Strauss-Kahn-Ankläger
Massive Zweifel
Der New Yorker Staatsanwalt Cyrus Vance hat Dominique Strauss-Kahn zu schnell angeklagt und musste einen Rückzieher machen. Nun steht er unter Druck.
Der New Yorker Staatsanwalt Cyrus Vance hat im Fall Strauss-Kahn etwas voreilig gehandelt. Foto: dpa
Es war dem New Yorker Staatsanwalt Cyrus Vance nicht entgangen, wie mies die Stimmung in seinem Büro ist. Seine Ankläger und Ermittler waren von Rückschlägen frustriert und standen von der Presse unter schwerem Beschuss. So beschloss Vance, etwas zu unternehmen. Die Moral musste aufgebessert werden.
In der letzten Juliwoche rief Vance seine Mitarbeiter zusammen und gab ihnen zwei Stunden Zeit, über ihre Sorgen zu reden. Als alles gesagt war, schickte er sie mit einer Motivationsspritze zurück an den Schreibtisch. Das ganze Büro bekam eine pauschale Gehaltserhöhung und das, obwohl die Kassen der Stadt New York riesige Löcher aufweisen.
Zur Person
Cyrus Vance, Jahrgang 1954, ist Staatsanwalt in New York. Er klagte den IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn wegen versuchter Vergewaltigung, sexueller Belästigung und Freiheitsberaubung eines Zimmermädchens Mitte Mai in New York an. Am 23. August findet eine erneute Anhörung vor Gericht statt.
Ursprünglich stammt Vance aus einer Politikerfamilie. Sein verstorbener Vater, Cyrus Vance, Sr., diente als Außenminister unter Präsident Jimmy Carter. Der Sohn besuchte die Eliteuniversitäten Yale und Georgetown und sollte offenbar in die Fußstapfen seines Vaters treten. Die Chancen für eine Karriere als Politiker sind heute eher gering.
Der Moralschub war dringend nötig. Seitdem Vance im Fall Dominique Strauss-Kahn einen Rückzieher machen musste, steht seine Behörde in New York unter Druck. Man wirft dem neuen Mann, der vor weniger als zwei Jahren ins Amt gewählt wurde, Inkompetenz und Gier nach Aufmerksamkeit vor. Wie schon in anderen Fällen sei Vance im Vergewaltigungsfall zu schnell vorgeprescht, um sich zu profilieren.
Am Dienstag findet am New Yorker Gericht eine Anhörung statt, bei der befunden werden soll, ob der Fall überhaupt weiter verfolgt werden kann. Beobachter in den USA rechnen damit, dass das Verfahren eingestellt wird.
Es war peinlich für Cyrus Vance, als er am 1. Juli den unter Hausarrest stehenden Ex-IWF-Chef wieder auf freien Fuß setzen musste. Nachforschungen seiner Behörde hatten Zweifel an der Glaubwürdigkeit des mutmaßlichen Opfers, des Zimmermädchens Nafissatou Diallo, geweckt. Der Fall Strauss-Kahn schien bei weitem nicht mehr so klar, wie Vance das anfangs geglaubt hatte.
Vance musste sich unangenehme Fragen gefallen lassen. Unter New Yorker Rechtsanwälten sprach man hinter vorgehaltener Hand davon, dass der Staatsanwalt die Sache gründlich verpatzt habe. Der Anwalt des Opfers sagte in einer Pressekonferenz, dass Vance wohl Angst davor habe, einen prominenten Fall zu verlieren und er sich deshalb davor scheue, vor Gericht zu gehen. Politische Erwägungen, so die Unterstellung, würden hier vor die Pflichterfüllung gestellt.
Ausrede statt Erklärung
Die Presse weidete sich ähnlich genussvoll an der Angelegenheit. Nachdem Vances Büro verlautbarte, er habe aufgrund der Sachlage nicht anders handeln können, schrieb die New York Post, das sei eine Ausrede und keine Erklärung. „Wenn er sagt, das Rechtssystem habe in diesem Fall funktioniert, dann ist das so wie ein Doktor, der behauptet, eine Operation sei erfolgreich gewesen, nachdem ein Patient gestorben ist.“ Die New York Times verhielt sich standesgemäß dezenter, rollte aber ebenfalls in einem Dossier Zweifel an Vances Vorgehen auf.
Vance hatte nach der Verhaftung von Dominique Strauss-Kahn fünf Tage Zeit, um Anklage zu erheben. Länger darf in New York niemand ohne Anklage festgehalten werden. Vance entschloss sich, hart durchzugreifen. Nun fragt man sich jedoch, ob er nicht innerhalb dieser fünf Tage bereits hätte feststellen können, dass die Aussagen des Zimmermädchens mit Vorsicht zu genießen waren. Vances Kritiker meinen, die Aussicht, sich durch den Strauss-Kahn-Fall als harter Hund darstellen zu können, hätten sein Urteilsvermögen getrübt.
Der Verdacht wird dadurch genährt, dass Vance von Beginn an den Fall der zuständigen Abteilung für Sexualverbrechen entzogen hat. Deren Leiterin Lisa Friel trat daraufhin zurück. Anonyme Quellen aus der Sondereinheit sagten der New York Times, dass erfahrene Leute dort vermutlich rechtzeitig die Probleme in diesem Fall erkannt hätten.
Die Zweifel am Vorgehen von Vance werden zusätzlich dadurch genährt, dass ihm kurz zuvor zwei andere prominente Fälle ähnlich katastrophal misslungen waren. Zwei New Yorker Polizisten, die eine betrunkene Frau vergewaltigt hatten, wurden freigesprochen. Und gegen zwei Terrorverdächtige, die Anschläge gegen Synagogen in der Stadt geplant hatten, musste ebenfalls die Anklage fallen gelassen werden.
Wie im Fall Strauss-Kahn glaubt man, dass diese Pleiten auf Vances übertriebenen Ehrgeiz zurückzuführen sind. Seit er im Amt ist, ist der Staatsanwalt durch überzogenen Aktivismus aufgefallen. Er hat Abteilungen geschlossen, die Behörde umstrukturiert, Mitarbeiter entlassen und sich mit der Polizei angelegt.
Vance gerät immer mehr unter Druck. Sein Vorgänger Robert Morgenthau hatte das Amt 35 Jahre lang inne und gilt als der erfolgreichste Staatsanwalt der USA. Vance hingegen steht im Jahr 2013 zur Wiederwahl und muss bis dahin Profil gewinnen.
Doch der Fall Dominique Strauss-Kahn ist für Vance noch nicht gänzlich verloren. Der Anwalt des Opfers soll Strauss-Kahn einen außergerichtlichen Vergleich angeboten haben. Man rechnet nicht damit, dass sich Strauss-Kahn darauf einlässt. Eher wird es als Zeichen der Hoffnungslosigkeit der Gegenseite gewertet sowie als weiteres Argument dafür, dass es ihr immer nur um Geld ging.
Wie es aussieht, kommt aus dieser Sache nur einer gut heraus: Dominique Strauss-Kahn. Cyrus Vance muss hingegen versuchen, den Schaden zu begrenzen. Die Stimmung in seinem Amt wird dadurch gewiss nicht besser. Trotz Gehaltserhöhung.
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