Artikel: Sexworker als Therapeut

Hier könnt Ihr Eure Erlebnisse und Eure Gedanken zum Thema "Sexarbeit mit behinderten Kunden" aber auch "behinderte SexarbeiterInnen" posten, oder Anregungen holen, wie man mit dem sicherlich sensiblen Themen umgehen kann bzw. soll.
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Kasharius
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RE: Artikel: Sexworker als Therapeut

Beitrag von Kasharius »

@annainga,

deine sehr eindrucksvollen Beiträge berühen einen entscheidenden Punkt im Verhältnis zwischen SW und behinderten Gästen, insbesonderen jenen, die sich nicht bzw. nur eingeschränkt äussern kölnnen. neben dem möglicherweise bestehenden strafrechtlichen Aspekt (Mißbrauch von Widerstandsunfähigen; so dargestellt in der Profamiliaexpertise) ist dies der Punkt DISKRETION. Es handelt sich dabei um ein tragendes Prinzip im Bereich der Sexarbeit und wird hier, notgedrungen durchbrochen; nicht immer freiwillig wie deine ersten beiden Beispiele zeigen. Ich sehe meine Aufgabe als behindertenpolitisch angagierte Anwalt und angagierter Kunde im Dialog mit Einrichtungen der Behindertenhilfe und Bordellen, wie beispielsweise jenem im SZ-Artikel beschriebenen hier immer wieder auch in solchen Fällen so weit es geht das selbstbestimmungsrecht der Betroffenen Gäste und hier besonders die erforderliche Diskretion zu wahren; z.B. keine Gespräche über die praktizierten Sexhandlungen mit dem Betreuer(was im Zimmer passiert, bleibt im Zimmer!), keine Quittungen mit dem Namen des Gastes, wenn von diesem nicht ausdrücklich authorisiert, keine Rückmeldungen über derartige Kontakte an den Sozialhilfeträger etc (ich habe hier betreffend all dieser Punkte in meinen Gesprächen mit SW oder Betreibern schon Gegenteiliges erlebt!). Hier gilt es weiter aufzuklären wozu auch ich mich verpflichtet fühle (Übrigens: Ich bin nicht der im SZ-Artikel erwähnte Herr Vernaldi, kenne ihn aber sehr gut!).

Ansonsten möchte ich, quasi als erstes Zwischenfazit, hervorheben, daß es die absolut richtige Entscheidung war diesem tollen Forum beizutreten. Insbesondere der Austausch mit Euch @annainga und @ Rolliman,aber auch allen anderen, sind für mich menschlich und fachlich ein großer Gewinn. Das musste hier auch mal gesgt werden.

Seit alle gegrüßt

Kasharius :006

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Rolliman
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RE: Artikel: Sexworker als Therapeut

Beitrag von Rolliman »

Ein Erlebnis was ich hatte:

Ich war im Club und sprach eine junge Tschechin an, sie lehnte meine Anfrage ab, weil sie sich unsicher fühlte. Das habe ich akzeptiert und schaute mich anderweitig um. Etwa 4 Stunden später kommt die Dame an, und fragt höflich, ob ich noch Interesse hätte, als ich bejahte, gingen wir auf ein Zimmer. Es war sagenhaft was dann kam.
Sie erzählte mir hinterher, dass sie nach meiner Frage erstmal nachdenken mußte.
Heute 4 Jahre später, sind wir gut befreundet, und die Dame macht nur noch Dates mit Behinderten, und sie meint, dass sie an Wissen, Menschenkenntnis, und Selbstvertrauen deutlich dazu gewonnen hat.

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Kasharius
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Beitrag von Kasharius »

@Rolliman,

na das sind doch die schönen Geschichten die das Leben schreibt. Toll daß die Dame nochmal nachgedacht und sich anders entschieden hat. Ich hätte ja gedacht Du hättest sie mit Schokolade rumgekriegt. :002 :002

Aber mal im Ernst: Du warst vier Stunden (!) in dem Club. Ich glaube mein Rekord liegt bei 3 1/2 Stunden Verweildauer.

aber wir wollen uns hier ja nicht brüsten, sondern niveauvoll diskutieren, also Schluss @Kasharius mit der wohlfeilen Prahlerei... :002 :002

Kasharius wünscht Dir weiter viel Spaß im Club (so lange es auch dauert...)

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annainga
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RE: Artikel: Sexworker als Therapeut

Beitrag von annainga »

den strafrechtliche aspekt beachte ich nicht.
ich kann mir da nichts konstruieren, was für mich arg negativ sein könnte.
kennst du einen fall?
ich weiß schon, dass es theoretisch möglich ist, aber termine, die von betreuern ausgemacht werden müssen und die hilfestellung leisten müssen (vor allem in der vorbereitung), sind meistens monatelang überdacht .....

was den punkt "diskretion" angeht, gebe ich dir recht.
ein sensibler umgang in dem bereich sexualität für alle beteiligten ist grundlegend.
(eine weitere gemeinsamkeit zwischen sexarbeitern und behinderten - wie oft wird dieser punkt verraten und mißbraucht).

das pdf von "pro familia" gibts nicht als broschüre, man muss es bei interesse selbst ausdrucken. ist ja auch sinnvoll.

mir fiel auch noch etwas ein, zu dem punkt sexarbeit mit sex und ohne sex.
womöglich ist das eine grenze, weil die körperliche distanz ohne sex und küsse maximal "null" beträgt.
es ist schon eine einsehbare grenze, die die involviertheit des eigenen körpers reduziert auf maximalen abstand "null". das eindringen eines anderen körpers in den eigenen wird nicht zugelassen, wogegen eine "normale" sexarbeiterin das überschreiten der physisches grenze des eigenen körpers anbietet. und beides und noch viele berufe mehr unter dem "begriff sexarbeit" zu fassen, wäre ok. striptease-tänzer als prostituierte zu bezeichnen passt einfach nicht, als sexarbeiter schon.

lieben gruß, annainga

ps: danke, für die netten worte und schön, dass du dich im forum wohlfühlst.

