Stellungnahme des Vereins Sexworker Forum (ZVR 699583522) und der Internetplattform www.sexworker.at (Initiativantrag der Abgeordneten Straubinger, Hebein und andere zum geplanten Wiener Prostitutionsgesetzdere vom 06.06.2011).
1. Übersicht über die HauptkritikpunkteHeute ist allgemein anerkannt, dass die Regulierung der Sexarbeit auf Achtung der Menschenrechte beruhen muss. Vorbildlich ist der Prostitution Reform Act 2003 von Neuseeland (siehe Datenbank der International Labour Organization), dessen Zweck es ist, Rahmenbedingungen zu schaffen, um Sexarbeit zu entkriminalisieren, die Menschenrechte der SexarbeiterInnen zu achten, sie vor Ausbeutung zu schützen, ihre Gesundheit und Arbeitsbedingungen zu verbessern, auch im Hinblick auf öffentliche Gesundheit, und Kinderprostitution zu verhindern. Nach diesen international anerkannten Zielen muss heute jedes Prostitutionsgesetz beurteilt werden.
Umgesetzt auf die Kompetenzen des Wiener Landesgesetzgebers bedeutet der menschenrechtsorientierte Ansatz, dass ein Prostitutionsgesetz auf Landesebene sich darauf beschränken sollte, Störungen der öffentlichen Ordnung durch öffentlich sichtbare Prostitution auf Verwaltungsebene einzudämmen, aber dort, wo es zu keinen Störungen kommt, das Grundrecht der Individuen auf ihre sexuelle Freiheit zu achten. Der vorliegende Initiativantrag orientiert sich nicht ausreichend an der Achtung dieses Menschenrechts. Dieser Konstruktionsfehler bewirkt und verstärkt die demütigende Stigmatisierung der SexarbeiterInnen und ihre massive Entrechtung durch eine ungerechtfertigte faktische Kriminalisierung. Zu empfehlen wäre, eine der im Grundrechtsbereich tätigen österreichischen wissenschaftlichen Institute mit einer Korrektur der gröbsten Mängel zu betrauen.
* Am vordringlichsten ist es, die systematische Verletzung des Folterverbots, nämlich die erniedrigende Behandlung von SexarbeiterInnen bei der Pflichtuntersuchung, endlich zu beenden. Die von den Vereinten Nationen 2010 aufgezeigten Bedenken, dass bei den Pflichtuntersuchungen in Wien das Verbot der Folter (Art 3 EMRK) systematisch durch erniedrigende Behandlung der SexarbeiterInnen verletzt wird, wird im Gesetzesentwurf nicht einmal berührt. Grundsätzlich wäre anzudenken, aus menschenrechtlichen Erwägungen von der Kontrolle der Registrierungspflicht und Untersuchungspflicht gänzlich abzusehen, wie dies in Deutschland vor Einführung des Prostitutionsgesetzes in einigen Kommunen praktiziert wurde. Vom Bundesgesetzgeber wäre die Abschaffung der Registrierungs- und Untersuchungspflicht zu fordern. Auch UNAIDS und WHO fordern, dass Sexarbeiter und andere Risikogruppen für HIV nicht registriert und damit stigmatisiert werden sollen.
* Der Gesetzesentwurf bereitet den Boden für weitere systematische Menschenrechtsverletzungen, indem er Meinungsfreiheit exzessiv einschränkt (Art 10 EMRK) und polizeiliche Vollmachten einführt (Durchsuchungen und verdeckte Ermittlungen ohne Rechtsschutz, Zwang zur Selbstbezichtigung), mit denen willkürliche Hausdurchsuchungen, erzwungene Geständnisse und geheimpolizeiliche Methoden zur Ausforschung unsichtbarer Sexualität den Anschein der Rechtmäßigkeit erhalten und mit denen die Straflosigkeit von Polizeiübergriffen begünstigt wird. Da dies unverhältnismäßig und daher grundrechtswidrig in die Rechte auf Privatleben und Achtung der Wohnung (Art 8 EMRK), Recht auf faires Verfahren (Art 6 EMRK) und in der Folge auch Verbot der Folter (Art 3 EMRK) eingreift, kann der Gesetzesentwurf zur eklatanten Missachtung von Menschenrechten mit Methoden eines Polizeistaats führen. Insbesondere hat der Landesgesetzgeber nicht die Kompetenz zur Regelung der Verbrechensbekämpfung, auch nicht unter dem Vorwand und mit der Methodik des Verwaltungsrechts, weswegen die im Strafrecht gerechtfertigten Grundrechtseingriffe, wo sie mit rechtsstaatlichen Garantien beschränkt sind (z.B. StPO, SPG), im Verwaltungsrecht tunlichst zu vermeiden wären, wo die grundrechtlich erforderlichen rechtsstaatlichen Mindstgarantien gar nicht ausformuliert sind.
