@Jupiter Saturn und Mars. Venus wird nicht gefragt.
Jupiter, es ist ja reizend von Dir, dass Du Dir selbst das Müssen nicht auferlegst, "wenn sich dabei nicht das besondere Zusatzgefühl ergibt".
Im Falle der Leichtfertigkeit stellt sich aber die Frage andersherum, nämlich inwieweit der Kunde Rücksicht auf die Gefühle der Sexarbeiterin nimmt bzw dieser gewahr wird, und diese nicht nur zur Kenntnis nimmt, sondern diesen auch gebührend nachgibt.
Nicht Du stehst im Zentrum der Leichtfertigkeitsdiskussion mit Deinen Gefühlen und Bedürfnissen, sondern der Sexdienstleistende. Um seine Gefühle und Bedürfnisse geht es dem Gesetzgeber, die er meint, schützen zu müssen.
Ja, es ist nicht leicht, als Bedürftiger (der noch dazu zahlen muss während es anderenorts umsonst ist) die Bedürfnisse des Gegenüber zu wahren.
Der Gesetzgeber hat doch, wenn auch nicht abschließend, einen Katalog zur Hand gegeben, um was es ihm geht: leichtfertig handelt wer
- blaue Flecken übersieht; weil es ihn nicht interessiert oder weil es ihm zuviel an unangenehmen Umständen ist das Licht anzumachen
- an den Manager direkt bezahlt; weil der ihm Schnäppchen vermittelt die nur direkt über ihn zu bekommen sind
- Umstände verkennt die die persönliche Willensfreiheit einschränken, beispielsweise bei Trunkenheit, Benommenheit, psychischer Instabilität usw; weil man der Meinung ist, dass das einem wurscht sein kann, man hat ja schließlich bezahlt, und nimmt sich nur, was vereinbart wurde
- [mit Sicherheit läßt sich diese Liste noch erweitern was die Gerichte womöglich auch tun werden]
Eventuell wäre das ein Kritikpunkt am Gesetz, dass der Unrechtskatalog nicht abschließend ist, so dass dem Gesetzesadressaten nicht unbedingt allumfassend klar sein muss, wann er sich falsch verhält. Ob man einen abschließenden Katalog vom Gesetzgeber erwarten darf, kann ich als Nicht-Jurist nicht sagen. Ich denke eher nicht. Allgemeines Lebensrisiko.
Meine Vorstellung ist es, dass wenn einem der Staatsanwalt oder die Staatsanwältin wirklich an den Kragen will, dass man bei der Polizei keinen Quatsch erzählt hat, und sich selbst um Kopf und Kragen geredet hat, von wegen, die hat es verdient, und was geht mich die an, ich habe bezahlt, und abzocken lasse ich mich von denen schon gar nicht, und so weiter und so fort. Auch generelle Leugner von MH und ZP könnten es schwer haben. Die Staatsanwaltschaft interessiert sich auch nicht dafür, was die zwei vor dem vermeintlichen Sex verabredet haben. In ProstG heißt es ja "wurden sexuelle Handlungen gegen Entgelt vorgenommen, dann . . . .", also erst dann kommt der Staat auf den Plan. Das Vorgeplänkel interessiert ihn nicht.
Und das ist der Knackpunkt. Sollte die Staatsanwaltschaft den Paragraph 232a (6) tatsächlich extensiv auslegen, dann ist halt Schluss mit Vorkasse. Kein Geld vor dem Sex. Keine sexuellen Handlungen gegen Entgelt. Dann wird halt vor dem Sex auf Grande Amore gemacht, und nach dem Sex ist halt die Mutter krank, der Bruder im Gefängnis, und die Telefonrechnung falsch, und die Miete im Rückstand. Zahlen kann man auch hinterher aus reiner Nächstenliebe. Es gibt immer ein Schlupfloch. Katz und Maus Spiel halt.
Den Frauen wird man ihr "Hintertreiben" nicht ansehen, um so größer ist dann mancherorts die "Empörung" darüber, auf so eine "hereingefallen" zu sein. Alles in Allem, Stoff aus einem Roman des 18. und 19. Jahrhunderts.
