Lebenssituation Prostitution & The Business of Sex

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certik
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Lebenssituation Prostitution & The Business of Sex

Beitrag von certik »

Margrit Brückner und Christa Oppenheimer: "Lebenssituation Prostitution. Sicherheit, Gesundheit und soziale Hilfen". Verlag Ulrike Helmer, Königstein 2006, 360 Seiten, 29,90

Kommentar von Rudolf Walther im heutigen TAZ-Magazin
Quelle: taz Magazin vom 24.2.2007, S. VII, 185 Z.

Sexarbeit und Doppelmoral
Die Studie von Margrit Brückner und Christa Oppenheimer bietet fundierte und durchaus erschreckende Erkenntnisse über die "Lebenssituation Prostitution" in Deutschland

Die gängige Rede vom "ältesten Gewerbe der Welt" unterstellt, jedermann wisse genau, worum es dabei geht. Das ist nicht der Fall. Sozialwissenschaftlich fundiertes Wissen über die "Lebenssituation Prostitution" ist ausgesprochen rar. Die gute Studie von Margrit Brückner und Christa Oppenheimer bietet nun zahlreiche empirische Erkenntnisse zur Welt der Prostituierten.

Das Buch beruht auf der Auswertung von 72 umfangreichen Fragebögen. 32 Datensätze übernimmt sie aus einer Studie des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 40 Datensätze erstellten die Autorinnen anhand der von ihren Studentinnen durchgeführten Befragungen von fünf Prostituierten, zwei Bordellbesitzern und einem Zuhälter.

Ergänzt und vertieft werden diese Daten durch Interviews mit zwölf Expertinnen und Experten von Hilfseinrichtungen, Solidaritätsgruppen gegen Frauenhandel und Behördenvertretern. Zusammen mit den soziodemografischen Daten ergibt sich so ein differenziertes, aber keineswegs repräsentatives Bild von der Situation der Prostituierten. Die Autorinnen sind sich der Tatsache bewusst, dass die Datenbasis zu schmal ist für eine repräsentatives Bild. Deshalb interpretieren sie das Material auch nur zurückhaltend und vermeiden Kurzschlüsse oder vorschnelle Verallgemeinerungen.

Das ist kein Mangel, sondern ein Vorzug der Studie, denn Prostitution trägt "unterschiedliche Gesichter". So haben Edel-, Billigst- und Zwangsprostitution im Grunde wenig miteinander gemeinsam. Die beiden Autorinnen unterscheiden pragmatisch und situativ angemessen zwischen professionellen deutschen Prostituierten, Migrationsprostitution und Beschaffungsprostitution. Aus sprachlichen Gründen konnten bei der Migrationsprostitution nur Frauen aus südamerikanischen und osteuropäischen, nicht aber aus afrikanischen und asiatischen Ländern befragt werden.

Zu den bedrückendsten unter den vielen trostlosen Befunden der Studie gehört, dass Prostitution nach wie vor mit vielen Formen von leichter bis schwerer Gewalt verbunden ist. Zwar spielen brutale Zuhälter, die sich Reviere und Frauen aufteilten, keine große Rolle mehr. Dennoch werden 78 Prozent der Frauen wenigstens einmal Opfer leichter und 60 Prozent Opfer schwerer Formen von Gewalt.

Im Zuge der Globalisierung haben Schlepper die herkömmlichen Zuhälter ersetzt: Frauen werden zu Kreditsklaven, die in Bordellen die völlig überzogenen Reisekosten abarbeiten müssen. Aus nahe liegenden Gründen sind drogenabhängige Beschaffungsprostituierte, die auf dem Straßenstrich oder in Billighotels arbeiten, der Gewalt am häufigsten ausgesetzt.

Durch die vertiefenden Interviews kommen unfassbare Lebensgeschichten ans Licht: Eine Sechzehnjährige verliebte sich Hals über Kopf, verließ das Elternhaus und wurde von ihrem Liebhaber, der sich bald als Zuhälter herausstellte, in einer ebenso schnellen wie perversen Lehrzeit vom Servieren über Animierdienst und Kokaingenuss bis zur Prostitution und dem harten Sexgeschäft "eingeschult". Am wenigsten von Gewalt bedroht sind nach den beiden Autorinnen ältere Prostituierte, die es schaffen, sich selbstständig zu machen und als Dominas einen Massagesalonbetrieb aufziehen.

Die Befragung von Expertinnen und Experten zur Wirkung des Prostitutionsgesetzes vom 2002 sind ernüchternd. Sie räumen übereinstimmend ein, dass es "in die richtige Richtung geht, da es zur Normalisierung beiträgt und Ausbeutungsgefahren reduziert, aber die Problemlage nicht ausreichend erfasst" (Margrit Brückner). Das Gesetz entkriminalisierte die Prostitution zwar, blieb jedoch auf halbem Weg stehen. So können Bordellbesitzer, die Zimmer für 140 bis 200 Euro pro Tag vermieten, nicht wegen Wuchers belangt werden, da die Etablissements nicht als Wohnungen, sondern als Gewerbebetriebe gelten.

Andererseits gelten Einkünfte aus Prostitution nicht als Einkünfte aus selbstständiger Arbeit, sondern "nach Interpretation des Bundesfinanzhofs als ,gewerbsmäßige' - nicht als gewerbliche Einkünfte". Trotzdem unterliegen sie der Steuerpflicht, allerdings haben die Steuerbehörden keine tauglichen Mittel zur Steuerveranlagung, womit die Frauen mit einem Bein immer schon in der Illegalität stehen. Prostituierte haben zwar Anspruch auf eine Krankenversicherung, müssen aber ihren Beruf als "Bardame" oder "Tänzerin" kaschieren.

