"Die Aussteigerin": Buch von Jeanne Cordelier

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friederike
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"Die Aussteigerin": Buch von Jeanne Cordelier

Beitrag von friederike »

Man öffnet das Buch und findet sich sofort mittendrin: eine Polizeirazzia hat das Saint-Louis getroffen, ein niveauvolles Wohnungsbordell in Montmartre in Paris. Die Prostituierten finden sich im Polizeiverhör, dann im Gefängnis. Im Paris der 60er Jahre ist Prostitution verboten, sind Bordelle geschlossen. Marie, die Ich-Erzählerin, erlebt das zum ersten Mal und wird erstmalig als Prostituierte registriert. Sie hat der Polizei das Anfassende geliefert: auf dem Weg zur Arbeit hat sie im Treppenhaus einen Kunden getroffen, der offenbar den Weg suchte. Hilfsbereit hat Marie ihn mitgenommen und ihm geschildert, was ihn erwartet. Damit war der notwendige Beweis geliefert.

"La Dérobade", auf deutsch "Die Aussteigerin", berichtet den Weg der Ich-Erzählerin Marie in die Prostitution, ihr Leben im Rotlichtmilieu des Paris der 1960er und frühen 70er Jahre und ihren Ausstieg. Es sind nicht nur die Erlebnisse von Marie, es sind die Erlebnisse von Danielle Coudert, die unter dem Pseudonym Jeanne Cordelier schreibt.

Danielle/Jeanne/Marie wird in einer der Vorstädte von Paris geboren (am 8. Januar 1944). Die Familie lebt am Rand der Gesellschaft, Danielle kommt über den Grundschulabschluss nicht hinaus. Ihre Aussichten stehen fest: Heirat mit dem netten Jungen von nebenan, Postangestellter mit schmalem Gehalt, viele Kinder, verbraucht mit dreissig und noch ein paar Jahre mit viel Alkohol. Die Hochzeit ist schon terminiert, da sieht Danielle, von der Arbeit als Verkäuferin zurückkehrend, vor dem Wohnblock etwas Tolles stehen: einen chromglänzenden Sportwagen amerikanischer Bauart. Er gehört Gérard, einem gutaussehenden Mann um die Dreissig, der mit Danielles Vater Karten spielt. Es gibt also noch ein anderes Leben: schick, reich, schnell.

Gérard führt Danielle in die Sexualität ein, sie erlebt ihren ersten Orgasmus "an seiner Hand". Er ist ganz offen: das andere Leben ist aufregend und findet auf dem Strich statt. Die Alternative mit dem netten Postangestellten verblasst. Gérard bringt Danielle als "Zigarettenverkäuferin" in einer Bar "The Sportsman" unter. Ein Routinier, der die Anfängerin sofort erkennt, nimmt sie in ein Stundenhotel mit. Danach hat sie noch drei andere. Dieser Einstieg ist zu krass. Gérard führt sie deshalb im Saint-Louis ein, ein gutgeführtes Nobelbordell mit angenehmer Kundschaft und freundlichen Kolleginnen. Danielle ist angekommen. Leider endet diese erste Periode mit der Polizeirazzia.

Dann geht es weiter, in andere Ètablissements, Bars, auf die Strasse, dann schliesslich in einen Puff in der rue St Dénis, dem klassischen Rotlichtbezirk von Paris. Gérard leitet, dirigiert, kassiert. Danielle/Jeanne/Marie/Sophie/Fanny wird im Rotlichtmilieu respektvoll "Madame Gérard" genannt, sie ist die Erste in der Rangfolge verschiedener Mitarbeiterinnen von Gérard. Das ganze geht natürlich nur auf ein paar Jahre, dann wird man heiraten, ein Kind haben, aufs Land ziehen und in einem schönen Haus vom Ersparten leben. Der gute Gérard macht einen Fehler: er schläft mit der Frau eines Kollegen, der wegen Gefängnisaufenthalts sich nicht selber um seine Frau(en) kümmern kann. Krasser Regelverstoss, mit einer Strafzahlung zu ahnden. Die Kollegenschaft kidnappt ihn, bis Danielle die Lösegeldsumme beschafft hat.

