Bundesverfassungsgericht gibt Klägern Recht
Karlsruhe kippt Verbot organisierter Sterbehilfe
26.02.2020 10:05 Uhr
Das Bundesverfassungsgericht hat heute ein Grundsatzurteil in Sachen Sterbehilfe gesprochen. Verfolgen Sie die Urteilsverkündung hier live.
"Wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt …, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft."
So steht es in Paragraf 217 des Strafgesetzbuchs. Er sollte dazu dienen, Geschäfte professioneller Sterbehelfer zu unterbinden. Doch seine Wirkung geht weit darüber hinaus.
Der Bundestag wollte mit der 2015 verabschiedeten Regelung das Auftreten von Sterbehilfevereinen eindämmen. Diese haben ebenso wie Ärzte und Schwerkranke Verfassungsbeschwerden eingereicht - allerdings mit unterschiedlichen Stoßrichtungen.
Sterbehilfe - die wichtigsten Begriffe
Aktive Sterbehilfe
Aktive Sterbehilfe nimmt vor, wer eine Person auf deren Wunsch aktiv tötet. Das kann zum Beispiel durch eine Überdosis Schmerzmittel geschehen. Der Betroffene muss dabei den Willen nach aktiver Sterbehilfe ausdrücklich und bei klarem Verstand geäußert haben.
Verfassungsbeschwerden mit unterschiedlichen Stoßrichtungen
Erkrankte wollen geltend machen, dass sich aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Grundgesetzes ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben ableiten lasse. Dieses Recht müsse die Inanspruchnahme der Hilfe Dritter umfassen.
Die Sterbehilfevereine sehen Grundrechte verletzt, weil ihre Mitglieder nicht tätig werden könnten.
Ärzte argumentieren, der Paragraf 217 stelle nicht sicher, dass im Einzelfall geleistete Suizidbeihilfe straffrei bleibe. Auch sei unklar, ob die Neuregelung bislang straffreie Formen der Sterbehilfe und Palliativmedizin erfasse. Dies verhindere in der Konsequenz eine am Wohl der Patienten orientierte Behandlung.
Müssen Sterbenskranke nicht selbst entscheiden können?
Heute spricht das Bundesverfassungsgericht dazu sein Urteil. In der mündlichen Verhandlung im April 2019 ließen einzelne Richter erkennen, dass ihnen das Verbot der Hilfe zur Selbsttötung möglicherweise zu weit geht.
Wiederholt wurde die Frage gestellt, ob ein sterbenskranker Mensch nicht das Recht haben müsse, über sein Ende selbst zu entscheiden - einschließlich der Möglichkeit, sein Leben ruhig und friedlich zu beenden.
Sterbehilfe - die Rechtslage
Aktive Sterbehilfe
Aktive Sterbehilfe ist bislang in Deutschland strikt verboten. "Sie kann als Tötung auf Verlangen" mit bis zu fünf Jahren Gefängnis bestraft werden (§216 StGB).
Tötung auf Verlangen, früher auch aktive Sterbehilfe genannt, heißt, jemanden zu töten, wenn er das ausdrücklich verlangt. Das ist zum Beispiel in Belgien und den Niederlanden Ärzten unter bestimmten Umständen erlaubt, in Deutschland aber verboten (§216 StGB) und kann mit Freiheitsentzug von bis zu fünf Jahren bestraft werden.
https://www.zdf.de/nachrichten/politik/ ... t-100.html
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Sterbehilfe-Paragraf 217 ist „nichtig“
Bundesverfassungsgericht kippt Sterbehilfe-Gesetz - was das bedeutet
Aktualisiert: 26.02.20 - 10:39
© dpa / Uli Deck
Die geschäftsmäßige Sterbehilfe ist seit 2015 verboten. Schwerkranke fordern aber immer wieder das Recht auf einen selbstbestimmten Tod. Jetzt fällt das Bundesverfassungsgericht ein Urteil.
Der Paragraf 217 im Strafgesetzbuch verbietet seit 2015 die geschäftsmäßige Sterbehilfe.
Der Hamburger Verein Sterbehilfe Deutschland und einige schwerkranke Menschen haben dagegen geklagt.
Heute fällt das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe seine Entscheidung.
Update 26. Februar, 10.27 Uhr: Das 2015 eingeführte Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe verstößt gegen das Grundgesetz. Es gebe ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben, sagte der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, am Mittwoch bei der Urteilsverkündung in Karlsruhe. Das schließe die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen und dabei Angebote von Dritten in Anspruch zu nehmen. Der neue Strafrechtsparagraf 217 mache das weitgehend unmöglich. Die Richter erklärten das Verbot nach Klagen von Kranken, Sterbehelfern und Ärzten für nichtig. (Az. 2 BvR 2347/15 u.a.)