* Ein menschenrechtsorientierter Ansatz erfordert es auch, dass SexarbeiterInnen die freie Wahl haben, ob sie mit BetreiberInnen zusammen arbeiten wollen, oder nicht. Falls nicht, dann muss ihnen die Möglichkeit eingeräumt werden, ihre sexuelle Selbstbestimmung und Selbstständigkeit zu wahren, indem sie ohne Betreiber arbeiten. Der vorliegende Initiativantrag geht hingegen von Sexarbeit als abhängigem Arbeitsverhältnis aus. Tatsächlich kann Sexarbeit derzeit nur als selbstständige Tätigkeit ausgeübt werden, denn solange die Sittenwidrigkeit besteht (die in Deutschland und Neuseeland ausdrücklich abgeschafft wurden), ist jedes arbeitnehmer-ähnliche Verhältnis im rechtsfreien Raum. Eine landesgesetzliche Regelung, die das ignoriert, kann den Betroffenen nur schaden. Hinzu kommt, dass weisungsgebundene Sexarbeit mit dem Grundrecht auf sexuelle Selbstbestimmung unvereinbar ist. Es wäre daher auch unter diesem Aspekt zu vermeiden, eine Unselbstständigkeit der Sexarbeit in Form von gesetzlichen Rahmenbedingungen einzuzementieren. Die einzigen Formen zu selbstbestimmter Sexarbeit sind Straßenprostitution, Wohnungsprostitution und Escort von der eigenen Wohnung aus, die aber vom Gesetzentwurf faktisch unterbunden werden. Wie Erfahrungen in Deutschland zeigen, können kleine Studios mit ein bis zwei SexarbeiterInnen in Wohn- und Mischgebiet unauffällig betrieben werden. Es wäre also anzudenken, solche Studios aus der Definition der Prostitutionslokale herauszunehmen, wie in Neuseeland, und so auch den oben angeführten systematischen Menschenrechtsverletzungen vorzubeugen. Es ist auch nicht einzusehen, warum Escorts, die Hausbesuche tätigen, die Bestimmungen eines Prostitutionslokals für den Raum einhalten müssen, von wo aus sie telefonisch oder per Internet Anbahnung betreiben.
2. Kritik im Einzelnen
§ 2:
Die Definitionen schießen weitgehend über das Ziel und laden im Zusammenhang mit weiteren Bestimmungen des Entwurfs zu Menschenrechtsverletzungen ein.
* Abs 1: Die Definition der Prostitution übernimmt die Definition des bestehenden Gesetzes, was ein Mangel ist. Denn diese Definition ist zu weit gefasst: Auch Schauspieler sind nach dieser Definition meldepflichtige Prostituierte und Theater genehmigungspflichtige Stätte der Prostitution, wenn moderne Stücke aufgeführt werden, wie „Libido Sciendi“ (kürzlich am Live Art Festival, Kampnagel Bühne Hamburg), wo sexuelle Handlungen Teil der künstlerischen Darstellung sind. Gemeint ist mit Prostitution tatsächlich die gewerbsmäßige Ausübung von sexuellen Handlungen gemeinsam mit einer anderen Person, dem Freier oder der Freierin, der oder die dafür bezahlt (vgl. Definition Neuseeland).