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Kasharius
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RE: Artikel: Sexworker als Therapeut

Beitrag von Kasharius »

@annainga,

zunächst: wenn ich je in die Verlegenheit gerate in einem Prozess oder einer sonstigen juristischen Auseinandersetzung zu diesem Themenkomplex einen Sachverständigen bzw. sachverständigen Zeugen zu benötigen werde ich auch Dich ernsthaft in den Blick nehmen. Deine Äusserungen zeugen nicht nur vongroßer Empathie sondern auch sehr fundiertem Sachverstand. Das ist jetzt keine fade bauchpinselei - ich meine das sehr ernst.


In der Tat ist praktisch kein strafrechtlich relevanter Fall denkbar, da die Besuche im Bordell oder die Kontake zu Sexualbegleitern oft lange vorbereitet und reflektiert wurden. Aber manche Betreuer oder Eltern aber auch Sexarbeiter selbst, haben hier oft verständliche aber eher übertriebene Ängste. Hier hilft dann Aufklärung auch durch Menschen wie Matthias Vernaldi (oder mich bzw. dich!).

Hier ein Artikel aus dem Magazin HANDICAP 2/2003 bei dem es mir leider nicht möglich war, ihn im Wortlaut hier einzustellen. Bei PDF-Dateien bin ich irgendwie zu blöd...

Hier wenigstens der link

http://www.myhandicap.de/fileadmin/myha ... tution.pdf

Auch dieser Artikel nähert sich dem Thema Sexualbegleitung/Behinderte Gäste auf einfühlsame und instruktive Weise finde ich.


Herzliche Grüße


Kasharius

P.S. Vielleich wäre ehemaliger_User nochmal so nett den Text hier einzustellen. Ich mach auch nen VHS-Kurs für zurückgebliebene Anwälte

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annainga
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RE: Artikel: Sexworker als Therapeut

Beitrag von annainga »

Die käufliche Liebe ist für Menschen mit Behinderung ein
vielschichtiges Thema, aber kein Tabu mehr. HANDICAP wirft einen Blick in die Welt von behinderten FreierInnen und bereitwilligen Huren, Sexualbegleitern und Körperkontakterinnen


Heidi’s Kuschelecke“ liegt in einer der weniger vornehmen Gegenden des Berliner Bezirks Charlottenburg. Eingerahmt von Autowerkstätten und Garagenhöfen ist das obskure Flachbau-Objekt immer wieder Ziel von Telebussen, mit denen ERollstuhlfahrer wie Martin* verkehren, um hier ihre Begierde zu stillen. Denn die Kino-Bar in der Quedlinburger Straße ist eines der wenigen weitgehend barrierefreien Etablissements in der Hauptstadt, und dafür wird mit dem Rolli-Symbol auf einer Tafel am Haus auch geworben. Zielstrebig steuert der stark spastisch gelähmte Martin mit Hilfe des Joysticks am E-Rolli auf den Eingang zu. Drinnen erwartet ihn ein spartanisch eingerichtetes Pornokino. Im fahl flackernden Licht der Leinwand sind zunächst nur die sauber drapierten Rollen mit weißen Haushaltstüchern auf den reihenweise angeordneten Sitzbänken zu erkennen. Irgendwann drängt sich den sich an die Dunkelheit gewöhnenden Augen eine mit Reizwäsche frisierte Gummipuppe in der Ecke auf.

Kuscheln im Zimmer

Mit den fünf oder sechs menschlichen Platzanweiserinnen, die hier heute ihre Arbeit verrichten, kann man sich aber auch zum Kuscheln in bequemere Zimmer zurückziehen. „Als ich den Laden übernommen habe, waren Eingang, Klo und Räumlichkeiten bereits barrierefrei erreichbar“, berichtet Heidi Suhrbier, Inhaberin der „Kuschelecke“. Immerhin etwa 10 Prozent der Freier, schätzt sie, haben ein Handicap, meist sind es Rollstuhlfahrer und Amputierte. Lifte oder Haltegriffe gibt es
zwar nicht, aber Frauen, die neu anfangen, werden von Heidi, deren Schwiegersohnvor 20 Jahren an Muskelschwund starb, über die Bedürfnisse von behinderten Menschen aufgeklärt. „Ich stelle es den Mädchen frei, ob sie mit Behinderten intim werden wollen, denn einige können das nicht verkraften.“ Für die meisten Frauen jedoch sind der sexuelle Kontakt ebenso wie Hilfestellungen beim Umsetzen aus dem Rolli und beim Ausziehen kein Problem. Weil das alles wesentlich länger dauert, drückt man bei Stammkunden wie Martin schon mal ein Auge zu, wenn die vereinbarte und bezahlte Zeit überschritten wird. „Krankenschwestern oder barmherzige Samariterinnen sind wir jedoch nicht“, betont Heidi Suhrbier.

