Theater: Wie Sexarbeit auf der Bühne behandelt wird
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"Halbe Stunde / 60 Euro"
Die Kölner Kabarettistin Ruth Schiffer widmete sich mit ihrem Programm „Halbe Stunde / 60 Euro“ einem uralten Thema.
Seitenhiebe auf die schnelle Liebe
RHEINE. Klassischer Einstieg: „Wie viele gibt es hier in Rheine? Na, Sie wissen schon!“ - „Ja, so zwei bis drei!“ Und schon war frau mitten im Beginn des Themas über die Anfänge eines menschheitsalten Bedürfnisses nach käuflicher Liebe. Und es sollte nun ein Parforce-Ritt durch vier Jahrtausende Prostitution folgen und deren kulturgeschichtlicher Bedeutung im 21. Jahrhundert. Denn am Freitagabend stand die Kölner Kabarettistin Ruth Schiffer mit ihrem Programm „Halbe Stunde / 60“ auf der Bühne des Tholi auf dem Thie.
Nicht auf ihre Kosten kommen sollten Wortvoyeure, die schlüpfrig-zotige Tiraden über diesen gewerblichen Liebesdienst erwartet hatten.
Stattdessen zunächst ein vergnüglich-ironisierender Rückblick in die Biologie: Von Winkerkrabben und Affen hin zu den Pinguinen, deren animalisches Vergnügen als Vorläufer heutiger Swingerclubs dienen könnte. Dann über die sexaktiven Neanderthaler, die sich sicherlich schon mit Prostitution ausgekannt haben müssen.
Weiter aufgezogen wurde dann der Rahmen, in den Ruth Schiffer die Konkubinen und Kurtisanen, die Zeiten der ersten bezahlten Liebe mit der Verfügbarkeit des Geldes in Mesopotamien und die mittelalterlichen Päpste mit ihren Bordellen stellte. In der Neuzeit angekommen, führte Schiffer geradezu eine Aktualitätsdebatte über die Akzeptanz der Prostitution. Hier wurde Alice Schwarzer mit der „Verhurung der Emanzipation“ zitiert, dort sich auf die gängige Rechtsprechung durch den Bundesgerichtshof vor gut zwanzig Jahren bezogen. Aber auch die heutige Schlepperpraxis aus Osteuropa, welche die Medien bereitwillig aufgreifen und auf ihre Weise auflagenmäßig davon profitieren, ebenso wie der Staat steuerlich, seitdem die Prostitution legalisiert ist.
[Falsch! Prostitution ist in Deutschland seit den 60er Jahren steuerpflichtig. Anm.]
Schließlich sei in diesem Milieu die Frau, so Ruth Schiffer, ihr bestes Kapital, welches eine Rendite abwerfen muss, denn noch immer gelte: Sex verkauft sich gut. Und dann der überraschende, dazwischen geschobene Blick auf Nachbarländer wie Dänemark oder die Niederlande, wie dort Krankenkassen mit Liebesdefiziten umgehen. Um dann von Westerwelle weg eine neue Sicht auf die Dreiteilung Dienst und Leistung und Gesellschaft zu werfen. Gewagt und herrlich skuril!
Dies war keine Vorlesung vor Jungakademikern im Hörsaal V, sondern vor einem kleinen, aufmerksamen Publikum, die szenisch und künstlerisch stringente, eloquente Beschreibung und süffisante Kommentierung eines alten Gewerbes. Ihrem Thema „Halbe Stunde / 60 Euro“ verlieh sie mit gezielten Kunstpausen, nie verletztender Lästerhaftigkeit, ausdrucksstarker Mimik, souveränem Eingehen auf Zwischenkommentare und humorig-stilvoll eingesetztem kölnischen Akzent eine Leichtigkeit, die bei den Zuhörern genügend Raum ließ für kopfnickendes, schmunzelndes Nachvollziehen ihrer Interpretation.
All das, bereichert durch vier Lieder über die vordergründige Liebe, teilweise kraftvoll und energisch mit lasziver Attitüde vorbetragen, war erlesenes Kabarett für ein geübtes Publikum.
Wilf Kiesow
http://www.bbv-net.de/lokales/kreis_ste ... Liebe.html
s.o. Kölner Stadt Anzeiger:
viewtopic.php?p=79236#79236
http://www.ruthschiffer.de/index.php/ha ... nde60.html
www.ruthSchiffer.de
Seitenhiebe auf die schnelle Liebe
RHEINE. Klassischer Einstieg: „Wie viele gibt es hier in Rheine? Na, Sie wissen schon!“ - „Ja, so zwei bis drei!“ Und schon war frau mitten im Beginn des Themas über die Anfänge eines menschheitsalten Bedürfnisses nach käuflicher Liebe. Und es sollte nun ein Parforce-Ritt durch vier Jahrtausende Prostitution folgen und deren kulturgeschichtlicher Bedeutung im 21. Jahrhundert. Denn am Freitagabend stand die Kölner Kabarettistin Ruth Schiffer mit ihrem Programm „Halbe Stunde / 60“ auf der Bühne des Tholi auf dem Thie.
Nicht auf ihre Kosten kommen sollten Wortvoyeure, die schlüpfrig-zotige Tiraden über diesen gewerblichen Liebesdienst erwartet hatten.
Stattdessen zunächst ein vergnüglich-ironisierender Rückblick in die Biologie: Von Winkerkrabben und Affen hin zu den Pinguinen, deren animalisches Vergnügen als Vorläufer heutiger Swingerclubs dienen könnte. Dann über die sexaktiven Neanderthaler, die sich sicherlich schon mit Prostitution ausgekannt haben müssen.
Weiter aufgezogen wurde dann der Rahmen, in den Ruth Schiffer die Konkubinen und Kurtisanen, die Zeiten der ersten bezahlten Liebe mit der Verfügbarkeit des Geldes in Mesopotamien und die mittelalterlichen Päpste mit ihren Bordellen stellte. In der Neuzeit angekommen, führte Schiffer geradezu eine Aktualitätsdebatte über die Akzeptanz der Prostitution. Hier wurde Alice Schwarzer mit der „Verhurung der Emanzipation“ zitiert, dort sich auf die gängige Rechtsprechung durch den Bundesgerichtshof vor gut zwanzig Jahren bezogen. Aber auch die heutige Schlepperpraxis aus Osteuropa, welche die Medien bereitwillig aufgreifen und auf ihre Weise auflagenmäßig davon profitieren, ebenso wie der Staat steuerlich, seitdem die Prostitution legalisiert ist.
[Falsch! Prostitution ist in Deutschland seit den 60er Jahren steuerpflichtig. Anm.]
Schließlich sei in diesem Milieu die Frau, so Ruth Schiffer, ihr bestes Kapital, welches eine Rendite abwerfen muss, denn noch immer gelte: Sex verkauft sich gut. Und dann der überraschende, dazwischen geschobene Blick auf Nachbarländer wie Dänemark oder die Niederlande, wie dort Krankenkassen mit Liebesdefiziten umgehen. Um dann von Westerwelle weg eine neue Sicht auf die Dreiteilung Dienst und Leistung und Gesellschaft zu werfen. Gewagt und herrlich skuril!
Dies war keine Vorlesung vor Jungakademikern im Hörsaal V, sondern vor einem kleinen, aufmerksamen Publikum, die szenisch und künstlerisch stringente, eloquente Beschreibung und süffisante Kommentierung eines alten Gewerbes. Ihrem Thema „Halbe Stunde / 60 Euro“ verlieh sie mit gezielten Kunstpausen, nie verletztender Lästerhaftigkeit, ausdrucksstarker Mimik, souveränem Eingehen auf Zwischenkommentare und humorig-stilvoll eingesetztem kölnischen Akzent eine Leichtigkeit, die bei den Zuhörern genügend Raum ließ für kopfnickendes, schmunzelndes Nachvollziehen ihrer Interpretation.
All das, bereichert durch vier Lieder über die vordergründige Liebe, teilweise kraftvoll und energisch mit lasziver Attitüde vorbetragen, war erlesenes Kabarett für ein geübtes Publikum.
Wilf Kiesow
http://www.bbv-net.de/lokales/kreis_ste ... Liebe.html
s.o. Kölner Stadt Anzeiger:
viewtopic.php?p=79236#79236
http://www.ruthschiffer.de/index.php/ha ... nde60.html
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Hamburg
George Berhard Shaw "Mrs Warren's Profession" (1893)
Die Komödie der perfekten Demaskierung
"Mrs Warren's Gewerbe" am English Theater in Frankfurt Hamburg
Lord Chamberlain, britischer Theaterzensor, lehnte "Mrs Warren's Gewerbe" für eine öffentliche Aufführung ab.
George Bernard Shaw hatte das schockierende Thema Prostitution und Ausbeutung dramatisiert. Das "scheinheilige britische Publikum", so Shaw, aber war um 1900 nicht empfänglich für derlei sozialkritische Attacken, in denen Frau Warren als geschäftstüchtige Bordellbetreiberin mit ihrer moralisch hochmütigen, akademisch gebildeten Tochter Vivie auf eine Stufe gestellt wird.
Heute lesen wir mit größtem Vergnügen die ebenso elegant wie spitzfindig formulierten Wortspielereien dieser Gesellschaftskomödie, die Heuchelei auf allen sozialen Ebenen aufdeckt.
Aus Shaws "Mrs Warren's Profession" destilliert Regisseur Julian Woolford im English Theatre den Kern des Stücks - Scheinheiligkeit und Egozentrik - perfekt heraus.
Mit einem jeden Charakter scharf zeichnenden, hoch professionellen Ensemble, setzt Woolford auf eine Dialogführung, die ohne Mätzchen den Witz, aber auch die Dramatik des Stücks herausarbeitet. Und er demaskiert die Protagonisten, die allesamt auch eine andere Seite haben als die, die sie reputierlich macht: Die äußerlich so ladylike wirkende Frau Warren (Jilly Bond) wird vulgär im Ton, wenn ihr etwas nicht passt, der scheinbar so distinguierte Lord Crofts (Christopher Knott) zeigt als Puffteilhaber sein brutales Gesicht, während Vivie (Jennifer Kidd) neben Liebreiz die Härte ihrer Mutter offenbart. Frank Gardner (Joel Sams) ist das, was er ist, ein charmanter Hallodri, während dessen priesterlich frommer Vater (Tony Stansfield) ein lockeres Vorleben hatte. David Alcock als schöngeistig verschwärmter Mr. Praed entzückt als Verehrer Vivies. In wunderschönen Kostümen (Patricia Royo) und stimmungsvoll englischem Ambiente (Mathias Wardeck) wird das English Theatre Shaw perfekt gerecht.
MN
http://www.welt.de/print/die_welt/wirts ... erung.html
Spielplan The English Theatre of Hamburg e.V.
http://new.heimat.de/ks/adressen/ausgab ... rtid=23409
http://en.wikipedia.org/wiki/Mrs._Warren%27s_Profession
.
Die Komödie der perfekten Demaskierung
"Mrs Warren's Gewerbe" am English Theater in Frankfurt Hamburg
Lord Chamberlain, britischer Theaterzensor, lehnte "Mrs Warren's Gewerbe" für eine öffentliche Aufführung ab.
George Bernard Shaw hatte das schockierende Thema Prostitution und Ausbeutung dramatisiert. Das "scheinheilige britische Publikum", so Shaw, aber war um 1900 nicht empfänglich für derlei sozialkritische Attacken, in denen Frau Warren als geschäftstüchtige Bordellbetreiberin mit ihrer moralisch hochmütigen, akademisch gebildeten Tochter Vivie auf eine Stufe gestellt wird.
Heute lesen wir mit größtem Vergnügen die ebenso elegant wie spitzfindig formulierten Wortspielereien dieser Gesellschaftskomödie, die Heuchelei auf allen sozialen Ebenen aufdeckt.
Aus Shaws "Mrs Warren's Profession" destilliert Regisseur Julian Woolford im English Theatre den Kern des Stücks - Scheinheiligkeit und Egozentrik - perfekt heraus.
Mit einem jeden Charakter scharf zeichnenden, hoch professionellen Ensemble, setzt Woolford auf eine Dialogführung, die ohne Mätzchen den Witz, aber auch die Dramatik des Stücks herausarbeitet. Und er demaskiert die Protagonisten, die allesamt auch eine andere Seite haben als die, die sie reputierlich macht: Die äußerlich so ladylike wirkende Frau Warren (Jilly Bond) wird vulgär im Ton, wenn ihr etwas nicht passt, der scheinbar so distinguierte Lord Crofts (Christopher Knott) zeigt als Puffteilhaber sein brutales Gesicht, während Vivie (Jennifer Kidd) neben Liebreiz die Härte ihrer Mutter offenbart. Frank Gardner (Joel Sams) ist das, was er ist, ein charmanter Hallodri, während dessen priesterlich frommer Vater (Tony Stansfield) ein lockeres Vorleben hatte. David Alcock als schöngeistig verschwärmter Mr. Praed entzückt als Verehrer Vivies. In wunderschönen Kostümen (Patricia Royo) und stimmungsvoll englischem Ambiente (Mathias Wardeck) wird das English Theatre Shaw perfekt gerecht.
MN
http://www.welt.de/print/die_welt/wirts ... erung.html
Spielplan The English Theatre of Hamburg e.V.
http://new.heimat.de/ks/adressen/ausgab ... rtid=23409
http://en.wikipedia.org/wiki/Mrs._Warren%27s_Profession
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8 Frauen
06.04.11
Acht Frauen und ein Freudenhaus
Alling - Mit der Aufführung der Kriminalkomödie „8 Frauen“ des französischen Schriftstellers Robert Thomas hat sich das Ensemble des Kultur- und Theatervereins (KTV) selbst übertroffen.
Regisseur Johannes Kalwa lobt vor allem die Disziplin, mit der die Schauspielerinnen gearbeitet haben. In relativ kurzer Zeit - es gab nur 33 Probeeinheiten inklusive Erarbeitung der Charaktere - stellten sie gemeinsam ein Stück von gut zwei Stunden auf die Beine, das sich sehen lassen kann.
Wunderbar gelungen ist die detailreiche Darstellung der einzelnen, sehr unterschiedlichen Charaktere. Die im Domina-Outfit agierende energische Nadja wird hervorragend von Kerstin Obermeier gespielt. Sie schafft es trotz umfangreichem, anspruchsvollem Text auch noch, den russischen Akzent durchzuhalten. Für Szenenapplaus sorgt immer wieder Katharina Eckstein als theatralische, sich ständig selbst bedauernde Augustine. Sonja Beyer spielt feinsinnig und eindrucksvoll die alkoholabhängige und zugleich geldgierige ältere Mamy. Das Dienstmädchen Louise wirkt herrlich durchtrieben und zugleich vermeintlich harmlos durch Christina Stengel. Wie alle anderen zeigen Gaby Mack (Chanel) und Tanja Winkler (Susanne) große Bühnenpräsenz - auch wenn sie gerade keinen Text sprechen. Die beiden Neuzugänge beim KTV, Daniela Jäger (Manon) und die junge Patricia Contro (Catherine), überzeugen bei ihrem Debüt. Man darf hoffen, sie auch zukünftig zu sehen. Ein Lob gebührt Gila Eckstein für ein gelungenes Bühnenbild und die herrlich frivole Kostümausstattung.
