und SW.pdf
(116.95 KiB) 226-mal heruntergeladen

Benutzeravatar
Nymphe
ModeratorIn
ModeratorIn
Beiträge: 375
Registriert: 09.12.2008, 01:32
Ich bin: Keine Angabe

Re: RE: ProstG: Deutsches Prostitutionsgesetz

Beitrag von Nymphe »

          Bild
Klaus Fricke hat geschrieben:
Kritik an der Farley Erhebung
http://www.sexworker.at/phpBB2/viewtopi ... 6019#36019


Da geht es um eine andere Farley-Studie als die von der Linksjugend (und auch sonst ständig) zitierte. Die wird aber z.B. hier ganz hervorragend zerlegt:

http://feministire.com/2011/11/13/what- ... ex-worker/
It is no measure of health to be well adjusted to a profoundly sick society.

Klaus Fricke
Nicht mehr aktiv
Beiträge: 1121
Registriert: 05.11.2010, 16:16
Wohnort: Bremen / Sougia - Kreta
Ich bin: Keine Angabe

RE: ProstG: Deutsches Prostitutionsgesetz

Beitrag von Klaus Fricke »

Hits the nail on head

Vielen Dank für den Link und natürlichen vielen Dank an die Autorin Wendy Lyon. Eine Übersetzung ins Deutsche wäre hilfreich für die weitere Diskussion.

Die Farley Studie, auf die sich die Linksjugend bezieht, ohne diese zu verlinken, habe ich mir jetzt als PDF besorgt http://www.prostitutionresearch.com/pdf ... ntries.pdf und schau sie mir noch genauer an.

Danke auch für den Hinweis, dass der von mir gesetzte Link zur Kritik an Farley, sich auf eine andere Studie bezog.

Benutzeravatar
fraences
Admina
Admina
Beiträge: 7426
Registriert: 07.09.2009, 04:52
Wohnort: Frankfurt a. Main Hessen
Ich bin: Keine Angabe

RE: ProstG: Deutsches Prostitutionsgesetz

Beitrag von fraences »

Hier mal ein Beispiel für grottenschlechte Wissenschaft zum Prostitutionsgesetz und den geplanten Prostiertenschutzgesetz:

Ein Gesetz für das älteste Gewerbe

Zu Gast bei Ingo Kahle: Dr. Eva-Maria Euchner, Ludwig-Maximilians-Universität München. Ein Gespräch über die Diskussion um Deutschlands Prostitutionspolitik.

Bundesregierung und Bundestag haben sich ein schwieriges, ein brisantes Politikfeld vorgenommen: Wie regelt man Prostitution? Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig plant ein neues Gesetz. In den Ausschüssen wurde bereits darüber debattiert.
Der Moderator

Ingo Kahle (Bild: Dieter Freiberg)
Ingo Kahle

Moderator, Redakteur "Zwölfzweiundzwanzig"

Wie Prostitution gesetzlich geregelt werden sollte, wenn überhaupt, ist deshalb so brisant, weil es viele moralische und weltanschauliche Fragen aufwirft: Die Rolle der Frau in der Gesellschaft, das Verständnis von Sexualität und Partnerschaft, der Einfluss von Kirchen und Religion und nicht zuletzt Fragen nach den Grenzen staatlicher Einflussnahme.

In Europa gehen die Staaten hier ganz unterschiedliche Wege. Es gibt liberale, mittlere und restriktive Ansätze. Deutschland gehört zur ersten Gruppe. Diese Haltung wird im Moment stark diskutiert, stark problematisiert.
Die Gesprächspartnerin

Homepage - Dr. Eva-Maria Euchner

Dr. Eva-Maria Euchner ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Empirische Theorien der Politik am Geschwister-Scholl-Institut für Politikwissenschaft der Ludwig-Maximilians-Universität München.

http://www.inforadio.de/programm/schema ... 29021.html
Wer glaubt ein Christ zu sein, weil er die Kirche besucht, irrt sich.Man wird ja auch kein Auto, wenn man in eine Garage geht. (Albert Schweitzer)