Entdecke Deine Sexybilities

Martin ist in seiner Artikulationsfähigkeit stark eingeschränkt. Seinen ersten Besuch in der „Kuschelecke“ hat deshalb Matthias Vernaldi für ihn telefonisch angekündigt und vorbereitet. Der 44-Jährige hat vor drei Jahren in Berlin die Initiative „Sexybilities“ gegründet. Von seiner Ladenlokal-Wohnung in Neukölln aus berät er Menschen mit Behinderungen in Sexualfragen und vermittelt auch Kontakte zu Prostituierten. Matthias leidet selbst an Muskelschwund. Unterhalb des Kopfes kann er nichts mehr bewegen, nichts außer seinem Penis, denn der besteht aus gut durchbluteten Schwellkörpern, die allein durch ausschweifende Phantasien oder manuelle Stimulation auf Trab gebracht werden können. Doch Selbstbefriedigung ist für Matthias schon seit langem technisch nicht mehr möglich. „Ich hatte moralische Skrupel, sexuelle Dienstleistungen gegen Bezahlung zu akzeptieren und bin auch ein eher schüchterner Typ“, gesteht der aus Thüringen stammende Theologe, der wegen seiner Behinderung in der DDR nicht Pfarrer werden durfte. Aber das ist eine andere Geschichte. „Sicher hatte ich auch die Erfahrung verinnerlich, dass du als Krüppel keine große Nummer auf dem Sexmarkt bist“. Die erste Begegnung mit einer Prostituierten verlief entsprechend enttäuschend. Doch dann stieß er bei einer „Handentspannung“ für 15 Euro auf Julie*, die ihn seitdem regelmäßig zu Hause besucht und mit der zusammen auch die Fotos entstanden sind, die unseren Beitrag bebildern.

Für die Sehnsucht nach Beziehungen ist Prostitution
keine Lösung


Zwischen beiden hat sich über den Sex hinaus ein persönliches Verhältnis entwickelt. Julie bringt Matthias frischen Spargel mit und erklärt seinem Assistenten Carlos, wie er richtig zubereitet wird. Mit anderen Prostituierten, mit denen Matthias befreundet ist, geht er schon mal zusammen ins Theater oder fährt zum Einkaufen nach Polen. Liebesbeziehungen? „Prostitution wird immer mit dem Widerspruch einhergehen, dass sie nur auf der Grundlage von Distanz ausgeübt werden kann, ihr Hauptinhalt aber zutiefst personaler Natur ist“, sagt Matthias. Für die tiefe Sehnsucht nach erfüllten Beziehungen, von der ihm Menschen mit Handicaps in Beratungsgesprächen erzählen, ist Prostitution definitiv keine Lösung. Auch bei jungen Leuten, die ihre ersten Erfahrungen sammeln, hält er den Kontakt zu Huren für fragwürdig. Und noch etwas ist Matthias Vernaldi wichtig: „Die Prostituierten müssen auf freiwilliger und selbstbestimmter Basis arbeiten. Zuhälterei, Drogen- oder Zwangsprostitution lehne ich ab.“

„Senioren und Behinderte sind immer gerne
willkommen!“


In Berlin ist es den Erfahrungen von Matthias zufolge kein Problem, sich eine Prostituierte nach Hause zu bestellen, denn die Auswahl ist auch für Menschen mit Behinderungen groß und die Preise sind im Vergleich zu anderen RegionenDeutschlands im Keller. Auch wenn nur wenige Kino-Bars, Pensionen oder Privatwohnungen (Bordelle gibt es in der Hauptstadt offiziell nicht) barrierefrei sind, „tragen dich die Leute am liebsten auf Händen herein“ – der Kunde ist König, ob mit oder ohne Handicap. Mit Anzeigen in einschlägigen Tageszeitungen und Magazinen wie „BZ“ und „tip“ wird die Peer Group der Behinderten sogar aktiv umworben. „Senioren und Behinderte sind immer gerne willkommen!“, heißt es auch auf der Homepage des Pankower „Fuchs“. Bei Ticketpreisen zwischen 25 und 90 Euro geht der Sonderzug ab: „Schwerbehinderte kommen bitte mit Pfleger und telefonischer Voranmeldung!“ Und selbst auf dem berüchtigten Straßenstrich an der Kurfürstenstraße ist frau auf Menschen mit Handicaps eingestellt. Monika*, die morgens eine Ausbildung zur Fremdsprachenkorrespondentin absolviert und hier am Nachmittag anschaffen geht, weiß von einer Pension um die Ecke, die mit ebenerdigem Eingang und schwellenlosen Zimmern im Parterre „ideal für Rollis“ sei.
Sechs rollstuhlfahrende Männer zählt sie zu ihren Kunden. Ihrer
Einschätzung nach sind behinderte Freier meist besonders nett, sehr zärtlich und selten aggressiv. „Und wenn einer mal partout keinen Ständer bekommt, dann mache ich es eben auf Französisch.“

