Sexarbeit kann man nicht verbieten-Stefanie von Berg

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fraences
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Sexarbeit kann man nicht verbieten-Stefanie von Berg

Beitrag von fraences »

“Sexarbeit kann man nicht verbieten” – im Interview mit Stefanie von Berg (Die GRÜNEN)

Seit Alice Schwarzer gemeinsam mit mehr als 90 ErstunerzeichnerInnen ihren Appell zum Verbot von Prostitution veröffentlicht hat, wird in Deutschland wieder über Prostituion diskutiert. Wir haben mit der Stefanie von Berg, Abgeordnete der Grünen in der Hamburger Bürgerschaft, ein Interview gemacht.
Die Freiheitsliebe: Frau Dr. von Berg, wir freuen uns, dass Sie Zeit für ein Interview gefunden haben. Die Zeitschrift EMMA hat vor wenigen Tagen einen Appell zum Verbot der Prostitution veröffentlicht, den 100 zum Teil prominente Erstunterzeichner mittragen, darunter die Unionsfrauen, aber auch Margot Käßman, Wolfgang Niedecken oder CDU-Ministerpräsidentin des Saarlandes, Annegret Kramp-Karrenbauer. Die Grünen lehnen den Appell ab. Warum?
Stefanie von Berg: Hier muss ich etwas richtigstellen: Es sind nicht „Die GRÜNEN“, die den Appell ablehnen – es gibt durchaus konträre Positionen in unserer Partei. Ich lehne den Appell jedoch ab – wie auch viele meiner ParteikollegInnen. Ich sage Ihnen auch gerne, warum. Zum einen wehre ich mich entschieden dagegen, dass wir GRÜNEN laut EMMA eine ‚Zuhälterpartei‘ sind. Denn genau das unterstellt EMMA, wenn sie sagt, das Prostitutionsgesetz trage die „Handschrift der Frauenhändler und ihrer LobbyistInnen“. Zum anderen lehne ich den Appell ab, weil er Prostitution mit Menschenhandel zum Zwecke sexueller Ausbeutung gleichsetzt. Das ist schlicht und einfach falsch – fachlich wie politisch. Zudem ist es geradezu naiv zu glauben, man könne Prostitution so einfach abschaffen. Der wichtigste Grund jedoch, diesen Appell abzulehnen, ist der, dass er die Rechte der SexarbeiterInnen– allen voran das Recht auf Selbstbestimmung – mit Füßen tritt. EMMA tut mir ihrem Appell das, was sie Männern jahrzehntelang vorwarf und immer noch vorwirft: Die in diesem Beruf Arbeitenden werden zu Objekten gemacht, es wird ÜBER sie, aber nicht MIT ihnen geredet. In diesem Appell werden alle Frauen und Männer, die diesen Beruf ausüben, ohne Ausnahme zu Opfern gemacht. Das ist entwürdigend und diskriminierend.
Die Freiheitsliebe: Was fordern Sie für die Sexarbeiterinnen?
