Abo - was?
Im Buntentorsteinweg in der Bremer Neustadt haben sich 50 bis 60 Bürgerinnen und Bürger zwischen Anfang 20 und 70 Jahren eingefunden. Wir passen grade in den Veranstaltungsraum der Kollektiv-Kneipe Kuss Rosa. Einige Menschen aus der Linkspartei, Ortsgruppe Bremen, haben am 19. Mai 2016 eingeladen, "öffentlich nachzudenken für eine Welt ohne Prostitution". Die Veranstaltung steht einerseits in Zusammenhang mit parteiinternen Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich Sexarbeit / Prostitution, andererseits mit der Bildung einer Bürgergruppe, die ein im Buntentorsteinweg geplantes (und bereits genehmigtes) Klein-Etablissement verhindern möchte.
Informanten gaben der Sexwork-Community die Veranstaltung vorab bekannt, Arbeitstitel: "Keine Solidarität mit Sexarbeiter*innen!" Es hieß zunächst auch, Huschke Mau käme. Hinter dieser Figur bin ich her, seit sie die öffentliche Bühne betreten hat. Es handelt sich nämlich, darauf weist vieles hin, um einen erfolgreich organisierten Schwindel. Mein Entschluss, nach Bremen zu fahren, stand damit fest und kam nicht ins Wanken, nur weil Huschke wieder absagte.
Um 19.00 begrüßt Thea Kleinert (Die Linke, Bremen) die Anwesenden, und stellt ihre Gesellschaft auf dem Podium wie folgt vor:
Lena R., "ist von der Repression des Staates betroffen"
Manuela Schon, "ist Radikalfeministin"
Frau Kleinert legt Wert auf, die Feststellung, dass die Veranstalter "keine Gruppe innerhalb der Partei" seien, sondern nur Ausdruck der Meinungsvielfalt innerhalb der Linken. Sie seien allerdings der Meinung, "dass wir uns mit dem System Prostitution offensiv auseinandersetzen müssen."
System? Ich halte dieses Wort wegen des geringen Organisationsgrads im Horizontalgewerbe für ähnlich unpassend wie es in der Kombination "System Cannabis" wäre. Für den Vergleich mögen mich jetzt manche hauen wollen, aber pardon: Er passt! Auch das Thema Cannabis ist kontrovers quer durch die politischen Lager, auch bei Cannabis wird die Rechtslage an Vorurteilen statt an Fakten ausgerichtet; auch Cannabis wird überwiegend von Klein- bis Kleinstunternehmern vertrieben. Sie und ihre Kunden könnten ein ruhiges Leben haben, störten die Gesellschaft kein bisschen, würden sogar die "Zaubersteuer" (Götz Widmann) bezahlen - wenn bloß die Gesellschaft sich nicht an ihnen stören würde! Auch in der Drogenpolitik schafft Kriminalisierung mehr Probleme, als es überhaupt zu lösen gäbe, und erschwert nötige Hilfestellungen erheblich.
Die erste Sprecherin - ich will sie ab jetzt Lena Richtig nennen, denn sie hat dieses Pseudonym verdient, anstatt des "R." à la Verbrechensbericht - zeigt uns, was es bedeutet, Opfer eines Systems zu sein.
Frau Richtig stammt aus der Ukraine und erkannte irgendwann, dass sie dem begonnenen Jurastudium nicht gewachsen war. Bald darauf befand sie sich zudem in Trennung von ihrem deutschen Mann. Sie versuchte sich durchzuschlagen mit Rechtsberatung, Übersetzungsdiensten, Kinderbetreuung, was nicht recht klappte. Das Jobcenter vermied Lena Richtig, so lange es nur ging - Freundinnen hatten ihr zu viel über Schikanen berichtet, die man dort erlebe. Irgendwann ging es nicht mehr, und sie musste in das System Jobcenter eintreten. Dort gab man Frau Richtig die Auskunft, wegen der laufenden Scheidung sei man für sie nicht zuständig - was falsch war, wie sich später herausstellte.