*****
Fakten und Infos über Prostitution

Benutzeravatar
Hamster
Nicht mehr aktiv
Beiträge: 682
Registriert: 06.04.2015, 18:33
Wohnort: Hamburg
Ich bin: Keine Angabe

Beitrag von Hamster »

KOALITION EINIGT SICH BEIM PROSITUTIONSGESETZ, teilte heute Markus Weinberg in Berlin mit.
Die Reform soll im Juli 2017 in Kraft treten.

https://www.tagesschau.de/inland/prosti ... z-103.html


www.merkur.de/politik/nach-monatlichem- ... 88596.html

Benutzeravatar
malin
PlatinStern
PlatinStern
Beiträge: 1205
Registriert: 01.09.2008, 18:26
Ich bin: Keine Angabe

Beitrag von malin »

na super :104
liebe grüsse malin

eventuell fehlende buchstaben sind durch meine klemmende tastatur bedingt :-)

Benutzeravatar
Flocke
engagiert
engagiert
Beiträge: 104
Registriert: 01.02.2012, 21:44
Wohnort: NRW
Ich bin: Keine Angabe

Beitrag von Flocke »

Die Dummheit hat gesiegt.

Benutzeravatar
Hamster
Nicht mehr aktiv
Beiträge: 682
Registriert: 06.04.2015, 18:33
Wohnort: Hamburg
Ich bin: Keine Angabe

RE: ProstG: Deutsches Prostitutionsgesetz

Beitrag von Hamster »

Hier noch mehr Links ueber die Koalitionsvereinbarung beim Prostitutionsgesetz:

www.zeit.de/politik/deutschland/2016-02 ... dompflicht

www.spiegel.de/politik/deutschland/pros ... 75271.html

www.fr-online.de/politik/prostitutionsg ... 97992.html

____________________________________________

Meine Meinung:

:009 :disgust :sign19 :cwm21 :angryfire :013 :heulsuse

Benutzeravatar
lust4fun
Gelehrte(r)
Gelehrte(r)
Beiträge: 376
Registriert: 22.11.2012, 22:27
Ich bin: Außenstehende(r)

RE: ProstG: Deutsches Prostitutionsgesetz

Beitrag von lust4fun »

Nur ein Arbeitsgedanke -
an die Aktiven mit Zugang zu den Entscheidungsträgern:

Mit welcher Strategie geht es weiter?

Könnte es sein, dass ein Wechsel ansteht?
Eine Verlagerung weg von fundamentaler Kritik,
hin zum pragmatischen "Retten, was zu retten geht"?

Steht die Einsicht an, dass
- das Gesetzesvorhaben keine grundsätzlichen Einwände mehr berücksichtigen wird,
- sondern allenfalls nur noch an einzelnen Passagen inhaltlich und sprachlich geschliffen wird
- und einige unerhörten Ungeheuerlichkeiten vor den höchsten Gerichten verhandelt werden müssen?

Ohne den Blick aufs Ganze zu verlieren und ohne Aufgabe, dies zu beschreiben:
Könnte es sein, dass nur noch ein paar wenige ausgewählte Aspekte die Chance haben, bei der letzten Ausformulierung als konstruktive Kritik gehört und berücksichtigt zu werden?

Welche Aspekte könnten das sein? Was kann noch beeinflusst werden, bevor die gerichtlichen Mühlen anfangen zu mahlen?

Ich denke z. B. an den Punkt "Verbot der Arbeitsstätte als Wohnstätte". Diesen "gut gemeinten" Aspekt im Sinne eines "Schutzgesetzes" habe ich hier kurz beschrieben:
http://www.mc-escort.de/forum/showpost. ... tcount=396

Gibt es wenige weitere Punkte, die eine Chance auf Überzeugungskraft unter den gegebenen Bedingungen haben?

Was kann man noch hörbar kommunizieren?