Stefanie von Berg:Ich fordere das, was auch er „Berufsverband sexuelle und erotische Dienstleistungen“ fordert: Ich fordere eine Beteiligung von SexarbeiterInnen an allen politischen Prozessen, die sich mit den Themen Sexarbeit einerseits und Zwangsprostitution andererseits befassen. Ich fordere, dass Wohnungen, die von zwei oder drei selbständig arbeitenden SexarbeiterInnen für ihre Berufsausübung angemietet wurden, gewerberechtlich nicht als Gewerbebetriebe behandelt, sondern den freien Berufen zugeordnet werden. Ich fordere, dass sowohl Polizeibefugnisse als auch die staatliche Überwachung nicht noch ausgeweitet werden. Bereits jetzt finden viele Kontrollen statt, die Polizeibefugnisse sind meiner Einschätzung nach ausreichend. Gerade aus Hamburger Sicht, in der es die „Kontaktanbahnungsverbotsverordnung“ gibt, fordere ich, dass es keine Kriminalisierung der KundInnen gibt. Es führt lediglich dazu, dass Sexarbeit wieder im Verborgenen stattfindet, Gewalt zunimmt, die Preise sinken und die Abhängigkeit von Zuhältern größer wird. Ich fordere Runde Tische mit allen Beteiligten statt Zwang und Verbot. Ich fordere staatlich geförderte Einstiegs- und Ausstiegsberatungen wie auch Weiterbildungsangebote für SexarbeiterInnen. Ich fordere Kampagnen gegen Stigmatisierung und für einen respektvollen Umgang mit SexarbeiterInnen. Ich fordere Bleiberecht, Entschädigungen und umfassende Unterstützung für Betroffene von Menschenhandel. Ich fordere die Einführung einer eigenen Sexworker-Sozialversicherung ähnlich der Künstlersozialkasse oder im Anschluss daran zum Zwecke der Altersvorsorge.
Die Freiheitsliebe: Alice Schwarzer und ihre Mitstreiterinnen kritisieren, dass Prostitution auf Ausbeutung beruht und es mit der Menschenwürde nicht vereinbar sein kann, wenn ein Mensch einen anderen kaufen kann. Ähnlich formulierte es bereits eine UN-Konvention von 1949, die von 91 Staaten unterschrieben wurde – nicht von Deutschland. Sehen Sie das anders? Wenn ja, warum?
Stefanie von Berg: Ja, das sehe ich anders. Ich habe mit SexarbeiterInnen gesprochen – was sie sagen ist: Nicht ich als Person werde gekauft, sondern eine Dienstleistung, die ich erbringe. Diese Dienstleistung erbringen sie freiwillig –was ist daran Ausbeutung? Warum ist die Menschenwürde hier gefährdet? Nur weil diejenigen, die Prostitution ablehnen, ein Problem mit Intimität haben? Sexarbeit ist kein Beruf wie jeder andere – denn dazu ist er zu intim. Aber viele Frauen und Männer, die ich kennen gelernt habe, arbeiten selbstbestimmt, gerne und voller Würde. Noch einmal: Ihnen die Würde abzusprechen ist paternalistisch und diskriminierend.
Die Freiheitsliebe: Finden Sie, dass das Prinzip der Prostitution mit einer freien, gerechten und gleichberechtigten Gesellschaft vereinbar ist?
Stefanie von Berg: Ja, unbedingt. Gerade ein Verbot von Sexarbeit führt doch dazu, dass ein gewisser Teil der Gesellschaft ihren Beruf nicht mehr frei ausüben kann. Und auch dazu, dass die KundInnen ihre Sexualität nicht ausleben können. Es sei denn, wir bewegen uns auf eine Gesellschaft zu, in der Sexualität frei verfügbar wird, ohne Geld. Das sehe ich aber beim besten Willen noch nicht.
Die Freiheitsliebe: Sklaverei und Kinderarbeit gehörten früher auch ganz selbstverständlich zu Gesellschaften, die sich selbst als frei und sogar fortschrittlich betrachteten. Ist es vorstellbar, dass für die Prostitution irgendwann das gleiche gelten könnte, wenn sich der gesellschaftliche Diskurs wandelt?
Stefanie von Berg: Sich selbst als frei und fortschrittlich betrachten‘ und tatsächlich frei sein sind zwei Paar Schuhe. Die Maßstäbe, die – damals wie heute – an eine freie und fortschrittliche Gesellschaft anzulegen sind, dulden weder Sklaverei noch Ausbeutung oder ausbeuterische Kinderarbeit. Beim Tatbestand der Sklaverei ist der versklavte Mensch Eigentum der versklavenden Person. Dies trifft jedoch auf eine selbstbestimmt ausgeübte Sexarbeit nicht zu. Insofern ist es für mich nicht vorstellbar, dass der gesellschaftliche Diskurs Prostitution irgendwann als Sklaverei betrachtet.
