Romantiker oder Chauvinisten

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Zwerg
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Romantiker oder Chauvinisten

Beitrag von Zwerg »

Romantiker oder Chauvinisten

Warum Männer sich Sex bei Prostituierten kaufen, erklären Wissenschaftler in jedem Land anders. Auch unterschiedlich viele Männer sind Freier, in Deutschland angeblich drei von vier.

Pedro Ibanez ist ein Freier. Auf der Webseite der Polizei von Chicago findet sich ein kleines Foto des 19-Jährigen. Das Bild des schnauzbärtigen Ibanez kann sich jeder Internet-User ansehen.

Ibanez ist nicht der Einzige, der auf dieser Internetseite als Freier gebrandmarkt wird. Auch der 44-jährige Brian Bolton und der gleichaltrige John Miller stehen dort einen Monat lang am Online-Pranger. Sie werden öffentlich ausgestellt, weil sie gegen Geld Sex mit einer Prostituierten haben wollten. Und das ist in Chicago illegal.

In jedem Land kaufen unterschiedlich viele Männer Sex

Ob legal oder nicht: Überall auf der Welt kaufen Männer Sex. Glaubt man den Schätzungen der Prostituierten-Organisation Hydra, nehmen in Deutschland drei von vier Männern Dienste von Prostituierten in Anspruch.

Der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi zufolge kommen täglich mehr als eine Million Sex-Kontakte zwischen männlichen Prostitutionskunden und Sex-Arbeiterinnen zustande. Allerdings variieren die Zahlen von Land zu Land stark, wie der Prostitutionsforscher Sven-Axel Mansson von der Universität Malmö zeigen konnte.

In Großbritannien kaufen nur sechs Prozent der Männer Sex, in Spanien sind es hingegen fast 40 Prozent.

Was in dem einen Land als zwielichtige Praktik einer Minderheit erscheint, ist in dem anderen Land Routine. Die westlichen Industrienationen, sonst stolz darauf, einen gemeinsamen Wertekanon zu teilen, sind in Sachen käuflicher Liebe uneins.

Während Freier in Ländern wie Deutschland oder der Schweiz anonym bleiben und sich in Freier-Foren im Internet unbehelligt über ihre Rotlichterfahrungen austauschen, behandelt man sie etwa in den USA oder in Schweden wie Kriminelle.

Am Freier scheiden sich die Geister – auch die der Wissenschaft. Forscher sehen den Freier wahlweise als liebesbedürftigen Romantiker, als rachsüchtigen Frauenschänder oder als therapiewilligen Junkie.

Diese Einschätzungen sagen jedoch wenig über den Freier als solchen aus. Denn blickt man auf die politische Strömung in den Ländern, aus denen sie kommen, liegt der Verdacht nahe, dass sie vor allem eines sind: Politische Statements im rhetorischen Gewand der Psychologie oder Soziologie.

Sind Freier ganz normale Männer?

„Es gibt nach bisherigem Erkenntnisstand keine Sozialcharakteristika, durch die sich Freier von anderen Männern unterscheiden“, sagt die Kulturwissenschaftlerin Sabine Grenz von der Humboldt-Universität zu Berlin, die eine Reihe von Freiern interviewte und vor kurzem eine Neubearbeitung ihres Buches „(Un-)heimliche Lust. Über den Konsum sexueller Dienstleistungen“ veröffentlicht hat.

Freier, so Grenz, kämen aus allen gesellschaftlichen Schichten – Börsenmakler, Lkw-Fahrer oder Lehrer. „Vielen Männern geht es um ihre Identität als heterosexueller Mann“, sagt Sabine Grenz. Der Sex-Käufer wolle eben nicht nur wegen seines Geldes gemocht werden, sondern auch wegen seiner menschlichen und sexuellen Qualitäten. Für ihn zählen mehr als Koitus und Fellatio - in Wirklichkeit sucht er Nähe, Verständnis, Erfüllung.

Die englische Soziologin Julia O’Connell Davidson von der University of Nottingham sieht das völlig anders. Sie hält es für falsch, im Freier jemanden zu sehen, der sich Sex kaufen muss, um dadurch seine psychischen oder sexuellen Probleme zu kurieren.

