Weckruf für Bundesteilhabegesetz

Hier findet Ihr aktuelle Pressemeldungen, die nicht unbedingt etwas mit dem Thema Sexwork zu tun haben.
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Kasharius
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Beitrag von Kasharius »

Liebes @Hamsterchen
lieber Klaus,

herzlichen Dank für Eure instruktiven Beiträge. Ja, es war ein aufwühlender Tag für alle Beteiligten gestern.

Vielleicht noch kurz zum Hintergrund: Einer der größten Kritikpunkte der Betroffenen betrifft das sogenannte poolen von Leistungen im Rahmen der persönlichen Assistenz. Viele Menschen mit sehr hohem Unterstützungsbedarf haben eigene, von ihnen selbst geschulte Helfer (Assistenten). Sie können so selber bestimmen, was sie wann machen wollen. Mit dem neuen Gesetz können sie jetzt aber in bestimmten Lebensbereichen gezwungen werden, sich die Assistenten mit anderen zu teilen; aus Kostengründen. Sie müssen dann mit ihrem Pool-Partner ausdiskutieren, ob sie ins Kino oder zum Fussball (oder in den P...ff ) gehen. Dann können sie aber auch gleich ins Heim gehen, den da ist poolen aufgrund der Strukturen ja an der Tagesordnung. Übertragen auf den SW-Bereich würde man SW zwingen, mehrer Kunden gleichzeitig zu einem Preis zu bedienen (das gäbe einen Aufschrei der Abos).

Ein anderer Kritikpunkt betrifft die nach wie vor bestehende Einschränkung des Wahlrechtes gerade hinsichtlich der Wohnform, das noch immer entgegen der UN-BRK aus Kostengründen eingeschränkt werden kann. Vergleichbar vielleicht mit einer Regelung die SW um ihres Schutzes willen vorschreibt ob sie im Großbordell oder in einem kleinen Laden ihrer schlimmen Tätigkeit nachgeht. Ulla Schmidt ist auch MdB und Vizepräsidententin des Deutschen Bundestages. Sie hatte während der Debatte den Vorsitz und brauchte sih so nicht zu positionieren. Der CDU-Abgeordnete Schummer ist übriugens auch Vorsitzender der Lebenshilfe in NRW. Die meisten Regelungen treten übrigens erst 2020/2023 in Kraft. Der jetztige Gesetzgeber läßt bis dahin evauieren, ob es wirklich so schlimm kommt und erlebt wegen der Bundestagswahlen nächstes Jahr die Folgen dessen, was er angerichtet hat nicht mehr... Vielleicht ein Hoffnungsschimmer...

Hier die Sicht einger Aktivistinnen auf das Ganze


http://www.kobinet-nachrichten.org/de/1 ... agazin.htm

http://www.kobinet-nachrichten.org/de/1 ... gesetz.htm

http://www.kobinet-nachrichten.org/de/1 ... gesetz.htm

http://www.taz.de/Kommentar-Teilhabegesetz/!5362842/

Wir bleiben dran. Morgen ist UN-Welttag der Behinderten!

Kasharius dankt und grüßt

Klaus Fricke
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RE: Weckruf für Bundesteilhabegesetz

Beitrag von Klaus Fricke »

Paradigmenwechsel verhindert

Kostenvorbehalt
SPD und CDU / CSU halten es für selbstverständlich die Umsetzung von Menschenrechten, unter Kostenvorbehalt zu stellen. Sie feiern sich in einem Land mit mehr als 5,5 Billionen Geldvermögen dafür, dass sie jährlich 0,8 Mld. Euro an zusätzlichen Mitteln über das BTHG zur Verfügung stellen werden. Diskriminierungen, deren Beseitigung mehr als dies kosten, oder deren Beseitigung die bisher gewährten Leistungen ausdehnen würde, sind demnach hinzunehmen.

Präzedenzfall
Das Prinzip der Verwertung, der Angemessenheit und Zumutbarkeit nach Maßgabe der Kosten: ist zu teuer, lohnt sich nicht, ist insofern überflüssig, behautet sich gegenüber dem des gleichen Zugangs Aller zum gesellschaftlichen Leben. Ein Präzedenzfall, wenn demgegenüber das Prinzip der gleichen Zugangschancen, das behinderte Menschen zu Recht einfordern, zur Geltung gebracht würde. Denn die grassierende Leistungsverweigerung gegenüber z.B. Hartz IV Empfänger_innen und deren so bewirkte Ausschließung aus dem gesellschaftlichen Alltag bedürfte im Licht einer Leistungsgewährung für Behinderte zum Zwecke deren vollständiger und wirksamer Eingliederung einer Überprüfung. Die Etablierung des vollständigen und wirksamen Rechts auf gleichen Zugang zum gesellschaftlichen Alltag wäre ein Paradigmenwechsel.

Spuk
Der rechtspopulistischen Spuk der Menschenverachtung, erst „Asylanten“ oder „Moslems“,„Homos“, „Krüpel“, „Prostituierten“ sowieso usw., könnte an der Wurzel gefasst und dezimiert werden. Ideologien der Entwertung anderer und Aufwertung eigener Gruppen würden, sollte das Verwertungsprinzip der befreiten Märkte keine gesellschaftliche Anerkennung mehr erhalten, der Boden entzogen. Gleichwertigkeit des Menschen verträgt sich weder mit der Herrschaft des Kostenvorbehalts, der Verwertbarkeit des Einzelnen oder der Überflüssigkeit der nicht Verwertbaren, noch mit Vorbehalten politischer Bewegungen, die in der Tradition des Faschismus die Entwertung Anderer pflegen.