* Abs 2: Zwar wird der zweite Teilsatz der entsprechenden Bestimmung im bestehenden Gesetzes entfernt, doch dafür wird in Folge Anbahnung und Ausübung der Prostitution explizit gleichartig behandelt. SexarbeiterInnen können so z.B. iVm § 17 Abs 4 lit c für verbotene Anbahnung bestraft werden, wenn sie von zuhause aus Telefonate oder Internetkontakte wahrnehmen, etwa zur Terminvereinbarung. Dies ist ein unverhältnismäßiger und daher grundrechtswidriger Eingriff in Art 8 EMRK (Privatleben, Wohnung), der aber begründet zu befürchten ist, wie VwGH 2006/09/0044 vom 15.05.2008 zum Tiroler LPG belegt: "Dies wäre aber für eine Bestrafung der Beschwerdeführerin wesentlich gewesen, weil sie [...] Kontaktgespräche mit den anzeigenden Exekutivorganen geführt, diesen aber die für die Verwirklichung des Anbahnungstatbestandes [...] erforderliche Öffentlichkeit fehlte, weil sie sich in der geschlossenen Wohnung zutrugen."
* Abs 4: Hier wird aufdringlich im bestehenden Gesetz durch aggressiv ersetzt, aber der grundrechtliche Mangel nicht beseitigt: Das Verbot von § 9 Abs 4 (alt § 4 Abs 1) kann zu unverhältnismäßigen und daher grundrechtswidrigen Eingriffen in die Meinungsfreiheit von SexarbeiterInnen führen. Denn die Art des öffentlichen Auftretens ist durch Art 10 EMRK (Meinungsfreiheit) geschützt. Nach ständiger Rsp des EGMR umfasst dieser Schutz auch provokante und Ärgernis erregende Ausdrucksformen, etwa im Bereich der Kunst. Die Definition der aggressiven Anbahnung legt im Vergleich dazu eine zu niedrige Schwelle der Belästigung fest. Dass diese Schwelle zu niedrig ist, wird auch dadurch belegt, dass vergleichbar sexualisiertes Verhalten und Auftreten sonst im öffentlichen Raum (vgl. Dessouswerbung auf Plakatwänden) toleriert wird.
* Abs 5: „Prostitutionslokale“ sind im bestehenden Gesetz nicht definiert. Der Begriff verschleiert, dass die Definition nicht auf typische Bordelle, Laufhäuser, Studios etc abzielt, sondern auch die private Wohnung einer Person, die mit Sexarbeit nichts zu tun hat, „bis zum Beweis des Gegenteils“ ein Prostitutionslokal ist. Die Beweislastumkehr ist problematisch, weil objektiv nicht beweisbar ist, dass an einem Ort keine Prostitution durchgeführt wird, Betroffene also der Willkür der „freien Beweiswürdigung“ eines übelwollenden Beamten ausgesetzt sein können. Sobald jemand Dessous kauft, begründet das den Verdacht, dass jemand in der Wohnung gelegentlich „ein der Prostitutionsausübung zuordenbares äußeres Erscheinungsbild“ aufweist, also die Wohnung ein Prostitutionslokal ist. Auch unauffällige Formen der Anbahnung, wie Beantwortung von E-Mail oder Telefonaten, macht nach dieser Definition die private Wohnung von Sexarbeitern automatisch zu einem Prostitutionslokal, womit die Gefahr besteht, dass in Hinkunft der Schutz der Privatwohnungen missachtet wird (Art 8 EMRK).
* Abs 8: Wohngebiete sind im bestehenden Gesetz nicht definiert. Die Definition des Initiativantrags ist unbestimmt, weil das gesamte Stadtgebiet von Wien Wohngebiet iSd Definition sein könnte, weil jede Fläche in irgendeiner Form „benachbart“ zu Flächen ist, deren Gebäude mehrheitlich Wohnzwecken dienen.
* Abs 9: Die Definition von Freiern ist neu, aber unbestimmt: Da die Feststellung einer Absicht objektiv nicht feststellbar ist, unterliegt es im Einzelfall einer freien Beweiswürdigung, wer Freier ist, womit jede mündige Person damit rechnen muss, nach dieser Definition zum Freier erklärt zu werden.