Dann verlagert sich die Prostitution vollends auf die Straße und in die Privatwohnungen. Bordelle kann man dann mit der Lupe suchen. Dafür gibt es aber vielleicht schöne Love Hotels mit allem Schnick Schnack drum herum. Ach, wie romantisch!
Also schlimmer als jetzt, Hochglanzkataloge mit Bild an Bild, und Laufhäusern mit Tür an Tür, schlimmer als jetzt, weil industrieller als je zuvor, kann es nicht mehr werden. Und wenn ich an die Gewerbemietpreise denke, so hoch wie Hotelzimmermieten, und dafür den Arsch hinhalten? Nein danke.
Das hier nenne ich einen Skandal:
"In Deutschland kann den drittstaatsangehörigen Opfern von Menschenhandel, wie in der Richtlinie 2004/81/EG vorgesehen, ein Aufenthaltsrecht erteilt werden, wenn ihre Mitwirkung an einem Strafverfahren notwendig ist (§ 25 Abs. 4a AufenthG). Unabhängig von einem Verfahren können sie im Einzelfall eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen erlangen oder im Rahmen eines Asylverfahrens als Flüchtlinge anerkannt werden. Für diese Opfergruppen gilt, dass zumindest eine Grundversorgung über das AsylbLG oder die Sozialgesetzbücher gewährleistet ist.
Für Opfer mit EU-Staatsangehörigkeit gibt es keine besonderen Regelungen zur Sicherung des Status. Sie werden oft als EU-Bürger_innen mit Freizügigkeitsrecht zur Arbeitsuche oder als wirtschaftlich nicht aktiv behandelt, wodurch ihnen der Zugang zu sozialen Leistungen verwehrt ist.
Für alle gilt, dass Informationen über die Rechte von Opfern des Menschenhandels und beratende Anlaufstellen nicht ausreichend verfügbar sind."
Kleiner Vorgeschmack vom KFN (mein Suchbegriff "Freier" kommt 75 Mal vor):
https://kfn.de/blog/2021/11/neuer-forsc ... 233a-stgb/
https://kfn.de/wp-content/uploads/Forsc ... handel.pdf
Auch lesenswert und verständlich geschrieben:
https://www.kanzlei.law/strafrecht/stra ... stitution/
Droht eine Strafbarkeit auch, wenn ich nicht erkannt habe, dass die Person sich in einer solchen Zwangslage befand?
Ja. Eigentlich muss der Täter wissen, in welcher Lage sich das Opfer befindet. Ist dies aber nicht der Fall, bedeutet das nicht automatisch Straflosigkeit.
Nimmt jemand sexuelle Handlungen an einer Person vor, die Opfer von Zwangsprostitution oder Menschenhandel ist oder sich in einer wirtschaftlichen oder persönlichen Zwangslage befindet, oder lässt sexuelle Handlungen von dieser Person an sich vornehmen, so droht eine Strafe auch dann, wenn der Täter leichtfertig nicht erkennt, dass diese Person sich in einer derartigen Situation befindet.
Leichtfertigkeit ist eine gesteigerte Form der Fahrlässigkeit. Das bedeutet, dass leichtfertiges Handeln das Nichtbeachten der eigentlich erforderlichen Sorgfalt in besonderem Maße ist. Hätte der Täter also erkennen können, dass die Person sich in einer solchen Lage befindet, wenn er sorgfältig gehandelt hätte und das Nichterkennen nur daraus resultiert, dass er die Sorgfalt in besonderem Maße (über den Normalfall hinaus) nicht beachtet hat, so droht eine Strafe wegen begangener Zwangsprostitution. Vorgesehen ist hierfür eine Freiheitsstrafe bis zu 3 Jahren oder eine Geldstrafe.