Lena Richtig sah nunmehr keine Alternative für sich als "auf den Strich zu gehen". Eindeutige Avancen hatte sie schon erhalten, als sie sich auf Angebote zur Kinderbetreuung meldete. Unter der Voraussetzung, mit Männern nicht zu schlafen, beschloss sie nun, es zu versuchen. Mit Privat-Striptease, später auch Badeservice ohne eigentlichen Sex. Als Prostituierte wollte sich Lena Richtig nicht sehen, aber das Gefühl, "in die Prostitution abgerutscht zu sein, das machte mich deprimiert." Ersparnisse wollten sich nicht ansammeln, auch nicht, als das Jobcenter irgendwann Leistungen zahlte. Unregelmäßig, und unter dem Satz. Als Frau Richtig gefragt wird, wie sie denn die leistungsarmen Zeiten überbrückt habe - das Jobcenter ließ sich Kontodaten zeigen und kann in diesem Fall rechnen! - da scheut sie vor einer wahrheitsgemäßen Auskunft zurück. Sie hat kein Vertrauen in den Datenschutz beim Jobcenter und will nicht riskieren, "lebenslang als Hure gestempelt zu sein." Eine Ausbildungsmöglichkeit bietet sich. Sie geht in die Binsen, ein Bildungsgutschein wird vom Jobcenter nicht erteilt. Um den Antrag stellen zu können, hatte Frau Richtig schließlich bekennen müssen, womit sie sich über Wasser hielt. Das Jobcenter nutze das Eingeständnis, um die Kürzung von Leistungen zu begründen. Stress und Schikanen des Jobcenters, inklusive Hausverbot, zerrütteten schließlich Lena Richtig dermaßen, dass sie nicht mehr in der Lage war. ihre erotischen Dienste anzubieten.
Um Prostitution sollte es gehen, an diesem Abend in Bremen. Lena Richtigs Lebensbericht enthielt kein Anzeichen einer Berührung mit einem System - außer eben dem Jobcenter. Sie hat, was ihre potentiellen Kunden angeht, kurz berichtet von Dreistigkeiten und Respektlosigkeit in höherem Ausmaß. Lena Richtig ist eine selbstbewusste Person und konnte ihre Grenzen wahren: Die Hälfte der Bewerber sortierte sie am Telefon aus, eine weitere Hälfte zu Beginn eines Dates. Lena sagte es nicht, aber mein Eindruck war: Das restliche Viertel der Kunden gab ihr keinen Grund zur Klage, und kein schlechtes Gefühl.
Eine völlige Legalisierung der Prostitution ängstigt Lena Richtig - sie sieht darin die Vorstufe einer Verpflichtung zu dieser Tätigkeit durch das Jobcenter, in Zukunft. Oder dem Anbieten der rechten Niere, falls Organverkauf erlaubt wäre. Argumente für eine strengere Reglementierung der Prostitution, wie von den Gastgebern gewünscht, wollen aus ihrem Mund aber nicht kommen.
Thea Kleinert fragt deshalb nach, als Lena geendet hat: Warum ist Prostitution schlimm?
Lena Richtig: "In einem Forum habe ich mal den Satz eines Freiers gelesen: Eine Hure bezahle ich nicht für den Sex, sondern damit sie danach wieder abhaut." Das fände sie auch: Das Honorar sei ein Schweigegeld, ein Schmerzensgeld sogar.
Ein wahrhaftiger Bericht aus einem schwierigen Lebensabschnitt, von einem sympathischen Menschen! Eine Kronzeugin gegen das "Verbrechen Prostitution" hatte ich erwartet, und eine Möglichkeit, Zoff zu machen. Huschke Mau hätte diese Hoffnung erfüllt, es ist ihre Spezialität. Etwas anderes hört man gar nicht von ihr: Schrecken und Elend ohne Lichtschimmer, ohne Ausweg, ohne Kleinigkeiten, die eine Geschichte lebendig machen. Eine schaurige Mär, die danach ruft, dem Unheil die Klinge des Gesetzes an die Brust zu setzen und zuzustoßen! Doch Huschke ist nicht da. Nur ihr neuer Text, am Vortag erschienen in der Süddeutschen Zeitung: "Alle Freier sind Täter!"
Abolitionismus
Manuela Schon (Die Linke, Wiesbaden) hat es nun zu wuppen, von der theoretischen Seite. Sie ist Sozialwissenschaftlerin, sie kann das.