§ 3:
Im wesentlichen sind hier die im bestehenden Gesetz unter § 9 angeführten Bestimmungen. Sexarbeit ist nach diesen Regelungen weiterhin der einzige Wirtschaftssektor, der nicht von einer zivilen Behörde, etwa Gewerbebehörde, kontrolliert wird, sondern von einer bewaffneten Polizei. Bereits darin liegt eine inhärente Stigmatisierung aller in der Sexarbeit tätigen Personen und ihrer Angehörigen, weil sie so grundsätzlich wie gefährliche Kriminelle behandelt werden.
§ 4:
Diese Bestimmung übernimmt im wesentlichen die bestehenden Regelungen. Der 150 m Schutzbereich ist nicht mehr enthalten, da das Verbot von Straßenprostitution umfassender ist. Im Hinblick auf § 17 Abs 8 wird letztlich durch § 4 weiterhin eine Bestrafung von Jugendlichen ermöglicht, die mit ihrer Sexualität experimentieren und behördliche Ermahnungen in den Wind schlagen.
§ 5:
Die Meldepflicht übernimmt im wesentlichen die bestehenden Bestimmungen, ohne den übertriebenen Formalismus bei Unterbrechungen. Die neu vorgesehene Einbeziehung von NGOs ist zu begrüßen, wird aber, so wie eine Meldepflicht generell, grundsätzlich nichts gegen Menschenhandel ausrichten können. Da die Meldepflicht und die verpflichtenden Kontrolluntersuchungen von SexarbeiterInnen durch Bundesgesetze geregelt sind, ist der Landesgesetzgeber bei der Gestaltung beschränkt. Dennoch ist auch der Landesgesetzgeber gefordert, die Einhaltung der Menschenrechte zu garantieren. Im Hinblick auf die internationale Kritik an systematischen Menschenrechtsverletzungen (erniedrigende Behandlung) bei der Pflichtuntersuchung in Wien, insbesondere die Kritik der Vereinten Nationen (Fachausschuss gg Folter, Bericht CAT/C/AUT/CO/4-5 vom 20.05.2010 und Bericht A/65/44 an die UN Generalversammlung), sollte der Gesetzgeber daher zumindest die Gelegenheit nutzen, um in § 5 Abs 5 die Möglichkeit freier Arztwahl vorzusehen.
§ 6:
Diese Bestimmung ist neu, da es den Begriff des Prostitutionslokals im bestehenden gesetz nicht gibt. Sie geht von einer rechtlichen Fiktion aus, angestellten SexarbeiterInnen, die es nicht gibt. Die Bedingung § 6 Abs 1 lit b über die Verfügungsgewalt passt zwar zur Struktur von Laufhäusern, aber nicht zur Struktur von Escortvermittlern, Saunaclubs oder klassischen Bordellen. Im Hinblick auf die Sittenwidrigkeit von allen mit Prostitution verbundenen Rechtsgeschäften ist aber selbst bei Laufhäusern nicht nachvollziehbar, wie praktisch dafür gesorgt wird, dass SexarbeiterInnen reale Verfügungsgewalt, etwa durch rechtlich gültige Mietverträge erlangen sollen. (Um rechtsgültig zu sein, vermeiden die derzeitigen Mietkonstruktionen jeden Bezug zu sittenwidriger Prostitution, was mit dem neuen Gesetz unvereinbar sein wird.) Es ist auch nicht ersichtlich, zu welchem Zweck die Geschäftsführer eines Bordells als alleine über die Räume Verfügungsberechtigte in Hinkunft als registrierte Prostituierte nachweisbar frei von Geschlechtskrankheiten sein müssen.
§§ 7 bis 8 und 11 bis 14:
Im Hinblick auf die neu eingeführte Genehmigungspflicht sind Bestimmungen aus dem Gewerberecht übernommen und sonst dem geltenden Gesetz, aber angereichert um Sonderbestimmungen und die überschießenden Definitionen von § 2. Letztlich wird die Genehmigungspflicht zur Einsetzung von austauschbaren Strohfrauen führen, die nach außen hin verantwortlich sind, während faktisch Hintermänner das Sagen haben. So werden naive Sexarbeiterinnen dann für die Ehre, Chefin zu sein, die Strafen von spitzfindigen Gesetzesanwendungen auf sich nehmen müssen, nämlich KIAB Verfahren, die von unselbstständiger Tätigkeit ausländischer Sexarbeiterinnen ausgehen, was aber nach StGB Zuhälterei wäre. Der Initiativantrag führt dadurch zu einer neuen Form der Ausbeutung von SexarbeiterInnen.
