Berliner Rechtssprechung
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Berliner Rechtssprechung
Laufhausentscheidung des OVG Berlin-Brandenburg im Volltext
Leitsatz
Laufhaus
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird unter Änderung des dem Beklagten am 31. Mai 2010 und der Klägerin am 3. Juni 2010 zugestellten Urteils des Verwaltungsgerichts Berlin festgestellt, dass der Beklagte
1. bei Inkrafttreten der Verordnung über die Veränderungssperre 7-50 B/61 im Bezirk Tempelhof-Schöneberg, Ortsteil Schöneberg, am 1. Oktober 2011 und
2. seit dem 13. Februar 2008 bis zum 30. September 2011
verpflichtet war, den Antrag der Klägerin vom 30. April 2007 auf Erteilung einer Baugenehmigung erneut zu bescheiden.
Die Gebührenfestsetzung im Widerspruchsbescheid der Senats-verwaltung für Stadtentwicklung vom 16. Juli 2008 wird aufgehoben.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Hinzuziehung des Bevollmächtigten der Klägerin im Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin zu 5/6 und der Beklagte zu 1/6.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird in Bezug auf die Entscheidung über den Hauptantrag zu 1. zugelassen.
Tatbestand
1
Die Klägerin erstrebt eine Baugenehmigung zur Nutzungsänderung der oberen Geschosse des Gebäudes Kurfürstenstraße 150/151, Ecke Potsdamer Straße 124/126 in einen bordellartigen Betrieb bzw. hilfsweise die Feststellung, dass ihr vor Inkrafttreten der von dem Beklagten inzwischen erlassenen Veränderungssperre ein Anspruch auf Neubescheidung ihres Bauantrags zustand.
2
Die Klägerin ist Mieterin des zweiten bis fünften Obergeschosses des auf dem genannten Grundstück befindlichen Gebäudes, das bis zu sieben Geschosse aufweist. Im Erdgeschoss sowie im ersten Obergeschoss dieses Gebäudes ist u.a. das Erotikfachgeschäft L... mit angeschlossenem Kino untergebracht. Das Gebäude wurde in den Jahren 1963/1964 von der Firma W... errichtet, die es bis 1995 als Hauptverkaufsstelle nutzte.
3
In unmittelbarer Nähe des Vorhabengrundstücks findet im Bereich der Potsdamer Straße, der Kürfürsten- und der Frobenstraße sowie der Genthiner Straße Straßenprostitution statt.
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Das Vorhabengrundstück und die südlich angrenzenden Grundstücke Potsdamer Straße 128 bis 138 wurden durch den mit Verordnung vom 22. Dezember 1993 (GVBl. 1994 S. 29) festgesetzten Bebauungsplan XI-101u, dessen Geltungsbereich den Block zwischen Kurfürstenstraße, Potsdamer Straße, Bülowstraße und Frobenstraße umfasst, als Kerngebiet ausgewiesen, in dem Wohnungen oberhalb des 1. Vollgeschosses für allgemein zulässig erklärt wurden. Angestoßen durch Pläne der Firma W..., auf dem Vorhabengrundstück ein neues Büro- und Geschäftsgebäude zu errichten, beschloss das damalige Bezirksamt Schöneberg im Jahre 1995 die Aufstellung des Bebauungsplans XI-101u-1. Dieser durch Rechtsverordnung vom 14. Juni 2006 (GVBl. S. 614) festgesetzte Bebauungsplan umfasst neben dem Vorhabengrundstück das westlich angrenzende Grundstück Kurfürstenstraße 148-149, das als allgemeines Wohngebiet ausgewiesen ist, das Grundstück Frobenstraße 27-29, von dem eine Teilfläche als öffentliche Grünfläche mit der Zweckbestimmung öffentlicher Spiel- und Tummelplatz festgesetzt ist, und daneben Flächen der Frobenstraße und der Potsdamer Straße. Das Vorhabengrundstück ist wiederum als Kerngebiet ausgewiesen, wobei durch die Festsetzung von Baugrenzen ein gegenüber den Festsetzungen des Bebauungsplans XI-101u geänderter Baukörper mit bis zu acht Vollgeschossen zugelassen wird. Durch textliche Festsetzungen werden in dem Kerngebiet Spielhallen für unzulässig erklärt. Ferner sind in der ersten Ebene unter der Geländeoberfläche nur Einzelhandelsbetriebe und Tiefgaragen zulässig sowie Wohnungen oberhalb des sechsten Vollgeschosses allgemein zulässig.
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Das Gebiet auf der dem Vorhabengrundstück gegenüberliegenden östlichen Seite der Potsdamer Straße wird durch den Baunutzungsplan für Berlin in der Fassung vom 28. Dezember 1960 südlich der Kurfürstenstraße als gemischtes Gebiet (§ 7 Nr. 9 der Bauordnung für Berlin von 1958, im Folgenden: BO 1958) und nördlich der Kurfürstenstraße als Kerngebiet (§ 7 Nr. 12 BO 1958) ausgewiesen. Das Gebiet nördlich der Kurfürstenstraße und westlich der Potsdamer Straße ist durch den Bebauungsplan II-B3 des damaligen Bezirks Tiergarten vom 4. Juni 1996 (GVBl. S. 212) als Kerngebiet festgesetzt. Dieser erklärt im Kerngebiet oberhalb des ersten Vollgeschosses Wohnungen für allgemein und in weiten Bereichen – davon ausgenommen ist u.a. das Eckgrundstück Kurfürstenstraße 30/Potsdamer Straße 120 – oberhalb des zweiten Vollgeschosses für ausschließlich zulässig. Ferner werden im dortigen Kerngebiet Schank- und Speisewirtschaften sowie Vergnügungsstätten für nur ausnahmsweise und nur in bestimmten Geschossen zulässig sowie Spielhallen und die Schaustellung von Personen für allgemein unzulässig erklärt.
6
Bereits im Dezember 2005 war das Gebäude auf dem Vorhabengrundstück durch das Erotikfachgeschäft L... bezogen worden, welches das Geschäft am 1. Januar 2006 eröffnet hatte.
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Mit Antrag vom 30. April 2007, der beim Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg von Berlin am 9. Mai 2007 einging, beantragte die Klägerin eine Baugenehmigung für eine Nutzungsänderung des zweiten bis fünften Obergeschosses des auf dem Vorhabengrundstück befindlichen Gebäudes. In dem Bauantrag wird das Vorhaben als „Laufhaus/Zimmervermietung/bordellähnlicher Betrieb“ bezeichnet. Es ist beabsichtigt, die nach den Plänen vorgesehenen 48 Zimmer an Prostituierte zu vermieten, die jeweils vor den Zimmern auf ihre Kunden warten. Vorgesehen ist eine Öffnungszeit von 11:00 Uhr bis 6:00 Uhr. Der auf dem Grundstück befindliche, westlich an das Gebäude angrenzende Parkplatz soll von 22:00 Uhr bis 6:00 Uhr nicht genutzt werden. Während dieser Zeit wäre das Gebäude nur über den an der Straßenecke Kurfürstenstraße/Potsdamer Straße gelegenen Haupteingang zugänglich.
8
Das Bezirksamt lehnte den Antrag mit Bescheid vom 28. Januar 2008 ab. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung mit Widerspruchsbescheid vom 16. Juli 2008 zurück.
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Die von der Klägerin hierauf erhobene Verpflichtungsklage hat das Verwaltungsgericht mit dem Beklagten am 31. Mai 2010 und der Klägerin am 3. Juni 2010 zugestellten Urteil abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, das geplante Laufhaus sei in dem durch den Bebauungsplan XI-101u-1 festgesetzten Kerngebiet als sonstiger, nicht wesentlich störender Gewerbebetrieb (§ 7 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO) zwar allgemein zulässig. Das Vorhaben verstoße jedoch gegen das in § 15 Abs. 1 BauNVO verankerte Gebot der Rücksichtnahme. Diese Vorschrift sei zur Beurteilung der Zulässigkeit des Vorhabens heranzuziehen, denn der Bebauungsplan enthalte hinsichtlich der Zulässigkeit prostitutiver Einrichtungen keine abschließende Entscheidung. Auch die nähere Bestimmung der Art der Nutzung, insbesondere durch den Ausschluss von Spielhallen, führe nicht dazu, dass kein oder nur ein sehr geringer Spielraum für eine Feinsteuerung nach § 15 Abs. 1 BauNVO im Baugenehmigungsverfahren bleibe. Das Vorhaben verstoße gegen § 15 Abs. 1 BauNVO, da es zu einem sog. Trading-Down-Effekt, d.h. zu einem durch eine Niveauabsenkung bewirkten Attraktivitätsverlust des gesamten Gebietes mit der Folge der Verdrängung bereits ansässiger Betriebe und der Wohnbevölkerung führen würde. Es widerspreche der Eigenart des Baugebiets (§ 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO), das durch eine gewachsene Verflechtung von kerngebietstypischen Nutzungen und einen für ein Kerngebiet ungewöhnlich hohen Anteil an Wohnnutzungen geprägt sei, die zu erhalten und zu sichern ein wesentliches Anliegen der Bebauungspläne XI-101u und XI-101u-1 sei. Zwar würde es sich bei dem geplanten Laufhaus um das erste Vorhaben dieser Art in dem Baugebiet handeln, jedoch könne das bereits vorhandene Erotikkaufhaus und -kino ebenso wenig außer Betracht bleiben wie die in der Umgebung vorhandene Straßenprostitution. Die Kammer bezweifle zwar, ob es durch das geplante Laufhaus tatsächlich zu dem von dem Beklagten befürchteten Nachzieheffekt, d.h. einer Ausweitung der Straßenprostitution und der Ansiedlung weiterer prostitutiver Einrichtungen und Erotik-Shops kommen würde. Mit dem Laufhaus käme aber insbesondere aufgrund seiner Größe Prostitution in einem Umfang hinzu, der angesichts der bereits vorhandenen Belastung des Baugebiets städtebaulich nicht mehr tragbar sei. Es sei anerkannt, dass eine Konzentration von Bordellbetrieben, sonstigen Einrichtungen des Sex-Gewerbes und Vergnügungsstätten eine Gebietsabwertung auslösen könne. Zudem habe eine Vielzahl der Anwohner bereits deutlich gemacht, im Falle der Realisierung des Laufhauses in eine andere Gegend abwandern zu wollen. Das Vorhaben sei auch nach § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO unzulässig. Aufgrund der exponierten Lage an der Ecke Kurfürstenstraße/Potsdamer Straße betreffe der Trading-Down-Effekt auch die Umgebung des Baugebiets, nämlich das westlich an das Vorhabengrundstück angrenzende allgemeine Wohngebiet und die auf der gegenüberliegenden Seite der Kurfürstenstraße befindlichen Kern- und Wohngebiete sowie das östlich der Potsdamer Straße gelegene Mischgebiet, die ebenfalls durch eine Nutzungsverflechtung von Gewerbe und Wohnbebauung geprägt seien.
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Am 12. April 2011 hat das Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg die Aufstellung des Bebauungsplans 7-50B beschlossen, dessen Geltungsbereich u.a. die Grund-stücke beidseits der Potsdamer Straße im Abschnitt zwischen Kurfürsten- und Bülowstraße, darunter auch das Vorhabengrundstück, umfassen soll. Der Aufstellungsbeschluss wurde am 6. Mai 2011 (ABl. S. 816) bekannt gemacht. Der Planentwurf sieht unter anderem vor, das Vorhabengrundstück sowie die südlich daran angrenzenden Grundstücke, ebenso wie die auf der gegenüberliegenden Seite an die Potsdamer Straße angrenzenden Grundstücke als Mischgebiet auszuweisen. Mit Rechtsverordnung vom 27. September 2011 hat das Bezirksamt die Veränderungssperre 7-50B/61 für den Geltungsbereich des in Aufstellung befindlichen Bebauungsplans erlassen. Diese Verordnung ist am 30. September 2011 (GVBl. S. 496) verkündet worden und am Tage nach der Verkündung in Kraft getreten (vgl. § 5).
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Mit der vom Senat mit Beschluss vom 1. August 2011 zugelassenen Berufung verfolgt die Klägerin ihre Verpflichtungsklage weiter. Sie hält daran trotz der inzwischen beschlossenen Veränderungssperre fest. Dies begründet sie damit, dass die Zeit einer rechtswidrigen Versagung der Baugenehmigung und einer rechtswidrigen Verzögerung ihrer Erteilung (sog. faktische Zurückstellung) analog § 17 Abs. 1 Satz 2 BauGB auf die Geltungsdauer der Veränderungssperre anzurechnen sei. Da ihr die Baugenehmigung bereits im August oder September 2007, spätestens aber am 28. Januar 2008 – dem Tag, an dem der Beklagte über den Bauantrag entschieden habe, – hätte erteilt werden müssen, sei die Veränderungssperre ihr gegenüber jedenfalls seit dem 29. Januar 2012 hinfällig. Bereits am 29. Januar 2011 wäre die dreijährige Frist nach § 17 Abs. 1 Satz 3 BauGB ihr gegenüber abgelaufen. Besondere, eine Verlängerung rechtfertigende Umstände im Sinne des § 17 Abs. 2 BauGB lägen nicht vor. Jedenfalls sei ihr gegenüber am 29. Januar 2012 die gesetzliche Höchstdauer der Veränderungssperre von vier Jahren verstrichen. Der erneute Erlass einer Veränderungssperre nach § 17 Abs. 3 BauGB komme ebenfalls nicht in Betracht. In der Sache macht die Klägerin geltend, der Bebauungsplan XI-101u-1, durch den das Vorhabengrundstück aus dem bisherigen Bebauungsplan herausgelöst und eine erhebliche Intensivierung der kerngebietstypischen Nutzung unter bewusster Zurückdrängung der Wohnnutzung zugelassen worden sei, lasse als Einzelfallbebauungsplan keinen Raum mehr für eine Feinsteuerung nach § 15 Abs. 1 BauNVO. Unabhängig davon lägen die Voraussetzungen für eine Unzulässigkeit des Vorhabens nach § 15 Abs. 1 BauNVO nicht vor. Unzumutbare Belästigungen oder Störungen im Sinne des § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO stünden nicht in Rede. Aufgrund des An- und Abfahrtsverkehrs sei nicht mit einer die Schwelle der Unzumutbarkeit überschreitenden Verkehrslärmbelastung zu rechnen. Von dem sog. Laufhaus selbst gingen keine Störungen aus. Die Einrichtung widerspreche auch nicht nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung der Eigenart des Baugebiets. Dass die Wohnbevölkerung mit kerngebietstypischen Nutzungen konfrontiert werde, habe der Plangeber bereits mit der Zulassung von Wohnungen oberhalb des sechsten Vollgeschosses hingenommen. Schließlich lasse sich die Zulässigkeit des Vorhabens auch nicht mit Blick auf einen zu befürchtenden Trading-Down-Effekt versagen, denn es gebe keine belastbaren Feststellungen oder Erfahrungssätze, die eine entsprechende Prognose tragen könnten. Im Gegenteil seien die Voraussetzungen, unter denen nach der Rechtsprechung ein Trading-Down-Effekt zu befürchten sei, nämlich die konzentrierte Ansiedlung von Vergnügungsstätten in einem Baugebiet, nicht gegeben, da es sich bei dem Vorhaben um die erste prostitutive Einrichtung ihrer Art in der Umgebung handle. Davon abgesehen sei bei der Anwendung des § 15 Abs. 1 BauNVO von der Zweckbestimmung des Kerngebiets auszugehen, weshalb eine Versagung nur dann in Betracht komme, wenn eine Verdrängung anderer Kerngebietsnutzungen drohe. Dies sei nicht der Fall.
12
Im Berufungsverfahren hat die Klägerin ihre Klage erweitert. Sie begehrt nunmehr hilfsweise zu dem Verpflichtungsbegehren die Feststellung, dass sie vor Inkrafttreten der Veränderungssperre einen Anspruch auf Neubescheidung ihres Bauantrags gehabt habe. Ein entsprechendes Feststellungsinteresse leitet sie aus der Befürchtung, ihr Bauantrag könne unter gleichen Umständen erneut abgelehnt werden, sowie aus der beabsichtigten Geltendmachung von Schadensersatz- und Entschädigungsansprüchen her.
13
Die Klägerin beantragt,
14
1. das angefochtene Urteil abzuändern und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides des Bezirksamts Tempelhof-Schöneberg vom 28. Januar 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheids der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung vom 16. Juli 2008 zu verpflichten, ihr die beantragte Nutzungsänderung auf dem Grundstück Kurfürstenstraße 150/151 Ecke Potsdamer Straße 124/126 in ein Laufhaus entsprechend ihres Bauantrags vom 30. April 2007, vervollständigt am 13. August 2007, zu genehmigen,
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hilfsweise
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festzustellen, dass der Beklagte bei Inkrafttreten der Veränderungssperre 7-50B/61 im Bezirk Tempelhof-Schöneberg, Ortsteil Schöneberg, am 1. Oktober 2011 verpflichtet war, über den Antrag der Klägerin vom 30. April 2007 auf Erteilung einer Baugenehmigung, vervollständigt am 13. August 2007, erneut zu entscheiden,
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weiter hilfsweise
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festzustellen, dass der Beklagte in der Zeit vom 13. Februar 2008 bis zum 30. September 2011 verpflichtet war, über den Antrag der Klägerin vom 30. April 2007 auf Erteilung einer Baugenehmigung, vervollständigt am 13. August 2007, erneut zu entscheiden,
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weiter hilfsweise
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den Widerspruchsbescheid der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung vom 16. Juli 2008 insoweit aufzuheben, als darin eine Widerspruchsgebühr in Höhe von 217 Euro festgesetzt wird,
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2. die Hinzuziehung der bevollmächtigten Rechtsanwälte für das Vorverfahren für notwendig zu erklären.
22
Der Beklagte beantragt,
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die Berufung abzuweisen.
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Er beruft sich gegenüber dem Hauptantrag auf die inzwischen in Kraft getretene Veränderungssperre. Die analoge Anwendung des § 17 Abs. 1 Satz 2 BauGB auf Fälle der sog. faktischen Zurückstellung sei nicht gerechtfertigt, solange die Aufstellung eines Bebauungsplans nicht beschlossen worden sei und damit die Voraussetzungen für den Erlass einer Veränderungssperre oder eine Zurückstellung gemäß § 15 BauGB nicht vorlägen. Unabhängig davon sei das Vorhaben nach § 15 BauNVO unzulässig. Die hilfsweise gestellten Feststellungsanträge seien deshalb unbegründet.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Streitakten sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge und Aufstellungsvorgänge der Bebauungspläne XI-101u, XI-101u-1 sowie II-B3 verwiesen.
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Entscheidungsgründe
26
Die zulässige Berufung hat teilweise Erfolg.
I.
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Die mit dem Hauptantrag weiterverfolgte zulässige Verpflichtungsklage ist nicht begründet. Die Versagung der Baugenehmigung ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Sie kann in dem für die Beurteilung ihres Verpflichtungsbegehrens maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren weder die Erteilung der beantragten Baugenehmigung noch eine erneute Entscheidung über ihren darauf gerichteten Antrag beanspruchen (§ 113 Abs. 5 VwGO), denn die von dem Beklagten inzwischen mit Rechtsverordnung vom 27. September 2011 (GVBl. S. 496) erlassene Veränderungssperre 7-50B/61 steht der beabsichtigten Nutzungsänderung entgegen.
28
1. Die von der Klägerin beabsichtigte Nutzungsänderung wird von der Veränderungssperre erfasst. Das Vorhabengrundstück liegt in dem durch § 1 bestimmten räumlichen Geltungsbereich der Verordnung. Die von der Klägerin beabsichtigte Nutzungsänderung fällt zudem gemäß § 14 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 29 BauGB inhaltlich unter die Veränderungssperre. Der Regelungsgehalt dieser Sperre ergibt sich aus § 1 der dazu erlassenen Rechtsverordnung. Dort ist bestimmt, dass in dem räumlichen Geltungsbereich der Verordnung eine „Veränderungssperre gemäß § 14 des Baugesetzbuchs“ eintritt. Diese einschränkungslose Verweisung auf § 14 BauGB ist dahingehend auszulegen, dass damit eine Veränderungssperre mit allen Verbotstatbeständen angeordnet wird, die § 14 BauGB in Absatz 1 als möglich vorsieht. Eine Veränderungssperre dieses Inhalts bewirkt regelmäßig keine unverhältnismäßige Eigentumsbeeinträchtigung. Vielmehr kann davon ausgegangen werden, dass die Sicherung der Planung regelmäßig die Anwendung sowohl der Nummer 1 als auch der Nummer 2 des § 14 Abs. 1 BauGB erfordert, denn die gesetzlich bestimmten Vorhaben sind typischerweise geeignet, ein Sicherungsbedürfnis auszulösen, und der Gemeinde soll nach dem Zweck der Veränderungssperre eine umfassende Sicherung der Planung gewährt werden (vgl. m.w.N. Stock in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand November 2011, § 14 Rn. 69).
29
2. An der Wirksamkeit der gemäß § 13 Abs. 1 AGBauGB Bln (vgl. § 246 Abs. 2 Satz 1 BauGB) durch Rechtsverordnung des Bezirksamts beschlossenen Veränderungssperre bestehen keine Bedenken.
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Der Veränderungssperre lag, wie in § 14 Abs. 1 BauGB vorausgesetzt, ein wirksamer Aufstellungsbeschluss zugrunde (vgl. Beschlüsse des Senats vom 20. Dezember 2010 – OVG 2 S 34.10 – und vom 13. April 2011 – OVG 2 S 20.11 –, juris Rn. 7), nämlich der am 6. Mai 2011 (ABl. S. 816) ortsüblich bekannt gemachte (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 2 BauGB, § 6 Abs. 1 Satz 1 AGBauGB Bln) Beschluss vom 20. April 2011 über die Aufstellung des Bebauungsplans 7-50B. Der in Aufstellung befindliche Bebauungsplan genügt den Anforderungen, die bei Erlass der Veränderungssperre an die zu sichernde Planung zu stellen sind. Insbesondere war das Planungsziel in dem erforderlichen Mindestumfang konkretisiert (vgl. m.w.N. Beschluss des Senats vom 19. Januar 2010 – OVG 2 S 69.09 –, juris Rn. 4) und die beabsichtigte Planung wies keinen schlechterdings nicht behebbaren Mangel auf (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 18. Juli 2007 – OVG 12 A 34.05 –, juris Rn. 40).
31
Dass der Inhalt der Veränderungssperre in der Verordnung nicht ausdrücklich, sondern durch eine Verweisung auf § 14 BauGB geregelt wird, ist im Hinblick auf das rechtsstaatliche Bestimmtheitsgebot nicht zu beanstanden. Zwar wird vielfach eine wörtliche Übernahme der Verbotstatbestände des § 14 Abs. 1 BauGB als empfehlenswert angesehen (vgl. u.a. Lemmel in: Berliner Kommentar zum BauGB, Stand: Mai 2012, § 14 Rn. 13; Stock in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, a.a.O., § 16 Rn. 13). Gleichwohl ist eine Verweisung auf § 14 BauGB ausreichend, da der Inhalt der Veränderungssperre danach für die Betroffenen hinreichend bestimmbar ist (a.A. Reidt in: Gelzer/Bracher/Reidt, Bauplanungsrecht, 2004, Rn. 2310). Dafür spricht die allgemeine Anerkennung der Verweisungstechnik in der Rechtsetzung (vgl. Stock, a.a.O., § 16 Rn. 13). Unschädlich ist ferner, dass die Verordnung auf § 14 BauGB insgesamt verweist, nicht aber speziell dessen Absatz 1 in Bezug nimmt. Entscheidend ist vielmehr, dass die Verweisung auch die Regelung des § 14 Abs. 1 BauGB zum möglichen Inhalt der Veränderungssperre zum Gegenstand hat.
32
3. Die Veränderungssperre ist nicht in entsprechender Anwendung des § 17 Abs. 1 Satz 2 BauGB gegenüber der Klägerin unwirksam geworden.
33
Die Klägerin beruft sich zwar darauf, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts der Zeitraum, der nach angemessener Bearbeitungsfrist dadurch vergeht, dass ein Bauantrag nicht hinreichend zügig bearbeitet, sonst verzögert oder rechtswidrig abgelehnt wird (sog. faktische Zurückstellung), in entsprechender Anwendung des § 17 Abs. 1 Satz 2 BauGB auf die Geltungsdauer der Veränderungssperre anzurechnen ist (vgl. BVerwG, Urteile vom 11. November 1970 – IV C 79.68 –, NJW 1971, S. 445, und vom 10. September 1976 – IV C 39.74 –, juris Rn. 43, Beschlüsse vom 27. April 1992 – 4 NB 11.92 –, juris Rn. 19, und vom 5. Mai 2011 – 4 B 12.11 –, juris Rn. 3). Daran anknüpfend macht sie geltend, da ihrem Bauantrag schon vor mehr als vier Jahren hätte stattgegeben werden müssen, sei dieser Zeitraum ihr gegenüber in Anrechnung zu bringen.
34
Der vom Bundesverwaltungsgericht aufgestellte Grundsatz der entsprechenden Anwendbarkeit des § 17 Abs. 1 Satz 2 BauGB bedarf jedoch einer Differenzierung (vgl. OVG Berlin, Beschluss vom 3. Januar 1991 – 2 A 10.90 –, BRS 52 Nr. 85; Grauvogel in: Brügelmann, BauGB, Stand: Februar 2012, § 17 Rn. 8; Schenke in: Wirtschaft und Verwaltung 1994, S. 253, 287 ff.; generell ablehnend Gaentzsch in: ders., BauGB, 1991, § 17 Rn. 3). Er wird damit begründet, dass faktische Zurückstellungen eine gleichartige Wirkung wie eine förmliche Zurückstellung erreichten und die Interessenlage in beiden Fällen übereinstimme. Der qualitative Unterschied zwischen einer rechtmäßigen Zurückstellung und einer rechtswidrigen Verzögerung stehe einer Analogie nicht entgegen. Vielmehr müsse sich die Verwaltung, wenn sie sich zulässige Verzögerungen anrechnen lassen müsse, „erst recht“ Verzögerungen, die sie rechtswidrig erreicht habe, anrechnen lassen. Andernfalls könnten die Rechtsfolgen einer förmlichen Zurückstellung unschwer unterlaufen werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 11. November 1970, a.a.O.). Für die entsprechende Anwendung des § 17 Abs. 1 Satz 2 BauGB wird außerdem angeführt, dass die Anrechnung von Zeiten faktischer Zurückstellung eine Entschädigung „in Zeit“ darstelle, die dem verfassungsrechtlich gebotenen Vorrang des Primärrechtsschutzes (Wiederherstellung rechtmäßiger Zustände anstelle einer bloßen Entschädigung in Geld) entspreche (vgl. etwa Lemmel in: Berliner Kommentar, a.a.O., § 17 Rn. 5 unter Hinweis auf Berkemann in: Festschrift für Weyreuther, S. 389, 416 f.).