Lieben Gruß
l4f

Benutzeravatar
fraences
Admina
Admina
Beiträge: 7426
Registriert: 07.09.2009, 04:52
Wohnort: Frankfurt a. Main Hessen
Ich bin: Keine Angabe

RE: ProstG: Deutsches Prostitutionsgesetz

Beitrag von fraences »

PRESSEMITTEILUNG – Große Koalition einig: Totalüberwachung und Entmündigung von Sexarbeiter/innen
Publiziert am Februar 2, 2016

Die heutige Einigung der Großen Koalition von CDU/CSU und SPD auf ein so genanntes „Prostituiertenschutzgesetz“ entwertet alle bisherigen Schritte in Richtung einer rechtlichen Anerkennung von Prostitution und macht sie mit einem Schlag zunichte.

Gesundheitliche Zwangsberatung, Zwangsregistrierung und Zwangsouting durch Meldepflicht, Einschränkung der Berufsfreiheit durch örtlich/regionale Begrenzung von Sexarbeit per Gesetz, Stigmatisierung durch Hurenpass, Entmündigung durch Kondomzwang, patriachale Kontrolle von Frauen durch Prostitutionsstätten-Betreiber – all das bedeutet eine komplette Rechtlosstellung von Sexarbeit. Es ist das genaue Gegenteil von „Schutz“.

Das zentrale Element dieser „Reform“, die Einführung einer „Erlaubnispflicht für Prostitutionsstätten“ geht einher mit einer Kontrolle der Betreiber durch „Landespolizei-behörden“. Die Verpflichtung der Bordellbetreiber zur Weiterleitung personenbezogener Daten von Sexarbeiter/innen sichert den permanenten Informationsfluss an Polizei- und Ordnungsbehörden. Die Krönung sind jederzeitige, anlasslose Polizeikontrollen sämtlicher „Orte, an denen der Prostitution nachgegangen wird“. Das Recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung wird damit – exklusiv für Sexarbeiter/innen – außer Kraft gesetzt.

Das Prostituiertenschutzgesetz legalisiert eine polizeiliche Überwachung des gesamten Prostitutionsgewerbes, wie sie zuletzt im deutschen Kaiserreich bestand.

Was für den von CDU/CSU und SPD verwalteten Überwachungsstaat ein Segen ist, wird sich als Fluch für alle Sexarbeiter/innen erweisen. Bereits bei zwei (!) gemeinsam arbeitenden Sexarbeiter/innen greift die „Erlaubnispflicht“ mit mehr als 30 Pflichten für „Betreiber/innen“ und über 20 Verpflichtungen für Sexarbeiter/innen. Wer mit saftigen Bußgeldern bis in den 5-stelligen Euro-Bereich für die Einhaltung dieses Gesetzes sorgen will, zeigt deutlich, dass er von den angeblich segensreichen Wirkungen des Gesetzes selbst nicht überzeugt ist.

Unausweichliche Folge des Gesetzes wird ein Abtauchen in die Illegalität sein. Für die damit verbundene Absenkung der Hygienestandards, die Zunahme persönlicher Gefährdung sowie die Unerreichbarkeit mit Hilfsangeboten tragen Frau Schwesig (SPD) und die Bundesregierung die alleinige Verantwortung. Angesichts dessen von einer Stärkung der Rechte und des Schutzes von Sexarbeiter/innen zu sprechen, ist blanker Zynismus.

Doña Carmen e.V. fordert alle Bundestagsabgeordneten auf, einem solch durch und durch frauenfeindlichen Gesetz, dass die legitime Forderung nach rechtlicher Gleichbehandlung von Prostitution mit Füßen tritt und zentrale Grundrechte vor allem von Frauen außer Kraft setzt, ihre Zustimmung zu verweigern.

Sollte das Gesetz in dieser Form den Bundestag passieren, wird Doña Carmen dagegen eine Verfassungsklage auf den Weg bringen.
Das „Prostituiertenschutzgesetz“ muss weg!

http://www.donacarmen.de/pressemitteilu ... iterinnen/
Wer glaubt ein Christ zu sein, weil er die Kirche besucht, irrt sich.Man wird ja auch kein Auto, wenn man in eine Garage geht. (Albert Schweitzer)

*****
Fakten und Infos über Prostitution

Benutzeravatar
friederike
Goldstück
Goldstück
Beiträge: 2189
Registriert: 07.12.2010, 23:29
Wohnort: Saarlouis
Ich bin: SexarbeiterIn

RE: ProstG: Deutsches Prostitutionsgesetz

Beitrag von friederike »

Noch muss das Ganze durch den Bundestag und die Ausschüsse. Es muss also weitergearbeitet werden. Außerdem ist die Bundesratsbeteiligung noch nicht vom Tisch.