Danielle ist behilflich, ein gutaussehendes junges Mädchen in die Prostitution einzuführen. Sie hat gerade ihr Examen als Volksschullehrerin bestanden, aber Gérard kann ihr nur abraten. Schon bald erzählt sie Danielle von Gérards Zukunftsplänen mit ihr: siehe oben. Danielle erkennt nun endgültig, an wen sie geraten ist. Nun will sie heraus aus diesem Leben.

Aber so einfach geht das nicht. Noch verdient sie gutes Geld, immer noch kann sie in ein paar Jahren in den Vorstädten weiterverwertet werden, wo die Araber kommen - eine Schreckensvorstellung für Danielle -, zum Schluss kann man sie nach Dakar, in die französischen Kolonien exportieren. Wieder einmal verprügelt Gérard sie halbtot. Danielle flieht nach Hause, ihre Familie versteckt sie im grossen Schrank vor dem wuttobenden Zuhälter. Gérard nimmt die Hilfe einer korsischen Mafiaclique in Anspruch. Um ihr Leben zu retten, schliesst Danielle einen Vertrag: ein Jahr lang muss sie weiterarbeiten, eine ungeheure Abstandssumme bezahlen, dann ist sie frei.

Danielle arbeitet hart, zum Schluss landet sie in einem Provinznest, wo tatsächlich die Araber kommen, und sie täglich fünfundsiebzig (!!) Freier fickt, die Cremetube ständig in der Hand. Dann hat sie es geschafft. Das Buch schliesst mit dem Kapitel, wo sie auf der Polizeistation ihre Streichung aus dem Register beantragt und erhält. "La dérobade" bedeutet "der Ausstieg" - Danielle hat es geschafft.

Der Bericht ist offen. Authentisch. Und wahr. Er ist auch wahrhaftig, indem keinerlei Opferrollen, Ausflüchte oder Verzerrungen vorgestellt werden. Die Gründe, die Danielle in die Prostitution geführt haben, werden genannt. Sie hat sich frei dafür entschieden. Sie geniesst das Leben lange und auch dann noch, als das hässliche Gesicht ihres Zuhälters immer schärfer hervortritt. Sie verrät uns, dass der von Gérard vermittelte erste Kunde im Sportsman gar nicht ihr erster Freier war, dass sie zuvor auf eigene Faust einen Versuch unternommen hatte. Sie schildert das Milieu schonungslos und genau. Zum Beispiel: keines der vielen Ètablissements nimmt sie auf, ohne dass zuvor das Einverständnis ihres Zuhälters bei der Betreiberin vorliegt - ein allgemeines Einverständnis stellt sicher, dass die Huren nicht an den Zuhältern vorbeiagieren können. Dann sehen auch die Polizisten milde weg.

Über diese Authentizität hinaus glänzt dieses Buch auch durch die literarische Qualität der Schilderung und der Sprache. Danielle versteht es, auch ohne Handlungsfaden durchgehende Spannung zu erzeugen, die Eindrücke tiefenscharf und plastisch zu vermitteln, und ihre Sprache ist ein Glanzstück in sich. Die Kritiker, zum Beispiel der Intellektuellenzeitung Le Monde, haben das Buch bei seinem Erscheinen 1976 enthusiastisch als Werk der Literatur gefeiert. Liebhaber voyeuristischer Details kommen nicht auf ihre Kosten, Pornographie findet nicht statt. Das Buch ist berühmt für seine Verwendung des "Argot", des Slangs, der damals in Rotlichtkreisen gesprochen wurde (und heute etwas komisch wirkt, wie manche Kritiker anmerken, so wie die Halbstarkensprache der 1950er Jahre, in denen Mädchen als "steiler Zahn" auftraten). Das Buch ist deshalb Gegenstand von Dissertationen geworden. Vor allem aber kann Danielle etwas, was tatsächlich selten und ungewöhnlich ist: nämlich "echte" umgangssprachliche Dialoge schreiben. Für den Nichtfranzosen ist der Text oft vollkommen unleserlich, zum Glück gibt es eine englische Übersetzung ("The Life") von Harry Mathews, mit der man Lücken füllen kann.