„8 Frauen“ lief 2002 als hochkarätig besetzter Film des französischen Regisseurs Francois Ozon in den Kinos. Zur bewussten Abgrenzung transportierte Kalwa die ursprüngliche Geschichte einer Großfamilie, die in einem Landhaus spielt, in ein abgelegenes Bordell, das von Huren und ihrem „Daddy“ Marcel bewohnt wird. Auf das Freudenhaus kam Kalwa, weil es in diesem Milieu eine gewisse Stutenbissigkeit gebe, die den Charakteren entspräche: Konkurrenzkampf um Kunden gepaart mit vordergründiger Familiarität.
Die Aufführung im Pfarrheim stellte dabei kein Hindernis dar. Auch die Darstellerinnen hatten laut Kalwa kein Problem damit, eine derartige Rolle zu verkörpern - in einem kleinen Ort, in dem jeder jeden kennt. Ihm war es wichtig, dass die Inszenierung trotz des Umfelds nicht ins Ordinäre abgleitet und es ein familientaugliches Theaterstück bleibt.
http://www.merkur-online.de/lokales/lan ... 92594.html
Acht Frauen und ein Freudenhaus
Alling - Mit der Aufführung der Kriminalkomödie „8 Frauen“ des französischen Schriftstellers Robert Thomas hat sich das Ensemble des Kultur- und Theatervereins (KTV) selbst übertroffen.
Regisseur Johannes Kalwa lobt vor allem die Disziplin, mit der die Schauspielerinnen gearbeitet haben. In relativ kurzer Zeit - es gab nur 33 Probeeinheiten inklusive Erarbeitung der Charaktere - stellten sie gemeinsam ein Stück von gut zwei Stunden auf die Beine, das sich sehen lassen kann.
Wunderbar gelungen ist die detailreiche Darstellung der einzelnen, sehr unterschiedlichen Charaktere. Die im Domina-Outfit agierende energische Nadja wird hervorragend von Kerstin Obermeier gespielt. Sie schafft es trotz umfangreichem, anspruchsvollem Text auch noch, den russischen Akzent durchzuhalten. Für Szenenapplaus sorgt immer wieder Katharina Eckstein als theatralische, sich ständig selbst bedauernde Augustine. Sonja Beyer spielt feinsinnig und eindrucksvoll die alkoholabhängige und zugleich geldgierige ältere Mamy. Das Dienstmädchen Louise wirkt herrlich durchtrieben und zugleich vermeintlich harmlos durch Christina Stengel. Wie alle anderen zeigen Gaby Mack (Chanel) und Tanja Winkler (Susanne) große Bühnenpräsenz - auch wenn sie gerade keinen Text sprechen. Die beiden Neuzugänge beim KTV, Daniela Jäger (Manon) und die junge Patricia Contro (Catherine), überzeugen bei ihrem Debüt. Man darf hoffen, sie auch zukünftig zu sehen. Ein Lob gebührt Gila Eckstein für ein gelungenes Bühnenbild und die herrlich frivole Kostümausstattung.
„8 Frauen“ lief 2002 als hochkarätig besetzter Film des französischen Regisseurs Francois Ozon in den Kinos. Zur bewussten Abgrenzung transportierte Kalwa die ursprüngliche Geschichte einer Großfamilie, die in einem Landhaus spielt, in ein abgelegenes Bordell, das von Huren und ihrem „Daddy“ Marcel bewohnt wird. Auf das Freudenhaus kam Kalwa, weil es in diesem Milieu eine gewisse Stutenbissigkeit gebe, die den Charakteren entspräche: Konkurrenzkampf um Kunden gepaart mit vordergründiger Familiarität.
Die Aufführung im Pfarrheim stellte dabei kein Hindernis dar. Auch die Darstellerinnen hatten laut Kalwa kein Problem damit, eine derartige Rolle zu verkörpern - in einem kleinen Ort, in dem jeder jeden kennt. Ihm war es wichtig, dass die Inszenierung trotz des Umfelds nicht ins Ordinäre abgleitet und es ein familientaugliches Theaterstück bleibt.
http://www.merkur-online.de/lokales/lan ... 92594.html
I wouldn't say I have super-powers so much as I live in a world where no one seems to be able to do normal things.
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Re: 8 Frauen

Na wenn hier Prostitution mit 'herrlich frivoler Kostümausstattung' im Pfarrheim aufeinmal 'familientauglich' ist, dann möchten wir nicht wirklich genauer wissen, wie die Charaktere ausgearbeitet sind...Die Aufführung im Pfarrheim stellte dabei kein Hindernis dar.
herrlich frivole Kostümausstattung
Auch die Darstellerinnen hatten laut Kalwa kein Problem damit, eine derartige Rolle zu verkörpern - in einem kleinen Ort, in dem jeder jeden kennt. Ihm war es wichtig, dass ... es ein familientaugliches Theaterstück bleibt.
- theatralische, sich ständig selbst bedauernd
- alkoholabhängig und geldgierig
- energisch russische Domina
- stutenbissige Konkurrenz mit vordergründiger Familiarität
Prostitution als Negativschablone
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RE: Theater: Wie Sexarbeit auf der Bühne behandelt wird
Naja, man sollte nicht vergessen, dass sich das ganze um eine (Laien/Lokal) Kritik einer (bewussten) Laienproduktion handelt.
Ich denke, man sollte hier die Einschätzung nicht überbewerten - die Figuren kommen auch durch die Transposition ins "Rotlicht" nicht schlechter weg als ohnehin schon im Originaltext.
Die Verschiebung der (inzwischen reichtlich verstaubten) Geschichte von einem einsamen Landhaus in ein Etablissement am Rande der Stadt diente nicht dazu, ein "Negativbeispiel" zu schaffen, oder abstoßende Figuren darzustellen - was in der Tat auch nicht passiert ist - sondern war Folge einer gezielten Modernisierung und eines Entstaubungsprozesses.
Die Umsetzung im "Nobelpuff", die Entfernung von praktisch allen familiären Verbindungen der Originalkonstellation und die Situation eines von einem Mann geführten Betriebs, in dem sich außer dem Mann (und einem mysteriösen Investor) nur Frauen verdingen, legte die Assoziation zur Situation eines "Landhauspuffs" nahe.
In der Tat wurde gerade weil es "ein Familienabend" geblieben ist einer "Verschmuddelung" der ganzen Thematik vorgebeugt. Auf billige Effekthascherei, zu viel (oder praktisch überhaupt vorkommende) nackte Haut wurde verzichtet, pornographische oder explizite Darstellungen oder entsprechend möglicher Wandschmuck spielte keine Rolle - statt dessen wurde ein stilvolles Ambiente geschaffen, und das ganze in einen "Showroom" mit Bar verlegt.
Das ganze spielt folglich auch nicht während des laufenden Betriebs des Hauses, sondern zu einer Zeit, in der die Damen "privat" zusammenkommen, um in gewohnter, eigentlich familiär angehauchter Atmosphäre, zu feiern - bis der Mord dazwischenkommt, und die Bande und Verbindungen der Damen untereinander auflöst und ihre Lügen, ihre Motive und Geschichten auffliegen.
Dass die Figuren trotz allem boulevardesk überzeichnet wurden, liegt in der Natur der Dinge: es ist ein Boulevard Theaterstück, eine Kriminalkomödie.
In diesem Sinne:
Dass die resolute Hausherrin zur Domina mit russischem Akzent wird, das Hausmädchen zur blonden Giftspritze, die im Hausmädchen Look ihr Geld verdient, aus der alten Mamy eine alternde Hure im Moulin Rouge Stil, aus Pierette (=Manon) eine exotische, selbstbewusste Frau, die auf eigenen Beinen steht und weiß, Männer am ausgestreckten Arm verhungern zu lassen ... diese Figuren sind (übrigens mit kompletter Vita und Exit Strategie) in der Tat sehr fein ausgearbeitet, für ein Laienprojekt außergewöhnlich detailliert und nuanciert.
Dem Vorredner sei empfohlen, sich vor der isolierten Betrachtung eines Zeitungsartikels (eines Lokalteils) mit dem tatsächlichen Thema (oder Stück) und ggf. mit Textvorlage etc. auseinanderzusetzen - die "negativen" Eigenschaften der Figuren (Geldgier, Trunksucht, etc) liegen zum Großteil in der Struktur des Stückes.
"Die 8 Frauen" war zweifelsohne kein Sozialisationsdrama, um professionelle Sexarbeit in einem Umfeld wie dem oberbayerischen Alling zu etablieren oder zu diskutieren - das war auch nicht der Ansatz des Projekts. Dennoch ist es (gerade auch für den KTV, ich selbst bin nur als Gast-Regisseur engagiert gewesen, und hatte nichts zu verlieren) gerade auch weil es in einem (katholischen) Pfarrheim als Spielort angesiedelt war, ein sehr spannendes Projekt, und ein Stück weit auch ein mutiger Schritt.
Es war eine Komödie - eine Boulevardkriminalkomödie - die es, trotz aller Vorbehalte im ländlichen Raum gegenüber "Rotlicht" und "Bordellen", geschafft hat, ein bisschen Berührungsangst zum Thema (nicht zum Etablissement oder Job an sich, soweit will ich gar nicht gehen) abzubauen, zumindest bei meinen Darstellern und den Personen im Umfeld, aber auch bei dem ein oder anderen Zuschauer habe ich ein ernstgemeint aufrichtiges Interesse am Metier festgestellt (nicht als Kunde, aber wir haben uns mit dem Thema auseinandergesetzt).
Zu guter Letzt:
Ein Boulevardtheaterstück ist keine "Real Life" Doku. Will es nicht sein, und will auch nicht als solche verstanden werden. Dass irgendjemand aus dem Abend rausgegangen ist, und das Gefühl hatte, irgend eine der Damen hätte sich so verhalten , wie sie sich verhalten hat, weil sie "eine Professionelle" ist, kann ich mir jedoch nicht vorstellen.
Das Umfeld im "Maison Marcel" hat den Rahmen geliefert, die Erklärung für die Rivalität der Figuren untereinander, die Beziehung, die sie zum Mordopfer hatten, und hat einen Rahmen geliefert. Im Mittelpunkt standen aber die Damen an sich, jede mit ihrer eigenen Geschichte, jede mit ihren eigenen Geheimnissen.
Aber schön, dass auch eine 3000 Seelen Gemeinde wie Alling so viel Beachtung findet, dass wir diskussionswürdig sind.
Viele Grüße
der Regisseur
Ich denke, man sollte hier die Einschätzung nicht überbewerten - die Figuren kommen auch durch die Transposition ins "Rotlicht" nicht schlechter weg als ohnehin schon im Originaltext.
Die Verschiebung der (inzwischen reichtlich verstaubten) Geschichte von einem einsamen Landhaus in ein Etablissement am Rande der Stadt diente nicht dazu, ein "Negativbeispiel" zu schaffen, oder abstoßende Figuren darzustellen - was in der Tat auch nicht passiert ist - sondern war Folge einer gezielten Modernisierung und eines Entstaubungsprozesses.
Die Umsetzung im "Nobelpuff", die Entfernung von praktisch allen familiären Verbindungen der Originalkonstellation und die Situation eines von einem Mann geführten Betriebs, in dem sich außer dem Mann (und einem mysteriösen Investor) nur Frauen verdingen, legte die Assoziation zur Situation eines "Landhauspuffs" nahe.
In der Tat wurde gerade weil es "ein Familienabend" geblieben ist einer "Verschmuddelung" der ganzen Thematik vorgebeugt. Auf billige Effekthascherei, zu viel (oder praktisch überhaupt vorkommende) nackte Haut wurde verzichtet, pornographische oder explizite Darstellungen oder entsprechend möglicher Wandschmuck spielte keine Rolle - statt dessen wurde ein stilvolles Ambiente geschaffen, und das ganze in einen "Showroom" mit Bar verlegt.
Das ganze spielt folglich auch nicht während des laufenden Betriebs des Hauses, sondern zu einer Zeit, in der die Damen "privat" zusammenkommen, um in gewohnter, eigentlich familiär angehauchter Atmosphäre, zu feiern - bis der Mord dazwischenkommt, und die Bande und Verbindungen der Damen untereinander auflöst und ihre Lügen, ihre Motive und Geschichten auffliegen.
Dass die Figuren trotz allem boulevardesk überzeichnet wurden, liegt in der Natur der Dinge: es ist ein Boulevard Theaterstück, eine Kriminalkomödie.
In diesem Sinne:
Dass die resolute Hausherrin zur Domina mit russischem Akzent wird, das Hausmädchen zur blonden Giftspritze, die im Hausmädchen Look ihr Geld verdient, aus der alten Mamy eine alternde Hure im Moulin Rouge Stil, aus Pierette (=Manon) eine exotische, selbstbewusste Frau, die auf eigenen Beinen steht und weiß, Männer am ausgestreckten Arm verhungern zu lassen ... diese Figuren sind (übrigens mit kompletter Vita und Exit Strategie) in der Tat sehr fein ausgearbeitet, für ein Laienprojekt außergewöhnlich detailliert und nuanciert.
Dem Vorredner sei empfohlen, sich vor der isolierten Betrachtung eines Zeitungsartikels (eines Lokalteils) mit dem tatsächlichen Thema (oder Stück) und ggf. mit Textvorlage etc. auseinanderzusetzen - die "negativen" Eigenschaften der Figuren (Geldgier, Trunksucht, etc) liegen zum Großteil in der Struktur des Stückes.
"Die 8 Frauen" war zweifelsohne kein Sozialisationsdrama, um professionelle Sexarbeit in einem Umfeld wie dem oberbayerischen Alling zu etablieren oder zu diskutieren - das war auch nicht der Ansatz des Projekts. Dennoch ist es (gerade auch für den KTV, ich selbst bin nur als Gast-Regisseur engagiert gewesen, und hatte nichts zu verlieren) gerade auch weil es in einem (katholischen) Pfarrheim als Spielort angesiedelt war, ein sehr spannendes Projekt, und ein Stück weit auch ein mutiger Schritt.
Es war eine Komödie - eine Boulevardkriminalkomödie - die es, trotz aller Vorbehalte im ländlichen Raum gegenüber "Rotlicht" und "Bordellen", geschafft hat, ein bisschen Berührungsangst zum Thema (nicht zum Etablissement oder Job an sich, soweit will ich gar nicht gehen) abzubauen, zumindest bei meinen Darstellern und den Personen im Umfeld, aber auch bei dem ein oder anderen Zuschauer habe ich ein ernstgemeint aufrichtiges Interesse am Metier festgestellt (nicht als Kunde, aber wir haben uns mit dem Thema auseinandergesetzt).
Zu guter Letzt:
Ein Boulevardtheaterstück ist keine "Real Life" Doku. Will es nicht sein, und will auch nicht als solche verstanden werden. Dass irgendjemand aus dem Abend rausgegangen ist, und das Gefühl hatte, irgend eine der Damen hätte sich so verhalten , wie sie sich verhalten hat, weil sie "eine Professionelle" ist, kann ich mir jedoch nicht vorstellen.