35
Diese Erwägungen tragen jedoch den Unterschieden zwischen dem gesetzlich geregelten Fall der förmlichen Zurückstellung und den möglichen Konstellationen der faktischen Zurückstellung nicht hinreichend Rechnung. Die in § 15 BauGB geregelte Zurückstellung setzt als Instrument zur Sicherung der Bauleitplanung voraus, dass eine Veränderungssperre nicht beschlossen wird, obwohl ihre Voraussetzungen gegeben sind, d.h. nach § 14 Abs. 1 BauGB insbesondere ein Beschluss zur Aufstellung eines Bebauungsplans vorliegt, oder dass eine beschlossene Veränderungssperre noch nicht in Kraft getreten ist. Die sog. faktische Zurückstellung umfasst dagegen auch Fälle, in denen ein Beschluss zur Aufstellung eines Bebauungsplans nicht getroffen wurde und ein Bauantrag aus anderen Gründen als zur Sicherung einer beabsichtigten Bauleitplanung nicht beschieden oder abgelehnt wurde. Eine entsprechende Anwendung der Anrechnungsvorschrift auf diese Fälle überschritte die Grenzen der zulässigen Analogie, denn die gesetzliche Regelung würde hiermit auf einen dem gesetzlich vorausgesetzten Sachverhalt nicht hinreichend ähnlichen Fall ausgedehnt. Daran ändert das an sich überzeugungskräftige Argument nichts, die Rechtsfolgen einer zulässigen Verzögerung müssten die Gemeinde erst recht im Falle einer rechtswidrigen Verzögerung treffen, denn es geht daran vorbei, dass in § 15 BauGB nur der Fall einer vor dem Hintergrund eines Planaufstellungsbeschlusses ausgesprochenen Zurückstellung und damit ein besonderer Fall der zulässigen Verzögerung des Bauvorhabens geregelt ist. Für die Anwendung des § 17 Abs. 1 Satz 2 BauGB auf Fälle, in denen noch kein Aufstellungsbeschluss vorlag und auch sonst noch keine greifbare Planungsabsicht bestand, hätte es deshalb im Hinblick auf die damit verbundenen Folgen für die kommunale Planungshoheit, die so weit gehen können, dass die Gemeinde eine beabsichtigte Planung gegenüber einzelnen Vorhaben möglicherweise nicht mehr durch eine Veränderungssperre absichern kann, einer gesetzlichen Regelung bedurft. Nichts anderes ergibt sich aus der Erwägung, die Anrechnungsvorschrift trage dem verfassungsrechtlichen Gebot Rechnung, Eigentumsbeeinträchtigungen in erster Linie real auszugleichen, denn es bedarf unter dem Gesichtspunkt des Gesetzesvorbehalts einer gesetzlichen Entscheidung, inwieweit sich der eigentumsrechtliche Grundsatz des Vorrangs der Realrestitution bei rechtswidrig verzögerter oder versagter Baugenehmigung gegenüber der gleichfalls verfassungsrechtlich verankerten gemeindlichen Planungshoheit durchsetzen soll. Darüber hinaus weisen die Fälle, in denen die in den §§ 14 und 15 BauGB aufgestellten gesetzlichen Voraussetzungen für eine Veränderungssperre nicht vorliegen und die Baugenehmigung aus anderen Gründen als zur Sicherung einer Planung verzögert oder versagt wurde, durchaus eine andere Interessenlage auf. So besteht die als Argument für die entsprechende Anwendung des § 17 Abs. 1 Satz 2 BauGB herangezogene Umgehungsgefahr nur in den Fällen, in denen die faktische Bauverhinderung der Sicherung von Planungsabsichten dienen soll, die als Ziele der Planung bei Vorliegen der in den §§ 14 und 15 BauGB aufgestellten gesetzlichen Voraussetzungen durch eine Veränderungssperre oder eine förmliche Zurückstellung gesichert werden können (vgl. OVG Berlin, Beschluss vom 3. Januar 1991, und Grauvogel, jeweils a.a.O.). Hinzu kommt, dass bei einer förmlichen Zurückstellung die der Gemeinde aufgrund der Anrechnungsvorschrift drohenden Rechtsfolgen zeitlich kalkulierbar sind, so dass sie sich im Hinblick auf das zurückgestellte Bauvorhaben der Notwendigkeit einer zügigen Durchführung des Planaufstellungsverfahrens bewusst sein muss. Davon unterscheidet sich der Fall, dass der Bauantrag aus anderen Gründen als zur Sicherung einer beabsichtigten Planung abgelehnt wurde und die Gemeinde keinen Anlass für die Einleitung und gar beschleunigte Durchführung eines Planaufstellungsverfahrens gesehen hat, weil sie ohnehin von der Unzulässigkeit des Bauvorhabens ausging. In diesem Fall ist den Interessen der Gemeinde regelmäßig ein stärkeres Gewicht beizumessen als bei einer förmlichen Zurückstellung. Eine analoge Anwendung der Anrechnungsvorschrift erscheint in diesen Fällen, mit Ausnahme von greifbaren Missbrauchsfällen, grundsätzlich nicht gerechtfertigt.
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Hiervon ausgehend scheidet eine entsprechende Anwendung der Anrechnungsvorschrift des § 17 Abs. 1 Satz 2 BauGB hier aus. Die Voraussetzungen für eine förmliche Zurückstellung und den Erlass einer Veränderungssperre lagen frühestens mit der Bekanntmachung des Aufstellungsbeschlusses am 6. Mai 2011 vor. Der seitdem bis zum Inkrafttreten der Veränderungssperre am 1. Oktober 2011 verstrichene Zeitraum von etwas weniger als fünf Monaten hätte im Falle einer Anrechnung entsprechend § 17 Abs. 1 Satz 2 BauGB nicht zur Folge, dass die Veränderungssperre gegenüber der Klägerin im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung am 7. Juni 2012 nicht mehr wirksam wäre. Ein davor liegender Zeitraum einer faktischen Zurückstellung ist – ohne dass an dieser Stelle entschieden werden muss, ob die Baugenehmigung zu Unrecht versagt oder ihre Erteilung rechtswidrig verzögert wurde – nicht entsprechend § 17 Abs. 1 Satz 2 BauGB anzurechnen. Dem steht vielmehr entgegen, dass vor dem 6. Mai 2011 noch kein wirksamer Planaufstellungsbeschluss vorlag und die Versagung der Baugenehmigung auf anderen Gründen als dem Zweck der Sicherung einer Bauleitplanung beruht. Vielmehr ging der Beklagte – zuletzt gestützt durch das Urteil des Verwaltungsgerichts – davon aus, das Bauvorhaben sei gemäß § 15 BauNVO unzulässig. Es liegt auch kein greifbarer Fall eines Missbrauchs der faktischen Zurückstellung vor, der ausnahmsweise eine analoge Anwendung des § 17 Abs. 1 Satz 2 BauGB selbst bei fehlender Absicht der Sicherung einer Planaufstellung rechtfertigen könnte.
II.
37
Erfolg hat dagegen der auf die Feststellung eines Neubescheidungsanspruchs bei Wirksamwerden der Veränderungssperre gerichtete erste Hilfsantrag der Klägerin.
38
1. Der Antrag ist als Fortsetzungsfeststellungsantrag in entsprechender Anwendung von § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO statthaft. Diese auf Anfechtungsklagen zugeschnittene Vorschrift ist auf Verpflichtungsklagen entsprechend anwendbar (vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 30. Juni 2011 – 4 C 10.10 –, juris Rn. 7, st. Rspr.; w.N.b. Gerhardt, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand: September 2011, § 113 Rn. 100). Der Übergang von einer Verpflichtungs- zu einer Fortsetzungsfeststellungsklage stellt dabei keine an den Voraussetzungen des § 91 VwGO zu messende Klageänderung dar (vgl. u.a. BVerwG, Urteil vom 12. September 1989 – 1 C 40.88 –, juris Rn. 9; Urteil vom 21. Dezember 2010 – 7 C 23.09 –, juris Rn. 47; Gerhardt, a.a.O., § 113 Rn. 79).
39
Die weiteren Zulässigkeitsvoraussetzungen liegen ebenfalls vor (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. April 1999 – 4 C 4.98 –, juris Rn. 9):
40
a) Die Verpflichtungsklage war zulässig.
41
b) Das Verpflichtungsbegehren der Klägerin hat sich mit Wirksamwerden der Verordnung über die Veränderungssperre 7-50B/61 erledigt. Die Erledigung einer Verpflichtungsklage ist anzunehmen, wenn das Verpflichtungsbegehren nach Klageerhebung aus dem Kläger nicht zurechenbaren Gründen unzulässig oder unbegründet wurde, also das Rechtsschutzziel aus Gründen, die nicht in der Einflusssphäre des Klägers liegen, nicht mehr zu erlangen ist, etwa weil eine nachträgliche Änderung der Sach- und Rechtslage zum Erlöschen des mit der Klage geltend gemachten Anspruchs führt (vgl. m.w.N. BVerwG, Urteil vom 30. Juni 2011 – 4 C 10.10 –, juris Rn. 7). Dies ist hier der Fall, da die Veränderungssperre, wie oben dargelegt, zur Folge hat, dass eine Baugenehmigung gegenwärtig nicht mehr beansprucht werden kann.
42
c) Die Frage, ob die Klägerin im Zeitpunkt des Erledigungseintritts einen Anspruch auf erneute Entscheidung über ihren Bauantrag hatte, stellt ein klärungsfähiges Rechtsverhältnis dar. Streitgegenstand einer Fortsetzungsfeststellungsklage nach erledigter Verpflichtungsklage ist, ob die Verpflichtungsklage im Zeitpunkt der Erledigung Erfolg gehabt hätte (vgl. Gerhardt, a.a.O., § 113 Rn. 103, unter Bezugnahme auf BVerwG, Urteil vom 24. Januar 1992 – 7 C 24.91 –; Wolff in: Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl. 2010, § 113 Rn. 314). Bei fehlender Spruchreife kann sich die Feststellung auch darauf richten, dass der Beklagte zur Bescheidung verpflichtet war (vgl. Gerhardt, a.a.O., Rn. 103).
43
d) Die Klägerin besitzt das nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO erforderliche berechtigte Interesse an der beantragten Feststellung. Es ergibt sich jedenfalls aus der von der Klägerin bei Inkrafttreten des in Aufstellung befindlichen Bebauungsplans 7-50B beabsichtigten Geltendmachung eines verschuldensunabhängigen Entschädigungsanspruchs nach § 39 BauGB. Die Geltendmachung eines solchen Anspruchs ist nicht offensichtlich aussichtslos. Davon wäre nur dann auszugehen, wenn ohne eine ins Einzelne gehende Prüfung erkennbar wäre, dass der Anspruch unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt besteht (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Juni 2004 – 4 C 1.03 –, juris Rn. 21; Urteil vom 21. Dezember 2010 – 7 C 23.09 –, juris Rn. 50). Das ist nicht der Fall. Unschädlich ist dabei, dass der Anspruch von zusätzlichen Voraussetzungen abhängt, deren Eintritt noch ungewiss, aber nicht ausgeschlossen ist. Ob ein berechtigtes Interesse auch unter einem anderen der von der Klägerin geltend gemachten Gesichtspunkte gegeben wäre, bedarf unter diesen Umständen keiner Entscheidung.
44
2. Der Feststellungsantrag ist begründet. Die von der Klägerin beantragte Baugenehmigung hätte nicht mit der Begründung versagt werden dürfen, das Vorhaben sei nach § 15 BauNVO unzulässig (dazu nachfolgend unter a). Der Klägerin stand daher bei Inkrafttreten der Veränderungssperre ein Anspruch auf (erneute) Entscheidung über ihren Bauantrag zu. Der Beklagte wäre jedenfalls bis zu diesem Zeitpunkt verpflichtet gewesen, die Sache hinsichtlich der noch fehlenden bauaufsichtlichen Prüfung des Brandschutznachweises spruchreif zu machen und auf dieser Grundlage über die Erteilung der Baugenehmigung zu entscheiden (dazu nachfolgend unter b).
45
Die Voraussetzungen für die Erteilung der beantragten Baugenehmigung ergeben sich aus den §§ 71 und 65 BauO Bln. Nach § 71 Abs. 1 BauO Bln ist die Baugenehmigung zu erteilen, wenn dem Bauvorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind. Das Prüfprogramm richtete sich hier nach § 65 BauO Bln, da das Vorhaben ein Sonderbauvorhaben darstellt. Dies ergibt sich jedenfalls aus § 2 Abs. 4 Nr. 18 BauO Bln, da die von der Klägerin beabsichtigte Nutzung, insbesondere unter dem Gesichtspunkt des Brandschutzes, mit vergleichbaren Gefahren verbunden ist wie eine nach § 2 Abs. 4 Nr. 8 BauO Bln als Sonderbau zu qualifizierende Beherbergungsstätte mit mehr als 12 Betten. Zu prüfen waren insbesondere die Übereinstimmung mit den Vorschriften über die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit nach den §§ 29 bis 38 BauGB (§ 65 Satz 1 Nr. 1 BauO Bln) sowie die Anforderungen der Bauordnung für Berlin und der auf ihrer Grundlage erlassenen Vorschriften (§ 65 Satz 1 Nr. 2 BauO Bln).
46
a) Die beabsichtigte Nutzungsänderung in einen bordellartigen Betrieb in der Form eines Laufhauses mit 48 Zimmern war vor Inkrafttreten der Veränderungssperre bauplanungsrechtlich zulässig.
47
aa) Das Vorhaben ist mit den Festsetzungen des gemäß § 30 Abs. 1 BauGB insoweit maßgeblichen Bebauungsplans XI-101u-1 vereinbar. Dieser mit Rechtsverordnung vom 14. Juni 2006, bekannt gemacht im Gesetz- und Verordnungsblatt für Berlin vom 24. Juni 2006 (S. 614), festgesetzte Bebauungsplan ist im Hinblick auf die Planerhaltungsvorschriften der §§ 214, 215 BauGB als wirksam zugrundezulegen.
48
Das Vorhaben gehört zu den in einem Kerngebiet allgemein zulässigen Nutzungen, da es entweder als Vergnügungsstätte (§ 7 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO) oder als sonstiger nicht wesentlich störender Gewerbebetrieb (§ 7 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO) anzusehen ist. Die bisher nicht abschließend geklärte Frage, ob Prostitutionseinrichtungen im Rahmen des § 7 Abs. 2 BauNVO als Vergnügungsstätten oder sonstige Gewerbebetriebe einzuordnen sind (vgl. Stühler, BauR 2010, S. 1013, 1020 ff.), bedarf im vorliegenden Verfahren keiner Entscheidung, denn das Vorhaben der Klägerin ist jedenfalls als sonstiger nicht wesentlich störender Gewerbebetrieb (§ 7 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO) anzusehen. Als Maßstab für eine wesentliche Störung ist dabei, wie bereits vom Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt worden ist, auf die Zweckbestimmung des Kerngebiets abzustellen, wie sie sich aus der entsprechenden Baugebietsvorschrift der Baunutzungsverordnung und der Funktion ergibt, die dem Baugebiet im Verhältnis zu den anderen Baugebieten der Baunutzungsverordnung zukommt. Kerngebiete im Sinne des § 7 BauNVO sind Gebiete für zentrale Funktionen in der Stadt mit vielfältigen Nutzungen sowie einem urbanen Angebot an Gütern und Dienstleistungen für Besucher der Stadt und für die Wohnbevölkerung eines größeren Einzugsbereichs. Der Charakter von Kerngebieten wird u.a. durch die allgemeine Zulässigkeit von Vergnügungsstätten gekennzeichnet (vgl. BVerwG, Beschluss vom 28. Juli 1988 – 4 B 119.88 –, juris Rn. 3). Vorausgesetzt werden dabei von der Baunutzungsverordnung im Hinblick auf die Funktion des Kerngebiets gerade solche Vergnügungsstätten, die für ein größeres und allgemeines Publikum erreichbar sein sollen (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. November 1983 – 4 C 64.79 –, juris Rn. 11). Zwar dienen Kerngebiete in beschränktem Umfang auch dem Wohnen (vgl. § 7 Abs. 2 Nr. 7, Abs. 3 Nr. 2 und Abs. 4 BauNVO). Das Wohnen tritt aber zurück, und zwar sowohl nach Umfang und Gewicht gegenüber den anderen Nutzungen als auch in dem, was ihm im Hinblick auf die Standortanforderungen und die Auswirkungen der „zentralen“ Kerngebietsnutzungen an passiver Rücksichtnahme zuzumuten ist. In Abgrenzung von der Funktion anderer Baugebiete hat die im Kerngebiet zulässige Wohnnutzung ein Mehr an Beeinträchtigungen der Wohnruhe, nämlich gerade die typischerweise von zentralen innerstädtischen Funktionen auch in den Abend- und Nachtstunden ausgehenden Beeinträchtigungen, hinzunehmen als die Wohnnutzung in Gebieten, die vorwiegend oder – wie im Mischgebiet im Verhältnis zur gewerblichen Nutzung – gleichrangig dem Wohnen dienen (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. November 1983 – 4 C 64.79 –, juris Rn. 11).
49
Hieran gemessen steht das Vorhaben der Klägerin nicht im Widerspruch zum Gebietscharakter eines Kerngebiets. Ein bordellähnlicher Betrieb in der Form eines Laufhauses kann nach der von der Rechtsprechung bei der Zuordnung von Nutzungen zu einzelnen Baugebieten regelmäßig zugrundegelegten typisierten Betrachtungsweise (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. November 1983 – 4 C 21.83 –, juris Rn. 12; Beschluss vom 28. Juli 1988, a.a.O., Rn. 2; w.N.b. Stühler, a.a.O., S. 1024) nicht als wesentlich störend im Sinne des § 7 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO angesehen werden, denn die von einer solchen Einrichtung typischerweise zu erwartenden Nachteile und Belästigungen, vor allem der Lärm des Zu- und Abgangsverkehrs und die zu erwartende sonstige „milieubedingte Unruhe“ bis hin zu „milieubedingter Begleitkriminalität“ erreichen die damit vorausgesetzte Schwelle der Erheblichkeit nicht. Insbesondere führen die möglichen Konflikte mit einer im Kerngebiet vorhandenen Wohnnutzung, anders als bei Wohn- und Mischgebieten, wegen der geringeren Schutzwürdigkeit der Wohnnutzung im Kerngebiet und gemessen an dem möglichen Spektrum der dort für allgemein zulässig erklärten Vergnügungsstätten, die, wie etwa eine Diskothek oder Vergnügungsstätten mit sexuellem Bezug, vergleichbar belastende Auswirkungen, namentlich auch zur Nachtzeit, haben können, regelmäßig nicht zur Gebietsunverträglichkeit. Nichts anderes ergibt sich bei der nach Ansicht des Verwaltungsgerichts vorzunehmenden Gesamtschau der bauplanungsrechtlich relevanten Auswirkungen, bei der unter Berücksichtigung des Betriebskonzepts und der Betriebsgröße des Vorhabens der Klägerin auf die konkret zu erwartenden Nachteile abzustellen ist. Denn wie das Verwaltungsgericht dargelegt hat, lassen die von ihm eingeholten Erfahrungsberichte der Polizei- und Ordnungsbehörden anderer Städte, insbesondere bezüglich der Kriminalität, keine Auswirkungen auf die Umgebung befürchten, die über die Auswirkungen anderer in einem Kerngebiet zulässigen Anlagen hinausgehen. Auch der angesichts des Betriebsumfangs zu erwartende Zu- und Abfahrtsverkehr übersteigt voraussichtlich nicht den Rahmen des in einem Kerngebiet zu erwartenden.
50
bb) Das Vorhaben ist nicht nach § 15 BauNVO unzulässig. Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO sind die in den §§ 2 bis 14 BauNVO aufgeführten baulichen und sonstigen Anlagen im Einzelfall unzulässig, wenn sie nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung der Eigenart des Baugebiets widersprechen. Dasselbe gilt gemäß § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO u.a., wenn von ihnen Belästigungen oder Störungen ausgehen können, die nach der Eigenart des Baugebiets im Baugebiet selbst oder in dessen Umgebung unzumutbar sind.
51
§ 15 BauNVO ist eine die Festsetzungen des jeweiligen Bebauungsplans ergänzende Vorschrift, die es ermöglicht, sich aus der Verwirklichung der Festsetzungen ergebende einzelne Konflikte erst im Baugenehmigungsverfahren zu lösen. Dabei ist anerkannt, dass für eine Konfliktlösung im Baugenehmigungsverfahren nur Raum ist, wenn der Bebauungsplan für sie noch offen ist. Nur soweit der Bebauungsplan selbst keine abschließende planerische Entscheidung enthält, ermöglicht § 15 BauNVO eine Nachsteuerung im Baugenehmigungsverfahren. Die Vorschrift erlaubt es dagegen nicht, die Festsetzungen des Bebauungsplans zu korrigieren (vgl. BVerwG, Beschluss vom 6. März 1989, a.a.O., juris Rn. 8).
52
(1) Der Anwendung von § 15 BauNVO steht nicht bereits entgegen, dass der Plangeber mit der Festsetzung eines Kerngebiets gerade beabsichtigte, ein Vorhaben der von der Klägerin geplanten Art zuzulassen. Anlass für die Planaufstellung war die von dem früheren Eigentümer des Vorhabengrundstücks ursprünglich geplante Neubebauung mit einem Büro- und Geschäftshaus. Die Ausweisung des Grundstücks als Kerngebiet lässt mit Ausnahme der durch die textliche Festsetzung Nr. 1 ausgeschlossenen Spielhallen die ganze Bandbreite der in einem Kerngebiet zulässigen gewerblichen Nutzungen zu. Die Zulassung eines Bordells oder bordellähnlichen Betriebs war weder das Ziel der Planung, noch ist sie überhaupt erwogen worden. Ebenso wenig lässt sich dem festgesetzten Ausschluss von Spielhallen – wie die Klägerin meint – im Wege des Umkehrschlusses eine Zulassung bordellähnlicher Betriebe entnehmen.
53
(2) Ein Rückgriff auf § 15 BauNVO ist dem Beklagten jedoch verwehrt, soweit die Unzulässigkeit des Vorhabens damit begründet wird, es komme durch das Zusammentreffen des geplanten Laufhauses mit dem bereits vorhandenen Erotikkaufhaus und -kino sowie der Straßenprostitution zu einer störenden Häufung des Prostitutionsgewerbes und sonstiger Einrichtungen des Sex-Gewerbes und damit zu einer der planerischen Konzeption widersprechenden Strukturveränderung in Richtung auf einen „Rotlichtbezirk“, die zulasten der Wohn- und Einzelhandelsnutzung geht.
54
(a) Aus der die Planung lediglich sichernden und ergänzenden nicht aber plankorrigierenden oder planersetzenden Funktion des § 15 BauNVO folgt, dass der Anwendungsbereich dieser Vorschrift nur eröffnet ist, wenn der Bebauungsplan bestimmte Konflikte im Hinblick auf das Gebot der Konfliktbewältigung rechtmäßigerweise offen lassen durfte, es also zulässig war, ihre Lösung auf die Ebene des Planvollzugs zu verlagern. Das Gebot der Konfliktlösung, abgeleitet aus dem Abwägungsgebot (§ 1 Abs. 7 BauGB), verlangt, dass die der Bebauungsplanung zuzurechnenden Konflikte zwischen den von der Planung berührten Belangen grundsätzlich auch durch Festsetzungen im Bebauungsplan einer Lösung zugeführt werden müssen (vgl. Söfker in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, a.a.O., § 15 BauNVO Rn. 7). Zwar kann ein Bebauungsplan als Ausdruck „planerischer Zurückhaltung“ den von der Planung Betroffenen ein gesteigertes Maß an Gestaltungsmöglichkeiten belassen und die Lösung bzw. den Ausgleich bestimmter Interessenkonflikte, die aufgrund von Festsetzungen des Bebauungsplans im Einzelfall auftreten können, z.B. dem Baugenehmigungsverfahren auf der Grundlage von § 15 BauNVO überlassen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 6. März 1989 – 4 NB 8.89 –, juris Rn. 7). Anders verhält es sich jedoch, soweit es um Konflikte und Belange geht, die zum notwendigen Abwägungsprogramm auf der Ebene der Bauleitplanung gehören. In diesen Fällen liefe es auf eine unzulässige Korrektur des Planes hinaus, wenn die mit den Festsetzungen des Bebauungsplans zugunsten oder zulasten dieser Belange getroffene Entscheidung über die Anwendung des § 15 BauNVO auf der Ebene des Planvollzugs geändert würde. Betroffenheiten, die der Plangeber in den Blick nehmen musste, weil sie zum notwendigen Abwägungsprogramm gehören und die sich als eine typische planbedingte Folge darstellen, können nicht mehr Gegenstand einer Nach- bzw. Feinsteuerung durch die Anwendung des § 15 BauNVO sein, denn sie sind durch die getroffene Abwägungsentscheidung im Umfang der getroffenen Festsetzungen gleichsam aufgezehrt (vgl. OVG Nordrh.-Westf., Beschluss vom 4. Juni 1998 – 10 A 1318.97 –, juris Rn. 35, und Urteil vom 2. März 1999 – 10 A 64911.96 –, juris Rn. 18; BVerwG, Beschluss vom 27. Dezember 1984 – 4 B 278.84 –, juris Rn. 2; Ziegler in Brügelmann, BauGB, a.a.O., § 15 BauNVO Rn. 12). § 15 Abs. 1 BauNVO stellt keinen Ersatz für eine ordnungsgemäße Bauleitplanung dar, sondern dient der Erfassung und Bewältigung atypischer Fälle auf der Ebene des Planvollzugs (vgl. Söfker, a.a.O.).
55
(b) Das Vorhaben gehört – wie bereits ausgeführt worden ist – zu den in einem Kerngebiet allgemein zulässigen Nutzungen mit der Folge, dass im Planungsverfahren abzuwägen war, ob die Auswirkungen eines solchen Betriebes, soweit er sich nach Art und Umfang im Rahmen des in einem Kerngebiet typischerweise zu Erwartenden hält, im Verhältnis zu den übrigen, insbesondere den angrenzenden Nutzungen, hinzunehmen sind.
