Hier weitere juristische Entwicklungen zu coronabedingten Bordellschließungen in der Rechtsprechung.
https://rsw.beck.de/aktuell/daily/meldu ... eschlossen
https://www.rechtslupe.de/verwaltungsre ... na-3203578
https://www.saarland.de/dokumente/diens ... V06-20.pdf Diese Verfahren werden heute verhandelt.
Kasharius grüßt
WEitere Rechtsprechung zu coronabedingten Bordellschließungen
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Re: WEitere Rechtsprechung zu coronabedingten Bordellschließungen
Und eine weitere Interessante Entscheidung des VG Berlin die noch nicht rechtskräftig ist
VERWALTUNGSGERICHT BERLIN
BESCHLUSS
In der Verwaltungsstreitsache
der Frau
Antragstellerin,
Verfahrensbevollmächtigte:
westendLaw Rechtsanwälte,
Eschersheimer Landstraße 60/62, 60322 Frankfurt am Main,
g e g e n
das Land Berlin,
vertreten durch die Senatsverwaltung für Gesundheit,
Pflege und Gleichstellung,
Oranienstraße 106, 10969 Berlin,
Antragsgegner,
hat die 14. Kammer des Verwaltungsgerichts Berlin
durch
die Vorsitzende Richterin am Verwaltungsgericht Glowatzki
als Vorsitzende
am 23. Juni 2020 beschlossen:
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.
Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Der Wert des Verfahrensgegenstands wird auf 15.000,- € festgesetzt.
- 2 -
- 3 -
Gründe
A.
Über den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes entscheidet nach § 123 Abs.
2 Satz 3 in Verbindung mit § 80 Abs. 8 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) wegen
Dringlichkeit die Vorsitzende.
B.
Der nach den §§ 88, 122 Abs. 1 VwGO von Amts wegen sachdienlich dahin auszulegende
Antrag der Antragstellerin,
im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO vorläufig
bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache VG 14 K 159/20 festzustellen,
dass das in § 5 Abs. 10 der Verordnung über erforderliche Maßnahmen
zur Eindämmung der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 in
Berlin - SARS-CoV-2-Eindämmungsmaßnahmenverordnung, SARS-CoV-2-
EindmaßnV - (vom 22. März 2020, GVBl. S. 220, ber. S. 224, in der Fassung
vom 28. Mai 2020, GVBl. S. 506; zuletzt geändert durch Verordnung vom 16.
Juni 2020, GVBl. S. 557) enthaltene Verbot, Prostitutionsgewerbe für den Publikumsverkehr
zu öffnen und sexuelle Dienstleistungen mit Körperkontakt zu
erbringen, auf die von ihr in der M_____, 1_____ Berlin, betriebene Prostitutionsstätte
keine Anwendung findet, soweit deren Betrieb ein Schutz- und Hygienekonzept
zugrunde liegt, das den allgemeinen Hygieneanforderungen für
körpernahe Dienstleistungen entspricht,
ist zulässig (nachfolgend unter I.), aber unbegründet (nachfolgend unter II.).
I.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Regelungsanordnung ist nach § 123 Abs. 1 Satz
2 VwGO zulässig, insbesondere statthaft. In Ermangelung der Eröffnung einer so genannten
prinzipalen Normenkontrolle durch das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg im
Berliner Landesrecht (vgl. § 47 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 6 VwGO) kann die Antragstellerin in der
Hauptsache nur ein Feststellungsbegehren in Gestalt der negativen Feststellungsklage
nach § 43 Abs. 1 VwGO verfolgen und im Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes einen
korrespondierenden Feststellungsantrag stellen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 31.03.2020
- 1 BvR 712/20 -, juris Rn. 15 m.w.N.). Anders als wohl die Antragstellerin annimmt, ist
Gegenstand der gerichtlichen Prüfung allerdings nur die Frage der individuellen Verbindlichkeit
des hier angegriffenen Verbots; auch kommt der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung
nach § 121 VwGO lediglich Rechtskraftwirkung inter partes, d.h. nur zwischen
den Verfahrensbeteiligten, zu (vgl. BVerwG, Urteil vom 12.09.2019 - 3 C 3.18 -, juris Rn.
23 m.w.N.).
- 3 -
- 4 -
Bei Auslegung des Rechtsschutzantrags im obigen Sinne, ist die Antragstellerin an einem
gegenwärtigen, feststellungsfähigen Rechtsverhältnis zwischen ihr als Normadressatin
und dem Land Berlin als Normgeber und -anwender beteiligt (vgl. auch Pietzcker in:
Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 37. EL Juli 2019, § 43 Rn. 10 zu ähnlichen Konstellationen).
Sie hat geltend – wenn auch entgegen § 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit § 920
Abs. 2, § 294 der Zivilprozessordnung (ZPO) nicht glaubhaft – gemacht, dass sie in Berlin
eine Prostitutionsstätte betreibt, die sie wegen des Verbots in § 5 Abs. 10 SARS-CoV-2-
EindmaßnV einstweilen nicht für den Publikumsverkehr öffnen darf.
Das Feststellungsbegehren ist auch nicht subsidiär (vgl. § 43 Abs. 2 VwGO), weil bei
summarischer Prüfung davon auszugehen ist, dass Verstöße gegen das Verbot des Betriebs
eines Prostitutionsgewerbes nach § 24 Abs. 3 Nr. 21 SARS-CoV-2-EindmaßnV in
Verbindung mit § 73 Abs. 1a Nr. 24 des Infektionsschutzgesetzes - IfSG - (vom 20. Juli
2000, BGBl. I S. 1045, zuletzt geändert durch Gesetz vom 19. Mai 2020, BGBl. I S. 1018)
bußgeldbewehrt sind (vgl. auch: VerfGH Bln, Beschluss vom 20.05.2020 - 81 A/20 -,
http://www.gerichtsentscheidungen.berli ... enburg.de/). Zudem lässt sich nicht mit
hinreichender Sicherheit ausschließen, dass entsprechende Verstöße auch nach § 74
IfSG strafbar sein könnten (vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 31.03.2020, a.a.O., Rn. 15).
Das Abwarten der möglichen Verhängung derartiger Sanktionen, um sodann gegen diese
rechtlich vorgehen zu können, ist der Antragstellerin nicht zuzumuten (vgl. hierzu auch
BVerwG, Urteil vom 16.12.2016 - 8 C 6/15 -, juris Rn. 15).
Schließlich fehlt der Antragstellerin auch weder die in entsprechender Anwendung des
§ 42 Abs. 2 VwGO erforderliche Antragsbefugnis noch das nach § 43 Abs. 1 VwGO erforderliche
berechtigte Interesse an der vorläufigen Feststellung der individuellen Unverbindlichkeit
des § 5 Abs. 10 SARS-CoV-2-EindmaßnV, denn sie wird durch das beanstandete
Verbot in ihrer gewerblichen Tätigkeit unmittelbar und individuell betroffen. Es erscheint
zumindest als möglich, dass sie dadurch in ihren Rechten insbesondere aus Artikel 2 Abs.
1, Artikel 12 Abs. 1 und Artikel 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) verletzt wird.
II.
Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ist jedoch unbegründet.
1.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung
eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen,
wenn die begehrte Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile, zur Verhinderung
drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Nach § 123 Abs. 3 VwGO
- 4 -
- 5 -
in Verbindung mit § 920 Abs. 2, § 294 ZPO sind dabei die tatsächlichen Voraussetzungen
des geltend gemachten Anspruchs (Anordnungsanspruch) in gleicher Weise glaubhaft zu
machen wie die Gründe, welche die Eilbedürftigkeit der gerichtlichen Entscheidung bedingen
(Anordnungsgrund).
Dem Wesen und Zweck des Verfahrens nach § 123 Abs. 1 VwGO entsprechend, kann
das Gericht im Wege der einstweiligen Anordnung grundsätzlich nur vorläufige Regelungen
treffen und Antragstellenden nicht schon das gewähren, was Ziel eines entsprechenden
Hauptsacheverfahrens wäre. Begehrt eine Antragstellerin, wie hier, die Vorwegnahme
der Hauptsache, kommt die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nur dann in Betracht,
wenn ein Obsiegen im Hauptsacheverfahren mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten
ist und der Rechtsschutzsuchenden andernfalls schwere und unzumutbare, anders
nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die
Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (vgl. u.a. OVG Berlin-Brandenburg,
Beschlüsse vom 17.10.2017 - 3 S 84.17 - und - 3 M 105.17 -, juris Rn. 2 und
vom 28.04.2017 - 3 S 23.17 u.a. -, juris Rn. 1; ferner: Kopp/Schenke, VwGO, 25. Aufl.,
§ 123 Rn. 13 ff. m.w.N.).
2.
Vorliegend hat die Antragstellerin schon das Bestehen eines Anordnungsanspruchs nicht
hinreichend glaubhaft gemacht. Nach der in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes
allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung ist nämlich nicht mit der erforderlichen
hohen Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass sich das angegriffene Verbot
im Hauptsacheverfahren als rechtswidrig erweisen wird.
a) Gegen die formelle Rechtmäßigkeit des § 5 Abs. 10 SARS-CoV-2-EindmaßnV bestehen
bei summarischer Prüfung keine rechtlichen Bedenken. Insbesondere dürfte die Vorschrift
derzeit noch auf einer ausreichenden Ermächtigungsgrundlage beruhen (vgl. hierzu
im Einzelnen: OVG Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom 17.04.2020 - 11 S 22/20 und 11
S 23/20 -, jeweils juris; zuletzt auch: Beschlüsse vom 22.05.2020 - 11 S 41/20 - und - 11
S 51/20 -, jeweils S. 5 f. der amtlichen Entscheidungsabdrucke). Die zitierten Beschlüsse
des OVG Berlin-Brandenburg sind zwar in Verfahren nach § 47 VwGO zur Brandenburgischen
SARS-CoV-2-Eindämmungsverordnung ergangen, jedoch sieht das erkennende
Gericht die dortigen Ausführungen gleichwohl nicht nur als auf die Berliner Rechtslage
übertragbar, sondern – nach eigener summarischer Prüfung – auch als in der Sache
überzeugend an.
- 5 -
- 6 -
b) Ferner besteht derzeit (noch) kein durchgreifender Anlass, an der materiellen Rechtmäßigkeit
der in § 5 Abs. 10 SARS-CoV-2-EindmaßnV enthaltenen Untersagung zu zweifeln.
Dies gilt auch in Ansehung der von der Antragstellerin geltend gemachten Verletzung
höherrangigen Rechts in Gestalt einer Verletzung ihrer Rechte aus Artikel 12 Abs. 1 und
ggf. auch Artikel 14 Abs. 1 GG sowie des behaupteten Verstoßes gegen das allgemeine
Gleichbehandlungsgebot aus Artikel 3 Abs. 1 GG.
Allerdings ist der Antragstellerin darin zuzustimmen, dass die Untersagung des Betriebs
von Prostitutionsstätten durch § 5 Abs. 10 SARS-CoV-2-EindmaßnV einen schwerwiegenden
Eingriff in ihre Berufsfreiheit aus Artikel 12 Abs. 1 GG und möglicherweise auch in
ihr Eigentumsrecht aus Artikel 14 Abs. 1 GG in Gestalt des Rechts am eingerichteten und
ausgeübten Gewerbebetrieb darstellt (vgl. auch: BVerfG, Beschluss vom 28.04.2020 - 1
BvR 899/20 -, juris Rn. 11 ff. [Untersagung des Betriebs eines Fitnessstudios]). Diese Eingriffe
wie auch der Eingriff in das Grundrecht auf allgemeine Handlungsfreiheit (Artikel 2
Abs. 1 GG) stellen sich bei summarischer Prüfung derzeit aber noch als gerechtfertigt dar,
denn sie dienen einem legitimen Zweck und erscheinen – entgegen der Ansicht der Antragstellerin
– sowohl als geeignet und derzeit (noch) erforderlich als auch als angemessen,
d.h. verhältnismäßig im engeren Sinne.
(1) § 5 Abs. 10 SARS-CoV-2-EindmaßnV dient wie die SARS-CoV-2-Eindämmungsmaßnahmenverordnung
in ihrer Gesamtheit dem legitimen Zweck, Neuinfektionen mit dem
Coronavirus SARS-CoV-2 (im Folgenden nur: Coronavirus) soweit als möglich vorzubeugen
und damit zugleich die Ausbreitungsgeschwindigkeit der übertragbaren Krankheit
COVID-19 innerhalb der Bevölkerung so zu verringern, dass eine Überlastung des öffentlichen
Gesundheitssystems vermieden und Zeit für die Entwicklung von antiviralen Medikamenten
und Impfstoffen gewonnen wird. Legitimer Zweck der SARS-CoV-2-Eindämmungsmaßnahmenverordnung
ist mithin der Schutz der Gesundheit und des Lebens des/
der Einzelnen wie auch der Schutz der Bevölkerungsgesundheit insgesamt.