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friederike
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RE: "Die Aussteigerin": Buch von Jeanne Cordelier

Beitrag von friederike »

(Forts.)

Als das Buch 1976 im renommierten Literaturverlag Hachette erschien, waren neben den begeisterten Fachkritikern auch böse Stimmen zur Stelle: wie konnte eine, die von ganz unten kommt, mit einem blossen Hauptschulabschluss, Autorin eines solchen Buches sein? Ihre Autorschaft wurde bezweifelt. Die englische Übersetzung nennt tatsächlich eine Coautorin "... and Martine Laroche", und viele unterstellten, dass eine Ghostwriterin das Buch verfasst habe. Diese Unterstellung, die Danielle sehr verletzt hat, wird heute nicht mehr ernstgenommen.

Sprache, Komposition - etwa die Idee, mit der Razzia zu beginnen und den Leser so unmittelbar ins Geschehen aufzunehmen -, Tiefe und Differenziertheit der Darstellung weisen dieses Buch als brillante Literatur aus. Der künstlerische und der kommerzielle Erfolg bestätigten Danielle in ihrer Entwicklung. Aus der Hauptschülerin und ausgebeuteten Sexarbeiterin wurde eine anerkannte, mit Auszeichnungen bedachte Schriftstellerin, die eine beachtliche Werkliste aufzuweisen hat. Danielle heiratete einen Ingenieur, der im Entwicklungsdienst arbeitete. Sie bekam einen Sohn, lebte lange in Schweden und begleitete ihren Mann auf seinen Stationen in vielen Ländern.

Heutige Fotos zeigen eine kleine, etwas rundliche Frau Mitte sechzig mit einem freundlichen Lächeln. Fotos aus 1976 lassen die Charakterzüge erkennen, die für einen solchen erstaunlichen Lebensweg benötigt werden (http://photos-e.ak.fbcdn.net/photos-ak- ... 9/89/84387). Danielle lebt heute in Paris mit ihrer Familie. Eine bewundernswerte Frau. Sie hat übrigens eine eigene Website: www.jeannecordelier.fr

Das Buch wurde 1979 congenial verfilmt mit Miou-Miou in der Hauptrolle. Regisseur ist Daniel Duval, der auch selbst die Rolle des Zuhälters Gérard übernommen hat und das Widerlich-Schmierige, zugleich auch wieder irgendwie Einnehmende dieses Typen grossartig darstellt. Miou-Miou ist für diese Rolle eine Idealbesetzung, sie hat die erotische Anziehungskraft und zeigt wundervoll die Verwandlung von der naiven Landpommeranze zur harten Grossstadthure.

Leider gibt es nach meinem Wissen weder das Buch noch die DVD in deutsch.

Friederike

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Robby
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Beitrag von Robby »

danke fürden tip friederike
wenns weder buch noch film in deutsch gibt bin ich leider ziemlich aufgeschmissen
werde das fernsehprogramm künftig auf den film hin durchforsten vielleicht werde ich irgendwann mal fündig
robert

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Beitrag von ehemaliger_User »

Ich denke, das Buch gibt es / gab es auch auf Deutsch:

Jeanne Cordelier
Die Verweigerung
Lebensbericht einer Prostituierten von der Place Pigalle
Verlag: München, Wilhelm Heyne Buch 5669,
ISBN-10: 3453011147
ISBN-13: 978-3453011144
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Robby
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Beitrag von Robby »

danke ehemaliger_User
werde mich drum kümmern
robby

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friederike
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Beitrag von friederike »

@Wolfgang,

vielen Dank! Merkwürdigerweise habe ich das nicht gefunden.

rainman
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Beitrag von rainman »

Zunächst einmal herzlichen Dank an Friederike für die Vorstellung des Buches von Jeanne Cordelier. Ich möchte dies zum Anlass nehmen, um einmal der Forengemeinde eine Frage zu stellen, die mich bewegt, seit dem ich mich mit der Sache Sexarbeit beschäftige:

Ich kann als Außenstehender mit allem, was in der Prostitution geschieht, gut leben, kann auch alles gesellschaftspolitisch vertreten und tue das auch, wann immer sich eine Gelegenheit dazu bietet. Eine Sache missbillige ich jedoch:

Wie kann es angehen, dass eine als Sexarbeiterin tätige Frau eine - mitunter horrende, s.o. - Ablösesumme zahlen muss, um von einer ausbeuterischen Zuhälterclique loszukommen? Resultiert das allein auf der Dummheit der Frau, sich auf emotionale und finanzielle Abhängigkeitsverhältnisse eingelassen zu haben? Was kann man dagegen tun? Mir wird genau dieses Faktum immer wieder um die Ohren gehauen, wenn ich mit anderen Leuten über Sexarbeit diskutiere. Ich rette mich dann immer mit dem Argument: Aufklären, aufklären aufklären...