Zwischendrin haben wir zwei Landtagswahlen.

Es geht also weiter.

Benutzeravatar
Melanie_NRW
PlatinStern
PlatinStern
Beiträge: 825
Registriert: 16.06.2011, 21:03
Wohnort: Bielefeld
Ich bin: Keine Angabe

RE: ProstG: Deutsches Prostitutionsgesetz

Beitrag von Melanie_NRW »

Danke für die schnelle Stellungnahme der deutschen Aidshilfe!

Bundesregierung schützt Koalitionsfrieden statt Prostituierte


http://aidshilfe.de/de/aktuelles/meldun ... stituierte
Ein Freund meinte, ich hätte Wahnvorstellungen. Da wäre ich fast von meinem Einhorn gefallen!

*****
Fakten und Infos über Sexarbeit

Eddy
engagiert
engagiert
Beiträge: 145
Registriert: 26.03.2011, 00:11
Ich bin: Keine Angabe

RE: ProstG: Deutsches Prostitutionsgesetz

Beitrag von Eddy »

Zum Beitrag von lust4fun:

Es war hier früher schon mal erwähnt worden, aber hier weitere Details dazu.

Minister dürfen kostenlos im Ministerium wohnen (müssen lediglich 211 Euro im Monat als geldwerten Vorteil versteuern, macht also knapp 100 Euro zusätzliche Steuer pro Monat), SW ohne festen Wohnsitz am Arbeitsort sollen pro Tag für dieselbe Leistung ca. 100 Euro aus eigener Tasche aufwenden (Hotel + 2 Taxifahrten) -- also etwa 30 x mehr als Minister für denselben Zweck !!!

Die Minister sind ja soooooo arm und die SW sooooo reich ...

Interessant auch die Beschreibung von Schwesigs "Schlafbereich" (Durchgangsraum). Kann es sein, dass sie auf die großzügigen Verrichtungszimmer, in denen bisweilen SW nächtigen dürfen, einfach nur neidisch ist ... nach dem Motto: "Wenn ich als Ministerin so bescheiden übernachte, warum sollen SW dann so luxuriös übernachten". Sollen etwa SW vor zu großem Luxus beim Übernachten geschützt werden ... - es handelt sich ja bekanntlich um ein SCHUTZGESETZ, also muss ja wer vor was geschützt werden?


Eddy

Web Page Name

Benutzeravatar
lust4fun
Gelehrte(r)
Gelehrte(r)
Beiträge: 376
Registriert: 22.11.2012, 22:27
Ich bin: Außenstehende(r)

RE: ProstG: Deutsches Prostitutionsgesetz

Beitrag von lust4fun »

Reaktionen

Die taz
kommentiert, dass sich die CDU in weiten Teilen durchgesetzt habe.
Und titelt in der Printausgabe origineller als online mit "Moralschutzgesetz".
http://taz.de/Kommentar-Prostituiertens ... 215270950/

Die EMMA
kommentiert, die SPD habe nahezu alles herausverhandelt.
Bemerkenswert der Satz zur bundesweit gültigen Anmeldepflicht für die "Unsichtbaren":
"Damit ist die Regelung nahezu nutzlos, denn die meisten Frauen werden alle paar Wochen von Bordell zu Bordell verschoben und sind dann auch mit der neuen Anmeldepflicht nicht mehr auffindbar."
Also besser: "Überwachungsgesetz"
http://www.emma.de/artikel/das-prostitu ... los-331511

Benutzeravatar
Hamster
Nicht mehr aktiv
Beiträge: 682
Registriert: 06.04.2015, 18:33
Wohnort: Hamburg
Ich bin: Keine Angabe

Beitrag von Hamster »

