Elisabeth hat geschrieben:(...)
Natürlich kann sich jeder selbst ein Bild machen, ABER wenn ein Forum schon so um neue Mitglieder kämpft, wie dieses, ist es meiner Meinung nach kontraproduktiv, wenn neu registrierte gleich zur Begrüßung in den Boden gestampft werden.
(...)
Liebe Elisabeth, da stimme ich Dir uneingeschränkt zu, aber worauf es mir eben ankam, war, darüber nachzudenken, ob es nicht mitunter die bessere Strategie für einen Forumsbetreiber ist, auf (gezielte oder vermeintliche) Provokationen einfach mit Ignoranz zu reagieren, anstatt den "Übeltäter" noch dadurch aufzuwerten, dass man sich von ihm zu dem doch sehr fragwürdigen Schritt einer Sperrung drängen lässt – diesbezüglich halte ich es mit dem guten alten Voltaire: "
Ihre Meinung ist mir zwar widerlich, aber ich werde mich dafür tot schlagen lassen, dass Sie sie sagen dürfen."
Zu der den Ausgangspunkt bildenden Sachkontroverse möchte ich, obwohl ich mich ja schon ausführlich zu dem Buch von M. Auer geäußert habe, aber auch noch einmal Stellung nehmen:
Der von 6t angesprochene Gesichtspunkt des Persönlichkeitsschutzes ist sicher nicht a priori von der Hand zu weisen. Allerdings gehe ich davon aus, dass der Schutz des Einzelnen vor der unautorisierten Bekanntgabe seiner persönlichen Daten in Österreich ebenso wie etwa in Deutschland als Rechtsgut staatlicherseits anerkannt und daher in das kodifizierte Recht eingeflossen ist - will sagen, jeder größere Verlag beschäftigt üblicherweise auch Hausjuristen, die jedes neue Manuskript vor der Freigabe auf die Wahrung einschlägiger Rechtsnormen hin überprüfen. Und es darf vermutet werden, dass dies auch in diesem Fall geschehen ist.
Ich habe Tom von 6t ja letztes Jahr (wenn auch nur flüchtig) persönlich kennen gelernt und schätze ihn als einen umgänglichen, kultivierten und vernünftigen Mitmenschen, so dass es mich auch ein wenig verwundert, warum er hier so "verschnupft" reagiert; kann es mir eigentlich nur so erklären, dass er es als Betreiber einer Escort-Agentur natürlich nicht unbedingt gerne sieht, wenn gerade auch die Schattenseiten dieses Gewerbes - und niemand kann ernsthaft ableugnen, dass es diese Schattenseiten in Deutschland ebenso wie in Österreich und überall auf der Welt gibt - durch einen derartigen "Enthüllungsjournalismus" publik gemacht werden - ein schlechter Ruf schadet bekanntlich JEDER Branche! Allerdings, bei allem grundsätzlichen Verständnis für diese Aversion, hieße es doch gewissermaßen, das Pferd beim Schwanz aufzuzäumen, wenn man den Überbringer schlechter Botschaften angreift, anstatt sich mit dem Inhalt der Botschaft selbst zu befassen! Als seinerzeit Günther Wallraff mit dem viel zitierten "Ganz unten" so etwas wie die Initialzündung dessen prägte, was man fortan Enthüllungsjournalismus zu nennen pflegt, wäre es zweifellos auch eine ganz unangemessene Reaktion gewesen, kritisch auf die Preisgabe persönlicher Angelegenheiten (z. B. seiner Ex-Kollegen in den Betrieben, in denen er quasi undercover arbeitete), zu verweisen, nicht aber auf die erheblichen Missstände im deutschen Wirtschaftsleben, die - etwa in Bezug auf die massive Benachteiligung und Stigmatisierung ausländischer Arbeitnehmer, seinerzeit noch als "Gastarbeiter" tituliert - von Wallraff auf diese - und vermutlich auch NUR auf diese - Weise aufgedeckt werden konnten! Denn wie wir alle nur zu gut wissen, eignet den allermeisten Politikern eine gewisse Trägheit an, so dass sie meist nur massiver öffentlicher Druck, gepaart mit der Angst, Wählerstimmen zu verlieren, in die Lage versetzt, reformerisch tätig zu werden und öffentlicher Missstände anzugehen.
Man sollte die Dinge auch in einem größeren Kontext begreifen: In Deutschland steht, darauf wurde ja an anderer Stelle in diesem Forum bereits hingewiesen, eine Gesetzesinitiative bevor, mit der, ähnlich wie in Finnland, die Freier von Zwangsprostituierten zukünftig bestraft werden sollen. Dies zeigt, wie stark der Einfluss der Prostitutionsgegner in Europa, die niemals aufhören werden, vom "schwedischen Paradies" zu träumen, einzuschätzen ist, ebenso wie die Tatsache, dass sich immerhin der Europarat kürzlich mit dieser Thematik befasste. Selbst wenn die neue schwedische Regierung nicht an dem missionarischen (G)Eifer ihrer Vorgängerin festhalten sollte, gibt es europaweit einflussreiche radikalfeministisch unterwanderte NGOs, die mit massiver Lobbyarbeit versuchen, die Politiker zu einer prostitutionsfeindlichen Haltung zu drängen. Das wohl schlagkräftigste Argument dieser reaktionären Kräfte ist der Verweis auf die ausufernde Zwangsprostitution und den kriminellen Menschenhandel, den sie zum Vorwand nehmen, ein- für allemal die Geschichte neu zu schreiben und jede Form von kommerziellem Sex von der Erdoberfläche tilgen zu wollen, da sie Prostitution in allen ihren Schattierungen einzig und allein als Gewaltinstrument des verhassten Patriarchats diskreditieren. Das bedeutet aber: zumindest so lange es der europäischen Politik und Justiz nicht gelingt, wirksam gegen ZP und MH vorzugehen, so lange immer wieder betroffen machende Berichte über verschleppte und misshandelte junge Mädchen und Frauen aus Osteuropa durch die Gazetten und Magazine geistern, so lange wird es diesen bornierten und dogmatischen Gruppen erleichtert, für ein Verbot der Prostitution bzw. die Übernahme des "schwedischen Modells" zu werben!