Liebe Grüße, rainman

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RE: "Die Aussteigerin": Buch von Jeanne Cordelier

Beitrag von friederike »

Lieber rainman,

darüber aufzuklären war (unter anderem) die Intention dieses Buches.

Es spielt im Paris der 60er und 70er Jahre. Prostitution ist durch die berüchtigten Gesetze der Nachkriegsära illegalisiert, aber sie floriert in vollen Zügen. Zwischen Polizei, Bordellbetreibern, Betreibern von Stundenhotels und Zuhältern gibt es eine "wunderschöne" Symbiose. Das organisierte Verbrechen blüht.

Danielle/Jeanne schildert überzeugend die emotionale Bindung und die Hoffnungen, die sie als "Madame Gérard" auf ihn setzt. Als sie aussteigen will, sind es brutale Gewalt des Zuhälters und dann die Gefahr durch die skrupellose Mafia, mit der der Zuhälter sich verbündet hat, die sie zum Nachgeben zwingen. Hilfe von Seiten der Behörden, die sich soviel Mühe mit den Razzien gemacht haben, kann sie nicht erwarten. Da hat auch eine willensstarke und intelligente Frau keine Chance.

LG,
Friederike

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Aoife
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Beitrag von Aoife »

          Bild
rainman hat geschrieben:Resultiert das allein auf der Dummheit der Frau, sich auf emotionale und finanzielle Abhängigkeitsverhältnisse eingelassen zu haben? Was kann man dagegen tun? Mir wird genau dieses Faktum immer wieder um die Ohren gehauen, wenn ich mit anderen Leuten über Sexarbeit diskutiere. Ich rette mich dann immer mit dem Argument: Aufklären, aufklären aufklären...
Da kann ich dir nur zustimmen, lieber rainman!

Bleibt zu fragen, warum die doch tatsächlich stattfindende Aufklärung erfolglos bleibt, welche Kräfte da dagegenarbeiten.

Und da denke ich dass Friederike den Nagel auf den Kopf getroffen hat:

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friederike hat geschrieben:Zwischen Polizei, Bordellbetreibern, Betreibern von Stundenhotels und Zuhältern gibt es eine "wunderschöne" Symbiose. Das organisierte Verbrechen blüht.
Diese Zusammenhänge sind keineswegs nur im Paris der 60er gegeben. Allenfalls dass man für das zeitgenössische Deutschland für "Polizei" allgemeiner Behörden (einschließlich Gerichte) einsetzen müsste.

Und somit wird deine Frage "was kann man dagegen tun" höchst brisant. Entweder gar nichts, oder eine Revolution, die den gesamten korrupten Verwaltungsapparat entfernt. Tut mir leid, wenn ich das so drastisch ausdrücke, aber eben dieser Verwaltungsapparat beweist ständig, dass er nicht gewillt ist auf sein aus dem Faschismus stammendes Gewohnheits"recht" zu verzichten.

Die Tatsache, dass jeder Bürger mit gutem Grund seine Intimsphäre schützt wird zum Prostitutionsstigma umgemünzt um uns unter Druck setzen zu können. Eine Aufklärung in diesem Bereich wird keine politischen Auswirkungen haben, die Menschen sind nach meiner Erfahrung diesbezüglich schon sehr weit, werden aber zum Selbstschutz nicht öffentlich dazu stehen. Und so kann die "wunderschöne Symbiose" weiterhin blühen.

Liebe Grüße, Aoife
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RE: "Die Aussteigerin": Buch von Jeanne Cordelier

Beitrag von friederike »

Letztlich kann Korruption und Unterdrückung wohl nur beseitigt werden, indem man die Instrumente auf ein geringstmögliches Mass zurückführt.