Das Umfeld im "Maison Marcel" hat den Rahmen geliefert, die Erklärung für die Rivalität der Figuren untereinander, die Beziehung, die sie zum Mordopfer hatten, und hat einen Rahmen geliefert. Im Mittelpunkt standen aber die Damen an sich, jede mit ihrer eigenen Geschichte, jede mit ihren eigenen Geheimnissen.
Aber schön, dass auch eine 3000 Seelen Gemeinde wie Alling so viel Beachtung findet, dass wir diskussionswürdig sind.
Viele Grüße
der Regisseur
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- Goldstück
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Den Film (mit Cathérine Deneuve) habe ich einmal gesehen & die Idee, die Handlung in einen Edelpuff zu transponieren, finde ich einleuchtend. Der Grund ist, dass es um (acht) Frauen geht und ein Beziehungs-Oktogon: und was ist mehr feminin als ein Puff.
Gratulation also an den Regisseur und an die 3.000-Seelen-Gemeinde, dass sie so etwas auf die Beine gestellt hat!
Gratulation also an den Regisseur und an die 3.000-Seelen-Gemeinde, dass sie so etwas auf die Beine gestellt hat!
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- SW Analyst
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- Registriert: 01.08.2006, 14:30
- Ich bin: Keine Angabe
Wenn Prostitution im Pfarrhaus zum Thema wird
Danke für die Hintergrundinformation zur Entstehung des Stücks.
Klar, wir interessieren uns hier im intl. Sexworker Forum für alles rund um unsere Profession und müssen dabei oft erleben, wie knisternde Halbwahrheiten reproduziert und weitergetragen werden, weil Sexarbeit nach wie vor ausgegrenzt, tabuisiert, fehlinterpretiert und teilweise kriminalisiert wird. So gerät sie fast zwangsläufig zur vieldeutig bespielbaren Projektionsfläche oder darf als würzend-anregende Amüsements-Kulisse herhalten.
Heute noch, viele Jahre nach Liberalisierung des Prostitutionsrechts, ist der überwiegende Raum von Flächenstaaten totaler Sperrezirk mit Niederlassungsverbot für Sexworker. Für Baden-Württemberg sind das in Zahlen 95,9% aller Gemeinden = 89,3% der Landesfläche = 64% der Einwohner, die im Gebiet mit totalem Prostitutionsverbot leben. "Landhauspuffs" existieren somit in der Regel ohne jegliche Rechtsgrundlage und werden -in bester Manier von Doppelmoral- nur geduldet. Dies sind dann die real existierenden Rahmenbedingung für die vielfach prekären Arbeitsbedingungen, die wiederum Thema kirchlicher Kreise und Entrüstungen sind.
Die Medien ihrerseits leben von zugespitzt-boulevardesken Darstellungen, die Gesellschaft braucht ihre Antihelden oder einen Sündenbock und Schauspieler reißen sich um Outsider-Rollen in denen sie sich im geschützen Rahmen einer befristeten Produktion abarbeiten können.
Dass Sexworker selbst spielen ist leider viel zu selten:
Berlin www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?t=7051
Australien www.debbydoesntdoitforfree.org
War es nicht Walter Benjamin, der die Universalität von Prostitution in der heutigen Zeit abermals konstatierte, wo keiner und nichts mehr überleben kann, wer sich nicht auf die Kunst der Anpreisung um zu verkaufen versteht? (Ausgenommen wohl nur diejenigen, die sich bereits vollständig einem Versorgungswerk zugewandt haben wie Beamte dem Staat oder Pfarrer der Kirche).
Wenn ich deine Ausführungen als Gast-Regisseur richtig interpretiere ging es letztlich in dem Stück gar nicht um Prostitution, sondern um allgemein menschliche Themen und Charakterkonstellationen. Der Spielort Bordell bzw. die Rolle Prostituierte sind nur Chiffre einer topologischen Schwelle zum Kern des Menschseins. Aber genau das kennzeichnet unseren einmaligen und uralten Beruf. Man trifft in der Prostitution und im Bordell eben nicht nur "Freier und Prostituierte" sondern in erster Linie Menschen. Sie zeigen sich einem bisweilen so offen, nackt und ehrlich wie es ein Dramatiker nicht besser herausarbeiten könnte.
.
Klar, wir interessieren uns hier im intl. Sexworker Forum für alles rund um unsere Profession und müssen dabei oft erleben, wie knisternde Halbwahrheiten reproduziert und weitergetragen werden, weil Sexarbeit nach wie vor ausgegrenzt, tabuisiert, fehlinterpretiert und teilweise kriminalisiert wird. So gerät sie fast zwangsläufig zur vieldeutig bespielbaren Projektionsfläche oder darf als würzend-anregende Amüsements-Kulisse herhalten.
Heute noch, viele Jahre nach Liberalisierung des Prostitutionsrechts, ist der überwiegende Raum von Flächenstaaten totaler Sperrezirk mit Niederlassungsverbot für Sexworker. Für Baden-Württemberg sind das in Zahlen 95,9% aller Gemeinden = 89,3% der Landesfläche = 64% der Einwohner, die im Gebiet mit totalem Prostitutionsverbot leben. "Landhauspuffs" existieren somit in der Regel ohne jegliche Rechtsgrundlage und werden -in bester Manier von Doppelmoral- nur geduldet. Dies sind dann die real existierenden Rahmenbedingung für die vielfach prekären Arbeitsbedingungen, die wiederum Thema kirchlicher Kreise und Entrüstungen sind.
Die Medien ihrerseits leben von zugespitzt-boulevardesken Darstellungen, die Gesellschaft braucht ihre Antihelden oder einen Sündenbock und Schauspieler reißen sich um Outsider-Rollen in denen sie sich im geschützen Rahmen einer befristeten Produktion abarbeiten können.
Dass Sexworker selbst spielen ist leider viel zu selten:
Berlin www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?t=7051
Australien www.debbydoesntdoitforfree.org
War es nicht Walter Benjamin, der die Universalität von Prostitution in der heutigen Zeit abermals konstatierte, wo keiner und nichts mehr überleben kann, wer sich nicht auf die Kunst der Anpreisung um zu verkaufen versteht? (Ausgenommen wohl nur diejenigen, die sich bereits vollständig einem Versorgungswerk zugewandt haben wie Beamte dem Staat oder Pfarrer der Kirche).
Wenn ich deine Ausführungen als Gast-Regisseur richtig interpretiere ging es letztlich in dem Stück gar nicht um Prostitution, sondern um allgemein menschliche Themen und Charakterkonstellationen. Der Spielort Bordell bzw. die Rolle Prostituierte sind nur Chiffre einer topologischen Schwelle zum Kern des Menschseins. Aber genau das kennzeichnet unseren einmaligen und uralten Beruf. Man trifft in der Prostitution und im Bordell eben nicht nur "Freier und Prostituierte" sondern in erster Linie Menschen. Sie zeigen sich einem bisweilen so offen, nackt und ehrlich wie es ein Dramatiker nicht besser herausarbeiten könnte.
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Abgrenzung vs. Aufklärung
Skandal im Hörsaal: Die Sexworker-Art-Show und die US-Universitäten
Whores On Campus: The Sex Worker Arts Show Controversy
Jayne Swift
In: “Wagadu - feminist on-line magazine” Volume 8 Fall 2010
Jayne Swift recently completed her M.A. in Cultural Studies at the University of Washington and is currently pursuing doctoral work--where she hopes to continue studying and researching the "strange meeting" of commercial sexuality and academic knowledge.
In 2008, the College of William and Mary forced performers in a touring art show (and their student sponsors) to sign a contract described by the ACLU as discriminatory and unconstitutional.
This contract required the art show to comply with state obscenity laws, despite the fact that these laws contained an express exception for performances at institutions of higher education. The contract was aimed only at one group: The Sex Workers’ Arts Show.
Created by former sex worker and sex workers’ rights activist Annie Oakley in an attempt to demystify sex work, the Arts Show was a forum in which the cultural meanings of “sex worker,” were redefined and celebrated by those who work in the industry. The Arts Show toured college campuses across the U.S. from 1998-2009, leaving a trail of controversy in its wake.
Many protested the Arts Show as a step on the slippery slope to moral ruin of “innocent” student bodies. The protests involved citizens, alumni and state legislators, who decried the show for, in the words of Delegate Mark Cole, “turning the public property of the College into a bawdy house venue for pimps, prostitutes and dominatrix.” These protests reached a national scale, with conservative news personalities such as Laura Ingraham deriding Annie Oakley on FOX news. Moreover, the controversy over the Arts Show followed it to other college campuses— including Duke and Virginia Commonwealth University. These protests became nothing short of moral panics, compressing cultural anger and anxiety onto the presumed outsider: the scapegoated sex worker.
Critics, unwittingly, framed the Art Show as a challenge to the integrity of academic space, due to the Art Show’s frank depiction of commercial sex cultures. For instance, Jo Weldon’s contributions included teaching an audience member how to dance and twirl tassels, while joking she went to graduate school because she wanted to keep stripping. Weldon’s piece points to the pedagogical potential of the Arts Show and hints at the anxieties that fuelled critics’ attempts to separate commercial sexuality from educational institutions. Yet, university departments and student groups frequently invited and allocated student funds for the Art Show (15 out of 32 shows in the 2008 tour took place on college campuses). The fact that students may now be asked to attend events and read texts that feature insider views’ of sex work suggests larger changes in the cultural climate of academia regarding issues of commercial sexuality.
How do we explain this seeming paradox? The Art Show was continually invited into the hallowed halls of academia and often met with resistance for entering. The Art Show’s presence on college campuses functioned to raise questions about the possibilities of sex worker participation in academic communities. The controversy over the Sex Workers’ Art Show dramatizes the epistemic and ontological threats that sex workers are seen as posing to institutions of higher education. These controversies demonstrate the need for greater inquiry into sex workers experiences in academic spaces as well as an acknowledgment of the ways in which we, as sex workers, are already shaping academic knowledge and communities.
www.sexworkersArtshow.com
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Whores On Campus: The Sex Worker Arts Show Controversy
Jayne Swift
In: “Wagadu - feminist on-line magazine” Volume 8 Fall 2010
Jayne Swift recently completed her M.A. in Cultural Studies at the University of Washington and is currently pursuing doctoral work--where she hopes to continue studying and researching the "strange meeting" of commercial sexuality and academic knowledge.
In 2008, the College of William and Mary forced performers in a touring art show (and their student sponsors) to sign a contract described by the ACLU as discriminatory and unconstitutional.
This contract required the art show to comply with state obscenity laws, despite the fact that these laws contained an express exception for performances at institutions of higher education. The contract was aimed only at one group: The Sex Workers’ Arts Show.
Created by former sex worker and sex workers’ rights activist Annie Oakley in an attempt to demystify sex work, the Arts Show was a forum in which the cultural meanings of “sex worker,” were redefined and celebrated by those who work in the industry. The Arts Show toured college campuses across the U.S. from 1998-2009, leaving a trail of controversy in its wake.
Many protested the Arts Show as a step on the slippery slope to moral ruin of “innocent” student bodies. The protests involved citizens, alumni and state legislators, who decried the show for, in the words of Delegate Mark Cole, “turning the public property of the College into a bawdy house venue for pimps, prostitutes and dominatrix.” These protests reached a national scale, with conservative news personalities such as Laura Ingraham deriding Annie Oakley on FOX news. Moreover, the controversy over the Arts Show followed it to other college campuses— including Duke and Virginia Commonwealth University. These protests became nothing short of moral panics, compressing cultural anger and anxiety onto the presumed outsider: the scapegoated sex worker.
Critics, unwittingly, framed the Art Show as a challenge to the integrity of academic space, due to the Art Show’s frank depiction of commercial sex cultures. For instance, Jo Weldon’s contributions included teaching an audience member how to dance and twirl tassels, while joking she went to graduate school because she wanted to keep stripping. Weldon’s piece points to the pedagogical potential of the Arts Show and hints at the anxieties that fuelled critics’ attempts to separate commercial sexuality from educational institutions. Yet, university departments and student groups frequently invited and allocated student funds for the Art Show (15 out of 32 shows in the 2008 tour took place on college campuses). The fact that students may now be asked to attend events and read texts that feature insider views’ of sex work suggests larger changes in the cultural climate of academia regarding issues of commercial sexuality.
How do we explain this seeming paradox? The Art Show was continually invited into the hallowed halls of academia and often met with resistance for entering. The Art Show’s presence on college campuses functioned to raise questions about the possibilities of sex worker participation in academic communities. The controversy over the Sex Workers’ Art Show dramatizes the epistemic and ontological threats that sex workers are seen as posing to institutions of higher education. These controversies demonstrate the need for greater inquiry into sex workers experiences in academic spaces as well as an acknowledgment of the ways in which we, as sex workers, are already shaping academic knowledge and communities.
www.sexworkersArtshow.com
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Zuletzt geändert von Marc of Frankfurt am 13.06.2011, 09:46, insgesamt 1-mal geändert.
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Sex Work Culture
Benefiz - San Francisco
zugunsten Sexworker Drop In Health Care Center
www.stJamesInfirmary.org
und Sexworker Film Festival
www.bayswan.org/swfest.html
San Francisco

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RE: Theater: Wie Sexarbeit auf der Bühne behandelt wird
Berlin *** Theater
Freitag, 10. Juni 11, (20:30) bis Samstag, 11. Juni 11 (20:30)
Puff (Russisch-Römische Sauna)
von Gabriel Barylli / präsentiert vom clubtheater-berlin
Martin ist erfolgreicher Manager. Er lebt zwischen Meetings, das Handy in der Hand, Rolex am Arm, Leere im Herzen. Wenn er seine knapp bemessene Zeit mit einer Frau verbringt, muß auch sie ein Profi sein, auf jeden Fall das Allerbeste. Die Empfehlung seines Freundes lautet: Mariia – die ultimative Lösung. Martin ist auf eine Prostituierte eingestellt, die alles Unnötige weglässt, nichts außer Geld von ihm verlangt.
Plötzlich ist da eine Frau, die zuhört, die ihn versteht, die die große Lüge seines Lebens durchschaut. Ihr kann er sagen, worunter er leidet, ihr kann er seine Sicht der Welt erzählen. Und so verliebt er sich in sie und glaubt sich wieder geliebt.
Schauspiel: Andrea Pani Laura, Michael Siller
Regie: Stefan Neugebauer
Regieassistenz: Alfio Furnari
Verlag: Sessler Verlag Wien
Eintritt: 15,- € / erm. 10.– €
http://www.stadtbad-steglitz.de/termin. ... ee1be0c6a0
Freitag, 10. Juni 11, (20:30) bis Samstag, 11. Juni 11 (20:30)
Puff (Russisch-Römische Sauna)
von Gabriel Barylli / präsentiert vom clubtheater-berlin
Martin ist erfolgreicher Manager. Er lebt zwischen Meetings, das Handy in der Hand, Rolex am Arm, Leere im Herzen. Wenn er seine knapp bemessene Zeit mit einer Frau verbringt, muß auch sie ein Profi sein, auf jeden Fall das Allerbeste. Die Empfehlung seines Freundes lautet: Mariia – die ultimative Lösung. Martin ist auf eine Prostituierte eingestellt, die alles Unnötige weglässt, nichts außer Geld von ihm verlangt.