(2) Das angegriffene Verbot erscheint bei summarischer Prüfung auch als geeignet, die
Erreichung der genannten Ziele zu fördern. Die ihm erkennbar zugrunde liegende Einschätzung
des Verordnungsgebers, dass die Erbringung sexueller Dienstleistungen in geschlossenen
Räumen mit einem im Vergleich zum „normalen“ gesellschaftlichen Umgang
deutlich erhöhten Infektions- und Ausbreitungsrisiko einhergeht, erscheint angesichts des
aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstands plausibel und ist daher bei gleichzeitiger
Berücksichtigung der dem Verordnungsgeber insoweit zustehenden Einschätzungsprärogative
rechtlich nicht zu beanstanden.
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- 7 -
(a) Zwar liegen nach wie vor noch keine umfassenden, wissenschaftlich gesicherten Erkenntnisse
zu den Übertragungswegen des Coronavirus vor. Den Angaben des fachkundigen
Robert Koch-Instituts zufolge, das nach § 4 IfSG zentrale Aufgaben im Zusammenhang
mit der Vorbeugung übertragbarer Krankheiten und der Verhinderung ihrer Weiterverbreitung
zu erfüllen hat, geht man in der Fachöffentlichkeit aber nach wie vor davon
aus, dass die Tröpfcheninfektion der Hauptübertragungsweg ist. Daneben nimmt in der
fachwissenschaftlichen Diskussion die Möglichkeit einer Verbreitung des Virus über Aerosole
zunehmenden Raum ein. Auch Kontaktübertragungen durch kontaminierte Oberflächen
(Schmierinfektionen) erscheinen möglich. Das Robert Koch-Institut führt zu alldem
aktuell aus (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/N ... Steckbrief.
html; zuletzt abgerufen am 17. Juni 2020):
„Übertragungswege - In der Allgemeinbevölkerung (gesellschaftlicher Umgang)
Hauptübertragungsweg für SARS-CoV-2 ist die respiratorische Aufnahme virushaltiger Flüssigkeitspartikel,
die beim Atmen, Husten, Sprechen und Niesen entstehen. Je nach Partikelgröße unterscheidet
man Tröpfchen (größer als 5 μm) von kleineren Partikeln (Tröpfchenkerne oder infektiöse
Aerosole, kleiner als 5 μm). Der Übergang ist fließend, durch Austrocknung in der Luft können aus
Partikeln, die in Tröpfchengröße ausgeschieden werden, Tröpfchenkerne entstehen. Beim Atmen
und Sprechen, aber noch weitaus stärker beim Schreien und Singen werden vorwiegend kleine Partikel
(Aerosol) ausgeschieden, beim Husten und Niesen entstehen zusätzlich deutlich mehr Tröpfchen.
Neben der steigenden Lautstärke können auch individuelle Unterschiede zur verstärkten Freisetzung
beitragen. Grundsätzlich ist die Wahrscheinlichkeit einer Exposition gegenüber Tröpfchen
und Aerosolen im Umkreis von 1-2 m um eine infizierte Person herum erhöht. Während insbesondere
größere respiratorische Tröpfchen schnell zu Boden sinken, können Aerosole - auch über längere
Zeit - in der Luft schweben und sich in geschlossenen Räumen verteilen. Ob und wie schnell die
Tröpfchen und Aerosole absinken oder in der Luft schweben bleiben, ist neben der Größe der Partikel
von einer Vielzahl weiterer Faktoren, u.a. der Temperatur und der Luftfeuchtigkeit, abhängig.
Der längere Aufenthalt in kleinen, schlecht oder nicht belüfteten Räumen kann die Wahrscheinlichkeit
einer Übertragung durch Aerosole auch über eine größere Distanz als 2 m erhöhen, insbesondere
dann, wenn eine infektiöse Person besonders viele kleine Partikel (Aerosole) ausstößt und exponierte
Personen besonders tief einatmen. Durch die Anreicherung und Verteilung der Aerosole ist unter
diesen Bedingungen das Einhalten des Mindestabstandes ggf. nicht mehr ausreichend. Ein Beispiel
dafür ist das gemeinsame Singen in einem geschlossenen Raum über einen längeren Zeitraum, wo
es zu sehr hohen Erkrankungsraten kommen kann, die sonst nur selten beobachtet werden. Auch ein
Fitnesskurs war Ausgangspunkt für ein ähnliches Infektionsgeschehen. Ein effektiver Luftaustausch
kann die Aerosolkonzentration in einem Raum vermindern. Übertragungen im Außenbereich kommen
insgesamt selten vor. Bei gleichzeitiger Wahrung des Mindestabstandes ist die Übertragungswahrscheinlichkeit
im Außenbereich aufgrund der Luftbewegung sehr gering.
Kontaktübertragung: Eine Übertragung durch kontaminierte Oberflächen ist insbesondere in der unmittelbaren
Umgebung der infektiösen Person nicht auszuschließen, da vermehrungsfähige SARSCoV-
2-Viren unter bestimmten Umständen in der Umwelt nachgewiesen werden können.“
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Speziell zur Übertragung durch Aerosole fasst das Institut die aktuellen Erkenntnisse wie
folgt zusammen (https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/NCOV2019/gesamt.html; zuletzt
abgerufen am 17. Juni 2020):
„Welche Rolle spielen Aerosole bei der Übertragung von SARS-CoV-2?
Nach derzeitigen Erkenntnissen erfolgt die Übertragung von SARS-CoV-2 bei direktem Kontakt über
z.B. Sprechen, Husten oder Niesen (siehe Steckbrief zu COVID-19, Übertragungswege). In der Übertragung
spielen Tröpfchen wie auch Aerosole (bestehend aus Tröpfchenkernen <5μm), die längere
Zeit in der Luft schweben können, eine Rolle. Durch das Einhalten eines Abstands von mehr als 1,5
m kann die Exposition gegenüber Tröpfchen sowie in gewissen Umfang auch Aerosolen verringert
werden.
Eine Übertragung von SARS-CoV-2 durch Aerosole ist in bestimmten Situationen über größere Abstände
möglich, z.B. wenn viele Personen in nicht ausreichend belüfteten Innenräumen zusammenkommen,
der Mindestabstand unterschritten wird und es verstärkt zur Produktion und Anreicherung
von Aerosolen kommt. Das passiert insbesondere beim Sprechen mit steigender Lautstärke, aber
auch beim Singen oder ggf. auch bei sportlicher Aktivität. Inwieweit es hier zur Übertragung kommen
kann, ist noch nicht abschließend untersucht, jedoch ist es unter anderem zu Übertragungen von
COVID-19 in Zusammenhang mit Chorproben und in einem Fitnesskurs gekommen. Im Rahmen der
COVID-19-Pandemie ist es daher ratsam, derartige Situationen zu vermeiden.
Generell können Aerosole durch regelmäßiges Lüften bzw. bei raumlufttechnischen Anlagen durch
einen Austausch der Raumluft unter Zufuhr von Frischluft (oder durch eine entsprechende Filtrierung)
in Innenräumen abgereichert werden. Übertragungen von SARS-CoV-2 im Freien über Distanzen
von mehr als 1,5 m sind bisher nicht belegt. Das Einhalten eines Abstands von mindestens 1,5 m
wird jedoch auch im Freien empfohlen, um eine direkte Exposition gegenüber Tröpfchen und Aerosolen
zu minimieren.“
Ferner ist von einer Übertragbarkeit durch asymptomatische bzw. präsymptomatische
Infizierte auszugehen, d.h. durch Personen, die von ihrer eigenen Infektion (noch) nichts
wissen, so dass einer unbemerkten Ausscheidung des Virus in diesen Fällen weder durch
eine Verhaltensänderung (wie z.B. eine Selbstquarantäne) noch durch eine frühzeitige
Testung o.ä. vorgebeugt werden kann (vgl. auch hierzu: https://www.rki.de/DE/Content/
InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Steckbrief.html; zuletzt abgerufen am 17. Juni
2020).
(b) Ausgehend von dieser aktuellen Erkenntnislage erscheint es nicht ernstlich zweifelhaft,
dass angesichts der typischen Rahmenbedingungen der Erbringung sexueller
Dienstleistungen in geschlossenen Räumen – enger, intensiver Körperkontakt; ständig
wechselnde, einer unüberschaubaren Vielzahl unterschiedlicher Haushalte entstammende
Beteiligte; erhöhte Atemfrequenz und -tiefe infolge körperlicher Anstrengung und sexueller
Erregung; erhöhter Ausstoß von Tröpfchen und Aerosolen in der Atemluft; kleine,
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schlecht belüftete Arbeitsräume – dabei typischerweise ein deutlich erhöhtes Infektionsrisiko
besteht. Ebenso wenig zweifelhaft kann daher sein, dass das in § 5 Abs. 10 SARSCoV-
2-EindmaßnV geregelte Verbot nicht erkennbar ungeeignet ist, dieser erhöhten Infektions-
und Ausbreitungsgefahr effektiv zu begegnen. Dies gilt unbeschadet des Vorbringens
der Antragstellerin, dass sexuelle Dienstleistungen verbotswidrig weiterhin angeboten
und in Anspruch genommen würden. Obgleich diese Behauptung in einem naturgemäß
nicht quantifizierbaren Umfang zutreffen dürfte, weil allgemeinkundig Rechtsnormen
jeder Art von einem gewissen Anteil der Bevölkerung missachtet werden, ändert
das doch nichts daran, dass sich die Bevölkerungsmehrheit erfahrungsgemäß rechtstreu
verhält und dem in Rede stehenden Verbot daher die Eignung nicht abgesprochen werden
kann, einen nennenswerten Beitrag zur Verhinderung von Infektionen mit dem Coronavirus
und zu einer Verlangsamung der Ausbreitungsgeschwindigkeit zu leisten.
(3) Das in § 5 Abs. 10 SARS-CoV-2-EindmaßnV normierte Verbot dürfte bei summarischer
Prüfung zum gegenwärtigen Zeitpunkt auch noch als zur Zweckerreichung erforderlich
anzusehen sein.
(a) Insoweit ist zunächst zu berücksichtigen, dass dem Verordnungsgeber bei Regelungen
der streitgegenständlichen Art ein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Einschätzungs-
und Gestaltungsspielraum zusteht. Die eingeschränkte gerichtliche Überprüfbarkeit
folgt aus dem Umstand, dass der Verordnungsgeber in dem in Rede stehenden
Zusammenhang diverse politische, wirtschaftliche und soziale Aspekte berücksichtigen
und gegeneinander abwägen, in kürzester Zeit komplexe Sachverhalte prüfen und
trotz vielfach noch offener und sich beständig ändernder wissenschaftlicher Daten- und
Erkenntnislage schwierige politische Entscheidungen treffen muss (vgl. hierzu: BVerfG,
Beschluss vom 13.05.2020 - 1 BvR 1021/20 -, juris Rn. 10 f.; OVG Berlin-Brandenburg,
Beschluss vom 22.05.2020 - 11 S 41/20 -, a.a.O., S. 7; OVG Hamburg, Beschluss vom
20.05.2020 - 5 Bs 77/20 -, juris Rn. 28; BayVGH, Beschluss vom 27.04.2020 - 20 NE
20.793 -, juris Rn. 36; OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 27.04.2020 - 3 R 52/20 -,
juris Rn. 50; ebenso bereits: VG Berlin, Beschluss vom 05.06.2020 - 14 L 166/20 -, S. 10
f. des amtlichen Entscheidungsabdrucks, bestätigt durch: OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss
vom 10.6.2020 - 1 S 58/20 -, amtlicher Entscheidungsabdruck).
(b) Entgegen der Auffassung der Antragstellerin ist bei summarischer Prüfung nicht davon
auszugehen, dass der Verordnungsgeber den genannten Spielraum mit dem hier in Rede
stehenden Verbot überschritten hat.