Jede gesetzliche Reglementierung öffnet die Tür für diejenigen, die daraus ein Machtinstrument ableiten: Behörden direkt, Zuhälter und ausbeuterische Betreiber indirekt. Die Frauen selbst enden zwischen Hammer und Amboss, sie können sich am wenigsten wehren.

Die Schilderung von Jeanne Cordelier sollte allen "Gutmenschen" diesen Zusammenhang klarmachen. Es sind gerade die Gesetze zur Unterdrückung der Prostitution, die die Frauen schwächen und die Zuhälter stärken.

Leider wird natürlich auch dieses Buch "gegen den Strich" gelesen und als Argument für noch schärfere Gesetze hergenommen (Benoîte Groult, franz. Feministin). Die sehr deutlichen Aussagen von Danielle/Jeanne/Marie/Sophie/Fanny werden schlicht beiseitegeschoben - manche lesen keine Bücher, sondern immer nur ihre eigene Meinung.

Friederike

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Jupiter
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RE: "Die Aussteigerin": Buch von Jeanne Cordelier

Beitrag von Jupiter »

Nach meinen Beobachtungen ist diese "Symbiose" auch heute noch aktuell.
Beim Straßenstrich in Straßbourg stehen in den Nebenstraßen einvernehmlich beieinander officielle Polizeiwagen und Wagen von "Beschützern".

Ich denke, je stärker reglementiert wird, desto "bedeutender" wird diese "Symbiose".

Als es in Deutschland noch den Bockschein gab, sollte damit auch die Anzahl reglementiert werden. Bestimmten Leuten gelang es aber immer, noch zusätzliche "Kontngente" zu erhalten. Dreimal darf man fragen, auf welche Art. Und wer musste diese "Mehrkosten" erwirtschaften?

Gruß Jupiter
Wenn du fühlst, dass in deinem Herzen etwas fehlt, dann kannst du, auch wenn du im Luxus lebst, nicht glücklich sein.

(Tenzin Gyatso, 14. Dalai Lama)

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Marc of Frankfurt
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Lebensgeschichte

Beitrag von Marc of Frankfurt »

Danke für deine ausführliche Rezension.



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Cordelier Jeanne:

La dérobade
1976

La escapada
1977

The Life - Memoirs of a French Hooker
1978

Die Verweigerung
1983
www.amazon.de/dp/3217008499 ...

Deine Übersetzung Ausstieg hat bei mir auch ein kleines Unbehagen ausgelöst, weil ich den Begriff auf den allgemeineren Fall 'aus der Sexarbeit' anwende und nicht den speziellen Fall 'aus der zuhälterkontrollierten Prostitution' www.sexworker.at/exit .

Die Ablöse (Abstecke) an den Zuhälter ist deshalb wohl heute auch nocht üblich, weil das Zuhälter-Verdikt nach wie vor besteht, da es trotz ProstG www.sexworker.at/prostg nicht gelungen ist Arbeitsverträge d.h. die arbeitsteilige Organisation der Prostitution legal zu etablieren (siehe Prozesse Steuerrecht, Menschenhandel und Flatrate-Clubs).

Die OrganisatorInnen von Prostitution tragen mithin neben dem wirtschaftlichen Wagnis (Personalwesen) auch ein strafrechtliches, welches die erhöhte Transferzahlungen "rechtfertigt". Allerdings kennen wir durchaus höhere aus dem Ligen-Fußball: transfermarkt.de.
Zuletzt geändert von Marc of Frankfurt am 08.05.2011, 15:29, insgesamt 3-mal geändert.

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Aoife
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Re: RE: "Die Aussteigerin": Buch von Jeanne Cordel

Beitrag von Aoife »

          Bild
Jupiter hat geschrieben:Als es in Deutschland noch den Bockschein gab, ...
Und jetzt übt man den gleichen Einfluß eben über das Baurecht aus :009

Daher auch mein völlig fehlender Glaube an eine Reformierbarkeit des Systems - solange die alten Strukturen und Personen in Amt und Würden bleiben werden sie ständig neue Möglichkeiten finden, ihre Verbrechen gegen die Menschlichkeit fortzusetzen.