Ähnliche Ungereimtheiten ergeben sich aus dem legalisierten Bordellbetrieb, wo der größte Teil des Sexgeschäfts abläuft. Die Ausstattung und der Sicherheitsstandard dieser Betriebe sind gestiegen, aber "Arbeitsvorgaben bezogen auf die Sexarbeit" (Margrit Brückner) existieren nicht, was angesichts zerfallender Preise zwangsläufig zu einer Verlängerung der Arbeitszeiten führte, also die Frauen zur Intensivierung der Selbstausbeutung ihres Körpers zwang, um groteske Mietpreise zahlen und den Lebensstandard erhalten zu können.

In den Niederlanden zum Beispiel sind Arbeitsverträge zwischen Bordellbetreibern und Prostituierten legal, wodurch die Arbeitsbedingungen, Arbeitszeiten und Preise/Löhne geregelt werden. Hierzulande sind solche Verträge nach wie vor sittenwidrig und verboten.

Eine denkbar schlechte Figur machen in der Studie die Freier, also die männlichen Kunden. Auf den Punkt gebracht verlangen sie für weniger Geld immer abenteuerlichere Dienste und sind in den Augen vieler Frauen "einfach Schweine". Dazu passt auch, dass ein mittlerweile aus dem Geschäft ausgestiegener Zuhälter seine ehemalige Tätigkeit als "Kopfsache" bezeichnet.

Über die Verdienstmöglichkeiten als Prostituierte gibt die Studie keine Auskunft, weil darüber niemand reden will. Sicher ist nur, dass das älteste Gewerbe von Frauen betrieben wird, aber das große Geld hauptsächlich in Männerhänden landet. Die beiden Autorinnen zeigen, dass das kein Wunder ist. Vielmehr weist es klar darauf hin, dass die Rahmenbedingungen des Geschäfts von Männern bestimmt werden und dass Heuchelei und Doppelmoral der Gesellschaft mit dafür sorgen, dass Prostitution zivil-, steuer- und arbeitsrechtlich kein normales Geschäft wird.
* bleibt gesund und übersteht die Zeit der Einschränkungen *

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annainga
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Beitrag von annainga »

Sexarbeit und Doppelmoral

Die Studie von Margrit Brückner und Christa Oppenheimer bietet fundierte und durchaus erschreckende Erkenntnisse über die "Lebenssituation Prostitution" in Deutschland
Die gängige Rede vom "ältesten Gewerbe der Welt" unterstellt, jedermann wisse genau, worum es dabei geht. Das ist nicht der Fall. Sozialwissenschaftlich fundiertes Wissen über die "Lebenssituation Prostitution" ist ausgesprochen rar. Die gute Studie von Margrit Brückner und Christa Oppenheimer bietet nun zahlreiche empirische Erkenntnisse zur Welt der Prostituierten.

Das Buch beruht auf der Auswertung von 72 umfangreichen Fragebögen. 32 Datensätze übernimmt sie aus einer Studie des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 40 Datensätze erstellten die Autorinnen anhand der von ihren Studentinnen durchgeführten Befragungen von fünf Prostituierten, zwei Bordellbesitzern und einem Zuhälter.

Ergänzt und vertieft werden diese Daten durch Interviews mit zwölf Expertinnen und Experten von Hilfseinrichtungen, Solidaritätsgruppen gegen Frauenhandel und Behördenvertretern. Zusammen mit den soziodemografischen Daten ergibt sich so ein differenziertes, aber keineswegs repräsentatives Bild von der Situation der Prostituierten. Die Autorinnen sind sich der Tatsache bewusst, dass die Datenbasis zu schmal ist für eine repräsentatives Bild. Deshalb interpretieren sie das Material auch nur zurückhaltend und vermeiden Kurzschlüsse oder vorschnelle Verallgemeinerungen.

Das ist kein Mangel, sondern ein Vorzug der Studie, denn Prostitution trägt "unterschiedliche Gesichter". So haben Edel-, Billigst- und Zwangsprostitution im Grunde wenig miteinander gemeinsam. Die beiden Autorinnen unterscheiden pragmatisch und situativ angemessen zwischen professionellen deutschen Prostituierten, Migrationsprostitution und Beschaffungsprostitution. Aus sprachlichen Gründen konnten bei der Migrationsprostitution nur Frauen aus südamerikanischen und osteuropäischen, nicht aber aus afrikanischen und asiatischen Ländern befragt werden.

Zu den bedrückendsten unter den vielen trostlosen Befunden der Studie gehört, dass Prostitution nach wie vor mit vielen Formen von leichter bis schwerer Gewalt verbunden ist. Zwar spielen brutale Zuhälter, die sich Reviere und Frauen aufteilten, keine große Rolle mehr. Dennoch werden 78 Prozent der Frauen wenigstens einmal Opfer leichter und 60 Prozent Opfer schwerer Formen von Gewalt.

Im Zuge der Globalisierung haben Schlepper die herkömmlichen Zuhälter ersetzt: Frauen werden zu Kreditsklaven, die in Bordellen die völlig überzogenen Reisekosten abarbeiten müssen. Aus nahe liegenden Gründen sind drogenabhängige Beschaffungsprostituierte, die auf dem Straßenstrich oder in Billighotels arbeiten, der Gewalt am häufigsten ausgesetzt.

Durch die vertiefenden Interviews kommen unfassbare Lebensgeschichten ans Licht: Eine Sechzehnjährige verliebte sich Hals über Kopf, verließ das Elternhaus und wurde von ihrem Liebhaber, der sich bald als Zuhälter herausstellte, in einer ebenso schnellen wie perversen Lehrzeit vom Servieren über Animierdienst und Kokaingenuss bis zur Prostitution und dem harten Sexgeschäft "eingeschult". Am wenigsten von Gewalt bedroht sind nach den beiden Autorinnen ältere Prostituierte, die es schaffen, sich selbstständig zu machen und als Dominas einen Massagesalonbetrieb aufziehen.