Plötzlich ist da eine Frau, die zuhört, die ihn versteht, die die große Lüge seines Lebens durchschaut. Ihr kann er sagen, worunter er leidet, ihr kann er seine Sicht der Welt erzählen. Und so verliebt er sich in sie und glaubt sich wieder geliebt.
Schauspiel: Andrea Pani Laura, Michael Siller
Regie: Stefan Neugebauer
Regieassistenz: Alfio Furnari
Verlag: Sessler Verlag Wien
Eintritt: 15,- € / erm. 10.– €
http://www.stadtbad-steglitz.de/termin. ... ee1be0c6a0
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- PlatinStern
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- Ich bin: ehemalige SexarbeiterIn
RE: Theater: Wie Sexarbeit auf der Bühne behandelt wird
Im Repertoire der Kleinen Nachtrevue
Nada Niente ist auch eine Chorfrau in LULU und sie singt und performt ganz grossartig. Ich war im Glauben, ihre Show hier schon verlinkt zu haben, offenbar ein Irrtum. Daher nachgereicht:
Burleske Huren rauf und runter
Nada Njiente und Sylvia Schmid singen und tanzen sich durch die Betten - quer durch die Jahrhunderte bis in die heutige Zeit, von der Straßendirne bis zur Edelhure. Unter anderem mit Texten von Pietro Aretino, Francois Villon, Erich Kästner und Bertolt Brecht werden die unterschiedlichsten Arten von Hetären gesanglich und getanzt präsentiert.
Eine Show um das älteste Gewerbe der Welt, mal amüsant, mal nachdenklich, mal leicht, mal provokativ oder tiefsinnig. Die Hure ist so vielseitig wie kaum eine andere, und für jeden ist was dabei, wie im "wirklichen Leben". Die beiden Schauspielerinnen Nada Njiente und Sylvia Schmid mimen die Damen des horizontalen Gewerbes, die musikalisch von Dietrich Bartsch / Sascha Mersch beschützt werden.
Die nächste Vorstellung: 29. Juni 2011 um 21h

Weitere Shows wie "Zilles Hurengespräche", "Anleitung zur Domina" uvm. sind ebenfalls grosse klasse. Nicht verpassen beim nächsten Berlin-Aufenthalt.
Liebe Grüße
Ariane
Nada Niente ist auch eine Chorfrau in LULU und sie singt und performt ganz grossartig. Ich war im Glauben, ihre Show hier schon verlinkt zu haben, offenbar ein Irrtum. Daher nachgereicht:
Burleske Huren rauf und runter
Nada Njiente und Sylvia Schmid singen und tanzen sich durch die Betten - quer durch die Jahrhunderte bis in die heutige Zeit, von der Straßendirne bis zur Edelhure. Unter anderem mit Texten von Pietro Aretino, Francois Villon, Erich Kästner und Bertolt Brecht werden die unterschiedlichsten Arten von Hetären gesanglich und getanzt präsentiert.
Eine Show um das älteste Gewerbe der Welt, mal amüsant, mal nachdenklich, mal leicht, mal provokativ oder tiefsinnig. Die Hure ist so vielseitig wie kaum eine andere, und für jeden ist was dabei, wie im "wirklichen Leben". Die beiden Schauspielerinnen Nada Njiente und Sylvia Schmid mimen die Damen des horizontalen Gewerbes, die musikalisch von Dietrich Bartsch / Sascha Mersch beschützt werden.
Die nächste Vorstellung: 29. Juni 2011 um 21h

Weitere Shows wie "Zilles Hurengespräche", "Anleitung zur Domina" uvm. sind ebenfalls grosse klasse. Nicht verpassen beim nächsten Berlin-Aufenthalt.
Liebe Grüße
Ariane
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- Ich bin: Keine Angabe
Doch, Du hast uns schon mal darauf aufmerksam gemacht.
Hier der Link:
http://www.kleine-nachtrevue.de/
Nadja Niente
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http://www.kleine-nachtrevue.de/
Nadja Niente
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- Ich bin: SexarbeiterIn
23.9.2011
Jestetter Amateurtheater spielt das frivole Stück „Monsieur Amédée“ acht Mal
Jestetten (sf) Das Amateurtheater Lüüchte aus Jestetten begeistert seit vielen Jahren in der Region mit hervorragend arrangiertem Theater, besonders mit den beliebten Boulevard-Stücken. Das professionelle Ensemble hat jedes Jahr Gastspiele in Lottstetten, Hallau (CH) und im Ali-Theater in Waldshut-Tiengen. Die Aufführungen im Trottentheater in Neuhausen, die immer sehr erfolgreich waren, müssen in dieser Saison leider ausfallen, da das dortige Theater wegen Umbau geschlossen ist.
Die neue Komödie „Monsieur Amédée“ von Alain Reynaud-Fourton wird unter der Regie von Astrid Brand erstmals am 21. Oktober in der Halle in Jestetten aufgeführt. Weitere Vorstellungen folgen in Jestetten, Lottstetten, Hallau und in Waldshut-Tiengen. Das Stück handelt von einem pensionierten Oberstudienrat, der zu nächtlicher Stunde eine Dame aus dem Rotlichtmilieu aus einer bedrohlichen Situation rettet, aber danach durch seine Hilfsbereitschaft in prekäre Situationen kommt. Als schließlich noch sein Cousin Josef, ein Pfarrer, bei ihm auftaucht, ist das Chaos komplett.
Die turbulente Komödie mit Charme, Witz und pikanten Situationen wird die Zuschauer begeistern.
Weiter Infos im Internet:
www.luechte.de
http://www.suedkurier.de/region/hochrhe ... 03,5125897
Jestetter Amateurtheater spielt das frivole Stück „Monsieur Amédée“ acht Mal
Jestetten (sf) Das Amateurtheater Lüüchte aus Jestetten begeistert seit vielen Jahren in der Region mit hervorragend arrangiertem Theater, besonders mit den beliebten Boulevard-Stücken. Das professionelle Ensemble hat jedes Jahr Gastspiele in Lottstetten, Hallau (CH) und im Ali-Theater in Waldshut-Tiengen. Die Aufführungen im Trottentheater in Neuhausen, die immer sehr erfolgreich waren, müssen in dieser Saison leider ausfallen, da das dortige Theater wegen Umbau geschlossen ist.
Die neue Komödie „Monsieur Amédée“ von Alain Reynaud-Fourton wird unter der Regie von Astrid Brand erstmals am 21. Oktober in der Halle in Jestetten aufgeführt. Weitere Vorstellungen folgen in Jestetten, Lottstetten, Hallau und in Waldshut-Tiengen. Das Stück handelt von einem pensionierten Oberstudienrat, der zu nächtlicher Stunde eine Dame aus dem Rotlichtmilieu aus einer bedrohlichen Situation rettet, aber danach durch seine Hilfsbereitschaft in prekäre Situationen kommt. Als schließlich noch sein Cousin Josef, ein Pfarrer, bei ihm auftaucht, ist das Chaos komplett.
Die turbulente Komödie mit Charme, Witz und pikanten Situationen wird die Zuschauer begeistern.
Weiter Infos im Internet:
www.luechte.de
http://www.suedkurier.de/region/hochrhe ... 03,5125897
I wouldn't say I have super-powers so much as I live in a world where no one seems to be able to do normal things.
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- Admina
- Beiträge: 7434
- Registriert: 07.09.2009, 04:52
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Staatstheater Stuttgart: Im Bordell der Rollenspieler
Staatstheater Stuttgart:
Im Bordell der Rollenspieler
„Balkon“ 1956 von Jean Genet (1910-1986)
Regie von Thomas Dannemann
Stuttgart - Spiegel, nichts als Spiegel an der Wand, vorne, hinten und seitlich, raumhoch und in der Mitte geknickt: das Kammertheater ist ein einziges Spiegelkabinett, das wie ein Überwachungssystem perfekt funktioniert und jeden erfasst, der in diesem Raum anwesend ist. Gespiegelt werden die Zuschauer, die auf ihren Stühlen sitzen, aber auch die Schauspieler, die sich unerkannt in die Zuschauerreihen gestohlen haben, um alsbald in fremde Rollen zu schlüpfen.
Und weil die von Cary Gayler mit Raffinesse entworfene Konstruktion jedes Spiegelbild ins Unermessliche vervielfältigt, vervielfältigt und vergrößert sie auch die darin demonstrativ vorgeführten Rollenspiele derart ins Absolute und Totalitäre, dass sich der Zuschauer nach zwei Theaterstunden selbst als Rollenspieler begreift: Auch er ist nicht, was er zu sein glaubt, auch seine Identität wird künstlich hergestellt von Blicken und Erwartungen, die sich auf ihn richten – das jedenfalls ist die Botschaft des Bühnenbilds. Und das klingt nicht nur verkopft, sondern ist es auch, wenngleich es mitten ins Schwarze, ins bös Tiefschwarze des Denkens von Jean Genet trifft.
Das Spiel mit Identitäten und die Frage, wer weshalb welche Rolle in einem Herrschaftssystem einnimmt, hat der 1986 gestorbene französische Autor Jean Genet in allen seinen Dramen thematisiert.
Es sind biografische Gründe, die zu dieser Themenfixierung geführt haben, schließlich fühlte sich Genet, auch wenn er literarisch schon früh durch Sartre nobilitiert wurde, zeitlebens als Ausgestoßener.
Geboren 1910, wuchs er als uneheliches Kind bei Pflegeeltern auf, die ihn in ein Heim für schwer erziehbare Kinder steckten; er floh und ging in die Fremdenlegion, irrte in den dreißiger Jahren durch Europa und lebte von Diebstahl, Schwarzhandel und Prostitution [eher als männlicher Sexworker und Stricher oder Vermittler denn Zuhälter;-) Anm.].
Seine kriminelle Existenz betrachtete er ebenso wie seine offene Homosexualität als Akt des Widerstands gegen bürgerliche Normen, weshalb er bis ans Lebensende ein Revoltierender, aber – das ist wesentlich – kein Revolutionär war: „Ich möchte, dass die Welt sich nicht verändert, damit ich mir erlauben kann, gegen die Welt zu sein“, sagte Genet, der die bittere Rolle, die ihm die Welt zuwies, nicht verabscheute, sondern aus tiefstem Herzen liebte – und darin ähnelt er den Männern, die er in dem 1956 entstandenen „Balkon“ ins Bordell schickte, damit sie sich für ein paar Stunden neue Identitäten zulegen konnten.

Zur Königin aufgestiegene Puffmutter neben dem Bischof.
Die gespielten "Stützen der Gesellschaft" Kirche, Justiz und Militär im Bordell vereint.
Die Schauspieler verwandeln sich im Publikum
Im Stuttgarter Spiegelbordell verwandeln sich nun – unter der Regie von Thomas Dannemann – die im Publikum sitzenden Schauspieler in Bordellbesucher und Bordellangestellte. Damit die Spiegel ihre multiplizierende Wirkung entfalten können, bleibt das Saallicht an.
Arthur, das Hausfaktotum (Dino Scandariato), rollt die Requisiten rein: zunächst einen rotsamtenen Stuhl für Rainer Philippi, der sich mit entsprechender Mütze in einen Bischof verwandelt und eine Sünderin demütigt, dann ein Waschbecken für Lutz Salzmann, der sich als Richter kostümiert und eine Diebin bestraft. Und Sünderin und Diebin werden von Lisa Bitter gespielt, die alsbald für den Reitergeneral der Rahel Ohm schnaubend und hufscharrend eine Stute darstellt – nichts als sadistische Rollenspiele, in denen trotz laszivem Tabledance nur noch am Rande sexuelle Begierden befriedigt werden. Geilheit ist hier schon längst von schierer Machtgeilheit abgelöst worden.
Da trifft es sich gut, dass nun – das ist der Clou von Genets „Balkon“ – die Welt draußen mit Macht einbricht in die sich endlos spiegelnde Welt drinnen.
Draußen ist Revolution, das Volk tobt und hat die Königin verjagt. Und während Dannemann dezent originale Stuttgarter Lügenpack-Rufe ins Bordell wehen lässt, betritt der Polizeipräsident von Boris Koneczny die Szene. Er will den Aufstand niederschlagen, auch im Interesse der Bordellbesitzerin Irma, die von der Castorf-Spielerin Astrid Meyerfeld als Salondame gegeben wird: Sie war es, die ihr Etablissement zum „Haus der Illusionen“ machte, die es zum „Fliegen“ brachte für die Herren, die dort immer wieder aus ihrer Haut schlüpfen konnten. Und just aus diesen Häutungen erwächst den Herrschenden die Rettung.
Es ist immer was los
Aus dem Rollenspiel wird nun Rollenernst – und was zuvor nur fingiert war, wird dem aufgebrachten Volk als real verkauft. Philippi, Salzmann und Ohm treten jetzt nämlich tatsächlich als die Stützen der Gesellschaft auf, die sie zuvor nur in ihren Sadomasospielen waren – und beruhigen als Kirche, Justiz und Militär, angeführt von der zur Königin ausstaffierten Irma, die Massen.
Zeitgleich zum Ausbruch der Revolution ändert sich auch die Spielsituation im Theater. Das Saallicht geht aus, die Spiegel verlieren ihre Funktion, die Zuschauer nehmen die Stühle und setzen sich um. Sie blicken jetzt aus anderer Perspektive auf das Geschehen. Es ist also immer etwas los in dieser Inszenierung, die einem barock ausladenden und existenzialistisch überkonstruierten Schauspiel gilt, das mit seinen vielen doppelten Böden ein schwerer Brocken ist.
Dannemann hat die schweren Böden des „Balkons“ mit Fleiß vermessen, aber doch nicht mit Witz und Sinnlichkeit. Die Hauptrolle an diesem blutleer verkopften Abend spielt, siehe oben: die Bühne.
Aufführungen im Kammertheater fast täglich bis zum 4. Dezember
www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.staat ... cf2eb.html
Im Bordell der Rollenspieler
„Balkon“ 1956 von Jean Genet (1910-1986)
Regie von Thomas Dannemann
Stuttgart - Spiegel, nichts als Spiegel an der Wand, vorne, hinten und seitlich, raumhoch und in der Mitte geknickt: das Kammertheater ist ein einziges Spiegelkabinett, das wie ein Überwachungssystem perfekt funktioniert und jeden erfasst, der in diesem Raum anwesend ist. Gespiegelt werden die Zuschauer, die auf ihren Stühlen sitzen, aber auch die Schauspieler, die sich unerkannt in die Zuschauerreihen gestohlen haben, um alsbald in fremde Rollen zu schlüpfen.