Paragraf 217 stellt die „geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung“ unter Strafe. Bei Verstößen drohen bis zu drei Jahre Haft oder eine Geldstrafe. Nur Angehörige und „Nahestehende“, die beim Suizid unterstützen, bleiben straffrei. Der Gesetzgeber wollte damit verhindern, dass Suizidhilfe-Vereine wie Sterbehilfe Deutschland oder Dignitas aus der Schweiz ihre Angebote für zahlende Mitglieder ausweiten und gesellschaftsfähig werden. Niemand sollte sich unter Druck gesetzt fühlen, seinem Leben ein Ende zu setzen.
Sterbehilfe-Paragraf 217 ist mit dem Grundgesetz unvereinbar und nichtig
Professionelle Sterbehelfer hatten ihre Aktivitäten in Deutschland seither weitgehend eingestellt, aber in Karlsruhe gegen das Verbot geklagt - genauso wie mehrere schwerkranke Menschen, die ihre Dienste in Anspruch nehmen möchten. Hinter anderen Verfassungsbeschwerden stehen Ärzte, die befürchten, sich bei der palliativmedizinischen Behandlung todkranker Menschen strafbar zu machen. Manche von ihnen wünschen sich auch die Freiheit, Patienten in bestimmten Fällen ein tödliches Medikament zur Verfügung stellen zu dürfen.
Sterbehilfe-Vereine lassen sich ihre Dienste meist bezahlen. „Geschäftsmäßig“ im juristischen Sinne bedeutet aber nicht gewerblich, sondern so viel wie „auf Wiederholung angelegt“. Aktive Sterbehilfe - also die Tötung auf Verlangen, zum Beispiel durch eine Spritze - ist und bleibt in Deutschland verboten. Bei der assistierten Sterbehilfe wird das tödliche Medikament nur zur Verfügung gestellt, der Patient nimmt es aber selbst ein.
Bundesverfassungsgericht: Sterbehilfe-Paragraf 217 ist „nichtig“
Update vom 26. Februar 2020, 10.06 Uhr: „Im Namen des Volkes“, verkündet das Bundesverfassungsgericht, dass der Paragraf 217 nicht mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Das Gesetz sei „mit dem Grundgesetz unvereinbar und nichtig“, hieß es in der Erklärung des Bundesverfassungsgerichts am Mittwoch.
Sterbehilfe: Bundesverfassungsgericht fällt ein Urteil
Ursprungsmeldung vom 26. Februar 2020:
Karlsruhe - Schwerkranke Menschen wünschen sich manchmal nichts mehr, als ein selbstbestimmtes Sterben. Sie fühlen sich vom Staat in ein unnötig langes Leiden gezwungen und plädieren für die Sterbehilfe in Deutschland*. Auf der anderen Seite steht die Warnung vor einer Gesellschaft, in der Sterbehilfe einer teuren Behandlung gegenüber steht. Alte und kranke Menschen könnten sich zum Suizid gedrängt fühlen.
Selten wurde eine Diskussion so emotional geführt, wie jene um die assistierte Selbsttötung. Doch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wird nicht emotional ausfallen, nicht nach moralischen Erwägungen, sondern nach dem Grundgesetz. Am Mittwoch verkünden die Richter in Karlsruhe ihr Urteil (Az. 2 BvR 2347/15 u.a.).
Video: Portugal nimmt erste Hürde zur Legalisierung der Sterbehilfe
Sterbehilfe-Urteil: Das Bundesverfassungsgericht gibt heute seine Entscheidung bekannt
Seit Dezember 2015 stellt Paragraf 217 im Strafgesetzbuch Sterbehilfe als Dienstleistung unter Strafe. Es drohen bis zu drei Jahre Haft. Strafbar macht sich demnach, „wer in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt“. Damit soll die Sterbehilfe gegen Bezahlung politisch verhindert werden. So will der Staat gegen Menschen vorgehen, die geschäftsmäßig tödlich Medikamente oder Sterbewohnungen organisieren. Ziel ist, Sterbehilfe nicht gesellschaftsfähig werden zu lassen.
Dem gegenüber steht das Grundrecht auf Selbstbestimmung. Das beinhaltet auch das Recht, über den eigenen Tod zu bestimmen. Anders als die aktive Sterbehilfe - die Tötung auf Verlangen - ist die Beihilfe zum Suizid deshalb grundsätzlich straffrei. So nimmt auch Paragraf 217 ausdrücklich Angehörige und „Nahestehende“ aus*. Außerdem ist allgemein anerkannt, dass Mediziner auf lebensverlängernde Maßnahmen zu verzichten haben, wenn der Patient das nicht mehr möchte.
Auf der Palliativstation oder im Hospiz dürfen Ärzte auch schmerzstillende Medikamente geben, die das Risiko bergen, dass der Patient früher stirbt (Hilfe beim Sterben). Paragraf 217 sollte eine Lücke schließen, die die Sterbehilfe gegen Geld ausschließt.