Die Freiheitsliebe: Brauchen wir als Gesellschaft die Prostitution?
Stefanie von Berg: Es ist so, dass Sexualität zum Menschsein dazugehört. Und solange Sexualität nicht frei zugänglich ist, ist Prostitution ein Teil einer menschlichen Gemeinschaft. Sexarbeit kann man nicht verbieten. Daher setze ich mich dafür ein, die Arbeitsbedingungen für SexarbeiterInnen so zu gestalten, dass ihnen eine Berufsausübung unter menschenwürdigen, selbstbestimmten und sicheren Verhältnissen möglich ist.
Die Freiheitsliebe: Das Prostitutionsgesetz von 2002, das von der rot-grünen Regierung auf den Weg gebracht wurde, sollte die Prostitution aus der Schmuddelecke holen und den Sexarbeitern ein selbstbestimmtes Leben mit sozialer Absicherung ermöglichen und sie zu ehrbaren Steuerzahlern machen. Tatsächlich sind nur knapp 1 Prozent der Prostituierten sozialversichert, dafür verdient zum Beispiel Berlin dank der Vergnügungssteuer 14 Millionen pro Jahr an den Prostituierten. Die Ermittlungsbehörden hingegen beklagen, dass sie keine Handhabe mehr haben, um gegen Menschenhandel und Prostitution in den Bordellen vorzugehen. Würden Sie zustimmen, dass das Prostitutionsgesetz gescheitert ist?
Stefanie von Berg: Nein, das Prostitutionsgesetz ist nicht gescheitert. Im Kern ermöglicht das Gesetz, vereinbartes Entgelt einzuklagen, Arbeitsverträge als SexarbeiterIn abzuschließen, den Zugang zu den Sozialversicherungen zu erhalten und sichere Arbeitsbedingungen zu haben. EinE ArbeitgeberIn hat für abhängig beschäftigte SexarbeiterInnen lediglich ein eingeschränktes Weisungsrecht, nämlich nur für Ort und Zeit. Es ist schlicht falsch, dass die Ermittlungsbehörden keine Handhabe mehr haben, denn die Beeinträchtigung der „persönlichen oder wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit“ von SexarbeiterInnen ist nach wie vor strafbar. Das Prostitutionsgesetz schränkt die Polizei nicht bei Bordell-Kontrollen ein. Die Kooperation zwischen SexarbeiterInnen und der Polizei zur Aufdeckung von Straftaten hat sich sogar verbessert.
Die Freiheitsliebe: Eine EU-Studie von 2011 kommt zu dem Ergebnis, dass das Prostitutionsgesetz von 2002 den Menschenhandel fördert. 9 von zehn Prostituierten würden zur Prostitution gezwungen. Darüber halte sich ein Großteil der Prostituierten illegal hier im Land auf und würde von Menschenhändler aus den Armenhäusern Europas unter falschen Versprechungen hierher gelockt. Hier müssen sie dann in Flatrate-Bordellen in 12-14-Stunden-Schichten bis zu 15 Freier am Tag bedienen. Von dem Geld, das sie mit ihren Körpern verdienen, bleibt ihnen gar nichts. Wie ist das mit ihrem Bild der selbstbestimmten Prostituierten vereinbar?
Stefanie von Berg: Zum einen: Es gibt keine Statistiken, die bestätigen würden, dass das Prostitutionsgesetz Menschenhandel befördert. Gegen Menschenhandel und Zwangsprostitution ist das Strafrecht zur Verfolgung der TäterInnen gefragt. Die Europaratskonvention verpflichtet die Mitgliedstaaten zu umfassenden Maßnahmen zur Prävention von Menschenhandel, der Strafverfolgung der TäterInnen und dem Schutz der Opfer. Zum anderen: Flatrate-Bordelle und Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung haben für mich nichts mit selbstbestimmter Sexarbeit zu tun.