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Trotz der insgesamt positiven Entwicklung der Pandemielage ist insbesondere nicht festzustellen,
dass der Schutz der Gesundheit und des Lebens des/der Einzelnen und der
Bevölkerungsgesundheit vor dem Coronavirus bzw. der von ihm verursachten Krankheit
COVID-19 durch die in der Vergangenheit verfügten diversen Beschränkungen bereits
weitgehend oder gar vollends erreicht sowie dergestalt abgesichert wurde, dass die weitere
Aufrechterhaltung bestimmter Schutzmaßnahmen überflüssig ist. Nach der Einschätzung
des fachkundigen Robert Koch-Instituts handelt es sich vielmehr bei der Ausbreitung
des Coronavirus weiterhin um eine sehr dynamische Entwicklung und resultiert daraus
nach wie vor eine ernst zu nehmende Situation. Die Gefährdung für die Gesundheit der
Bevölkerung in Deutschland wird nach wie vor insgesamt als hoch und für Risikogruppen
sogar als sehr hoch bewertet (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/N ... ronavirus/
Risikobewertung.html; zuletzt abgerufen am 17. Juni 2020). Die Gesamtzahlen der
Neuinfektionen und Todesfälle steigen allgemein in Deutschland wie auch speziell im
Land Berlin auch gegenwärtig noch Tag für Tag an, wenn auch mit insgesamt deutlich
verringerter Geschwindigkeit (vgl. https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/N ... ronavirus/
Fallzahlen.html; zuletzt abgerufen am 23. Juni 2020). Gerade in Bezug auf das
Land Berlin ist zudem festzustellen, dass die so genannte „7-Tage-Inzidenz“ (= Zahl der
labordiagnostisch bestätigten Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner während der letzten
sieben Tage) aktuell nicht mehr stetig sinkt, sondern ganz im Gegenteil in den letzten 14
Tagen wieder deutlich angestiegen ist (vgl. hierzu u.a. die täglichen Lage-/Situationsberichte
des Robert Koch-Instituts und das entsprechende Archiv für den Monat Juni 2020,
https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/N ... /nCoV.html; zuletzt abgerufen
am 23. Juni 2020). Der Wert liegt im Land Berlin am heutigen Tag bei 13,9 und ist
damit fast dreimal so hoch wie der Durchschnittswert der „7-Tage-Inzidenz“ aller Bundesländer
zusammen von 4,7 (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/N ... ronavirus/
Fallzahlen.html; zuletzt abgerufen am 23. Juni 2020).
Auch sind die Folgen einer Infektion mit dem Virus im Einzelfall weiterhin kaum vorhersehbar,
denn die Krankheitsverläufe sind unspezifisch, vielfältig und variieren stark. Wenn
auch in der überwiegenden Zahl der Fälle die Erkrankung mild verläuft, kommt es doch in
einem nennenswerten Umfang auch zu schwereren oder sogar tödlichen Verläufen. Generell
nimmt die Wahrscheinlichkeit für schwere Krankheitsverläufe mit zunehmendem
Alter und bestehenden Vorerkrankungen zu, jedoch wurden solche auch bei Personen
ohne bekannte Vorerkrankungen und jüngeren Erkrankten beobachtet. Obgleich Kinder
häufig eher milde und unspezifische Verläufe aufweisen, sind auch in dieser Gruppe, namentlich
bei Säuglingen und Kleinkindern, schon schwere Verläufe registriert worden
(https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/N ... brief.html; zuletzt
- 10 -
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abgerufen am 16. Juni 2020). Eine ursächliche Behandlung der Erkrankung oder ein wirksamer
Impfstoff gegen das Virus stehen weiterhin nicht zur Verfügung. Ob und ggf. wann
dies zukünftig der Fall sein wird, ist derzeit noch nicht seriös abschätzbar. Von einer so
genannten Herdenimmunität kann in Deutschland angesichts von heute insgesamt
190.862 bestätigten Infektionen (Stand 23.06.2020) selbst bei Unterstellung einer hohen
Dunkelziffer offenkundig ebenfalls keine Rede sein. Die jetzt noch oder wieder verfügbaren
Kapazitäten des Gesundheitssystems dienen in dieser Lage insbesondere der Vorsorge
für den möglichen Fall größerer Ausbrüche während der bestehenden Pandemie
sowie der Wiederaufnahme der zu Beginn der Pandemie weitgehend zurückgestellten
regulären Krankenversorgung, nicht aber der Absicherung besonders risikoreicher Verhaltensweise
(vgl. OVG Niedersachsen, Beschluss vom 09.06.2020 - 13 MN 211/20 -, juris
Rn. 38). Dass größere, lokale Infektionsausbrüche und so genannte „Superspreading
Events“ jederzeit möglich sind, wenn notwendige Schutzmaßnahmen fehlen oder missachtet
werden, belegen in letzter Zeit die Ausbrüche in Leer, Frankfurt am Main, Göttingen,
Bremerhaven, Berlin-Neukölln und Rheda-Wiedenbrück. Bei der Beurteilung der Gefährlichkeit
des Coronavirus ist ferner zu berücksichtigen, dass nach Berichten ein ungewöhnlich
hoher Anteil der intensivmedizinisch behandelten, beatmungspflichtigen COVID-
19-Erkrankten trotz der Behandlung versterben (vgl. etwa „Sterberate bei Beatmungspatienten
gibt Rätsel auf“, https://www.welt.de/vermischtes/article 207221877/Corona-Pandemie-
Sterberate-bei-Beatmungspatienten-gibt-Raetsel-auf.html) und es ernstzunehmende
Hinweise auf mögliche gravierende Spätfolgen (dauerhafte Schädigungen der Lunge, des
Herz-Kreislauf-Systems sowie Störungen im neurologischen Bereich) einer überstandenen
schweren COVID-19-Erkrankung gibt (vgl. etwa „Wie gefährlich ist das Coronavirus?“,
https://www.quarks.de/gesundheit/medizi ... wirwissen-
und-was-nicht/). Auch wenn es sich bei alldem ersichtlich um wissenschaftlich
noch nicht hinreichend gesicherte und untersuchte Sachverhalte handelt, deutet es doch
darauf hin, dass unabhängig von dem Vorhandensein einer ausreichenden Anzahl vom
Beatmungsplätzen der Infektions- und damit Krankheitsvermeidung für den Schutz des
Lebens und der Gesundheit der Bevölkerung auch weiterhin entscheidende Bedeutung
zukommt.
Das sinngemäße Vorbringen der Antragstellerin, dass die Wiedereröffnung ihrer Prostitutionsstätte
keine statistisch signifikante Auswirkung auf die Infektionszahlen haben werde,
ist unsubstantiiert und unbelegt. Nicht nur, dass massive lokale Ausbruchsgeschehen in
der Vergangenheit durchaus auf einzelne Veranstaltungen und Orte, z.B. einen Gottesdienst
oder eine Karnevalssitzung, zurückgeführt werden konnten (vgl. etwa zum Ausbruch
im nordrhein-westfälischen Kreis Heinsberg: https://de.wikipedia.org/wiki/COVID-
11 -
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19-Pandemie_ im_Kreis_Heinsberg), ist vor allem auch zu berücksichtigen, dass – dürfte
die Antragstellerin ihren Prostitutionsstätte öffnen – dasselbe Recht auch den zahlreichen
anderen derartigen Betrieben im Land Berlin eingeräumt werden müsste, was die Erwartung
signifikanter Auswirkungen auf das Infektionsgeschehen als durchaus nicht fernliegend
erscheinen lassen würde.
(c) Angesichts dessen sowie mit Rücksicht auf den Einschätzungs- und Gestaltungsspielraums
des Verordnungsgebers ist es rechtlich auch nicht zu beanstanden, dass dieser in
ihrer Eingriffsintensität – verglichen mit dem angegriffenen Verbot – mildere Maßnahmen
vorläufig als zur Zielerreichung nicht gleich geeignet ansieht.
(aa) In Bezug auf das von der Antragstellerin im Rechtsschutzantrag genannte „Schutzund
Hygienekonzept, das den allgemeinen Hygieneanforderungen für körpernahe Dienstleistungen
entspricht“, gilt dies schon allein deshalb, weil nicht erkennbar ist, was damit
konkret gemeint ist. Allgemeinen Hygieneanforderungen für körpernahe Dienstleistungen
gibt es als solche, soweit bekannt, nicht. Vielmehr sind nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 3
SARS-CoV-2-EindmaßnV nicht nur die jeweiligen arbeitsschutzbehördlichen und berufsgenossenschaftlichen
Vorgaben einzuhalten, sondern ist nach § 2 Abs. 1 Satz 2 SARSCoV-
2-EindmaßnV für alle zugelassenen Betriebe, Einrichtungen und Angebote überdies
ein den spezifischen Anforderungen des jeweiligen Angebots entsprechendes individuelles
Schutz- und Hygienekonzept zu erstellen und auf Verlangen der zuständigen Behörde
vorzulegen.
(bb) Soweit die Antragstellerin vorträgt, sie habe für ihren Betrieb ein in der Antragsschrift
wiedergegebenes Schutz- und Hygienekonzept (vgl. Blatt 5 ff. der Gerichtsakte) entwickelt,
ist nicht dargetan und glaubhaft gemacht, inwieweit dieses Konzept tatsächlich gerade
auf die Abläufe in ihrer Prostitutionsstätte und die dortigen räumlichen und sonstigen
Rahmenbedingungen zugeschnitten ist. Durchgreifende Zweifel daran ergeben sich schon
aus dem Umstand, dass einerseits nach Nr. 1 des Schutz- und Hygienekonzepts lediglich
„ein eingeschränkter Körperkontakt in Form einer Körpermassage“ und „kein sonstiger
Sex“ stattfinden sollen und andererseits dem anwaltlich formulierten Rechtsschutzantrag
nicht einmal ansatzweise zu entnehmen ist, dass das Rechtsschutzbegehren allein auf
die Ermöglichung der Erbringung nur dieser einen Art sexueller Dienstleistung in der Prostitutionsstätte
der Antragstellerin beschränkt ist. Auch den Umstand, dass der Antragsgegner
in der Antragserwiderung vom 3. Juni 2020 (vgl. Blatt 26, 103 der Gerichtsakte)
explizit auf diese Unklarheit hingewiesen hat, hat die Antragstellerin in ihrer Erwiderung
vom 5. Juni 2020 (vgl. Blatt 36 ff. der Gerichtsakte) nicht zum Anlass genommen, ggf. ihr
Rechtsschutzbegehren unter entsprechender Anpassung des Antrags klarzustellen. Über-
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dies spricht vieles dafür, dass in gerichtlichen Verfahren anderer Prostitutionsbetriebe in
anderen Bundesländern gleichlautende Schutz- und Hygienekonzepte vorgelegt wurden
(vgl. OVG Saarland, Beschluss vom 03.06.2020 - 2 B 201/20 -, juris Rn. 2; VGH Baden-
Württemberg, Beschlüsse vom 04.06.2020 - 1 S 1617/20, 1 S 1629/20 -, Pressemeldung
juris, im Volltext noch unveröffentlicht; OVG Hessen, Beschluss vom 08.06.2020 - 8 B
1446/20.N -, juris Rn. 9; OVG Niedersachsen, a.a.O., Rn. 41; VG Hamburg, Beschluss
vom 11.06.2020 - 9 E 2258/20 -, http://justiz.hamburg. de/, S. 2 des Entscheidungsabdrucks),
was wiederum dagegen spricht, dass es sich hierbei um ein individuelles, d.h.
gerade auf die realen Gegebenheiten in dem jeweiligen Betrieb zugeschnittenes Konzept
handelt. Mangels jedweder konkreter Angaben der Antragstellerin zu diesen Gegebenheiten
in ihrem eigenen Betrieb – also z.B. zur Anzahl und Beschaffenheit der zu ihrer Prostitutionsstätte
gehörenden Räume, zur Anzahl der dort im Laufe eines Tages tätigen Prostituierten,
zur durchgehenden Anwesenheit sonstigen Personals, insbesondere von Überwachungspersonen
usw. – kann weder unterstellt noch gar positiv festgestellt werden,
dass das „Schutz- und Hygienekonzept“, z.B. was die Steuerung und Regulierung des
Zutritts, die Belüftung der Arbeitsräume und die Überwachung der Einhaltung der sonstigen
Vorgaben anbelangt, dort zumindest theoretisch überhaupt vollständig umsetzbar
wäre.
(cc) Unabhängig davon gilt allerdings ohnehin, dass der Verordnungsgeber bei den von
ihm im Rahmen des ihm zustehenden Einschätzungs- und Gestaltungsspielraums für erforderlich
gehaltenen, generell-abstrakten Regelungen pauschalieren und typisieren darf
und es aus diesem Grund nicht darauf ankommt, ob das von ihm für bestimmte Bereiche
allgemein angenommene erhöhte Infektionsrisiko aufgrund eines individuellen betrieblichen
Hygienekonzepts geringer ausfallen könnte (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschlüsse
vom 05.05.2020 - 11 S 38/20 -, juris Rn. 29, und vom 10.06.2020 - 1 S 58/20 -,
S. 3 f. des amtlichen Entscheidungsabdrucks, jeweils m.w.N.).
(dd) Wollte man entgegen den vorstehenden Erwägungen davon ausgehen, dass die Antragstellerin
im vorliegenden Verfahren die Wiederöffnung ihrer Prostitutionsstätte ausschließlich
für das Angebot erotischer Massagen erreichen will bzw. dies zumindest als
„Minus“ in der beantragten Feststellung enthalten ist, und ferner unterstellen, dass die
Einhaltung ihres Schutz- und Hygienekonzepts unter den in dieser Prostitutionsstätte bestehenden
Rahmenbedingungen zumindest theoretisch möglich wäre, sowie schließlich
von der grundsätzlichen Berücksichtigungsfähigkeit individueller betrieblicher Konzepte
als milderes Mittel ausgehen, so wäre gleichwohl die Frage des Bestehens eines milderen,
zur Zielerreichung gleich geeigneten Mittels hier bei summarischer Prüfung zu verneinen.