Die Befragung von Expertinnen und Experten zur Wirkung des Prostitutionsgesetzes vom 2002 sind ernüchternd. Sie räumen übereinstimmend ein, dass es "in die richtige Richtung geht, da es zur Normalisierung beiträgt und Ausbeutungsgefahren reduziert, aber die Problemlage nicht ausreichend erfasst" (Margrit Brückner). Das Gesetz entkriminalisierte die Prostitution zwar, blieb jedoch auf halbem Weg stehen. So können Bordellbesitzer, die Zimmer für 140 bis 200 Euro pro Tag vermieten, nicht wegen Wuchers belangt werden, da die Etablissements nicht als Wohnungen, sondern als Gewerbebetriebe gelten.

Andererseits gelten Einkünfte aus Prostitution nicht als Einkünfte aus selbstständiger Arbeit, sondern "nach Interpretation des Bundesfinanzhofs als 'gewerbsmäßige' - nicht als gewerbliche Einkünfte". Trotzdem unterliegen sie der Steuerpflicht, allerdings haben die Steuerbehörden keine tauglichen Mittel zur Steuerveranlagung, womit die Frauen mit einem Bein immer schon in der Illegalität stehen. Prostituierte haben zwar Anspruch auf eine Krankenversicherung, müssen aber ihren Beruf als "Bardame" oder "Tänzerin" kaschieren.

Ähnliche Ungereimtheiten ergeben sich aus dem legalisierten Bordellbetrieb, wo der größte Teil des Sexgeschäfts abläuft. Die Ausstattung und der Sicherheitsstandard dieser Betriebe sind gestiegen, aber "Arbeitsvorgaben bezogen auf die Sexarbeit" (Margrit Brückner) existieren nicht, was angesichts zerfallender Preise zwangsläufig zu einer Verlängerung der Arbeitszeiten führte, also die Frauen zur Intensivierung der Selbstausbeutung ihres Körpers zwang, um groteske Mietpreise zahlen und den Lebensstandard erhalten zu können.

In den Niederlanden zum Beispiel sind Arbeitsverträge zwischen Bordellbetreibern und Prostituierten legal, wodurch die Arbeitsbedingungen, Arbeitszeiten und Preise/Löhne geregelt werden. Hierzulande sind solche Verträge nach wie vor sittenwidrig und verboten.

Eine denkbar schlechte Figur machen in der Studie die Freier, also die männlichen Kunden. Auf den Punkt gebracht verlangen sie für weniger Geld immer abenteuerlichere Dienste und sind in den Augen vieler Frauen "einfach Schweine". Dazu passt auch, dass ein mittlerweile aus dem Geschäft ausgestiegener Zuhälter seine ehemalige Tätigkeit als "Kopfsache" bezeichnet.

Über die Verdienstmöglichkeiten als Prostituierte gibt die Studie keine Auskunft, weil darüber niemand reden will. Sicher ist nur, dass das älteste Gewerbe von Frauen betrieben wird, aber das große Geld hauptsächlich in Männerhänden landet. Die beiden Autorinnen zeigen, dass das kein Wunder ist. Vielmehr weist es klar darauf hin, dass die Rahmenbedingungen des Geschäfts von Männern bestimmt werden und dass Heuchelei und Doppelmoral der Gesellschaft mit dafür sorgen, dass Prostitution zivil-, steuer- und arbeitsrechtlich kein normales Geschäft wird.

RUDOLF WALTHER

Margrit Brückner und Christa Oppenheimer: "Lebenssituation Prostitution. Sicherheit, Gesundheit und soziale Hilfen". Verlag Ulrike Helmer, Königstein 2006, 360 Seiten, 29,90

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Re: "Lebenssituation Prostitution"

Beitrag von Zwerg »

annainga hat geschrieben:Die Autorinnen sind sich der Tatsache bewusst, dass die Datenbasis zu schmal ist für eine repräsentatives Bild. Deshalb interpretieren sie das Material auch nur zurückhaltend und vermeiden Kurzschlüsse oder vorschnelle Verallgemeinerungen.
Dieser Absatz gibt Anlass das Buch ernst zu nehmen..... werde ich meiner Bibliothek einverlaiben.....

Vielen Dank für den Tipp!

Christian

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annainga
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Beitrag von annainga »

ich habe das buch nun gelesen, hier meine eigene meinung dazu:

Schon im Vorwort zeigt sich die größte Schwäche dieses Buches:

die Nicht-Repräsentativität der Untersuchung

Angeführt wird dort eine repräsentative Studie des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, die allerdings nicht Prostituierte, sondern Frauen allgemein als befragte Personen hat.

Auf diese Studie beziehen sich die Autorinnen und setzen sie in einen Vergleich zu ihrer eigenen nicht-repräsentativen Studie. Im laufenden Text und in Fußnoten wird darauf hingewiesen in Form von Formulierungen wie „kann nicht nachgewiesen werden“, „weisen darauf hin“ „ist nicht repräsentativ“, „ist nicht ganz deutlich“, „möglicherweise“, „könnten darauf hinweisen“, „hängt möglicherweise zusammen mit“. Diese Formulierungen ziehen sich durch das ganze Buch!

Es mag löblich sein, dass sie immerhin erwähnen, dass die Studie keine Aussagekraft hat, aber macht sie es deswegen sinnvoller?

Die Wissenschaftlerinnen haben den Anspruch „die Lebens- und Arbeitssituation von Prostituierten“ darzulegen, „die Auswirkungen des Prostitutionsgesetzes“ aufzuzeigen, „ die Erreichbarkeit der Frauen“ zu ermitteln.