Dadurch würden die eigentlichen Motive bloß maskiert. Vielen Freiern gehe es darum, sich an Frauen zu rächen und sie zu kontrollieren - auch wenn diese Männer etwas anderes erzählten.

Die Botschaft der deutschen Prostitutionsforscher lautet hingegen: Der Sex-Käufer ist ein Normalo mit Hang zur Romantik, dem das Liebesspiel mit seiner eigentlichen Partnerin nicht so recht glücken will.

Nach Ansicht des Bremer Soziologen Udo Gerheim, der zurzeit eine von der Rosa-Luxemburg-Stiftung geförderte Freier-Studie leitet, gibt es romantische Freier, die sich der Illusion hingeben, eine echte und auf Vertrauen gegründete Beziehung zu einer Prostituierten zu unterhalten.

Daneben hat Gerheim zwei weitere Typen ausfindig gemacht: Den lebensfrohen Hedonisten, der im Rotlichtmilieu seine Fantasien ausleben will und den Enttäuschten, für den der Sex mit einer Hure eine „kompensatorische Funktion“ hat.

Diese kleine Freiertypologie erinnert an jene, die der Psychologe Dieter Kleiber von der Freien Universität Berlin bereits vor mehr als zehn Jahren aufgestellt hat.

Er befragte damals 598 Freier und stellte fest: Besonders häufig ist der Typus des romantischen Kunden, der dem traditionellen Liebesideal folgt und Intimität und Nähe sucht. „Diese Freier haben emotional aufgeladene Beziehungen zu Prostituierten“, sagt Kleiber.

In Fragebögen stimmen sie etwa Aussagen wie dieser zu: „Die Prostituierte, zu der ich gehe, könnte ich mir gut als Ehefrau vorstellen.“ Für O’Connell Davidson sind Freier jedoch „keine Romantiker, sondern Nekrophile“, die sich in einer geächteten Subkultur bewegen und sich dort an „sozial toten“ Frauen vergehen. Bei ihr mutiert der Rosenkavalier mit Handicap zum sexuellen Leichenschänder.
Zurück in die Vergangenheit

Das Bild vom Freiers als Normalo, für den die Prostituierte eine Art Sex-Therapeutin ist, gerät tatsächlich ins Wanken, sobald man einen Blick ins Internet wirft. Im anonymen Schutz des World Wide Web äußern sich viele Prostitutionskunden ganz anders als im Gespräch mit einem Wissenschaftler.

"Material" und Unterwerfungsfantasien

Manche Freier bezeichnen Frauen im Netz beispielsweise derb als „Material“. Andere schildern explizite Unterwerfungsfantasien, die entwürdigend und frauenverachtend sind. „Solche Aussagen finden sich in meinen Interviews mit männlichen Prostitutionskunden nicht“, sagt Grenz.

Der mögliche Grund: Im direkten Gespräch mit einer Interviewerin antworten Männer sozial erwünscht und erzeugen ein Bild von sich, das gesellschaftlich opportun ist. Der Erkenntnisgewinn einer solchen Befragungstechnik bleibt folglich begrenzt - insbesondere dann, wenn die Zahl der interviewten Männer so niedrig ist, dass keine generalisierbaren Schlüsse gezogen werden können.

Aus der Sicht skandinavischer und angelsächsischer Forscher verklären deutsche Wissenschaftler den Sex-Käufer. Der schwedische Soziologe Sven-Axel Mansson hat zahlreiche Freierstudien analysiert und seine Ergebnisse vor kurzem dem Europäischen Parlament vorgestellt. Mansson zufolge sind viele Freier chauvinistisch eingestellt.

Auch gebe es zahlreiche Männer, die von der Vorstellung fasziniert sind, Frauen zu benutzen oder zu konsumieren. „Sie stellen sich den Sex mit einer Prostituierten so vor, als gingen sie zu McDonald’s“, sagt Mansson.

Für viele Sex-Käufer stelle das Bett einer Prostituierten eine letzte anti-feministische Bastion dar. Nur dort könnten Männer die alten Machtverhältnisse herstellen und Frauen buchstäblich in die Vergangenheit zurückstoßen.