- 13 -
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Zum einen ist auch bei erotischen Körpermassagen von einem erhöhten Aerosolausstoß
in typischerweise eher kleinen, unzureichend mit Frischluft versorgten Arbeitsräumen
auszugehen, woraus sich in Verbindung mit einem ständigen Wechsel der Beteiligten
(Kunden und ggf. auch Prostituierte) ein insgesamt deutlich erhöhtes Infektionsrisiko ergibt,
zumal eine unbemerkt infizierte Prostituierte selbst im Laufe nur eines einzigen Arbeitstages
bereits viele Kunden anstecken könnte, die das Virus dann wiederum in ihr
familiäres und soziales Umfeld weitertragen könnten (vgl. OVG Hessen, a.a.O., Rn. 35).
Zum anderen teilt das erkennende Gericht die Auffassung der Oberverwaltungsgerichte
des Saarlands (a.a.O., Rn. 14), Hessens (a.a.O., Rn. 35 f.), Niedersachsens (a.a.O., Rn.
41) sowie des Verwaltungsgerichts Hamburg (a.a.O., S. 6 f. des Entscheidungsabdrucks),
dass eine zuverlässige Einhaltung des dargestellten Schutz- und Hygienekonzepts realistischer
Weise kaum zu erwarten oder zumindest mit so großer Unsicherheit behaftet wäre,
dass von einer im Verhältnis zum bestehenden Verbot gleichen Eignung zur Infektionsvorbeugung
und -bekämpfung offenkundig nicht auszugehen wäre.
Wie in den zitierten Entscheidungen näher ausgeführt wird, erscheint es bei lebensnaher
Betrachtung vielmehr durchaus wahrscheinlich, dass einerseits nicht wenige Kunden auf
das gewohnte erweiterte „Leistungsspektrum“ und/oder günstigere Bedingungen, wie etwa
den Verzicht auf das durchgängige Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung beider Beteiligter,
drängen und andererseits Prostituierte – zumal beim Bestehen eines entsprechenden
finanziellen Anreizes – versucht sein könnten, diesen Kundenwünschen nachzukommen.
Dies durch eine effektive Kontrolle zu unterbinden, wäre ersichtlich schon
deshalb nicht möglich, weil die sexuellen Dienstleistungen naturgemäß hinter „verschlossenen
Türen“, d.h. außerhalb des Wahrnehmungsbereichs von Kontrollpersonen oder
sonstigen Dritten, erbracht werden. Auch wäre die für eine schnelle Unterbrechung etwaiger
von einer Prostitutionsstätte ausgehender Infektionsketten essentielle Nachverfolgbarkeit
der Kundendaten in einem Prostitutionsbetrieb kaum gewährleistet, weil angesichts
der nach wie vor in der Gesamtgesellschaft wie sicher auch im familiären/sozialen Umfeld
vieler Kunden verbreiteten Ablehnung der Inanspruchnahme entgeltlicher sexueller
Dienstleistungen eine wahrheitsgemäße Angaben der Kontaktdaten vielfach nicht zu erwarten
sein dürfte (vgl. auch VG Hamburg, a.a.O., S. 7 des Entscheidungsabdrucks zur
Nicht-Verifizierbarkeit angegebener Email-Adressen).
(4) Im Gegensatz zur Auffassung der Antragstellerin ist bei summarischer Prüfung auch
nicht festzustellen, dass das angegriffene Verbot gegenwärtig bereits unverhältnismäßig
im engeren Sinne ist.
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Zwar ist nicht zu verkennen, dass der in dem Verbot liegende schwerwiegende Eingriff in
die durch Artikel 12 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) geschützte Berufsfreiheit der Antragstellerin
für sie mit erheblichen Einkommenseinbußen bei gleichzeitig fortbestehenden
Fixkosten verbunden sein dürfte – obgleich sie dazu wiederum nichts Konkretes vorgetragen
und glaubhaft gemacht hat. Jedoch kann die Berufsausübung nach Artikel 12 Abs. 1
Satz 2 des Grundgesetzes durch Gesetz oder aufgrund Gesetzes geregelt werden. Berufsausübungsbeschränkungen
werden dabei durch jede vernünftige Erwägung des Gemeinwohls
legitimiert, jedoch muss die Regelung u.a. verhältnismäßig im engeren Sinne,
d.h. angemessen sein. Dies ist hier nach Auffassung des erkennenden Gerichts noch der
Fall.
Dabei ist zu berücksichtigen, dass das in Rede stehende Verbot derzeit bis zum 4. Juli
2020 befristet und der Verordnungsgeber bislang seiner in § 25 Abs. 2 SARS-CoV-2-
EindmaßnV ausdrücklich normierten Verpflichtung zur fortlaufenden Evaluation und Überprüfung
der verfügten Infektionsschutzmaßnahmen, soweit ersichtlich, nachgekommen
ist, d.h. die Aufrechterhaltung einschränkender Maßnahmen den jeweiligen aktuellen Gegebenheiten
des Pandemieverlaufs und den zwischenzeitlichen Erfahrungen mit schrittweisen
Lockerungen angepasst hat. Überdies wird der Eingriff durch die von der öffentlichen
Hand in vielfältiger Weise bereitgestellten finanziellen Hilfen zumindest teilweise abgefedert
(vgl. BVerfG, Beschluss vom 28.04.2020 - 1 BvR 899/20 -, juris Rn. 13). Demgegenüber
dient das angegriffene Verbot, wie gezeigt, dem Schutz des Lebens und der Gesundheit
des/der Einzelnen und dem Erhalt der Bevölkerungsgesundheit insgesamt und
damit der Bewahrung höchster, durch Artikel 2 Abs. 2 Satz 1 GG gewährleisteter Verfassungsgüter,
für die den Staat eine besondere Schutzpflicht trifft (vgl. u.a. BVerfG, Beschluss
vom 07.04.2020 - 1 BvR 755/20 -, juris Rn. 11). Die durch Artikel 2 Abs. 1, Artikel
12 Abs. 1 GG und ggf. auch Artikel 14 Abs. 1 GG geschützten Interessen der Antragstellerin
müssen angesichts der hohen Wertigkeit von Leben und Gesundheit und des nach
den obigen Darlegungen auch gegenwärtig noch anzunehmenden hohen Gefährdungsgrads
für diese Schutzgüter daher vorläufig weiterhin zurücktreten,
(5) Schließlich ist entgegen der Auffassung der Antragstellerin bei summarischer Prüfung
auch keine nach Artikel 3 Abs. 1 GG ungerechtfertigte Ungleichbehandlung zu erkennen
von einerseits Prostitutionsstätten/entgeltlichen sexuellen Dienstleistungen mit Körperkontakt
und andererseits dem Dienstleistungsgewerbe im Bereich der Körperpflege/der Erbringung
anderer körpernaher Dienstleistungen, welche nach § 5 Abs. 11 SARS-CoV-2-
EindmaßnV geöffnet werden dürfen bzw. zulässig sind.
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(a) Der allgemeine Gleichheitssatz des Artikels 3 Abs. 1 GG gebietet dem Normgeber,
wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln (vgl.
BVerfG, Beschlüsse vom 07.02.2012 - 1 BvL 14/07 -, juris Rn. 40, und vom 15.07.1998 -
1 BvR 1554/89 u.a. -, juris Rn. 63). Dabei sind ihm nicht jegliche Differenzierungen verwehrt,
allerdings bedürfen sie der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Differenzierungsziel
und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind. Je nach Regelungsgegenstand
und Differenzierungsmerkmalen reichen die Grenzen für die Normsetzung
vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse.
Insoweit gilt ein stufenloser, am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierter
verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab, dessen Inhalt und Grenzen sich nicht abstrakt,
sondern nur nach den jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereichen
bestimmen lassen (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 18.07.2012 - 1 BvL 16/11 -,
juris Rn. 30, vom 21.06.2011 - 1 BvR 2035/07 -, juris Rn. 65, und vom 21.07.2010 - 1 BvR
611/07 u.a. -, juris Rn. 79).
(b) Legt man diese Maßstäbe zugrunde, so ist die von der Antragstellerin beklagte Ungleichbehandlung
rechtlich nicht zu beanstanden. Vielmehr unterscheiden sich die in Rede
stehenden Sachverhalte in einer Weise voneinander, welche die Ungleichbehandlung
rechtfertigt.
Trotz unvermeidlicher Unterschreitung des Mindestabstands von 1,5 Metern (vgl. § 2 Abs.
1 Satz 1 Nr. 4, § 5 Abs. 11 SARS-CoV-2-EindmaßnV) führen die zugelassenen körpernahen
Dienstleistungen (z.B. Haarschnitt, klassische Massage, Tätowierung) nicht zu einem
derart engen und intensiven Körperkontakt wie er der Ausübung der Prostitution immanent
ist (vgl. OVG Niedersachsen, Beschluss vom 29.05.2020 - 13 MN 185/20 -, juris Rn.
43). Anders als bei Prostitutionsstätten, die vorübergehend nur erotische Massagen anbieten
wollen, dürfte für die Kundschaft des nach § 5 Abs. 11 SARS-CoV-2-EindmaßnV
zugelassenen Dienstleistungsgewerbes im Bereich der Körperpflege, das im Wesentlichen
den gewohnten Leistungsumfang erbringen darf, auch keine Veranlassung bestehen,
durch Zwang oder finanzielle Anreize auf „unzulässige“ Leistungen oder Verstöße
gegen die festgelegten Hygieneregeln, wie z.B. den Verzicht auf eine Mund-Nasen-Bedeckung,
hinzuwirken. Gleichzeitig dürfte die Kontrolle der Einhaltung des betrieblichen
Schutz- und Hygienekonzepts durch die dafür Verantwortlichen (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 2
SARS-CoV-2-EindmaßnV) in den von § 5 Abs. 11 SARS-CoV-2-EindmaßnV erfassten
Betrieben regelmäßig eher zu bewerkstelligen sein als in Prostitutionsstätten, in welchen
die Erbringung der Dienstleistungen typischerweise der Wahrnehmung und Kontrolle
durch Dritte vollständig entzogen ist. Ferner ist die Empfangnahme zugelassener körpernaher
Dienstleistungen – anders als bei sexuellen Dienstleistungen – typischerweise nicht
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mit körperlicher Anstrengung, sexueller Erregung, gesteigerter Atemfrequenz und -tiefe
sowie erhöhtem Tröpfchen- und Aerosolausstoß in der Atemluft und damit insgesamt
nicht mit einer besonders großen Infektionsgefahr verbunden. Schließlich ist zwar auch in
den Fällen des § 5 Abs. 11 SARS-CoV-2-EindmaßnV nicht auszuschließen, dass von
einzelnen Kundinnen und Kunden falsche Kontaktdaten angegeben werden könnten, jedoch
dürften diese Gefahr und das damit verbundene Risiko, potentielle Infektionsketten
nicht schnell und effizient unterbrechen zu können, bei der Kundschaft von Prostitutionsstätten
aus den bereits oben erörterten Gründen als ungleich höher einzuschätzen sein.
Nach alldem erscheint die von der Antragstellerin gerügte Ungleichbehandlung durch den
Verordnungsgeber nicht als willkürlich, sondern bei summarischer Prüfung als sachlich
gerechtfertigt (ebenso: OVG Saarland, VGH Baden-Württemberg, OVG Hessen, OVG
Niedersachsen und VG Hamburg, jeweils a.a.O.).
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Wertes des
Verfahrensgegenstands ergibt sich aus § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 und 2 des Gerichtskostengesetzes
(GKG). Mangels konkreter Angaben der Antragstellerin zu ihren durch
das angegriffene Verbot verursachten wirtschaftlichen Einbußen erscheint es angemessen,
sich an dem Mindeststreitwert für Fälle der Gewerbeuntersagung von 15.000,- € (vgl.
Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit, NVwZ-Beilage 2013, Punkt 54.1 und
54.2) zu orientieren und dabei wegen der vorliegend begehrten Vorwegnahme der Hauptsache
den vollen Streitwert des Hauptsacheverfahrens anzusetzen (vgl. Streitwertkatalog,
Punkt 1.5 Satz 2).
https://www.berlin.de/gerichte/verwaltu ... 950462.php
Kasharius grüßt
VERWALTUNGSGERICHT BERLIN
BESCHLUSS
In der Verwaltungsstreitsache
der Frau
Antragstellerin,
Verfahrensbevollmächtigte:
westendLaw Rechtsanwälte,
Eschersheimer Landstraße 60/62, 60322 Frankfurt am Main,
g e g e n
das Land Berlin,
vertreten durch die Senatsverwaltung für Gesundheit,
Pflege und Gleichstellung,
Oranienstraße 106, 10969 Berlin,
Antragsgegner,
hat die 14. Kammer des Verwaltungsgerichts Berlin
durch
die Vorsitzende Richterin am Verwaltungsgericht Glowatzki
als Vorsitzende
am 23. Juni 2020 beschlossen:
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.
Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Der Wert des Verfahrensgegenstands wird auf 15.000,- € festgesetzt.
- 2 -
- 3 -
Gründe
A.
Über den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes entscheidet nach § 123 Abs.
2 Satz 3 in Verbindung mit § 80 Abs. 8 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) wegen
Dringlichkeit die Vorsitzende.
B.
Der nach den §§ 88, 122 Abs. 1 VwGO von Amts wegen sachdienlich dahin auszulegende
Antrag der Antragstellerin,
im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO vorläufig
bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache VG 14 K 159/20 festzustellen,
dass das in § 5 Abs. 10 der Verordnung über erforderliche Maßnahmen
zur Eindämmung der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 in
Berlin - SARS-CoV-2-Eindämmungsmaßnahmenverordnung, SARS-CoV-2-
EindmaßnV - (vom 22. März 2020, GVBl. S. 220, ber. S. 224, in der Fassung
vom 28. Mai 2020, GVBl. S. 506; zuletzt geändert durch Verordnung vom 16.
Juni 2020, GVBl. S. 557) enthaltene Verbot, Prostitutionsgewerbe für den Publikumsverkehr
zu öffnen und sexuelle Dienstleistungen mit Körperkontakt zu
erbringen, auf die von ihr in der M_____, 1_____ Berlin, betriebene Prostitutionsstätte
keine Anwendung findet, soweit deren Betrieb ein Schutz- und Hygienekonzept
zugrunde liegt, das den allgemeinen Hygieneanforderungen für
körpernahe Dienstleistungen entspricht,
ist zulässig (nachfolgend unter I.), aber unbegründet (nachfolgend unter II.).
I.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Regelungsanordnung ist nach § 123 Abs. 1 Satz
2 VwGO zulässig, insbesondere statthaft. In Ermangelung der Eröffnung einer so genannten
prinzipalen Normenkontrolle durch das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg im
Berliner Landesrecht (vgl. § 47 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 6 VwGO) kann die Antragstellerin in der
Hauptsache nur ein Feststellungsbegehren in Gestalt der negativen Feststellungsklage
nach § 43 Abs. 1 VwGO verfolgen und im Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes einen
korrespondierenden Feststellungsantrag stellen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 31.03.2020
- 1 BvR 712/20 -, juris Rn. 15 m.w.N.). Anders als wohl die Antragstellerin annimmt, ist
Gegenstand der gerichtlichen Prüfung allerdings nur die Frage der individuellen Verbindlichkeit
des hier angegriffenen Verbots; auch kommt der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung
nach § 121 VwGO lediglich Rechtskraftwirkung inter partes, d.h. nur zwischen
den Verfahrensbeteiligten, zu (vgl. BVerwG, Urteil vom 12.09.2019 - 3 C 3.18 -, juris Rn.
23 m.w.N.).
- 3 -
- 4 -
Bei Auslegung des Rechtsschutzantrags im obigen Sinne, ist die Antragstellerin an einem
gegenwärtigen, feststellungsfähigen Rechtsverhältnis zwischen ihr als Normadressatin
und dem Land Berlin als Normgeber und -anwender beteiligt (vgl. auch Pietzcker in:
Schoch/Schneider/Bier, VwGO, 37. EL Juli 2019, § 43 Rn. 10 zu ähnlichen Konstellationen).
Sie hat geltend – wenn auch entgegen § 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit § 920
Abs. 2, § 294 der Zivilprozessordnung (ZPO) nicht glaubhaft – gemacht, dass sie in Berlin
eine Prostitutionsstätte betreibt, die sie wegen des Verbots in § 5 Abs. 10 SARS-CoV-2-
EindmaßnV einstweilen nicht für den Publikumsverkehr öffnen darf.
Das Feststellungsbegehren ist auch nicht subsidiär (vgl. § 43 Abs. 2 VwGO), weil bei
summarischer Prüfung davon auszugehen ist, dass Verstöße gegen das Verbot des Betriebs
eines Prostitutionsgewerbes nach § 24 Abs. 3 Nr. 21 SARS-CoV-2-EindmaßnV in
Verbindung mit § 73 Abs. 1a Nr. 24 des Infektionsschutzgesetzes - IfSG - (vom 20. Juli
2000, BGBl. I S. 1045, zuletzt geändert durch Gesetz vom 19. Mai 2020, BGBl. I S. 1018)
bußgeldbewehrt sind (vgl. auch: VerfGH Bln, Beschluss vom 20.05.2020 - 81 A/20 -,
http://www.gerichtsentscheidungen.berli ... enburg.de/). Zudem lässt sich nicht mit
hinreichender Sicherheit ausschließen, dass entsprechende Verstöße auch nach § 74
IfSG strafbar sein könnten (vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 31.03.2020, a.a.O., Rn. 15).
Das Abwarten der möglichen Verhängung derartiger Sanktionen, um sodann gegen diese
rechtlich vorgehen zu können, ist der Antragstellerin nicht zuzumuten (vgl. hierzu auch
BVerwG, Urteil vom 16.12.2016 - 8 C 6/15 -, juris Rn. 15).
Schließlich fehlt der Antragstellerin auch weder die in entsprechender Anwendung des
§ 42 Abs. 2 VwGO erforderliche Antragsbefugnis noch das nach § 43 Abs. 1 VwGO erforderliche
berechtigte Interesse an der vorläufigen Feststellung der individuellen Unverbindlichkeit
des § 5 Abs. 10 SARS-CoV-2-EindmaßnV, denn sie wird durch das beanstandete
Verbot in ihrer gewerblichen Tätigkeit unmittelbar und individuell betroffen. Es erscheint
zumindest als möglich, dass sie dadurch in ihren Rechten insbesondere aus Artikel 2 Abs.
1, Artikel 12 Abs. 1 und Artikel 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) verletzt wird.
II.
Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ist jedoch unbegründet.
1.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung
eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen,
wenn die begehrte Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile, zur Verhinderung
drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Nach § 123 Abs. 3 VwGO
- 4 -
- 5 -
in Verbindung mit § 920 Abs. 2, § 294 ZPO sind dabei die tatsächlichen Voraussetzungen
des geltend gemachten Anspruchs (Anordnungsanspruch) in gleicher Weise glaubhaft zu
machen wie die Gründe, welche die Eilbedürftigkeit der gerichtlichen Entscheidung bedingen
(Anordnungsgrund).
Dem Wesen und Zweck des Verfahrens nach § 123 Abs. 1 VwGO entsprechend, kann
das Gericht im Wege der einstweiligen Anordnung grundsätzlich nur vorläufige Regelungen
treffen und Antragstellenden nicht schon das gewähren, was Ziel eines entsprechenden
Hauptsacheverfahrens wäre. Begehrt eine Antragstellerin, wie hier, die Vorwegnahme
der Hauptsache, kommt die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nur dann in Betracht,
wenn ein Obsiegen im Hauptsacheverfahren mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten
ist und der Rechtsschutzsuchenden andernfalls schwere und unzumutbare, anders
nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die
Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (vgl. u.a. OVG Berlin-Brandenburg,
Beschlüsse vom 17.10.2017 - 3 S 84.17 - und - 3 M 105.17 -, juris Rn. 2 und
vom 28.04.2017 - 3 S 23.17 u.a. -, juris Rn. 1; ferner: Kopp/Schenke, VwGO, 25. Aufl.,
§ 123 Rn. 13 ff. m.w.N.).
2.
Vorliegend hat die Antragstellerin schon das Bestehen eines Anordnungsanspruchs nicht
hinreichend glaubhaft gemacht. Nach der in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes
allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung ist nämlich nicht mit der erforderlichen
hohen Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass sich das angegriffene Verbot
im Hauptsacheverfahren als rechtswidrig erweisen wird.
a) Gegen die formelle Rechtmäßigkeit des § 5 Abs. 10 SARS-CoV-2-EindmaßnV bestehen
bei summarischer Prüfung keine rechtlichen Bedenken. Insbesondere dürfte die Vorschrift
derzeit noch auf einer ausreichenden Ermächtigungsgrundlage beruhen (vgl. hierzu
im Einzelnen: OVG Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom 17.04.2020 - 11 S 22/20 und 11
S 23/20 -, jeweils juris; zuletzt auch: Beschlüsse vom 22.05.2020 - 11 S 41/20 - und - 11
S 51/20 -, jeweils S. 5 f. der amtlichen Entscheidungsabdrucke). Die zitierten Beschlüsse
des OVG Berlin-Brandenburg sind zwar in Verfahren nach § 47 VwGO zur Brandenburgischen
SARS-CoV-2-Eindämmungsverordnung ergangen, jedoch sieht das erkennende
Gericht die dortigen Ausführungen gleichwohl nicht nur als auf die Berliner Rechtslage
übertragbar, sondern – nach eigener summarischer Prüfung – auch als in der Sache
überzeugend an.
- 5 -
- 6 -
b) Ferner besteht derzeit (noch) kein durchgreifender Anlass, an der materiellen Rechtmäßigkeit
der in § 5 Abs. 10 SARS-CoV-2-EindmaßnV enthaltenen Untersagung zu zweifeln.
Dies gilt auch in Ansehung der von der Antragstellerin geltend gemachten Verletzung
höherrangigen Rechts in Gestalt einer Verletzung ihrer Rechte aus Artikel 12 Abs. 1 und
ggf. auch Artikel 14 Abs. 1 GG sowie des behaupteten Verstoßes gegen das allgemeine
Gleichbehandlungsgebot aus Artikel 3 Abs. 1 GG.
Allerdings ist der Antragstellerin darin zuzustimmen, dass die Untersagung des Betriebs
von Prostitutionsstätten durch § 5 Abs. 10 SARS-CoV-2-EindmaßnV einen schwerwiegenden
Eingriff in ihre Berufsfreiheit aus Artikel 12 Abs. 1 GG und möglicherweise auch in
ihr Eigentumsrecht aus Artikel 14 Abs. 1 GG in Gestalt des Rechts am eingerichteten und
ausgeübten Gewerbebetrieb darstellt (vgl. auch: BVerfG, Beschluss vom 28.04.2020 - 1
BvR 899/20 -, juris Rn. 11 ff. [Untersagung des Betriebs eines Fitnessstudios]). Diese Eingriffe
wie auch der Eingriff in das Grundrecht auf allgemeine Handlungsfreiheit (Artikel 2
Abs. 1 GG) stellen sich bei summarischer Prüfung derzeit aber noch als gerechtfertigt dar,
denn sie dienen einem legitimen Zweck und erscheinen – entgegen der Ansicht der Antragstellerin
– sowohl als geeignet und derzeit (noch) erforderlich als auch als angemessen,
d.h. verhältnismäßig im engeren Sinne.
(1) § 5 Abs. 10 SARS-CoV-2-EindmaßnV dient wie die SARS-CoV-2-Eindämmungsmaßnahmenverordnung
in ihrer Gesamtheit dem legitimen Zweck, Neuinfektionen mit dem
Coronavirus SARS-CoV-2 (im Folgenden nur: Coronavirus) soweit als möglich vorzubeugen
und damit zugleich die Ausbreitungsgeschwindigkeit der übertragbaren Krankheit
COVID-19 innerhalb der Bevölkerung so zu verringern, dass eine Überlastung des öffentlichen
Gesundheitssystems vermieden und Zeit für die Entwicklung von antiviralen Medikamenten
und Impfstoffen gewonnen wird. Legitimer Zweck der SARS-CoV-2-Eindämmungsmaßnahmenverordnung
ist mithin der Schutz der Gesundheit und des Lebens des/
der Einzelnen wie auch der Schutz der Bevölkerungsgesundheit insgesamt.
