2,5 Jahre wegen Betrug

Wo melde ich meinen Beruf an, mit welcher Steuerlast muss ich rechnen, womit ist zu rechnen, wenn ich die Anmeldung verabsäume, ... Fragen über Fragen. Hier sollen sie Antworten finden.
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Beitrag von ehemaliger User »

Gesetze sind oft "ungenau", mitunter durchaus absichtlich, um der Rechtsprechung Gelegenheit zu einer lebensnahen Anwendung zu bieten.

Gerade deswegen gehört es zur Auslegung und Anwendung, sofern eine Unklarheit besteht, die Begründung des Gesetzgebers hinzu zu nehmen, nämlich um den Willen des Gesetzgebers zu erforschen und umzusetzen. Wenn der Gesetzgeber in der Begründung so klar und absolut unmissverständlich wie hier die Nichtanwendbarkeit des §138(1) BGB als Absicht angegeben hat, dann ist es rechtswissenschaftlich ein echter "Kunstfehler" dies ins Gegenteil zu verkehren.

Allerdings kommt es (selten) auch sogar vor, dass sich eine ständige Rechtsprechung entwickelt, die im Extremfall tatsächlich den (unmissverständlichen) Wortlaut eines Gesetzes ins exakte Gegenteil verkehrt. Ich erinnere mich dunkel, dass es so bei dem §225 BGB alter Fassung (vor 2001) so war, mit der sinngemäßen Begründung, dass alle die Unwirksamkeit eines Verzichts auf die Verjährungseinrede sowieso doof finden würden. Die betreffende Regelung ist bei der BGB Revision dann entfallen.

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Kasharius
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Re: RE: 2,5 Jahre wegen Betrug (Meine Meinung)

Beitrag von Kasharius »

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"ehemaliger User" hat geschrieben:          Bild
Kasharius hat geschrieben:Wenn der Staatsanwalt meinte, aufgrund des ProstG sei die Sittenwidrigkeit des Rechtsgeschäftes gem. § 138 BGB weggefallen (was im übrigen von vielen Rechtsgelehrten und einigen Bundesgerichten wie dem Bundessozialgericht in Zweifel gezogen wird!)
Eine solche Minderheitenmeinung steht im ausdrücklichen Widerspruch zur Gesetzesbegründung, wo es heisst:

"Hierzu wird im Gesetz eindeutig geregelt, dass Prostituierte einen Anspruch auf das vereinbarte Entgelt haben, wenn sie ihre Leistung erbracht haben. Die Vereinbarung verstößt nicht gegen die guten Sitten. Eine Anwendung von § 138 Abs. 1 BGB auf diese Vereinbarung soll damit ausgeschlossen werden."

Wegen Bundessozialgericht, meinst Du die Entscheidung, wonach ein Bordellbetreiber von der Arbeitsagentur nicht die Vermittlung von Prostituierten verlangen kann?

Ja genau die meine ich. Außerdem gibt es entsprechend entgegengesetzte Kommentierungen z.B. im Palandt (genaue Fundstelle müsste ich nachreichen!) :002

ehemaliger User
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Re: RE: 2,5 Jahre wegen Betrug (Meine Meinung)

Beitrag von ehemaliger User »

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Kasharius hat geschrieben:          [url=viewtopic.php?p=120461#120461]Bild[/url
Ja genau die meine ich. Außerdem gibt es entsprechend entgegengesetzte Kommentierungen z.B. im Palandt (genaue Fundstelle müsste ich nachreichen!) :002
Palandt, 70. Auflage, Anhang zu §138, Randziffer 2.

Zunächst, §1 ProstG ist falsch wieder gegeben. Der Satz zum Kreditwesengesetz gehört offensichtlich nicht in diesen §1.

Nach Randziffer 2 sei das Geschäft per se nach wie vor sittenwidrig und nichtig, es werde nach Leistung der SW allerdings ex nunc wirksam und deswegen der Vergütungsanspruch der SW gerichtlich durchsetzbar.

Interessant die Anmerkung "nicht aber, wie die Gesetzesbegründung und ihr folgend AnwK/Looscheders (Rn11) meinen, um einen einseitg verpfl Vertr".

Zunächst, Gesetzeskommentierungen in Kommentaren stellen oft die persönliche Meinung des für den Abschnitt zuständigen Authors dar. Und können fehl gehen, hierzu gibt es in einem anderen Kommentar ein schönes Beispiel, wo ein BGH Richter Europäisches Recht kommentiert und eine ständige Rechtsprechung des Europäischen Spruchkörpers als irrig darstellt.