56
Die durch das Zusammentreffen des Laufhauses mit dem bereits vorhandenen Erotikkaufhaus und -kino sowie der Straßenprostitution möglichen Nutzungskonflikte mussten bei der Festsetzung des Bebauungsplans XI-101u-1 zum Gegenstand der Abwägung gemacht und durften nicht auf das Baugenehmigungsverfahren verlagert werden. Die insoweit mögliche Konfliktsituation lag bereits bei der Festsetzung des Bebauungsplans auf der Hand. Der Plangeber musste die Folgen der Ausweisung eines Kerngebiets für das Vorhabengrundstück bereits im Rahmen der dem Bebauungsplan zugrunde liegenden Abwägung berücksichtigen und bewältigen. Dies gilt speziell für die Folgen, die sich daraus ergeben, dass der Bebauungsplan die Wohnnutzung und die kerngebietstypische Nutzung in mehrfacher Hinsicht unmittelbar nebeneinander zulässt, nämlich zum einen durch die im Kerngebiet oberhalb des sechsten Vollgeschosses zugelassene Wohnnutzung, zum anderen im Hinblick auf die im südlich angrenzenden Bereich des Bebauungsplans XI-101u oberhalb des ersten Vollgeschosses für zulässig erklärte Wohnnutzung und schließlich durch die Festsetzung des westlich an das Kerngebiet angrenzenden allgemeinen Wohngebiets. Ein Hauptanwendungsfall des aus dem Abwägungsgebot abzuleitenden Gebots der Konfliktlösung betrifft die Festsetzung unterschiedlicher, möglicherweise nicht oder nicht ohne weiteres miteinander verträglicher Nutzungen in Nachbarschaft zueinander, wobei die Pflicht zur Lösung der durch die Planung selbst aufgeworfenen Konflikte größer ist als die bereits vorgefundener Konflikte (vgl. Söfker in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, a.a.O., § 15 BauNVO Rn. 7). Dem Plangeber war zudem bei der Aufstellung des Bebauungsplans bekannt, dass die nähere Umgebung des als Kerngebiet ausgewiesenen Vorhabengrundstücks bereits seit Jahrzehnten in wechselndem Ausmaß durch die dort betriebene Straßenprostitution mit entsprechenden Belastungen für die Wohnnutzung geprägt war. Bei der Festsetzung des Bebauungsplans im Juni 2006 war zudem erkennbar, dass das Vorhabengrundstück schon seit Anfang des Jahres 2006 durch das Erotikkaufhaus und -kino L... genutzt wurde. Die Bewältigung der sich aus dem Hinzutreten eines aufgrund der Ausweisung als Kerngebiet zulässigen Bordells möglicherweise ergebenden Konflikte durfte unter diesen Umständen nicht auf das nachfolgende Baugenehmigungsverfahren verlagert werden. Von einer abschließenden Konfliktbewältigung im Bebauungsplan darf der Plangeber nur dann Abstand nehmen, wenn bei vorausschauender Betrachtung die Durchführung der als notwendig erkannten Maßnahmen zur Konfliktlösung außerhalb des Planungsverfahrens auf der Stufe der Verwirklichung der Planung sichergestellt ist (st. Rspr. d. BVerwG, vgl. u.a. Beschluss vom 21. Dezember 2011 – 4 B 14.11 –, juris Rn. 13 m.w.N.).
57
Der Anwendungsbereich des § 15 Abs. 1 BauNVO ist nur eröffnet, wenn bei einem Vorhaben aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalles ein qualifizierter Ausnahmefall vorliegt, nicht aber, wenn sich bereits aus der Verwirklichung eines nach den Baugebietsvorschriften der Baunutzungsverordnung generell zulässigen Vorhabens – ohne hinzutretende atypische Besonderheiten – ein Nutzungskonflikt ergibt. In diesen Fällen kommt eine Konfliktlösung nur auf der Ebene des Bebauungsplans, nämlich durch den Ausschluss einzelner nach der Baunutzungsverordnung allgemein zulässiger Nutzungsarten oder -unterarten (vgl. § 1 Abs. 5 und 9 BauNVO) in Betracht. Vorliegend hätte der Plangeber deshalb bei der Aufstellung des Bebauungsplans den möglichen Ausschluss von Vergnügungsstätten und anderer Gewerbebetriebe mit sexuellem Bezug, namentlich von Bordellen und bordellähnlichen Einrichtungen erwägen müssen (vgl. zur Zulässigkeit des Ausschlusses derartiger Nutzungen nach § 1 Abs. 5 und 9 BauNVO Stühler, a.a.O., S. 1015). Die gleichwohl getroffene Ausweisung eines Kerngebiets ohne derartige Einschränkungen hat zur Folge, dass die mit der Festsetzung eines Kerngebiets planbedingt vorgegebenen typischen Betroffenheiten bei der Anwendung des § 15 BauNVO nicht mehr zulasten eines zur Genehmigung stehenden Vorhabens berücksichtigt werden können.
58
Dem lässt sich nicht entgegenhalten, bei der Festsetzung des Bebauungsplans XI-101u-1 sei dem Plangeber ein konkretes Vorhaben, auf dem Grundstück einen bordellartigen Betrieb anzusiedeln, noch nicht bekannt gewesen. Angesichts der konkreten Umstände hätte es sich vielmehr aufgedrängt, auch eine solche Entwicklung in Erwägung zu ziehen. Der Plangeber muss die aufgrund geplanter Festsetzungen des Bebauungsplans zu erwartenden Nutzungskonflikte in den Blick nehmen, was eine sorgfältige Analyse des Bestandes und eine Prognose der zukünftigen Entwicklung voraussetzt (vgl. zum Trennungsgebot BVerwG, Beschluss vom 8. März 2010 – 4 B 76.09 –, juris Rn. 7). Hier lag eine mögliche Ansiedlung weiterer Betriebe des „Rotlichtgewerbes“ im Hinblick auf die das Gebiet prägende Straßenprostitution und das auf dem Grundstück bereits angesiedelte Erotikkaufhaus und -kino durchaus nahe. Hinzu kam, dass das ursprüngliche Bauvorhaben, das die Aufstellung des Bebauungsplans veranlasst hatte, seit mehreren Jahren nicht mehr betrieben worden war, und Pläne, das Grundstück einer anderen geschäftlichen Nutzung, z.B. durch Ansiedlung eines Hotels, zuzuführen, ebenfalls nicht weiterverfolgt worden waren.
59
(3) Der von der Klägerin geplante Betrieb eines Laufhauses lässt ausweislich der eingereichten Betriebsbeschreibung im Verhältnis zu den Festsetzungen des Bebauungsplans XI-101u-1 keine die Annahme eines qualifizierten Ausnahmefalles rechtfertigenden atypischen Besonderheiten oder sonstigen besonderen Umstände erkennen, die einer Regulierung auf der Grundlage von § 15 BauNVO zugänglich wären.
60
Bei dem Vorhabengrundstück handelt es sich um ein in hohem Maß gewerblich ausnutzbares Grundstück. Das festgesetzte Kerngebiet umfasst allein das Vorhabengrundstück, dessen Nutzung lediglich insoweit eingeschränkt ist, als der Plangeber von der Möglichkeit, bestimmte allgemein zulässige Nutzungsarten bzw. -unterarten auszuschließen (§ 1 Abs. 5 und 9 BauNVO), nur im Hinblick auf Spielhallen Gebrauch gemacht hat (textliche Festsetzung Nr. 1). Allerdings hat er oberhalb des sechsten Vollgeschosses (bei bis zu acht möglichen Vollgeschossen) eine Wohnnutzung allgemein zugelassen (vgl. textliche Festsetzung Nr. 3), um die an der Potsdamer Straße bestehende Nutzungsverflechtung von Wohnen und Gewerbe beizubehalten und neu zu ordnen (vgl. S. 13 der Planbegründung). Aber auch eine im Kerngebiet angesiedelte Wohnnutzung bleibt grundsätzlich verpflichtet, den ihr im Kerngebiet zumutbaren erhöhten Grad an Störungen hinzunehmen (vgl. Söfker in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, a.a.O., § 7 BauNVO Rn. 40 f.). Derartigen Störungen ist die im Kerngebiet eingeschränkt zugelassene Wohnnutzung hier infolge der in weitaus größerem Umfang zugelassen kerngebietstypischen Nutzung planbedingt ausgesetzt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Wohnnutzung durch den Bebauungsplan XI-101u-1 gegenüber den Festsetzungen des Bebauungsplans XI-101u, der für das Vorhabengrundstück eine Wohnnutzung bereits oberhalb des ersten Vollgeschosses zuließ, zugunsten einer kerngebietstypischen Nutzung eingeschränkt wurde. Zudem sieht der Bebauungsplan nicht vor, dass in bestimmten Geschossen oder Anteilen der Geschossfläche ausschließlich eine Wohnnutzung zulässig ist (§ 7 Abs. 4 BauNVO). Darüber hinaus ist das Vorhabengrundstück, wie sich aus der Planbegründung des Bebauungsplans XI-101u-1 ergibt, erheblichen Lärm- und Abgasbelastungen an der stark frequentierten Potsdamer Straße ausgesetzt, die die Wohnqualität dort ohnehin mindern. Weiter ist in die Betrachtung einzubeziehen, dass im südlich angrenzenden Bereich des Bebauungsplans XI-101u gleichfalls ein Kerngebiet festgesetzt ist und unmittelbar westlich an das Kerngebiet zwar ein allgemeines Wohngebiet angrenzt, das Plankonzept allerdings darin bestehen dürfte, dass die Kerngebietsnutzung zur Potsdamer Straße hin orientiert ist und sich erst zum Blockinnenbereich nach Westen hin ruhigere Zonen anschließen.
61
Das von der Klägerin geplante Laufhaus überschreitet nicht das Maß einer kerngebietstypischen Nutzung. Es handelt sich um das erste Vorhaben dieser Art, das in dem Kerngebiet verwirklicht werden soll, das sich im Umfang, sei es hinsichtlich der Größe oder bezüglich der geplanten Betriebszeiten, nicht erheblich von anderen kerngebietstypischen Vorhaben unterscheidet. Hierbei ist davon auszugehen, dass sich in einem Kerngebiet typischerweise anzusiedelnde Einrichtungen an ein größeres und allgemeines Publikum richten. Anhaltspunkte dafür, dass die zu erwartenden konkreten Auswirkungen des Vorhabens in atypischer Weise das Maß anderer kerngebietstypischer Betriebe, z.B. einer Diskothek mit überörtlichem Einzugsbereich, überschreiten, sind nicht ersichtlich.
62
b) Wegen der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens stand der Klägerin bei Inkrafttreten der Veränderungssperre ein Anspruch auf (erneute) Entscheidung über ihren Bauantrag zu. Der Beklagte wäre jedenfalls bis zu diesem Zeitpunkt verpflichtet gewesen, die Sache hinsichtlich der noch fehlenden bauaufsichtlichen Prüfung des Brandschutznachweises spruchreif zu machen und auf dieser Grundlage über die Erteilung der Baugenehmigung zu entscheiden.
63
Vor der Erledigung ihres Verpflichtungsbegehrens konnte die Klägerin die Erteilung der beantragten Baugenehmigung nicht beanspruchen, weil der Beklagte die nach § 67 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 BauO Bln erforderliche bauaufsichtliche Prüfung des Brandschutznachweises wegen der von ihm angenommenen Unzulässigkeit des Vorhabens nach § 15 BauNVO zurückgestellt hatte. Ohne diese Prüfung darf die Baugenehmigung jedoch nicht erteilt werden, da der Bericht über den geprüften Brandschutznachweis gemäß § 14 Abs. 3 BauVerfVO im Genehmigungsverfahren nach § 65 BauO Bln der Bauaufsichtsbehörde vor Erteilung der Baugenehmigung vorliegen muss.
III.
64
Der weitere Hilfsantrag hat gleichfalls Erfolg.
65
1. Der Antrag ist zulässig. Er richtet sich auf die Feststellung eines Bescheidungsanspruchs der Klägerin in einem früheren, dem Eintritt der Erledigung vorangehenden Zeitraum. Eine solche Feststellung kann zwar regelmäßig nicht zum Inhalt einer Fortsetzungsfeststellungsklage gemacht werden, da sich der für die Beurteilung maßgebliche Zeitpunkt nicht mit dem des ursprünglichen Begehrens deckt und somit der Streitgegenstand ausgewechselt bzw. erweitert wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Januar 1992 – 7 C 24.91 –, juris Rn. 7 ff.). Zulässig kann es allerdings sein, eine Fortsetzungsfeststellungsklage um einen Feststellungsantrag (§ 43 Abs. 1 VwGO) zu erweitern, der sich darauf bezieht, dass zu einem früheren Zeitraum ein Anspruch auf Genehmigung bestand (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. April 1999 – 4 C 4.98 –, juris Rn. 15 ff.; vgl. ferner Beschluss vom 21. Oktober 2004 – 4 B 76.04 –, juris Rn. 2). Entsprechendes muss für einen Antrag gelten, der sich auf die Feststellung eines in einem früheren Zeitraum bestehenden Bescheidungsanspruchs richtet. Für eine solche Klageerweiterung müssen die Voraussetzungen einer Klageänderung (§ 91 VwGO) vorliegen. Ist sie zulässig, so sind an das Feststellungsinteresse geringere Anforderungen zu stellen als bei einer isolierten Feststellungsklage. Insoweit kann an die gesetzliche Wertung des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO angeknüpft werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. April 1999, a.a.O., Rn. 20).
66
Die Voraussetzungen des § 91 VwGO liegen hier vor, weil sich der Beklagte rügelos auf die geänderte Klage eingelassen hat (§ 91 Abs. 2 VwGO). Auch sonst bestehen keine Bedenken gegen die Zulässigkeit des Antrags. Er ist auf ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis gerichtet. Bei der gebotenen Anknüpfung an die Maßstäbe nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO ist ein Feststellungsinteresse zu bejahen, denn die beantragte Feststellung zum Zeitpunkt eines Bescheidungsanspruchs kann für den Umfang möglicher Entschädigungsansprüche der Klägerin von Bedeutung sein.
67
2. Der Antrag ist begründet. Die Klägerin konnte jedenfalls seit dem 13. Februar 2008 eine Bescheidung ihres Bauantrags beanspruchen.
68
Allerdings ergibt sich eine Entscheidungspflicht ab diesem Datum nicht unmittelbar aus § 70 Abs. 3 BauO Bln. Danach entscheidet die Bauaufsichtsbehörde über den Bauantrag innerhalb einer Frist von einem Monat, die beginnt, sobald alle für die Entscheidung notwendigen Stellungnahmen vorliegen. Diese Frist ist im vorliegenden Fall nicht in Gang gesetzt worden, da bisher kein Ergebnis der nach § 67 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 BauO Bln erforderlichen bauaufsichtlichen Prüfung des Brandschutznachweises vorlag. Bei dem über diese Prüfung zu erstellenden Prüfbericht (vgl. § 19 Abs. 4 i.V.m. § 13 Abs. 6 Satz 3 BauPrüfV) handelt es sich, wie § 13 Abs. 2 Satz 2 BauVerfVO klarstellt, um einen notwendigen Nachweis im Sinne des § 70 Abs. 3 Satz 2 BauO Bln. Die Frist des § 70 Abs. 3 BauGB beginnt deshalb erst ab dem Eingang dieses Berichts.
69
Dass der Lauf der Frist des § 70 Abs. 3 BauO Bln nicht begonnen hat, kann indes nicht dazu führen, dass die Bauaufsichtsbehörde ihrer Pflicht, innerhalb angemessener Frist über den Bauantrag zu entscheiden, dauerhaft enthoben wäre. Vielmehr wäre sie bei zutreffender Beurteilung der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens gehalten gewesen, entweder alsbald die Klägerin aufzufordern, die Prüfung des Brandschutznachweises durch eine Prüfingenieurin oder einen Prüfingenieur zu veranlassen, oder diese Prüfung selbst vorzunehmen, was aufgrund der Regelung des § 13 Abs. 3 BauVerfVO, solange Prüfingenieurinnen und Prüfingenieure für Brandschutz nicht in ausreichender Zahl zur Verfügung stehen, ebenfalls in Betracht kommt und wozu sie durch die Beteiligung der Feuerwehr bereits angesetzt hatte. In Anlehnung an die Regelung des § 75 Satz 2 VwGO und in Ermangelung hinreichender Anhaltspunkte für die Annahme einer anderen Frist, erscheint es angemessen, dem Beklagten hierzu sowie für die anschließende Bescheidung des Bauantrags eine Frist von drei Monaten einzuräumen, so dass, je nachdem, ob von dem Datum der letztmaligen Vervollständigung des Bauantrags am 13. August 2007 durch Einreichung geänderter Unterlagen zum Brandschutznachweis oder von dem Eingang der Stellungnahme der Feuerwehr am 5. September 2007 auszugehen ist, eine Entscheidung über den Bauantrag bis zum 13. November 2007 oder bis zum 5. Dezember 2007 hätte getroffen werden müssen. Hinzu kommt allerdings die durch die Anhörung der Klägerin eingetretene Verfahrensverzögerung, die sich die Klägerin entgegenhalten lassen muss, da sie nach der Anhörung mit Schreiben des Beklagten vom 31. Oktober 2007 nicht umgehend auf einer sofortigen Entscheidung über den Bauantrag bestanden, sondern am 14. November 2007 zunächst eine Stellungnahmefrist erbeten und sich am 10. Dezember 2007 in der Sache auf die Anhörung eingelassen hat. Dies rechtfertigt es, der Bauaufsichtsbehörde die nochmalige Einholung einer Stellungnahme des Planungsamtes, die schließlich am 13. Januar 2008 vorlag, sowie – in entsprechender Anwendung des § 70 Abs. 3 BauO Bln – eine nochmalige Bearbeitungsfrist von einem Monat einzuräumen, so dass ein Anspruch der Klägerin auf Bescheidung des Bauantrags erst ab dem 13. Februar 2008 bestand.
70
Der Bescheidungsanspruch ist, wie von der Klägerin beantragt, für den gesamten Zeitraum bis zum 30. September 2011 festzustellen. Er endete nicht mit dem Wirksamwerden des Aufstellungsbeschlusses am 6. Mai 2011, mit dem die Voraussetzungen für eine Zurückstellung nach § 15 BauGB vorgelegen hätten, denn das mögliche Sicherungsmittel der Zurückstellung entfaltet seine Wirkung erst dann, wenn es tatsächlich ergriffen wird (vgl. BVerwG, Beschluss vom 2. Oktober 1998 – 4 B 72.98 –, juris Rn. 7).
IV.
71
Ebenfalls Erfolg hat der auf die Aufhebung der Gebührenfestsetzung im Widerspruchsbescheid vom 16. Juli 2008 gerichtete Hilfsantrag.
72
1. Der Antrag ist zulässig. Die Gebührenfestsetzung im Widerspruchsbescheid stellt einen selbständig anfechtbaren Verwaltungsakt dar. Die Klägerin hat hiergegen rechtzeitig Klage erhoben, denn als Bestandteil des Widerspruchsbescheids war die Gebührenfestsetzung von dem mit dem Verpflichtungsbegehren anhängig gemachten Aufhebungsbegehren umfasst. Eines Vorverfahrens bedurfte es insoweit gemäß § 68 Abs. 1 Satz 2 VwGO nicht.
73
2. Der Antrag ist begründet. Die Gebührenfestsetzung für das Widerspruchsverfahren ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO), da der Widerspruch mit der dem Widerspruchsbescheid zugrunde gelegten Begründung nicht hätte zurückgewiesen werden dürfen.
V.
74
Die Zuziehung der Bevollmächtigten der Klägerin im Vorverfahren gemäß § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO war für notwendig zu erklären, da sie vom Standpunkt einer verständigen, nicht rechtskundigen Partei für erforderlich gehalten werden durfte.
75
Die Kostenentscheidung beruht auf den § 154 Abs. 1 und 2 VwGO. Sie umfasst, nachdem der Senat das Urteil des Verwaltungsgerichts insgesamt geändert hat, auch die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens. Die Quotelung ergibt sich zum einen daraus, dass der Verpflichtungsantrag, mit dem die Klägerin unterlegen geblieben ist, in beiden Rechtszügen anhängig war, während die für die Klägerin erfolgreichen Feststellungsanträge nur im Berufungsverfahren Streitgegenstand waren. Davon abgesehen sind die Feststellungsanträge wertmäßig niedriger zu veranschlagen, zumal sie lediglich auf die Feststellung eines Bescheidungsanspruchs gerichtet waren.
76
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
77
Die Revision ist in Bezug auf die Entscheidung über den Hauptantrag zu 1., d.h. die Verpflichtungsklage zuzulassen, weil das Urteil von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur entsprechenden Anwendbarkeit des § 17 Abs. 1 Satz 2 BauGB in Fällen der sog. faktischen Zurückstellung abweicht und auf dieser Abweichung beruht (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Hinsichtlich der Entscheidung über die anderen Anträge ist die Revision nicht zuzulassen, weil keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Gründe vorliegt.
78
Beschluss
79
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 897.120 Euro festgesetzt.
80
Gründe
81
Die Streitwertfestsetzung findet ihre Grundlage in § 52 Abs. 1 GKG. Der Senat schätzt das wirtschaftliche Interesse der Klägerin an der beantragten Baugenehmigung im Rahmen des ihm zustehenden Ermessens als gleichwertig mit dem Interesse an einer Baugenehmigung für eine Spielhalle ein. Die Festsetzung orientiert sich deshalb an der Empfehlung in Ziff. 9.1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit aus dem Jahre 2004 (600 Euro/m² Nutzfläche ohne Nebenräume), wobei der Berechnung die von der Klägerin erstinstanzlich mitgeteilte Nutzfläche von 1.495,20 m² zugrundeliegt. Die auf Feststellung gerichteten Hilfsanträge führen nicht zu einer Erhöhung. Sie sind wertmäßig insgesamt niedriger zu veranschlagen als der auf die Verpflichtung zur Erteilung der B
Leitsatz
Laufhaus
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird unter Änderung des dem Beklagten am 31. Mai 2010 und der Klägerin am 3. Juni 2010 zugestellten Urteils des Verwaltungsgerichts Berlin festgestellt, dass der Beklagte
1. bei Inkrafttreten der Verordnung über die Veränderungssperre 7-50 B/61 im Bezirk Tempelhof-Schöneberg, Ortsteil Schöneberg, am 1. Oktober 2011 und
2. seit dem 13. Februar 2008 bis zum 30. September 2011
verpflichtet war, den Antrag der Klägerin vom 30. April 2007 auf Erteilung einer Baugenehmigung erneut zu bescheiden.
Die Gebührenfestsetzung im Widerspruchsbescheid der Senats-verwaltung für Stadtentwicklung vom 16. Juli 2008 wird aufgehoben.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Hinzuziehung des Bevollmächtigten der Klägerin im Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin zu 5/6 und der Beklagte zu 1/6.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird in Bezug auf die Entscheidung über den Hauptantrag zu 1. zugelassen.
Tatbestand
1
Die Klägerin erstrebt eine Baugenehmigung zur Nutzungsänderung der oberen Geschosse des Gebäudes Kurfürstenstraße 150/151, Ecke Potsdamer Straße 124/126 in einen bordellartigen Betrieb bzw. hilfsweise die Feststellung, dass ihr vor Inkrafttreten der von dem Beklagten inzwischen erlassenen Veränderungssperre ein Anspruch auf Neubescheidung ihres Bauantrags zustand.
2
Die Klägerin ist Mieterin des zweiten bis fünften Obergeschosses des auf dem genannten Grundstück befindlichen Gebäudes, das bis zu sieben Geschosse aufweist. Im Erdgeschoss sowie im ersten Obergeschoss dieses Gebäudes ist u.a. das Erotikfachgeschäft L... mit angeschlossenem Kino untergebracht. Das Gebäude wurde in den Jahren 1963/1964 von der Firma W... errichtet, die es bis 1995 als Hauptverkaufsstelle nutzte.
3
In unmittelbarer Nähe des Vorhabengrundstücks findet im Bereich der Potsdamer Straße, der Kürfürsten- und der Frobenstraße sowie der Genthiner Straße Straßenprostitution statt.
4
Das Vorhabengrundstück und die südlich angrenzenden Grundstücke Potsdamer Straße 128 bis 138 wurden durch den mit Verordnung vom 22. Dezember 1993 (GVBl. 1994 S. 29) festgesetzten Bebauungsplan XI-101u, dessen Geltungsbereich den Block zwischen Kurfürstenstraße, Potsdamer Straße, Bülowstraße und Frobenstraße umfasst, als Kerngebiet ausgewiesen, in dem Wohnungen oberhalb des 1. Vollgeschosses für allgemein zulässig erklärt wurden. Angestoßen durch Pläne der Firma W..., auf dem Vorhabengrundstück ein neues Büro- und Geschäftsgebäude zu errichten, beschloss das damalige Bezirksamt Schöneberg im Jahre 1995 die Aufstellung des Bebauungsplans XI-101u-1. Dieser durch Rechtsverordnung vom 14. Juni 2006 (GVBl. S. 614) festgesetzte Bebauungsplan umfasst neben dem Vorhabengrundstück das westlich angrenzende Grundstück Kurfürstenstraße 148-149, das als allgemeines Wohngebiet ausgewiesen ist, das Grundstück Frobenstraße 27-29, von dem eine Teilfläche als öffentliche Grünfläche mit der Zweckbestimmung öffentlicher Spiel- und Tummelplatz festgesetzt ist, und daneben Flächen der Frobenstraße und der Potsdamer Straße. Das Vorhabengrundstück ist wiederum als Kerngebiet ausgewiesen, wobei durch die Festsetzung von Baugrenzen ein gegenüber den Festsetzungen des Bebauungsplans XI-101u geänderter Baukörper mit bis zu acht Vollgeschossen zugelassen wird. Durch textliche Festsetzungen werden in dem Kerngebiet Spielhallen für unzulässig erklärt. Ferner sind in der ersten Ebene unter der Geländeoberfläche nur Einzelhandelsbetriebe und Tiefgaragen zulässig sowie Wohnungen oberhalb des sechsten Vollgeschosses allgemein zulässig.
5
Das Gebiet auf der dem Vorhabengrundstück gegenüberliegenden östlichen Seite der Potsdamer Straße wird durch den Baunutzungsplan für Berlin in der Fassung vom 28. Dezember 1960 südlich der Kurfürstenstraße als gemischtes Gebiet (§ 7 Nr. 9 der Bauordnung für Berlin von 1958, im Folgenden: BO 1958) und nördlich der Kurfürstenstraße als Kerngebiet (§ 7 Nr. 12 BO 1958) ausgewiesen. Das Gebiet nördlich der Kurfürstenstraße und westlich der Potsdamer Straße ist durch den Bebauungsplan II-B3 des damaligen Bezirks Tiergarten vom 4. Juni 1996 (GVBl. S. 212) als Kerngebiet festgesetzt. Dieser erklärt im Kerngebiet oberhalb des ersten Vollgeschosses Wohnungen für allgemein und in weiten Bereichen – davon ausgenommen ist u.a. das Eckgrundstück Kurfürstenstraße 30/Potsdamer Straße 120 – oberhalb des zweiten Vollgeschosses für ausschließlich zulässig. Ferner werden im dortigen Kerngebiet Schank- und Speisewirtschaften sowie Vergnügungsstätten für nur ausnahmsweise und nur in bestimmten Geschossen zulässig sowie Spielhallen und die Schaustellung von Personen für allgemein unzulässig erklärt.