Für das Assistententeam darf Sexualität kein Tabu
sein


„Eine Prostituierte ist genau so gut oder besser als jede therapeutisch orientierte Sexualhelferin“, sagt Matthias Vernaldi, der sich für Menschen mit Behinderungen so wenig Sonderbehandlung wie nötig wünscht. Er selbst sieht sich dabei durchaus in einer privilegierten Situation, denn er hat eine eigene Wohnung und ein eigenes Telefon. Er kann über sein Geld frei verfügen und ist Arbeitgeber für seine persönlichen Assistenten, die rund um die Uhr für ihn da sind. Als Carlos 1999 zu ihm kam, war er völlig neu im Assistenzgeschäft. Schon bald hat ihn Matthias mit dem Thema Sexualität konfrontiert. Wenn Matthias eine Prostituierte zu sich einlädt, zieht Carlos ihn aus und trägt ihn vom Rollstuhl ins Bett. Wenn er Matthias ins Bordell begleitet, wartet Carlos so lange in der Kaffeeküche. „Es kommt schon mal vor, dass eine Frau vergisst, nach dem Verkehr das Kondom abzustreifen“, berichtet Matthias. „In solchen Fällen muss Carlos ran.“ Matthias würde keinen Assistenten in sein Team berufen, der die von ihm praktizierte Sexualität ablehnt, aber es werden auch klare Grenzen gezogen. Eine direkte Beteiligung an sexuellen Handlungen mit Prostituierten oder gar aktive Sexualhilfe durch den Assistenten würden beide ablehnen. Eine autonome erotisch-sexuelle Intimsphäre wird umso wichtiger, je mehr hoher Pflegebedarf oder institutionelle Umstände bei Menschen mit Behinderungen zwangsläufig in den Intimbereich eindringen und Körperkontakte lediglich als Funktionshandlungen in Betracht kommen. Dies ist besonders in Wohnheimen oder anderen Einrichtungen mit intensiver Betreuung der Fall, in denen das sexuelle Empfinden der Betroffenen lange Zeit völlig tabuisiert wurde und sich ihnen durch die rigide Heimordnung, die abgeschiedene Lage, das geringe Taschengeld oder die Unterbringung in Mehrbettzimmern erst recht keine Möglichkeit bot, ihre Sexualität auch praktisch zu gestalten. Ein lustbetonter Körperkontakt mit den BetreuerInnen war schon deshalb unmöglich, weil die Grenzen zum sexuellen Missbrauch von Schutzbefohlenen nach § 174 des Strafgesetzbuches eng gesteckt sind.

Körper-Kontakt-Service bei Sensis

Dies war in etwa der Kontext, aus dem heraus 1995 der Körper Kontakt-Service Sensis in Wiesbaden gegründet wurde, um vor allem Heimbewohnern mit schweren körperlichen Handicaps und geistigen Behinderungen durch die Vermittlung von professionellen und selbständig tätigen SexualbegleiterInnen neue Erfahrungen zu ermöglichen. Das Projekt wurde von der sexualpädagogischen Fachwelt und von den Medien bejubelt, geriet aber bei behinderten Menschen wegen seiner pädagogischen, auf „Lernerfolge“ und „Therapieziele“ fokussierten Ausrichtung schnell auch in die Kritik. Zum Konzept gehört bis heute, dass die wenigen verbliebenen Sensis MitarbeiterInnen ihre Kunden zwar streicheln und massieren, sie gegebenenfalls auch bis zum Orgasmus bringen, dass der Geschlechtsverkehr aber kategorisch ausgeschlossen wird. „Sensis ist verlogen, weil hier eine bigotte Moral bedient wird“, urteilt Matthias Vernaldi. „Behinderte sollen ‚sensibilisiert’ werden und dürfen nicht einfach mal so vögeln.“
„„Unsere starke sexualpädagogische Einbettung hat das damals bestehende Tabu in gewisser Weise reproduziert“, gibt sich der neue Leiter von Sensis, Stan Albers, selbstkritisch. Hinzu kam, dass sich die Vermittlung von sexuellen Dienstleistungen durch einen Trägerverein wie bei Sensis lange in einer rechtlichen Grauzone bewegte und sich in gefährlicher Nähe zur verbotenen „Förderung der Prostitution“ befand. Erst seitdem die Sittenwidrigkeit der Prostitution durch ein neues Gesetz zum 1. Januar 2002 aufgehoben und die Sexualbegleitung zu einem gültigen Rechtsgeschäft wurde, gibt es auch für die gesetzlichen Betreuer von behinderten Menschen in Heimen keine juristischen Fallstricke mehr. „Eigentlich spricht nichts mehr dagegen, dass unsere MitarbeiterInnen auch Geschlechtsverkehr anbieten“, sagt Stan Albers. Unter der Trägerschaft des Landesverbandes Körper- und Mehrfachbehinderte Hessen e.V. will er Sensis als Marke mit Qualitätsgarantie wieder neu beleben und in weiteren Regionen etablieren. „Bei Sensis können Menschen mit Behinderungen sicher sein, nicht in abenteuerliche Verhältnisse zu geraten.“