§§ 9 und 10:
Diese Bestimmungen können zum faktischen Verbot legaler Prostitution in Wien führen. Straßenprostitution ist wegen der unbestimmten Defnition von Wohngebiet faktisch verboten, außer in ausdrücklich verordneten Erlaubniszonen gem § 9 Abs 3, wozu es aber keine Verordnungen gibt. Und unter Berufung auf Zumutbarkeitsbestimmungen gem § 10 kann die Behörde unter der schon aus bisherigen Verfahren bekannten extensiven Ausnutzung der freien Beweiswürdigung auch sämtliche anderen Formen der Prostitution verbieten. In der Praxis kann dies dazu führen, dass SexarbeiterInnen in der Illegalität arbeiten (Frauen in Notlagen lassen sich auch durch schärfste Strafen nicht abschrecken, wie internationale Erfahrungen zeigen), wo sie von kriminellen Zuhältern ausgebeutet werden (eine unvermeidbare Begleiterscheinung der Illegalität, wie internationale Erfahrungen und ökonomische Modelle zeigen).
§ 15:
Diese Gesetzesbestimmung lädt zur Verletzung fundamentaler Menschenrechte (Art 3, 6 und 8 EMRK) durch die Behörden ein. Es genügt der Verdacht, dass von der privaten Wohnung aus Anbahnung per Telefon oder Internet betrieben wird, obwohl die Wohnung kein genehmigtes Prostitutionslokal ist, um Ziel von Polizeiaktionen zu werden, die Menschenrechte missachten. Als Prostituierte angemeldete Sexarbeiter stehen dabei generell unter Verdacht und sie sind somit besonders vulnerabel. Ebenso unter Verdacht gerät, wer ein unkonventionelles privates Sexualleben pflegt (das gem Art 8 EMRK geschützt wäre).
* Abs 1, 3 und 4: Damit wird die Polizei ermächtigt, so wie im bestehenden Gesetz, jederzeit ohne unabhängige (richterliche) Aufsicht in private Wohnungen einzudringen und die Wohnung zu durchsuchen. Mit einer derartigen Bestimmung kann der Schutz der Wohnung und des Hausrechts gem Art 8 EMRK systematisch außer Kraft gesetzt werden, weil nach den unbestimmten Definitionen jede Wohnung „bis zum Beweis des Gegenteils“ ein Prostitutionslokal ist. Die Ermächtigung war schon im bestehenden Gesetz Anlass zu systematischen Grundrechtsverletzungen, wie VwGH 2004/09/0219 vom 20.11.2008 zeigt: Dabei ist die Wiener Polizei in die Wohnung einer Frau nur deshalb rechtswidrig eingedrungen, weil sie Sex gegen Entgelt angeboten hat und so unter den ungerechtfertigten Verdacht der Prostitution geriet. (Der Verdacht ist deshalb ungerechtfertigt, weil Sex gegen Entgelt noch keine Prostitution ist, vgl. auch VfGH seit 1976.) Der Landesgesetzgeber übertrifft mit dieser Bestimmung sogar die Volksrepublik China in der Missachtung von Menschenrechten, denn in Hongkong darf Polizei nicht in private Wohnungen zum Zweck der Prostitutionskontrolle eindringen.