Weiterhin wollen sie zu einer „empirisch fundierte Einschätzung der Situation von Prostituierten“ und einer „geschlechtergerechten Positionsfindung zum gesellschaftlichen Phänomen der Prostitution“ beitragen.

Dieses Ziel verfehlen sie. Nicht ohne die Gründe dafür selbst aufzuzeigen:

-Die Befragungsgruppe kam über Kontakte zu Hilfsorganisationen zustande und diese werden von Frauen in Not aufgesucht.
-Sogenannte „Edelprostitution“ wird nicht berücksichtigt
-Hoher Altersdurchnitt in der Befragungsgruppe
-Ausgestiegene Frauen in der Befragungsgruppe
-Sprachliche Grenzen.

Immerhin werden die Mängel der Studie angeführt, aber das macht die Studie doch nicht aussagekräftiger. Das kommt in folgendem Satz sehr klar hervor:

„Dies impliziert, dass die Untersuchung eines anderen Prostitutions-Segmentes wahrscheinlich andere Ergebnisse erbringen würde.“

Eine Umbenennung des Buches in „Lebenssituation in der Beschaffungs-Prostitution“ wäre sinnvoll.

Im II.Teil des Buches werden sieben Prostituierte befragt. Bei ersten fünf Interviewpartnerinnen (drei professionelle deutsche Prostituierte, zwei Dominas) überwiegen Beurteilungen wie Widersprüche, starke Ambivalenzen (Hauptsympthom der Schizophrenie), Gespalten-Sein, Realitätsferne, Zwanghaftigkeit, Machtorientierung, pathologisches Verhalten …..während diese Charakterisierungen bei den letzten beiden Interview-Partnerinnen (zwei drogenabhängige Beschaffungsprostituierte) nicht getroffen werden.

Bei der Befragung von Hilfsorganisationen gehen die Autorinnen von einer „deformation professionelle“ aus, d.h. Expertinnen sehen den Ausschnitt der Prostitution, mit dem sie beschäftigt sind besonders scharf.

Ich glaube die Autorinnen sehen manche Dinge überhaupt nicht, weil sie wenig Einblick haben und kurz und unprofessionell in den Bereich Prostitution reingeschnuppert haben ohne die Thematik in der Gesamtheit wegen ihres eigenen eingeschränkten Weltbildes erfassen zu können.

Das wird deutlich in den Beschreibungen der Etablissements und Personen: „überraschendes Outfit“ „verblüffende Erfahrung“ „unwirkliche Umgebung“ „labyrinthartige Umgebung“, um nur einige zu nennen.

Mit Sicherheit gehöre ich nicht zu den Menschen, die Prostitution verherrlichen und keinen Blick für die negativen Seiten dieses Berufes haben. Aber der Titel des Buches „Lebenssituation Prostitution“ ist nicht nur falsch gewählt, sondern enttäuscht , wenn man sich objektive Informationen über Prostitution erhofft.

In meinen Augen ein nicht lesenswertes, unnötiges Buch, das Prostitution verzerrt darstellt.

liebe grüße von annainga

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annainga
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Beitrag von annainga »

hier nochmal ein auszug, den ich in der zusammenfassung gelesen habe:


Kontrovers gesehen wird die Frage, ob es möglich und hilfreich ist, zu den Frauen in der Prostitution eine andere Position einzunehmen als zum Phänomen der Prostitution als solchen.

Wird die Position eingenommen, dass Frauen in der Prostitution nur geschützt werden können, wenn Prostitution ein normaler Beruf wird, weil Prostitution nur dann aus der Doppelmoral - einschließlich rechtlicher und ökonomischer Benachteiligungen von Frauen - heraus lösbar ist, dann muss die Verberuflichung ohne jede Einschränkung vorangetrieben werden.

Ist die Position jedoch, dass es sehr wohl möglich ist, einserseits Prostitution als Ausdruck des hierarchisierten Geschlechterverhältnisses und als Verdinglichung des Sexuellen abzulehnen, aber dennoch den Frauen jegliche mögliche Erleichterungen zukommen zu lassen, dann kann Verberuflichung kriitisch gesehen werden, ohne den Frauen Unterstützung zu versagen und eigene Entscheidungsrechte abzusprechen.

Wird Prostitution als normaler Beruf vertreten, dann scheint diese Position einherzugehen mit der Konstruktion einer Art Doppelrealität: Einerseits werden die Frauen dargestellt als selbstbestimmt und selbstbewusst und die Sexarbeit als normales Geschäft mit Freiern als Kunden, andererseits werden - in Abstufungen - durchaus die physischen und psychischen gesundheitlichen Risiken der Frauen, die Zwänge und Aggressivität des Milieus und die Gewaltätigkeit eines Teils der Freier sowie die wachsende Tendenz, ohne Kondom zu arbeiten, registriert, die dann jedoch nur als persönliche Probleme einzelner Freier, Resultat der Diskriminierung beziehungsweise ganz normale Kriminalität eingeschätzt werden, welche mit der Prostitution als solcher nichts zu tun haben.

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Marc of Frankfurt
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Doppelmoral anprangern

Beitrag von Marc of Frankfurt »

Die Abolutionisten wollen nicht einsehen, daß sie durch den ehrenwert klingenden Standpunkt "Ablehnung der Verdinglichung des Sexuellen" und damit Ablehnung der Prostitution der Doppelmoral vorschub leisten.

Folge der Doppelmoral sind dann die bekannten prekarisierenden Verhältnisse.

Diese erzeugen Opfer, um die sich dann die Christenmenschen kümmern und die ihnen als Beleg für ihre ehrenwert klingenden Standpunkt dienen.

Das nennen sie dann "Solidarität mit Prostituierten - Kampf der Prostitution" wie auch im neuen Buch von Alice S. "Antworten".