Es ist ja durchaus möglich, dass es in Österreich zu einer ähnlichen Regierungskonstellation kommt wie in Deutschland, und ohne als Nationalist missverstanden zu werden, erlaube ich mir die Behauptung, dass ein Land wie Deutschland mit 80 Mio. Einwohnern innerhalb Europas doch vielleicht einen anderen Stellenwert einnimmt wie Schweden mit 9 und Finnland mit sogar nur 5 Mio. Bewohnern. In D nehmen Tat für Tag rd. 1 Mio. Männer die Dienste einer Sexworkerin in Anspruch, und es steht zu befürchten, dass es sich dabei zu einem nicht unbeträchtlichen Teil um nicht rein freiwillige Angebote handelt. Wenn also quasi über Nacht vielleicht 100 000 oder mehr zusätzliche Straftäter "produziert" werden (darunter womöglich auch der eine oder andere Prominente, man erinnere sich an die Affäre um Herrn Friedman...), dann sind das für kein Land der Welt Nicklichkeiten, das dürfte nicht unwesentliche gesellschaftliche Wellen schlagen! Und die Frage wird sein, wie wird sich diese veränderte Rechtslage auf die Branche insgesamt auswirken?
In Anerkennung dieser Zusammenhänge sollten die Betreiber "seriöser" Escortagenturen - und ich kenne keine objektiven Anhaltspunkte, die dagegen sprechen, dass 6t dazu gehört - auf ein Buch wie das von M. Auer m. E. nicht vorrangig mit Kritik an seiner Methodik reagieren - auch wenn man, wie Franc zutreffend ausführte, darüber zweifellos geteilter Auffassung sein mag -, sondern die einzig angemessene Reaktion wäre aus meiner Sicht, erneut verstärkt über Möglichkeiten und Wege nachzudenken, zu einem dringend gebotenen "Selbstreinigungsprozess" in der Branche zu gelangen und schwarze Schafe aus dem Geschäft zu drängen. Denn jede Frau, die von der Justiz aus den Fängen krimineller Menschenhändler, zu deren beliebtesten Abnahmeländer bekanntlich leider D ebenso wie Ö zählen, befreit wird, ist nicht nur ein unerträglicher Angriff auf die Menschenwürde, sondern Wasser für die unergründlich mahlenden Mühlen der radikalen ProstitutionsgegnerInnen und wird von diesen dankbar in ihre Argumentationskette eingebaut!
(NB: Ich weiß sehr wohl, dass das Thema "Selbstreinigung" in diesem wie in anderen Foren schon erschöpfend diskutiert wurde und insbesondere auch von Betreibern wie Löwinger und Franz aka Lovara immer wieder betont worden ist - leider stets mit dem ernüchternden Resümee des Scheiterns an der Macht des Faktischen, sozusagen. Ich fürchte nur, dass irgendwann der Tag kommen mag, an dem die Branche einen hohen Preis für ihre Unfähigkeit wird zahlen müssen, sich selbst effektiv vom Phlegma des kriminellen Dunstkreises zu befreien. In Schweden sind die ersten Männer bereits in den Knast gewandert allein dafür, dass sie ein erlaubtes Angebot angenommen haben - und die Welt schweigt und sieht zu und kümmert sich nicht! Also:
Agenturen, hört die Signale!!)
Wir mögen hier über vieles streiten, aber Einigkeit besteht doch wohl darin, dass bitte schön NIEMAND von uns amerikanische oder schwedische Verhältnisse in Österreich, Deutschland oder anderswo erleben möchte! Die Gefahr, dass es dazu kommen kann, mag aktuell nicht übergroß sein, aber sie ist latent gegeben und sollte keinesfalls unterschätzt werden! Für Freier wie auch für Agenturbetreiber kann dies aus meiner Sicht nur
eine Konsequenz haben, nämlich sich mit aller Entschiedenheit und stringent gegen jede Form von erzwungener Prostitution zu wenden und die Legitimität/Legalität von Prostitution als eine Seite der Medaille zu begreifen, auf deren anderer Seite die strikte Wahrung der Selbstbestimmung aller Sexworker stehen muss! Wenn ein Buch wie das von Martin Auer allein dadurch, dass es die alltägliche Realität im Gewerbe einmal aus dem Blickwinkel eben dieser Sexworker beleuchtet, dazu beitragen kann, diesem Ziel zu dienen und in der Öffentlichkeit auf die Sorgen und Nöte der für Agenturen arbeitenden Frauen und Mädchen aufmerksam zu machen - und mein Eindruck ist in der Tat, dass eben dies sein Anliegen ist -, dann erachte ich es zumindest als einen Schritt in die richtige Richtung - jedenfalls, sofern, worauf ich eingangs hingewiesen habe, alle rechtlichen Bedingungen für den Schutz der Persönlichkeit Drittbetroffener erfüllt werden, was ich im vorliegenden Fall schlechterdings unterstellen muss.
LG Norbert