6
Bereits im Dezember 2005 war das Gebäude auf dem Vorhabengrundstück durch das Erotikfachgeschäft L... bezogen worden, welches das Geschäft am 1. Januar 2006 eröffnet hatte.
7
Mit Antrag vom 30. April 2007, der beim Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg von Berlin am 9. Mai 2007 einging, beantragte die Klägerin eine Baugenehmigung für eine Nutzungsänderung des zweiten bis fünften Obergeschosses des auf dem Vorhabengrundstück befindlichen Gebäudes. In dem Bauantrag wird das Vorhaben als „Laufhaus/Zimmervermietung/bordellähnlicher Betrieb“ bezeichnet. Es ist beabsichtigt, die nach den Plänen vorgesehenen 48 Zimmer an Prostituierte zu vermieten, die jeweils vor den Zimmern auf ihre Kunden warten. Vorgesehen ist eine Öffnungszeit von 11:00 Uhr bis 6:00 Uhr. Der auf dem Grundstück befindliche, westlich an das Gebäude angrenzende Parkplatz soll von 22:00 Uhr bis 6:00 Uhr nicht genutzt werden. Während dieser Zeit wäre das Gebäude nur über den an der Straßenecke Kurfürstenstraße/Potsdamer Straße gelegenen Haupteingang zugänglich.
8
Das Bezirksamt lehnte den Antrag mit Bescheid vom 28. Januar 2008 ab. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung mit Widerspruchsbescheid vom 16. Juli 2008 zurück.
9
Die von der Klägerin hierauf erhobene Verpflichtungsklage hat das Verwaltungsgericht mit dem Beklagten am 31. Mai 2010 und der Klägerin am 3. Juni 2010 zugestellten Urteil abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, das geplante Laufhaus sei in dem durch den Bebauungsplan XI-101u-1 festgesetzten Kerngebiet als sonstiger, nicht wesentlich störender Gewerbebetrieb (§ 7 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO) zwar allgemein zulässig. Das Vorhaben verstoße jedoch gegen das in § 15 Abs. 1 BauNVO verankerte Gebot der Rücksichtnahme. Diese Vorschrift sei zur Beurteilung der Zulässigkeit des Vorhabens heranzuziehen, denn der Bebauungsplan enthalte hinsichtlich der Zulässigkeit prostitutiver Einrichtungen keine abschließende Entscheidung. Auch die nähere Bestimmung der Art der Nutzung, insbesondere durch den Ausschluss von Spielhallen, führe nicht dazu, dass kein oder nur ein sehr geringer Spielraum für eine Feinsteuerung nach § 15 Abs. 1 BauNVO im Baugenehmigungsverfahren bleibe. Das Vorhaben verstoße gegen § 15 Abs. 1 BauNVO, da es zu einem sog. Trading-Down-Effekt, d.h. zu einem durch eine Niveauabsenkung bewirkten Attraktivitätsverlust des gesamten Gebietes mit der Folge der Verdrängung bereits ansässiger Betriebe und der Wohnbevölkerung führen würde. Es widerspreche der Eigenart des Baugebiets (§ 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO), das durch eine gewachsene Verflechtung von kerngebietstypischen Nutzungen und einen für ein Kerngebiet ungewöhnlich hohen Anteil an Wohnnutzungen geprägt sei, die zu erhalten und zu sichern ein wesentliches Anliegen der Bebauungspläne XI-101u und XI-101u-1 sei. Zwar würde es sich bei dem geplanten Laufhaus um das erste Vorhaben dieser Art in dem Baugebiet handeln, jedoch könne das bereits vorhandene Erotikkaufhaus und -kino ebenso wenig außer Betracht bleiben wie die in der Umgebung vorhandene Straßenprostitution. Die Kammer bezweifle zwar, ob es durch das geplante Laufhaus tatsächlich zu dem von dem Beklagten befürchteten Nachzieheffekt, d.h. einer Ausweitung der Straßenprostitution und der Ansiedlung weiterer prostitutiver Einrichtungen und Erotik-Shops kommen würde. Mit dem Laufhaus käme aber insbesondere aufgrund seiner Größe Prostitution in einem Umfang hinzu, der angesichts der bereits vorhandenen Belastung des Baugebiets städtebaulich nicht mehr tragbar sei. Es sei anerkannt, dass eine Konzentration von Bordellbetrieben, sonstigen Einrichtungen des Sex-Gewerbes und Vergnügungsstätten eine Gebietsabwertung auslösen könne. Zudem habe eine Vielzahl der Anwohner bereits deutlich gemacht, im Falle der Realisierung des Laufhauses in eine andere Gegend abwandern zu wollen. Das Vorhaben sei auch nach § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO unzulässig. Aufgrund der exponierten Lage an der Ecke Kurfürstenstraße/Potsdamer Straße betreffe der Trading-Down-Effekt auch die Umgebung des Baugebiets, nämlich das westlich an das Vorhabengrundstück angrenzende allgemeine Wohngebiet und die auf der gegenüberliegenden Seite der Kurfürstenstraße befindlichen Kern- und Wohngebiete sowie das östlich der Potsdamer Straße gelegene Mischgebiet, die ebenfalls durch eine Nutzungsverflechtung von Gewerbe und Wohnbebauung geprägt seien.
10
Am 12. April 2011 hat das Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg die Aufstellung des Bebauungsplans 7-50B beschlossen, dessen Geltungsbereich u.a. die Grund-stücke beidseits der Potsdamer Straße im Abschnitt zwischen Kurfürsten- und Bülowstraße, darunter auch das Vorhabengrundstück, umfassen soll. Der Aufstellungsbeschluss wurde am 6. Mai 2011 (ABl. S. 816) bekannt gemacht. Der Planentwurf sieht unter anderem vor, das Vorhabengrundstück sowie die südlich daran angrenzenden Grundstücke, ebenso wie die auf der gegenüberliegenden Seite an die Potsdamer Straße angrenzenden Grundstücke als Mischgebiet auszuweisen. Mit Rechtsverordnung vom 27. September 2011 hat das Bezirksamt die Veränderungssperre 7-50B/61 für den Geltungsbereich des in Aufstellung befindlichen Bebauungsplans erlassen. Diese Verordnung ist am 30. September 2011 (GVBl. S. 496) verkündet worden und am Tage nach der Verkündung in Kraft getreten (vgl. § 5).
11
Mit der vom Senat mit Beschluss vom 1. August 2011 zugelassenen Berufung verfolgt die Klägerin ihre Verpflichtungsklage weiter. Sie hält daran trotz der inzwischen beschlossenen Veränderungssperre fest. Dies begründet sie damit, dass die Zeit einer rechtswidrigen Versagung der Baugenehmigung und einer rechtswidrigen Verzögerung ihrer Erteilung (sog. faktische Zurückstellung) analog § 17 Abs. 1 Satz 2 BauGB auf die Geltungsdauer der Veränderungssperre anzurechnen sei. Da ihr die Baugenehmigung bereits im August oder September 2007, spätestens aber am 28. Januar 2008 – dem Tag, an dem der Beklagte über den Bauantrag entschieden habe, – hätte erteilt werden müssen, sei die Veränderungssperre ihr gegenüber jedenfalls seit dem 29. Januar 2012 hinfällig. Bereits am 29. Januar 2011 wäre die dreijährige Frist nach § 17 Abs. 1 Satz 3 BauGB ihr gegenüber abgelaufen. Besondere, eine Verlängerung rechtfertigende Umstände im Sinne des § 17 Abs. 2 BauGB lägen nicht vor. Jedenfalls sei ihr gegenüber am 29. Januar 2012 die gesetzliche Höchstdauer der Veränderungssperre von vier Jahren verstrichen. Der erneute Erlass einer Veränderungssperre nach § 17 Abs. 3 BauGB komme ebenfalls nicht in Betracht. In der Sache macht die Klägerin geltend, der Bebauungsplan XI-101u-1, durch den das Vorhabengrundstück aus dem bisherigen Bebauungsplan herausgelöst und eine erhebliche Intensivierung der kerngebietstypischen Nutzung unter bewusster Zurückdrängung der Wohnnutzung zugelassen worden sei, lasse als Einzelfallbebauungsplan keinen Raum mehr für eine Feinsteuerung nach § 15 Abs. 1 BauNVO. Unabhängig davon lägen die Voraussetzungen für eine Unzulässigkeit des Vorhabens nach § 15 Abs. 1 BauNVO nicht vor. Unzumutbare Belästigungen oder Störungen im Sinne des § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO stünden nicht in Rede. Aufgrund des An- und Abfahrtsverkehrs sei nicht mit einer die Schwelle der Unzumutbarkeit überschreitenden Verkehrslärmbelastung zu rechnen. Von dem sog. Laufhaus selbst gingen keine Störungen aus. Die Einrichtung widerspreche auch nicht nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung der Eigenart des Baugebiets. Dass die Wohnbevölkerung mit kerngebietstypischen Nutzungen konfrontiert werde, habe der Plangeber bereits mit der Zulassung von Wohnungen oberhalb des sechsten Vollgeschosses hingenommen. Schließlich lasse sich die Zulässigkeit des Vorhabens auch nicht mit Blick auf einen zu befürchtenden Trading-Down-Effekt versagen, denn es gebe keine belastbaren Feststellungen oder Erfahrungssätze, die eine entsprechende Prognose tragen könnten. Im Gegenteil seien die Voraussetzungen, unter denen nach der Rechtsprechung ein Trading-Down-Effekt zu befürchten sei, nämlich die konzentrierte Ansiedlung von Vergnügungsstätten in einem Baugebiet, nicht gegeben, da es sich bei dem Vorhaben um die erste prostitutive Einrichtung ihrer Art in der Umgebung handle. Davon abgesehen sei bei der Anwendung des § 15 Abs. 1 BauNVO von der Zweckbestimmung des Kerngebiets auszugehen, weshalb eine Versagung nur dann in Betracht komme, wenn eine Verdrängung anderer Kerngebietsnutzungen drohe. Dies sei nicht der Fall.
12
Im Berufungsverfahren hat die Klägerin ihre Klage erweitert. Sie begehrt nunmehr hilfsweise zu dem Verpflichtungsbegehren die Feststellung, dass sie vor Inkrafttreten der Veränderungssperre einen Anspruch auf Neubescheidung ihres Bauantrags gehabt habe. Ein entsprechendes Feststellungsinteresse leitet sie aus der Befürchtung, ihr Bauantrag könne unter gleichen Umständen erneut abgelehnt werden, sowie aus der beabsichtigten Geltendmachung von Schadensersatz- und Entschädigungsansprüchen her.
13
Die Klägerin beantragt,
14
1. das angefochtene Urteil abzuändern und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides des Bezirksamts Tempelhof-Schöneberg vom 28. Januar 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheids der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung vom 16. Juli 2008 zu verpflichten, ihr die beantragte Nutzungsänderung auf dem Grundstück Kurfürstenstraße 150/151 Ecke Potsdamer Straße 124/126 in ein Laufhaus entsprechend ihres Bauantrags vom 30. April 2007, vervollständigt am 13. August 2007, zu genehmigen,
15
hilfsweise
16
festzustellen, dass der Beklagte bei Inkrafttreten der Veränderungssperre 7-50B/61 im Bezirk Tempelhof-Schöneberg, Ortsteil Schöneberg, am 1. Oktober 2011 verpflichtet war, über den Antrag der Klägerin vom 30. April 2007 auf Erteilung einer Baugenehmigung, vervollständigt am 13. August 2007, erneut zu entscheiden,
17
weiter hilfsweise
18
festzustellen, dass der Beklagte in der Zeit vom 13. Februar 2008 bis zum 30. September 2011 verpflichtet war, über den Antrag der Klägerin vom 30. April 2007 auf Erteilung einer Baugenehmigung, vervollständigt am 13. August 2007, erneut zu entscheiden,
19
weiter hilfsweise
20
den Widerspruchsbescheid der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung vom 16. Juli 2008 insoweit aufzuheben, als darin eine Widerspruchsgebühr in Höhe von 217 Euro festgesetzt wird,
21
2. die Hinzuziehung der bevollmächtigten Rechtsanwälte für das Vorverfahren für notwendig zu erklären.
22
Der Beklagte beantragt,
23
die Berufung abzuweisen.
24
Er beruft sich gegenüber dem Hauptantrag auf die inzwischen in Kraft getretene Veränderungssperre. Die analoge Anwendung des § 17 Abs. 1 Satz 2 BauGB auf Fälle der sog. faktischen Zurückstellung sei nicht gerechtfertigt, solange die Aufstellung eines Bebauungsplans nicht beschlossen worden sei und damit die Voraussetzungen für den Erlass einer Veränderungssperre oder eine Zurückstellung gemäß § 15 BauGB nicht vorlägen. Unabhängig davon sei das Vorhaben nach § 15 BauNVO unzulässig. Die hilfsweise gestellten Feststellungsanträge seien deshalb unbegründet.
25
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Streitakten sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge und Aufstellungsvorgänge der Bebauungspläne XI-101u, XI-101u-1 sowie II-B3 verwiesen.
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Entscheidungsgründe
26
Die zulässige Berufung hat teilweise Erfolg.
I.
27
Die mit dem Hauptantrag weiterverfolgte zulässige Verpflichtungsklage ist nicht begründet. Die Versagung der Baugenehmigung ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Sie kann in dem für die Beurteilung ihres Verpflichtungsbegehrens maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren weder die Erteilung der beantragten Baugenehmigung noch eine erneute Entscheidung über ihren darauf gerichteten Antrag beanspruchen (§ 113 Abs. 5 VwGO), denn die von dem Beklagten inzwischen mit Rechtsverordnung vom 27. September 2011 (GVBl. S. 496) erlassene Veränderungssperre 7-50B/61 steht der beabsichtigten Nutzungsänderung entgegen.
28
1. Die von der Klägerin beabsichtigte Nutzungsänderung wird von der Veränderungssperre erfasst. Das Vorhabengrundstück liegt in dem durch § 1 bestimmten räumlichen Geltungsbereich der Verordnung. Die von der Klägerin beabsichtigte Nutzungsänderung fällt zudem gemäß § 14 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 29 BauGB inhaltlich unter die Veränderungssperre. Der Regelungsgehalt dieser Sperre ergibt sich aus § 1 der dazu erlassenen Rechtsverordnung. Dort ist bestimmt, dass in dem räumlichen Geltungsbereich der Verordnung eine „Veränderungssperre gemäß § 14 des Baugesetzbuchs“ eintritt. Diese einschränkungslose Verweisung auf § 14 BauGB ist dahingehend auszulegen, dass damit eine Veränderungssperre mit allen Verbotstatbeständen angeordnet wird, die § 14 BauGB in Absatz 1 als möglich vorsieht. Eine Veränderungssperre dieses Inhalts bewirkt regelmäßig keine unverhältnismäßige Eigentumsbeeinträchtigung. Vielmehr kann davon ausgegangen werden, dass die Sicherung der Planung regelmäßig die Anwendung sowohl der Nummer 1 als auch der Nummer 2 des § 14 Abs. 1 BauGB erfordert, denn die gesetzlich bestimmten Vorhaben sind typischerweise geeignet, ein Sicherungsbedürfnis auszulösen, und der Gemeinde soll nach dem Zweck der Veränderungssperre eine umfassende Sicherung der Planung gewährt werden (vgl. m.w.N. Stock in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand November 2011, § 14 Rn. 69).
29
2. An der Wirksamkeit der gemäß § 13 Abs. 1 AGBauGB Bln (vgl. § 246 Abs. 2 Satz 1 BauGB) durch Rechtsverordnung des Bezirksamts beschlossenen Veränderungssperre bestehen keine Bedenken.
30
Der Veränderungssperre lag, wie in § 14 Abs. 1 BauGB vorausgesetzt, ein wirksamer Aufstellungsbeschluss zugrunde (vgl. Beschlüsse des Senats vom 20. Dezember 2010 – OVG 2 S 34.10 – und vom 13. April 2011 – OVG 2 S 20.11 –, juris Rn. 7), nämlich der am 6. Mai 2011 (ABl. S. 816) ortsüblich bekannt gemachte (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 2 BauGB, § 6 Abs. 1 Satz 1 AGBauGB Bln) Beschluss vom 20. April 2011 über die Aufstellung des Bebauungsplans 7-50B. Der in Aufstellung befindliche Bebauungsplan genügt den Anforderungen, die bei Erlass der Veränderungssperre an die zu sichernde Planung zu stellen sind. Insbesondere war das Planungsziel in dem erforderlichen Mindestumfang konkretisiert (vgl. m.w.N. Beschluss des Senats vom 19. Januar 2010 – OVG 2 S 69.09 –, juris Rn. 4) und die beabsichtigte Planung wies keinen schlechterdings nicht behebbaren Mangel auf (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 18. Juli 2007 – OVG 12 A 34.05 –, juris Rn. 40).
31
Dass der Inhalt der Veränderungssperre in der Verordnung nicht ausdrücklich, sondern durch eine Verweisung auf § 14 BauGB geregelt wird, ist im Hinblick auf das rechtsstaatliche Bestimmtheitsgebot nicht zu beanstanden. Zwar wird vielfach eine wörtliche Übernahme der Verbotstatbestände des § 14 Abs. 1 BauGB als empfehlenswert angesehen (vgl. u.a. Lemmel in: Berliner Kommentar zum BauGB, Stand: Mai 2012, § 14 Rn. 13; Stock in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, a.a.O., § 16 Rn. 13). Gleichwohl ist eine Verweisung auf § 14 BauGB ausreichend, da der Inhalt der Veränderungssperre danach für die Betroffenen hinreichend bestimmbar ist (a.A. Reidt in: Gelzer/Bracher/Reidt, Bauplanungsrecht, 2004, Rn. 2310). Dafür spricht die allgemeine Anerkennung der Verweisungstechnik in der Rechtsetzung (vgl. Stock, a.a.O., § 16 Rn. 13). Unschädlich ist ferner, dass die Verordnung auf § 14 BauGB insgesamt verweist, nicht aber speziell dessen Absatz 1 in Bezug nimmt. Entscheidend ist vielmehr, dass die Verweisung auch die Regelung des § 14 Abs. 1 BauGB zum möglichen Inhalt der Veränderungssperre zum Gegenstand hat.
32
3. Die Veränderungssperre ist nicht in entsprechender Anwendung des § 17 Abs. 1 Satz 2 BauGB gegenüber der Klägerin unwirksam geworden.
33
Die Klägerin beruft sich zwar darauf, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts der Zeitraum, der nach angemessener Bearbeitungsfrist dadurch vergeht, dass ein Bauantrag nicht hinreichend zügig bearbeitet, sonst verzögert oder rechtswidrig abgelehnt wird (sog. faktische Zurückstellung), in entsprechender Anwendung des § 17 Abs. 1 Satz 2 BauGB auf die Geltungsdauer der Veränderungssperre anzurechnen ist (vgl. BVerwG, Urteile vom 11. November 1970 – IV C 79.68 –, NJW 1971, S. 445, und vom 10. September 1976 – IV C 39.74 –, juris Rn. 43, Beschlüsse vom 27. April 1992 – 4 NB 11.92 –, juris Rn. 19, und vom 5. Mai 2011 – 4 B 12.11 –, juris Rn. 3). Daran anknüpfend macht sie geltend, da ihrem Bauantrag schon vor mehr als vier Jahren hätte stattgegeben werden müssen, sei dieser Zeitraum ihr gegenüber in Anrechnung zu bringen.
34
Der vom Bundesverwaltungsgericht aufgestellte Grundsatz der entsprechenden Anwendbarkeit des § 17 Abs. 1 Satz 2 BauGB bedarf jedoch einer Differenzierung (vgl. OVG Berlin, Beschluss vom 3. Januar 1991 – 2 A 10.90 –, BRS 52 Nr. 85; Grauvogel in: Brügelmann, BauGB, Stand: Februar 2012, § 17 Rn. 8; Schenke in: Wirtschaft und Verwaltung 1994, S. 253, 287 ff.; generell ablehnend Gaentzsch in: ders., BauGB, 1991, § 17 Rn. 3). Er wird damit begründet, dass faktische Zurückstellungen eine gleichartige Wirkung wie eine förmliche Zurückstellung erreichten und die Interessenlage in beiden Fällen übereinstimme. Der qualitative Unterschied zwischen einer rechtmäßigen Zurückstellung und einer rechtswidrigen Verzögerung stehe einer Analogie nicht entgegen. Vielmehr müsse sich die Verwaltung, wenn sie sich zulässige Verzögerungen anrechnen lassen müsse, „erst recht“ Verzögerungen, die sie rechtswidrig erreicht habe, anrechnen lassen. Andernfalls könnten die Rechtsfolgen einer förmlichen Zurückstellung unschwer unterlaufen werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 11. November 1970, a.a.O.). Für die entsprechende Anwendung des § 17 Abs. 1 Satz 2 BauGB wird außerdem angeführt, dass die Anrechnung von Zeiten faktischer Zurückstellung eine Entschädigung „in Zeit“ darstelle, die dem verfassungsrechtlich gebotenen Vorrang des Primärrechtsschutzes (Wiederherstellung rechtmäßiger Zustände anstelle einer bloßen Entschädigung in Geld) entspreche (vgl. etwa Lemmel in: Berliner Kommentar, a.a.O., § 17 Rn. 5 unter Hinweis auf Berkemann in: Festschrift für Weyreuther, S. 389, 416 f.).
35
Diese Erwägungen tragen jedoch den Unterschieden zwischen dem gesetzlich geregelten Fall der förmlichen Zurückstellung und den möglichen Konstellationen der faktischen Zurückstellung nicht hinreichend Rechnung. Die in § 15 BauGB geregelte Zurückstellung setzt als Instrument zur Sicherung der Bauleitplanung voraus, dass eine Veränderungssperre nicht beschlossen wird, obwohl ihre Voraussetzungen gegeben sind, d.h. nach § 14 Abs. 1 BauGB insbesondere ein Beschluss zur Aufstellung eines Bebauungsplans vorliegt, oder dass eine beschlossene Veränderungssperre noch nicht in Kraft getreten ist. Die sog. faktische Zurückstellung umfasst dagegen auch Fälle, in denen ein Beschluss zur Aufstellung eines Bebauungsplans nicht getroffen wurde und ein Bauantrag aus anderen Gründen als zur Sicherung einer beabsichtigten Bauleitplanung nicht beschieden oder abgelehnt wurde. Eine entsprechende Anwendung der Anrechnungsvorschrift auf diese Fälle überschritte die Grenzen der zulässigen Analogie, denn die gesetzliche Regelung würde hiermit auf einen dem gesetzlich vorausgesetzten Sachverhalt nicht hinreichend ähnlichen Fall ausgedehnt. Daran ändert das an sich überzeugungskräftige Argument nichts, die Rechtsfolgen einer zulässigen Verzögerung müssten die Gemeinde erst recht im Falle einer rechtswidrigen Verzögerung treffen, denn es geht daran vorbei, dass in § 15 BauGB nur der Fall einer vor dem Hintergrund eines Planaufstellungsbeschlusses ausgesprochenen Zurückstellung und damit ein besonderer Fall der zulässigen Verzögerung des Bauvorhabens geregelt ist. Für die Anwendung des § 17 Abs. 1 Satz 2 BauGB auf Fälle, in denen noch kein Aufstellungsbeschluss vorlag und auch sonst noch keine greifbare Planungsabsicht bestand, hätte es deshalb im Hinblick auf die damit verbundenen Folgen für die kommunale Planungshoheit, die so weit gehen können, dass die Gemeinde eine beabsichtigte Planung gegenüber einzelnen Vorhaben möglicherweise nicht mehr durch eine Veränderungssperre absichern kann, einer gesetzlichen Regelung bedurft. Nichts anderes ergibt sich aus der Erwägung, die Anrechnungsvorschrift trage dem verfassungsrechtlichen Gebot Rechnung, Eigentumsbeeinträchtigungen in erster Linie real auszugleichen, denn es bedarf unter dem Gesichtspunkt des Gesetzesvorbehalts einer gesetzlichen Entscheidung, inwieweit sich der eigentumsrechtliche Grundsatz des Vorrangs der Realrestitution bei rechtswidrig verzögerter oder versagter Baugenehmigung gegenüber der gleichfalls verfassungsrechtlich verankerten gemeindlichen Planungshoheit durchsetzen soll. Darüber hinaus weisen die Fälle, in denen die in den §§ 14 und 15 BauGB aufgestellten gesetzlichen Voraussetzungen für eine Veränderungssperre nicht vorliegen und die Baugenehmigung aus anderen Gründen als zur Sicherung einer Planung verzögert oder versagt wurde, durchaus eine andere Interessenlage auf. So besteht die als Argument für die entsprechende Anwendung des § 17 Abs. 1 Satz 2 BauGB herangezogene Umgehungsgefahr nur in den Fällen, in denen die faktische Bauverhinderung der Sicherung von Planungsabsichten dienen soll, die als Ziele der Planung bei Vorliegen der in den §§ 14 und 15 BauGB aufgestellten gesetzlichen Voraussetzungen durch eine Veränderungssperre oder eine förmliche Zurückstellung gesichert werden können (vgl. OVG Berlin, Beschluss vom 3. Januar 1991, und Grauvogel, jeweils a.a.O.). Hinzu kommt, dass bei einer förmlichen Zurückstellung die der Gemeinde aufgrund der Anrechnungsvorschrift drohenden Rechtsfolgen zeitlich kalkulierbar sind, so dass sie sich im Hinblick auf das zurückgestellte Bauvorhaben der Notwendigkeit einer zügigen Durchführung des Planaufstellungsverfahrens bewusst sein muss. Davon unterscheidet sich der Fall, dass der Bauantrag aus anderen Gründen als zur Sicherung einer beabsichtigten Planung abgelehnt wurde und die Gemeinde keinen Anlass für die Einleitung und gar beschleunigte Durchführung eines Planaufstellungsverfahrens gesehen hat, weil sie ohnehin von der Unzulässigkeit des Bauvorhabens ausging. In diesem Fall ist den Interessen der Gemeinde regelmäßig ein stärkeres Gewicht beizumessen als bei einer förmlichen Zurückstellung. Eine analoge Anwendung der Anrechnungsvorschrift erscheint in diesen Fällen, mit Ausnahme von greifbaren Missbrauchsfällen, grundsätzlich nicht gerechtfertigt.