Die Freiheitsliebe: Wie könnte ein konkreter Verbesserungsvorschlag aussehen?
Stefanie von Berg: Im Prinzip habe ich meine Verbesserungsvorschläge oben schon dargelegt. Ich setze mich dafür ein, dass die SexarbeiterInnen selbst bei der Umsetzung von Verbesserungen beim Prostitutionsgesetz beteiligt werden – ich will mit ihnen und nicht über sie sprechen. Das betrifft gerade die komplizierten Regelungen beim Gewerberecht.
Die Freiheitsliebe: Streetworkerinnen und Hilfsorganisationen berichten vom alltäglichen Elend der Straßenprostitution, dass durch die Legalisierung der Prostitution geschützt wird. Gewalt, Geschlechtskrankheiten, eine hohe Zahl von Analphabetinnen, Minderjährige, gewalttätige Zuhälter, ungewollte Schwangerschaften, traumatisierte Seelen. Ist auch das mit Ihrer Vorstellung einer freien und selbstbestimmten Dienstleistung vereinbar?
Stefanie von Berg: Ich habe oben bereits ausgeführt, dass ich eine Einstiegs- wie auch Ausstiegsberatung sowie eine Weiterbildung fordere. Diese Formen der Beratung könnten in vielen Fällen das von Ihnen beschriebene – und auch von mir beobachtete – Elend mildern oder beseitigen. Wenn Frauen oder Männer der Straßenprostitution nachgehen, weil sie keine Alternative haben, dann hat nicht das Prostitutionsgesetz versagt, sondern die jeweilige Behörde, die nicht genügend Beratung zur Verfügung stellt. Alternativen müssen auch geschaffen werden. Alternativen sind aber auch dadurch oft nicht da, dass Prostitution (in der Biographie) in den Köpfen immer noch in der „Schmuddelecke“ ist. Der EMMA-Appell verstärkt dies noch – wer stellt schon eineN ‚GeächteteN‘ ein?.
Die Freiheitsliebe: 2007 nannte die damalige Familienministerin von der Leyen die Prostitution eine „unzumutbare Tätigkeit“ – warum möchten Sie trotzdem daran festhalten, es sei eine Dienstleistung wie jede andere?
Stefanie von Berg: Ich habe nicht behauptet – und ich kenne auch keine GRÜNE, die dies behauptet -, dass diese Dienstleistung eine Dienstleistung wie jede andere ist. Sie ist anders, weil sie Intimes berührt.
Die Freiheitsliebe: Andere Länder, wie Schweden, haben den Besuch bei Prostituierten unter Strafe gestellt. Mit Erfolg – der Prostitutionsmarkt dort ist im Verhältnis zur Bevölkerungszahl einer der kleinsten in Europa. Auch in Frankreich und Irland geht der Trend hin zu mehr Restriktion. Andere Länder, wie die Niederlande, in denen die Prostitution bisher legal war, rudern inzwischen zurück und wollen zum Beispiel das Mindestalter von 18 auf 20 anheben und eine Registrierungspflicht für Prostituierte einführen. Stehen Sie mit Ihrer Position europaweit bald nicht ziemlich allein da?
Stefanie von Berg: Das kann sein, dass wir bald alleine dastehen – aber ich halte es immer noch für richtig. Und zwar deswegen, weil sich in Schweden und anderen Ländern laut den Berichten, die ich gelesen und gehört habe, Folgendes zeigt: Die offizielle Prostitution ist zurückgegangen. Dafür die inoffizielle, die im Geheimen stattfindende, nach oben gegangen. Mit allen negativen Konsequenzen, die ich hier in Hamburg auch im Kontext der Einführung der „Kontaktanbahnungsverbotsverordnung“ (also der Freierbestrafung) beobachte. Und – auf die Gefahr hin, dass ich mich wiederhole: Ich höre den SexarbeiterInnen zu. Die wollen kein Verbot, weil sie darin keine Lösung sehen.