Ansonsten, worum gehts? Ganz einfach, wenns ein "normaler" Vertrag wäre, könnte der Kunde auf Erfüllung klagen ("Verträge sind zu erfüllen"). Durchaus zutreffenderweise wird es als gegen die Menschenrechte verstoßend angesehen, wenn ein SW vertraglich zur Erfüllung einer (vereinbarten) sexuellen Dienstleistung gezwungen würde. Dies ist insofern ein Ausnahmefall von der allgemeinen Regel, dass geschlossene Verträge zu erfüllen sind, und zwar von beiden Seiten.

In einem Vertrag zwischen SW und Kunde ist folglich nur der Kunde zur Erfüllung (Zahlung) verpflichtet, wenn er die Leistung erhalten hat. Er kann nur einwenden, dass er die Leistung (und zwar lediglich bezogen auf die vereinbarte Zeit!!) nicht erhalten hat. Demgegenüber ist die SW auch wenn ein Vertrag geschlossen wurde (was durch die Vereinbarung eines Dates, auch telefonisch, geschieht), nicht zur Leistung jedenfalls der vereinbarten sexuellen Handlungen verpflichtet (zur Leistung der Zeit aber vermutlich bzw. m.E. schon!).

Die Kommentierung geht m.E. in verschiedenen Aspekten fehl.

Zunächst ist nicht einzusehen, dass die vereinbarte Zeit als solche sittenwidrig sein könnte. Ein Verstoß gegen die Menschenrechte besteht insofern wohl kaum. Allein schon deswegen kann das Geschäft nicht insgesamt nichtig sein. Das ergibt sich auch aus §2 ProstG, wonach der Kunde einwenden kann, nicht die vereinbarte Zeit bekommen zu haben. Der Vertrag kann also durchaus von Anfang an wirksam sein, das Konstrukt der ex nunc Wirksamkeit des Vertrages ist insofern schon unschlüssig.

Auch ist es schon geradezu abwegig, davon auszugehen, dass die Erfüllung einer sittenwidrigen und folglich nichtigen Vereinbarung die Sittenwidrigkeit im Nachhinein aufhebe. Nichts anders folgt aus den Kommentarerwägungen zum Stichwort ex nunc Wirksamkeit, denn ein anderer Nichtigkeitsgrund als die angebliche Sittenwidrigkeit ist in diesem Kontext gar nicht diskutiert.

Satz 2 des §1 ProstG würde in dem Kommentarverständnis kaum erklärbar sein. Denn wann würde dann das "für eine bestimmte Zeitdauer bereithalten" (also warten auf den Kunden, mit dem man/frau ein Date vereinbart hat) sittenwidrig sein bzw. ex nunc plötzlich nicht mehr sittenwidrig? Wenn die Zeit des "Bereithaltens" (ereignislos) abgelaufen ist? Bis dahin sittenwidriges Nichtstun?

Schließlich gehört schon eine Menge dazu, in einem Kommentar zu einem Gesetz die Gesetzesbegründung zu kritisieren und als falsch zu bezeichnen. Erinnert mich an den vorstehend erwähnten Kommentarteil zu Europäischem Recht.

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Re: RE: 2,5 Jahre wegen Betrug (Meine Meinung)

Beitrag von Aoife »

Vielen Dank für die ausführliche Erläuterung lieber "ehemaliger User"!

Da jedoch in der Realität nach solchen schon in sich logisch falschen Argumentationen entschieden wird zeigt dies, dass sowohl der Gesetzgebungeprozess als auch die Rechtsprechung nicht geeignet sind die zur Begründung ihrer Notwendigkeit herangezogenen Wirkungen überhaupt zu entfalten. Wozu brauchen wir sie dann überhaupt?

Sofern man bei solchen gesellschaftlichen Verhältnissen überhaupt von Recht und Ordnung sprechen kann, so scheinen diese beiden Eigenschaften nicht etwa wegen, sondern trotz Gesetzgeber und "Rechtspflege" aufzutreten.

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"ehemaliger User" hat geschrieben:Dies ist insofern ein Ausnahmefall von der allgemeinen Regel, dass geschlossene Verträge zu erfüllen sind, und zwar von beiden Seiten.
Nach meiner (zugegebenermaßen möglicherweise kulturell vorbelasteten) Meinung eine grundlegende Schwachstelle der kontinentalen Rechtsphilosophie. In Common Law sind einseitig bindende Verträge vorgesehen und werden "deed" genannt - bzw bei schriftlicher Niederlegung "deed poll".

Liebe Grüße, Aoife
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Beitrag von ehemaliger_User »

Was ist überhaupt "Erefüllung" wenn es um Sexgeschäfte geht?