Der Grimmeisen (Vater der Leichtfertigkeit) hat jetzt sogar schon einen eigenen Suchtreffer in der Google Suche:
https://www.bundestag.de/resource/blob/ ... n-data.pdf
Leichtfertigkeit Menschenhandel
Nach der vorliegenden Fassung des Änderungsantrags ist hinsichtlich der Umstände des § 232 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 StGB-E Vorsatz erforderlich. Auch wenn bedingter Vorsatz reicht, wird dies gerade im Hinblick auf untergeordnete Personen in der Menschenhandelskette erhebliche Beweisschwierigkeiten mit sich bringen. Ich denke hier an den
Fahrer, der die Opfer transportiert, oder den
Wohnungsgeber, bei dem die Opfer vorübergehend untergebracht werden, die sich aber beide keinerlei Gedanken über die Opfer machen und deren Situation sie auch nicht interessiert,
obwohl die Umstände es aufdrängen, dass ein Menschenhandelsopfer transportiert oder beherbergt wird. Gerade im Hinblick auf solche Fallkonstellationen ist es erforderlich, insoweit auch Leichtfertigkeit (also grobe Fahrlässigkeit) genügen zu lassen. Dem Täter, der behauptet,
von nichts gewusst zu haben und nichts bemerkt zu haben, muss der gesunde Menschenverstand abverlangt werden können. Dies könnte dadurch umgesetzt werden, indem man an Satz 1 am Ende (mit neuer Zeile) (insgesamt) anhängt:
„er dies durch seine Handlung fördert und er diese Umstände kennt oder leichtfertig nicht kennt.“
Alternativ käme auch die Aufnahme der Leichtfertigkeit mittels eines eigenen Absatzes und mit reduziertem Strafrahmen für diese Variante in Betracht.
Leichtfertigkeit Freierstrafbarkeit
Eine echte Neuerung ist die in § 232a Abs. 6 StGB-E vorgesehene Freierstrafbarkeit. Deren praktische Relevanz und Bedeutung wird sich zeigen. Die Freierstrafbarkeit an sich ist begrüßenswert, da unter den aufgestellten Voraussetzungen dieses Verhalten schlicht strafwürdig ist. Zudem wird damit auch ein Signal gesetzt und den Freiern vor der Inanspruchnahme entgeltlicher sexueller Leistungen eine gewisse „Prüfpflicht“ auferlegt. Problematisch erscheint die Voraussetzung, dass der Täter (= Freier) eine bestehende Zwangslage oder die auslandsspezifische Hilflosigkeit „ausnutzen“ muss. Auch wenn nach der Begründung im Änderungsantrag hinsichtlich der ausgenutzten Umstände – beim Ausnutzen selbst genügt nach der Kommentierung in dem Standardwerk von Fischer, Kommentar zum Strafgesetzbuch (63. Auflage, 2016), zu § 232 StGB in Rn. 15 bedingter Vorsatz nicht – bedingter Vorsatz ausreicht, wird dieses Erfordernis zu erheblichen Beweisproblemen in der Praxis führen mit dem Ergebnis, dass der Tatbestand effektiv nicht zum Tragen kommt. Sachgerechter erscheint es, auf den Begriff des „Ausnutzens“ beim Freier vollständig zu verzichten und auch eine auf sämtliche Tatumstände bezogene Leichtfertigkeit aufzunehmen. Der in der Begründung erwähnte Fall der „echten Liebesbeziehung“ kann ggf. über §§153ff StPO sachgerecht behandelt werden. Als Alternative Formulierung wird vorgeschlagen:
„ … und dabei die Umstände nach Nr. 1 und Nr. 2 und die gegenwärtige persönliche wirtschaftliche Zwangslage oder deren Hilflosigkeit, die mit dem Aufenthalt in einem fremden Land verbunden ist, kennt oder zumindest leichtfertig nicht kennt.“
Damit ist sowohl bedingter Vorsatz als auch grobe Fahrlässigkeit erfasst. Letzteres ist deswegen so wichtig, da auch ein völliges Sich-Verschließen des Freiers strafwürdig erscheint und der Tatbestand nur dadurch praktische Relevanz erfahren wird.
Links
https ://kfn .de/blog/2021/11/neuer-forschungsbericht-veroeffentlicht-evaluierung-der-strafvorschriften-zur-bekaempfung-des-menschenhandels-%C2%A7%C2%A7-232-bis-233a-stgb/
https ://kfn .de/wp-content/uploads/Forschungsberichte/Bericht_Evaluierung_Strafvorschriften_Bekaempfung_Menschenhandel.pdf
https ://www .kanzlei.law/strafrecht/strafverteidigung/anwalt-sexualstrafrecht-berlin/zwangsprostitution/
https ://www .bundestag .de/resource/blob/426550/1295b82858aa7fd8d313c1a43ad04249/grimmeisen-data.pdf
Wo Schatten ist, muß auch Licht sein.