Sex vom Sozialamt

Durch das neue Prostitutionsgesetz und den Wegfall der Sittenwidrigkeit rückt auch eine andere Möglichkeit ins Blickfeld, die in Nachbarländern wie Dänemark oder den Niederlanden schon existiert: Sex auf Krankenschein. Die Zuständigkeit dürfte hierzulande allerdings eher bei den Sozialämtern liegen, weil die Heilmittel- Richtlinien „Maßnahmen, die ausschließlich der Anreizung, Verstärkung und Befriedigung des Sexualtriebs dienen sollen“ ausdrücklich nicht als Kassenleistung deklarieren. Weil Sexualität als menschliches Grundbedürfnis anerkannt wird, haben aber bereits einige Sozialämter Kostenübernahmen für sexuelle Dienstleistungen bewilligt, allerdings nur dann, wenn die Antragsteller alleinstehend waren und nachweisen konnten, dass sie nicht in der Lage sind, sexuelle Befriedigung auf anderem Wege zu erlangen. Für Matthias Vernaldi ist dieser Ansatz ein Irrweg und ein Rückschritt zugleich: „Sex vom Sozialamt würde in der öffentlichen Wahrnehmung den Blickwinkel auf Behinderte als Mängelwesen verstärken und die soeben überwundene geglaubte Therapeutisierung bis in die Intimsphäre hinein wieder ausweiten“

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Kasharius
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Beitrag von Kasharius »

@annainga

herzlichen Dank. Wie findest du den Beitrag...?


Liebe Grüße

Kasharius

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RE: Artikel: Sexworker als Therapeut

Beitrag von annainga »

stimmt, das fehlt noch.

der beitrag war sehr mühselig zu kopieren und ich habe den zeilenbruch für jede einzelne zeile mechanisch korrigiert, weiterhin musste ich die überschriften einzeln verbessern und den text in vielen einzelnen abschnitten bearbeiten, damit er jetzt so schön aussieht.

er war es mir wert, danke für den guten link, du scheinst da viele zu kennen.

im grunde könnte ich zu jedem der unterstrichenen sätze ein eigenes thema aufmachen. z.b. der satz

„Sicher hatte ich auch die Erfahrung verinnerlich, dass du als Krüppel keine große Nummer auf dem Sexmarkt bist“.

ist hart und ich hatte bedenken, so unsensibel zu sein und ihn auch noch zu unterstreichen.

da ich es mag, auch unangenehme aussagen zu überdenken, habe ich es hervorgehoben.

und bin bei einer weiteren gemeinsamkeit zwischen sexarbeiter und behinderten: von 100 männern, die mich interessant und attraktiv finden und denen ich als kandidatin für eine beziehung vorgestellt würde, würden sicherlich 98 einen rückzieher machen, wenn sie über meine tätigkeit erfahren.

auf dem sexmarkt (ich habe es mal als beziehungsmarkt umbestimmt) haben bestimmte menschen weniger chancen, da kann man lange schön herumreden "es käme auf innere werte an", es ist anders.

mit einer freundin, die als krankenschwester arbeitet, habe ich schon mal ausgearbeitet, wie das ideale betreute wohnen aussehen sollte - auf jeden fall wären auch sexarbeiter fest angestellt!

und was hat dir an dem artikel gefallen?

lieben gruß, annainga

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RE: Artikel: Sexworker als Therapeut

Beitrag von annainga »

stimmt, das fehlt noch.

der beitrag war sehr mühselig zu kopieren und ich habe den zeilenbruch für jede einzelne zeile mechanisch korrigiert, weiterhin musste ich die überschriften einzeln verbessern und den text in vielen einzelnen abschnitten bearbeiten, damit er jetzt so schön aussieht.

er war es mir wert, danke für den guten link, du scheinst da viele zu kennen.

im grunde könnte ich zu jedem der unterstrichenen sätze ein eigenes thema aufmachen. z.b. der satz

„Sicher hatte ich auch die Erfahrung verinnerlich, dass du als Krüppel keine große Nummer auf dem Sexmarkt bist“.

ist hart und ich hatte bedenken, so unsensibel zu sein und ihn auch noch zu unterstreichen.

da ich es mag, auch unangenehme aussagen zu überdenken, habe ich es hervorgehoben.

und bin bei einer weiteren gemeinsamkeit zwischen sexarbeiter und behinderten: von 100 männern, die mich interessant und attraktiv finden und denen ich als kandidatin für eine beziehung vorgestellt würde, würden sicherlich 98 einen rückzieher machen, wenn sie über meine tätigkeit erfahren.

auf dem sexmarkt (ich habe es mal als beziehungsmarkt umbestimmt) haben bestimmte menschen weniger chancen, da kann man lange schön herumreden "es käme auf innere werte an", es ist anders.

mit einer freundin, die als krankenschwester arbeitet, habe ich schon mal ausgearbeitet, wie das ideale betreute wohnen aussehen sollte - auf jeden fall wären auch sexarbeiter fest angestellt!

und was hat dir an dem artikel gefallen?

lieben gruß, annainga

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RE: Artikel: Sexworker als Therapeut

Beitrag von Kasharius »

@annainga,

na doppelt hält besser - was ! :002

Erst mal vielen dank für Deine Mühe. Ich hätte das nie im Leben hingekriegt.

Der Artikel beschreibt sehr schön die Wesensart von Matthias, den ich gut kenne und schätze. Er ist sehr engagiert und dabei trotzdem ein warmheriger und humorvoller Mensch geblieben. Viele in der Behindertenbewegung sind über ihr Engagement hardherzig und unnahbar geworden - eher nicht! Er setzt sich auch für sein persönliches Umfeld ein. So hat er sich einmal öffentlich an einem Lastenkran hochziehen lassen um sich für höhere Stundenlöhne für Persönliche Assistenten die er ja auch hat gegenüber dem Berliner Finanzsenator einzusetzen. Motto: Ihr laßt unds hängen. Mit seiner Initiative Sexibility war er zumindest hier in Berlin einer der ersten, der sich öffentlich für das Thema Sexarbeit und Behinderung stark machte. Und als die in den SZ-Artikeln erwhnte Betreiberin des Bordells Agentur Liberty, die übrigens auch das Prestige-Urteil vor dem VG Berlin erstritten hatte, ihr Bordell barrierefrei umgestalten wollte, war es Matthias, der sie hier beraten hatte. Seine Grundhaltung kommt in dem Artikel gut durch.