Und weil die von Cary Gayler mit Raffinesse entworfene Konstruktion jedes Spiegelbild ins Unermessliche vervielfältigt, vervielfältigt und vergrößert sie auch die darin demonstrativ vorgeführten Rollenspiele derart ins Absolute und Totalitäre, dass sich der Zuschauer nach zwei Theaterstunden selbst als Rollenspieler begreift: Auch er ist nicht, was er zu sein glaubt, auch seine Identität wird künstlich hergestellt von Blicken und Erwartungen, die sich auf ihn richten – das jedenfalls ist die Botschaft des Bühnenbilds. Und das klingt nicht nur verkopft, sondern ist es auch, wenngleich es mitten ins Schwarze, ins bös Tiefschwarze des Denkens von Jean Genet trifft.
Das Spiel mit Identitäten und die Frage, wer weshalb welche Rolle in einem Herrschaftssystem einnimmt, hat der 1986 gestorbene französische Autor Jean Genet in allen seinen Dramen thematisiert.
Es sind biografische Gründe, die zu dieser Themenfixierung geführt haben, schließlich fühlte sich Genet, auch wenn er literarisch schon früh durch Sartre nobilitiert wurde, zeitlebens als Ausgestoßener.
Geboren 1910, wuchs er als uneheliches Kind bei Pflegeeltern auf, die ihn in ein Heim für schwer erziehbare Kinder steckten; er floh und ging in die Fremdenlegion, irrte in den dreißiger Jahren durch Europa und lebte von Diebstahl, Schwarzhandel und Prostitution [eher als männlicher Sexworker und Stricher oder Vermittler denn Zuhälter;-) Anm.].
Seine kriminelle Existenz betrachtete er ebenso wie seine offene Homosexualität als Akt des Widerstands gegen bürgerliche Normen, weshalb er bis ans Lebensende ein Revoltierender, aber – das ist wesentlich – kein Revolutionär war: „Ich möchte, dass die Welt sich nicht verändert, damit ich mir erlauben kann, gegen die Welt zu sein“, sagte Genet, der die bittere Rolle, die ihm die Welt zuwies, nicht verabscheute, sondern aus tiefstem Herzen liebte – und darin ähnelt er den Männern, die er in dem 1956 entstandenen „Balkon“ ins Bordell schickte, damit sie sich für ein paar Stunden neue Identitäten zulegen konnten.

Zur Königin aufgestiegene Puffmutter neben dem Bischof.
Die gespielten "Stützen der Gesellschaft" Kirche, Justiz und Militär im Bordell vereint.
Die Schauspieler verwandeln sich im Publikum
Im Stuttgarter Spiegelbordell verwandeln sich nun – unter der Regie von Thomas Dannemann – die im Publikum sitzenden Schauspieler in Bordellbesucher und Bordellangestellte. Damit die Spiegel ihre multiplizierende Wirkung entfalten können, bleibt das Saallicht an.
Arthur, das Hausfaktotum (Dino Scandariato), rollt die Requisiten rein: zunächst einen rotsamtenen Stuhl für Rainer Philippi, der sich mit entsprechender Mütze in einen Bischof verwandelt und eine Sünderin demütigt, dann ein Waschbecken für Lutz Salzmann, der sich als Richter kostümiert und eine Diebin bestraft. Und Sünderin und Diebin werden von Lisa Bitter gespielt, die alsbald für den Reitergeneral der Rahel Ohm schnaubend und hufscharrend eine Stute darstellt – nichts als sadistische Rollenspiele, in denen trotz laszivem Tabledance nur noch am Rande sexuelle Begierden befriedigt werden. Geilheit ist hier schon längst von schierer Machtgeilheit abgelöst worden.
Da trifft es sich gut, dass nun – das ist der Clou von Genets „Balkon“ – die Welt draußen mit Macht einbricht in die sich endlos spiegelnde Welt drinnen.
Draußen ist Revolution, das Volk tobt und hat die Königin verjagt. Und während Dannemann dezent originale Stuttgarter Lügenpack-Rufe ins Bordell wehen lässt, betritt der Polizeipräsident von Boris Koneczny die Szene. Er will den Aufstand niederschlagen, auch im Interesse der Bordellbesitzerin Irma, die von der Castorf-Spielerin Astrid Meyerfeld als Salondame gegeben wird: Sie war es, die ihr Etablissement zum „Haus der Illusionen“ machte, die es zum „Fliegen“ brachte für die Herren, die dort immer wieder aus ihrer Haut schlüpfen konnten. Und just aus diesen Häutungen erwächst den Herrschenden die Rettung.
Es ist immer was los
Aus dem Rollenspiel wird nun Rollenernst – und was zuvor nur fingiert war, wird dem aufgebrachten Volk als real verkauft. Philippi, Salzmann und Ohm treten jetzt nämlich tatsächlich als die Stützen der Gesellschaft auf, die sie zuvor nur in ihren Sadomasospielen waren – und beruhigen als Kirche, Justiz und Militär, angeführt von der zur Königin ausstaffierten Irma, die Massen.
Zeitgleich zum Ausbruch der Revolution ändert sich auch die Spielsituation im Theater. Das Saallicht geht aus, die Spiegel verlieren ihre Funktion, die Zuschauer nehmen die Stühle und setzen sich um. Sie blicken jetzt aus anderer Perspektive auf das Geschehen. Es ist also immer etwas los in dieser Inszenierung, die einem barock ausladenden und existenzialistisch überkonstruierten Schauspiel gilt, das mit seinen vielen doppelten Böden ein schwerer Brocken ist.
Dannemann hat die schweren Böden des „Balkons“ mit Fleiß vermessen, aber doch nicht mit Witz und Sinnlichkeit. Die Hauptrolle an diesem blutleer verkopften Abend spielt, siehe oben: die Bühne.
Aufführungen im Kammertheater fast täglich bis zum 4. Dezember
www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.staat ... cf2eb.html
Wer glaubt ein Christ zu sein, weil er die Kirche besucht, irrt sich.Man wird ja auch kein Auto, wenn man in eine Garage geht. (Albert Schweitzer)
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Fakten und Infos über Prostitution
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- Ich bin: Keine Angabe
Zur Aktualität von "Le Balcon"
"Le Balcon // Der Balkon"
von Jean Genet
Madame Irma betreibt das Freudenhaus 'Der Balkon', das Haus der Illusionen, in dem unscheinbare Bürger ihre Macht- und Unterwerfungsphantasien ausleben können. Jeder kann hier die Rolle spielen, nach der ihm gelüstet.
Alles in Irmas Haus ist Schein. Die Realität ist nach draußen verbannt. Das barocke Stück bildet die reale Welt als Schein ab und denunziert sie als bloßes Theater.
Als aber die äußere Ordnung durch einen Aufstand ins Wanken gerät, müssen Irmas Kunden mit dem, wovon sie im Geheimen geträumt haben, ernst machen: Sie müssen die Ämter, die sie sich im geschützten Raum angemaßt haben, tatsächlich übernehmen.
Genet jongliert mit den Definitionen von Wirklichkeit und Spiel. Unverrückbare Wahrheiten verweigert er dem Zuschauer, stattdessen hebt er jede Tatsache durch die Behauptung der nächsten auf.
Wahr ist, dass alles Lüge ist. Ein Stück über soziale Konstrukte und über das Wesen von Theater.
Übersetzung von Georg Schulte-Frohlinde
Regie: Thomas Dannemann,
Bühne: Cary Gayler,
Kostüme: Regine Standfuss,
Musik: Michael Wertmüller,
Dramaturgie: Beate Seidel
Mit: Dorothea Arnold (Carmen),
Lisa Bitter (Das Mädchen),
Boris Burgstaller (Der Bettler/Der Sklave/Aufständischer),
Boris Koneczny (Der Polizeipräsident),
Jan Krauter (Der Gesandte der Königin),
Astrid Meyerfeldt (Madame Irma),
Rahel Ohm (Der General),
Rainer Philippi (Der Bischof),
Lutz Salzmann (Der Richter),
Dino Scandariato (Artur/Roger)
www.staatstheater-stuttgart.de/spielplan
www.theaterkompass.at/news-einzelansich ... 11eba.html
Skandalisierte Uraufführung von Peter Zadeck in London 1957
www.spiegel.de/spiegel/print/d-41757354.html
Honoratioren einer Stadt im Bordell
Für "Normalbürger" erscheinenen viele Handlungen absurd, doch der Leser, der das Leben einigermaßen kennengelernt hat, weiß: hier wird ein Teil der Realität menschlicher Kultur geschildert, nüchtern und schonungslos.
In einer Stadt herrscht Revolution. Die Revolutionäre scheinen zu gewinnen. Nach und nach treffen die Honoratioren der Stadt, nämlich der Bischof, der Richter, der Polizeipräsident und der General, im Bordell ein, dort, wo sie mit all ihren speziellen Vorlieben bestens bekannt sind.
Madame Irma, die Puffmutter, versucht, auf ihre Weise Trost zu spenden. Sie spielt den einst einflußreichen Persönlichkeiten, deren Welt nach und nach zerfällt, die Illusionen vor, die sie gern wahr hätten.
Es ist ein etwas absurdes Spiel mit Sprache und "Metasprache". Und es klärt auf über die Heuchelei der einflußreichen, vermeintlich vorbildlichen Gesellschaftsschichten.
Nebenbei: Obwohl das Stück in einem Bordell spielt, wird die erotische Hauptrolle nicht von einer Frau, sondern von Arthur, dem Henker, eingenommen. Arthur ist ein junger, kräftiger, bodygebuildeter Mann - ganz nach dem Geschmack von Jean Genet. [Kundenrezension]
www.amazon.de/Balkon-Jean-Genet/dp/3926112883 (1999)
http://de.wikipedia.org/wiki/Jean_Genet
... Zu der etwas verwirrenden Handlung gehört ein Volksaufstand, dessen Mordgeräusche zuweilen von der Straße hereindringen. Der Polizeichef, der die Macht im Staate ausübt - und auch den Salon der Madame Irma patronisiert -, kommt am Ende auf einen eigentümlichen Gedanken, um die Ordnung wiederherzustellen: Nachdem die Revolutionäre die Königin und die Würdenträger des Staates umgebracht haben, will er der revoltierenden Menge zum Schein eine neue Regierung vorstellen. [In Athen und Rom wurden demokratisch gewählte Regierungschefs durch Banker ausgetauscht.]
Zu diesem Zweck sollen die Besucher des Salons "Balkon" vor allem Volk die Rollen spielen, in denen sie sich in den verschlossenen Räumen gefallen haben. Irma aber, die Bordellmutter, wird "Königin". Der Trick gelingt ...
Occupy Frankfurt - Demonstration vor Deutscher Bank und EZB
[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=vjxUfyCSEEE[/youtube]
[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=Wd555rheqrI[/youtube]
von Jean Genet
Madame Irma betreibt das Freudenhaus 'Der Balkon', das Haus der Illusionen, in dem unscheinbare Bürger ihre Macht- und Unterwerfungsphantasien ausleben können. Jeder kann hier die Rolle spielen, nach der ihm gelüstet.
Alles in Irmas Haus ist Schein. Die Realität ist nach draußen verbannt. Das barocke Stück bildet die reale Welt als Schein ab und denunziert sie als bloßes Theater.
Als aber die äußere Ordnung durch einen Aufstand ins Wanken gerät, müssen Irmas Kunden mit dem, wovon sie im Geheimen geträumt haben, ernst machen: Sie müssen die Ämter, die sie sich im geschützten Raum angemaßt haben, tatsächlich übernehmen.
Genet jongliert mit den Definitionen von Wirklichkeit und Spiel. Unverrückbare Wahrheiten verweigert er dem Zuschauer, stattdessen hebt er jede Tatsache durch die Behauptung der nächsten auf.
Wahr ist, dass alles Lüge ist. Ein Stück über soziale Konstrukte und über das Wesen von Theater.
Übersetzung von Georg Schulte-Frohlinde
Regie: Thomas Dannemann,
Bühne: Cary Gayler,
Kostüme: Regine Standfuss,
Musik: Michael Wertmüller,
Dramaturgie: Beate Seidel
Mit: Dorothea Arnold (Carmen),
Lisa Bitter (Das Mädchen),
Boris Burgstaller (Der Bettler/Der Sklave/Aufständischer),
Boris Koneczny (Der Polizeipräsident),
Jan Krauter (Der Gesandte der Königin),
Astrid Meyerfeldt (Madame Irma),
Rahel Ohm (Der General),
Rainer Philippi (Der Bischof),
Lutz Salzmann (Der Richter),
Dino Scandariato (Artur/Roger)
www.staatstheater-stuttgart.de/spielplan
www.theaterkompass.at/news-einzelansich ... 11eba.html
Skandalisierte Uraufführung von Peter Zadeck in London 1957
www.spiegel.de/spiegel/print/d-41757354.html
Honoratioren einer Stadt im Bordell
Für "Normalbürger" erscheinenen viele Handlungen absurd, doch der Leser, der das Leben einigermaßen kennengelernt hat, weiß: hier wird ein Teil der Realität menschlicher Kultur geschildert, nüchtern und schonungslos.
In einer Stadt herrscht Revolution. Die Revolutionäre scheinen zu gewinnen. Nach und nach treffen die Honoratioren der Stadt, nämlich der Bischof, der Richter, der Polizeipräsident und der General, im Bordell ein, dort, wo sie mit all ihren speziellen Vorlieben bestens bekannt sind.
Madame Irma, die Puffmutter, versucht, auf ihre Weise Trost zu spenden. Sie spielt den einst einflußreichen Persönlichkeiten, deren Welt nach und nach zerfällt, die Illusionen vor, die sie gern wahr hätten.
Es ist ein etwas absurdes Spiel mit Sprache und "Metasprache". Und es klärt auf über die Heuchelei der einflußreichen, vermeintlich vorbildlichen Gesellschaftsschichten.
Nebenbei: Obwohl das Stück in einem Bordell spielt, wird die erotische Hauptrolle nicht von einer Frau, sondern von Arthur, dem Henker, eingenommen. Arthur ist ein junger, kräftiger, bodygebuildeter Mann - ganz nach dem Geschmack von Jean Genet. [Kundenrezension]
www.amazon.de/Balkon-Jean-Genet/dp/3926112883 (1999)
http://de.wikipedia.org/wiki/Jean_Genet
... Zu der etwas verwirrenden Handlung gehört ein Volksaufstand, dessen Mordgeräusche zuweilen von der Straße hereindringen. Der Polizeichef, der die Macht im Staate ausübt - und auch den Salon der Madame Irma patronisiert -, kommt am Ende auf einen eigentümlichen Gedanken, um die Ordnung wiederherzustellen: Nachdem die Revolutionäre die Königin und die Würdenträger des Staates umgebracht haben, will er der revoltierenden Menge zum Schein eine neue Regierung vorstellen. [In Athen und Rom wurden demokratisch gewählte Regierungschefs durch Banker ausgetauscht.]
Zu diesem Zweck sollen die Besucher des Salons "Balkon" vor allem Volk die Rollen spielen, in denen sie sich in den verschlossenen Räumen gefallen haben. Irma aber, die Bordellmutter, wird "Königin". Der Trick gelingt ...