Die Kath. Kirche war quasi Vorbild für diese elegante Form der Doppelmoral, als sie proklamierte "Hilfe für Homosexuelle ja, aber homosexuelle Sexualität verbieten".





Das Problem was bleibt mit der Position "Prostitution als Beruf" ist, daß derzeit viele in der Prostitution tätige diese nicht teilen. Sie haben keine positive Identität als Prostituierte entwickeln können. Denn sie wurden noch von dem traditionellen stigmatisierenden Prostitutionsbild angelockt/verleitet, in dieser Halbwelt ihr "Überleben in der Krise" irgendwie zu bewältigen (Überlebenssexualität).





Danke für deine Buchrezension, so krass hab ich es mir dann doch nicht vorgestellt dieses Machwerk, obwohl ich wie gesagt vorgewart war.





Nachgetragen:
Hier viele Argumente gegen eine Sexarbeit&Paysex diskriminierende Forschung:

Disput aus dem englischen Sprachraum
gegen Melissa Farley e.a.


Mit vielen wissenschaftlichen Entgegnungen in den folgenden postings:

viewtopic.php?p=36019#36019





.
Zuletzt geändert von Marc of Frankfurt am 09.05.2008, 14:10, insgesamt 1-mal geändert.

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annainga
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Beitrag von annainga »

das buch behandelt überwiegend beschaffungsprostituierte. von der einstellung, die prostituierte haben, wird auch am ende geschrieben:

"Welche der beiden vertretenen Positionen von der Mehrheit der Frauen in der Prostitution geteilt wird, ist nach den Berichten der ExpertInnen eher unklar, da die meisten Frauen sich nicht für Fragen der Institution Prostitution interessieren und häufiger im Prinzip die vorherrschende Sexualmoral teilen."

..... nicht so abstrakt, die vorstellung, dass ein drogenabhängiger mensch sich dafür nicht interessiert. prostitution ist ein mittel zum zweck, und eine einstellung dazu zu finden ist nicht notwendig.

dass die autorinnen auf diese schiene geraten, kann ich schon verstehen, wenn sie überwiegend mit dieser seite der prostitution in kontakt kamen. es ist sicher sehr schwer dann objektiv zu bleiben, wenn man soviel schreckliches mitbekommt. bei dem bericht der drogenabhängigen frau, die am straßenstrich arbeitete, die schwanger wurde und deren probleme beschrieben wurde, ist mir auch sehr flau im magen geworden.

aber auch diese frauen entscheiden sich bewusst für die prostitution als möglichkeit ihr leben zu führen. mag sein, dass sich das wie blanker hohn anhört, aber es gibt einige projekte, frauen zu unterstützen, und viele wollen es nicht! sie wollen ihr morbides leben weiterleben und pfeifen auf unterstützung.

was ich als extrem unwissenschaftlich empfand: in tabellen, in denen beschwerden von prostituierten erfasst werden, werden ergebnisse aus der bundesdeutschen repräsentativen studie mit der befragung von frauen (über 1000) aus bürgerlichen berufen ins verhältnis gesetzt zu der nicht-repräsentativen befragung überwiegend von frauen (unter 50), die in der beschaffungsprostitution arbeiten.

was für eine verzerrung sich dadurch ergibt!

und womöglich was für eine bestätigung für die autorinnen in ihrem weltbild.

liebe grüße von annainga

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Beitrag von HaDe »

annainga hat geschrieben:..... nicht so abstrakt, die vorstellung, dass ein drogenabhängiger mensch sich dafür nicht interessiert. prostitution ist ein mittel zum zweck, und eine einstellung dazu zu finden ist nicht notwendig.

aber auch diese frauen entscheiden sich bewusst für die prostitution als möglichkeit ihr leben zu führen. mag sein, dass sich das wie blanker hohn anhört, aber es gibt einige projekte, frauen zu unterstützen, und viele wollen es nicht! sie wollen ihr morbides leben weiterleben und pfeifen auf unterstützung.
Hi Annainga,

Gerade im Fall von Drogenprostitution glaube ich nicht, dass es eine bewusste Entscheidung ist. Ich denke, da ist die Sucht einfach stärker als alles Andere.

Trotzdem ist die Prostitution meiner Ansicht nach hier nicht Kern des Problems, sondern die Drogenabhängigkeit (die wiederum vermutlich andere Ursachen Hat). Die Beschaffungsprostitution ist nur Folge der Drogenabhängigkeit.

Aber auch diesen Frauen würde vermutlich mit einem Prostitutionsverbot mehr geschadet als geholfen.

Andreas

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annainga
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Beitrag von annainga »

willst du sagen, dass sie sich unbewusst entscheiden?
auch als drogenabhängiger mensch ist man in der lage, entscheidungen zu treffen. viele entscheiden sich gegen hilfs- und therapiemaßnahmen.

ich denke auch, ein verbot würde eher schaden. wer weiß eigentlich, wie´s in schweden aussieht? wie kommen die mit ihrem verbot zurecht? ist die prostitution dort zurückgegangen, hat sie sich verlagert?

liebe grüße von annainga

HaDe
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Beitrag von HaDe »

annainga hat geschrieben:willst du sagen, dass sie sich unbewusst entscheiden?
auch als drogenabhängiger mensch ist man in der lage, entscheidungen zu treffen. viele entscheiden sich gegen hilfs- und therapiemaßnahmen.
Naja, bei einer Sucht ist die Entscheidungsfreiheit glaube ich schon ziemlich eingeschränkt, einfach wegen der Angst vor dem Entzug. Aber hast schon recht - es steht niemand mit einer Pistole hinter ihr und zwingt sie. So gesehen ist es natürlich eine freie Entscheidung.
annainga hat geschrieben: ich denke auch, ein verbot würde eher schaden. wer weiß eigentlich, wie´s in schweden aussieht? wie kommen die mit ihrem verbot zurecht? ist die prostitution dort zurückgegangen, hat sie sich verlagert?
Also wenn man der Site ( http://sensuellqkonsult.wordpress.com/2 ... in-sweden/ ) glaubt, ist das schwedische Gesetz eher ein Problem als eine Lösung. Ich wollte den Link mal auf dieStandard posten, aber der wurde nicht durchgelassen.