Mich bringt das aber noch zu einem anderen Thema. Ich bin da jetzt sicher sehr naiv aber warum greifen nicht auch politisch engagierte SW zu den klassischen Aktionsformen wie Strassenblockaden oder Sitins um etwa gegen Sperrbezirke zu demonstrieren. Gemeinsam mit solidarischen Rollifahrer (die zu räumen trautr sich keiner!) wäre das ne super Sache... Motto:

OPERATION OPEN MIND oder ENDLESS JOY. Aber erliege jetzt wohlk einem Wachtraum... :002


Einen wunderschönen Tag wünscht Dir


Kasharius der Träumer

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RE: Artikel: Sexworker als Therapeut

Beitrag von Rolliman »

Da wir hier schon mal einen Sammelthread aufmachen, Hier mein Interview aus dem Jahr 2006 mit der Handicap:

http://www.rheinforum.com/wolfl/kevin_a ... ordell.pdf

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RE: Artikel: Sexworker als Therapeut

Beitrag von Rolliman »

Hier noch ein Bericht zur Sexualassitenz aus dem Spiegel:
http://www.spiegel.de/panorama/gesellsc ... 50166.html

Sehr Eindrucksvoll ist für mich diese Stelle hier:

Zudem können sich die wenigsten Menschen mit Behinderung derlei Dienste überhaupt leisten. Beispiel: Einem 25 Jahre alten Rollstuhlfahrer, der in einer Behindertenwerkstatt arbeitet, bleiben pro Monat lediglich 92 Euro Taschengeld. Glöckner nimmt 90 Euro für eine Stunde Zärtlichkeit. Meistens melden sich die Behinderten selbst, um einen Termin auszumachen. Diejenigen, die nicht sprechen können, schreiben ihr eine E-Mail. In seltenen Fällen vermitteln Eltern oder Betreuer.

"Viele der jungen Männer wollen einfach mal eine nackte Frau sehen. Dann leg ich mich manchmal auch einfach auf den Tisch und lass' sie gucken", sagt Glöckner.


Schhon wegen dieser finanziellen situation vieler Behinderten bin ich der Meinung, dass irgendwie ein Förderverein oder eine Förderstiftung für Behinderte Menschen hinkriegen müssen.

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Beitrag von Kasharius »

@Rollimann,

jetztt wo ich den HANDICAP-Artikel nochmal las,konnte ich mich wieder erinnern. Ich fand ihn damals schon interessant und auch gut geschrieben. Das Interwiev mit Dir war auch deshalb so gut, weil die Fragen nicht so anbiedernd waren, sondern so provokant wie Deine Antworten. Was mich allerdings bei der Beschreibung der Vorstellungsrunde ertaunt hat war, daß sich Dir offenkundig alle verfügbaren, also zu diesem Zeitpunkt nicht besetzte Frauen vorgestellt haben. Jedenfalls in solchen, in der Regel, Wohnungsbordellen kannte ich das so, daß nur die Frauen sich vorstllen, die auch Sex für Rollifahrer anbieten. Sie wurden von der Wirtschafterin vorher informiert. Manche Bordelle hier in Berlin haben auf ihrer Internetsaeite extra linke auf denen steht, welche Frauen den Service anbieten. Ich finde das auch besser. Nichts ist so abtörnend wie die Diskussion: Könntest Du Dir vorstellen das...
Natürlich soll jede Frau das entscheiden. Aber wenn sie entschieden ist und Sex mit behinderten Gästen ablehnt, soll sie sich auch nicht vorstellen. Schwieriger ist das sicher in Clubs wo man im Barbereich quasi coram puplico (ich hoffe die rammatikstimmt) seine Anbahnungsgespräche führt. Da müssen so ne wie wir dann sicher was für unser Geld tun ...
Gut finde ich auch, daß du auf Kommentare anderer Gäste reagierst. Wie war Deine Reaktion auf die Gäste die aus Angst vor Ansteckung wiedergehen wollten als sie Dich sahen (Du hast das an anderer Stelle mal kurz beschrieben )?

Das mit dem Förderverein kannst Du Doch machen. Du brauchst sechs Mitglieder und eine Satzung. Der Rest steht in den §§ 21 BGB ff. Bei den Zielen des Vereins muss man aufpassen, daß der Rechtspfleger am Registergericht keine roten Ohren kriegt. Für Detailfragen kann man sich ja beraten lassen. Die Unterstützer zu finden dürfte bei Deinen Überzeugungskünsten und kontakten (kennst Du eigentlich Matthias Vernaldi?) kein Problem sein - oder!?


@Rolliman@annainga

was haltet ihr eigentlich grundsätzlich von der Idee gemeinsamer politischer Aktionsformen?

Immer eine Freude vonEuch zu hören


Kasharius

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Beitrag von Kasharius »

...also man brauch zur Vereinsgründung natürlich sieben Mitglieder aber ich hatte Dich schon eingerechnet.

Und Entschuldigung an alle wegen der Tipfehler. Ich gelobe Besserung.