* Abs 6: Diese Ermächtigung zur verdeckten Ermittlung, die es im bestehenden Gesetz nicht gibt, verschärft die oben angeführte Problematik und führt zusätzlich zur Verletzung des, durch Art 8 EMRK geschützten, Privatlebens. Es ist auch nicht einzusehen, warum verdeckte Ermittlung zur verwaltungsbehördlichen Aufsicht über Prostitution als eine definitionsgemäß öffentliche Tätigkeit benötigt wird. Diese Ermächtigung, zusammen mit der Ermächtigung zum Eindringen in private Wohnungen, kann jedoch, wie auch internationale Literatur bestätigt, zu sexuellen Übergriffen des verdeckten Ermittlers gegen die fast nackte Frau führen, die den bewaffneten Spitzelpolizisten unter der Vorspiegelung sexueller Erlebnisse empfangen hat. Dies ist dann eine Verletzung des Folterverbots Art 3 EMRK durch Folter (im Fall einer Vergewaltigung), durch unmenschliche Behandlung (wenn das aggressive Verhalten des Ermittlers Vergewaltigung befürchten lässt) oder jedenfalls durch erniedrigende Behandlung (Nacktheit). Vor diesen Übergriffen schützt das Gesetz nicht. Wegen der typischen Situation von Aussage gegen Aussage kann die misshandelte Frau auch keine wirksamen Rechtsmittel ergreifen und riskiert eine Anzeige wegen Verleumdung, wenn sie es dennoch versucht. Damit ist Art 3 EMRK nochmals verletzt ist, weil der Staat eine Untersuchungspflicht hat, auch wenn sich das Opfer nicht beschwert, aber eine Verletzung von Art 3 EMRK aufgrund der Umstände nahe liegt. Der Initiativentwurf sieht keinerlei Regelungen zur Erfüllung dieser Untersuchungspflicht vor und es gibt keinerlei Regelungen zur unabhängigen Aufsicht über den verdeckten Ermittler, die schon wegen Art 8 EMRK geboten wären.
* Abs 2: Weiter wird solcherart verdächtigten Personen, wie schon im bestehenden Gesetz, unter Strafandrohung die fundamentale Verfahrensgarantie verwehrt, sich nicht selbst bezichtigen zu müssen. Dies ist eine systematische Verletzung von Art 6 EMRK.
§ 16:
Das Gesetz, sollte es so in Kraft treten, kann die völlige soziale Isolation von registrierten Prostituierten bewirken. Denn § 16 iVm §§ 7 bis 14 ist ein faktisches Verbot, mit registrierten Prostituierten soziale Kontakte zu unterhalten, weil die Behörde im Einzelfall ihre freie Beweiswürdigung immer nutzen kann, um eine verbotene Anbahnungshandlung zu unterstellen. Während, in der bestehenden Praxis, registrierte Prostituierte außerhalb der Schutzzonen soziale Kontakte pflegen konnten (aber innerhalb der Schutzzonen sogar beim Einkauf Schwierigkeiten haben konnten), wird diese soziale Isolation nunmehr auf ganz Wien ausgedehnt. Es liegt eine systematische Verletzung von Art 8 EMRK vor, weil ein derart weitgehender Eingriff in das Privatleben völlig unverhältnismäßig ist.
§ 17:
Im Hinblick auf das faktische Verbot der Sexarbeit in ganz Wien bedeuten die Strafbestimmungen eine faktische Kriminalisierung aller in der Sexarbeit tätigen Personen. Die zu verhängenden Strafen sind zwar etwas niedriger, als nach der bestehenden Regelung, aber noch immer so hoch, dass Sexarbeit als besonders sozial schädlich stigmatisiert wird. Im Hinblick auf die dramatisch gesunkenen Verdienstmöglichkeiten in der Sexarbeit können die Strafen dazu führen, dass die betroffenen SexarbeiterInnen keine andere Möglichkeit haben, als in der Sexarbeit zu bleiben, um die Strafen zu verdienen. Wie die bisherige Praxis zeigt, riskieren dabei auch Personen eine Bestrafung, die mit ihrer Sexualität experimentieren und somit nur ihr Grundrecht auf Privatleben realisieren.
Hier der Link zum Download unserer Stellungnahme als PDF
http://www.sexworker.at/phpBB2/dload.ph ... file_id=68
Hier der Link zu dem von uns kritisierten Gesetzesentwurf
http://www.sexworker.at/phpBB2/dload.ph ... file_id=67
Wien, am 11. Juni 2011
Aoife Nic Seáin O’Neill, Public Relations Officer, Sex-Worker Forum
admina_aoife@sexworker.at
Christian Knappik, Executive Manager, Sex-Worker Forum
Verein: Sexworker Forum, ZVR-Zahl 699583522
Pannaschgasse 5-7/14, A-1050 Wien, Austria
© Sexworker Forum of Vienna 2011
Nur Rechte können Unrecht bekämpfen!