Stigmatisierende Berichte in Tiroler Woche - Kritik von LEFÖ

Berichte, Dokus, Artikel und ja: auch Talkshows zum Thema Sexarbeit werden hier diskutiert
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Zwerg
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Stigmatisierende Berichte in Tiroler Woche - Kritik von LEFÖ

Beitrag von Zwerg »

Stigmatisierende Berichte in "Tiroler Woche"
04. August 2009, 09:52
Verein Lefö kritisiert Artikelserie in "Tiroler Woche" und fordert Ende der rechtlichen Diskriminierung von Sexarbeiterinnen


In Österreich, wie auch in anderen europäischen Ländern, ist die Nachfrage nach sexuellen Dienstleistungen groß. Der Umgang jedoch mit den AkteurInnen ist von Doppelmoral geprägt. Darauf weist einmal mehr der Verein Lefö in einer aktuellen Aussendung hin. Anlassfall ist eine Artikelserie im Tiroler Gratis-Blatt "Tiroler Woche", die sich auf klischeehafte und sensationalistische Weise mit dem Thema Sexarbeit auseinandersetzt.

In den vergangenen Juli-Wochen berichtete die "Tiroler Woche" über Bordelle und über Machenschaften in der Sexindustrie. Dabei wurde mit Begriffen und Bildern von Zuhälterei, rivalisierenden Gangs unter Migranten und dubiosen Geschäften gearbeitet, die eine "moralistische Abwertung der Sexarbeit" beinhalten, betont die Beratungseinrichtung für Migrantinnen in einer Aussendung.

Rechtliche Situation

Lefö kritisiert, dass eine solche Berichterstattung den Blick auf die rechtlose Situation von SexarbeiterInnen, die mehrheitlich Frauen und mehrheitlich Migrantinnen sind, verstellt. Die öffentliche Aufmerksamkeit könnte und sollte stattdessen für einen differenzierten Menschenrechtsdiskurs gewonnen werden. "Nach wie vor gelten für SexarbeiterInnen nicht die gleichen Rechte wie für andere BürgerInnen", so Renate Blum.

Sexarbeit ist in Österreich gesetzlich nicht verboten, wird jedoch als "sittenwidrig" angesehen, d.h. Sexarbeiterinnen können z.B. Forderungen für erbrachte Leistungen nicht vor Gericht einklagen. Prostitution wird durch Bundesgesetze und verschiedene Landesgesetze geregelt. Im Bundesland Tirol ist das Tiroler Landes-Polizeistrafgesetz für die Regelungen von Sperrgebieten, Registrierungspflichten, Regelung von Werbung, etc., zuständig.

Ausbeutungsrisiko minimieren

Sexarbeit beinhalte ein Ausbeutungsrisiko, das verringert werden könnte. Die vorgeschriebenen Maßnahmen für migrantische und österreichische Sexarbeiterinnen dienten allerdings nicht der Stärkung und dem Schutz der SexarbeiterInnen, sondern vor allem der verwaltungsrechtlichen Kontrolle, so Lefö. Obwohl die Einkünfte von SexarbeiterInnen besteuert werden und andere Pflichten bestehen, sei der rechtliche Status von Sexarbeit unklar.

"Wir stellen uns gegen jede Form des Rassismus und der Diskriminierung und fordern einen respektvollen Umgang mit den AkteurInnen", so Renate Blum. Nur durch konsequente Maßnahmen, wie u.a. die Legalisierung der Sexarbeit als Erwerbstätigkeit und dem Aufzeigen von ausbeuterischen Strukturen, könne die Situation für SexarbeiterInnen nachhaltig verbessert werden, heißt es abschließend. (red)

http://diestandard.at/fs/r1192182008564/Prostitution

Melanie
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Beitrag von Melanie »

Sexarbeiterinnen kritisieren Doppelmoral

"Sittenwidrig", aber besteuert: Am "Hurentag" wird Gleichstellung mit anderen Erwerbstätigen gefordert

Sexarbeit wird in Österreich nach wie vor nur "geduldet", kritisieren die Plattform sexworker.at sowie die Lobbyingorganisationen LEFÖ (Wien), maiz (Linz), SXA-Info (Graz), Lena (Linz) und Aids-Hilfe Salzburg anlässlich des Internationalen Hurentags am 2. Juni. Sie fordern die rechtliche Anerkennung von Sexarbeit und die Gleichstellung von SexarbeiterInnen mit anderen Erwerbstätigen.