Occupy Frankfurt - Demonstration vor Deutscher Bank und EZB
[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=vjxUfyCSEEE[/youtube]
[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=Wd555rheqrI[/youtube]
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Die Nummer mit Shakespeare
Maß für Maß
von William Shakespeare
in einer Neuübertragung von Paul Brodowski
Stuttgart - Madame Oberweite macht ihrem Namen alle Ehre. Es sind Monsterbrüste, die von ihrem türkisfarbenen Kleid mühsam im Zaum gehalten werden, aber jederzeit damit drohen pfundsschwer ins Offene zu stürmen. Diese Drohung ist ernst zu nehmen, sehr ernst, denn die auch sonst üppig ausgestattete Walküre mit der Löwenmähne kennt sich mit dem Einsatz von Geschlechtsmerkmalen, ob primär oder sekundär, bestens aus: Madame Oberweite ist die mächtigste Puffmutter von Wien! Sie regiert ein Reich, in dem das Glied nie untergeht! Die Freier stehen unentwegt Schlange vor ihrem Etablissement - und Madame Oberweite kennt auch diese bedürftigen Herren alle bestens. Schließlich drückt sie jedem ein Zewa-wisch-und-weg-Tuch mit jeweils ganz individueller Länge und Saugkraft in die Hand. Was für ein Service! Und was für ein Haus, in dem der Kunde noch König ist!
Aber halt, stopp, zu früh frohlockt: das Freudenhaus, das in Stuttgart die Kunden lockt, hält vielleicht doch nicht ganz, was Madame verspricht. Denn sinnlich geht es hier eigentlich nicht zu. Das kann es auch gar nicht, denn dem Mann steht zur Triebabfuhr ja keine Frau, sondern nur ein nacktes Loch zur Verfügung: eine kleine, von der Kreidezeichnung eines Kussmunds umschlossene Öffnung in einer Holzwand, die trotz allem von den Freiern mit Eifer bestiegen wird, damit sie sich bohrend im nämlichen Astloch erleichtern können. Statt praller Sinnlichkeit also, traurig, traurig, eine schwitzende Mechanik, die so ordinär und - im Wortsinne - auch dreckig ist wie das ganze versaute Wien, das der Bühnenbildner Jo Schramm in die Arena gestellt hat. Die schäbige Bretterstadt steht auf schwarzer Erde und matschigem Grund, auf einem Moralsumpf und Moralmorast, den es dringend trockenzulegen gilt. Das zumindest sagt Vincentio, der Herzog von Wien, zu Beginn von Shakespeares "Maß für Maß".
Ein schmutziger Deal
Vincentio behauptet das nun auch in der Inszenierung von Christian Weise. Bei aller Eigenwilligkeit und Direktheit, die sich an jedem F-Wort labt, folgt seine drastisch-turbulente Regie im Groben und Ganzen dem Handlungsverlauf der Shakespeare-Komödie: Vincentio also will eine moralisch einwandfreie Stadt, ist aber selber zu schwach, um längst bestehende Regeln auch durchzusetzen. Zum Schein übergibt er deshalb die Macht seinem Stellvertreter Angelo, der die alten Gesetze strikt anwendet, die Bordelle schließt und den Edelmann Claudio hinrichten lassen will, weil er ein Mädchen außerehelich geschwängert hat. Claudio aber schickt seine Schwester Isabella, eine angehende Nonne, mit der Bitte um Gnade zu Angelo, der seinerseits beim Anblick der Novizin erregt stammelt: ,"Mein dreckiges Begehren entsteht aus ihrer Reinheit" - und wenn Isabella bereit wäre, sich ihm hinzugeben, wäre auch er bereit, Claudio die Freiheit zu schenken. Ein schmutziger Deal, der vollkommen gegen die Moralgesetze verstößt - und das alles unter den Augen von Vincentio, der die Stadt keineswegs verlassen hat, sondern, als Mönch verkleidet, das Wirken seines Statthalters aus der Ferne beobachtet.
Davon handelt Shakespeare. Und davon handelt auch Weise, zumindest an der Oberfläche. Denn während Shakespeare seine Komödie so erzählt, dass sich daraus Dispute über Moral und Gesetz, Gnade und Recht, Tugend und Tugendterror von selbst ergeben, pfropft Weise diese Dispute seiner Inszenierung auf. Sie werden schon geführt, der Regisseur lässt zu diesem Thesenzweck sogar ein erhabenes Podium in den Morast rollen. Doch die Wortwechsel zwischen dem moralrigiden Angelo und seinem latent geilen Minister, zwischen dem nun offen geilen Angelo und der moralrigiden Isabella bleiben doch mehr oder weniger Einzelnummern. Um genau zu sein: isolierte Scholastiknummern in einer Folge von durchaus amüsanten Lachnummern, zu denen auch jene Nummern gehören, die bei Madame Oberweite geschoben werden.
Es darf gewiehert werden!
Dieser Kalauer muss erlaubt sein, bewegt er sich doch auf dem Niveau, auf dem eben ein Großteil der Inszenierung einhergeht – oder vielmehr einherblödelt, einherrutscht und einherschmiert. Nicht zu übersehen und zu überhören ist, dass Weises brennendes Interesse den derben und vulgären Seiten von Shakespeares Märchen-Wien gilt. Für dieses Rotlichtmilieu aber hat sich der Spaßregisseur, unterstützt vom Dramaturgen Christian Holtzhauer und der sehr freien Übersetzung von Paul Brodowsky, allerhand Hübsches einfallen lassen. Es darf also gewiehert werden!
Mit Liebe zum spielerischen Detail entwirft die Regie kleine Halbweltminiaturen. Sie stecken voller Sprach- und Szenenwitz für jene Zuschauer, deren Gemüt nicht allzu empfindlich ist. Mit der Zewa-wisch-und-weg-Nummer ist die Schweinerei ja noch nicht ausgestanden. Sie geht damit erst los und findet einen hochkomischen Höhepunkt in der Nummer, in welcher die Ordnungshüter erklären müssen, was sie in Madame Oberweites Saunaclub getrieben haben. Eine Ausrede führt zur nächsten – und das so lange, bis der fragende Angelo vor einem absurden Lügenberg steht, der auf Berlinerisch, Sächsisch, Schwäbisch und Wienerisch aberwitzig vor ihm aufgebaut worden ist. Der Dialekt kommt hier ebenso zu seinem kakofonen Recht wie das Ensemble, das ihn dankbar spricht.
Groteske, Burleske und Kabarett
Musikalisch begleitet von einer schrägen Dreimanncombo aus Cowboys und Mariachis, fressen sich die Spieler genüsslich durch Groteske, Burleske und Kabarett: unter anderen die mutterwitzig begriffsstutzige Catherine Stoyan, der bauernschlau biegsame Johannes Benecke, der zunächst aus Strenge, dann vor Sex steife Holger Stockhaus als Angelo und – last, not least – Martin Leutgeb als Madame Oberweite. Die virile Puffmutter ist diesem Schauspieler wie auf den dicken Leib geschrieben, handelt es sich doch um eine Rolle, die das Chargieren nicht nur duldet, sondern geradezu fordert. Leutgeb lässt sich nicht lange bitten und macht aus seiner Oberweite eine Paraderolle. Toll!
Und Vincentio? Was macht er? Auch Elmar Roloff glänzt als zwielichtiger Herzog von Wien. Im schwarzen Anzug mit braunem Schal gibt er den amtsmüden Herrscher. Und eingangs gibt er ihn auch – Achtung, Theaterwitz! – im blasierten und snobistischen, mit englischer Sprachmelodie unterlegten Tonfall von Peter Zadek. Eine witzige Karikatur, die allerdings daran erinnert, dass dieser große Regisseur in seiner Karriere zweimal „Maß für Maß“ inszeniert und dabei wegweisende Interpretationen vorgelegt hat. Und bei allem Gelächter, das Christian Weise zu entfesseln vermag: eine plausible Deutung der Komödie bleibt er uns schuldig. Dazu ist seine Nummernrevue dann doch zu unterhaltungssüchtig und klamottig
http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhal ... 5509d.html
Maß für Maß
von William Shakespeare
in einer Neuübertragung von Paul Brodowski
Stuttgart - Madame Oberweite macht ihrem Namen alle Ehre. Es sind Monsterbrüste, die von ihrem türkisfarbenen Kleid mühsam im Zaum gehalten werden, aber jederzeit damit drohen pfundsschwer ins Offene zu stürmen. Diese Drohung ist ernst zu nehmen, sehr ernst, denn die auch sonst üppig ausgestattete Walküre mit der Löwenmähne kennt sich mit dem Einsatz von Geschlechtsmerkmalen, ob primär oder sekundär, bestens aus: Madame Oberweite ist die mächtigste Puffmutter von Wien! Sie regiert ein Reich, in dem das Glied nie untergeht! Die Freier stehen unentwegt Schlange vor ihrem Etablissement - und Madame Oberweite kennt auch diese bedürftigen Herren alle bestens. Schließlich drückt sie jedem ein Zewa-wisch-und-weg-Tuch mit jeweils ganz individueller Länge und Saugkraft in die Hand. Was für ein Service! Und was für ein Haus, in dem der Kunde noch König ist!
Aber halt, stopp, zu früh frohlockt: das Freudenhaus, das in Stuttgart die Kunden lockt, hält vielleicht doch nicht ganz, was Madame verspricht. Denn sinnlich geht es hier eigentlich nicht zu. Das kann es auch gar nicht, denn dem Mann steht zur Triebabfuhr ja keine Frau, sondern nur ein nacktes Loch zur Verfügung: eine kleine, von der Kreidezeichnung eines Kussmunds umschlossene Öffnung in einer Holzwand, die trotz allem von den Freiern mit Eifer bestiegen wird, damit sie sich bohrend im nämlichen Astloch erleichtern können. Statt praller Sinnlichkeit also, traurig, traurig, eine schwitzende Mechanik, die so ordinär und - im Wortsinne - auch dreckig ist wie das ganze versaute Wien, das der Bühnenbildner Jo Schramm in die Arena gestellt hat. Die schäbige Bretterstadt steht auf schwarzer Erde und matschigem Grund, auf einem Moralsumpf und Moralmorast, den es dringend trockenzulegen gilt. Das zumindest sagt Vincentio, der Herzog von Wien, zu Beginn von Shakespeares "Maß für Maß".
Ein schmutziger Deal
Vincentio behauptet das nun auch in der Inszenierung von Christian Weise. Bei aller Eigenwilligkeit und Direktheit, die sich an jedem F-Wort labt, folgt seine drastisch-turbulente Regie im Groben und Ganzen dem Handlungsverlauf der Shakespeare-Komödie: Vincentio also will eine moralisch einwandfreie Stadt, ist aber selber zu schwach, um längst bestehende Regeln auch durchzusetzen. Zum Schein übergibt er deshalb die Macht seinem Stellvertreter Angelo, der die alten Gesetze strikt anwendet, die Bordelle schließt und den Edelmann Claudio hinrichten lassen will, weil er ein Mädchen außerehelich geschwängert hat. Claudio aber schickt seine Schwester Isabella, eine angehende Nonne, mit der Bitte um Gnade zu Angelo, der seinerseits beim Anblick der Novizin erregt stammelt: ,"Mein dreckiges Begehren entsteht aus ihrer Reinheit" - und wenn Isabella bereit wäre, sich ihm hinzugeben, wäre auch er bereit, Claudio die Freiheit zu schenken. Ein schmutziger Deal, der vollkommen gegen die Moralgesetze verstößt - und das alles unter den Augen von Vincentio, der die Stadt keineswegs verlassen hat, sondern, als Mönch verkleidet, das Wirken seines Statthalters aus der Ferne beobachtet.
Davon handelt Shakespeare. Und davon handelt auch Weise, zumindest an der Oberfläche. Denn während Shakespeare seine Komödie so erzählt, dass sich daraus Dispute über Moral und Gesetz, Gnade und Recht, Tugend und Tugendterror von selbst ergeben, pfropft Weise diese Dispute seiner Inszenierung auf. Sie werden schon geführt, der Regisseur lässt zu diesem Thesenzweck sogar ein erhabenes Podium in den Morast rollen. Doch die Wortwechsel zwischen dem moralrigiden Angelo und seinem latent geilen Minister, zwischen dem nun offen geilen Angelo und der moralrigiden Isabella bleiben doch mehr oder weniger Einzelnummern. Um genau zu sein: isolierte Scholastiknummern in einer Folge von durchaus amüsanten Lachnummern, zu denen auch jene Nummern gehören, die bei Madame Oberweite geschoben werden.
Es darf gewiehert werden!
Dieser Kalauer muss erlaubt sein, bewegt er sich doch auf dem Niveau, auf dem eben ein Großteil der Inszenierung einhergeht – oder vielmehr einherblödelt, einherrutscht und einherschmiert. Nicht zu übersehen und zu überhören ist, dass Weises brennendes Interesse den derben und vulgären Seiten von Shakespeares Märchen-Wien gilt. Für dieses Rotlichtmilieu aber hat sich der Spaßregisseur, unterstützt vom Dramaturgen Christian Holtzhauer und der sehr freien Übersetzung von Paul Brodowsky, allerhand Hübsches einfallen lassen. Es darf also gewiehert werden!
Mit Liebe zum spielerischen Detail entwirft die Regie kleine Halbweltminiaturen. Sie stecken voller Sprach- und Szenenwitz für jene Zuschauer, deren Gemüt nicht allzu empfindlich ist. Mit der Zewa-wisch-und-weg-Nummer ist die Schweinerei ja noch nicht ausgestanden. Sie geht damit erst los und findet einen hochkomischen Höhepunkt in der Nummer, in welcher die Ordnungshüter erklären müssen, was sie in Madame Oberweites Saunaclub getrieben haben. Eine Ausrede führt zur nächsten – und das so lange, bis der fragende Angelo vor einem absurden Lügenberg steht, der auf Berlinerisch, Sächsisch, Schwäbisch und Wienerisch aberwitzig vor ihm aufgebaut worden ist. Der Dialekt kommt hier ebenso zu seinem kakofonen Recht wie das Ensemble, das ihn dankbar spricht.
Groteske, Burleske und Kabarett
Musikalisch begleitet von einer schrägen Dreimanncombo aus Cowboys und Mariachis, fressen sich die Spieler genüsslich durch Groteske, Burleske und Kabarett: unter anderen die mutterwitzig begriffsstutzige Catherine Stoyan, der bauernschlau biegsame Johannes Benecke, der zunächst aus Strenge, dann vor Sex steife Holger Stockhaus als Angelo und – last, not least – Martin Leutgeb als Madame Oberweite. Die virile Puffmutter ist diesem Schauspieler wie auf den dicken Leib geschrieben, handelt es sich doch um eine Rolle, die das Chargieren nicht nur duldet, sondern geradezu fordert. Leutgeb lässt sich nicht lange bitten und macht aus seiner Oberweite eine Paraderolle. Toll!
