Prostitution & Kapitalismus 3Sat-Kulturzeit

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Ariane
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Prostitution & Kapitalismus 3Sat-Kulturzeit

Beitrag von Ariane »

Hab gerade einen Beitrag auf Kulturzeit in 3sat gesehen, der morgen dort online abrufbar ist.

In der Reihe
Die Welt wächst in den Himmel
Kulturzeit-Reihe "Schuld & Schulden" - Teil 4


Interessanterweise kommt eine ehemalige Sexarbeiterin, Andrea, zu Wort, die, als sie in jüngeren Jahren viel und schnell Geld verdiente, dies als Rausch beschreibt, ähnlich wie manch Zocker an den Börsen dieser Welt. Es kommen auch ein Ökonom und ein Soziologe zu Wort. Da das Schicksal von Andrea kein Einzelfall in der Szene ist, ist es gerade wichtig an Altersvorsorge zu denken und insbesondere die von Marc zum Thema eingestellten Links zur Kenntnis zu nehmen. Besser mit Netz und doppelten Boden arbeiten als ohne. Insbesondere, wenn man nie gelernt hat, mit Geld umzugehen. Geldökonomie müsste in Ansätzen schon in der Schule gelehrt werden, denn mit überteuerten Handyverträgen und Konsum beginnt man heutzutage schon in jungen Jahren Schuldenberge anzuhäufen. Alles dreht sich immer nur um Geld, aber es wird dem Normalbürger kaum vermittelt, wie man vernünftig haushaltet bzw. werden sie über Risiken im unklaren gelassen und oftmals vom Banker des Vertrauens verarscht. Dies wurde während der Finanzkrise augenfällig, welche Risiken lauern und dass ganze Existenzen zerstört wurden.


Hier der Programmtext:

"Wo Vermögen wächst, wachsen gleichzeitig die Schulden. Das ist die unentrinnbare Logik unseres kapitalistischen Systems. Alle müssen sich ständig verschulden: die Privathaushalte, die Unternehmen, der Staat. Nur so vermehrt sich Geld.
Andrea ist eine ehemalige Prostituierte. Das Mädchen vom Land will anfangs erleben, was es bedeutet, wirklich viel Geld zu haben. Dort, wo es herkommt, gab es nur wenig davon. Da konnte man nur davon träumen. In Frankfurt am Main lässt sie sich verzaubern. "Es hat etwas mit den Verheißungen des Geldes zu tun", sagt der Ökonom Christoph Deutschmann. "Geld hat eine Art magische Ausstrahlung. Was kann ich alles für Geld haben? Es ist ja unendlich, was ich für Geld bekommen kann."

Im Schatten der Banken geht es ganz schnell mit dem vielen Geld. Alles, was sie braucht, um das Kapital anzuschaffen, bringt sie von Haus aus mit: ihren Körper. "Es war für mich eine unheimliche Euphorie", sagt Andrea. "Macht. Ich war wie eine Königin. Ich konnte mir alles kaufen. Es war einfach ein sehr schönes Gefühl. Das meine ich mit Freiheit." Das habe sie in ihrem Städtchen nicht gehabt, so Andrea - und vor allem hätte sie es nicht so schnell verdient.