Studien des amerikanischen Soziologen Michael Kimmel von der Stony Brook University im US-Staat New York stützen diese Ansicht ebenso wie die Analysen der Genderforscherin Janice Raymond von der University of Massachusetts.

Der Freier, eine austerbende Spezies?

Die politische Botschaft der amerikanischen und schwedischen Forscher ist unmissverständlich: Der Freier ist eine aussterbende Spezies, dessen Treiben bald nirgendwo mehr akzeptiert sein wird. Dieses mutmaßliche Artensterben untermauert Sven-Axel Mansson mit Zahlen.

Zu Zeiten des Sexualforschers McKinsey hätten noch knapp 70 Prozent der Männer für Sex gezahlt, in den USA seien es heutzutage nur noch 16 Prozent, in Dänemark sogar nur 14 Prozent.

Für Mansson ist klar, dass viele Freier zutiefst gestört sind und deshalb beraten oder psychotherapeutisch behandelt werden müssen, so wie das in Schweden geschieht.

Der Soziologe Rüdiger Lautmann von der Universität Bielefeld warnt indessen davor, in Deutschland schwedische Verhältnisse zu schaffen. Dort würden Freier pathologisiert – so wie man Prostituierte im 19. Jahrhundert als Hysterikerinnen stigmatisierte habe.

http://www.sueddeutsche.de/,tt5m5/wisse ... 30/108022/

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Zwerg
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Beitrag von Zwerg »

http://www.chicagopolice.org/ps/list.aspx

Eine der fragwürdigsten Seiten, die man derzeit im Netz finden kann.

Das Chicago Police Department ist in Zusammenarbeit mit dem Bürgermeister von Chicago dazu übergegangen, Männer, die dabei ertappt wurden, wie sie die Dienste von Sexarbeiterinnen in Anspruch genommen haben, auf einer öffentlich zugänglichen Website 30 Tage lang mit Foto zu listen. Da kann man doch nur den Kopf schütteln......

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Queen
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Beitrag von Queen »

Hallo !

Sehr interessant Zwerg DANKE... wooow !!

zitiere :
Da kann man doch nur den Kopf schütteln......

Schliesse mich dieser Meinung an :017

Grusss

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JayR
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Beitrag von JayR »

Vielleicht sollte man diese ganzen Dummköpfe mal in den Puff schicken… als Freier oder Sexworker… um herauszufinden wie es wirklich ist.

In Dänemark hat eine Soziologiestudentin 6 Monate als Telefondame im Bordell gearbeitet und wirklich einen Einblick in diese Welt bekommen... und ihre Magisterarbeit darüber geschrieben.
https://www2.adm.ku.dk/portal/universit ... en0606.pdf

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annainga
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Beitrag von annainga »

schade, dass es auf dänisch ist, wer könnt´s übersetzen?

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JayR
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Beitrag von JayR »

annainga hat geschrieben:schade, dass es auf dänisch ist, wer könnt´s übersetzen?
ja wer wohl...? Lass mich mal sehen, eventuell eine Zusammenfassung... sei aber ein bisschen geduldig.

LG JayR

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annainga
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Beitrag von annainga »

geduld ist eine meiner stärken *g*

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JayR
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Beitrag von JayR »

Hier kommt also eine übersetzte Zusammenfassung des Artikels, der in der Zeitung der Universitet in Kopenhagen gebracht wurde.
https://www2.adm.ku.dk/portal/universit ... en0606.pdf

Die Magisterarbeit selbst ist nicht im Internet zugänglich

Sie schrieb ihre Magisterarbeit im Bordell
Die 28-jährige Cristina Alzaga hat eine nuanciertere Sichtweise der Prostitution bekommen nachdem sie Feldstudien in 2 Bordellen in Kopenhagen betrieben hat um ihre Magisterarbeit in Soziologie zu schreiben. Sie wollte die Prostitutionscene von Innen untersuchen und die Arbeitswelt der dänischen Frauen verstehen, die Sex in Massagekliniken verkaufen.

Es ist weder Pretty Woman noch Christiane F, die Cristina trifft. Dagegen entfaltet sich eine Welt die sehr viel nuancierter ist und gar nicht so verschieden von ihrer eigenen wie man sich vorstellen könnte – mit viel Spass und Lachen in den Stunden zwischen den Kunden.