Weder als Gewerbe noch als Erwerbsarbeit anerkannt

Den NGOs zufolge werden Pflichten von SexarbeiterInnen geregelt, nicht aber deren Rechte. Denn Sexarbeit ist nach der immer noch unwidersprochenen Judikatur des Obersten Gerichtshofs (1989) in Österreich "sittenwidrig". Einkünfte von SexarbeiterInnen werden jedoch besteuert. Sexarbeit ist weder als Gewerbe noch als Erwerbsarbeit anerkannt. Ein unselbstständiges Beschäftigungsverhältnis in der Sexarbeit kann nicht legalisiert werden. Drittstaatsangehörigen droht bei Verstößen gegen das Prostitutionsgesetz die Abschiebung. Migrantinnen, die jahrelang mit einem "Prostituiertenvisum" in Österreich gearbeitet haben, wurden durch das Fremdenrechtspaket mit 1.1.2006 illegalisiert.

Zunehmende Repressionen

"Die fortdauernde Rechtlosigkeit von SexarbeiterInnen in Österreich ist untragbar und Ausdruck einer ignoranten Haltung gegenüber einer gesellschaftlichen Realität", kritisiert Faika El-Nagashi von LEFÖ stellvertretend für die Organisationen den österreichischen Umgang mit dem Thema. Die zunehmenden Repressionen gegenüber SexarbeiterInnen – willkürliche Anzeigen, Ausweisungen, unverhältnismäßige Pauschalbesteuerungen, Freierbestrafungen – verstärkten die prekären Arbeits- und Lebensbedingungen von SexarbeiterInnen und verdeutlichten die ständige Abwertung, mit der ihnen und ihrer Arbeit begegnet werde. "Wir sehen dringenden Handlungsbedarf bei den politischen EntscheidungsträgerInnen und fordern sie zur kompromisslosen rechtlichen Anerkennung und Gleichstellung von SexarbeiterInnen auf", so El-Nagashi.

"Gesetzgeber muss Veranwortung übernehmen"

Als negatives Beispiel führen die NGOs Oberösterreich an, wo zum ersten Mal ein Prostitutionsgesetz die bisherigen Regelungen im Polizeistrafgesetz ersetzen wird: Der vorliegende Entwurf übe sich einmal mehr in Beschränkung und Kontrolle. "Anstatt zu entstigmatisieren und klare positive Orientierungspunkte anzubieten, ergeht sich das Gesetz in unübersichtlichen Verbotsbestimmungen, die den Behörden, Gemeinden und sogar BordellbetreiberInnen einen zu weiten Interpretationsspielraum eröffnen", meint maiz und fordert einen sachlichen Umgang mit dem Thema: "Der Gesetzgeber muss hier seine Verantwortung wahrnehmen. Es ist an der Zeit, Sexarbeit zu entstigmatisieren und zu entkriminalisieren sowie die Beschäftigten in der Sexarbeit als DienstleisterInnen anzuerkennen, um gegen die extreme Prekarisierung und Diskriminierung in diesem Bereich vorzugehen."

Die Organisationen betonen anlässlich des Hurentags ihre langjährigen Forderungen, von der Entkoppelung des Regelungsbereichs der Prostitution aus den Sitten- bzw. Anstandsnormen bis zur Legalisierung der Sexarbeit als Erwerbstätigkeit und entsprechenden fremdenrechtlichen Änderungen.

Politischer Hintergrund: "Staat größter Zuhälter"

Am 2. Juni 1975 haben Sexarbeiterinnen in Frankreich gestreikt und in diesem Zusammenhang den Staat als den größten Zuhälter bezeichnet. 150 Frauen besetzten zehn Tage lang die Kirche Saint-Nizier in Lyon und schaffen damit eine internationale Öffentlichkeit für ihre Situation und ihre Forderungen. Als Aktionskollektiv wenden sie sich gegen die staatliche Diskriminierung und gegen polizeiliche Repressionen, die vorgeblich dem Kampf gegen Zuhälterei dienen sollen: ständige Kontrollen und Verhaftungen, Beleidigungen, Schikanen, unverhältnismäßige Strafen, willkürliche Steuerbescheide sowie Tatenlosigkeit der Polizei gegenüber Morden, Misshandlungen und anderen Formen von Gewalt gegen Sexarbeiterinnen. Die Sexarbeiterinnenbewegung von Lyon wehrte sich damit auch gegen die Stigmatisierung von SexarbeiterInnen und gegen die staatlich institutionalisierte Doppelmoral. (red)

http://diestandard.at/fs/r1192182008564/Prostitution

Das Ende der rechtlichen Diskriminierung von Sexarbeiterinnen können NUR SW und engagierte Außenstehende selbst aufheben !