Wenn es gut läuft, sind alle wie im Rausch

Alle haben Hochkonjunktur.Die Banken verfolgen dasselbe Ziel. Auch bei ihnen geht es darum, Geld ständig zu vermehren. Wenn es gut läuft, sind alle wie im Rausch. Es geht immer weiter nach oben, die Welt wächst in den Himmel. Sie glauben es - wie das Mädchen vom Lande. Alle haben Hochkonjunktur. Die Klimaxmaschinen laufen wie von selbst. "Natürlich habe ich Komplimente bekommen", sagt Andrea. "Boooh, hast du einen tollen Busen, du hast einen tollen Körper, du hast tolle Augen. Da habe ich gedacht, das geht alles so weiter." Es ist wie der Traum des Alchimisten: aus Nichts Geld schaffen. Das Unmögliche scheint möglich geworden zu sein.
"Was wir bei unseren Untersuchungen festgestellt haben, war, dass unter anderem tatsächlich in den Banken und im Finanzwesen geglaubt wurde, man hätte so etwas wie das Ei des Columbus, der Finanzwirtschaft gefunden", so der Soziologe Sighard Neckel, "nämlich Finanzprodukte, die einen hohen Gewinn versprechen, ohne dass man dafür ein entsprechend hohes Risiko in Kauf nehmen müsste." Wie schafft man auf dem Finanzmarkt das absolut sichere System? Man weckt die Illusion, dass man das Risiko mathematisch in Schach halten kann. Die Klugen aber wissen, wann sie aussteigen müssen - nicht aber das Mädchen vom Lande, das sich vom großen Spiel ums Geld anstecken lässt. "Es gab welche, die haben mich noch dazu animiert", so Andrea über das Glücksspiel. "Die haben gesagt: Schmeiß' doch noch mal etwas rein. Vielleicht gewinnst du etwas. Du kannst es dir leisten. Und ich habe gedacht: Ja, na klar, komm, ich schmeiß' nochmal einen Fuffi da rein. Man ist ja wer in dem Moment, wo man dieses Geld hat."

Je mehr Geld man hat, umso mehr gibt man aus

Aus dem Glücksspiel wird über Nacht ein Spiel mit dem Leben.Niemand spricht im Rausch davon, dass am nächsten Morgen der Kater kommt. Man überschätzt sein Glück und seine Kräfte. Aus dem Glücksspiel wird über Nacht ein Spiel mit dem Leben. Die Zeche zahlt jeder selbst. "Man verliert einfach die Kontrolle", weiß auch Andrea. "Die Realität zum Geld verliert man sehr schnell, wenn man viel Geld in der Hand hat und damit nicht umgehen kann. Das ist der Punkt. Je mehr Geld man hat, umso mehr gibt man aus - und dann rutscht man sehr leicht in die Schuldenfalle." Wenn die Geldarbeiter in den Banken die Vermögenden mit angeblich risikolosen Wetten locken, erzeugen sie damit eine riesige Schuldenblase. Für die Folgen glauben sie, nicht verantwortlich zu sein.
"Insofern ist die strukturierte Verantwortungslosigkeit, die wir auf den Finanzmärkten festgestellt haben, durchaus nicht unbedingt ein Punkt einer moralischen Verfehlung", so Sighard Neckel. Viel elementarer sei noch, "dass auf den Finanzmärkten weder die Bereitschaft, noch die Institutionen bestehen, für die Folgen der eigenen Handlungen aufzukommen. Das verletzt letztendlich die Wirtschaftsgesinnung, wie das in der bürgerlichen Gesellschaft eigentlich kodifiziert ist: dass man nämlich haftet für das Tun, das von einem selbst ausgeht, dass man für den Schaden aufkommt, den das eigene Handeln möglicherweise ausgelöst hat."

Irgendwann ist das Mädchen vom Lande den Spielschulden nicht mehr gewachsen. Den Glauben, sie mit dem Einsatz ihres Körpers zurückzahlen zu können, muss sie aufgeben. Sie landet ganz unten und betäubt ihren Schmerz. "Das war wieder eine ganz andere Situation, eine ganz andere Welt", erinnert sich Andrea. Man sei plötzlich dankbar, wenn man eine Zigarette geschenkt bekomme. "Wenn man ganz unten ist oder war, schätzt man erst das Geld - was ich vorher nicht gemacht habe." In den Finanzpalästen mit beschränkter Haftung geht nach dem Kater die Geldparty von vorne los. Täglich dasselbe Wunder: Aus Nichts mach Geld. Wer weiß: Vielleicht geht es ja diesmal gut und die Schulden bleiben uns erspart."

Link
http://www.3sat.de/page/?source=/kultur ... index.html
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Marc of Frankfurt
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Beitrag von Marc of Frankfurt »

ahhh, habs auch gesehen und fand es fehlerhaft bis prostitutionsfeindlich

www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?p=99972#99972