36
Hiervon ausgehend scheidet eine entsprechende Anwendung der Anrechnungsvorschrift des § 17 Abs. 1 Satz 2 BauGB hier aus. Die Voraussetzungen für eine förmliche Zurückstellung und den Erlass einer Veränderungssperre lagen frühestens mit der Bekanntmachung des Aufstellungsbeschlusses am 6. Mai 2011 vor. Der seitdem bis zum Inkrafttreten der Veränderungssperre am 1. Oktober 2011 verstrichene Zeitraum von etwas weniger als fünf Monaten hätte im Falle einer Anrechnung entsprechend § 17 Abs. 1 Satz 2 BauGB nicht zur Folge, dass die Veränderungssperre gegenüber der Klägerin im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung am 7. Juni 2012 nicht mehr wirksam wäre. Ein davor liegender Zeitraum einer faktischen Zurückstellung ist – ohne dass an dieser Stelle entschieden werden muss, ob die Baugenehmigung zu Unrecht versagt oder ihre Erteilung rechtswidrig verzögert wurde – nicht entsprechend § 17 Abs. 1 Satz 2 BauGB anzurechnen. Dem steht vielmehr entgegen, dass vor dem 6. Mai 2011 noch kein wirksamer Planaufstellungsbeschluss vorlag und die Versagung der Baugenehmigung auf anderen Gründen als dem Zweck der Sicherung einer Bauleitplanung beruht. Vielmehr ging der Beklagte – zuletzt gestützt durch das Urteil des Verwaltungsgerichts – davon aus, das Bauvorhaben sei gemäß § 15 BauNVO unzulässig. Es liegt auch kein greifbarer Fall eines Missbrauchs der faktischen Zurückstellung vor, der ausnahmsweise eine analoge Anwendung des § 17 Abs. 1 Satz 2 BauGB selbst bei fehlender Absicht der Sicherung einer Planaufstellung rechtfertigen könnte.
II.
37
Erfolg hat dagegen der auf die Feststellung eines Neubescheidungsanspruchs bei Wirksamwerden der Veränderungssperre gerichtete erste Hilfsantrag der Klägerin.
38
1. Der Antrag ist als Fortsetzungsfeststellungsantrag in entsprechender Anwendung von § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO statthaft. Diese auf Anfechtungsklagen zugeschnittene Vorschrift ist auf Verpflichtungsklagen entsprechend anwendbar (vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 30. Juni 2011 – 4 C 10.10 –, juris Rn. 7, st. Rspr.; w.N.b. Gerhardt, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand: September 2011, § 113 Rn. 100). Der Übergang von einer Verpflichtungs- zu einer Fortsetzungsfeststellungsklage stellt dabei keine an den Voraussetzungen des § 91 VwGO zu messende Klageänderung dar (vgl. u.a. BVerwG, Urteil vom 12. September 1989 – 1 C 40.88 –, juris Rn. 9; Urteil vom 21. Dezember 2010 – 7 C 23.09 –, juris Rn. 47; Gerhardt, a.a.O., § 113 Rn. 79).
39
Die weiteren Zulässigkeitsvoraussetzungen liegen ebenfalls vor (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. April 1999 – 4 C 4.98 –, juris Rn. 9):
40
a) Die Verpflichtungsklage war zulässig.
41
b) Das Verpflichtungsbegehren der Klägerin hat sich mit Wirksamwerden der Verordnung über die Veränderungssperre 7-50B/61 erledigt. Die Erledigung einer Verpflichtungsklage ist anzunehmen, wenn das Verpflichtungsbegehren nach Klageerhebung aus dem Kläger nicht zurechenbaren Gründen unzulässig oder unbegründet wurde, also das Rechtsschutzziel aus Gründen, die nicht in der Einflusssphäre des Klägers liegen, nicht mehr zu erlangen ist, etwa weil eine nachträgliche Änderung der Sach- und Rechtslage zum Erlöschen des mit der Klage geltend gemachten Anspruchs führt (vgl. m.w.N. BVerwG, Urteil vom 30. Juni 2011 – 4 C 10.10 –, juris Rn. 7). Dies ist hier der Fall, da die Veränderungssperre, wie oben dargelegt, zur Folge hat, dass eine Baugenehmigung gegenwärtig nicht mehr beansprucht werden kann.
42
c) Die Frage, ob die Klägerin im Zeitpunkt des Erledigungseintritts einen Anspruch auf erneute Entscheidung über ihren Bauantrag hatte, stellt ein klärungsfähiges Rechtsverhältnis dar. Streitgegenstand einer Fortsetzungsfeststellungsklage nach erledigter Verpflichtungsklage ist, ob die Verpflichtungsklage im Zeitpunkt der Erledigung Erfolg gehabt hätte (vgl. Gerhardt, a.a.O., § 113 Rn. 103, unter Bezugnahme auf BVerwG, Urteil vom 24. Januar 1992 – 7 C 24.91 –; Wolff in: Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl. 2010, § 113 Rn. 314). Bei fehlender Spruchreife kann sich die Feststellung auch darauf richten, dass der Beklagte zur Bescheidung verpflichtet war (vgl. Gerhardt, a.a.O., Rn. 103).
43
d) Die Klägerin besitzt das nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO erforderliche berechtigte Interesse an der beantragten Feststellung. Es ergibt sich jedenfalls aus der von der Klägerin bei Inkrafttreten des in Aufstellung befindlichen Bebauungsplans 7-50B beabsichtigten Geltendmachung eines verschuldensunabhängigen Entschädigungsanspruchs nach § 39 BauGB. Die Geltendmachung eines solchen Anspruchs ist nicht offensichtlich aussichtslos. Davon wäre nur dann auszugehen, wenn ohne eine ins Einzelne gehende Prüfung erkennbar wäre, dass der Anspruch unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt besteht (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Juni 2004 – 4 C 1.03 –, juris Rn. 21; Urteil vom 21. Dezember 2010 – 7 C 23.09 –, juris Rn. 50). Das ist nicht der Fall. Unschädlich ist dabei, dass der Anspruch von zusätzlichen Voraussetzungen abhängt, deren Eintritt noch ungewiss, aber nicht ausgeschlossen ist. Ob ein berechtigtes Interesse auch unter einem anderen der von der Klägerin geltend gemachten Gesichtspunkte gegeben wäre, bedarf unter diesen Umständen keiner Entscheidung.
44
2. Der Feststellungsantrag ist begründet. Die von der Klägerin beantragte Baugenehmigung hätte nicht mit der Begründung versagt werden dürfen, das Vorhaben sei nach § 15 BauNVO unzulässig (dazu nachfolgend unter a). Der Klägerin stand daher bei Inkrafttreten der Veränderungssperre ein Anspruch auf (erneute) Entscheidung über ihren Bauantrag zu. Der Beklagte wäre jedenfalls bis zu diesem Zeitpunkt verpflichtet gewesen, die Sache hinsichtlich der noch fehlenden bauaufsichtlichen Prüfung des Brandschutznachweises spruchreif zu machen und auf dieser Grundlage über die Erteilung der Baugenehmigung zu entscheiden (dazu nachfolgend unter b).
45
Die Voraussetzungen für die Erteilung der beantragten Baugenehmigung ergeben sich aus den §§ 71 und 65 BauO Bln. Nach § 71 Abs. 1 BauO Bln ist die Baugenehmigung zu erteilen, wenn dem Bauvorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind. Das Prüfprogramm richtete sich hier nach § 65 BauO Bln, da das Vorhaben ein Sonderbauvorhaben darstellt. Dies ergibt sich jedenfalls aus § 2 Abs. 4 Nr. 18 BauO Bln, da die von der Klägerin beabsichtigte Nutzung, insbesondere unter dem Gesichtspunkt des Brandschutzes, mit vergleichbaren Gefahren verbunden ist wie eine nach § 2 Abs. 4 Nr. 8 BauO Bln als Sonderbau zu qualifizierende Beherbergungsstätte mit mehr als 12 Betten. Zu prüfen waren insbesondere die Übereinstimmung mit den Vorschriften über die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit nach den §§ 29 bis 38 BauGB (§ 65 Satz 1 Nr. 1 BauO Bln) sowie die Anforderungen der Bauordnung für Berlin und der auf ihrer Grundlage erlassenen Vorschriften (§ 65 Satz 1 Nr. 2 BauO Bln).
46
a) Die beabsichtigte Nutzungsänderung in einen bordellartigen Betrieb in der Form eines Laufhauses mit 48 Zimmern war vor Inkrafttreten der Veränderungssperre bauplanungsrechtlich zulässig.
47
aa) Das Vorhaben ist mit den Festsetzungen des gemäß § 30 Abs. 1 BauGB insoweit maßgeblichen Bebauungsplans XI-101u-1 vereinbar. Dieser mit Rechtsverordnung vom 14. Juni 2006, bekannt gemacht im Gesetz- und Verordnungsblatt für Berlin vom 24. Juni 2006 (S. 614), festgesetzte Bebauungsplan ist im Hinblick auf die Planerhaltungsvorschriften der §§ 214, 215 BauGB als wirksam zugrundezulegen.
48
Das Vorhaben gehört zu den in einem Kerngebiet allgemein zulässigen Nutzungen, da es entweder als Vergnügungsstätte (§ 7 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO) oder als sonstiger nicht wesentlich störender Gewerbebetrieb (§ 7 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO) anzusehen ist. Die bisher nicht abschließend geklärte Frage, ob Prostitutionseinrichtungen im Rahmen des § 7 Abs. 2 BauNVO als Vergnügungsstätten oder sonstige Gewerbebetriebe einzuordnen sind (vgl. Stühler, BauR 2010, S. 1013, 1020 ff.), bedarf im vorliegenden Verfahren keiner Entscheidung, denn das Vorhaben der Klägerin ist jedenfalls als sonstiger nicht wesentlich störender Gewerbebetrieb (§ 7 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO) anzusehen. Als Maßstab für eine wesentliche Störung ist dabei, wie bereits vom Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt worden ist, auf die Zweckbestimmung des Kerngebiets abzustellen, wie sie sich aus der entsprechenden Baugebietsvorschrift der Baunutzungsverordnung und der Funktion ergibt, die dem Baugebiet im Verhältnis zu den anderen Baugebieten der Baunutzungsverordnung zukommt. Kerngebiete im Sinne des § 7 BauNVO sind Gebiete für zentrale Funktionen in der Stadt mit vielfältigen Nutzungen sowie einem urbanen Angebot an Gütern und Dienstleistungen für Besucher der Stadt und für die Wohnbevölkerung eines größeren Einzugsbereichs. Der Charakter von Kerngebieten wird u.a. durch die allgemeine Zulässigkeit von Vergnügungsstätten gekennzeichnet (vgl. BVerwG, Beschluss vom 28. Juli 1988 – 4 B 119.88 –, juris Rn. 3). Vorausgesetzt werden dabei von der Baunutzungsverordnung im Hinblick auf die Funktion des Kerngebiets gerade solche Vergnügungsstätten, die für ein größeres und allgemeines Publikum erreichbar sein sollen (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. November 1983 – 4 C 64.79 –, juris Rn. 11). Zwar dienen Kerngebiete in beschränktem Umfang auch dem Wohnen (vgl. § 7 Abs. 2 Nr. 7, Abs. 3 Nr. 2 und Abs. 4 BauNVO). Das Wohnen tritt aber zurück, und zwar sowohl nach Umfang und Gewicht gegenüber den anderen Nutzungen als auch in dem, was ihm im Hinblick auf die Standortanforderungen und die Auswirkungen der „zentralen“ Kerngebietsnutzungen an passiver Rücksichtnahme zuzumuten ist. In Abgrenzung von der Funktion anderer Baugebiete hat die im Kerngebiet zulässige Wohnnutzung ein Mehr an Beeinträchtigungen der Wohnruhe, nämlich gerade die typischerweise von zentralen innerstädtischen Funktionen auch in den Abend- und Nachtstunden ausgehenden Beeinträchtigungen, hinzunehmen als die Wohnnutzung in Gebieten, die vorwiegend oder – wie im Mischgebiet im Verhältnis zur gewerblichen Nutzung – gleichrangig dem Wohnen dienen (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. November 1983 – 4 C 64.79 –, juris Rn. 11).
49
Hieran gemessen steht das Vorhaben der Klägerin nicht im Widerspruch zum Gebietscharakter eines Kerngebiets. Ein bordellähnlicher Betrieb in der Form eines Laufhauses kann nach der von der Rechtsprechung bei der Zuordnung von Nutzungen zu einzelnen Baugebieten regelmäßig zugrundegelegten typisierten Betrachtungsweise (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. November 1983 – 4 C 21.83 –, juris Rn. 12; Beschluss vom 28. Juli 1988, a.a.O., Rn. 2; w.N.b. Stühler, a.a.O., S. 1024) nicht als wesentlich störend im Sinne des § 7 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO angesehen werden, denn die von einer solchen Einrichtung typischerweise zu erwartenden Nachteile und Belästigungen, vor allem der Lärm des Zu- und Abgangsverkehrs und die zu erwartende sonstige „milieubedingte Unruhe“ bis hin zu „milieubedingter Begleitkriminalität“ erreichen die damit vorausgesetzte Schwelle der Erheblichkeit nicht. Insbesondere führen die möglichen Konflikte mit einer im Kerngebiet vorhandenen Wohnnutzung, anders als bei Wohn- und Mischgebieten, wegen der geringeren Schutzwürdigkeit der Wohnnutzung im Kerngebiet und gemessen an dem möglichen Spektrum der dort für allgemein zulässig erklärten Vergnügungsstätten, die, wie etwa eine Diskothek oder Vergnügungsstätten mit sexuellem Bezug, vergleichbar belastende Auswirkungen, namentlich auch zur Nachtzeit, haben können, regelmäßig nicht zur Gebietsunverträglichkeit. Nichts anderes ergibt sich bei der nach Ansicht des Verwaltungsgerichts vorzunehmenden Gesamtschau der bauplanungsrechtlich relevanten Auswirkungen, bei der unter Berücksichtigung des Betriebskonzepts und der Betriebsgröße des Vorhabens der Klägerin auf die konkret zu erwartenden Nachteile abzustellen ist. Denn wie das Verwaltungsgericht dargelegt hat, lassen die von ihm eingeholten Erfahrungsberichte der Polizei- und Ordnungsbehörden anderer Städte, insbesondere bezüglich der Kriminalität, keine Auswirkungen auf die Umgebung befürchten, die über die Auswirkungen anderer in einem Kerngebiet zulässigen Anlagen hinausgehen. Auch der angesichts des Betriebsumfangs zu erwartende Zu- und Abfahrtsverkehr übersteigt voraussichtlich nicht den Rahmen des in einem Kerngebiet zu erwartenden.
50
bb) Das Vorhaben ist nicht nach § 15 BauNVO unzulässig. Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO sind die in den §§ 2 bis 14 BauNVO aufgeführten baulichen und sonstigen Anlagen im Einzelfall unzulässig, wenn sie nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung der Eigenart des Baugebiets widersprechen. Dasselbe gilt gemäß § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO u.a., wenn von ihnen Belästigungen oder Störungen ausgehen können, die nach der Eigenart des Baugebiets im Baugebiet selbst oder in dessen Umgebung unzumutbar sind.
51
§ 15 BauNVO ist eine die Festsetzungen des jeweiligen Bebauungsplans ergänzende Vorschrift, die es ermöglicht, sich aus der Verwirklichung der Festsetzungen ergebende einzelne Konflikte erst im Baugenehmigungsverfahren zu lösen. Dabei ist anerkannt, dass für eine Konfliktlösung im Baugenehmigungsverfahren nur Raum ist, wenn der Bebauungsplan für sie noch offen ist. Nur soweit der Bebauungsplan selbst keine abschließende planerische Entscheidung enthält, ermöglicht § 15 BauNVO eine Nachsteuerung im Baugenehmigungsverfahren. Die Vorschrift erlaubt es dagegen nicht, die Festsetzungen des Bebauungsplans zu korrigieren (vgl. BVerwG, Beschluss vom 6. März 1989, a.a.O., juris Rn. 8).
52
(1) Der Anwendung von § 15 BauNVO steht nicht bereits entgegen, dass der Plangeber mit der Festsetzung eines Kerngebiets gerade beabsichtigte, ein Vorhaben der von der Klägerin geplanten Art zuzulassen. Anlass für die Planaufstellung war die von dem früheren Eigentümer des Vorhabengrundstücks ursprünglich geplante Neubebauung mit einem Büro- und Geschäftshaus. Die Ausweisung des Grundstücks als Kerngebiet lässt mit Ausnahme der durch die textliche Festsetzung Nr. 1 ausgeschlossenen Spielhallen die ganze Bandbreite der in einem Kerngebiet zulässigen gewerblichen Nutzungen zu. Die Zulassung eines Bordells oder bordellähnlichen Betriebs war weder das Ziel der Planung, noch ist sie überhaupt erwogen worden. Ebenso wenig lässt sich dem festgesetzten Ausschluss von Spielhallen – wie die Klägerin meint – im Wege des Umkehrschlusses eine Zulassung bordellähnlicher Betriebe entnehmen.
53
(2) Ein Rückgriff auf § 15 BauNVO ist dem Beklagten jedoch verwehrt, soweit die Unzulässigkeit des Vorhabens damit begründet wird, es komme durch das Zusammentreffen des geplanten Laufhauses mit dem bereits vorhandenen Erotikkaufhaus und -kino sowie der Straßenprostitution zu einer störenden Häufung des Prostitutionsgewerbes und sonstiger Einrichtungen des Sex-Gewerbes und damit zu einer der planerischen Konzeption widersprechenden Strukturveränderung in Richtung auf einen „Rotlichtbezirk“, die zulasten der Wohn- und Einzelhandelsnutzung geht.
54
(a) Aus der die Planung lediglich sichernden und ergänzenden nicht aber plankorrigierenden oder planersetzenden Funktion des § 15 BauNVO folgt, dass der Anwendungsbereich dieser Vorschrift nur eröffnet ist, wenn der Bebauungsplan bestimmte Konflikte im Hinblick auf das Gebot der Konfliktbewältigung rechtmäßigerweise offen lassen durfte, es also zulässig war, ihre Lösung auf die Ebene des Planvollzugs zu verlagern. Das Gebot der Konfliktlösung, abgeleitet aus dem Abwägungsgebot (§ 1 Abs. 7 BauGB), verlangt, dass die der Bebauungsplanung zuzurechnenden Konflikte zwischen den von der Planung berührten Belangen grundsätzlich auch durch Festsetzungen im Bebauungsplan einer Lösung zugeführt werden müssen (vgl. Söfker in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, a.a.O., § 15 BauNVO Rn. 7). Zwar kann ein Bebauungsplan als Ausdruck „planerischer Zurückhaltung“ den von der Planung Betroffenen ein gesteigertes Maß an Gestaltungsmöglichkeiten belassen und die Lösung bzw. den Ausgleich bestimmter Interessenkonflikte, die aufgrund von Festsetzungen des Bebauungsplans im Einzelfall auftreten können, z.B. dem Baugenehmigungsverfahren auf der Grundlage von § 15 BauNVO überlassen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 6. März 1989 – 4 NB 8.89 –, juris Rn. 7). Anders verhält es sich jedoch, soweit es um Konflikte und Belange geht, die zum notwendigen Abwägungsprogramm auf der Ebene der Bauleitplanung gehören. In diesen Fällen liefe es auf eine unzulässige Korrektur des Planes hinaus, wenn die mit den Festsetzungen des Bebauungsplans zugunsten oder zulasten dieser Belange getroffene Entscheidung über die Anwendung des § 15 BauNVO auf der Ebene des Planvollzugs geändert würde. Betroffenheiten, die der Plangeber in den Blick nehmen musste, weil sie zum notwendigen Abwägungsprogramm gehören und die sich als eine typische planbedingte Folge darstellen, können nicht mehr Gegenstand einer Nach- bzw. Feinsteuerung durch die Anwendung des § 15 BauNVO sein, denn sie sind durch die getroffene Abwägungsentscheidung im Umfang der getroffenen Festsetzungen gleichsam aufgezehrt (vgl. OVG Nordrh.-Westf., Beschluss vom 4. Juni 1998 – 10 A 1318.97 –, juris Rn. 35, und Urteil vom 2. März 1999 – 10 A 64911.96 –, juris Rn. 18; BVerwG, Beschluss vom 27. Dezember 1984 – 4 B 278.84 –, juris Rn. 2; Ziegler in Brügelmann, BauGB, a.a.O., § 15 BauNVO Rn. 12). § 15 Abs. 1 BauNVO stellt keinen Ersatz für eine ordnungsgemäße Bauleitplanung dar, sondern dient der Erfassung und Bewältigung atypischer Fälle auf der Ebene des Planvollzugs (vgl. Söfker, a.a.O.).
55
(b) Das Vorhaben gehört – wie bereits ausgeführt worden ist – zu den in einem Kerngebiet allgemein zulässigen Nutzungen mit der Folge, dass im Planungsverfahren abzuwägen war, ob die Auswirkungen eines solchen Betriebes, soweit er sich nach Art und Umfang im Rahmen des in einem Kerngebiet typischerweise zu Erwartenden hält, im Verhältnis zu den übrigen, insbesondere den angrenzenden Nutzungen, hinzunehmen sind.
56
Die durch das Zusammentreffen des Laufhauses mit dem bereits vorhandenen Erotikkaufhaus und -kino sowie der Straßenprostitution möglichen Nutzungskonflikte mussten bei der Festsetzung des Bebauungsplans XI-101u-1 zum Gegenstand der Abwägung gemacht und durften nicht auf das Baugenehmigungsverfahren verlagert werden. Die insoweit mögliche Konfliktsituation lag bereits bei der Festsetzung des Bebauungsplans auf der Hand. Der Plangeber musste die Folgen der Ausweisung eines Kerngebiets für das Vorhabengrundstück bereits im Rahmen der dem Bebauungsplan zugrunde liegenden Abwägung berücksichtigen und bewältigen. Dies gilt speziell für die Folgen, die sich daraus ergeben, dass der Bebauungsplan die Wohnnutzung und die kerngebietstypische Nutzung in mehrfacher Hinsicht unmittelbar nebeneinander zulässt, nämlich zum einen durch die im Kerngebiet oberhalb des sechsten Vollgeschosses zugelassene Wohnnutzung, zum anderen im Hinblick auf die im südlich angrenzenden Bereich des Bebauungsplans XI-101u oberhalb des ersten Vollgeschosses für zulässig erklärte Wohnnutzung und schließlich durch die Festsetzung des westlich an das Kerngebiet angrenzenden allgemeinen Wohngebiets. Ein Hauptanwendungsfall des aus dem Abwägungsgebot abzuleitenden Gebots der Konfliktlösung betrifft die Festsetzung unterschiedlicher, möglicherweise nicht oder nicht ohne weiteres miteinander verträglicher Nutzungen in Nachbarschaft zueinander, wobei die Pflicht zur Lösung der durch die Planung selbst aufgeworfenen Konflikte größer ist als die bereits vorgefundener Konflikte (vgl. Söfker in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, a.a.O., § 15 BauNVO Rn. 7). Dem Plangeber war zudem bei der Aufstellung des Bebauungsplans bekannt, dass die nähere Umgebung des als Kerngebiet ausgewiesenen Vorhabengrundstücks bereits seit Jahrzehnten in wechselndem Ausmaß durch die dort betriebene Straßenprostitution mit entsprechenden Belastungen für die Wohnnutzung geprägt war. Bei der Festsetzung des Bebauungsplans im Juni 2006 war zudem erkennbar, dass das Vorhabengrundstück schon seit Anfang des Jahres 2006 durch das Erotikkaufhaus und -kino L... genutzt wurde. Die Bewältigung der sich aus dem Hinzutreten eines aufgrund der Ausweisung als Kerngebiet zulässigen Bordells möglicherweise ergebenden Konflikte durfte unter diesen Umständen nicht auf das nachfolgende Baugenehmigungsverfahren verlagert werden. Von einer abschließenden Konfliktbewältigung im Bebauungsplan darf der Plangeber nur dann Abstand nehmen, wenn bei vorausschauender Betrachtung die Durchführung der als notwendig erkannten Maßnahmen zur Konfliktlösung außerhalb des Planungsverfahrens auf der Stufe der Verwirklichung der Planung sichergestellt ist (st. Rspr. d. BVerwG, vgl. u.a. Beschluss vom 21. Dezember 2011 – 4 B 14.11 –, juris Rn. 13 m.w.N.).
57
Der Anwendungsbereich des § 15 Abs. 1 BauNVO ist nur eröffnet, wenn bei einem Vorhaben aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalles ein qualifizierter Ausnahmefall vorliegt, nicht aber, wenn sich bereits aus der Verwirklichung eines nach den Baugebietsvorschriften der Baunutzungsverordnung generell zulässigen Vorhabens – ohne hinzutretende atypische Besonderheiten – ein Nutzungskonflikt ergibt. In diesen Fällen kommt eine Konfliktlösung nur auf der Ebene des Bebauungsplans, nämlich durch den Ausschluss einzelner nach der Baunutzungsverordnung allgemein zulässiger Nutzungsarten oder -unterarten (vgl. § 1 Abs. 5 und 9 BauNVO) in Betracht. Vorliegend hätte der Plangeber deshalb bei der Aufstellung des Bebauungsplans den möglichen Ausschluss von Vergnügungsstätten und anderer Gewerbebetriebe mit sexuellem Bezug, namentlich von Bordellen und bordellähnlichen Einrichtungen erwägen müssen (vgl. zur Zulässigkeit des Ausschlusses derartiger Nutzungen nach § 1 Abs. 5 und 9 BauNVO Stühler, a.a.O., S. 1015). Die gleichwohl getroffene Ausweisung eines Kerngebiets ohne derartige Einschränkungen hat zur Folge, dass die mit der Festsetzung eines Kerngebiets planbedingt vorgegebenen typischen Betroffenheiten bei der Anwendung des § 15 BauNVO nicht mehr zulasten eines zur Genehmigung stehenden Vorhabens berücksichtigt werden können.
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Dem lässt sich nicht entgegenhalten, bei der Festsetzung des Bebauungsplans XI-101u-1 sei dem Plangeber ein konkretes Vorhaben, auf dem Grundstück einen bordellartigen Betrieb anzusiedeln, noch nicht bekannt gewesen. Angesichts der konkreten Umstände hätte es sich vielmehr aufgedrängt, auch eine solche Entwicklung in Erwägung zu ziehen. Der Plangeber muss die aufgrund geplanter Festsetzungen des Bebauungsplans zu erwartenden Nutzungskonflikte in den Blick nehmen, was eine sorgfältige Analyse des Bestandes und eine Prognose der zukünftigen Entwicklung voraussetzt (vgl. zum Trennungsgebot BVerwG, Beschluss vom 8. März 2010 – 4 B 76.09 –, juris Rn. 7). Hier lag eine mögliche Ansiedlung weiterer Betriebe des „Rotlichtgewerbes“ im Hinblick auf die das Gebiet prägende Straßenprostitution und das auf dem Grundstück bereits angesiedelte Erotikkaufhaus und -kino durchaus nahe. Hinzu kam, dass das ursprüngliche Bauvorhaben, das die Aufstellung des Bebauungsplans veranlasst hatte, seit mehreren Jahren nicht mehr betrieben worden war, und Pläne, das Grundstück einer anderen geschäftlichen Nutzung, z.B. durch Ansiedlung eines Hotels, zuzuführen, ebenfalls nicht weiterverfolgt worden waren.