Aber das wundert Cristina nicht. Dagegen überrascht es sie mehr, dass sie sich in ein wissenschaftliches Feld begeben hat, das stark von polarisierten Haltungen für oder gegen die Prostitution geprägt ist.
Der grösste Teil der Literatur über das Thema enthält eine politische oder moralische Agenda und sie trifft auf Widerstand einiger Mitstudenten, die meinen sie unterstütze mit ihrem Projekt die Prostitution.
Cristina betrachtet doch in erste Linie ihr Projekt als einen Beitrag zu einer nuancierteren Prostitutionsdebatte.

„Die Prostitution ist ein schwieriges Thema da alle Äusserungen in der öffentlichen Debatte interpretiert werden, die als oberstes Gebot eine moralische und politische Stellungnahme fordert.
Daher werden die Untersuchungsergebnisse in der Argumentation für oder gegen Prostitution benutzt werden, weit über das rein wissenschaftliche hinaus. Es ist dennoch möglich und notwendig, die üblichen Erzählungen über Prostitution, die unter Wiederholung leiden, zu brechen und umzustossen.“ sagt Cristina.

Mit einer Debatte, die sehr unnuanciert ist, ist eine Studie der faktischen und der subjektiven Verhältnisse notwendig, die die Verhältnisse hinter den vorgezogenen Gardinen kennzeichnen.

Hinter vorgezogenen Gardinen
Cristina will nicht untersuchen, warum junge dänische Frauen Prostituierte werden, sondern was faktisch ihre Verhältnisse und Erlebnisse ihrer Arbeit sind. Es ist für die Prostitutionsdebatte notwendig, sich für die unterschiedlichen Interpretationen des Verkaufes von Sex, der stattfindet, zu öffnen.

Der Einfallswinkel ihrer Arbeit, gibt die Möglichkeit die Sexarbeit wie sie von Prostituierten erlebt wird zu verstehen. Mit den erlebten Möglichkeiten und Qualitäten, Incitamenten und Fallgruben, Frustrationen und Ambivalenzen. Die vereinfachte Rhetorik von Befreiung und Unterdrückung in der öffentlichen Debatte deckt nicht die Erlebnisse der Prostituierten.

Durch die Beschreibung der Prostitution, wie sie in den Kliniken und im Leben der Frauen Form nimmt, hofft sie einige der üblichen Vorstellungen zu verändern und zu zeigen, dass die Teilnahme an Sexverkauf nicht notwendigerweise zur totalen menschlichen Zerstörung oder Befreiung führt, wie oft behauptet wird.

Telefondame
Cristina beschliesst, als Telefondame zu arbeiten und sucht Massagekliniken aus den ca.400 Sexannoncen heraus, die die Boulevardzeitung Ekstrabladet täglich bringt.

Sie bekommt Jobs in zwei Kliniken, 2-3 Tage in der Woche über 6 Monate.
Die Arbeitszeiten liegen zwischen 9 Uhr morgens bis 4 Uhr nachts.
Ihre Aufgabe ist es, das Telefongespräche mit den Kunden zu führen und sie zu empfangen. Einen grossen Teil der Zeit ist sie mit den Frauen zusammen in deren Aufenthaltsraum.

In diesem Raum sind zwei weisse Sofas, Schminktisch, Kühlschrank und aller möglicher Glitzer und Tingeltangel, Strümpfe, Hüfthalter, High Heels, Perlenketten und Dildos. Hier bekommt Cristina einen Eindruck von den Frauen, spricht mit ihnen und interviewt sie.
Die Frauen
Hier arbeiten zwischen 15 und 17 Frauen, die alle zwischen 18 und 35 Jahren alt sind. Einige befinden sich in der Ausbildung, einige haben eine feste Arbeit, andere sind alleinstehende Mütter auf Sozialhilfe. Einige haben feste Partner, während andere versuchen über Internet-Dating einen zu finden. Einige kommen aus gewöhnlichen Familien, andere aus Akademikerfamilien.

Alle begründen ihre Wahl, Prostituierte zu werden, ökonomisch. Einige leben vom Einkommen in der Klinik, während es für andere extra Luxus im Alltag ermöglicht. Cristina meint, dass die Frauen für die dänischen Prostituierten repräsentativ sind, da ein regelmässiger Wechsel zwischen den Kliniken stattfindet.

