Der Freitag: Gleich vorweg ein Kompliment. Wenn man „Top Girl“ gesehen hat, kommt man ziemlich verstört aus dem Kino. In der Schlussszene liegen vier Frauen nackt auf einer Lichtung, wie abgeschossene Rehe – drumherum stehen fünf Männer mit Gewehren und singen das Lied vom Jäger aus Kurpfalz. Das ist also Ihr Kommentar zum Stand des Geschlechterkampfs?
Tatjana Turanskyj: Es ist eine stark stilisierte Szene. Die Männer haben die Frauen gejagt, in einer Sex-Spiel-Performance, outdoor, im Wald. Solche Jagden soll es tatsächlich gegeben haben, etwa nach dem Ersten Weltkrieg in Uruguay. Ex-Soldaten, auch deutsche, haben den Einheimischen Jungfrauen abgekauft und sie zu Tode gehetzt. Alain Robbe-Grillet hat darüber geschrieben. Im Film sind die Frauen „erlegt“, aber nicht tot. Sie liegen als Beute vor den Freiern, die im wahren Leben Werbetexter oder Versicherungsmakler sind. Aber es geht mir nicht darum, Männer nur als Täter vorzuführen. Die Frauen haben durchaus Macht. Sie haben dieses Spiel inszeniert, sie manipulieren oder beherrschen als Sex-Arbeiterinnen die Fantasien ihrer Kunden.
Tatsächlich agieren die „Top Girls“ in Ihrem Film als ihre eigenen Ich-AGs. Sie führen ihre sexuellen Geschäfte und wirken dabei in etwa so abgekocht – aber auch so erschöpft – wie ihre männliche Kundschaft.
Was ich generell interessanter finde als den Unterschied zwischen Männern und Frauen, ist etwas, das beide betrifft: der Unterschied zwischen Gleichberechtigung und Emanzipation. Der lässt sich gut an der aktuellen Quoten-Debatte ablesen.
Inwiefern?
Ich bin klar für die Quote. Ich glaube, dass sie ein wichtiger Schritt ist. Es geht darum, dass Frauen den gleichen Zugang zu Geld und Macht erlangen und dass sie sich meinetwegen auch jüngere Liebhaber nehmen können, wie Männer es tun. Das ist ein wichtiges Etappenziel. Aber es bedeutet nicht, dass wir damit in einer besseren Welt leben. Denn diese Art von Gleichberechtigung geschieht innerhalb eines paternalistischen Systems – das auch Männer knebelt. Die Emanzipation will viel mehr, sie hat einen utopischen Kern. Da geht es um die Befreiung aus autoritären Strukturen, für beide Geschlechter. Frauen können so machthungrig oder gierig sein wie Männer – die Quote würde da als Erkenntisbeschleuniger helfen. Einflussreiche Frauen wie Sheryl Sandberg oder Ursula von der Leyen betrachte ich inhaltlich mit großer Skepsis. Aber ihr Rollenspiel ist hervorragend
Das „Rollenspiel“ führt uns zurück zu „Top Girl“: Bei dem Bezahl-Sex im Film werden die Rollen ständig getauscht. Die Freier legen ihre Businessanzüge ab und zwängen ihre Füße in Stöckelschuhe, während die Heldin Helena sich einen künstlichen Penis umschnallt und ihren Lieblingskunden penetriert.
Ich wollte auf keinen Fall einen sogenannten Milieufilm drehen. Die Sex-Agentur, in der Helena arbeitet, ist ein Loft mit großen Glasfronten über dem Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin-Mitte. „Nicht authentisch“, hieß es von manchen. Aber darum geht es mir gar nicht. Ich wollte eigene, auch formal strenge Bilder für diese Art von Geschäftsbeziehungen finden. Natürlich habe ich viel recherchiert. Und demnach haben Fetisch-Praktiken stark zugenommen, in allen Schichten. Ich verurteile das nicht. Sexualität hat heute nicht nur mit einer bestimmten Körperlichkeit zu tun, sondern auch mit Mindfucks aller Art. Als Künstlerin arbeite ich mit diesen Fantasien.
Fast wirkt es in Ihrem Film so, als ob da ein riesiges Hetero-Sex-Theater aufgeführt wird, als ob Männer und Frauen sich gegenseitig karikieren, in den Kostümen des jeweils anderen.