Sterbehilfe-Urteil: Definition - darum geht es bei der Entscheidung
Der Hamburger Verein Sterbehilfe Deutschland von Ex-Justizsenator Roger Kusch hat seine Aktivitäten weitgehend auf Eis gelegt. Bis 2015 hatten sich laut Vereinsstatistik 254 zahlende Mitglieder das Leben genommen. Inzwischen gibt es allerdings den Schweizer Ableger StHD: Deutsche Sterbewillige können seit 2018 einen Angehörigen nach Zürich schicken, der mit tödlichem Medikament und „detaillierter Anleitung“ zurückkommt. Andere weichen ganz in die Schweiz aus: Dort haben sich allein über den Sterbehilfe-Verein Dignitas zwischen 1998 und 2019 insgesamt 1322 Deutsche das Leben genommen, das sind knapp 44 Prozent aller Dignitas-Fälle. Außer den Vereinen klagen in Karlsruhe kranke Menschen, die deren Hilfe nun nicht mehr in Anspruch nehmen können.
Zwei Kläger, denen Sterbehilfe Deutschland nach den vorgesehenen Prüfungen Suizidunterstützung zugesagt hatte, sind während des langen Verfahrens gestorben. „Ich habe durchgehalten“, sagt der krebskranke Horst L. im April 2019 in der Verhandlung. Die Kraft dafür habe er aus dem Wissen geschöpft, zur Not selbst die Reißleine ziehen zu können. Seit dem Verbot sei die Gelassenheit dahin. Ein anderer Kläger, der unheilbar an der Lungenkrankheit COPD leidet, sagt vor dem Urteil dem Spiegel: „Ich akzeptiere nicht, dass ein paar Hundert Parlamentarier darüber entscheiden, wie ich zu sterben habe.“
Sterbehilfe-Urteil: Der Mensch hat in Deutschland ein Grundrecht auf Selbsttötung
Sie scheinen das Verbot für zu weitgehend zu halten. In der Verhandlung betont Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle ein Grundrecht auf Selbsttötung*. Und gibt zu bedenken: „Sie werden im Augenblick wahrscheinlich keinen Arzt finden, der Sie dabei unterstützt.“ Denn „geschäftsmäßig“ hat nichts mit Geld zu tun, sondern bedeutet so viel wie „auf Wiederholung angelegt“. Auch Palliativmediziner befürchten deshalb, sich strafbar zu machen - wenn sie Schwerstkranken Opiate zur Linderung in potenziell tödlichen Dosen mit nach Hause geben oder beim „Sterbefasten“ Menschen begleiten, die nicht mehr essen und trinken wollen. Andere Ärzte haben geklagt, weil sie Schwerstkranken mit Todeswunsch in ausweglosen Situationen gern helfen würden.
Letztlich wäre es Sache der Politik, eine verfassungsgemäße Neuregelung zu entwickeln*. Darüber, welche Vorgaben Karlsruhe machen könnte, lässt sich nur spekulieren. In der Verhandlung wird von der Richterbank kritisch angemerkt, dass der Staat ausgerechnet die sanfteste Art der Selbsttötung faktisch unmöglich gemacht habe. Dabei gebe es offensichtlich eine relevante Gruppe von Menschen, die sich diese Variante wünsche. Mehrmals taucht damals die Idee einer Beratungslösung auf, ähnlich wie beim Schwangerschaftsabbruch - flankiert durch strengste Sicherungsmechanismen wie eine Kontrollkommission oder verbindliche Wartefristen bis zum Vollzug. Voßkuhle damals: „Dann hätte Herr L. noch eine Chance.“
Sterbehilfe Urteil fällt heute: Entscheidung zu Paragraf 217 wird heute gefällt
Das Bundesverwaltungsgericht hat 2017 ein aufsehenerregendes Urteil gesprochen: „Im extremen Einzelfall“ dürfe der Staat einem unheilbar Kranken ein Betäubungsmittel nicht verwehren, das diesem „eine würdige und schmerzlose Selbsttötung ermöglicht“. Das ist nicht Bestandteil des Karlsruher Verfahrens. Unter Verweis auf Paragraf 217 lässt Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) seither aber das zuständige Bundesinstitut sämtliche Anträge kranker Menschen ablehnen - inzwischen mehr als 100. Nun wird sich Spahn möglicherweise neu positionieren müssen. Oder er wartet die nächste Entscheidung ab: Nach Klagen abgelehnter Antragsteller hat das Verwaltungsgericht Köln mehrere Verfahren ausgesetzt - und die Fälle in Karlsruhe vorgelegt.
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https://www.fr.de/politik/sterbehilfe-u ... 60430.html
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Weitere Links zum Thema:
https://www.ndr.de/nachrichten/niedersa ... fe302.html
https://www.tagesschau.de/inland/sterbe ... l-103.html
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Vielleicht wird unser lieber Kasharius hier weitere Links einstellen.
Jedenfalls begrüße ich das heutige Urteil sehr!
Allerdings müsste das Betäubungsmittelgesetz dementsprechend noch geändert werden.
Liebe Grüße von deernhh