Den 2. Preis des alternativen Medienpreis 2011 im Bereich Hörfunk erhielt Aleksandra Kolodziejczyk für ihre Reportage
Autonomie oder Prostitution
Die Zeitehe im Iran. Ein Interview mit Sudabeh Mortezai
Die Zeitehe ist eine schiitisch-islamische Eheform und im Iran Teil des Familienrechts. Eine Zeitehe kann für eine Stunde bis zu 99 Jahren eingegangen werden.
Außerehelicher Geschlechtsverkehr ist im Iran verboten, Hochzeiten eine teure Angelegenheit und die Zeitehe eine Möglichkeit, um das Privatleben in Einklang mit einem repressiven Rechtssystem zu bringen. Kann die Zeitehe den Frauen mehr Autonomie bringen oder ist sie bloß eine legalisierte Form der Prostitution?
Die Regisseurin Sudabeh Mortezai hat sich in ihrem Dokumentarfilm „Im Bazar der Geschlechter” mit der Zeitehe auseinandergesetzt. Im Gespräch mit Aleksandra Kolodziejczyk erzählt sie über die Praxis der Zeitehe und ihre Erfahrungen während des Filmdrehs.
Autonomie oder Prostitution - Die Zeitehe im Iran
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Autonomie oder Prostitution - Die Zeitehe im Iran
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Brautgeld,Honorar,Liebeslohn
Brautgeld, Honorar, Liebeslohn
Schillernd: ein Film aus Iran über die Zeitehe
Für einen lauen Sommerabend ist der Kinosaal erstaunlich prall gefüllt. Am Freitagabend kommt Sudabeh Mortezais Dokumentarfilm „Im Bazar der Geschlechter“ im Neuköllner Rollberg-Kino zu verspäteten Premierenehren – schließlich hat der Film der Wiener Filmemacherin schon vor zwei Jahren bei internationalen Dokumentarfilmfestivals begeistert. Gedreht wurde er noch ein Jahr zuvor, 2008. Wichtig ist das deswegen, weil im Juni 2009 die sogenannte Grüne Revolution kurz und hoffnungsvoll die Verhältnisse im Iran zum Tanzen brachte. Danach aber wurde die Repression noch härter. So ist die Tatsache, dass Mortezais Dokumentation legal und ungehindert von der Zensur entstehen konnte, auch schon wieder eine Reminiszenz an einen liberaleren Iran.
Aktuell ist der Film dennoch: Es geht um sogenannte Zeitehen. Die schiitische Tradition ermöglicht sexuelle Begegnungen außerhalb der regulären Ehe in gottesgefälligem Rahmen und hat bisher nur im Iran eine legale, wenn auch tabuisierte Form gefunden. Dabei wird das bei der islamischen Heirat übliche Brautgeld durch eine Art Honorar für die Ehefrau auf Zeit ersetzt. Die Mut’ah(Genuss)-Ehe kann dabei von 30 Minuten bis zu Jahren dauern, Art und Anzahl möglicher Sexualkontakte und Lohn werden vertraglich festgelegt. Der Mann darf unzählige solcher Zeitehen parallel und heimlich eingehen, die Frau jeweils nur eine, außerdem soll sie zwischen zwei Ehen für zwei Regelblutungen pausieren.
Wie es mit dieser Pause nach den Wechseljahren aussehe, wird ein Mullah gefragt, der gerade mit viel Stempelei und Floskeln solch eine Zeitehe beglaubigt: Im Prinzip sei die der Legitimation eventuell gezeugter Kinder geschuldete Pause dann überflüssig – aber, fügt er mit süffisantem Lächeln hinzu, wer will schon eine solche Frau? Auch sonst wird schnell klar, dass die Zeitehe vor allem der Befriedigung männlicher Sexualbedürfnisse außerhalb der Ehe einen legitimer Rahmen gibt. Schön illustriert die Filmemacherin das in einem ironischen Prolog: Als Mohammeds gen Mekka pilgernde Gefährten den Schönheiten der Stadt zu erliegen drohten, holte der Prophet von ganz oben den Rat, die Frauen einfach für die Zeit des Aufenthalts zu verehelichen. „Gott ist allwissend und weise“, heißt es in Sure 4, Vers 24 des Koran, die diese Eingebung beschreibt.