Andreas

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Marc of Frankfurt
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noch ne Rezension

Beitrag von Marc of Frankfurt »

haben die bei www.dieStandard.at einen politisch-feministischen Zensor sitzen?





Jungle-World: Arme Hure - Reiche Hure

Eine neue Studie dokumentiert die Lebenssituation von Prostituierten in Deutschland.


Ein Beruf wie jeder andere auch? Oder ist Prostitution eher dem Bereich Gewalt zuzuordnen und als Männerherrschaft anzusehen? Diese Frage ist in der Forschung wie innerhalb der Frauenbewegung umstritten. Viele Diskussionen laufen aber mittlerweile in der Endlosschleife. Die Beiträge wiederholen sich; die einen bringen Argumente für eine voranschreitende Normalisierung und Enttabuisierung des Sexgewerbes vor; andere betonen die ausbeuterischen und frauenfeindlichen Aspekte.

So wichtig diese Bewertungsfragen auch sind – angenehm nüchtern kommt da die Studie »Lebenssituation Prostitution« daher, denn sie konzentriert sich auf die konkreten Lebenssituationen von Frauen in den unterschiedlichen Bereichen der Prostitution. Die Sozialwissenschaftlerinnen Margrit Brückner und Christa Oppenheimer führten Interviews mit Sexarbeiterinnen aus drei Bereichen: der professionellen deutschen Prostitution, der Migrations- und der Beschaffungsprostitution. Im Fokus standen dabei Fragen zu Gewalterfahrungen und Gesundheit sowie nach den notwendigen und angemessenen Hilfsmöglichkeiten. Außerdem sollten die Auswirkungen des veränderten Prostitutionsgesetzes von 2002 untersucht werden.

Weiterhin gibt es nur Schätzungen, was das Ausmaß der Sexarbeit betrifft. Gesicherte Zahlen existieren wegen der hohen Dunkelziffer nicht. So schwanken die Angaben zwischen 100 000 und 400 000 Prostituierten in Deutschland, wovon mindestens die Hälfte Migrantinnen sind. Nicht nur die Gewerkschafter aus dem VW-Betriebsrat zahlen für ihre sexuelle Befriedigung: Rund 1,2 Millionen Männer nehmen jeden Tag die Dienste der Sexarbeiterinnen in Anspruch. Der Wirtschaftsfaktor Prostitution in Deutschland bleibt nach Schätzungen beachtlich: Der Umsatz liegt bei 14,5 Milliarden Euro jährlich, was fast dem Umsatz der Karstadt Quelle AG mit 15 Milliarden Euro entspricht.

Die Autorinnen konstatieren, dass die zunehmende soziale Spaltung der Gesellschaft und die fortschreitende Verarmung in anderen Ländern auch in der Prostitution ihre Spuren hinterlassen haben. Die Lebenssituationen von Frauen in der Prostitution sind äußerst unterschiedlich. Auf der einen Seite dehne sich die Edelprostitution aus, auf der anderen weiteten sich die Grauzonen und Randbereiche. Da die Wohnungs- und Privatclubprostitution zunehme, sei die Bordellszene unübersichtlicher geworden, so die Autorinnen. Dennoch gebe es deutliche Hinweise, dass die Billigprostitution boome. Geringe Profite, hohe Freierzahlen, starke Konkurrenz und zunehmender Druck zu immer extremeren Praktiken für wenig Geld, weitgehend ausgeführt von Migrantinnnen, die oft unter einem höheren wirtschaftlichen Zwang stehen, prägen diesen Bereich.

Damit widerspricht die Studie der Behauptung von Tamara Domentat, Autorin des Buchs »Lass dich verwöhnen« (2003), wonach sich in der Prostitution in den vergangenen zwei, drei Jahrzehnten ein Paradigmenwechsel abzeichne und eine Entwicklung »weg von der Lustsklaverei hin zu normalisierten, humanisierten, selbstbestimmten Arbeitsplätzen« stattfinde.

Es mehren sich die Hinweise, dass insbesondere seit dem neuen Prostitutionsgesetz die Werbung offensiver betrieben wird und die Tageszeitungen immer weniger Hemmungen haben, Anzeigen mit so genannten tabulosen Angeboten und sexuellen Diensten ohne Kondom zu veröffentlichen. Brückner und Oppenheimer sehen die Gründe für die »zunehmende Entgrenzung« allerdings nicht in den Auswirkungen des liberalisierten Prostitutionsgesetzes von 2002. Sie erklären diese Entwicklung mit der zunehmenden Konkurrenz, dem ­begrenzten und tendenziell rückläufigen Markt (ohne die Datengrundlage für diese Behauptung zu offenbaren) sowie mit dem großen Angebot sexueller Dienstleistungen vor allem durch Migrantinnen aus sehr armen Ländern. All diese Faktoren hätten zu einer Absenkung der Verdienstmöglichkeiten beigetragen.