(2) Das angegriffene Verbot erscheint bei summarischer Prüfung auch als geeignet, die
Erreichung der genannten Ziele zu fördern. Die ihm erkennbar zugrunde liegende Einschätzung
des Verordnungsgebers, dass die Erbringung sexueller Dienstleistungen in geschlossenen
Räumen mit einem im Vergleich zum „normalen“ gesellschaftlichen Umgang
deutlich erhöhten Infektions- und Ausbreitungsrisiko einhergeht, erscheint angesichts des
aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstands plausibel und ist daher bei gleichzeitiger
Berücksichtigung der dem Verordnungsgeber insoweit zustehenden Einschätzungsprärogative
rechtlich nicht zu beanstanden.
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(a) Zwar liegen nach wie vor noch keine umfassenden, wissenschaftlich gesicherten Erkenntnisse
zu den Übertragungswegen des Coronavirus vor. Den Angaben des fachkundigen
Robert Koch-Instituts zufolge, das nach § 4 IfSG zentrale Aufgaben im Zusammenhang
mit der Vorbeugung übertragbarer Krankheiten und der Verhinderung ihrer Weiterverbreitung
zu erfüllen hat, geht man in der Fachöffentlichkeit aber nach wie vor davon
aus, dass die Tröpfcheninfektion der Hauptübertragungsweg ist. Daneben nimmt in der
fachwissenschaftlichen Diskussion die Möglichkeit einer Verbreitung des Virus über Aerosole
zunehmenden Raum ein. Auch Kontaktübertragungen durch kontaminierte Oberflächen
(Schmierinfektionen) erscheinen möglich. Das Robert Koch-Institut führt zu alldem
aktuell aus (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/N ... Steckbrief.
html; zuletzt abgerufen am 17. Juni 2020):
„Übertragungswege - In der Allgemeinbevölkerung (gesellschaftlicher Umgang)
Hauptübertragungsweg für SARS-CoV-2 ist die respiratorische Aufnahme virushaltiger Flüssigkeitspartikel,
die beim Atmen, Husten, Sprechen und Niesen entstehen. Je nach Partikelgröße unterscheidet
man Tröpfchen (größer als 5 μm) von kleineren Partikeln (Tröpfchenkerne oder infektiöse
Aerosole, kleiner als 5 μm). Der Übergang ist fließend, durch Austrocknung in der Luft können aus
Partikeln, die in Tröpfchengröße ausgeschieden werden, Tröpfchenkerne entstehen. Beim Atmen
und Sprechen, aber noch weitaus stärker beim Schreien und Singen werden vorwiegend kleine Partikel
(Aerosol) ausgeschieden, beim Husten und Niesen entstehen zusätzlich deutlich mehr Tröpfchen.
Neben der steigenden Lautstärke können auch individuelle Unterschiede zur verstärkten Freisetzung
beitragen. Grundsätzlich ist die Wahrscheinlichkeit einer Exposition gegenüber Tröpfchen
und Aerosolen im Umkreis von 1-2 m um eine infizierte Person herum erhöht. Während insbesondere
größere respiratorische Tröpfchen schnell zu Boden sinken, können Aerosole - auch über längere
Zeit - in der Luft schweben und sich in geschlossenen Räumen verteilen. Ob und wie schnell die
Tröpfchen und Aerosole absinken oder in der Luft schweben bleiben, ist neben der Größe der Partikel
von einer Vielzahl weiterer Faktoren, u.a. der Temperatur und der Luftfeuchtigkeit, abhängig.
Der längere Aufenthalt in kleinen, schlecht oder nicht belüfteten Räumen kann die Wahrscheinlichkeit
einer Übertragung durch Aerosole auch über eine größere Distanz als 2 m erhöhen, insbesondere
dann, wenn eine infektiöse Person besonders viele kleine Partikel (Aerosole) ausstößt und exponierte
Personen besonders tief einatmen. Durch die Anreicherung und Verteilung der Aerosole ist unter
diesen Bedingungen das Einhalten des Mindestabstandes ggf. nicht mehr ausreichend. Ein Beispiel
dafür ist das gemeinsame Singen in einem geschlossenen Raum über einen längeren Zeitraum, wo
es zu sehr hohen Erkrankungsraten kommen kann, die sonst nur selten beobachtet werden. Auch ein
Fitnesskurs war Ausgangspunkt für ein ähnliches Infektionsgeschehen. Ein effektiver Luftaustausch
kann die Aerosolkonzentration in einem Raum vermindern. Übertragungen im Außenbereich kommen
insgesamt selten vor. Bei gleichzeitiger Wahrung des Mindestabstandes ist die Übertragungswahrscheinlichkeit
im Außenbereich aufgrund der Luftbewegung sehr gering.
Kontaktübertragung: Eine Übertragung durch kontaminierte Oberflächen ist insbesondere in der unmittelbaren
Umgebung der infektiösen Person nicht auszuschließen, da vermehrungsfähige SARSCoV-
2-Viren unter bestimmten Umständen in der Umwelt nachgewiesen werden können.“
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Speziell zur Übertragung durch Aerosole fasst das Institut die aktuellen Erkenntnisse wie
folgt zusammen (https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/NCOV2019/gesamt.html; zuletzt
abgerufen am 17. Juni 2020):
„Welche Rolle spielen Aerosole bei der Übertragung von SARS-CoV-2?
Nach derzeitigen Erkenntnissen erfolgt die Übertragung von SARS-CoV-2 bei direktem Kontakt über
z.B. Sprechen, Husten oder Niesen (siehe Steckbrief zu COVID-19, Übertragungswege). In der Übertragung
spielen Tröpfchen wie auch Aerosole (bestehend aus Tröpfchenkernen <5μm), die längere
Zeit in der Luft schweben können, eine Rolle. Durch das Einhalten eines Abstands von mehr als 1,5
m kann die Exposition gegenüber Tröpfchen sowie in gewissen Umfang auch Aerosolen verringert
werden.
Eine Übertragung von SARS-CoV-2 durch Aerosole ist in bestimmten Situationen über größere Abstände
möglich, z.B. wenn viele Personen in nicht ausreichend belüfteten Innenräumen zusammenkommen,
der Mindestabstand unterschritten wird und es verstärkt zur Produktion und Anreicherung
von Aerosolen kommt. Das passiert insbesondere beim Sprechen mit steigender Lautstärke, aber
auch beim Singen oder ggf. auch bei sportlicher Aktivität. Inwieweit es hier zur Übertragung kommen
kann, ist noch nicht abschließend untersucht, jedoch ist es unter anderem zu Übertragungen von
COVID-19 in Zusammenhang mit Chorproben und in einem Fitnesskurs gekommen. Im Rahmen der
COVID-19-Pandemie ist es daher ratsam, derartige Situationen zu vermeiden.
Generell können Aerosole durch regelmäßiges Lüften bzw. bei raumlufttechnischen Anlagen durch
einen Austausch der Raumluft unter Zufuhr von Frischluft (oder durch eine entsprechende Filtrierung)
in Innenräumen abgereichert werden. Übertragungen von SARS-CoV-2 im Freien über Distanzen
von mehr als 1,5 m sind bisher nicht belegt. Das Einhalten eines Abstands von mindestens 1,5 m
wird jedoch auch im Freien empfohlen, um eine direkte Exposition gegenüber Tröpfchen und Aerosolen
zu minimieren.“
Ferner ist von einer Übertragbarkeit durch asymptomatische bzw. präsymptomatische
Infizierte auszugehen, d.h. durch Personen, die von ihrer eigenen Infektion (noch) nichts
wissen, so dass einer unbemerkten Ausscheidung des Virus in diesen Fällen weder durch
eine Verhaltensänderung (wie z.B. eine Selbstquarantäne) noch durch eine frühzeitige
Testung o.ä. vorgebeugt werden kann (vgl. auch hierzu: https://www.rki.de/DE/Content/
InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Steckbrief.html; zuletzt abgerufen am 17. Juni
2020).
(b) Ausgehend von dieser aktuellen Erkenntnislage erscheint es nicht ernstlich zweifelhaft,
dass angesichts der typischen Rahmenbedingungen der Erbringung sexueller
Dienstleistungen in geschlossenen Räumen – enger, intensiver Körperkontakt; ständig
wechselnde, einer unüberschaubaren Vielzahl unterschiedlicher Haushalte entstammende
Beteiligte; erhöhte Atemfrequenz und -tiefe infolge körperlicher Anstrengung und sexueller
Erregung; erhöhter Ausstoß von Tröpfchen und Aerosolen in der Atemluft; kleine,
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schlecht belüftete Arbeitsräume – dabei typischerweise ein deutlich erhöhtes Infektionsrisiko
besteht. Ebenso wenig zweifelhaft kann daher sein, dass das in § 5 Abs. 10 SARSCoV-
2-EindmaßnV geregelte Verbot nicht erkennbar ungeeignet ist, dieser erhöhten Infektions-
und Ausbreitungsgefahr effektiv zu begegnen. Dies gilt unbeschadet des Vorbringens
der Antragstellerin, dass sexuelle Dienstleistungen verbotswidrig weiterhin angeboten
und in Anspruch genommen würden. Obgleich diese Behauptung in einem naturgemäß
nicht quantifizierbaren Umfang zutreffen dürfte, weil allgemeinkundig Rechtsnormen
jeder Art von einem gewissen Anteil der Bevölkerung missachtet werden, ändert
das doch nichts daran, dass sich die Bevölkerungsmehrheit erfahrungsgemäß rechtstreu
verhält und dem in Rede stehenden Verbot daher die Eignung nicht abgesprochen werden
kann, einen nennenswerten Beitrag zur Verhinderung von Infektionen mit dem Coronavirus
und zu einer Verlangsamung der Ausbreitungsgeschwindigkeit zu leisten.
(3) Das in § 5 Abs. 10 SARS-CoV-2-EindmaßnV normierte Verbot dürfte bei summarischer
Prüfung zum gegenwärtigen Zeitpunkt auch noch als zur Zweckerreichung erforderlich
anzusehen sein.
(a) Insoweit ist zunächst zu berücksichtigen, dass dem Verordnungsgeber bei Regelungen
der streitgegenständlichen Art ein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Einschätzungs-
und Gestaltungsspielraum zusteht. Die eingeschränkte gerichtliche Überprüfbarkeit
folgt aus dem Umstand, dass der Verordnungsgeber in dem in Rede stehenden
Zusammenhang diverse politische, wirtschaftliche und soziale Aspekte berücksichtigen
und gegeneinander abwägen, in kürzester Zeit komplexe Sachverhalte prüfen und
trotz vielfach noch offener und sich beständig ändernder wissenschaftlicher Daten- und
Erkenntnislage schwierige politische Entscheidungen treffen muss (vgl. hierzu: BVerfG,
Beschluss vom 13.05.2020 - 1 BvR 1021/20 -, juris Rn. 10 f.; OVG Berlin-Brandenburg,
Beschluss vom 22.05.2020 - 11 S 41/20 -, a.a.O., S. 7; OVG Hamburg, Beschluss vom
20.05.2020 - 5 Bs 77/20 -, juris Rn. 28; BayVGH, Beschluss vom 27.04.2020 - 20 NE
20.793 -, juris Rn. 36; OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 27.04.2020 - 3 R 52/20 -,
juris Rn. 50; ebenso bereits: VG Berlin, Beschluss vom 05.06.2020 - 14 L 166/20 -, S. 10
f. des amtlichen Entscheidungsabdrucks, bestätigt durch: OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss
vom 10.6.2020 - 1 S 58/20 -, amtlicher Entscheidungsabdruck).
(b) Entgegen der Auffassung der Antragstellerin ist bei summarischer Prüfung nicht davon
auszugehen, dass der Verordnungsgeber den genannten Spielraum mit dem hier in Rede
stehenden Verbot überschritten hat.