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(3) Der von der Klägerin geplante Betrieb eines Laufhauses lässt ausweislich der eingereichten Betriebsbeschreibung im Verhältnis zu den Festsetzungen des Bebauungsplans XI-101u-1 keine die Annahme eines qualifizierten Ausnahmefalles rechtfertigenden atypischen Besonderheiten oder sonstigen besonderen Umstände erkennen, die einer Regulierung auf der Grundlage von § 15 BauNVO zugänglich wären.
60
Bei dem Vorhabengrundstück handelt es sich um ein in hohem Maß gewerblich ausnutzbares Grundstück. Das festgesetzte Kerngebiet umfasst allein das Vorhabengrundstück, dessen Nutzung lediglich insoweit eingeschränkt ist, als der Plangeber von der Möglichkeit, bestimmte allgemein zulässige Nutzungsarten bzw. -unterarten auszuschließen (§ 1 Abs. 5 und 9 BauNVO), nur im Hinblick auf Spielhallen Gebrauch gemacht hat (textliche Festsetzung Nr. 1). Allerdings hat er oberhalb des sechsten Vollgeschosses (bei bis zu acht möglichen Vollgeschossen) eine Wohnnutzung allgemein zugelassen (vgl. textliche Festsetzung Nr. 3), um die an der Potsdamer Straße bestehende Nutzungsverflechtung von Wohnen und Gewerbe beizubehalten und neu zu ordnen (vgl. S. 13 der Planbegründung). Aber auch eine im Kerngebiet angesiedelte Wohnnutzung bleibt grundsätzlich verpflichtet, den ihr im Kerngebiet zumutbaren erhöhten Grad an Störungen hinzunehmen (vgl. Söfker in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, a.a.O., § 7 BauNVO Rn. 40 f.). Derartigen Störungen ist die im Kerngebiet eingeschränkt zugelassene Wohnnutzung hier infolge der in weitaus größerem Umfang zugelassen kerngebietstypischen Nutzung planbedingt ausgesetzt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Wohnnutzung durch den Bebauungsplan XI-101u-1 gegenüber den Festsetzungen des Bebauungsplans XI-101u, der für das Vorhabengrundstück eine Wohnnutzung bereits oberhalb des ersten Vollgeschosses zuließ, zugunsten einer kerngebietstypischen Nutzung eingeschränkt wurde. Zudem sieht der Bebauungsplan nicht vor, dass in bestimmten Geschossen oder Anteilen der Geschossfläche ausschließlich eine Wohnnutzung zulässig ist (§ 7 Abs. 4 BauNVO). Darüber hinaus ist das Vorhabengrundstück, wie sich aus der Planbegründung des Bebauungsplans XI-101u-1 ergibt, erheblichen Lärm- und Abgasbelastungen an der stark frequentierten Potsdamer Straße ausgesetzt, die die Wohnqualität dort ohnehin mindern. Weiter ist in die Betrachtung einzubeziehen, dass im südlich angrenzenden Bereich des Bebauungsplans XI-101u gleichfalls ein Kerngebiet festgesetzt ist und unmittelbar westlich an das Kerngebiet zwar ein allgemeines Wohngebiet angrenzt, das Plankonzept allerdings darin bestehen dürfte, dass die Kerngebietsnutzung zur Potsdamer Straße hin orientiert ist und sich erst zum Blockinnenbereich nach Westen hin ruhigere Zonen anschließen.
61
Das von der Klägerin geplante Laufhaus überschreitet nicht das Maß einer kerngebietstypischen Nutzung. Es handelt sich um das erste Vorhaben dieser Art, das in dem Kerngebiet verwirklicht werden soll, das sich im Umfang, sei es hinsichtlich der Größe oder bezüglich der geplanten Betriebszeiten, nicht erheblich von anderen kerngebietstypischen Vorhaben unterscheidet. Hierbei ist davon auszugehen, dass sich in einem Kerngebiet typischerweise anzusiedelnde Einrichtungen an ein größeres und allgemeines Publikum richten. Anhaltspunkte dafür, dass die zu erwartenden konkreten Auswirkungen des Vorhabens in atypischer Weise das Maß anderer kerngebietstypischer Betriebe, z.B. einer Diskothek mit überörtlichem Einzugsbereich, überschreiten, sind nicht ersichtlich.
62
b) Wegen der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens stand der Klägerin bei Inkrafttreten der Veränderungssperre ein Anspruch auf (erneute) Entscheidung über ihren Bauantrag zu. Der Beklagte wäre jedenfalls bis zu diesem Zeitpunkt verpflichtet gewesen, die Sache hinsichtlich der noch fehlenden bauaufsichtlichen Prüfung des Brandschutznachweises spruchreif zu machen und auf dieser Grundlage über die Erteilung der Baugenehmigung zu entscheiden.
63
Vor der Erledigung ihres Verpflichtungsbegehrens konnte die Klägerin die Erteilung der beantragten Baugenehmigung nicht beanspruchen, weil der Beklagte die nach § 67 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 BauO Bln erforderliche bauaufsichtliche Prüfung des Brandschutznachweises wegen der von ihm angenommenen Unzulässigkeit des Vorhabens nach § 15 BauNVO zurückgestellt hatte. Ohne diese Prüfung darf die Baugenehmigung jedoch nicht erteilt werden, da der Bericht über den geprüften Brandschutznachweis gemäß § 14 Abs. 3 BauVerfVO im Genehmigungsverfahren nach § 65 BauO Bln der Bauaufsichtsbehörde vor Erteilung der Baugenehmigung vorliegen muss.
III.
64
Der weitere Hilfsantrag hat gleichfalls Erfolg.
65
1. Der Antrag ist zulässig. Er richtet sich auf die Feststellung eines Bescheidungsanspruchs der Klägerin in einem früheren, dem Eintritt der Erledigung vorangehenden Zeitraum. Eine solche Feststellung kann zwar regelmäßig nicht zum Inhalt einer Fortsetzungsfeststellungsklage gemacht werden, da sich der für die Beurteilung maßgebliche Zeitpunkt nicht mit dem des ursprünglichen Begehrens deckt und somit der Streitgegenstand ausgewechselt bzw. erweitert wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Januar 1992 – 7 C 24.91 –, juris Rn. 7 ff.). Zulässig kann es allerdings sein, eine Fortsetzungsfeststellungsklage um einen Feststellungsantrag (§ 43 Abs. 1 VwGO) zu erweitern, der sich darauf bezieht, dass zu einem früheren Zeitraum ein Anspruch auf Genehmigung bestand (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. April 1999 – 4 C 4.98 –, juris Rn. 15 ff.; vgl. ferner Beschluss vom 21. Oktober 2004 – 4 B 76.04 –, juris Rn. 2). Entsprechendes muss für einen Antrag gelten, der sich auf die Feststellung eines in einem früheren Zeitraum bestehenden Bescheidungsanspruchs richtet. Für eine solche Klageerweiterung müssen die Voraussetzungen einer Klageänderung (§ 91 VwGO) vorliegen. Ist sie zulässig, so sind an das Feststellungsinteresse geringere Anforderungen zu stellen als bei einer isolierten Feststellungsklage. Insoweit kann an die gesetzliche Wertung des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO angeknüpft werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. April 1999, a.a.O., Rn. 20).
66
Die Voraussetzungen des § 91 VwGO liegen hier vor, weil sich der Beklagte rügelos auf die geänderte Klage eingelassen hat (§ 91 Abs. 2 VwGO). Auch sonst bestehen keine Bedenken gegen die Zulässigkeit des Antrags. Er ist auf ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis gerichtet. Bei der gebotenen Anknüpfung an die Maßstäbe nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO ist ein Feststellungsinteresse zu bejahen, denn die beantragte Feststellung zum Zeitpunkt eines Bescheidungsanspruchs kann für den Umfang möglicher Entschädigungsansprüche der Klägerin von Bedeutung sein.
67
2. Der Antrag ist begründet. Die Klägerin konnte jedenfalls seit dem 13. Februar 2008 eine Bescheidung ihres Bauantrags beanspruchen.
68
Allerdings ergibt sich eine Entscheidungspflicht ab diesem Datum nicht unmittelbar aus § 70 Abs. 3 BauO Bln. Danach entscheidet die Bauaufsichtsbehörde über den Bauantrag innerhalb einer Frist von einem Monat, die beginnt, sobald alle für die Entscheidung notwendigen Stellungnahmen vorliegen. Diese Frist ist im vorliegenden Fall nicht in Gang gesetzt worden, da bisher kein Ergebnis der nach § 67 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 BauO Bln erforderlichen bauaufsichtlichen Prüfung des Brandschutznachweises vorlag. Bei dem über diese Prüfung zu erstellenden Prüfbericht (vgl. § 19 Abs. 4 i.V.m. § 13 Abs. 6 Satz 3 BauPrüfV) handelt es sich, wie § 13 Abs. 2 Satz 2 BauVerfVO klarstellt, um einen notwendigen Nachweis im Sinne des § 70 Abs. 3 Satz 2 BauO Bln. Die Frist des § 70 Abs. 3 BauGB beginnt deshalb erst ab dem Eingang dieses Berichts.
69
Dass der Lauf der Frist des § 70 Abs. 3 BauO Bln nicht begonnen hat, kann indes nicht dazu führen, dass die Bauaufsichtsbehörde ihrer Pflicht, innerhalb angemessener Frist über den Bauantrag zu entscheiden, dauerhaft enthoben wäre. Vielmehr wäre sie bei zutreffender Beurteilung der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens gehalten gewesen, entweder alsbald die Klägerin aufzufordern, die Prüfung des Brandschutznachweises durch eine Prüfingenieurin oder einen Prüfingenieur zu veranlassen, oder diese Prüfung selbst vorzunehmen, was aufgrund der Regelung des § 13 Abs. 3 BauVerfVO, solange Prüfingenieurinnen und Prüfingenieure für Brandschutz nicht in ausreichender Zahl zur Verfügung stehen, ebenfalls in Betracht kommt und wozu sie durch die Beteiligung der Feuerwehr bereits angesetzt hatte. In Anlehnung an die Regelung des § 75 Satz 2 VwGO und in Ermangelung hinreichender Anhaltspunkte für die Annahme einer anderen Frist, erscheint es angemessen, dem Beklagten hierzu sowie für die anschließende Bescheidung des Bauantrags eine Frist von drei Monaten einzuräumen, so dass, je nachdem, ob von dem Datum der letztmaligen Vervollständigung des Bauantrags am 13. August 2007 durch Einreichung geänderter Unterlagen zum Brandschutznachweis oder von dem Eingang der Stellungnahme der Feuerwehr am 5. September 2007 auszugehen ist, eine Entscheidung über den Bauantrag bis zum 13. November 2007 oder bis zum 5. Dezember 2007 hätte getroffen werden müssen. Hinzu kommt allerdings die durch die Anhörung der Klägerin eingetretene Verfahrensverzögerung, die sich die Klägerin entgegenhalten lassen muss, da sie nach der Anhörung mit Schreiben des Beklagten vom 31. Oktober 2007 nicht umgehend auf einer sofortigen Entscheidung über den Bauantrag bestanden, sondern am 14. November 2007 zunächst eine Stellungnahmefrist erbeten und sich am 10. Dezember 2007 in der Sache auf die Anhörung eingelassen hat. Dies rechtfertigt es, der Bauaufsichtsbehörde die nochmalige Einholung einer Stellungnahme des Planungsamtes, die schließlich am 13. Januar 2008 vorlag, sowie – in entsprechender Anwendung des § 70 Abs. 3 BauO Bln – eine nochmalige Bearbeitungsfrist von einem Monat einzuräumen, so dass ein Anspruch der Klägerin auf Bescheidung des Bauantrags erst ab dem 13. Februar 2008 bestand.
70
Der Bescheidungsanspruch ist, wie von der Klägerin beantragt, für den gesamten Zeitraum bis zum 30. September 2011 festzustellen. Er endete nicht mit dem Wirksamwerden des Aufstellungsbeschlusses am 6. Mai 2011, mit dem die Voraussetzungen für eine Zurückstellung nach § 15 BauGB vorgelegen hätten, denn das mögliche Sicherungsmittel der Zurückstellung entfaltet seine Wirkung erst dann, wenn es tatsächlich ergriffen wird (vgl. BVerwG, Beschluss vom 2. Oktober 1998 – 4 B 72.98 –, juris Rn. 7).
IV.
71
Ebenfalls Erfolg hat der auf die Aufhebung der Gebührenfestsetzung im Widerspruchsbescheid vom 16. Juli 2008 gerichtete Hilfsantrag.
72
1. Der Antrag ist zulässig. Die Gebührenfestsetzung im Widerspruchsbescheid stellt einen selbständig anfechtbaren Verwaltungsakt dar. Die Klägerin hat hiergegen rechtzeitig Klage erhoben, denn als Bestandteil des Widerspruchsbescheids war die Gebührenfestsetzung von dem mit dem Verpflichtungsbegehren anhängig gemachten Aufhebungsbegehren umfasst. Eines Vorverfahrens bedurfte es insoweit gemäß § 68 Abs. 1 Satz 2 VwGO nicht.
73
2. Der Antrag ist begründet. Die Gebührenfestsetzung für das Widerspruchsverfahren ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO), da der Widerspruch mit der dem Widerspruchsbescheid zugrunde gelegten Begründung nicht hätte zurückgewiesen werden dürfen.
V.
74
Die Zuziehung der Bevollmächtigten der Klägerin im Vorverfahren gemäß § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO war für notwendig zu erklären, da sie vom Standpunkt einer verständigen, nicht rechtskundigen Partei für erforderlich gehalten werden durfte.
75
Die Kostenentscheidung beruht auf den § 154 Abs. 1 und 2 VwGO. Sie umfasst, nachdem der Senat das Urteil des Verwaltungsgerichts insgesamt geändert hat, auch die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens. Die Quotelung ergibt sich zum einen daraus, dass der Verpflichtungsantrag, mit dem die Klägerin unterlegen geblieben ist, in beiden Rechtszügen anhängig war, während die für die Klägerin erfolgreichen Feststellungsanträge nur im Berufungsverfahren Streitgegenstand waren. Davon abgesehen sind die Feststellungsanträge wertmäßig niedriger zu veranschlagen, zumal sie lediglich auf die Feststellung eines Bescheidungsanspruchs gerichtet waren.
76
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
77
Die Revision ist in Bezug auf die Entscheidung über den Hauptantrag zu 1., d.h. die Verpflichtungsklage zuzulassen, weil das Urteil von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur entsprechenden Anwendbarkeit des § 17 Abs. 1 Satz 2 BauGB in Fällen der sog. faktischen Zurückstellung abweicht und auf dieser Abweichung beruht (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Hinsichtlich der Entscheidung über die anderen Anträge ist die Revision nicht zuzulassen, weil keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Gründe vorliegt.
78
Beschluss
79
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 897.120 Euro festgesetzt.
80
Gründe
81
Die Streitwertfestsetzung findet ihre Grundlage in § 52 Abs. 1 GKG. Der Senat schätzt das wirtschaftliche Interesse der Klägerin an der beantragten Baugenehmigung im Rahmen des ihm zustehenden Ermessens als gleichwertig mit dem Interesse an einer Baugenehmigung für eine Spielhalle ein. Die Festsetzung orientiert sich deshalb an der Empfehlung in Ziff. 9.1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit aus dem Jahre 2004 (600 Euro/m² Nutzfläche ohne Nebenräume), wobei der Berechnung die von der Klägerin erstinstanzlich mitgeteilte Nutzfläche von 1.495,20 m² zugrundeliegt. Die auf Feststellung gerichteten Hilfsanträge führen nicht zu einer Erhöhung. Sie sind wertmäßig insgesamt niedriger zu veranschlagen als der auf die Verpflichtung zur Erteilung der B
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hier noch mal der link.
Ich kommentiere die Entscheidung gern später wenn gewünscht.
http://www.gerichtsentscheidungen.berli ... true&bs=10
Kasharius
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RE: Berliner Rechtssprechung
Noch kurz zur Erläuterung. Die wichtigsten Passagen dieser Entscheidung finden sich unter den Randziffern 53-56. Das OVG erteilt hier dem Argument der Baubehörde und der ersten Instanz, die Genehmigung würde wegen des vorhandenen Straßenstrichs und des Sex-Kinos den unteren Etagen des "Wegert-Hauses" würde zu einem sog. "Trading-down"-Effekt führen und den Bereich zu einem "Rotlicht-Bezirk" etablieren eine deutliche Absage. Derartige Erwägungen hätten bereits bei Aufstellung des Bebauungsplans angestellt werden müssen und könnten nun nicht in das Baugenehmigungsverfahren hineinverlagert werden. Die Existenz des Straßenstrichs und des Sex-Kinos seien zudem jahrelang bekannt gewesen. Außerdem weist das Gericht darauf hin, daß das geplante Laufhaus in dem als Kerngebiet deklarierten Bereich nach seiner Konzeptionzulässig sei wobei es die Frage offenläßt, ob es sich bei dem Bordellbetrieb um eine Vergnügungsstätte oder einen Gewerbebetrieb eigener Art handle; die ebenfalls in diesem Forum hier eingestellte Entscheidung des VGH Baden-Württemberg hat diese Frage in Hinblick auf letzteres beantwortet und festgestellt, daß Bordelle keine Vergnügungsstätten sind und daher in Gewerbegebieten grundsätzlich zu genehmigen seien(s.dort Lokales BW). Die revisionsrechtliche Frage die dann eventuell vom Bundesverwaltungsgericht zu beurteilen sein wird, betrrifft das rechtlihe Problem der Veränderungssperre und dürfte für die hier interessierende Frage der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit bordellartiger Betriebe eher von untergeordneter Bedeutung sein, da es lediglich um die Frage geht, inwieweit wegen einer sog. Veränderungssperre gemäß den §§ 14, 15 Baugesetzbuch eine Entschädigungsanspruch besteht (vgl. auch §§ 17 18 Baugesetzbuch).
Soweit erstmal von mir zu dieser wichtigen Berliner Entscheidung. Vor dem OVG Berlin-Brandenburg ist noch eine Entscheidung anhängig. Sie betrifft ein ganz kleines Wohnungsbordell, das Carat, in Berlin-Lichtenberg. In erster Instanz hatte die Klägerin verloren. Die 13. Kammer des VG Berlin, die erstinstanzlich auch für das geplante Laufhaus im Wegert-Haus zuständig war, bestätigte in der das Carat betreffenden Entscheidung die Nutzungsuntersagung, da sich das Bordell in einemals allgemeines Wohngebiet zu deklarierendem Gebiet befand. In dieser Entscheidung setzt sich die 13. Kammer auch kritisch mit der berühmten Prestige-Entscheidung der 19.Kammer des VG Berlin auseinander und distanziert sich von dieser (vgl. Randziffer 34 der Entscheidung der 13. Kammer).
Hier zunächst der link zur Carat-Entscheidung:
http://www.gerichtsentscheidungen.berli ... focuspoint
und der linkzur Prestige-Entscheidung:
http://www.gerichtsentscheidungen.berli ... focuspoint
Beide Entscheidungen sind sehr lang und ich scheue mich etwas sie hier im Wortlaut einzustellen...
Bei Fragen zu den Entscheidungen und ihren Hintergründen einfach melden.
Kasharius
Soweit erstmal von mir zu dieser wichtigen Berliner Entscheidung. Vor dem OVG Berlin-Brandenburg ist noch eine Entscheidung anhängig. Sie betrifft ein ganz kleines Wohnungsbordell, das Carat, in Berlin-Lichtenberg. In erster Instanz hatte die Klägerin verloren. Die 13. Kammer des VG Berlin, die erstinstanzlich auch für das geplante Laufhaus im Wegert-Haus zuständig war, bestätigte in der das Carat betreffenden Entscheidung die Nutzungsuntersagung, da sich das Bordell in einemals allgemeines Wohngebiet zu deklarierendem Gebiet befand. In dieser Entscheidung setzt sich die 13. Kammer auch kritisch mit der berühmten Prestige-Entscheidung der 19.Kammer des VG Berlin auseinander und distanziert sich von dieser (vgl. Randziffer 34 der Entscheidung der 13. Kammer).
Hier zunächst der link zur Carat-Entscheidung:
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und der linkzur Prestige-Entscheidung:
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Mist! Der link zur Prestige-Entscheidung ist falsch. Neuer Versuch:
http://www.gerichtsentscheidungen.berli ... true&bs=10
Ich stümper hier ganz schön rum Tschuldigung liebe Admins

http://www.gerichtsentscheidungen.berli ... true&bs=10
Ich stümper hier ganz schön rum Tschuldigung liebe Admins


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Salon-Prestige-Entscheidungsgründe im Volltext
Ich hatte hier schon mehrfach auf die sehr bedeutsame Prestige-Entscheidung des VG Berlin hingewiesen. Sie wurde erstritten durch die nunmehrige Betreiberin des Berliner Bordells AGENTUR LIBERTY mit Unterstützung von Rechtsanwältin v. Gahlen. Ich darf das denke ich schreiben, da alles durch entsprechende Presseberichte bekannt ist.
Urteil Verwaltungsgericht Berlin:
Wohnungsbordell Salon Prestige darf im Mischgebiet und Wohnhaus bleiben, weil von ihm keine Störungen ausgehen.
Das wurde fallweise beim Ortstermin von Richterin überprüft. Eine sog. Milieutypische Störung darf nicht einfach nur typisierend den Sexarbeitstätten unterstellt werden!
Presseartikel hier www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?p=55876#55876 [MoF]
Hier nun die Entscheidungsgründe im Volltext:
VG Berlin 19. Kammer
Entscheidungsdatum: 06.05.2009
Aktenzeichen: 19 A 91.07
Dokumenttyp: Urteil
Quelle: juris Logo
Normen: § 63 BauO BE, § 6 Abs 1 BauNVO
Bauplanungsrecht: Zulässigkeit einer Nutzungsänderung von Ladenräumen in ein Wohnungsbordell
Tenor
Es wird festgestellt, dass das Vorhaben der Klägerin zur Nutzungsänderung der Ladeneinheit im Erdgeschoss im Haus Ri.straße ...in 1... Berlin in eine prostitutive Einrichtung nach Maßgabe der Betriebsbeschreibung vom 28. September 2006 den Festsetzungen als gemischtes Gebiet des Baunutzungsplanes in Verbindung mit § 7 Nr. 9 der Bauordnung für Berlin 1958 entspricht.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.
Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils beizutreibenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Die Berufung wird zugelassen.
Entscheidungsgründe
20
A. Die Klage ist im Hauptantrag als Festgestellungsklage gemäß § 43 VwGO zulässig und begründet.
21
I. Feststellungsfähig sind u.a. Eigenschaften einer Sache oder eines Betriebes, an deren Vorliegen das Bestehen von Rechten und Pflichten geknüpft ist (Kopp/Schenke, VwGO, 15. Auflage 2007, § 43 Rdn. 13). Eine solche rechtserhebliche Eigenschaft ist die Übereinstimmung eines Bauvorhabens mit den Festsetzungen eines Bebauungsplanes (Plankonformität), da diese Voraussetzung für die Eröffnung des Anwendungsbereiches des Genehmigungsfreistellungsverfahrens nach § 63 der Bauordnung für Berlin in der Fassung vom 29. September 2005 (GVBl. S. 495), zuletzt geändert durch § 9 des Gesetzes vom 7. Juni 2007 (GVBl. S. 222) - BauO Bln - ist. Das erforderliche Feststellungsinteresse ist gegeben, denn die Klägerin muss sich nicht auf Rechtsschutzmöglichkeiten gegen eine eventuell spätere Nutzungsuntersagung verweisen lassen. Der Zulässigkeit der Feststellungsklage steht auch nicht entgegen, dass die eingereichten Bauvorlagen nach wie vor nicht vollständig sein dürften, denn Gegenstand der Klage ist insoweit nicht die Berechtigung zur Aufnahme der Nutzung - die Baufreigabe im engeren Sinne - (vgl. § 63 Abs. 3 Sätze 2 und 3 BauO Bln), sondern nur die Zulässigkeit der Nutzungsart im bauplanungsrechtlichen Sinne. Hierzu sei nur ergänzend angemerkt, dass der Bauherr zwar hinsichtlich der bauordnungsrechtlichen Anforderungen an ein Vorhaben im Verfahren nach § 63 BauO Bln die alleinige Verantwortung für die materiellen Legalität (vgl. § 60 Abs. 2 BauO Bln) trägt, da insoweit eine Prüfung der Bauaufsichtsbehörde entfällt, dies ihn jedoch nicht von der Verpflichtung entbindet, die erforderlichen Unterlagen (§ 63 Abs. 3 Satz 1 BauO Bln) nach Maßgabe der Verordnung über Bauvorlagen, bautechnische Nachweise und das Verfahren im Einzelnen (Bauverfahrensverordnung – BauVerfVO) vom 19. Oktober 2006 (GVBl. Seite 1035) einzureichen, um mit dem Vorhaben nach § 63 Abs. 3 BauO Bln beginnen zu dürfen.
22
Der Klägerin fehlt auch nicht das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis, denn das Vorhaben ist nicht bereits aus anderen Gründen offensichtlich unzulässig. So ist weder die Möglichkeit zur vollständigen Einhaltung der bauordnungsrechtlichen Anforderungen (Brandschutz, Rettungswege, Arbeitsstätten etc.), noch eine Betriebsführung aus gewerberechtlichen Gründen von vornherein ausgeschlossen.
23
II. Die Klage ist mit dem Hauptantrag begründet. Die Entsprechung der prostitutiven Einrichtung der Klägerin mit den Festsetzungen des Baunutzungsplanes 1958/60 i.V.m. § 7 Nr. 9 BO 58 war festzustellen, weil es sich um einen im gemischten Gebiet ausnahmsweise zulässigen gewerblichen Betrieb mittlerer Größe handelt, der keine Nachteile oder Belästigungen für die nähere Umgebung nach dem Maßstab der für das Grundstück geltenden bauplanungsrechtlichen Ausweisungen und Regelungen verursachen kann.