Die Freiheitsliebe: Wer in Deutschland heute ein Bordell eröffnen möchte, kann das einfach tun, ohne besondere Nachweise erfüllen zu müssen. Jedes Restaurant muss strengere Auflagen erfüllen als ein Freudenhaus. Sehen Sie da Nachbesserungsbedarf, um die Frauen vor Ausbeutung zu schützen?
Stefanie von Berg: Wir GRÜNE debattieren über die Möglichkeit, Prostitution als Gewerbe zu behandeln und damit auch unter das Gewerberecht zu ziehen. Damit könnten die konkreten Arbeitsbedingungen vor Ort besser kontrolliert werden. Dafür müsste Sexarbeit mit anderen Rechtsbereichen harmonisiert werden, die in der Zuständigkeit der Länder liegen, wie dem Bau-, Wohnungs- oder Gewerberecht. Aber, wie schon gesagt: Das müsste mit den Betroffenen debattiert werden – denn es geht ja um sie. Was aber dringend notwendig ist: Es müssen Kriterien festgelegt werden, was eigentlich „gute Arbeitsbedingungen“ in der Sexarbeit sind. Denn dann könnten Bordelle und andere Einrichtungen wirkungsvoll überprüft werden.
Die Freiheitsliebe: Studien zeigen, dass 90 Prozent aller Prostituierten in Kindheit oder Jugend Opfer von Missbrauch geworden sind. Zwei von drei werden, während sie sich prostituieren, erneut missbraucht und davon jede zweite mehr als fünfmal. Jede zweite ist abhängig von Drogen und Alkohol und nicht eine der Prostituierten, die sich für eine Legalisierung ausspricht, möchte, dass ihr eigenes Kind diesen Beruf ausübt. Zeigen diese Zahlen nicht, dass Prostitution keineswegs ein Job wie jeder andere ist, sondern im Gegenteil eng verknüpft ist mit Missbrauch, Ausbeutung, Selbstabwertung und Zerstörung?
Stefanie von Berg: Sexarbeit ist kein Beruf wie jeder andere – aber es ist ein Beruf. Es gilt, alle dort Tätigen zu unterstützen und denjenigen, die nicht selbstbestimmt in diesem Beruf arbeiten, einen Ausstieg zu ermöglichen. Das bedarf aber einer anderen Arbeitsmarktpolitik – es ist zu kurz gedacht, lediglich den Bereich der Sexarbeit neu regeln zu wollen, aber politisch nicht über den Tellerrand hinauszuschauen.
Die Freiheitsliebe: Wie viel Freiwilligkeit steckt hinter einer Entscheidung für die Prostitution, wenn dahinter die blanke existenzielle Not steckt? Alice Schwarzer bemängelt in ihrem Buch zum Beispiel, dass es zu wenig Ausstiegsangebote für Frauen gibt und dass Vereine wie Hydra e.V. eher noch Werbung für die Prostitution machen.
Stefanie von Berg: Mir ist völlig neu, dass Hydra e. V. – oder andere Vereine – Werbung für den Einstieg machen. Das empfinde ich als Beleidigung für diese Vereine, die sich nicht nur für bessere Arbeitsbedingungen einsetzen, sondern auch Einstiegs- und Ausstiegsberatungen durchführen. Der Weg in die Prostitution aus blanker finanzieller Not ist Ausdruck einer gescheiterten Sozial- und Arbeitsmarktpolitik.
Die Freiheitsliebe: Ist es nicht die Pflicht des Staates, Menschen, die zu schwach sind, es selbst zu tun, davor zu schützen, sich selbst auszubeuten und zu zerstören, wie es im Fall der Prostitution stattfindet, und wie der Staat es in vielen anderen Fällen, wie zum Beispiel bei Drogen und der Kinder- und Sklavenarbeit schon lange tut?