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Trotz der insgesamt positiven Entwicklung der Pandemielage ist insbesondere nicht festzustellen,
dass der Schutz der Gesundheit und des Lebens des/der Einzelnen und der
Bevölkerungsgesundheit vor dem Coronavirus bzw. der von ihm verursachten Krankheit
COVID-19 durch die in der Vergangenheit verfügten diversen Beschränkungen bereits
weitgehend oder gar vollends erreicht sowie dergestalt abgesichert wurde, dass die weitere
Aufrechterhaltung bestimmter Schutzmaßnahmen überflüssig ist. Nach der Einschätzung
des fachkundigen Robert Koch-Instituts handelt es sich vielmehr bei der Ausbreitung
des Coronavirus weiterhin um eine sehr dynamische Entwicklung und resultiert daraus
nach wie vor eine ernst zu nehmende Situation. Die Gefährdung für die Gesundheit der
Bevölkerung in Deutschland wird nach wie vor insgesamt als hoch und für Risikogruppen
sogar als sehr hoch bewertet (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/N ... ronavirus/
Risikobewertung.html; zuletzt abgerufen am 17. Juni 2020). Die Gesamtzahlen der
Neuinfektionen und Todesfälle steigen allgemein in Deutschland wie auch speziell im
Land Berlin auch gegenwärtig noch Tag für Tag an, wenn auch mit insgesamt deutlich
verringerter Geschwindigkeit (vgl. https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/N ... ronavirus/
Fallzahlen.html; zuletzt abgerufen am 23. Juni 2020). Gerade in Bezug auf das
Land Berlin ist zudem festzustellen, dass die so genannte „7-Tage-Inzidenz“ (= Zahl der
labordiagnostisch bestätigten Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner während der letzten
sieben Tage) aktuell nicht mehr stetig sinkt, sondern ganz im Gegenteil in den letzten 14
Tagen wieder deutlich angestiegen ist (vgl. hierzu u.a. die täglichen Lage-/Situationsberichte
des Robert Koch-Instituts und das entsprechende Archiv für den Monat Juni 2020,
https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/N ... /nCoV.html; zuletzt abgerufen
am 23. Juni 2020). Der Wert liegt im Land Berlin am heutigen Tag bei 13,9 und ist
damit fast dreimal so hoch wie der Durchschnittswert der „7-Tage-Inzidenz“ aller Bundesländer
zusammen von 4,7 (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/N ... ronavirus/
Fallzahlen.html; zuletzt abgerufen am 23. Juni 2020).
Auch sind die Folgen einer Infektion mit dem Virus im Einzelfall weiterhin kaum vorhersehbar,
denn die Krankheitsverläufe sind unspezifisch, vielfältig und variieren stark. Wenn
auch in der überwiegenden Zahl der Fälle die Erkrankung mild verläuft, kommt es doch in
einem nennenswerten Umfang auch zu schwereren oder sogar tödlichen Verläufen. Generell
nimmt die Wahrscheinlichkeit für schwere Krankheitsverläufe mit zunehmendem
Alter und bestehenden Vorerkrankungen zu, jedoch wurden solche auch bei Personen
ohne bekannte Vorerkrankungen und jüngeren Erkrankten beobachtet. Obgleich Kinder
häufig eher milde und unspezifische Verläufe aufweisen, sind auch in dieser Gruppe, namentlich
bei Säuglingen und Kleinkindern, schon schwere Verläufe registriert worden
(https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/N ... brief.html; zuletzt
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abgerufen am 16. Juni 2020). Eine ursächliche Behandlung der Erkrankung oder ein wirksamer
Impfstoff gegen das Virus stehen weiterhin nicht zur Verfügung. Ob und ggf. wann
dies zukünftig der Fall sein wird, ist derzeit noch nicht seriös abschätzbar. Von einer so
genannten Herdenimmunität kann in Deutschland angesichts von heute insgesamt
190.862 bestätigten Infektionen (Stand 23.06.2020) selbst bei Unterstellung einer hohen
Dunkelziffer offenkundig ebenfalls keine Rede sein. Die jetzt noch oder wieder verfügbaren
Kapazitäten des Gesundheitssystems dienen in dieser Lage insbesondere der Vorsorge
für den möglichen Fall größerer Ausbrüche während der bestehenden Pandemie
sowie der Wiederaufnahme der zu Beginn der Pandemie weitgehend zurückgestellten
regulären Krankenversorgung, nicht aber der Absicherung besonders risikoreicher Verhaltensweise
(vgl. OVG Niedersachsen, Beschluss vom 09.06.2020 - 13 MN 211/20 -, juris
Rn. 38). Dass größere, lokale Infektionsausbrüche und so genannte „Superspreading
Events“ jederzeit möglich sind, wenn notwendige Schutzmaßnahmen fehlen oder missachtet
werden, belegen in letzter Zeit die Ausbrüche in Leer, Frankfurt am Main, Göttingen,
Bremerhaven, Berlin-Neukölln und Rheda-Wiedenbrück. Bei der Beurteilung der Gefährlichkeit
des Coronavirus ist ferner zu berücksichtigen, dass nach Berichten ein ungewöhnlich
hoher Anteil der intensivmedizinisch behandelten, beatmungspflichtigen COVID-
19-Erkrankten trotz der Behandlung versterben (vgl. etwa „Sterberate bei Beatmungspatienten
gibt Rätsel auf“, https://www.welt.de/vermischtes/article 207221877/Corona-Pandemie-
Sterberate-bei-Beatmungspatienten-gibt-Raetsel-auf.html) und es ernstzunehmende
Hinweise auf mögliche gravierende Spätfolgen (dauerhafte Schädigungen der Lunge, des
Herz-Kreislauf-Systems sowie Störungen im neurologischen Bereich) einer überstandenen
schweren COVID-19-Erkrankung gibt (vgl. etwa „Wie gefährlich ist das Coronavirus?“,
https://www.quarks.de/gesundheit/medizi ... wirwissen-
und-was-nicht/). Auch wenn es sich bei alldem ersichtlich um wissenschaftlich
noch nicht hinreichend gesicherte und untersuchte Sachverhalte handelt, deutet es doch
darauf hin, dass unabhängig von dem Vorhandensein einer ausreichenden Anzahl vom
Beatmungsplätzen der Infektions- und damit Krankheitsvermeidung für den Schutz des
Lebens und der Gesundheit der Bevölkerung auch weiterhin entscheidende Bedeutung
zukommt.
Das sinngemäße Vorbringen der Antragstellerin, dass die Wiedereröffnung ihrer Prostitutionsstätte
keine statistisch signifikante Auswirkung auf die Infektionszahlen haben werde,
ist unsubstantiiert und unbelegt. Nicht nur, dass massive lokale Ausbruchsgeschehen in
der Vergangenheit durchaus auf einzelne Veranstaltungen und Orte, z.B. einen Gottesdienst
oder eine Karnevalssitzung, zurückgeführt werden konnten (vgl. etwa zum Ausbruch
im nordrhein-westfälischen Kreis Heinsberg: https://de.wikipedia.org/wiki/COVID-
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19-Pandemie_ im_Kreis_Heinsberg), ist vor allem auch zu berücksichtigen, dass – dürfte
die Antragstellerin ihren Prostitutionsstätte öffnen – dasselbe Recht auch den zahlreichen
anderen derartigen Betrieben im Land Berlin eingeräumt werden müsste, was die Erwartung
signifikanter Auswirkungen auf das Infektionsgeschehen als durchaus nicht fernliegend
erscheinen lassen würde.
(c) Angesichts dessen sowie mit Rücksicht auf den Einschätzungs- und Gestaltungsspielraums
des Verordnungsgebers ist es rechtlich auch nicht zu beanstanden, dass dieser in
ihrer Eingriffsintensität – verglichen mit dem angegriffenen Verbot – mildere Maßnahmen
vorläufig als zur Zielerreichung nicht gleich geeignet ansieht.
(aa) In Bezug auf das von der Antragstellerin im Rechtsschutzantrag genannte „Schutzund
Hygienekonzept, das den allgemeinen Hygieneanforderungen für körpernahe Dienstleistungen
entspricht“, gilt dies schon allein deshalb, weil nicht erkennbar ist, was damit
konkret gemeint ist. Allgemeinen Hygieneanforderungen für körpernahe Dienstleistungen
gibt es als solche, soweit bekannt, nicht. Vielmehr sind nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 3
SARS-CoV-2-EindmaßnV nicht nur die jeweiligen arbeitsschutzbehördlichen und berufsgenossenschaftlichen
Vorgaben einzuhalten, sondern ist nach § 2 Abs. 1 Satz 2 SARSCoV-
2-EindmaßnV für alle zugelassenen Betriebe, Einrichtungen und Angebote überdies
ein den spezifischen Anforderungen des jeweiligen Angebots entsprechendes individuelles
Schutz- und Hygienekonzept zu erstellen und auf Verlangen der zuständigen Behörde
vorzulegen.
(bb) Soweit die Antragstellerin vorträgt, sie habe für ihren Betrieb ein in der Antragsschrift
wiedergegebenes Schutz- und Hygienekonzept (vgl. Blatt 5 ff. der Gerichtsakte) entwickelt,
ist nicht dargetan und glaubhaft gemacht, inwieweit dieses Konzept tatsächlich gerade
auf die Abläufe in ihrer Prostitutionsstätte und die dortigen räumlichen und sonstigen
Rahmenbedingungen zugeschnitten ist. Durchgreifende Zweifel daran ergeben sich schon
aus dem Umstand, dass einerseits nach Nr. 1 des Schutz- und Hygienekonzepts lediglich
„ein eingeschränkter Körperkontakt in Form einer Körpermassage“ und „kein sonstiger
Sex“ stattfinden sollen und andererseits dem anwaltlich formulierten Rechtsschutzantrag
nicht einmal ansatzweise zu entnehmen ist, dass das Rechtsschutzbegehren allein auf
die Ermöglichung der Erbringung nur dieser einen Art sexueller Dienstleistung in der Prostitutionsstätte
der Antragstellerin beschränkt ist. Auch den Umstand, dass der Antragsgegner
in der Antragserwiderung vom 3. Juni 2020 (vgl. Blatt 26, 103 der Gerichtsakte)
explizit auf diese Unklarheit hingewiesen hat, hat die Antragstellerin in ihrer Erwiderung
vom 5. Juni 2020 (vgl. Blatt 36 ff. der Gerichtsakte) nicht zum Anlass genommen, ggf. ihr
Rechtsschutzbegehren unter entsprechender Anpassung des Antrags klarzustellen. Über-
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dies spricht vieles dafür, dass in gerichtlichen Verfahren anderer Prostitutionsbetriebe in
anderen Bundesländern gleichlautende Schutz- und Hygienekonzepte vorgelegt wurden
(vgl. OVG Saarland, Beschluss vom 03.06.2020 - 2 B 201/20 -, juris Rn. 2; VGH Baden-
Württemberg, Beschlüsse vom 04.06.2020 - 1 S 1617/20, 1 S 1629/20 -, Pressemeldung
juris, im Volltext noch unveröffentlicht; OVG Hessen, Beschluss vom 08.06.2020 - 8 B
1446/20.N -, juris Rn. 9; OVG Niedersachsen, a.a.O., Rn. 41; VG Hamburg, Beschluss
vom 11.06.2020 - 9 E 2258/20 -, http://justiz.hamburg. de/, S. 2 des Entscheidungsabdrucks),
was wiederum dagegen spricht, dass es sich hierbei um ein individuelles, d.h.
gerade auf die realen Gegebenheiten in dem jeweiligen Betrieb zugeschnittenes Konzept
handelt. Mangels jedweder konkreter Angaben der Antragstellerin zu diesen Gegebenheiten
in ihrem eigenen Betrieb – also z.B. zur Anzahl und Beschaffenheit der zu ihrer Prostitutionsstätte
gehörenden Räume, zur Anzahl der dort im Laufe eines Tages tätigen Prostituierten,
zur durchgehenden Anwesenheit sonstigen Personals, insbesondere von Überwachungspersonen
usw. – kann weder unterstellt noch gar positiv festgestellt werden,
dass das „Schutz- und Hygienekonzept“, z.B. was die Steuerung und Regulierung des
Zutritts, die Belüftung der Arbeitsräume und die Überwachung der Einhaltung der sonstigen
Vorgaben anbelangt, dort zumindest theoretisch überhaupt vollständig umsetzbar
wäre.
(cc) Unabhängig davon gilt allerdings ohnehin, dass der Verordnungsgeber bei den von
ihm im Rahmen des ihm zustehenden Einschätzungs- und Gestaltungsspielraums für erforderlich
gehaltenen, generell-abstrakten Regelungen pauschalieren und typisieren darf
und es aus diesem Grund nicht darauf ankommt, ob das von ihm für bestimmte Bereiche
allgemein angenommene erhöhte Infektionsrisiko aufgrund eines individuellen betrieblichen
Hygienekonzepts geringer ausfallen könnte (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschlüsse
vom 05.05.2020 - 11 S 38/20 -, juris Rn. 29, und vom 10.06.2020 - 1 S 58/20 -,
S. 3 f. des amtlichen Entscheidungsabdrucks, jeweils m.w.N.).
(dd) Wollte man entgegen den vorstehenden Erwägungen davon ausgehen, dass die Antragstellerin
im vorliegenden Verfahren die Wiederöffnung ihrer Prostitutionsstätte ausschließlich
für das Angebot erotischer Massagen erreichen will bzw. dies zumindest als
„Minus“ in der beantragten Feststellung enthalten ist, und ferner unterstellen, dass die
Einhaltung ihres Schutz- und Hygienekonzepts unter den in dieser Prostitutionsstätte bestehenden
Rahmenbedingungen zumindest theoretisch möglich wäre, sowie schließlich
von der grundsätzlichen Berücksichtigungsfähigkeit individueller betrieblicher Konzepte
als milderes Mittel ausgehen, so wäre gleichwohl die Frage des Bestehens eines milderen,
zur Zielerreichung gleich geeigneten Mittels hier bei summarischer Prüfung zu verneinen.