Die »zunehmende Entgrenzung« erklären sie auch damit, dass alte Normen und Kontrollmechanismen, etwa durch die regulierende Funktion der Zuhälter oder unter den Frauen selbst, nicht mehr greifen würden. Damit wachse der Druck, eine Vielfalt von Sex-Leistungen anzubieten. Außerdem steige die Notwendigkeit, sich gegenüber Nachfragen und auch Zumutungen von Freiern einerseits als geschäftstüchtig zu erweisen. Andererseits müssten die Frauen aber auch immer wieder durchsetzen, dass ihre eigenen Grenzen res­pektiert würden, was wiederum erforderlich mache, dass sie ein klares Gefühl für die eigenen Grenzen entwickeln und aufrechterhalten, um ihre psychische, körperliche und sexuelle Integrität zu bewahren.

Trotz aller Individualisierungs- und Ausdifferenzierungsprozesse in der Prostitution haben die beiden Wissenschaftlerinnen festgestellt, dass das Ausmaß von physischen und sexuellen Übergriffen und Gewalterfahrungen der befragten Frauen aus den drei Gruppen des Sexgewerbes (professionelle deutsche Prostitution, Migrations- und Beschaffungsprostitution) deutlich über demjenigen der allgemeinen Frauenbevölkerung in Deutschland liegt. Zwei Drittel der Befragten gaben an, mindestens einmal physische Gewalt mit Verletzungsfolgen erlebt zu haben. Die Mehrheit hat zudem sexuelle Gewalt – vor allem Vergewaltigungen – erlitten. Wie in der weiblichen Bevölkerung in Deutschland auch, gaben die meisten Frauen als häufigste Gewalt die durch den (Ex-)Partner zu Hause an. Allerdings stammte die größe Tätergruppe bei sexueller Gewalt aus dem Bereich der Prostitutionsarbeit, das waren also Freier oder Zuhälter. Zudem liegt der Anteil derjenigen, die in der Kindheit körperliche oder sexuelle Gewalt erfahren haben, erheblich höher als in der weiblichen Gesamtbevölkerung.

Schlechter sei auch der allgemeine Gesundheitszustand, vor allem häufige Unterleibsbeschwerden und den Griff nach Psychopharmaka und Drogen führen die Autorinnen an. Hier kritisieren einige Sexarbeiterinnen wie auch Bordellbetreiberinnen die Abschaffung der verpflichtenden Gesundheitskon­trollen vor einigen Jahren. Gerade angesichts der Zunahme riskanter Sexualpraktiken seien gesundheitliche Untersuchungen heute sehr wichtig.

Illegalisierten Migrantinnen würde das allerdings auch nicht helfen. Bemerkenswert ist, dass vielen Sexarbeiterinnen das Prostitutionsgesetz von 2002 mit seinen weitergehenden Rechten für erwachsene Frauen mit Arbeitserlaubnis und seiner entdiskriminierenden Intention nicht bekannt war. Wenn das Gesetz jedoch bekannt war, hielten sie seine Wirkung allerdings angesichts der weiterbestehenden Doppelmoral für sehr gering.

Als Perspektive, wie mit Prostitution in emanzipatorischer Weise umgegangen werden soll, sehen die Autorinnen weiterhin eine sich auf den ersten Blick widersprechende Vorgehensweise: einerseits die rechtliche und soziale Lage für Frauen – und zwar für alle – in der Prostitution zu verbessern, andererseits die hierarchisierten Geschlechterverhältnisse und die Prostitution als solche, die mit ihren zugrundeliegenden Denkmustern patriarchale Strukturen stabilisiert, anzuprangern.


Margrit Brückner und Christa Oppenheimer: Lebenssituation Prostitution. Sicherheit, Gesundheit und soziale Hilfen. Ulrike-Helmer-Verlag, Königstein/Taunus 2006. 360 S., 29,90 Euro

http://www.jungle-world.com/seiten/2007/10/9515.php





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Zuletzt geändert von Marc of Frankfurt am 10.08.2008, 00:24, insgesamt 1-mal geändert.

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Beitrag von HaDe »

Marc of Frankfurt hat geschrieben:haben die bei www.dieStandard.at einen politisch-feministischen Zensor sitzen?
Ich finde dieStandard.at eigentlich relativ gut und weit entfernt von der Radikalität von Emma & Co. Was durchgeht dürfte letztendlich damit zusammenhängen was der automatische Filter schon schmeisst und dann auch welche Redakteurin gerade ein manuell zu kontrollierendes Posting in die Finger bekommt. Grundsätzlich ist dieStandard aber gut - wenn auch wie der Name schon sagt - etwas feministisch angehaucht, worunter natürlich die Objektivität zeitweise leidet.

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annainga
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Beitrag von annainga »

ich habe einen positiven bericht über schweden gelesen. wie gut sie die situation im griff haben, wie hoch die akzeptanz (gegenüber den restriktiven maßnahmen) in der bevölkerung ist, wie männer umdenken.

ich habe den artikel nicht gepostet, weil auch ich mir das recht herausnehme, selektiv zu sein.

wobei man immer die argumente der gegenseite kennen sollte.

liebe grüße von annainga

HaDe
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Beitrag von HaDe »

annainga hat geschrieben:ich habe einen positiven bericht über schweden gelesen. wie gut sie die situation im griff haben, wie hoch die akzeptanz in der bevölkerung ist, wie männer umdenken.
Nun, die Art von Positiv-Bericht habe ich auch schon gelesen. Das Gesetz dürfte in der Bevölkerung durchwegs gut ankommen und auch von Männern (zumindest offiziell) unterstützt werden. Die Frage die sich mir aber stellt ist, ob das Gesetz auch auf der Seite der Prostituierten willkommen ist. Die Frauen sind ja in einer eigenwilligen Position: Einerseits dürfen sie sexuelle Dienstleistungen anbieten - aber in Anspruch nehmen darf sie keiner. Das ist so wie wenn Du in einem Restaurant eine tolle Speisekarte vorgesetzt bekommst, aber per Gesetz nichts essen darfst. Der Restaurantbesitzer will Dir aber die Speisen verkaufen, schliesslich lebt er ja davon.
annainga hat geschrieben: ich habe den artikel nicht gepostet, weil auch ich mir das recht herausnehme, selektiv zu sein.

wobei man immer die argumente der gegenseite kennen sollte.