Das ist eine interessante Beobachtung. Da ist was dran.
„Top Girl“ ist Ihr zweiter Film zum Thema „Frauen und Arbeit“. Im Vorläufer, „Die flexible Frau“, ging es um eine prekäre Architektin aus dem Hipster-Milieu. Ist die Prostitution aus Ihrer Sicht ein normaler Beruf?
Es gab ja gerade diese große Prostitutionsdebatte, die Alice Schwarzer losgetreten hat. Viele Frauen empfanden Schwarzers Thesen als bevormundend und sexistisch, das kann ich nachvollziehen. Die Helena in Top Girl hat keinen Zuhälter, sie begreift sich als selbstbestimmt und frei. Solche Sex-Arbeiterinnen gibt es, sogar viele. Aber ich habe bei der Recherche auch ganz andere Geschichten gehört, da ist nichts zu beschönigen. Trotzdem bin ich gegen ein Verbot der Prostitution. Das würde die Frauen zu etwas machen, was sie nicht sind, Kriminelle. Aber man kann auch nicht leichthin sagen, Sexarbeit sei ein Beruf wie jeder andere. Interessanter wäre ohnehin eine Debatte über Körperlichkeit und Intimität im fortgeschrittenen Kapitalismus.
„Déformation professionelle“ lautet der Film-Untertitel. Wo-ran macht sich diese Deformation fest, etwa bei Helena?
Ich wollte vor allem eine gewisse Normalität abbilden. Meine SexArbeiterin Helena hat ein Kind. Sie ist Deutsche und arbeitet oft von zu Hause aus. Eigentlich ist sie Schauspielerin, eine aus der dritten Reihe, die früher mal in einer Soap mitgespielt hat. Aber das läuft eben nicht mehr. Ich will das „Huren“-Bild nicht nur entstigmatisieren, sondern auch entromantisieren. Die Deformation besteht darin, dass Helena in der Sex-Branche Karriere macht, indem sie etwa diese Frauen-Jagd für ihren Hauptkunden organisiert. Die Affirmation der Frau als Beute, der Verrat an ihrem eigenen Geschlecht ist die Voraussetzung für ihren Erfolg.
Auch eine Schönheitschirurgin kommt im Film vor, sie wirbt für Schamlippenstraffungen.
Ja, sie benutzt die Errungenschaften der Frauenbewegung als Werbeargument, spricht von Selbstermächtigung und davon, dass Frauen heute „selbst entscheiden“ könnten, was sie „für sich“ tun wollen. Das ist eine Schein-Emanzipation, eine dieser post-feministischen Rhetoriken. Die Chirurgin ist die Schwester der selbstbestimmten Sex-Arbeiterin. Dieser „Anything-goes“-Gedanke ist Teil einer affirmativen Dienstleistungskultur. Es gibt Frauen, die daraus einen Gewinn ziehen können. Viele andere werden dadurch wieder zu Verliererinnen.
Die gescheiterte Schauspielerin in der Sex-Branche – zuvor die abgebrannte Architektin im Callcenter: Sie werfen einen recht pessimistischen Blick auf die Frau im Postfordismus.
Das stimmt. Vor allem interessieren mich die Widersprüche. Es sind immer Außenseiterinnen der Mittelschicht in meinen Filmen. Diese Abstiegsgeschichten sind in den Großstädten heute doch fast der Normalfall. Und sie treffen eben auch viele Frauen. Was interessant ist, weil Frauen noch gar nicht so lange berufstätig sein „dürfen“. Es trifft auch Helenas Mutter Lotte, eine Alt-68erin, einst eine gefragte Jazz-Sängerin. Heute gibt sie Gesangsunterricht und verkauft Klamotten bei eBay. Aber sie gehört eben einer anderen Generation an, auch einem anderen Feminismus. Sie lebt vielleicht ganz entspannt von Hartz IV und verliebt sich in einen jüngeren Schüler.
Haben Sie für den dritten Teil Ihrer Filmreihe schon eine bestimmte Berufsgruppe im Sinn?
Ja. Es wird sich um zwei PR-Agentinnen drehen. Die sind beauftragt, für das Berufsbild „Weibliche Soldaten“ zu werben.