Es gibt doch auch andere Berufsgruppen, bei denen ich die Erfüllung nicht einklagen kann, z.B. bei einem Physiotherapeuten oder Arzt. "Sex kaufen" bedeutet doch nicht "Orgasmus kaufen", die Einhaltung der vereinbarten Zeit ist doch für die Erfüllung ausreichend, oder?

Den einzigen Streitpunkt sehe ich nur in kostenpflichtigen Zusatzleistungen, die zusätzlich zur vereinbarten Zeit zu leisten sind. Dafür sollten sich aber auch Regelungen finden lassen, die sowohl den Menschenrechten, als auch Vertragsrechten genügen.
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Kasharius
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Beitrag von Kasharius »

@ehemaliger_User

der Vertrag zwischen einem/einer SW und dem Kunden ist in der Regel ein Dienstvertrag nach § 611 BGB. Im Gegensatz zum Werkvertrag nach § 631 BGB wird hier kein Erfolg sondern die Erbringung der Dienste als solches geschuldet. hierin besteht die Erfüllung die den Zahlungsanspruch auslösen. Gerade dieser Zahlungsanspruch war wegen des Sittenwidrigkeitsverdiktes rechtlich nicht durchsetzbar da die Entlohnung derartiger Dienstleistungen gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht denken verstoßen sollte. DAS sollte das PROSTG ändern. Allerdings stellt sich das praktische Problem das in der Regfel gegen Vorkasse gearbeitet wird, daher also keine Notwendigkeit besteht, den Lohn einzuklagen. Man könnte jetzt unter Heranziehung des Gesetzes und der Begründung auf die Idee kommen, das ProstG soll Vorkasse verbieten. Ich habe das in meiner Dissertation auch kurz andiskutiert aber verworfen. Es hätte dann einer Klarstellung bedurft. Außerdem sollte das Gesetz ja dieSituation der SW verbessern und nicht verschlechtern.

Die Anstandsformel stammt aus dem 19. Jahrhundert und taucht das erste mal offiziell in einer Entscheidung des Reichsgericht zum Wettbewerbsrecht und vorher in den Materialien der BGB-Kommisionen auf. Sie wurde, wie auch ich aufzeigen konnte nie erläutert oder dogmatisch hergeleitet. Man berauschte sich einfach an ihrem schönen klang - mit was für fatalen auswirkungen.


Kasharius :001

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Beitrag von ehemaliger_User »

Danke Kasharius. Trotdem taucht in Diskussionen immer wieder der Satz auf "Erfüllung durch die SexarbeierInnen kann nicht verlangt werden" - das bedeutet doch im Klartext: Ich buche, die DienstleisterIn verbringt die vereinbarte Zeit mit mir, lässt sich aber nicht anfassen. Und ich muss trotzdem bezahlen.

Ist es dann auch Betrug wenn sie mir bei den Vertragsverhandlungen dies verschweigt?
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Kasharius
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Beitrag von Kasharius »

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ehemaliger_User hat geschrieben:Danke Kasharius. Trotdem taucht in Diskussionen immer wieder der Satz auf "Erfüllung durch die SexarbeierInnen kann nicht verlangt werden" - das bedeutet doch im Klartext: Ich buche, die DienstleisterIn verbringt die vereinbarte Zeit mit mir, lässt sich aber nicht anfassen. Und ich muss trotzdem bezahlen.

Ist es dann auch Betrug wenn sie mir bei den Vertragsverhandlungen dies verschweigt?

@ehemaliger_User

dieser Satz besagt nur daß die SW nicht zu ihren Diensten gezwungen werden darf. Das ProstG löst quasi das Sittenwidrigkeitsverdikt durch ein Freiwilligkeitspostulat ab. Aber: Wenn Sie sich grundsätzlich zur Leistungserbringung bereit erklärt, muss sie diese dann auch erbringen, also erfüllen. Ansonsten verliert sie ihren durch das ProstG grundsätzlich bestehenden Anspruch auf ihren Lohn. Wohlgemerkt: Nur wenn sie gar nicht leistet. Wenn sie schlecht leistet bzw. der Kunde dies so empfindet (z.B. er "kommt" nicht ) hat er keinen Anspruch auf Rückgewähr des Geldes. Es wird eben nur die Leistung und kein Erfolg geschuldet. Die konkrete Leistung wirdja vorher konkret verabredet. So läßt sich Nichtleistung von Schlechtleistung in der Regel gut unterscheiden. Es gibt aber viele juristische Einzelfragen die ich in der Arbeit durchdekliniert habe - ist aber nur z.T. relevant für den Alltag.

Betrug ist ein strafrechtlicher Begriff. Ich interessiere mich hier nur für die zivilrechtlichen und verwaltungsrechtlichen Fragen.

Gute Nacht

Kasharius