Sie wird uns über das "System Prostitution" in europäischer Perspektive aufklären, sagt sie. Und sie wird zeigen, dass es falsch ist, verharmlosend von Sexarbeit zu sprechen, oder Prostitution als eine Form der Care-Arbeit zu begreifen. Und, letztlich, warum alle Freier Täter sind.
Das ist die grundlegende Annahme des Abolitionistischen Konzepts, der frauenfreundlichen Prostitutionsbekämpfung. Nicht die Hure wird diskriminiert, sie ist das Opfer der patriarchalischen Ordnung wie schon jeher - das Stigma wird von ihr genommen! und auf den (meist) männlichen Kunden verschoben, wo es hingehört. Denn auch der freundlichste von ihnen ist quasi nur der gute Bulle im bösen Spiel zu Lasten der Frau. Der Frau an Sich, denn "eine Gesellschaft muss sich schon klar werden, nach welchen Wertvorstellungen sie leben will". Individualität würde in so einem großen Vorhaben nur stören.
In Schweden klappt das Kunststück der Stigmaverschiebung wirklich gut, sagt Frau Schon, und: "das nordische Modell ist ein Exportschlager!" Ein Vorbild für Deutschland, darauf läuft es hinaus. Ich bin nun weder mit der Situation in Schweden vertraut, noch möchte ich das hier vertiefen. Nur meinen Unglauben bekennen, dass man ein soziales Handlungsfeld stigmatisieren kann, ohne ALLE zu treffen - vgl. Cannabis. Kürzlich sah ich einen Redebeitrag der schwedischen Rose Alliance auf youtube. Das hörte sich ganz anders an! Unter anderem wurde gesagt, dass sogar EU-Bürgerinnen mit Arbeitserlaubnis deportiert werden, wenn man sie bei dieser Arbeit erwischt. Die doch in Schweden nicht kriminalisiert ist, laut Manuela Schon.
Aber, kann sein, die Frauen von der Rose Alliance sprechen mit gespaltener Zunge. Soll ja auch bei uns so sein: Thea Kleinert sagte zu Beginn, die Berufsverbände und sogenannten Huren-Gewerkschaften würden nur für eine verschwindende Minderheit unter den Prostituierten stehen; Frau Schon führt es näher aus: Dominas, Tantra-Masseure, BetreiberInnen. Profiteure, die gegen Arbeitsschutzregelungen seien, stattdessen bloß zu Selbstverteidigungskursen raten.
Eigentlich Zuhälter, die davon absehen, es bemänteln mit dem "Mythos der freiwilligen Sexarbeit", was schockierende Wirklichkeit ist:
"In den meisten Fällen, den 90% Migrantinnen, können wir von klassischer Zwangsprostitution, beziehungsweise Schuldknechtschaft, ausgehen."
Mit dem letzten Punkt spricht Manuela Schon etwas Wahres an: Wucher blüht schon immer an den Rändern der Gesellschaft am allerbesten!
Das kapitalistische System tut sich schwer mit Verboten des Wuchers, bis zur Weltrevolution ist daher das beste Rezept: Die Betroffenen in die Mitte der Gesellschaft aufnehmen. Tut Schweden das? Hat sich das Preisniveau der (jetzt als Zuhälterei illegalen) Zimmervermietung an Prostituierte in Schweden zu ihren Gunsten verändert? Oder sonst irgendetwas? Aus dieser Perspektive wird uns an diesem Abend nichts mitgeteilt. Nur aus dem Blickwinkel der "Gesellschaft, die weiß, nach welchen Wertvorstellungen sie leben will". Und deshalb bestimmen darf, wie man nicht leben soll.
Die Wirklichkeit der Prostitution nach Manuela Schon:
- bei 70% der Prostituierten ist Gewalterfahrung in der Kindheit der Hintergrund der Berufswahl;
- das Einstiegsalter ist sehr früh, im Schnitt zwischen 13 und 14 Jahren;
- erstmal dabei, sind die Frauen in einem hohen Grad von Geschlechtskrankheiten betroffen, der Drang zu sog. AO seitens der Kunden lässt sie einen Waschzwang entwickeln,
entzündete Genitalien sind die Folge;
- zudem setzt sich in der Prostitution massive Gewalterfahrung fort, es ist daher logisch, dass
- viele unter Identitätsspaltung (Dissoziation) leiden, ihren Geruchssinn verlieren;
- Prostituierte in so hohem Maß von posttraumatischem Belastungssyndrom (PTBS) betroffen sind, wie sonst nur Folteropfer und Kriegsheimkehrer.