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Zum einen ist auch bei erotischen Körpermassagen von einem erhöhten Aerosolausstoß
in typischerweise eher kleinen, unzureichend mit Frischluft versorgten Arbeitsräumen
auszugehen, woraus sich in Verbindung mit einem ständigen Wechsel der Beteiligten
(Kunden und ggf. auch Prostituierte) ein insgesamt deutlich erhöhtes Infektionsrisiko ergibt,
zumal eine unbemerkt infizierte Prostituierte selbst im Laufe nur eines einzigen Arbeitstages
bereits viele Kunden anstecken könnte, die das Virus dann wiederum in ihr
familiäres und soziales Umfeld weitertragen könnten (vgl. OVG Hessen, a.a.O., Rn. 35).
Zum anderen teilt das erkennende Gericht die Auffassung der Oberverwaltungsgerichte
des Saarlands (a.a.O., Rn. 14), Hessens (a.a.O., Rn. 35 f.), Niedersachsens (a.a.O., Rn.
41) sowie des Verwaltungsgerichts Hamburg (a.a.O., S. 6 f. des Entscheidungsabdrucks),
dass eine zuverlässige Einhaltung des dargestellten Schutz- und Hygienekonzepts realistischer
Weise kaum zu erwarten oder zumindest mit so großer Unsicherheit behaftet wäre,
dass von einer im Verhältnis zum bestehenden Verbot gleichen Eignung zur Infektionsvorbeugung
und -bekämpfung offenkundig nicht auszugehen wäre.
Wie in den zitierten Entscheidungen näher ausgeführt wird, erscheint es bei lebensnaher
Betrachtung vielmehr durchaus wahrscheinlich, dass einerseits nicht wenige Kunden auf
das gewohnte erweiterte „Leistungsspektrum“ und/oder günstigere Bedingungen, wie etwa
den Verzicht auf das durchgängige Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung beider Beteiligter,
drängen und andererseits Prostituierte – zumal beim Bestehen eines entsprechenden
finanziellen Anreizes – versucht sein könnten, diesen Kundenwünschen nachzukommen.
Dies durch eine effektive Kontrolle zu unterbinden, wäre ersichtlich schon
deshalb nicht möglich, weil die sexuellen Dienstleistungen naturgemäß hinter „verschlossenen
Türen“, d.h. außerhalb des Wahrnehmungsbereichs von Kontrollpersonen oder
sonstigen Dritten, erbracht werden. Auch wäre die für eine schnelle Unterbrechung etwaiger
von einer Prostitutionsstätte ausgehender Infektionsketten essentielle Nachverfolgbarkeit
der Kundendaten in einem Prostitutionsbetrieb kaum gewährleistet, weil angesichts
der nach wie vor in der Gesamtgesellschaft wie sicher auch im familiären/sozialen Umfeld
vieler Kunden verbreiteten Ablehnung der Inanspruchnahme entgeltlicher sexueller
Dienstleistungen eine wahrheitsgemäße Angaben der Kontaktdaten vielfach nicht zu erwarten
sein dürfte (vgl. auch VG Hamburg, a.a.O., S. 7 des Entscheidungsabdrucks zur
Nicht-Verifizierbarkeit angegebener Email-Adressen).
(4) Im Gegensatz zur Auffassung der Antragstellerin ist bei summarischer Prüfung auch
nicht festzustellen, dass das angegriffene Verbot gegenwärtig bereits unverhältnismäßig
im engeren Sinne ist.
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Zwar ist nicht zu verkennen, dass der in dem Verbot liegende schwerwiegende Eingriff in
die durch Artikel 12 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) geschützte Berufsfreiheit der Antragstellerin
für sie mit erheblichen Einkommenseinbußen bei gleichzeitig fortbestehenden
Fixkosten verbunden sein dürfte – obgleich sie dazu wiederum nichts Konkretes vorgetragen
und glaubhaft gemacht hat. Jedoch kann die Berufsausübung nach Artikel 12 Abs. 1
Satz 2 des Grundgesetzes durch Gesetz oder aufgrund Gesetzes geregelt werden. Berufsausübungsbeschränkungen
werden dabei durch jede vernünftige Erwägung des Gemeinwohls
legitimiert, jedoch muss die Regelung u.a. verhältnismäßig im engeren Sinne,
d.h. angemessen sein. Dies ist hier nach Auffassung des erkennenden Gerichts noch der
Fall.
Dabei ist zu berücksichtigen, dass das in Rede stehende Verbot derzeit bis zum 4. Juli
2020 befristet und der Verordnungsgeber bislang seiner in § 25 Abs. 2 SARS-CoV-2-
EindmaßnV ausdrücklich normierten Verpflichtung zur fortlaufenden Evaluation und Überprüfung
der verfügten Infektionsschutzmaßnahmen, soweit ersichtlich, nachgekommen
ist, d.h. die Aufrechterhaltung einschränkender Maßnahmen den jeweiligen aktuellen Gegebenheiten
des Pandemieverlaufs und den zwischenzeitlichen Erfahrungen mit schrittweisen
Lockerungen angepasst hat. Überdies wird der Eingriff durch die von der öffentlichen
Hand in vielfältiger Weise bereitgestellten finanziellen Hilfen zumindest teilweise abgefedert
(vgl. BVerfG, Beschluss vom 28.04.2020 - 1 BvR 899/20 -, juris Rn. 13). Demgegenüber
dient das angegriffene Verbot, wie gezeigt, dem Schutz des Lebens und der Gesundheit
des/der Einzelnen und dem Erhalt der Bevölkerungsgesundheit insgesamt und
damit der Bewahrung höchster, durch Artikel 2 Abs. 2 Satz 1 GG gewährleisteter Verfassungsgüter,
für die den Staat eine besondere Schutzpflicht trifft (vgl. u.a. BVerfG, Beschluss
vom 07.04.2020 - 1 BvR 755/20 -, juris Rn. 11). Die durch Artikel 2 Abs. 1, Artikel
12 Abs. 1 GG und ggf. auch Artikel 14 Abs. 1 GG geschützten Interessen der Antragstellerin
müssen angesichts der hohen Wertigkeit von Leben und Gesundheit und des nach
den obigen Darlegungen auch gegenwärtig noch anzunehmenden hohen Gefährdungsgrads
für diese Schutzgüter daher vorläufig weiterhin zurücktreten,
(5) Schließlich ist entgegen der Auffassung der Antragstellerin bei summarischer Prüfung
auch keine nach Artikel 3 Abs. 1 GG ungerechtfertigte Ungleichbehandlung zu erkennen
von einerseits Prostitutionsstätten/entgeltlichen sexuellen Dienstleistungen mit Körperkontakt
und andererseits dem Dienstleistungsgewerbe im Bereich der Körperpflege/der Erbringung
anderer körpernaher Dienstleistungen, welche nach § 5 Abs. 11 SARS-CoV-2-
EindmaßnV geöffnet werden dürfen bzw. zulässig sind.
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(a) Der allgemeine Gleichheitssatz des Artikels 3 Abs. 1 GG gebietet dem Normgeber,
wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln (vgl.
BVerfG, Beschlüsse vom 07.02.2012 - 1 BvL 14/07 -, juris Rn. 40, und vom 15.07.1998 -
1 BvR 1554/89 u.a. -, juris Rn. 63). Dabei sind ihm nicht jegliche Differenzierungen verwehrt,
allerdings bedürfen sie der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Differenzierungsziel
und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind. Je nach Regelungsgegenstand
und Differenzierungsmerkmalen reichen die Grenzen für die Normsetzung
vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse.
Insoweit gilt ein stufenloser, am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierter
verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab, dessen Inhalt und Grenzen sich nicht abstrakt,
sondern nur nach den jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereichen
bestimmen lassen (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 18.07.2012 - 1 BvL 16/11 -,
juris Rn. 30, vom 21.06.2011 - 1 BvR 2035/07 -, juris Rn. 65, und vom 21.07.2010 - 1 BvR
611/07 u.a. -, juris Rn. 79).
(b) Legt man diese Maßstäbe zugrunde, so ist die von der Antragstellerin beklagte Ungleichbehandlung
rechtlich nicht zu beanstanden. Vielmehr unterscheiden sich die in Rede
stehenden Sachverhalte in einer Weise voneinander, welche die Ungleichbehandlung
rechtfertigt.
Trotz unvermeidlicher Unterschreitung des Mindestabstands von 1,5 Metern (vgl. § 2 Abs.
1 Satz 1 Nr. 4, § 5 Abs. 11 SARS-CoV-2-EindmaßnV) führen die zugelassenen körpernahen
Dienstleistungen (z.B. Haarschnitt, klassische Massage, Tätowierung) nicht zu einem
derart engen und intensiven Körperkontakt wie er der Ausübung der Prostitution immanent
ist (vgl. OVG Niedersachsen, Beschluss vom 29.05.2020 - 13 MN 185/20 -, juris Rn.
43). Anders als bei Prostitutionsstätten, die vorübergehend nur erotische Massagen anbieten
wollen, dürfte für die Kundschaft des nach § 5 Abs. 11 SARS-CoV-2-EindmaßnV
zugelassenen Dienstleistungsgewerbes im Bereich der Körperpflege, das im Wesentlichen
den gewohnten Leistungsumfang erbringen darf, auch keine Veranlassung bestehen,
durch Zwang oder finanzielle Anreize auf „unzulässige“ Leistungen oder Verstöße
gegen die festgelegten Hygieneregeln, wie z.B. den Verzicht auf eine Mund-Nasen-Bedeckung,
hinzuwirken. Gleichzeitig dürfte die Kontrolle der Einhaltung des betrieblichen
Schutz- und Hygienekonzepts durch die dafür Verantwortlichen (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 2
SARS-CoV-2-EindmaßnV) in den von § 5 Abs. 11 SARS-CoV-2-EindmaßnV erfassten
Betrieben regelmäßig eher zu bewerkstelligen sein als in Prostitutionsstätten, in welchen
die Erbringung der Dienstleistungen typischerweise der Wahrnehmung und Kontrolle
durch Dritte vollständig entzogen ist. Ferner ist die Empfangnahme zugelassener körpernaher
Dienstleistungen – anders als bei sexuellen Dienstleistungen – typischerweise nicht
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mit körperlicher Anstrengung, sexueller Erregung, gesteigerter Atemfrequenz und -tiefe
sowie erhöhtem Tröpfchen- und Aerosolausstoß in der Atemluft und damit insgesamt
nicht mit einer besonders großen Infektionsgefahr verbunden. Schließlich ist zwar auch in
den Fällen des § 5 Abs. 11 SARS-CoV-2-EindmaßnV nicht auszuschließen, dass von
einzelnen Kundinnen und Kunden falsche Kontaktdaten angegeben werden könnten, jedoch
dürften diese Gefahr und das damit verbundene Risiko, potentielle Infektionsketten
nicht schnell und effizient unterbrechen zu können, bei der Kundschaft von Prostitutionsstätten
aus den bereits oben erörterten Gründen als ungleich höher einzuschätzen sein.
Nach alldem erscheint die von der Antragstellerin gerügte Ungleichbehandlung durch den
Verordnungsgeber nicht als willkürlich, sondern bei summarischer Prüfung als sachlich
gerechtfertigt (ebenso: OVG Saarland, VGH Baden-Württemberg, OVG Hessen, OVG
Niedersachsen und VG Hamburg, jeweils a.a.O.).
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Wertes des
Verfahrensgegenstands ergibt sich aus § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 und 2 des Gerichtskostengesetzes
(GKG). Mangels konkreter Angaben der Antragstellerin zu ihren durch
das angegriffene Verbot verursachten wirtschaftlichen Einbußen erscheint es angemessen,
sich an dem Mindeststreitwert für Fälle der Gewerbeuntersagung von 15.000,- € (vgl.
Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit, NVwZ-Beilage 2013, Punkt 54.1 und
54.2) zu orientieren und dabei wegen der vorliegend begehrten Vorwegnahme der Hauptsache
den vollen Streitwert des Hauptsacheverfahrens anzusetzen (vgl. Streitwertkatalog,
Punkt 1.5 Satz 2).
https://www.berlin.de/gerichte/verwaltu ... 950462.php
Kasharius grüßt