Ausverkauf des Menschen
Nicht die Befreiung der Marktkräfte von Verwertungshemmnissen wäre das Leitprinzip (Paradigma), nicht die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft auf den internationalen Märkten, die schwarze Null der Infrastruktur-Abnutzung und des Sozialstaats-Abbaus, sondern das an ihren Bedürfnissen orientierte gleiche Recht der Menschen, faktisch gleichen Zugang zum gesellschaftlichen Alltag zu erhalten. Die Entstehung des BTHG in seiner heutigen Form kann, insbesondere die seitens der Betroffenen ausgelösten, ihnen zugute kommenden Veränderungen im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens (bis zu 68 an der Zahl) einbeziehend, als ein Prozess verstanden werden, in dem es der vorgeblich sozialdemokratisierten CDU/CSU und tatsächlich entsolidarisierten SPD gelungen ist, das Primat der Verwertung, der Befreiung der Marktkräfte von den Hemmnissen eines solidarischen Lebens erneut und ausgeweitet auf Behinderte „postfaktisch“ zur UN-BRK durchzusetzen. Mit zusätzlich 0,8 Mld. Euro pro Jahr ein billiger Abkauf des Menschen (-rechts).

Medienecho
Dass der Weser-Kurier die Proteste der Selbsthilfeorganisationen Behinderter missachtend, mit dem Titel »Verbände loben richtige Richtung, BTHG verabschiedet« (Basil Wegener, im Weser-Kurier vom 02.12.2016, Seite 4, http://www.weser-kurier.de/startseite_a ... 06738.html ) seiner Leserschaft, entgegen den eigenen Versprechungen, die Fakten vorenthält, die die Wahrheit braucht (siehe Motto des WK vom 23.09.2015, S. 4, Kampagne JedesWortwert) ist nur ein Nebenaspekt der Sicherung des Verwertungsvorranges befreiter Märkte. Dieser Aspekt sollte aber als mahnendes Beispiel wie Meinung produziert, wie eine bestimmte Geschichte auf Dauer erzählt und zum Gemein(en)wissen wird, nicht unbeachtet bleiben.

- - - - - - - - - -

p.s. den Beitrag habe ich ebenfalls hier veröffentlicht
http://www.weser-kurier.de/startseite_a ... l#comments
Zuletzt geändert von Klaus Fricke am 02.12.2016, 22:49, insgesamt 4-mal geändert.
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RE: Weckruf für Bundesteilhabegesetz

Beitrag von Hamster »

Lieber @Kasharius,

ja, es ist ganz schlimm und schrecklich, dass Behinderte in ihrer eigenen Lebensplanung, in ihrem eigenen, allgemeinen Alltag und in ihren spontanen Aktionen wie Kino- oder P...ffbesuch unfassbar stark eingeschraenkt werden, nur weil Behinderte auf ihren Assistenten warten muessen, der unterstuetzt und das Tun erst moeglich macht, bis der Assistent bei einem anderen Behinderten fertig ist.
Das "poolen" aus Kostengruenden ist ganz schlimm!
Man wird ja praktisch gezwungen, im Heim mit mehreren anderen Behinderten wohnen zu muessen (also auch noch kein Recht, selbst bestimmen zu koennen, wie und wo man leben moechte), wenn keine Angehoerigen im eigenen Haus sich nicht um Behinderte kuemmern koennen, etwa weil Angehoerige arbeiten muessen, nur weil aus Kostengruenden dann EIN Assistent fuer ZEHN Behinderte mit verschiedenen mehr oder weniger starker Behinderung praktischerweise am selben Ort und an selber Stelle zustaendig ist.
Ich sage es mal ganz drastisch:
Wenn man aufs Klo muss, kann man nicht warten, bis der Assistent mit dem anderen Behinderten fertig ist, sondern der Assistent hat bitteschoen gleich zur Hilfe da zu sein.

Ich sage nur eins, das Gesetz ist in einigen Punkten ein Witz!
Und ein Schlag ins Gesicht Betroffener!

Lieber Kasharius, meine Gedanken sind bei ALLEN Menschen, ob mit oder ohne Handicap!

Liebe Gruesse von Hamsterchen

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Kasharius
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Beitrag von Kasharius »

Mein liebes @Hamsterchen

ich danke Dir sehr für diese klugen und aufbauenden Worte.

Wie beim ProstSchuG gilt auch hier:

Der K(r)ampf geht weiter!!!

Kasharius grüßt Dich gaaaanz dolle

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Beitrag von Kasharius »

Lieber @Klaus

auch Dir großer Dank für dein solidarisches Engagement hier, beim Weser-Kurier und bei kobinet.

Kasharius grüßt Dich und die Deine herzlich

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Kasharius
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Re: Weckruf für Bundesteilhabegesetz

Beitrag von Kasharius »

Hier mal eine wie ich finde coole Aktion zur Kritik am Bundesteilhabegesetz. Vielleicht ließe sich bei SW-Aktiven ähnliches Denken (Anforderung des "Betriebskonzeptes, oder des Bundestagsausweises zwecks Kontrolle der Angaben...)
https://kobinet-nachrichten.org/2020/02 ... ngekommen/

:006
Kasharius grüßt