Und Vincentio? Was macht er? Auch Elmar Roloff glänzt als zwielichtiger Herzog von Wien. Im schwarzen Anzug mit braunem Schal gibt er den amtsmüden Herrscher. Und eingangs gibt er ihn auch – Achtung, Theaterwitz! – im blasierten und snobistischen, mit englischer Sprachmelodie unterlegten Tonfall von Peter Zadek. Eine witzige Karikatur, die allerdings daran erinnert, dass dieser große Regisseur in seiner Karriere zweimal „Maß für Maß“ inszeniert und dabei wegweisende Interpretationen vorgelegt hat. Und bei allem Gelächter, das Christian Weise zu entfesseln vermag: eine plausible Deutung der Komödie bleibt er uns schuldig. Dazu ist seine Nummernrevue dann doch zu unterhaltungssüchtig und klamottig
http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhal ... 5509d.html
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Theaterstück „Rotlicht“ über Prostitution berührt Publikum
Uraufführung
Theaterstück „Rotlicht“ über Prostitution berührt Publikum
Luxusverdienst im Escort-Service, Elend und Erniedrigung im Flatrate-Bordell, therapeutische Sexbegleitung im Altersheim: Prostitution kann viele Facetten haben. In Göttingen wurde das Leben von Huren auf die Theaterbühne gebracht.
Männer gehen unabhängig von Alter, Bildungsstand, politischer und religiöser Zugehörigkeit zu Prostituierten, sagt Regisseurin Roesler.
Göttingen. „Ich bin Geliebte auf Zeit. 200 Euro die Stunde, egal was wir machen“, sagt Maria, die ihr Geld im Escort- Service verdient. Eine junge Osteuropäerin, die Freiern in einem Flatrate-Bordell zum Festpreis zu Willen sein muss, meint: „Manchmal willst du nur tot sein.“ Das Stück „Rotlicht“, das am Samstagabend im Deutschen Theater Göttingen vom Ensemble werkgruppe2 uraufgeführt wurde, gibt Einblicke in das Leben von Prostituierten in Deutschland.
Niemand weiß, wie viele Huren es hierzulande gibt. Schätzungen zufolge sollen es 400 000 sein, mehr als die Hälfte Migrantinnen, mit rund 1,2 Millionen Freiern am Tag. Regisseurin Julia Roesler und die Dramaturginnen Anna Gerhards und Silke Merzhäuser haben überall in Deutschland mit Prostituierten gesprochen, in Bordellen, auf dem Straßenstrich oder im Domina-Studio.
Männer gehen unabhängig von Alter, Bildungsstand, politischer und religiöser Zugehörigkeit zu Prostituierten, sagt Roesler. Darüber sprechen wollten sie aber nicht. Mit „Rotlicht“ wolle die werkgruppe2 eine gesellschaftliche Tabuzone beleuchten und das Schicksal von Menschen zeigen, mit dem man sich sonst eher nicht auseinandersetzt.
Die Aufzeichnungen der Interviews mit den Prostituierten waren die Grundlage für das Dokumentations-Stück, das die unterschiedlichsten Facetten der Prostitution beleuchtet. In der musikalisch untermalten Milieustudie schildern die Frauen, wie sie tagtäglich ihr Geld verdienen, wie sie zu dem Beruf gekommen sind, was sie auszustehen haben, wovon sie träumen.
Sechs Schauspielerinnen in wechselnden Rollen spielen die Schicksale, Geschichten und Anekdoten in der Sprache und Ausdrucksweise der Prostituierten nach. Dabei gelingt es ihnen, Situationen zu schaffen, die wie vertrauliche Gespräche der Frauen mit dem Publikum wirken.
Blaue Flecken überschminken und weitermachen
Eine bayerische Hure („Das hat mit Liebe nichts zu tun, das ist eine Dienstleistung“) erzählt, wie sie im Bordell früher 15.000 Mark im Monat verdient habe, wie ihr „Altlude“ ihr hin und wieder eine langte, wie sie die blauen Flecken übergeschminkt und weitergemacht hat.
Eine Südamerikanerin berichtet, wie sie zur Prostitution in Europa erpresst wurde, indem Hintermänner des Rotlichtgeschäftes ihre Familie in Kolumbien bedrohten und wie sie Scheinehen einging, um nicht ausgewiesen zu werden. Eine bulgarische Mutter schildert, wie sie jahrelang als selbstständige Hure Freier im Wohnwagen empfing, um Abitur und Studium ihrer Kinder zu finanzieren.
Das in Kooperation mit der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover entstandene Stück wertet nicht. Es gibt einen verdichteten Überblick über die Rotlicht-Branche. Man müsse sich bewusst machen, dass Prostitution nicht grundsätzlich mit Menschenhandel verbunden sei, sondern für Frauen aus osteuropäischen Ländern oft der einzige Weg aus der Armut sei, meint die Regisseurin.
Wie erniedrigend und voller Pein dieser Weg sein kann, wird klar, als die Schilderungen junger Frauen aus Rumänien nachgespielt werden: Sie sind in Flatrate-Bordellen gelandet, in denen Männer für 120 Euro zwölf Stunden lang bekommen, was sie wollen.
www.haz.de/Nachrichten/Kultur/Theater/T ... t-Publikum
Uraufführung „Rotlicht“: Um Sex allein geht es nicht
Göttingen. Die Aufforderung ist unmissverständlich: „KOMM“, locken warm leuchtende Lettern von der Bühne des Deutschen Theaters in Göttingen, dann wird die Telefonnummer der hinter großflächigen Glasscheiben mit den Hüften kreisenden Frau eingeblendet.
Sexarbeiterinnen und ihre Geschichten:
Musik setzt ein und verrät den Namen der knapp bekleideten Dame: Es ist Maria, und Maria möchte angerufen werden, jetzt, auf dieser Bühne. Also tanzt sie, bis das Telefon klingelt und sich am anderen Ende der Leitung ein Freier meldet. Der Freier, das ist hier das Publikum des Dokumentar-Theaterstücks „Rotlicht“ der „werkgruppe2“, das am Samstag uraufgeführt wurde. Es gewährt sehr persönliche Einblicke in ein Gewerbe, das sich sonst in den Mantel der Heimlichkeit hüllt: die Prostitution.
Ein halbes Jahr lang sind Regisseurin Julia Roesler und die Dramaturginnen Silke Merzhäuser und Anna Gerhards durch Deutschland gereist und haben Frauen interviewt, die als Sexarbeiterinnen Teil einer jährlich 15 Milliarden Euro erwirtschaftenden Branche sind.
Aus den gesammelten Erfahrungsberichten ist, musikalischen untermalt von Insa Rudolph, ein Stück entstanden, das mit erfrischender Ehrlichkeit neun Lebensgeschichten erzählt, etwa die der selbstbewussten Barbara aus Bayern (Franziska Roloff), die den Beruf „spannend“ findet, oder die der Bulgarin Sveta (Imme Beccard), die einfach kein Geld hatte, um ihre Kinder zu ernähren.
-
Für Prüderie hat niemand Zeit, das Geschäft ist hart, also nennt man das Kind beim Namen und sich selbst Hure, das ist unmissverständlich. Ohnehin schämt sich keine der Frauen für ihren Beruf, den fast alle des schnellen Geldes wegen gewählt haben: „Wir brauchen die gefallenen Mädchen doch, damit unser Moralgefüge funktioniert“, sagt Domina Katharina (Nadine Nollau) und berührt damit den analytischen Kern des Stücks: Die Doppelmoral einer sich aufgeklärt gebenden Gesellschaft, in der Prostitution zwar rege in Anspruch genommen, gleichzeitig aber geflissentlich tabuisiert wird.
Hier setzt die Inszenierung an: Meist ist es ein schräger Humor, mit welchem dem Publikum mal behutsam, mal mit pragmatischer Schroffheit die Berührungsängste genommen werden. Etwa wenn die unbekümmerte Yvonne (Stefany Dreyer) erzählt, dass sie einen ungepflegten Kunden fast liebevoll „Stinkeheiner“ nennt, oder wenn dem Kinderlied „Hoppe, hoppe, Reiter“ inmitten von Plateausandaletten und Leuchtstoffröhren plötzlich eine ganz neue Bedeutung zukommt.
Der Lächerlichkeit preisgegeben werden die allesamt großartig dargestellten Charaktere nie, vielmehr verleiht die feinfühlige Inszenierung ihnen eine Stimme und ermöglicht so den Zuschauern einen neuen Blick auf die Welt der Prostitution. Denn um bloßen Sex geht es selten. Vielmehr steht die zwischenmenschliche Begegnung im Vordergrund, das oft therapeutische Eingehen der Frauen auf männliche Bedürfnisse, das Entstehen von Machtstrukturen und Geschäftsbeziehungen, aber auch die Gratwanderung zwischen Bühnenspiel und Authentizität.
Die Charaktere und ihre Geschichten sind so vielschichtig wie die Gesellschaft selbst. Und natürlich geht es auch um Menschenhandel und Zwangsprostitution, um dreißig Freier in einer Nacht, um innerliche Leere und Gewalt. Vor allem aber geht es um eines: Würde.
www.hna.de/nachrichten/kultur/sex-allei ... 38109.html
Theaterstück „Rotlicht“ über Prostitution berührt Publikum
Luxusverdienst im Escort-Service, Elend und Erniedrigung im Flatrate-Bordell, therapeutische Sexbegleitung im Altersheim: Prostitution kann viele Facetten haben. In Göttingen wurde das Leben von Huren auf die Theaterbühne gebracht.
Männer gehen unabhängig von Alter, Bildungsstand, politischer und religiöser Zugehörigkeit zu Prostituierten, sagt Regisseurin Roesler.
Göttingen. „Ich bin Geliebte auf Zeit. 200 Euro die Stunde, egal was wir machen“, sagt Maria, die ihr Geld im Escort- Service verdient. Eine junge Osteuropäerin, die Freiern in einem Flatrate-Bordell zum Festpreis zu Willen sein muss, meint: „Manchmal willst du nur tot sein.“ Das Stück „Rotlicht“, das am Samstagabend im Deutschen Theater Göttingen vom Ensemble werkgruppe2 uraufgeführt wurde, gibt Einblicke in das Leben von Prostituierten in Deutschland.
Niemand weiß, wie viele Huren es hierzulande gibt. Schätzungen zufolge sollen es 400 000 sein, mehr als die Hälfte Migrantinnen, mit rund 1,2 Millionen Freiern am Tag. Regisseurin Julia Roesler und die Dramaturginnen Anna Gerhards und Silke Merzhäuser haben überall in Deutschland mit Prostituierten gesprochen, in Bordellen, auf dem Straßenstrich oder im Domina-Studio.
Männer gehen unabhängig von Alter, Bildungsstand, politischer und religiöser Zugehörigkeit zu Prostituierten, sagt Roesler. Darüber sprechen wollten sie aber nicht. Mit „Rotlicht“ wolle die werkgruppe2 eine gesellschaftliche Tabuzone beleuchten und das Schicksal von Menschen zeigen, mit dem man sich sonst eher nicht auseinandersetzt.
Die Aufzeichnungen der Interviews mit den Prostituierten waren die Grundlage für das Dokumentations-Stück, das die unterschiedlichsten Facetten der Prostitution beleuchtet. In der musikalisch untermalten Milieustudie schildern die Frauen, wie sie tagtäglich ihr Geld verdienen, wie sie zu dem Beruf gekommen sind, was sie auszustehen haben, wovon sie träumen.
Sechs Schauspielerinnen in wechselnden Rollen spielen die Schicksale, Geschichten und Anekdoten in der Sprache und Ausdrucksweise der Prostituierten nach. Dabei gelingt es ihnen, Situationen zu schaffen, die wie vertrauliche Gespräche der Frauen mit dem Publikum wirken.
Blaue Flecken überschminken und weitermachen
Eine bayerische Hure („Das hat mit Liebe nichts zu tun, das ist eine Dienstleistung“) erzählt, wie sie im Bordell früher 15.000 Mark im Monat verdient habe, wie ihr „Altlude“ ihr hin und wieder eine langte, wie sie die blauen Flecken übergeschminkt und weitergemacht hat.
Eine Südamerikanerin berichtet, wie sie zur Prostitution in Europa erpresst wurde, indem Hintermänner des Rotlichtgeschäftes ihre Familie in Kolumbien bedrohten und wie sie Scheinehen einging, um nicht ausgewiesen zu werden. Eine bulgarische Mutter schildert, wie sie jahrelang als selbstständige Hure Freier im Wohnwagen empfing, um Abitur und Studium ihrer Kinder zu finanzieren.
Das in Kooperation mit der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover entstandene Stück wertet nicht. Es gibt einen verdichteten Überblick über die Rotlicht-Branche. Man müsse sich bewusst machen, dass Prostitution nicht grundsätzlich mit Menschenhandel verbunden sei, sondern für Frauen aus osteuropäischen Ländern oft der einzige Weg aus der Armut sei, meint die Regisseurin.
Wie erniedrigend und voller Pein dieser Weg sein kann, wird klar, als die Schilderungen junger Frauen aus Rumänien nachgespielt werden: Sie sind in Flatrate-Bordellen gelandet, in denen Männer für 120 Euro zwölf Stunden lang bekommen, was sie wollen.
www.haz.de/Nachrichten/Kultur/Theater/T ... t-Publikum
Uraufführung „Rotlicht“: Um Sex allein geht es nicht
Göttingen. Die Aufforderung ist unmissverständlich: „KOMM“, locken warm leuchtende Lettern von der Bühne des Deutschen Theaters in Göttingen, dann wird die Telefonnummer der hinter großflächigen Glasscheiben mit den Hüften kreisenden Frau eingeblendet.
Sexarbeiterinnen und ihre Geschichten:
Musik setzt ein und verrät den Namen der knapp bekleideten Dame: Es ist Maria, und Maria möchte angerufen werden, jetzt, auf dieser Bühne. Also tanzt sie, bis das Telefon klingelt und sich am anderen Ende der Leitung ein Freier meldet. Der Freier, das ist hier das Publikum des Dokumentar-Theaterstücks „Rotlicht“ der „werkgruppe2“, das am Samstag uraufgeführt wurde. Es gewährt sehr persönliche Einblicke in ein Gewerbe, das sich sonst in den Mantel der Heimlichkeit hüllt: die Prostitution.
Ein halbes Jahr lang sind Regisseurin Julia Roesler und die Dramaturginnen Silke Merzhäuser und Anna Gerhards durch Deutschland gereist und haben Frauen interviewt, die als Sexarbeiterinnen Teil einer jährlich 15 Milliarden Euro erwirtschaftenden Branche sind.
Aus den gesammelten Erfahrungsberichten ist, musikalischen untermalt von Insa Rudolph, ein Stück entstanden, das mit erfrischender Ehrlichkeit neun Lebensgeschichten erzählt, etwa die der selbstbewussten Barbara aus Bayern (Franziska Roloff), die den Beruf „spannend“ findet, oder die der Bulgarin Sveta (Imme Beccard), die einfach kein Geld hatte, um ihre Kinder zu ernähren.
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Für Prüderie hat niemand Zeit, das Geschäft ist hart, also nennt man das Kind beim Namen und sich selbst Hure, das ist unmissverständlich. Ohnehin schämt sich keine der Frauen für ihren Beruf, den fast alle des schnellen Geldes wegen gewählt haben: „Wir brauchen die gefallenen Mädchen doch, damit unser Moralgefüge funktioniert“, sagt Domina Katharina (Nadine Nollau) und berührt damit den analytischen Kern des Stücks: Die Doppelmoral einer sich aufgeklärt gebenden Gesellschaft, in der Prostitution zwar rege in Anspruch genommen, gleichzeitig aber geflissentlich tabuisiert wird.