Da ist er wieder: der Von-der-Leyen-Faktor.
Das Drehbuch gab es schon vor ihrem neuen Militärposten! Im Ernst: Ich glaube, Soldatinnen haben eine große Zukunft. Drohnen sind doch nichts anderes als herumfliegende Penisse. Die müssen betreut werden. Ich denke: Da werden die angeblichen „Soft Skills“von Frauen wieder ganz stark ins Spiel kommen.
Das Gespräch führte Katja Kullmann.
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KInofilm: „Déformation professionelle
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RE: KInofilm: „Déformation professionelle
Arbeit im Liegen
SPIELFILM "Top Girl oder La déformation professionelle" von Tatjana Turanskyj erkundet den Alltag einer Prostituierten
VON CAROLIN WEIDNER
Der zweite Teil von Tatjana Turanskyjs Trilogie "Frauen und Arbeit", "Top Girl oder La déformation professionelle" mit Julia Hummer und Susanne Bredehöft in den Hauptrollen, schafft irgendwann in der Mitte einen guten Link zwischen den Tätigkeiten beider Frauen, der fast untergeht, so subtil ist er. Da sitzt Lotte (Bredehöft), Gesangslehrerin, einstige Chanteuse, Mutter, Großmutter, mit ihrem erwachsenen Schüler vor den Tasten. Herumgeübt wird an der Bach-Kantante "Ich habe genug", und der unbegabte Sänger kann dieses "genug" einfach nicht vernünftig halten. Lotte verzagt nicht, zählt geduldig mit und schließt letztlich mit der Floskel: "Singen ist Sport im Stehen." Dabei klingt es ja immer so einfach, das Singen. Wenn es denn klappt. Jedenfalls macht es für alle, die nicht selbst ranmüssen, öfters den Anschein. Lotte aber weiß es besser.
Bei Helena (Julia Hummer) verhält es sich ein wenig anders. Sie ist die knapp 30 Jahre alte Tochter von Lotte, ebenfalls Mutter und vom Selbstbild her Schauspielerin. Und tatsächlich sieht man Helena einmal bei einem Casting. Sie soll, so die Regieanweisung, eine "notgeile Frau" spielen, eine, die mal einen Sekt zu viel trinkt an der Bar und dann eben total "notgeil" wird. Helena kommt dieser Aufforderung in genau der Art nach, wie sie sie auch empfindet: als Veräppelung. Für die folgende, völlig überzogene Darstellung dieser Notgeilen kann man Turanskyj und Hummer eigentlich nur danken. Sie ist ein dicker, fetter Mittelfinger in Richtung einer biederen und gleichsam versabberten Verklemmtheit. Sekt, feuchtes Höschen, könnt ihr haben, denkt sich diese Helena und robbt schon über den Boden, "Ich bin so notgeil, so notgeil", keuchend. Abgang.
Helenas Berührung mit Sexualität fällt in Wahrheit um einiges komplexer aus. Sex ist ihre Arbeit. Und Turanskyj gelingt es, an ihrer Helena deutlich zu machen, was für eine knallharte Arbeit das eigentlich ist. Ähnlich den Klängen, die den Profis scheinbar mühelos aus der Kehle steigen, switcht Helena durch ihr Repertoire als "Jacky". Lücken im Programm fallen sofort auf, werden reklamiert. Als Helena einmal den Analsex mit einem Kunden abbricht, bemerkt dieser: "Ich dacht, du bist 'n Profi. So kann ich's auch zu Hause haben, ey."
Dabei scheut Helena keine Mühen. Für einen anderen Kunden wird gleich eine ganze Geschichte inszeniert, Sprechproben inklusive. Und nach der Arbeit absolviert Helena neben dem Wäscheständer Sit-ups, bis das Gesicht rot ist. Auch ansonsten ist von ekstatischer Lust wenig zu sehen. Die wieder zu Helena Gewordene kämmt ihre Perücken, desinfiziert, putzt, putzt, putzt.