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Beitrag von annainga »

das dürfte den sexarbeiterinnen wohl kaum recht sein. in einem gespräch mit einer kollegin, die auch angst vor einer solchen gesetzgebung hat, hab ich sie beruhigt und gesagt, macht nichts, alles, was verboten ist, ist interessant und wird teurer.

war eher galgenhumor .....

wir müssen alles dafür tun, dass die legalisierung und akzeptanz von unserem beruf größer wird. ich kann mir gut vorstellen, dass der "negative bereich" davon auch profitiert.

liebe grüße von annainga

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Beitrag von HaDe »

annainga hat geschrieben:das dürfte den sexarbeiterinnen wohl kaum recht sein. in einem gespräch mit einer kollegin, die auch angst vor einer solchen gesetzgebung hat, hab ich sie beruhigt und gesagt, macht nichts, alles, was verboten ist, ist interessant und wird teurer.

war eher galgenhumor .....
Zumindest eine optimistische Sicht. Die pessimistische Sicht läuft eher in der Richtung:

Frau hat grundästzlich kein grosses Problem, da für sie das Anbieten der Dienstleistung nachwievor straffrei ist. Sie wird das nachwievor tun, da sie damit Geld verdienen will/muss (sonst täte sie es ja nicht).

Für die Kunden schauts blöder aus: Die müssen dabei aufpassen nicht geschnappt zu werden. Ein paar lassen sich sicher abschrecken, was aus Feministinnen-Sicht ein Riesen-Erfolg ist. Aus der Sicht der Prostituierten ist das aber eine Verkleinerung des Marktes. Weniger Nachfrage drückt die Preise oder verlangt Zusatzleistungen. Und weils Verboten ist, muss alles irgendwie verdeckt passieren, was sowohl für Kunden als auch für Prostituierte einen Nachteil bringt. Einen kleinen Vorteil hat es aber für die Prostituierten: Ein Freier der Opfer krimineller Machenschaften einer Prostituierten wird kann kaum zur Polizei gehen, weil er sich dabei ja selbst einer Straftat bezichtigt. Für die Prostiuierten ists so gesehen einfacher einen verrückten Freier anzuzeigen. Aber wird sie das bei einem sowieso aufgrund des Gesetzes reduzierten Kundenstocks tun?

Eigentlich könnte mans auch so sehen: Das Gesetz nimmt den Prostituierten jene Kunden weg, die sich an Gesetze halten. Übrig bleiben jene, denen Gesetze sowieso nicht so wichtig sind.

Andreas

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Beitrag von annainga »

es wäre schön, etwas über die länder mit abolutionistischer Regelung in der prostitution zu lesen. am "besten", dass sich prostitution stärker kriminalisiert.

das deutsche gesetz zur prostitution wird neutral bewertet, keine auswirkungen auf die prostitution.

für mich als unbedeutende einzelperson hat es große auswirkungen: ich kann den beruf, den ich mache, auch angeben, ich kann meine rechte, die sich aus der aufhebung der sittenwidrigkeit ergeben in anspruch nehmen.

das gibt selbstbewusstsein und macht den beruf "normaler".

liebe grüße an alle von annainga

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Beitrag von kaktus »

Hallo HaDe,
Ich wollte den Link mal auf dieStandard posten, aber der wurde nicht durchgelassen.
Versuche es einmal per email an Fr.Mag. Gerlinde Pölsler zu senden.
Sie schreibt auch für die Standard und den Falter und ist sehr engagiert.
poelsler@falter.at

LG Kaktus

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Beitrag von HaDe »

Hi Annainga,
annainga hat geschrieben:es wäre schön, etwas über die länder mit abolutionistischer Regelung in der prostitution zu lesen. am "besten", dass sich prostitution stärker kriminalisiert.
Ich fürchte dafür braucht man weder Studien noch sonst was. Wenn etwas wonach Bedarf besteht defakto illegalisiert wird muss das nahezu zwangsweise zur Kriminalisierung führen. Schliesslich wird nicht über Nacht der Bedarf verschwinden, nur weil etwas verboten wurde.
annainga hat geschrieben: für mich als unbedeutende einzelperson hat es große auswirkungen: ich kann den beruf, den ich mache, auch angeben, ich kann meine rechte, die sich aus der aufhebung der sittenwidrigkeit ergeben in anspruch nehmen.
Naja, die Frage ist wie bewertet wird. Aus feministischer Sicht gibts ja keine freiwilligen Prostiutierten sondern nur Opfer des Patriarchats. Aus dieser Ecke wird also erst Lob für das deutsche Gesetz kommen, wenn weniger Frauen diesem Beruf nachgehen.

Was mich an einigen Artikeln in den letzten Tagen verblüfft hat war, dass sogar viele jener Frauen, die ich durchaus als Zwangsprostituierte gesehen hätte (also jene, die unter falschem Vorwand zu uns gelockt wurden) noch immer lieber diesem Beruf nachzugehen als ins Herkunftland zurückzukehren.

Andreas

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Beitrag von annainga »

da im gespräch ist, das gesetz zurückzunehmen bzw. zu verändern oder wie manche organisationen fordern, kunden sexueller dienstleistungen zu bestrafen, hielte ich eine studie für sehr sinnvoll. wie will man denn irgendetwas ohne zahlen belegen?

ich glaube, dass mir viele sw´s zustimmten, dass nicht unser beruf und der kundenkontakt den beruf schwierig machen, sondern die bewertung der gesellschaft und das doppelleben.

diese verblüffung teile ich mit dir @HaDe

grüße, annainga