Hier setzt die Inszenierung an: Meist ist es ein schräger Humor, mit welchem dem Publikum mal behutsam, mal mit pragmatischer Schroffheit die Berührungsängste genommen werden. Etwa wenn die unbekümmerte Yvonne (Stefany Dreyer) erzählt, dass sie einen ungepflegten Kunden fast liebevoll „Stinkeheiner“ nennt, oder wenn dem Kinderlied „Hoppe, hoppe, Reiter“ inmitten von Plateausandaletten und Leuchtstoffröhren plötzlich eine ganz neue Bedeutung zukommt.
Der Lächerlichkeit preisgegeben werden die allesamt großartig dargestellten Charaktere nie, vielmehr verleiht die feinfühlige Inszenierung ihnen eine Stimme und ermöglicht so den Zuschauern einen neuen Blick auf die Welt der Prostitution. Denn um bloßen Sex geht es selten. Vielmehr steht die zwischenmenschliche Begegnung im Vordergrund, das oft therapeutische Eingehen der Frauen auf männliche Bedürfnisse, das Entstehen von Machtstrukturen und Geschäftsbeziehungen, aber auch die Gratwanderung zwischen Bühnenspiel und Authentizität.
Die Charaktere und ihre Geschichten sind so vielschichtig wie die Gesellschaft selbst. Und natürlich geht es auch um Menschenhandel und Zwangsprostitution, um dreißig Freier in einer Nacht, um innerliche Leere und Gewalt. Vor allem aber geht es um eines: Würde.
www.hna.de/nachrichten/kultur/sex-allei ... 38109.html
Wer glaubt ein Christ zu sein, weil er die Kirche besucht, irrt sich.Man wird ja auch kein Auto, wenn man in eine Garage geht. (Albert Schweitzer)
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Fakten und Infos über Prostitution
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Fakten und Infos über Prostitution
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RE: Theaterstück „Rotlicht“ über Prostitution berührt Publik
Eine Milieustudie auf der Bühne
Das Deutsche Theater in Göttingen porträtiert mit dem Recherchestück "Rotlicht" ein Gewerbe, mit dem in Deutschland jährlich mehrere Milliarden Euro umgesetzt werden: die Prostitution.
Die Bundesregierung kann nur schätzen, wie viele Sexarbeiterinnen, sprich Prostituierte, es in Deutschland gibt. Rund 400.000 sollen es sein, gut die Hälfte davon Migrantinnen. Das Sex-Gewerbe macht einen jährlichen Umsatz von etwa 15 Milliarden Euro. Wo kommen diese Frauen her, was treibt sie in die Prostitution? Was für Menschen stehen hinter der Dienstleisterin "Prostituierte"? Das Theaterkollektiv "werkgruppe2" hat in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Theater im niedersächsischen Göttingen versucht, mit einem Bühnenstück Antworten auf diese Fragen zu finden.
Interviews mit zehn Prostituierten
Dazu hat Regisseurin Julia Roesler Sexarbeiterinnen aus ganz Deutschland interviewt. Mehr als zehn habe sie nicht geschafft sagt sie, "da hatte ich schon 500 Seiten Text, alles weitere hätte nur die Recherche für weitere Theaterstücke bedeutet, das war gar nicht mehr zu schaffen." Entstanden ist aus den Gesprächen mit Frauen, die in Bordellen oder als freischaffende Dominas arbeiten, ein Stück, das einen tiefen Blick in das Gewerbe Prostitution wirft. Die Frauen, die hier ihre Geschichten erzählen, heißen Barbara, Yvonne, Elena oder Katharina - Figuren, deren Biografien eine Melange sind aus dem, was echte Prostituierte erlebt haben. Die sie auf der Bühne erzählen, in knappem Outfit, umgeben von einem grandiosen Bühnenbild, das an ein Schaufenster im Rotlicht-Viertel erinnert.
Eine von ihnen ist Sveta, die Prostituierte wurde, damit ihre Kinder nicht verhungern. Sveta ist im Stück eine 29-jährige Bulgarin, deren Geld nicht reicht, um ihre Tochter und ihren Sohn zu ernähren. Als dieser eines Tages ein Brot mit Öl und Salz bestreicht und fragt, ob er es ganz essen darf oder es auch für morgen reichen muss, ist für Sveta Schluss. Sie beginnt, in einem Bordell zu arbeiten. Dort bekommt sie als Erstes Geld, um etwas zu essen zu kaufen. Und schon ist Sveta eine der unzähligen Prostituierten in Deutschland geworden, die in Bordellen und Campingmobilen auf ihre Freier warten. Scheinbar hat sie kein Problem damit, in ihrem "Lovemobil" auf Stammkunden zu warten - für sie ist es ein Beruf "wie jeder andere". Doch auch tragischere Schicksale kommen an diesem Abend zur Sprache.
32 Freier allein am Vatertag
Darunter sind Schicksale von Frauen, die in der Prostitution gelandet sind und davon nicht wieder los kamen. Die dutzende Freier an einem Tag über sich ergehen lassen mussten. Die aus purer wirtschaftlicher Not weit weg von zu Hause wie eine Ware verkauft werden. Die froh sind, wenn sie abends unter eine warme Decke kriechen können, weil der Körper müde ist und der Kopf keine Nähe mehr erträgt - von niemandem. Oder die in "Flatrate-Bordellen" arbeiten müssen. Szenen, die den meisten Theaterzuschauern unter die Haut gehen dürften.
Dafür sorgt auch die großartige Musik, denn unterstützt wird das Geschehen auf der Bühne vom Trio rund um Insa Rudolph. Drei Damen, die mit Cembalo, Cello und Klavier den Theaterabend musikalisch begleiten und immer wieder Gänsehautstimmungen erzeugen.
Sexarbeit als alltäglicher Job
Mit lakonischer Leichtigkeit erzählt das Stück "Rotlicht" die verschiedenen Wege in die Sexarbeit. Da ist auch die Zahnarzthelferin, die "schon immer mehr auf die Bad Boys" stand und nicht fassen konnte, wie schnell sich mit Sex Geld machen lässt. Da ist die Domina, die erst spät darauf gekommen ist, dass es sich durchaus lohnen kann, Männer herumzukommandieren - vor allem aber tritt immer wieder der Gedanke auf, welche gesellschaftliche Funktion die Branche erfüllt - abseits der reinen Triebabfuhr.
Angelika Fornell als die Prostituierte "Gerda"
So lässt Regisseurin Julia Rösler ihre Figuren immer wieder vom "Kunden" sprechen, vom "Stammkunden" oder gar vom "Klienten", wie in jedem normalen Job. Akzeptanz dafür gibt es in der Gesellschaft allerdings keine. Domina Katharina sagt: "Der Sexualtherapeut beschäftigt sich nur gesprächsweise mit den Klienten. Da stellt das kein Mensch in Frage. Aber wir machen das körperlich, und da soll es plötzlich was ganz anderes sein?"
Sexualbegleitung in Alters- und Pflegeheimen
Auch dafür werden Prostituierte gebucht, erzählt Gerda, eine weitere Kunstfigur, die auf den Geschichten echter Prostituierter basiert. Sie berichtet dann ganz unbefangen, dass zum Beispiel einer ihrer Stammfreier befürchtet, sie nicht mehr zu sehen, wenn er ins Altersheim muss. "Dann besuche ich dich einfach da", sagt sie, und lächelt kokett. Prostitution gegen Vereinsamung, auch das ist eine gesellschaftliche Relevanz, die dem Gewerbe zukommt.
Prostitution als Spiegel der Gesellschaft
Die Millieustudie wirkt äußerst authentisch, es gibt keine Tabus an diesem Abend im Deutschen Theater. Dazu werden die Zuschauer aufgefordert, die Damen, die sich im Schaufenster auf der Bühne räkeln, anzurufen. So entsteht eine direkte Kommunikation, die Distanz zwischen Bühne und Saal wird beinahe komplett aufgehoben. Bewusst, sagt die Regisseurin: “Wir hätten ja auch Zuhälter oder Bordellbetreiber interviewen können, aber wir haben uns auf die Sexarbeiterinnen beschränkt, damit genau dieses Verhältnis entstehen kann, dass der Zuschauer zum Kunden wird.“
www.dw.de/eine-milieustudie-auf-der-b%C ... a-16727270

Das Bühenbild "Rotlicht"

Das Deutsche Theater in Göttingen porträtiert mit dem Recherchestück "Rotlicht" ein Gewerbe, mit dem in Deutschland jährlich mehrere Milliarden Euro umgesetzt werden: die Prostitution.
Die Bundesregierung kann nur schätzen, wie viele Sexarbeiterinnen, sprich Prostituierte, es in Deutschland gibt. Rund 400.000 sollen es sein, gut die Hälfte davon Migrantinnen. Das Sex-Gewerbe macht einen jährlichen Umsatz von etwa 15 Milliarden Euro. Wo kommen diese Frauen her, was treibt sie in die Prostitution? Was für Menschen stehen hinter der Dienstleisterin "Prostituierte"? Das Theaterkollektiv "werkgruppe2" hat in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Theater im niedersächsischen Göttingen versucht, mit einem Bühnenstück Antworten auf diese Fragen zu finden.
Interviews mit zehn Prostituierten
Dazu hat Regisseurin Julia Roesler Sexarbeiterinnen aus ganz Deutschland interviewt. Mehr als zehn habe sie nicht geschafft sagt sie, "da hatte ich schon 500 Seiten Text, alles weitere hätte nur die Recherche für weitere Theaterstücke bedeutet, das war gar nicht mehr zu schaffen." Entstanden ist aus den Gesprächen mit Frauen, die in Bordellen oder als freischaffende Dominas arbeiten, ein Stück, das einen tiefen Blick in das Gewerbe Prostitution wirft. Die Frauen, die hier ihre Geschichten erzählen, heißen Barbara, Yvonne, Elena oder Katharina - Figuren, deren Biografien eine Melange sind aus dem, was echte Prostituierte erlebt haben. Die sie auf der Bühne erzählen, in knappem Outfit, umgeben von einem grandiosen Bühnenbild, das an ein Schaufenster im Rotlicht-Viertel erinnert.
Eine von ihnen ist Sveta, die Prostituierte wurde, damit ihre Kinder nicht verhungern. Sveta ist im Stück eine 29-jährige Bulgarin, deren Geld nicht reicht, um ihre Tochter und ihren Sohn zu ernähren. Als dieser eines Tages ein Brot mit Öl und Salz bestreicht und fragt, ob er es ganz essen darf oder es auch für morgen reichen muss, ist für Sveta Schluss. Sie beginnt, in einem Bordell zu arbeiten. Dort bekommt sie als Erstes Geld, um etwas zu essen zu kaufen. Und schon ist Sveta eine der unzähligen Prostituierten in Deutschland geworden, die in Bordellen und Campingmobilen auf ihre Freier warten. Scheinbar hat sie kein Problem damit, in ihrem "Lovemobil" auf Stammkunden zu warten - für sie ist es ein Beruf "wie jeder andere". Doch auch tragischere Schicksale kommen an diesem Abend zur Sprache.
32 Freier allein am Vatertag
Darunter sind Schicksale von Frauen, die in der Prostitution gelandet sind und davon nicht wieder los kamen. Die dutzende Freier an einem Tag über sich ergehen lassen mussten. Die aus purer wirtschaftlicher Not weit weg von zu Hause wie eine Ware verkauft werden. Die froh sind, wenn sie abends unter eine warme Decke kriechen können, weil der Körper müde ist und der Kopf keine Nähe mehr erträgt - von niemandem. Oder die in "Flatrate-Bordellen" arbeiten müssen. Szenen, die den meisten Theaterzuschauern unter die Haut gehen dürften.
Dafür sorgt auch die großartige Musik, denn unterstützt wird das Geschehen auf der Bühne vom Trio rund um Insa Rudolph. Drei Damen, die mit Cembalo, Cello und Klavier den Theaterabend musikalisch begleiten und immer wieder Gänsehautstimmungen erzeugen.
Sexarbeit als alltäglicher Job
Mit lakonischer Leichtigkeit erzählt das Stück "Rotlicht" die verschiedenen Wege in die Sexarbeit. Da ist auch die Zahnarzthelferin, die "schon immer mehr auf die Bad Boys" stand und nicht fassen konnte, wie schnell sich mit Sex Geld machen lässt. Da ist die Domina, die erst spät darauf gekommen ist, dass es sich durchaus lohnen kann, Männer herumzukommandieren - vor allem aber tritt immer wieder der Gedanke auf, welche gesellschaftliche Funktion die Branche erfüllt - abseits der reinen Triebabfuhr.
Angelika Fornell als die Prostituierte "Gerda"
So lässt Regisseurin Julia Rösler ihre Figuren immer wieder vom "Kunden" sprechen, vom "Stammkunden" oder gar vom "Klienten", wie in jedem normalen Job. Akzeptanz dafür gibt es in der Gesellschaft allerdings keine. Domina Katharina sagt: "Der Sexualtherapeut beschäftigt sich nur gesprächsweise mit den Klienten. Da stellt das kein Mensch in Frage. Aber wir machen das körperlich, und da soll es plötzlich was ganz anderes sein?"
Sexualbegleitung in Alters- und Pflegeheimen
Auch dafür werden Prostituierte gebucht, erzählt Gerda, eine weitere Kunstfigur, die auf den Geschichten echter Prostituierter basiert. Sie berichtet dann ganz unbefangen, dass zum Beispiel einer ihrer Stammfreier befürchtet, sie nicht mehr zu sehen, wenn er ins Altersheim muss. "Dann besuche ich dich einfach da", sagt sie, und lächelt kokett. Prostitution gegen Vereinsamung, auch das ist eine gesellschaftliche Relevanz, die dem Gewerbe zukommt.
Prostitution als Spiegel der Gesellschaft
Die Millieustudie wirkt äußerst authentisch, es gibt keine Tabus an diesem Abend im Deutschen Theater. Dazu werden die Zuschauer aufgefordert, die Damen, die sich im Schaufenster auf der Bühne räkeln, anzurufen. So entsteht eine direkte Kommunikation, die Distanz zwischen Bühne und Saal wird beinahe komplett aufgehoben. Bewusst, sagt die Regisseurin: “Wir hätten ja auch Zuhälter oder Bordellbetreiber interviewen können, aber wir haben uns auf die Sexarbeiterinnen beschränkt, damit genau dieses Verhältnis entstehen kann, dass der Zuschauer zum Kunden wird.“
www.dw.de/eine-milieustudie-auf-der-b%C ... a-16727270

Das Bühenbild "Rotlicht"

Wer glaubt ein Christ zu sein, weil er die Kirche besucht, irrt sich.Man wird ja auch kein Auto, wenn man in eine Garage geht. (Albert Schweitzer)
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Fakten und Infos über Prostitution
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