Alle sind Verlierer
Sie verkörpert damit einen großen Kontrast zu den Männern, die einem in "Top Girl" begegnen. Turanskyj zeigt sie nämlich immer wieder als selig Schlafende, erschöpft vom Liebesspiel, friedlich, harmlos. Im Wachzustand präsentieren sich einige indessen als eher unangenehme Gesellen, deshalb jedoch nicht minder bemitleidenswert. Der "So kann ich's auch zu Hause haben, ey"-Kunde etwa, ist ein überarbeiteter Programmierer, der von einer Feedback-Runde zur nächsten hechelt, in der Hoffnung, nach diesem Auftrag ein ganz neues "Level" zu erklimmen. Von dieser Perspektive aus stimmt es schon, was ein Protagonist in Turanskyjs vorangegangenem Film, "Eine flexible Frau" von 2010, so deprimierend bemerkt: Dies ist "ein System, in dem Männer und Frauen gleichermaßen Verlierer sind". Die flexible Frau hieß damals Greta M. (Mira Partecke) und war eine vierzigjährige Architektin, die geradewegs in die Arbeitslosigkeit geschlittert war und mit diesem Herausfallen aus der Welt der Werktätigen so gar nicht klarkam. Helena schlägt sich hingegen bravourös. Zu bravourös. Perfektionistisch. Verbissen.
Wurde Greta in "Eine flexible Frau" im Callcenter noch mit Sprüchen wie "Wissen Sie, man muss immer freundlich sein, innerlich lächeln" bedacht - was diese eher dazu verleitete, noch einen Schnaps mehr zu kippen und noch ein bisschen lauter zu heulen, befindet sich Helena in "Top Girl" nicht nur in einer Zone, die ohnehin schon recht hermetisch und wortkarg ist. Helena selbst bewegt sich mit dieser sonderbaren, aber eindringlichen Mischung aus Härte, Stolz und Verschlossenheit. Man guckt ihr gebannt dabei zu, die Figur ist stark, auch brüchig, und Hummer spielt sie hervorragend. Isoliert aber sind beide Frauen, Greta wie Helena. Eine, weil sie ihre Position in der regulären Arbeitswelt verloren hat und nicht weiterweiß. Die andere, weil sich ihr Arbeitsalltag im Verborgenen abspielt, unsichtbar bleibt. Die eine macht Krawall. Und die andere exzessiv Sportübungen in der Wäschekammer.
"Top Girl oder La déformation professionelle". Regie: Tatjana Turanskyj. Mit Julia Hummer, Susanne Bredehöft, RP Kahl u. a. Deutschland 2014, 98 Min.
http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/arti ... 6e4c34bee1
SPIELFILM "Top Girl oder La déformation professionelle" von Tatjana Turanskyj erkundet den Alltag einer Prostituierten
VON CAROLIN WEIDNER
Der zweite Teil von Tatjana Turanskyjs Trilogie "Frauen und Arbeit", "Top Girl oder La déformation professionelle" mit Julia Hummer und Susanne Bredehöft in den Hauptrollen, schafft irgendwann in der Mitte einen guten Link zwischen den Tätigkeiten beider Frauen, der fast untergeht, so subtil ist er. Da sitzt Lotte (Bredehöft), Gesangslehrerin, einstige Chanteuse, Mutter, Großmutter, mit ihrem erwachsenen Schüler vor den Tasten. Herumgeübt wird an der Bach-Kantante "Ich habe genug", und der unbegabte Sänger kann dieses "genug" einfach nicht vernünftig halten. Lotte verzagt nicht, zählt geduldig mit und schließt letztlich mit der Floskel: "Singen ist Sport im Stehen." Dabei klingt es ja immer so einfach, das Singen. Wenn es denn klappt. Jedenfalls macht es für alle, die nicht selbst ranmüssen, öfters den Anschein. Lotte aber weiß es besser.
Bei Helena (Julia Hummer) verhält es sich ein wenig anders. Sie ist die knapp 30 Jahre alte Tochter von Lotte, ebenfalls Mutter und vom Selbstbild her Schauspielerin. Und tatsächlich sieht man Helena einmal bei einem Casting. Sie soll, so die Regieanweisung, eine "notgeile Frau" spielen, eine, die mal einen Sekt zu viel trinkt an der Bar und dann eben total "notgeil" wird. Helena kommt dieser Aufforderung in genau der Art nach, wie sie sie auch empfindet: als Veräppelung. Für die folgende, völlig überzogene Darstellung dieser Notgeilen kann man Turanskyj und Hummer eigentlich nur danken. Sie ist ein dicker, fetter Mittelfinger in Richtung einer biederen und gleichsam versabberten Verklemmtheit. Sekt, feuchtes Höschen, könnt ihr haben, denkt sich diese Helena und robbt schon über den Boden, "Ich bin so notgeil, so notgeil", keuchend. Abgang.