Die Frauen charakterisieren sich selbst und andere Prostituierte als stark, unternehmerisch und selbständig. Auch wenn sie die gegenteilige Sichtweise haben können, in dunklen Momenten wenn die Arbeit hart ist und wenn die Sicht der Umwelt auf Prostitution sich aufdrängt.
Im Ganzen ist die Welt der Frauen von Ambivalenz geprägt. Sie sind stark insofern sie als Selbstständige arbeiten, die sich selbst in Szene setzen um Gels zu verdienen und den Kunden gegenüber Grenzen setzen. Gleichzeitig sind sie in hohem Grad von der negativen Auffassung der Umwelt von der Prostitution geprägt. Im Hintergrund lauert eine Angst bei den Frauen, selbst eine Kopie der Bilder der Prostituierten zu werden, die sie selbst und andere haben.

Darum ist das Milieu im Aufenthaltsraum sowohl von einem munteren, geselligen und selbssicheren Ton geprägt und gleichzeitig von einer Verurteilung der eigenen und anderer Handlungen, soweit sie als Stereotypen in der Prostitution aufgefasst werden.

Cristina lebt sich voll in die Rolle der Telefondame hinein, fühlt sich aber nie versucht, es selbst als Prostituierte zu probieren. Auch wenn die Frauen versuchen, sie dazu zu locken.
Nicht weil es Cristina abschreckt, die nie irgendwelche unbehaglichen Erlebnisse in der Klinik hat. Höchstens ein par irritierende Kunden.
Aber sie muss die Distanz bewaren für ihre Magisterarbeit und kann nicht sowohl Beobachterin als auch Mitspielerin im Milieu sein.

Die Magisterarbeit
Nachdem Cristina mit ihrer Magisterarbeit fertig ist, erzählt sie, dass sich ihre Sichtweise auf die Prostitution durch die Feldstudien geändert hat.
„Als Forscher ist es unmöglich unbeeinflusst zu sein von den zentralen Vorstellungen der Zeit und der Gesellschaft – in diesem Fall von Befreiung und Unterdrückung der Frauen, Ursachenzusammenhänge von Geschlecht und Macht.
Man muss sich seinen Vorwegvorstellungen bewusst werden um verfeinerte Konklusionen und Standpunkte zu erreichen.
Ich glaube ausserdem, dass die Empirie, die durch längere Feldstudien zustande kommt, fruchtbarer ist, als ausschliesslich qualitative Interviews. Hier ist das Risiko, dass das Material von Vorstellungen sowohl der Forscher als auch der Informanten geprägt wird, welches Interesse Aussenstehende an ihrem kontroversiellen Tun haben könnten.“ sagt Cristina.

Über die Frauen sagt Cristina, dass die Frauen mehr für sie bedeutet hat, als sie für die Frauen. Und dass sie ab und zu vermisst mit ihnen zusammen im Hinterzimmer zu sitzen, zusammen Zigaretten zu rauchen und über Kunden und das Leben im gedämpften Licht hinter den geschlossenen Gardinen zu reden.

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Marc of Frankfurt
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Prostitutionsforschung

Beitrag von Marc of Frankfurt »

Danke für Dein Geschenk einer Übersetzung an SEXWORKER.AT.

JayR hat geschrieben:ein wissenschaftliches Feld begeben hat, das stark von polarisierten Haltungen für oder gegen die Prostitution geprägt ist.

Der grösste Teil der Literatur über das Thema enthält eine politische oder moralische Agenda..

"Die Prostitution ist ein schwieriges Thema da alle Äusserungen in der öffentlichen Debatte interpretiert werden, die als oberstes Gebot eine moralische und politische Stellungnahme fordert.
Daher werden die Untersuchungsergebnisse in der Argumentation für oder gegen Prostitution benutzt werden, weit über das rein wissenschaftliche hinaus. Es ist dennoch möglich und notwendig, die üblichen Erzählungen über Prostitution, die unter Wiederholung leiden, zu brechen und umzustossen." sagt Cristina.
Anhand der Prostitution wird gesellschaftlich verhandelt, was moralisch erlaubt ist.