24
1. Der Anwendungsbereich des Genehmigungsfreistellungsverfahren nach § 63 BauO Bln ist eröffnet. Nach Absatz 1 dieser Vorschrift bedarf die Nutzungsänderung baulicher Anlagen, die keine Sonderbauten sind, unter den Voraussetzungen des Absatzes 2 keiner Genehmigung. Die prostitutive Einrichtung der Klägerin unterfällt nicht der verfahrenssteuernden Legaldefinition von Sonderbauten nach § 2 Abs. 4 BauO Bln, so dass eine Genehmigungspflicht gemäß § 60 Abs. 1 BauO Bln mit dem vollen Prüfprogramm der Bauaufsichtsbehörde nach § 65 Satz 1 BauO Bln nicht besteht. Die Voraussetzungen des Absatzes 2 Nr. 1 a sind gleichfalls erfüllt, denn das Vorhabengrundstück liegt im Geltungsbereich des Baunutzungsplanes von 1958/60, der mit der Gebietsfestsetzung als gemischtes Gebiet der Baustufe V/3 in Verbindung mit den planungsrechtlichen Vorschriften der BO 58, sowie den förmlich festgestellten Straßen- und Baufluchtlinien als qualifizierter Bebauungsplan im Sinne von § 30 Abs. 1 BauGB fort gilt (vgl. § 173 BBauG).
25
2. Nach § 7 Nr. 9 BO 58 sind im gemischten Gebiet allgemein zulässig: Wohngebäude, Geschäfts- und Bürohäuser und Ladengeschäfte sowie gewerbliche Kleinbetriebe, wenn sie keine Nachteile oder Belästigungen für die nähere Umgebung verursachen können. Ferner sind Gebäude für soziale, kulturelle, gesundheitliche und sportliche Zwecke und Verwaltung, Gaststätten, Hotels, Fremdenheime, Versammlungsräume, Vergnügungsstätten und ähnliches gleichfalls allgemein zulässig. Ausnahmsweise sind gewerbliche Betriebe mittleren Umfangs zulässig, wenn sie keine Nachteile oder Belästigungen für die nähere Umgebung verursachen können. Diese Nutzungsstruktur weicht teilweise von der in § 6 BauNVO 1990 umschriebenen Struktur für ein Mischgebiet ab. Dies gilt namentlich für die Zulässigkeit von Vergnügungsstätten, die im Gegensatz zur Regelung des übergeleiteten Berliner Rechts nicht ausdrücklich als allgemein zulässige Anlagen aufgeführt sind. § 6 Abs. 2 Nr. 8 BauNVO 1990 bestimmt demgegenüber, dass nicht kerngebietstypische Vergnügungsstätten nur in den Teilen eines Mischgebietes zulässig sind, die überwiegend durch gewerbliche Nutzung geprägt sind, während außerhalb dieser Bereiche nach Absatz 3 der Vorschrift Vergnügungsstätten nur im Wege einer Ausnahme nach § 31 Abs. 1 BauGB zugelassen werden können. Insgesamt gilt aber der Grundsatz, dass Maßstab für die Zuordnung von Nutzungen zu einem Baugebiet dessen Funktion im Verhältnis zu anderen Baugebieten mit Blick auf die Schutzwürdigkeit der im jeweiligen Baugebiet zulässigen Nutzungen ist. Die im jeweiligen Baugebiet nach der Baunutzungsverordnung oder – wie vorliegend nach dem übergeleiteten Planungsrecht – zulässigen Nutzungen ergeben eine gebietstypische Nutzungsstruktur, in der miteinander verträgliche Arten von Nutzungen zusammengefasst und von anderen Nutzungsarten abgegrenzt werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 24.September 1992 - 7 C 7.92 -,NVwZ 1993, 987 f.).
26
Für ein Mischgebiet nach der Baunutzungsverordnung beurteilt sich die Gebietsverträglichkeit aus dem Nebeneinander von Wohnen und der Unterbringung von Gewerbebetrieben. Beide Nutzungsarten stehen gleichberechtigt nebeneinander mit der Maßgabe, dass das Wohnen nicht wesentlich gestört werden darf (zum Ganzen: Fickert/Fieseler, BauNVO, 11. Auflage 2008, § 6 Rdn. 11 ff.). Dieses Nebeneinander ist ebenso städtebauliches Leitbild eines gemischten Gebietes nach der BO 58, wobei bei der Zulassung nichtstörender mittlerer Betriebe nach der Ausnahmeregelung des § 7 Nr. 9 Satz 2 BO 58 ein großzügiger Maßstab in der Großstadt gerechtfertigt ist (von Feldmann/Knuth, Berliner Planungsrecht, 3. Auflage 1998, Rdn. 112). Entsprechend und im Interesse einer Harmonisierung der Regelungen (vgl. OVG Berlin, Beschluss vom 26. Februar 1993 -2 S 1.93 -, BRS 55 Nr. 161; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 30. März 2007- 2 N 249.05 -, zitiert nach Juris, Rdn.15, m.w.N.) ist auch die Einschränkung bezüglich des nicht mehr zulässigen Störungspotenzials („keine Nachteile oder Belästigungen“) im Sinne eines Ausschlusses der das Wohnen wesentlicher Störungen zu verstehen.
27
3. Die Kammer ordnet das Vorhaben der Klägerin zur Bestimmung der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit als gewerblichen Betrieb mit einem – für eine prostitutive Einrichtung – mittleren Umfang ein. Die Zuordnung prostitutiver Einrichtungen zu den Kategorien des Bauplanungsrechts weist in der Rechtsprechung und Literatur eine sehr große Bandbreite auf.
28
a) Das Bundesverwaltungsgericht hatte sich erstmals im Jahre 1983 mit der planungsrechtlichen Zulässigkeit eines Bordells in einem Gewerbegebiet zu befassen und dieses dem Begriff der „Gewerbebetriebe aller Art“ im Sinne des § 8 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO 1977 zugeordnet (Urteil vom 25. November 1983 - 4 C 21.83 -, E 68, 213, 214). In der Entscheidung wurde offen gelassen, ob Bordellbetriebe Vergnügungsstätten im Sinne der Baunutzungsverordnung und damit in erster Linie den Kerngebieten und in zweiter Linie auch den besonderen Wohngebieten zugeordnet seien, denn jedenfalls handele es sich um eine atypische Art der von der Baunutzungsverordnung gemeinten Vergnügungsstätten wie Kinos, Tanzbars, Kabaretts usw. (BVerwG ebenda Seite 215). Eine Vergnügungsstätte konnte nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu den früheren Fassungen der Baunutzungsverordnung zugleich auch ein „sonstiger Gewerbebetrieb“ im Sinne des § 6 Abs. 2 Nr. 4 BauNVO 1977 sein, denn die Benennung spezieller gewerblicher Nutzungsarten wie der der Vergnügungsstätten bei einzelnen Baugebieten zeitigte nicht schlechthin eine Ausschlusswirkung für andere Baugebiete, bei denen die spezielle gewerbliche Nutzungsart neben „sonstigen Gewerbebetrieben“ oder neben „Gewerbebetrieben aller Art“ nicht ausdrücklich aufgeführt waren (BVerwG ebenda Seite 214; BVerwG, Urteil vom 25. November 1983 - 4 C 64.79 -, E 68, 207, 209). Nach der Novellierung der Baunutzungsverordnung stellt der Begriff der Vergnügungsstätte nunmehr einen eigenständigen städtebaulichen Nutzungsbegriff dar, der aus dem allgemeinen Begriff der Gewerbebetriebe herausgenommen wurde. Die Zulassung einer Vergnügungsstätte als „sonstiger Gewerbebetrieb“ kommt daher nach der Baunutzungsverordnung 1990 nicht mehr in Betracht (BVerwG, Beschluss vom 9. Oktober 1990 - 4 B 120/90 -, NVwZ 1991, 266). In späteren Entscheidungen hat das Bundesverwaltungsgericht die Zuordnung, ob Bordellbetriebe Vergnügungsstätten sind, weiter offen gelassen, aber auf die Atypik gegenüber dem in der Baunutzungsverordnung gemeinten Begriff der Vergnügungsstätten verwiesen (BVerwG, Beschluss vom 29. Oktober 1997 - 4 B 8/97 -, NVwZ-RR 1998, 540) und an anderer Stelle ein Bordell grundsätzlich als gewerbliche Nutzung qualifiziert, und zwar auch dann, wenn die Prostitution mit einer Wohnnutzung in denselben Räumen verbunden ist (BVerwG, Beschluss vom 28. Juni 1995 - 4 B 137/95 -, NVwZ-RR 1996, 84).
29
b) In der Rechtsprechung anderer Verwaltungsgerichte findet sich die Einordnung als Vergnügungsstätte nur vereinzelt (so: der 8. Senat des VGH Mannheim, Urteil vom 17. Oktober 1996 - 8 S 2136/96 - und die 6. Kammer des VG Sigmaringen, Urteil vom 23. Oktober 1997 - 6 K 923/97 -, jeweils zitiert nach Stühler, NVwZ 2000, 990, 993; ausdrücklich offen gelassen: VG Karlsruhe, Urteil vom 26. April 2007 - 5 K 2087/06 -; VG Würzburg, Urteil vom 23. Oktober 2007 - W 4 K 07.638 -; VGH München, Beschluss vom 16. Mai 2008 - 9 ZB 07.3224 -, jeweils zitiert nach Juris; zum Meinungsstand auch: Bielenberg in Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, Stand Oktober 2008, § 4a BauNVO Rdn. 58a).
30
c) Weit überwiegend werden prostitutive Einrichtungen in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung als gewerbliche Nutzungen bzw. Gewerbebetriebe im bauplanungsrechtlichen Sinne beurteilt (VGH Mannheim, Beschluss vom 9. August 1996 - 8 S 1987/96 -, zitiert nach Juris; Urteil vom 13. Februar 1998 - 5 S 2570/96 -, NVwZ-RR 1998, 550; VGH München, Beschluss vom 19. Mai 1999 - 26 ZB 99.770 -, GewArch 1999, 495; VG Stuttgart, Urteil vom 22. Oktober 2003 - 3 K 1019/03 -; OVG Berlin, Beschluss vom 9. April 2003 – 2 S 5.03 -; VG Osnabrück, Beschluss vom 7. April 2005 - 2 B 14/05 -; VG Sigmaringen, Urteil vom 8. Juni 2005 - 9 K 302/04 -; VG Berlin, Beschluss vom 21. April 2005 - 13 A 179.04 -; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 14. November 2005 - 10 S 3.05 -; VGH München, Beschluss vom 26. Februar 2007 - 1 ZB 06.2296 -; VG Berlin, Beschluss vom 28. September 2007 - VG 13 A 115.07 -, jeweils zitiert nach Juris; VG Berlin, Beschluss vom 19. September 2006 - 19 A 211.06 -).
31
d) Die bauplanungsrechtliche Einordnung wird auch im Schrifttum nicht einheitlich beurteilt. Während teilweise die Subsumtion als Vergnügungsstätte befürwortet wird (so: Stühler, NVwZ 1997, 861, 866 f.; derselbe NVwZ 2000, 990, 993) erstreckt sich das Spektrum bis hin zu der Feststellung, dass Prostitutionsausübung, soweit sie selbstständig und weisungsunabhängig erfolgt, eine freiberufliche Tätigkeit i.S. des § 13 BauNVO sei (Rhein/Zietzen, NJOZ 2009, 267, 280; diese Qualifizierung ausdrücklich ablehnend: VG Osnabrück, Beschluss vom 7. April 2005 - 2 B 14/05 - ; VG Arnsberg, Urteil vom 18. August 2008 - 14 K 2180/07 -, jeweils zitiert nach Juris).
32
Die Kammer schließt sich der Einordnung als Gewerbetrieb (sui generis) an, denn der Begriff der Vergnügungsstätte ist zwar gesetzlich nicht definiert, stellt aber eher einen Sammelbegriff für besondere Gewerbebetriebe dar, bei denen in unterschiedlicher Ausprägung die kommerzielle Unterhaltung und Freizeitgestaltung im Vordergrund steht, und die meist durch eine Lärmbelästigung für die Umgebung gekennzeichnet sind (vgl. Jahn, BauR 1990, 280, 281 m.w.N.).
33
4. Die Zulässigkeit prostitutiver Einrichtungen richtet sich damit im Weiteren nach dem Störpotenzial eines solchen Gewerbebetriebes im Verhältnis zur Wohnnutzung. Beim Begriff der Störung kommt es allein auf bodenrechtliche Spannungen an. Das Vorliegen einer Störung durch ein Gewerbe in einem Mischgebiet ist danach zu beurteilen, ob ein Vorhaben der beabsichtigten Art geeignet ist, das Wohnen in einem Mischgebiet so zu stören, dass von einer Gleichgewichtigkeit und wechselseitigen Verträglichkeit zwischen Wohnen und Gewerbe nicht mehr gesprochen werden kann (Bielenberg in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, aa.O., Rdn. 9).
34
a) Die Beurteilung hierzu wird regelmäßig anhand der so genannten typisierenden Betrachtungsweise (vgl. statt vieler: BVerwG, Beschluss vom 28. Juli 1988 - 4 B 119.88 -, NVwZ 1989, 50) vorgenommen. Die Zulässigkeit von Nutzungen hängt dabei nicht nur von deren Immissionsträchtigkeit oder Immissionsverträglichkeit ab, sondern wird auch von anderen Maßstäben der städtebaulichen Ordnung bestimmt (BVerwG, Urteil vom 25. November 1983 - 4 C 64.79 -, E 68, 207, 211). Ob eine Nutzungsweise bei typisierender Betrachtungsweise störend ist, ist nach der Rechtsprechung nach seinem Gegenstand, seiner Struktur und Arbeitsweise typischerweise verbundenen Auswirkungen auf die nähere Umgebung, wie insbesondere die Art und Weise der Betriebsvorgänge, deren Umfang und Häufigkeit und den Zeitpunkten dieser Vorgänge, des damit verbundenen Zu- und Abfahrtsverkehrs sowie des Einzugsbereiches des Betriebes zu beurteilen (BVerwG, Beschluss vom 25. März 2004 - 4 B 15/04 -, Juris Rdn. 9).
35
Bei der zur planungsrechtlichen Beurteilung von prostitutiven Einrichtungen typisierenden Betrachtungsweise wird diesen regelmäßig ein Störpotenzial zugeordnet, das insbesondere in der früheren Rechtsprechung unter Hinweis auf Belästigungen der Hausbewohner, erhöhte Schutzbedürftigkeit Minderjähriger, unvermeidbare Kontakte der Hausbewohner mit Prostituierten und deren Kunden, Klingeln von Kunden an falschen Wohnungstüren, Verschmutzungen des Hausflures, unzufriedene oder alkoholisierte Kunden bis hin zu gewalttätigen Begleiterscheinungen (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 14. November 2005 - 10 S 3.05 -, Juris Rdn. 10; OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 15. Januar 2004 - 8 B 11983/03 -, BauR 2004, 644; VG Osnabrück, Beschluss vom 7. April 2005 - 2 B 14/05 -, Juris Rdn. 15) charakterisiert wird. In anderen Entscheidungen wird die Unzumutbarkeit von prostitutiven Einrichtungen allgemein mit dem Hinweis auf milieubedingte Begleiterscheinungen und Auswirkungen (OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 9. Februar 2007- 8 B 10019/07 -, Juris Rdn. 10; VG Stuttgart, Urteil vom 22. Oktober 2003 - 3 K 1019/03 -, Juris Rdn. 34) und einen städtebaulich unerwünschten „Trading-Down-Effekt“ begründet. Nach Maßgabe dieser Annahmen entspricht es ständiger Rechtsprechung, dass Bordelle und bordellartige Betriebe nicht nur in Wohngebieten, sondern auch in einem Mischgebiet als unzulässig angesehen werden (VGH Mannheim, Urteil vom 13. Februar 1998 - 5 S 2570/96 -, NVwZ-RR 1998, 550; VGH München, Beschluss vom 19. Mai 1999 - 26 ZB 99.770 -, BayVBl. 2000, 280; OVG Berlin, Beschluss vom 9. April 2003 - 2 S 5.03 -; VG Stuttgart, Urteil vom 22. Oktober 2003 - 3 K 1019/03 -; VGH München, Beschluss vom 16. Mai 2008 - 9 ZB 07.3224 -; VG Würzburg, Urteil vom 23. Oktober 2007 - W 4 K 07.638 -, jeweils zitiert nach Juris).
36
b) In der Rechtsprechung ist indes auch anerkannt, dass aus der Betriebsform, die den Rahmen sexueller Dienstleistungen bestimmt, auf ein unterschiedliches bauplanungsrechtliches Störungspotenzial geschlossen werden kann (VGH Mannheim, Beschluss vom 9. August 1996 - 8 S 1987.96 -,NVwZ 1997,601; Urteil vom 24. Juli 2002 - 5 S 149.01-, GewArch 2003, 496). So wird unter der Voraussetzung, dass die gewerbliche Nutzung nach außen nur wohnähnlich in Erscheinung tritt und dem Gebäude, in dem sie stattfindet, nicht „das Gepräge gibt“, auch davon ausgegangen, dass die im Falle der so genannten Wohnungsprostitution regelmäßig gegebene Störung typischerweise nicht so weit gehen muss, dass das Vorhaben in einem Mischgebiet i.S. des § 6 BauNVO generell unzulässig wäre (BVerwG, Beschluss vom 28. Juni 1995 - 4 B 137.95-, BauR 1996, 78). Die Unzulässigkeit könne für die Wohnungsprostitution nur mit § 15 BauNVO bei einem Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme begründet werden (so: VGH Mannheim, Beschluss vom 9. August 1996 - 8 S 1987/96 -, Juris Rdn. 3).
37
aa) Der Begriff der Wohnungsprostitution bleibt in der Rechtsprechung indes ebenso wie die Unterscheidung zwischen Bordell und bordellartigem Betrieb ohne einheitliche Struktur oder Begründung (vgl. Rhein/Zitzen, NJOZ 2009, 268, 273; Stühler, NVwZ 1997, 861, 865; Zimmermann, Die öffentlich-rechtliche Behandlung der Prostitution, Tübingen 2002, Seite 113 [„Begriffswirrwarr“], 116 ff., 122f.). Der VGH Mannheim hat zur Wohnungsprostitution in Abgrenzung zum bordellartigen Betrieb ausgeführt, dass bei aller Unschärfe in der Unterscheidung der Prostitutionsformen der Wohnungsprostitution jedenfalls eigen sei, dass die Prostituierten in dem betreffenden Gebäude auch wohnen (VGH Mannheim, Urteil vom 24. Juli 2002 - 5 S 149/01 -, GewArch 2003, 496, 498). Nach dem VGH München muss dabei noch hinzu kommen, dass die gewerbliche Nutzung nach außen nur wohnähnlich in Erscheinung tritt und dem Gebäude, in dem sie stattfindet, nicht „das Gepräge gibt“ (VGH München, Beschluss vom 19. Mai 1999 - 26 ZB 99.770 -, Juris Rdn. 6). Ein solches Gepräge könne ein Gebäude insbesondere durch von außen wahrnehmbare Hinweise auf den Verwendungszweck erhalten, etwa durch Reklametafeln oder -schriften, auffällige Beleuchtung (Rotlicht) oder akustische Signale, die aufmerksame Passanten Rückschlüsse auf die Prostitutionsausübung im Hause ziehen ließen (VGH Kassel, Beschluss vom 23. April 1992 - 11 CH 3607/90 -, NVwZ-RR 1992, 622, 623).
38
bb) In der Literatur vertretene Beschreibungen und Beurteilungen der Wohnungsprostitution werden von Rhein/Zitzen (NJOZ 2009, 267, 269 m. Nachweisen Fn. 20 bis 26) wie folgt zusammengefasst:
39
Die Wohnungsprostitution sei dadurch gekennzeichnet,
40
„dass keine anreizende Werbung stattfinde und die Prostituierten, ebenso wie die Kunden, welche sich überwiegend nach telefonischer Vereinbarung diskret in der Wohnung einfänden, auf Anonymität bedacht wären. In ihrer Idealform werde die Wohnungsprostitution von den 'besseren' Prostituierten ausgeübt und den 'besseren' Freiern in Anspruch genommen, da Wohnungsprostituierte verstärkt von Besuchern mit höherem sozialem Rang aufgesucht würden, welche die unauffällige Umgebung gegenüber einem Straßenstrich oder einem Kontakthof bevorzugten. Ferner wird dargelegt, dass 'Wohnungsprostituierte’ selbst häufig die Distanz zum 'Milieu’ suchten und sich aus diesem Grund in 'normaler’ unauffälliger Wohngegend niederließen. Wohnungsprostitution werde daher überwiegend ohne aufreizende, sicht- oder hörbare Werbung betrieben und die Prostituierten 'postierten’ sich nicht außerhalb des Hauses, wodurch ein voyeuristischer Besucherverkehr entfalle. Bei der Wohnungsprostitution sei ein versehentliches Ansprechen Unbeteiligter sowie ein versehentliches Klingeln an fremden Türen zwar nicht völlig auszuschließen, auf Grund der vorab erfolgten Verabredung jedoch erheblich reduzierter. Auf Grund des erhöhten Diskretionsbedarfs erfolgten Verabredungen überwiegend vorab und telefonisch. Der Kundenkreis lege selbst größten Wert auf Anonymität“.
41
c) Legt man diese Beschreibungen und Einschätzungen zu Grunde, so wird deutlich, dass das im Übrigen von der Rechtsprechung geforderte Merkmal des gleichzeitigen Wohnens nicht geeignet ist, die planungsrechtliche Zulässigkeit gegenüber einem störenden Gewerbetrieb abzugrenzen. Denn es fehlt jegliche empirische Grundlage für die Annahme, dass eine im Wesentlichen diskrete Betriebsform nur dann angestrebt und realisiert wird, wenn die Prostitutionsausübung in einem Wohnumfeld an eine gleichzeitige eigene Wohnnutzung der Prostituierten gekoppelt ist. Die geforderte gleichzeitige Wohnnutzung als Voraussetzung würde vielmehr zu unverständlichen Ergebnissen führen, da dann eine Wohngemeinschaft von drei dort zugleich arbeitenden Prostituierten als weniger störend anzusehen wäre, als die Einzelnutzung von Wohnräumen ausschließlich als Betriebsstätte. Wenn die Betriebstätte in einem ehemaligen Ladengeschäft mit direktem Zugang von der Straße untergebracht wäre, würde ein mögliches Störpotenzial eines Zugangs über einen Wohnflur entfallen; ein Ladenlokal ist aber grundsätzlich nicht zugleich zum Wohnen geeignet. Nach Auffassung der Kammer ist daher für die bauplanungsrechtliche Beurteilung mit dem Merkmal des gleichzeitigen Wohnens kein Erkenntnisgewinn verbunden. Das Fehlen einer Wohnnutzung kann nicht zwingend eine störende gewerbliche Nutzung begründen (Rhein/Zitzen, a.a.O., Seite 274; Zimmermann, a.a.O., Seite 130). Maßgeblich ist vielmehr, dass in Wohnungen oder Gebäuden mit Wohnungen, also in einem Umfeld mit zulässiger Wohnnutzung, Prostituierte tätig sind und die jeweilige prostitutive Einrichtung dem Gesamtgebäude nicht das Gepräge geben. Die Größe des jeweiligen Betriebes, die Öffnungszeiten und Betriebsabläufe bilden dann den Maßstab und Rahmen für die Frage der Gebietsverträglichkeit. Diese Form der Ausübung der Prostitution wird in der politischen Diskussion mit dem Begriff der Wohnungsbordelle umschrieben (vgl. Abgh.-Drucksache 16/1595 vom 27. Juni 2008; Abgh.-Drucksache 16/12093 vom 2. Juli 2008; BT-Drucksache 16/5068 vom 20. April 2007; BA Lichtenberg von Berlin, Drucksache-DS/0995/VI, Beschluss vom 18. September 2008).
42
d) Angesichts der unklaren Begrifflichkeiten und der Vielschichtigkeit der Erscheinungsformen prostitutiver Einrichtungen (Bordelle, Swinger-Clubs, Laufhäuser, Massagesalons, Terminwohnungen, Modellwohnungen, bordellähnliche Einrichtungen, Eskortservice, Bars etc.; zu den Erscheinungsformen der Prostitution: Brückner/Oppenheimer, Lebensituation Prostitution, Königsstein 2006; Mitrocic [Hrsg.], Arbeitsplatz Prostitution, Hamburg 2007; Zimmermann, a.a.O., Seite 14 ff.) und des mit den jeweiligen Betriebsformen und Betriebsabläufen verbundenen Störpotenzials ist für die planungsrechtliche Zulässigkeit die typisierende Betrachtungsweise nach Auffassung der Kammer grundsätzlich ungeeignet.
43
aa) Dies gilt umso mehr, als einer der Ausgangspunkte für die im Zusammenhang mit Prostitution vorgenommene typisierende Betrachtungsweise die Einordnung des Bundesverwaltungsgerichts ist, wonach auch auf die „allgemeine sozialethische Bewertung“ abgestellt wurde (BVerwG, Urteil vom 25. November 1983 - 4 C 21.83 -, E 68, 213, 215). Dieser Ansatz steht im Widerspruch dazu, dass dem Baurecht eine Wertung der Nutzung in sozialethischer Hinsicht fremd ist (OVG Münster, Urteil vom 19. Januar 1983 - 11 A 2171/82 -, VG Osnabrück, Beschluss vom 7. April 2005 - 2 B 14/05 -, jeweils zitiert nach Juris; Zimmermann, a.a.O., Seite 128; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 25. November 1983 - 4 C 21.83 -, E 68, 213, 216). Maßgeblich sind vielmehr bodenrechtlich relevante Umstände, nicht hingegen subjektive Empfindungen des Einzelnen. Daraus folgt, dass die Prostitutionsübung baurechtlich nicht wegen eines sittlichen Unwertes eingeschränkt werden darf, sondern nur, wenn von spezifischen, unter dem Gesichtspunkt der gegenseitigen Rücksichtnahme nicht hinzunehmenden Störungen auszugehen ist. Sittliche Erwägungen dürfen auch nicht durch die „Hintertür“ eingeführt werden, beispielsweise indem das Störpotential überhöht eingeschätzt wird oder das ungestörte Wohnen im Sinne eines Unbehelligtbleibens von sittlichen Anmaßungen verstanden wird (Zimmermann, a.a.O., Seite 128 mit ablehnenden Hinweis auf VG Augsburg, Urteil vom 10. Februar 1999 - Au 5 K 96.1110 -, wonach zum Wohnen auch das ungestörte und moralisch ungefährdete Aufwachsen von Kindern gehören soll). Weiter kommt es nicht unmittelbar darauf an, was sich im Inneren einer von Prostituierten genutzten Räumlichkeit abspielt, sondern nur wie das dortige Geschehen nach außen dringt. Der Ablauf im Inneren, dessen Gestaltung und sein Umfang haben allenfalls indizielle Wirkung (Zimmermann, a.a.O., Seite 128). Bedeutung kommt den Störungen zu, die den Bedürfnissen der Wohnnutzung gerade auch im Mischgebiet entgegenstehen. Dabei kann es sich v.a. um Störungen der Nachtruhe handeln. Grundsätzlich ist aber dem Bewohner eines Mischgebietes gegenüber Störungen durch gewerbliche Betriebe eine erhöhte Toleranz abzuverlangen (Zimmermann, a.a.O., Seite 132).