Helenas Berührung mit Sexualität fällt in Wahrheit um einiges komplexer aus. Sex ist ihre Arbeit. Und Turanskyj gelingt es, an ihrer Helena deutlich zu machen, was für eine knallharte Arbeit das eigentlich ist. Ähnlich den Klängen, die den Profis scheinbar mühelos aus der Kehle steigen, switcht Helena durch ihr Repertoire als "Jacky". Lücken im Programm fallen sofort auf, werden reklamiert. Als Helena einmal den Analsex mit einem Kunden abbricht, bemerkt dieser: "Ich dacht, du bist 'n Profi. So kann ich's auch zu Hause haben, ey."
Dabei scheut Helena keine Mühen. Für einen anderen Kunden wird gleich eine ganze Geschichte inszeniert, Sprechproben inklusive. Und nach der Arbeit absolviert Helena neben dem Wäscheständer Sit-ups, bis das Gesicht rot ist. Auch ansonsten ist von ekstatischer Lust wenig zu sehen. Die wieder zu Helena Gewordene kämmt ihre Perücken, desinfiziert, putzt, putzt, putzt.
Alle sind Verlierer
Sie verkörpert damit einen großen Kontrast zu den Männern, die einem in "Top Girl" begegnen. Turanskyj zeigt sie nämlich immer wieder als selig Schlafende, erschöpft vom Liebesspiel, friedlich, harmlos. Im Wachzustand präsentieren sich einige indessen als eher unangenehme Gesellen, deshalb jedoch nicht minder bemitleidenswert. Der "So kann ich's auch zu Hause haben, ey"-Kunde etwa, ist ein überarbeiteter Programmierer, der von einer Feedback-Runde zur nächsten hechelt, in der Hoffnung, nach diesem Auftrag ein ganz neues "Level" zu erklimmen. Von dieser Perspektive aus stimmt es schon, was ein Protagonist in Turanskyjs vorangegangenem Film, "Eine flexible Frau" von 2010, so deprimierend bemerkt: Dies ist "ein System, in dem Männer und Frauen gleichermaßen Verlierer sind". Die flexible Frau hieß damals Greta M. (Mira Partecke) und war eine vierzigjährige Architektin, die geradewegs in die Arbeitslosigkeit geschlittert war und mit diesem Herausfallen aus der Welt der Werktätigen so gar nicht klarkam. Helena schlägt sich hingegen bravourös. Zu bravourös. Perfektionistisch. Verbissen.
Wurde Greta in "Eine flexible Frau" im Callcenter noch mit Sprüchen wie "Wissen Sie, man muss immer freundlich sein, innerlich lächeln" bedacht - was diese eher dazu verleitete, noch einen Schnaps mehr zu kippen und noch ein bisschen lauter zu heulen, befindet sich Helena in "Top Girl" nicht nur in einer Zone, die ohnehin schon recht hermetisch und wortkarg ist. Helena selbst bewegt sich mit dieser sonderbaren, aber eindringlichen Mischung aus Härte, Stolz und Verschlossenheit. Man guckt ihr gebannt dabei zu, die Figur ist stark, auch brüchig, und Hummer spielt sie hervorragend. Isoliert aber sind beide Frauen, Greta wie Helena. Eine, weil sie ihre Position in der regulären Arbeitswelt verloren hat und nicht weiterweiß. Die andere, weil sich ihr Arbeitsalltag im Verborgenen abspielt, unsichtbar bleibt. Die eine macht Krawall. Und die andere exzessiv Sportübungen in der Wäschekammer.
"Top Girl oder La déformation professionelle". Regie: Tatjana Turanskyj. Mit Julia Hummer, Susanne Bredehöft, RP Kahl u. a. Deutschland 2014, 98 Min.
http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/arti ... 6e4c34bee1