LG Melly
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Melanie
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Beitrag von Melanie »

Prostitution ist sicher kein normaler Beruf, es ist m.E. ein Spezialberuf, für den man entweder gemacht ist oder nicht. Man muss in diesem Beruf vieles aushalten, der Beruf ist hart und stressig und mitunter recht gefährlich. Insofern ist klar, dass dieser Beruf auf keinen Fall eine Annahmepflicht beinhalten sollte. Kein Arbeitsamt der Welt sollte einen Menschen dazu zwingen als Sexarbeiter Geld zu verdienen. Wohl aber sollte es freiwilligen SexarbeiterInnen möglich sein, in einem möglichst schönen Ambiente zu arbeiten und Rechte zu geniessen.

Jahrzentelang kämpfte die Frauenbewegung völlig zurecht für wichtige gesellschaftliche Umwälzungen: für das Frauenwahlrecht, das Scheidungsrecht, die freie Berufswahl, gegen sexuelle Nötigung in der Ehe, gegen die verschiedensten anstössigen Formen von Gewalt gegen Frauen, für Gleichberechtigung und Chancengleichheit, aber vor allem auch für das Recht auf Selbstbestimmung und für das Recht auf den eigenen Körper. Gerade Letzteres wurde immer und immer wieder betont. "Mein Körper gehört mir !" wurde geschrien um das Recht auf Verhütung, Familienplanung und eben auch Abtreibung durchzusetzen. Doch wieso gilt das Recht auf den eigenen Körper und das damit verbundene Recht auf sexuelle Selbstbestimmung plötzlich nicht mehr, wenn Geld im Spiel ist ? Eine Frau hat das Recht sexuelle Dienstleistungen aller Art anzubieten. Eine Frau hat das Recht auf sexuelle Freiheit von Keuschheit bis zur Promiskuität. Eine Frau darf mehrere Männer haben oder auch keinen. Wieso aber sollte sie nicht mit Männern Sex haben und damit einen Teil ihres Lebensunterhaltes bestreiten ? Werden solche Frauen vielleicht als Gefahr angesehen ? Als Gefahr für die eigene Ehe ? Die Angst, dass der eigene Ehemann vielleicht woanders gegen Geld sich das holt, was er zuhause nicht bekommt ? Mag sein, aber diese Angst rechtfertigkeit keine Fremdbestimmung über anderer Leute Leben. Persönlich glaube ich, dass hier, bewusst oder unbewusst, noch eine alte, rigide Sexualmoral ihr Unwesen treibt. Ist es etwa ein Zufall, dass die gleichen Frauen auch liebend gerne Pornographie, sprich die gesamte Sexindustrie als solche, verbieten würden ? Eine latente Männer- und Sexualfeindlichkeit ist wohl leider nicht von der Hand zu weisen. Doch gottseidank gibt es auch Feministinnen, die das alles ganz anders sehen. Sex-positive Feministinnen reden vom Recht der Frauen auf Pornographie und Prostitution und marschieren nicht selten an der Seite von Sexarbeitern, die für ihre Rechte kämpfen.

Doch erstmal ein paar grundsätzliche Gedanken zum Thema der käuflichen Liebe. Prostitution gab es zu allen Zeiten in der Weltgeschichte und es wird sie wohl auch immer geben. Was müsste passieren damit es sie nicht mehr gäbe ? Jeder Mensch müsste jederzeit sexuell völlig befriedigt sein. Wie soll das möglich sein ? Es wird immer einsame Singles geben, Menschen, die nicht befriedigte sexuelle Bedürfnisse verspüren, Menschen auf der Suche nach neuen Kicks ... Eine Welt in der alle sexuell wunschlos glücklos sind, ist wohl leider utopisch. So wird es also auch immer eine entsprechende Nachfrage nach käuflichen sexuellen Dienstleistungen geben. Und wo eine Nachfrage ist, da findet sich auch immer ein Angebot, was nach nach der monetären Gegenleistung frohlockt. Eine Gegenleistung, die natürlich umso höher ist, je mehr Nachfrage es gibt und je knapper das Angebot ist.
Es muss also endlich jeder einsehen: Prostitution wird es immer geben, es ist die älteste Dienstleistung der Welt und niemand kann sie von der Erde tilgen.

http://www.sokrates.lu/?q=node/918
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