Liebe Grüße, Aoife
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Beitrag von ehemaliger_User »

          Bild
friederike hat geschrieben:
vielen Dank! Merkwürdigerweise habe ich das nicht gefunden.
Steht ja auch bei mir im Bücherregal! Aber eine sehr gute Rezension hast Du da geschrieben!

@Jupiter
junge, naive Frauen werden von ihren Zuhältern darüber informiert, dass diese Regeln im Milieu gelten. Die Frauen glauben das. Wenn sie den Mechanismus "Zuhälter" durchschaut haben und sich trennen, zahlen sie lieber um ihre Ruhe zu haben.

Meine Erfahrung: Wenn die Frau mit einer Anzeige droht wird sie meist in Ruhe gelassen (es ist für den Zuhälter einfacher, sich eine "Neue zu besorgen"). Manchmal gibt es Sanktionen in der Form, dass sie in "befreundeten" Häusern, zumindest für eine bestimmte Zeit, nicht mehr arbeiten kann.
Zuletzt geändert von ehemaliger_User am 08.05.2011, 23:23, insgesamt 2-mal geändert.
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RE: "Die Aussteigerin": Buch von Jeanne Cordelier

Beitrag von friederike »

@ehemaliger_User,

vielen Dank! :-)

Friederike

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Beitrag von fraences »

@Friederike, Jupiter, vielen Dank für den Buchtipp.Das mit dem Freikaufen oder wie man auch sagt Abstand zahlen,ist denke ich in der heutige Zeit Gott sei Dank nicht mehr usus.Der Einfluss von Zuhaelter ,die sich auf solche "Alte Milieugesetze berufen " sollten schon laengst ausgestorben sein.Zumindestens bei selbsbewusste und emanzipierte SW. von Heute nicht mehr machbar sein.lg fraences
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Beitrag von Ariane »

Dank auch von mir für die schöne Rezension liebe Friederike.

liebe grüsse
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Beitrag von rainman »

Vielen Dank für die rege Teilnahme an der Diskussion!

Gerne höre ich, dass die "Abstecke", oder wie man diesen Vorgang auch nennen mag, heutzutage der Vergangenheit angehören soll. Aber was ist an ihre Stelle getreten? Kluge, selbstbewusste und emanzipierte Sexarbeiterinnen, die sich nicht vor fremde Karren spannen lassen, wird es doch nicht nur heutzutage geben. Immer, wenn ich mit diesem Argument in eine Diskussion gehe, komme ich nicht durch; man glaubt mir einfach nicht. Die Leute klopfen mir auf die Schulter und sagen: Wunderbar, Klasse, träum' weiter. Das liegt natürlich auch daran, dass die Öffentlichkeit die edlen Formen der Prostitution kaum wahrnimmt. Selbst das, was im "Pascha" vor sich geht, wird erst dann ruchbar, wenn sich ein falscher Arzt eingeschlichen hat. Aber was am Eifeltor los ist, wo eine Rockerbande das Sagen hat, das wissen alle.

Liebe Grüße, rainman

PS: Bin für ein paar Tage weg, bis bald!

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Beitrag von fraences »

@rainman Kenne die Kölner Szene sehr gut, und gehe nicht Konform mit den Presseberichte über den Eifeltor.Meine Erfahrung ist nicht das die Hell Angels dort die Kontrolle mehr haben, sondern zugekokste, gewaltbereite bulgarisch/russische Zuhaelter von der übelste Sorte dort regieren,die ihren Platzhirschgehabe voll austragen,liebe gruesse, fraences
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Beitrag von Arum »

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fraences hat geschrieben: .Das mit dem Freikaufen oder wie man auch sagt Abstand zahlen,ist denke ich in der heutige Zeit Gott sei Dank nicht mehr usus.

Heisst aber nicht, dass es nicht mehr geschieht. Ich kenne da einen Fall, habe den schon mal irgendwo im Forum erwähnt. Da ging es um den Dortmunder Strassenstrich. Freikauf durch Goldohrringe.
Guten Abend, schöne Unbekannte!

Joachim Ringelnatz