Damit wird einen ganze Branche mißbraucht.


Deshalb ist es so dringend notwendig zu unterscheiden:
# Sexuelle Prostitution (freiwillig vertretbare Dienstleistung)
# Nicht-Sexuelle Prostitution (asozial wirkende Korruption moralischer Werte)

Querverweis: Prostitutionsdefinitionen




JayR hat geschrieben:dass die Empirie, die durch längere Feldstudien zustande kommt, fruchtbarer ist, als ausschliesslich qualitative Interviews
Das denke ich inzwischen auch:
# Sexworker sollten sich Interviews verweigern, wo die Kontrolle eines verfälschenden oder fragwürdigen Ergebnis nicht gegeben ist.
# Sexworker sollten die "richtigen" Fragen vorgeben, die ihrer Problemlage und Weltsicht gerecht werden.
# Sexworker sollten selbst forschen und publizieren und für die dafür notwendigen Mittel streiten.


Querverweis: Medienkompetenz und Interviews





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Ellena
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Beitrag von Ellena »

Oh schade die gesamte Arbeit wäre ausserordentlich interessant, die ganz andere Sichtweise, die ungewöhnliche Nähe zu den Sexarbeiterinnen, ist bestimmt eine tolle arbeit geworden.
Danke für die prompte Übersetzung..

@Marc
der Aspekt von gezielten Schulungen für Sexworker liegt auf der Hand
Schöne Osterfeiertage
Ellena
Nimm deine Mitmenschen wie sie sind,-
denn es gibt keine Anderen.... ; )

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JayR
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Beitrag von JayR »

@Ellena

Cristina Alzaga hat die Spitzennote für die Arbeit bekommen und es war infolge des Artikels geplant, die Arbeit in Buchform herauszugeben. Ist bisher aber nicht geschehen.

Jetzt kann man sie in der Bibliothek der Soziologie der Uni Kopenhagen ausleihen. Damit ist sie wohl realistisch ausser Reichweite für nicht dänisch sprechende… es sei denn jemand finanziert eine professionelle Übersetzung.

Ich habe sie auch nicht gelesen. Kann mich aber mal umhören.

LG JayR

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Morpheus
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Beitrag von Morpheus »

Zwerg hat geschrieben:http://www.chicagopolice.org/ps/list.aspx
Eine der fragwürdigsten Seiten, die man derzeit im Netz finden kann.
Ich kenne diese Seite schon lange und es ist m.M.n. nicht nur sehr fragwürdig sondern auch ein typischer Ausdruck der fadenscheinigen, amerikanischen Doppelmoral.

Nur mal eine kurze Auswertung der Bilddaten vom 6.4.07. Natürlich etwas oberflächlich weil ich nur aufgrund von Hautfarbe und Namen auf die ethnische Zugehörigkeit geschlossen habe.

Ergebnis:

Black or African American: 55%
Hispanic or Latino : 32%
White: 13%

Zur Gegenüberstellung:

Chicago Population Profile

Racial and ethnic characteristics (2000)

White: 1,215,315 (34,09%)
Black or African American: 1,065,009 (29,87%)
American Indian and Alaska Native: 10,290 (0,29%)
Asian: 125,974 (3,53%)
Native Hawaiian and Pacific Islander: 1,788 (0,05%)
Hispanic or Latino (may be of any race): 753,644 (21,14%)
Other: 393,203 (11,03%)


.... jetzt soll sich mal jeder selber Gedanken darüber machen, warum bei dieser Bevölkerungsverteilung nur 14% Weiße auf der Homepage landen. Weil die alle so brav sind?


@JayR: Herzlichen Dank für die Mühe der Übersetzung! Hierbei dürfte es sich um eine wirklich interessante Arbeit handeln. Nur zu hoffen, dass sie nicht in einer Unibibliothek verschimmelt!
Viele Leute hinterlassen Spuren, nur wenige Eindrücke!

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annainga
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Beitrag von annainga »

danke, für die übersetzung, jayR, sehr spannend zu lesen. ich wäre an der magisterarbeit in buchform sehr interessiert. sag bescheid, falls es mal soweit ist!
liebe grüße, annainga