Ja, was kann man gegen solche Zustände unternehmen? Müssen wir auf den Staat warten, dem die "Prostitutionslobby" ständig am Ohr hängt? Nein! Manuela Schon sagt uns, was WIR tun können: Uns vernetzen, Bürgerinitiativen gründen, informieren darüber, "was wir in unserer Nachbarschaft nicht wollen!" Und als "privat" getarnte Zwangsprostitution in Wohngebieten aufspüren - ganz leicht sei das, die inserieren ja! - dokumentieren, und verfolgen lassen: "Wir in Wiesbaden waren sehr erfolgreich damit, sowas den Behörden zu melden."
Das interessierte mich nun näher! Ich frage Frau Schon nach einem konkreten Beispiel, und erhalte Antwort (Pardon, ich lasse das hier aus! ich konnte noch nicht recherchieren, ob es die Richtigen traf.)
Manuela Schon ließ dafür aus, an dieser Stelle auf ihr neues Bubenstück zu verweisen, obwohl es sowas von gepasst hätte. Am Morgen des Veranstaltungstags hat sie es noch in einem mehrseitigen Text verteidigt: Eine Google-Map zu Prostitutionsstätten in Deutschland, im Netz recherchiert und durch freiwillige ZuträgerInnen ergänzt. War es Bescheidenheit, die Frau Schon bewog, es nicht zu erwähnen, oder die aus ihrer Sicht bedauerliche Tatsache, dass Google die Karte nach reichlich Protest vor kurzem vom Netz nahm?
Sei´s wie´s sei: Manuela Schon ist eine Denunziantin!, sie hat´s gestanden.
Ich füge hinzu: Manuela Schon ist eine Lügnerin! und meine dies sachlich, nicht moralisierend.
Frau Schon, Sie haben Sozialwissenschaften studiert, ich auch. Sie und ich wissen, was Quellenkritik ist, und wie man Statistiken auf ihre Aussagekraft abklopft. Sind sie bereit, für ihre "Wahrheiten" ernsthaft einzustehen, sie gerichtlich zu verteidigen? Dann los, und Klage eingereicht! Eine Kopie meiner Personaldaten habe ich Ihnen zu diesem Zwecke in Bremen übergeben. Händigen Sie dies gern auch Ihrer Freundin aus, von der ich nach wie vor behaupte: Huschke Mau ist eine Propagandafälschung! Ich werde ich mich bemühen, Die Linke Bremen wie Wiesbaden, ihre GenossInnen des denunziatorischen Feminismus und die Vereinigungen gegen "Menschenhandel" über den Fortgang ihrer Ehrenrettung auf dem Laufenden zu halten, versprochen!
Ich kann nicht alle Vorwürfe bestätigen, die gegen Manuela Schon aus Sexworker-Kreisen erhoben werden. Von "Hurenhass" z.B. war nichts zu bemerken bei ihr oder Frau Kleinert, anders als bei manchen Personen im Publikum. Frau Kleinert und Frau Schon haben die anschließende Diskussion, in der auch kritische Positionen zu Wort kamen, fair und aus meiner Sicht unparteiisch moderiert. Beide waren mir keineswegs unsympathisch, hassen kann, und möchte ich sie nicht. Nur bekämpfen! Denn ihre subjektive Weltsicht oder ihr Gesellschaftstraum darf nicht die Latte sein, unter die alle sich beugen müssen. Jehovas Zeugen ließe ich auch nicht, nur weil sie an der Haustür immer nett waren.
Das Schlusswort gebühre, wie auch auf der Veranstaltung, Lena Richtig:
"Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt, ein Sexkaufverbot einzuführen, solange es keine Alternativen gibt. Ich war doch froh, dass Männer zu mir gekommen sind, so konnte ich überleben."
Zu Gast bei den AbolitionistInnen
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RE: Zu Gast bei den AbolitionistInnen
Schon älter. Der Text war zur zeitnahen Veröffentlichung im KaufMich Magazin vorgesehen. Die Redaktion hatte juristische Bedenken wegen der vollen Namensnennungen, daher fiel es aus.
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