Noch weiser wirkt etwa der Mullah, der unter dem Label eines Wohltätigkeitsvereins eine Agentur betreibt, die notleidende alleinstehende Frauen in Zeitehen vermittelt. Das soll der Prostitution Einhalt gebieten, heißt es, kommt ihr jedoch auffällig nahe. Immerhin kommen daneben Betroffene beiderlei Geschlechts zu Wort: zwei Ex-Zeitverehelichte, von denen sich die Frau jetzt offensichtlich mit ,echter’ Prostitution durchschlägt. Geschiedene, die ums materielle Überleben kämpfen. Und Verzweifelte, die noch auf ihr Glück hoffen. Denn die Zeitehe kann, etwa von geschiedenen oder verwitweten Frauen, auch genutzt werden, sich gegen die Gesellschaftszwänge etwas mehr individuelle Freiheit zu erkämpfen. Wobei der tapfere Galgenhumor dieser Kämpferinnen die filmische Reise in die Trutzburg patriarchaler Doppelmoral erst erträglich macht. Abendländische Arroganz ist dennoch fehl am Platz in einer Gesellschaft, die ihren eigenen Prostituierten die Gewaltverhältnisse von Zuhälterei und Frauenhandel zumutet.
Nach der Vorführung wurde die Regisseurin von Zuschauerinnen gefragt, ob ihre unverschleiert auftretenden Heldinnen unwissend in große Gefahr geraten seien. Noch seien alle wohlauf, sagte Mortezai – und zudem hätten sie sich möglicher Gefährdung bewusst gestellt – in der Hoffnung auf größtmögliche Öffentlichkeit. Solidarität ist da nötig, falscher Opferschutz nicht.
http://www.tagesspiegel.de/kultur/braut ... 72142.html
Schillernd: ein Film aus Iran über die Zeitehe
Für einen lauen Sommerabend ist der Kinosaal erstaunlich prall gefüllt. Am Freitagabend kommt Sudabeh Mortezais Dokumentarfilm „Im Bazar der Geschlechter“ im Neuköllner Rollberg-Kino zu verspäteten Premierenehren – schließlich hat der Film der Wiener Filmemacherin schon vor zwei Jahren bei internationalen Dokumentarfilmfestivals begeistert. Gedreht wurde er noch ein Jahr zuvor, 2008. Wichtig ist das deswegen, weil im Juni 2009 die sogenannte Grüne Revolution kurz und hoffnungsvoll die Verhältnisse im Iran zum Tanzen brachte. Danach aber wurde die Repression noch härter. So ist die Tatsache, dass Mortezais Dokumentation legal und ungehindert von der Zensur entstehen konnte, auch schon wieder eine Reminiszenz an einen liberaleren Iran.
Aktuell ist der Film dennoch: Es geht um sogenannte Zeitehen. Die schiitische Tradition ermöglicht sexuelle Begegnungen außerhalb der regulären Ehe in gottesgefälligem Rahmen und hat bisher nur im Iran eine legale, wenn auch tabuisierte Form gefunden. Dabei wird das bei der islamischen Heirat übliche Brautgeld durch eine Art Honorar für die Ehefrau auf Zeit ersetzt. Die Mut’ah(Genuss)-Ehe kann dabei von 30 Minuten bis zu Jahren dauern, Art und Anzahl möglicher Sexualkontakte und Lohn werden vertraglich festgelegt. Der Mann darf unzählige solcher Zeitehen parallel und heimlich eingehen, die Frau jeweils nur eine, außerdem soll sie zwischen zwei Ehen für zwei Regelblutungen pausieren.
Wie es mit dieser Pause nach den Wechseljahren aussehe, wird ein Mullah gefragt, der gerade mit viel Stempelei und Floskeln solch eine Zeitehe beglaubigt: Im Prinzip sei die der Legitimation eventuell gezeugter Kinder geschuldete Pause dann überflüssig – aber, fügt er mit süffisantem Lächeln hinzu, wer will schon eine solche Frau? Auch sonst wird schnell klar, dass die Zeitehe vor allem der Befriedigung männlicher Sexualbedürfnisse außerhalb der Ehe einen legitimer Rahmen gibt. Schön illustriert die Filmemacherin das in einem ironischen Prolog: Als Mohammeds gen Mekka pilgernde Gefährten den Schönheiten der Stadt zu erliegen drohten, holte der Prophet von ganz oben den Rat, die Frauen einfach für die Zeit des Aufenthalts zu verehelichen. „Gott ist allwissend und weise“, heißt es in Sure 4, Vers 24 des Koran, die diese Eingebung beschreibt.