Kasharius

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RE: Artikel: Sexworker als Therapeut

Beitrag von annainga »

politisches engagement finde ich schon gut @Kasharius, es kommt halt darauf an, wie.
ich bin überhaupt nicht für öffentliche aktionen oder demonstrationen, weil mir meine intimsphäre und anonymität sehr, sehr wichtig sind.
was ich aber schon mache, ist aufklärung im kleinen kreis. mein umfeld, meine bekannten und freunde sind interessiert an dem, was ich mache und an diskussionen, ob sexarbeit tatsächlich ein beruf ist und ob eine finanziell geförderte sexarbeit für behinderte menschen richtig ist .....
im kleinen kreis stelle ich mich diesen diskussionen und wenn ich sicher bin, dass meine anonymität geschützt wird auch in größeren kreisen. leider ist es mir einige male passiert, dass andere nicht sorgfältig damit umgehen.
teils weil es ihnen unwichtig ist, teils weil sie nicht wissen, was für nachteile sogar die familie durch ein ungewolltes outing nehmen kann.

das ist wohl der grund für viele sexarbeiter, weshalb ihnen engagement schwer fällt. gerade wenn man noch ein "bürgerliches leben" führt, womöglich sexarbeit nebenbei macht und einen anderen beruf hat, kann der durch ein outing gefährdet sein, selbst, wenn man alles ordentlich gemeldet hat.

@Rolliman - das interview von 2006 ist wirklich ungünstig, um es zu kopieren und ins forum zu stellen, es ist ja viel schöner und gut lesbar mit den bildern auf dem link. aber falls der link mal nicht mehr geht, hast du es ja sicher gesichert.
den artikel aus dem spiegel stelle ich mal ein.

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RE: Artikel: Sexworker als Therapeut

Beitrag von annainga »

90 Euro für eine Stunde Zärtlichkeit

Von Miriam Steimer und Anna Stommel

Für Behinderte ist es oft schwierig, ihre sexuellen Bedürfnisse zu befriedigen. Sexualbegleiterinnen wie Deva Bhusha Glöckner bieten ihnen ihre Dienste an: Glöckner verspricht Zärtlichkeit gegen Bezahlung. Das kommt nicht bei jedem gut an.

Massageöl, Federboa, Kondome. Wenn Deva Bhusha Glöckner ein "Date" hat, liegen diese Dinge immer griffbereit. Date - so nennt sie die Treffen mit ihren Kunden. Glöckner ist als Prostituierte registriert. Sie selbst aber nennt sich Sexualbegleiterin. Und auch ihre Kunden sind keine gewöhnlichen Freier. Glöckner trifft in ihrem Münchner Studio zum Beispiel geistig Behinderte, Spastiker, Rollstuhlfahrer. Wer ein Treffen mit der 43 Jahre alten Frau bucht, kauft kein Paket.

Glöckner, eine zierliche Frau mit wilden blondierten Haaren und neugierigen Augen, bietet vielmehr eine Begegnung an, bei der vorher nicht ganz klar ist, was passiert: kuscheln, anfassen, massieren - und manchmal auch Sex.

Glöckner hat sich von Lothar Sandfort ausbilden lassen. Er betreibt seit Mitte der neunziger Jahre im niedersächsischen Trebel eine Ausbildungsstätte für Sexualbegleiter - bis heute die einzige in Deutschland. Den Anstoß dazu gab sein eigenes Schicksal: Mit 20 Jahren hatte Sandfort einen Unfall, seitdem ist er querschnittsgelähmt.

Bordelle sind meist keine Alternative


"Ich trauerte darum, kein Gefühl mehr in meinem Penis zu haben. Aber ich wollte nicht in dieser Trauer versinken und suchte nach neuen Formen der Sexualität", sagt der Diplom-Psychologe. Die Ausbildung an seinem Institut für Selbst- Bestimmung Behinderter (ISBB) haben bislang 40 Personen absolviert, fast ausschließlich Frauen.

Wer Sexualbegleiterin werden will, muss sechs Erotik-Workshops besuchen. Bei diesen Wochenenden bringt Sandfort Menschen mit Behinderung und Sexualbegleiterinnen in spe zusammen. Es ist "learning by doing": Erotischer Abend, Berührungsspiele und erste Dates. Sandfort berechnet nichts für die Ausbildung. Ihm geht es um eine Mission, nicht um Profit.

Deva Bhusha Glöckner begleiteten Berührungsängste, als sie in Trebel zum ersten Treffen ging. Es war für sie der erste sexuelle Kontakt mit Behinderten. Für viele Behinderte ist sie der erste sexuelle Kontakt überhaupt.

Einen Partner finden? Intim sein? In Wohnheimen für Behinderte ist das oft schwierig. Mehrbettzimmer lassen keinen Platz für Intimsphäre, mancher Pfleger ist überfordert, wenn sich die Hose eines Bewohners plötzlich im Schritt beult. Auch Bordelle sind meist kein Ausweg. Der Puffbesuch scheitert an unüberwindbaren Treppenstufen oder am Türsteher. Schafft ein Behinderter es doch hinein, weiß die Prostituierte nicht immer mit ihm umzugehen: Wie einen Kunden aus dem Rollstuhl heben? Was tun bei einem epileptischen Anfall?