Stefanie von Berg: Ich teile diese paternalistisch anmutende Sichtweise nicht ganz. Allerdings spreche ich mich deutlich für eine Sozialpolitik aus, die allen Bürgerinnen und Bürgern Teilhabe ermöglicht und sie dann unterstützt, wenn es notwendig ist. Ich möchte aber niemandem grundsätzlich das Recht absprechen, für sich selbst zu entscheiden. Zudem glaube ich nicht, dass der Staat alles regeln und jeden und jede „retten“ kann – er kann allerdings Strukturen schaffen, die eine Unterstützung ermöglichen.
Die Freiheitsliebe: Waren Sie selbst schon einmal in einem Bordell?
Stefanie von Berg: Ja, als Politikerin.
Die Freiheitsliebe: Was würden Sie sagen, wenn Ihre Tochter den Berufswunsch „Prostituierte“ äußern würde? Immerhin planten die Grünen 2001 sogar „Ausbildungskriterien“ für die Prostitution einzuführen.
Stefanie von Berg: Da ich keine Tochter habe, beantworte ich das mal für meinen Sohn. Ich würde ihn fragen, warum er diesen Beruf ausüben möchte – wie bei jedem anderen Berufswunsch auch. Und mich dafür einsetzen, dass er – wenn er das wirklich will – eine gute Einstiegsberatung und –begleitung erhält. Und auch jederzeit wieder aussteigen kann. Was ich ihm bei jedem Beruf wünschen würde.
Die Freiheitsliebe: Haben Sie sich schon mit vielen Prostituierten über deren Lebensrealität unterhalten? Was war Ihr Eindruck?
Stefanie von Berg: Ja, habe ich. Mein Eindruck ist sehr unterschiedlich: Ich habe Berichte gehört, die von wirklichem Elend sprechen, aber eben auch Eindrücke davon erhalten, wie viel Erfüllung dieser Beruf bietet. Es gibt nicht „DIE“ Sexarbeit – wie es auch nicht „DIE“ Prostituierte gibt.
Die Freiheitsliebe: Was würden Sie sagen, wenn man Ihnen erzählte, dass dieser Job langsam abstumpft, dass die Frauen etwas von ihrem Intimsten hergeben müssten und danach nie wieder ein unbefangenes Verhältnis zu Männern haben können?
Stefanie von Berg: Das würde mich natürlich traurig machen. Aber genau diesen Eindruck habe ich in vielen Gesprächen eben nicht gewonnen. Daher sagt der Berufsverband ja auch: „We don’t need to be saved!“
Die Freiheitsliebe: Was sagen Sie zu dem Vorwurf, dass die Käuflichkeit von Frauen diskriminierende Rollenbilder verfestigt? Oder andersherum: Es könne keine Gleichberechtigung geben, solange jeden Tag knapp 1 Million Männer bei etwa 500.000 Prostituierten Sex kaufen können?
Stefanie von Berg: Dazu sage ich: Dieser Vorwurf ist aus der Sichtweise abgeleitet, dass käuflicher Sex als diskriminierend empfunden wird und zugleich unterstellt wird, all diese Frauen seien Opfer. Da ich diese Sichtweise nicht teile, weise ich den Vorwurf zurück.
Die Freiheitsliebe: Frau Dr. von Berg, wir danken Ihnen für das Gespräch.

http://diefreiheitsliebe.de/allgemein/22784
Wer glaubt ein Christ zu sein, weil er die Kirche besucht, irrt sich.Man wird ja auch kein Auto, wenn man in eine Garage geht. (Albert Schweitzer)

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Fakten und Infos über Prostitution

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Ich bin: SexarbeiterIn

Beitrag von Doris67 »

Man kann Sexarbeit durchaus verbieten. Sie zu verhindern hat man aber meines Wissens noch nie geschafft.
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