Lieber lust4fun,
es waere toll, wenn Du den oben genannten Kommentar aus der "taz" hier bitte niederschreiben koenntest, denn nicht alle sind leider Abonnenten der "taz", wie ich z.B..
Ich meine, Du musst nicht, sondern kannst, wenn es Dir keine Muehe macht.
LG Hamsterchen

translena
verifizierte UserIn
verifizierte UserIn
Beiträge: 374
Registriert: 15.05.2007, 13:16
Wohnort: Essen
Ich bin: Keine Angabe

Beitrag von translena »

          Bild
Hamster hat geschrieben:Lieber lust4fun,
es waere toll, wenn Du den oben genannten Kommentar aus der "taz" hier bitte niederschreiben koenntest, denn nicht alle sind leider Abonnenten der "taz", wie ich z.B..
Ich meine, Du musst nicht, sondern kannst, wenn es Dir keine Muehe macht.
LG Hamsterchen
Man brauchst doch kein Abonnent sein um TAZ-Online artikel zu lesen..
Einfach runterscrollen und auf weiter zum Artikel dann siehst du alles.
Bezahlen ist bei der TAZ auf freiwillger Basis
Hier der Kommentarl:

Ein Punktsieg für die Moralhüter

Die CDU, die von vornherein ein restriktiveres Gesetz wollte, hat sich in weiten Teilen durchgesetzt. Trotzdem ist das Ergebnis besser als nichts.

Reeperbahn am Abend. Ganz rechts die Davidwache.

Abends auf der Reeperbahn in Hamburg. Bei Prostitution geht es immer um die Vorstellung, was anständig ist. Foto: dpa

Warum hat die Koalition mehr als zwei Jahre lang beim sogenannten Prostituiertenschutzgesetz gestritten, als gelte es, das Abendland zu retten? Um am Ende genau da anzukommen, wo SPD und Union vor Monaten begonnen hatten zu verhandeln?

Nichts anderes nämlich ist der „Kompromiss“, der jetzt verkündet wurde: Eine Rückkehr zu den ersten Vorschlägen für ein Gesetz, das SexarbeiterInnen besser vor Ausbeutung und Zwangsprostitution schützen soll. Und das BetreiberInnen von Prostitutionsstätten klare Hygiene- und sicherheitstechnische Vorschriften macht.


Die CDU, die es von vornherein restriktiv wollte, hat sich in weiten Teilen durchgesetzt. Zum Ärger der SPD, die es gern liberaler gehabt hätte, der Opposition und zahlreicher Lobbygruppen, die sich für die Rechte von SexarbeiterInnen stark machen. Vor allem aber dürften diejenigen, für die das Gesetz angeblich gemacht wurde, mehr als sauer über den „Kompromiss“ sein. Sie sehen sich durch die Vorgaben nicht besser geschützt, sondern eher reglementiert und zu Unrecht unter einen moralischen Generalverdacht gestellt.

Über die deutsche Sucht, alles bis ins letzte Detail gesetzlich zu regeln und für jeden kleinsten Fehltritt einen Bußgeldkatalog anzulegen, dürften auch die Kommunen unglücklich sein. Auf sie kommt mehr Bürokratie zu, von ungeklärten Datenschutzfragen ganz zu schweigen.

Dennoch dürfte das vorliegende Ergebnis besser sein als alles andere, was zwischenzeitlich Verhandlungsmasse war. Lieber ein Gesetz mit Einschränkungen als derart strenge Regelungen, die am realen Leben vorbeigehen. Denn bei Prostitution geht es unter der Oberfläche auch immer um die Vorstellung, was anständig ist und was verderbt. Die Union gefällt sich in der Rolle der Hüterin der Moral. Das Hüten ist ihr beim Prostituiertenschutzgesetz ein wenig gelungen. Aber glücklicherweise nicht vollständig.

http://taz.de/Kommentar-Prostituiertens ... 950/​

Benutzeravatar
Hamster
Nicht mehr aktiv
Beiträge: 682
Registriert: 06.04.2015, 18:33
Wohnort: Hamburg
Ich bin: Keine Angabe

Beitrag von Hamster »

Oh super!!!
Danke schoen, translena!!!
Ich war wohl etwas tueddelig.
Klasse, dass Du den Text so schnell hingeschrieben hast!
Danke schoen, translena!
LG Hamsterchen