Glöckner hat diesen Umgang gelernt. Was mit Körperbehinderten oft einfacher ist, weil sie ihre Wünsche klar formulieren können, ist bei geistig Behinderten heikler. Glöckner muss vorsichtig sein, Körpersprache deuten. Hundertprozentig sicher ist sie sich nicht immer.

"Die Energie muss stimmen"


Bei ihren Treffen bleibt es meist nicht beim bloßen Anschauen. Ob es aber wirklich zum Geschlechtsverkehr kommt, entscheidet die Sexualbegleiterin erst während des Dates: "Die Energie muss stimmen. Das ist der Unterschied zur Prostitution, dort bestimmt der Freier, was passiert." Stimmt die Energie nicht, bricht Glöckner das Treffen ab. Zum Beispiel bei einem jungen Mann, der glaubte, das Date würde so ablaufen, wie er es aus Pornofilmen kennt.

Genau diese Unsicherheit für die Kunden kritisieren Gegner der Sexualbegleitung. Peter Wehrli etwa, Geschäftsleiter des Zentrums für selbstbestimmtes Leben in Zürich und selbst Rollstuhlfahrer, sagt: "Wer 90 Euro zahlt, muss auch wissen, was er dafür bekommt." Unter Umständen macht die Sexualbegleiterin ihren Kunden heiß und lässt ihn dann sitzen. Für Wehrli ist das inakzeptabel. "Sexualbegleitung dieser Art stempelt Behinderte als Sonderfälle ab. Krass ausgedrückt ist das therapeutische Sperma-Entleerung." Viel wichtiger sei die Öffnung der herkömmlichen Prostitution für Menschen mit Behinderung.

Viele Behindertenverbände und Beratungsstellen jedoch halten die Sexualbegleitung für ein gutes Angebot, das allerdings noch äußerst klein ist: Bundesweit arbeiten derzeit gerade einmal sieben Sexualbegleiterinnen.

Zudem können sich die wenigsten Menschen mit Behinderung derlei Dienste überhaupt leisten. Beispiel: Einem 25 Jahre alten Rollstuhlfahrer, der in einer Behindertenwerkstatt arbeitet, bleiben pro Monat lediglich 92 Euro Taschengeld. Glöckner nimmt 90 Euro für eine Stunde Zärtlichkeit. Meistens melden sich die Behinderten selbst, um einen Termin auszumachen. Diejenigen, die nicht sprechen können, schreiben ihr eine E-Mail. In seltenen Fällen vermitteln Eltern oder Betreuer.

"Viele der jungen Männer wollen einfach mal eine nackte Frau sehen. Dann leg ich mich manchmal auch einfach auf den Tisch und lass' sie gucken", sagt Glöckner.

http://www.spiegel.de/panorama/gesellsc ... 50166.html

anmerkung zum satz:

"Die Energie muss stimmen. Das ist der Unterschied zur Prostitution, dort bestimmt der Freier, was passiert."

das ist natürlich kein unterscheidungsmerkmal (bei prostitution bestimmt der freier, bei sexualbegleitung bestimmt die anbieterin), das ist tatsächlich abwertend. schade, aber ansonsten finde ich in dem artikel einige gute aussagen.

lieben gruß, annainga

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Beitrag von Kasharius »

@annainga,

ja die Frage der Anonymität ist sicher ein Problem. Andererseits kommt es auf die Art und Weise an. Als, ich glaube es war Fellbach, ein Bordell geschlossen werden sollte haben die Frauen einen offenen Brief an die Behörden geschrieben und mit ihren Künstlernamen unterschrieben. Notfalls können wir Rollis ja auch alleine aber für Euch bne Aktion starten... :002 :002 :002

Kasharius

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RE: Artikel: Sexworker als Therapeut

Beitrag von Rolliman »

Jeder geht mit dem Thema "Outing" anders um! As das Interview von mir rauskam, habe ich es erstmal im Betrieb an die Pinnwand genagelt und die Nachbarn im Dorf haben von mir ein Extra-Exemplar bekommen... So blieb für blödes Getratsche überhaupt kein Platz.
auch meine Facebook-Gruppe "SW for people with disability" alles mit Fullname und Foto.
Wenn einer blöde Kommentare läßt, dann gibt's nur den einen Kommentar von mir:"Kletter aufs Garagendach! Spring runter! Brech Dir das Kreuz! Mach mir vor was Du an meiner Stelle machen würdest, und ich mache es dann nach!!! Aber ich wette, Du pisst Dir eher vor Angst in die Hose, als zu springen!!!"
Hat immer blendend funktioniert!! Gut - diplomatisch ist es nicht, aber so mancher Klugschwätzer fängt an nachzudenken...

so long
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RE: Artikel: Sexworker als Therapeut

Beitrag von annainga »

ich finds schon cool, wenn jemand öffentlich und als person dafür einsteht, sexarbeit auszuüben oder in anspruch zu nehmen.

aber genauso wichtig ist es, die intimspäre zu schützen undes auch anzuerkennen, wenn es um sexarbeiterInnen oder kundInnen geht, die sich ein outing nicht leisten können oder wollen.

ein weiterer pluspunkt für kunden mit behinderung: sie sind sehr oft bereit, sich für sexarbeiter stark zu machen.

lieben gruß, annainga

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RE: Artikel: Sexworker als Therapeut

Beitrag von Kasharius »

@annainga

ja ich werde mich immer, ob als Jurist oder Kunde für die Rechte von Sexarbeitern stark machen - in welcher Form auch immer!

Kasharius grüßt :006