Noch weiser wirkt etwa der Mullah, der unter dem Label eines Wohltätigkeitsvereins eine Agentur betreibt, die notleidende alleinstehende Frauen in Zeitehen vermittelt. Das soll der Prostitution Einhalt gebieten, heißt es, kommt ihr jedoch auffällig nahe. Immerhin kommen daneben Betroffene beiderlei Geschlechts zu Wort: zwei Ex-Zeitverehelichte, von denen sich die Frau jetzt offensichtlich mit ,echter’ Prostitution durchschlägt. Geschiedene, die ums materielle Überleben kämpfen. Und Verzweifelte, die noch auf ihr Glück hoffen. Denn die Zeitehe kann, etwa von geschiedenen oder verwitweten Frauen, auch genutzt werden, sich gegen die Gesellschaftszwänge etwas mehr individuelle Freiheit zu erkämpfen. Wobei der tapfere Galgenhumor dieser Kämpferinnen die filmische Reise in die Trutzburg patriarchaler Doppelmoral erst erträglich macht. Abendländische Arroganz ist dennoch fehl am Platz in einer Gesellschaft, die ihren eigenen Prostituierten die Gewaltverhältnisse von Zuhälterei und Frauenhandel zumutet.
Nach der Vorführung wurde die Regisseurin von Zuschauerinnen gefragt, ob ihre unverschleiert auftretenden Heldinnen unwissend in große Gefahr geraten seien. Noch seien alle wohlauf, sagte Mortezai – und zudem hätten sie sich möglicher Gefährdung bewusst gestellt – in der Hoffnung auf größtmögliche Öffentlichkeit. Solidarität ist da nötig, falscher Opferschutz nicht.
http://www.tagesspiegel.de/kultur/braut ... 72142.html
Wer glaubt ein Christ zu sein, weil er die Kirche besucht, irrt sich.Man wird ja auch kein Auto, wenn man in eine Garage geht. (Albert Schweitzer)
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Fakten und Infos über Prostitution
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Das Institut der Zeitehe ist gar nicht so schlecht, so verpflichtet sich der Mann doch vor Gott diese Frau anständig zu behandeln. Außerdem kommen ihr damit mehr Rechte zu, als in westlichen Staaten, in denen jede Form der Prostitution als sittenwidrig aus dem Rahmen von Moral und Recht gedrängt und kriminalisiert wird.
Freier die in die Illegalität gedrückt werden, neigen nachweislich stärker zu kriminellen Handlungen - dann vor allem an der SexarbeiterIn. Jede Form der Legalisierung ist also zu begrüßen, mag sie auch noch so verlogen und abstrus sein.
Lieben Gruß
Michel
Freier die in die Illegalität gedrückt werden, neigen nachweislich stärker zu kriminellen Handlungen - dann vor allem an der SexarbeiterIn. Jede Form der Legalisierung ist also zu begrüßen, mag sie auch noch so verlogen und abstrus sein.
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Verlogen und abstrus ist möglicherweise die derzeitige Praxis im Iran, das kann ich mangels neutraler Information nicht beurteilen, die Idee der Zeitehe ist jedoch im Rahmen des islamischen Systems keineswegs ein "Winkelzug":Mitch hat geschrieben:Jede Form der Legalisierung ist also zu begrüßen, mag sie auch noch so verlogen und abstrus sein.l
Die Ehe ist ein Vertrag über eine sexuelle Beziehung, der sowohl gekündigt als auch von vornherein zeitlich beschränkt werden kann. Das ist übrigens auch der Grund warum der im Islam eigentlich ausgeschlossene Rechtsgrundsatz "Schweigen ist Zustimmung" für den Sonderfall der Eheschließung ausnahmsweise gilt: Man will der Frau nicht zumuten vor Zeugen bekunden zu müssen, dass sie Sex haben will.
Für alle finanziellen Folgen dieser Beziehung muß der Mann aufkommen, einschließlich durch etwaige Kinder verursachte Kosten. Eine nicht gerade männerfreundliche Regelung, die dann die Wartezeit von 2 Perioden zwischen zwei Ehen begründet - der Mann soll diese finanzielle Belastung wenigstens nur dann tragen müssen, wenn sicher ist, dass er an ihrer Entstehung beteiligt war.
Letztlich stellt das islamische Recht ein IMHO durchaus ausgeglichenes System dar, in westlichen Medien verbreitete Horrormeldungen wie die Steinigung einer unverheiratet schwanger gewordenen Frau sind islamisch gesehen absolut rechtswidrig, dass solche Dinge passieren ist nicht in der Sharia begründet, sondern die in der Bevölkerung fortgeführte Tradition des britischen Kolonialrechts.
Liebe Grüße, Aoife
It's not those who inflict the most, but those who endure the most, who will conquer. MP.Vol.Bobby Sands
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