44
bb) Ein von sozialethischen Vorstellungen geprägter Ansatz verbietet sich zudem im Hinblick auf das Prostitutionsgesetz. Zwar hat dieses nach allgemeiner Ansicht keine maßgeblichen Auswirkungen auf die bauplanungsrechtliche Beurteilung, unterstreicht jedoch die Abkehr von einer negativen sozialethischen Bewertung. Die Kammer ist der Ansicht, dass wegen des Grundsatzes der Einheitlichkeit der Rechtsordnung und damit deren Unteilbarkeit in ihren rechtsethischen Annahmen (Gurlit, GewArch 2008, 426, 427 m.w.N.) das Unsittlichkeitsverdikt durch § 1 ProstG auch für andere Regelungsbereiche beseitigt wurde (zum Meinungsstand Nachweise bei: Gurlit ebenda Seite 427; Renzikowski, GewArch 2008, 432, 433; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 6. November 2002 - 6 C 16/02 -, Juris Rdn. 22; BVerwG, Beschluss vom 23. März 2009 - 8 B 2.09 -, Seite 5 des amtl. Abdrucks).
45
5. Angesichts der Vielfalt der Betriebsformen des Angebots sexueller Dienstleistungen bietet eine starre typisierende Betrachtungsweise keinen geeigneten Maßstab und Rahmen für eine bauplanungsrechtliche Beurteilung. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der üblichen Unterscheidungen prostitutiver Einrichtungen in Bordelle, bordellähnliche Betriebe und Wohnungsprostitution, denn abgesehen von deren begrifflicher Unschärfe, kann damit das jeweilige Störpotenzial nicht verlässlich erfasst und bewertet werden. Eine Typenbildung unterliegt immer der Gefahr von Unterstellungen, ohne Feststellung belastbarer Tatsachen für die Besorgnis von Störungen. So ist in der Rechtsprechung auch anerkannt, dass es neben den Betrieben, die nach ihrer Art ohne weiteres in einem Mischgebiet unzulässig wären, auch solche gibt, die wegen der mit ihnen verbundenen (geringeren) Störungen gleichwohl als gebietsunverträglich einzustufen sind und diese wegen des Vorliegens atypischer Umstände zulassungsfähig sein können (für ein Bauunternehmen im Mischgebiet: BVerwG, Beschluss vom 22. November 2002 - 4 B 72/02 -, zitiert nach Juris m.w.N.). Ob ein Betrieb, der seiner Art nach zu wesentlichen Störungen führen kann, aber nicht führen muss, in einem Mischgebiet zugelassen werden kann, hängt von der jeweiligen Betriebsstruktur ab. Je nach der Größe und dem Umfang des Betriebes, der technischen und personellen Ausstattung, der Betriebsweise und der Gestaltung der Arbeitsabläufe kann dies unterschiedlich zu beurteilen sein. Maßgeblich ist, ob sich die Störwirkungen, die die konkrete Anlage bei funktionsgerechter Nutzung erwarten lässt, innerhalb des Rahmens halten, der durch die Gebietseigenart vorgegeben wird (BVerwG ebenda Rdn. 4). Dieser Ansatz stellt zunächst nur eine Einschränkung der typisierenden Betrachtungsweise dar, weitergehend gilt aber auch der Grundsatz, dass bei der Prüfung, ob ein Betrieb zu den nicht wesentlich störenden wohnverträglichen Gewerbebetrieben im Sinne des § 6 Abs. 1 BauNVO zählt, sich die an sich gebotene typisierende Betrachtungsweise sogar verbietet, wenn der Betrieb zu einer Branche gehört, bei der die üblichen Betriebsformen hinsichtlich des Störgrades eine vom nicht wesentlich störenden bis zum störenden oder gar bis zum erheblich belästigenden Betrieb reichende Bandbreite aufweisen (VGH München, Beschluss vom 13. Dezember 2006 - 1 ZB 04.3549 -, Juris Rdn. 25 m.w.N.; VGH Mannheim, Urteil vom 16. Mai 2002 - 3 S 1637/01 -, BRS 65 Nr. 65). Bei solchen Vorhaben sind der Zulässigkeitsprüfung stets die konkreten Verhältnisse des Betriebs zugrunde zu legen. Dasselbe gilt im Einzelfall, wenn der Betrieb zwar zu einer Branche gehört, bei der eine typisierende Einstufung hinsichtlich des Störungsgrades grundsätzlich gerechtfertigt ist, es sich aber um eine atypische, von dem branchenüblichen Erscheinungsbild abweichendes Vorhaben handelt und wenn anzunehmen ist, dass der Betrieb diesen atypischen Charakter auch künftig beibehalten wird (zu einer Tischlerwerkstatt im allgemeinen Wohngebiet: BVerwG, Urteil vom 7. Mai 1971 - IV C 76.68 -, DÖV 1971, 633).
46
6. Bei der unter Abkehr von einer typisierenden Betrachtungsweise vorzunehmenden Gesamtschau der bauplanungsrechtlich relevanten Auswirkungen einer prostitutiven Einrichtung steht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zur Überzeugung der Kammer fest, dass der Betrieb der Klägerin mit der Wohnnutzung der näheren Umgebung vereinbar ist.
47
a) Die Kammer verkennt nicht, dass das sog. Rotlichtmilieu in vielfältiger Weise kriminalitätsbelastet ist und zwar in einer Weise, die es erforderlich macht, dass beim Landeskriminalamt Berlin (LKA) ein Dezernat der Abteilung Organisierte Kriminalität mit dem Bereich Rotlichtkriminalität befasst ist. Die Leiterin dieses Dezernats hat indes in ihrer Vernehmung als sachverständige Zeugin ausdrücklich betont, dass die Erscheinungsformen der Prostitution und deren Begleitkriminalität sehr differenziert zu betrachten seien. Sie ordnete den Betrieb der Klägerin - in der Terminologie des LKA - als Wohnungsbordell ein. Dieser Begriff werde dahingehend verstanden, dass es sich um eine Prostitutionsstätte handele, die nach außen nicht als solche in Erscheinung trete. Es seien unauffällige Betriebe in Wohnungen oder Wohnhäusern ohne Konzentration in einem Rotlichtmilieu. Im Bereich der polizeilich in Berlin festgestellten 232 Wohnungsbordelle gebe es kaum Auffälligkeiten, wobei gleichwohl jeder Betrieb einzeln betrachtet werden müsse. Der Betrieb der Klägerin sei noch in keiner Weise auffällig geworden; auch bei Kontrollen seien solche nicht festgestellt worden. Seit Inkrafttreten des Prostitutionsgesetzes sei eine Tendenz erkennbar, dass sich „die Spreu vom Weizen“ trenne und zunehmend Bordellbetreiber auf eine Anmeldung der Betriebe und die Einhaltung der Steuer- und Sozialversicherungspflichten bedacht seien. Aus der Sicht des Landeskriminalamtes würde eine Konzessionierung der Betriebe befürwortet werden, da hiermit auch Bedingungen verknüpft werden könnten und dies auch eine Erleichterung der Kontrollen bedingen würde.
48
b) Auch der im Bereich der Ri.straße als Kontaktbereichsbeamter tätige Polizeibeamte bestätigte in seiner Vernehmung als sachverständiger Zeuge die Unauffälligkeit des Betriebes der Klägerin. Ihm seien zu keinem Zeitpunkt Beschwerden bekannt geworden, weder über den Betrieb selbst noch wegen sonstiger damit im Zusammenhang stehender Verhaltensauffälligkeiten von Personen. Der Betrieb der Klägerin sei in der Straße „kein Thema“.
49
c) Die für die aufsuchende Beratung von prostitutiven Einrichtungen zuständige Sozialarbeiterin des Gesundheitsamtes ordnete den Betrieb der Klägerin, den sie aus ihrer beruflichen Tätigkeit persönlich kennt, gleichfalls als Wohnungsbordell ein. Nach ihrem Verständnis ist ein Wohnungsbordell eine prostitutive Einrichtung, die sich durch eine erhöhte Diskretion sowohl für die dort tätigen Frauen wie auch für die Kunden auszeichnet. Wohnungsbordelle seien zum Teil nur schwer auffindbar und als prostitutive Einrichtungen häufig nicht nach außen erkennbar, weil die Diskretion ein wesentliches Merkmal sei. Dies gelte insbesondere auch für den Betrieb der Klägerin. In Betrieben mit mehreren Prostituierten spiele die Kollegialität und die Möglichkeit zum Erfahrungsaustausch eine positive Rolle. Auch sei in Wohnungsbordellen die Sicherheit für die Frauen z.B. durch Zugangskontrollen wesentlich besser gewährleistet als in anderen Prostitutionsstätten. So würden auch die Kunden nicht in Gruppen, sondern einzeln die Einrichtungen aufsuchen. Der Betrieb der Klägerin zeichne sich neben Sauberkeit auch dadurch aus, dass ein Aufenthaltsraum und eine Küche für die Prostituierten vorhanden, dort eine Hausdame tätig sei und auf Professionalisierung Wert gelegt werde. Die sachverständige Zeugin verneinte die Frage nach der Wahrnehmung von störenden Erscheinungen der von ihr aufgesuchten Wohnungsbordelle, wobei sich die von ihr betreuten Einrichtungen nicht auf solche beschränkten, die an einer Kooperation mit dem Gesundheitsamt von sich aus interessiert seien. Vielmehr würden auch Betriebe auf der Grundlage eigener Recherchen (z.B. Zeitungsanzeigen oder Internet) aufgesucht werden.
50
d) Die Verfasserin der Studie „Berliner Wohnungsbordelle in Wohn- und Mischgebieten“, in deren Rahmen auch der Betrieb der Klägerin untersucht wurde, ordnete diesen in ihrer sachverständigen Zeugenvernehmung ebenfalls als Wohnungsbordell ein. Darunter versteht die Sozialwissenschaftlerin eine Prostitutionsausübung, die in Wohnungen bzw. in Wohnhäusern gelegenen Räumen erfolge, wobei die Größe der Wohnung/Räumlichkeiten, die Anzahl der dort arbeitenden Prostituierten und, ob dort auch (vorübergehend) gewohnt oder nur gearbeitet werde, keine Rolle spiele (Definition und Abgrenzungen Seite 4 der Studie). Die sachverständige Zeugin bescheinigte der prostitutiven Einrichtung der Klägerin auf der Grundlage teilnehmender Beobachtung und Befragungen einen völlig unauffälligen Betrieb. Die von ihr befragten Kunden seien gleichfalls auf Unauffälligkeit und Anonymität bedacht gewesen und deren Gewährleistung sei maßgeblich für die Entscheidung der Kunden zur Inanspruchnahme sexueller Dienstleistungen gerade in dieser Einrichtung. Durch die Tätigkeit einer Hausdame sei eine Vorauswahl der Kunden möglich und alkoholisierte Gäste würden gar nicht erst eingelassen werden. Die Zeugin berichtete, sie selbst habe zunächst Schwierigkeiten gehabt, die Betriebsstätte überhaupt aufzufinden. Sie gab zudem an, dass z.B. in einer Bäckerei, einem Schreibwarenladen und einem weiteren Gewerbebetrieb in der näheren Umgebung die Existenz der prostitutiven Einrichtung überhaupt nicht bekannt gewesen sei.
51
e) Die Kammer hat keinen Zweifel an der Richtigkeit der von den sachverständigen Zeugen getroffenen Aussagen und Beurteilungen. Insbesondere steht dem Beweiswert der Angaben der Verfasserin der Studie auch nicht entgegen, dass die Erhebungen nicht repräsentativ sind, sondern nur Betriebe erfasst werden konnten, die kooperationsbereit waren. Wesentlich ist insoweit, dass der Anspruch einer quantitativen Repräsentativität nach der zu beurteilenden Fragestellung, ob von Wohnungsbordellen typischerweise bestimmte Störungen ausgehen, gar nicht erhoben wird und auch nicht erhoben werden muss (vgl. Seite 20 der Studie). Die Kammer teilt daher nicht die Einwände des Beklagten. Im Übrigen ist maßgeblich, dass der Betrieb der Klägerin selbst Gegenstand der Untersuchung war und somit nicht bloße Schlussfolgerungen aus einer Übertragung von Feststellungen in anderen Betrieben auf die streitgegenständliche Einrichtung in Rede stehen. Die Bekundungen der sachverständigen Zeugin stehen zudem im Einklang mit den sonstigen Ergebnissen der Beweisaufnahme.
52
f) Davon, dass der Betrieb der Klägerin nach außen völlig unauffällig ist und nicht als prostitutive Einrichtung in Erscheinung tritt, konnte sich die Kammer im Ortstermin selbst überzeugen. Die Fensterfront der ehemaligen Ladeneinheit ist mit neutralen, blickdichten Lamellenjalousien versehen, wie sie z.B. bei Büros oder Arztpraxen üblich sind. An der ehemaligen Ladeneingangstür befindet sich ein dezentes Messingschild mit dem Betriebsnamen, der Angabe der Öffnungszeiten und dem Hinweis auf den Eingang um die Ecke. Selbst die Namenswahl „Salon Pr.“ bietet verschiedenen Interpretationsmöglichkeiten über die Art des dort ansässigen Gewerbes Raum (z.B. Modeatelier, Kosmetikstudio, Friseursalon) und weist somit den Betrieb der Klägerin nicht eindeutig als prostitutive Einrichtung aus. Auch sonstige Werbeanlagen sind nicht vorhanden. Zwar ist der Eingang zu den Betriebsräumen entgegen der Betriebsbeschreibung vom 28. September 2006 von der Straßenfront in den Hausflurbereich verlegt worden, und entsprechend besteht ein gemeinsamer Hauseingang für die gewerbliche und die Wohnnutzung des Gebäudes; auch befindet sich die Klingel für den Betrieb der Klägerin auf dem gleichen Tableau wie die Klingeln der Wohnungsmieter. Der Klägerin ist jedoch zuzugeben, dass diese Gestaltung der Eingangssituation dem Interesse an Unauffälligkeit und Anonymität stärker Rechnung trägt als ein Zugang von der Straßenfront. Denn der Eingangsbereich selbst ist von der Straße nicht einsehbar und Kunden, die nach dem Klingeln auf das Öffnen der Haustür warten, sind für Dritte nicht als Besucher der prostitutiven Einrichtung erkennbar. Selbst die auffallend rote Lackierung der Eingangstür zur Betriebsstätte im Hausflur ist letztlich positiv zu bewerten, da diese Gestaltung dazu beiträgt, dass ortsunkundige Kunden diesen Zugang leicht wahrnehmen können und somit keine Veranlassung haben, im weiteren Hausflur und Treppenbereich des Gebäudes nach der Betriebsstätte zu suchen. Nicht zuletzt ist anzumerken, dass auch die Hauseingangstür zur Eingangskontrolle durch die Hausdame videoüberwacht wird. Diese Kameraüberwachung dient nach den glaubhaften Angaben der Klägerin zudem auch den dort tätigen Prostituierten zur Entscheidung, ob sie sich einem Kunden vorstellen wollen, oder den Kontakt zu einem möglichen Gast ablehnen.
53
7. Insgesamt verfügt die Einrichtung der Klägerin über die Merkmale, die üblicherweise hinsichtlich des (fehlenden oder geringen) Störungspotenzials der Wohnungsprostitution im Unterschied zu Bordellen oder bordellartigen Betrieben zugestanden werden. Daraus folgt, dass es sich um einen ausnahmsweise zulässigen Gewerbebetrieb mittlerer Größe im Sinne des § 7 Nr. 9 Satz 2 BO 58 handelt, von dem keine Nachteile oder Belästigungen für die nähere Umgebung ausgehen. Die Kammer konnte diese uneingeschränkte Feststellung treffen, denn die ausnahmsweise Zulässigkeit erfordert keine Ausnahme im Sinne des § 31 Abs. 1 BauGB, deren Erteilung in das gerichtlich nach § 114 VwGO nur eingeschränkt überprüfbare behördliche Ermessen gestellt ist. Dies folgt aus dem Wortlaut der Vorschrift, der die Zulässigkeit von gewerblichen Vorhaben nach § 7 Nr. 9 Satz 2 BO 58 mit einer gewissen Flexibilität ausstattet („ausnahmsweise sind zulässig“) und nicht die Kennzeichnung „können zugelassen werden“ für ein behördliches Ermessen aufweist, wie dies z.B. in § 7 Nr. 8 Satz 2 BO 58 der Fall ist. Die Einschränkung als Ausnahme beruht nach dem Verständnis der Kammer ausschließlich auf der planerischen Entscheidung, als Leitbild der gewerblichen Nutzung den Kleinbetrieb zu bestimmen.
54
8. Die Kammer verkennt nicht, dass prostitutive Einrichtungen in einem Wohnumfeld auch nach dem Fortfall des Unsittlichkeitsverdikts durch das Prostitutionsgesetz nach wie vor auf Ablehnung in der Nachbarschaft stoßen können. Dies ist indes keine Besonderheit dieses Gewerbezweiges, sondern gesellschaftliche Realität wie sie auch immer wieder in einer von Wertungen und subjektiven Empfindungen geprägten Ablehnung von Nachbarn bei anderen Bauvorhaben zum Ausdruck kommt, die einer bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit indes nicht entgegensteht (vgl. zu einem psychiatrischen Krankenhaus: VG Berlin, Beschluss vom 23. April 2007 - VG 19 A 16.07 -; Einrichtung des Maßregelvollzuges im allgemeinen Wohngebiet: VG Berlin, Beschluss vom 17. September 2008 - VG 13 A 104.08 -; Einrichtung zur Suchtrehabilitation: VG Berlin, Urteil vom 27. Januar 2004 - VG 19 A 245.03 -; Bestattungsinstitut im allgemeinen Wohngebiet: Thüringer OVG, Urteil vom 20. November 2002 - 1 KO 817/01 -, zitiert nach Juris; Moscheen: OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 30. März 2007- OVG 2 N 249.05 -; VG Berlin, Urteil vom 18. Februar 2009 - VG 19 A 355.04; sowie die umfangreiche Judikatur zu Asylbewerberwohnheimen und ähnlichen Einrichtungen). Im Übrigen ist dem Bewohner eines Mischgebiets gegenüber Störungen durch gewerbliche Betriebe eine erhöhte Toleranz abzuverlangen. Das gilt grundsätzlich auch gegenüber prostitutiven Einrichtungen, wobei es nicht darauf ankommt, dass gegenüber prostitutiven Tätigkeiten eine erhöhte, sittlich begründete Empfindlichkeit besteht (Zimmermann, a.a.O., Seite 132). Diese Betrachtungsweise findet indes dort ihre Grenze, wo sozialethische - an sich unbeachtliche - Bewertungen in bodenrechtlich relevante Spannungen umschlagen können, namentlich durch einen Fortzug der angestammten Wohnbevölkerung in einem Gebiet infolge prostitutiver Einrichtungen. Insgesamt ist zudem immer auch die Gefahr städtebaulicher Fehlentwicklungen durch so genannte „Trading-Down-Effekte“ in den Blick zu nehmen. Hierfür bestehen vorliegend jedoch keinerlei Anhaltspunkte, vielmehr ist die Wahl der Betriebsstätte gerade dadurch bestimmt, nicht mit Erscheinungsformen des sog. Rotlichtmilieus in Verbindung gebracht zu werden. Im Übrigen bietet für die Zulässigkeit prostitutiver Einrichtungen insbesondere nach Anzahl, Lage und Umfang das allgemeine Gebot der Rücksichtnahme (§ 7 Nr. 5 BO 58/§ 15 Abs. 1 BauNVO/§ 34 BauGB) ein bauplanungsrechtliches Korrektiv.
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9. Anhaltspunkte für eine Verletzung des § 7 Nr. 5 BO 58 bestehen für den Betrieb der Klägerin nicht. Dieser hält sich in jeder Hinsicht im Rahmen der Nutzungsstruktur eines gemischten Gebietes nach § 7 Nr. 9 BO 58. Obwohl danach auch Gaststätten allgemein zulässig sind, ist darauf hinzuweisen, dass ein Alkoholausschank im Betrieb der Klägerin nicht stattfindet. Die Gebietsverträglichkeit gilt namentlich auch für die Öffnungszeiten nach Maßgabe der Betriebsbeschreibung vom 28. September 2006. Eine beachtliche Störung insbesondere der Nacht- und Sonntagsruhe ist abgesehen von der bereits gewürdigten grundsätzlichen Unauffälligkeit des Betriebes unter Berücksichtigung der Öffnungszeiten bis 23.00 Uhr und nach dessen Umfang nicht zu besorgen. Hierbei ist neben den zwischenzeitlich üblichen Geschäftszeiten z.B. von Lebensmittelgeschäften bis 22.00 Uhr oder auch erweiterten Öffnungszeiten anderer Dienstleistungsunternehmen oder wie bei Arztpraxen mit Sprechzeiten auch an Wochenenden darauf hinzuweisen, dass sich das Vorhabengrundstück in unmittelbarer Nähe von Kerngebietsausweisungen bzw. eines besonderen Wohngebietes nach § 4a BauNVO befindet. Damit besteht eine plangegebene Vorbelastung (vgl. allgemein dazu: Fickert/Fieseler, a.a.O., § 15 Rdn. 23.2 ff.), die zu Gunsten des Betriebes der Klägerin streitet. Die Anzahl der (unauffälligen) Kunden, die die Klägerin mit durchschnittlich 30 bis 35 pro Tag angibt, dürfte zudem auch bei einer stärkeren Frequentierung des Betriebes unter der eines Ladengeschäftes, einer Gaststätte oder z.B. einer durchschnittlichen Arztpraxis liegen, so dass der Ziel- und Quellverkehr kein besonderes Störpotenzial bergen kann.
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III. Die Kammer ist sich durchaus der Schwierigkeiten bewusst, die es für die Bauaufsichtsbehörde angesichts der im Rotlichtmilieu auch anzutreffenden erheblichen Kriminalitätsbelastung bereiten kann, allein auf der Grundlage von Betriebsbeschreibungen die Zulässigkeit einer prostitutiven Einrichtung zu beurteilen, zumal das Bauplanungsrecht ausschließlich grundstücks- und gerade nicht personenbezogen ist, tatsächlich für ein mögliches Störungspotenzial aber gerade auch die Art der Betriebsführung und die Person des Betreibers bzw. Anbieters sexueller Dienstleistungen mit maßgeblich ist. Hierin unterscheidet sich das mögliche Konfliktpotenzial indes nicht von anderen baurechtlichen Genehmigungsverfahren. Auch an Hand von Bauvorlagen für eine Gaststätte können keine Aussagen über den Betreiber und dessen Zuverlässigkeit getroffen werden. Eine solche Beurteilung gehört wegen der allein maßgeblichen Grundstücksbezogenheit auch nicht zum Prüfprogramm der Bauaufsichtsbehörden. Mit den Mitteln des Baurechts kann und soll eine präventive Kontrolle, ob z.B. ein Gastwirt unter Verstoß gegen Jugendschutzvorschriften Alkohol an Jugendliche ausschenken oder eine Lärmbelästigung der Nachbarschaft durch seine Gäste zulassen wird, nicht geleistet werden. Für diese ordnungsrechtlichen Belange stellt das allgemeine und besondere Gewerberecht (GewO, GaststättenG) das Kontrollinstrumentarium zur Verfügung. Für den Bereich der prostitutiven Einrichtungen gilt, dass diese durch das Prostitutionsgesetz zwar in das öffentliche Wirtschaftrecht hineingewachsen sind, ohne dort jedoch einen angemessenen Regelungsrahmen vorzufinden (Gurlit, GewArch 2008, 426, 431; vgl. BT-Drucksache 16/4146, Bericht der Bundesregierung zu den Auswirkungen des Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten [Prostitutionsgesetz - ProstG] vom 25. Januar 2007, Seite 36 ff.; Renzikowski, Gutachten im Auftrag des Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Gesundheit, Reglementierung von Prostitution: Ziele und Probleme, 2007). Strafrechtliche Interventionsmöglichkeiten wurden abgebaut, ohne das dadurch entstandene Kontrolldefizit durch andere Regelungen zu schließen (Renzikowski, GewArch 2008, 432, 435). Dieses gesetzgeberische Regelungsdefizit kann nicht durch das Baurecht ausglichen oder aufgefangen werden. Insbesondere verbietet sich eine Einschränkung an sich zulässiger baulicher Nutzungen im Wege eines Rückgriffs auf sozialethische Betrachtungsweisen bei der bauplanungsrechtlichen Beurteilung zur Begründung eines im Übrigen gar nicht feststellbaren Störpotenzials.
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IV. Danach hat die Klage bereits mit dem Hauptantrag Erfolg. Das Vorhaben der Klägerin bedarf keiner Ausnahme oder Befreiung nach § 31 Abs. 1 oder 2 BauGB. Wegen der feststellenden Wirkung des Urteils war auch die Aufhebung des ablehnenden Bescheides des Bezirksamtes Charlottenburg-Wilmersdorf von Berlin vom 4. Dezember 2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides derselben Behörde vom 27. Februar 2007 nicht erforderlich, weil sich dessen Regelungsgehalt in der Versagung einer - nicht erforderlichen - Befreiung erschöpft und diese Entscheidung für die Zulässigkeit des Vorhabens der Klägerin keine Regelungswirkung (mehr) zeitigen kann.
58
B. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO; die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen waren nicht für erstattungsfähig zu erklären, da diese mangels Antragstellung selbst kein Kostenrisiko im Verfahren übernommen hat (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO). Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt in entsprechender Anwendung aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 709 ZPO.
59
C. Die Berufung war wegen der aus Sicht der Kammer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§§ 124 Abs. 2 Nr. 3, 124a Abs. 1 VwGO.
Es wurde keine Berufung eingelegt. Die Entscheidung ist rechtskräftig. Mehr dazu später...
Kasharius
Urteil Verwaltungsgericht Berlin:
Wohnungsbordell Salon Prestige darf im Mischgebiet und Wohnhaus bleiben, weil von ihm keine Störungen ausgehen.
Das wurde fallweise beim Ortstermin von Richterin überprüft. Eine sog. Milieutypische Störung darf nicht einfach nur typisierend den Sexarbeitstätten unterstellt werden!
Presseartikel hier www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?p=55876#55876 [MoF]
Hier nun die Entscheidungsgründe im Volltext:
VG Berlin 19. Kammer
Entscheidungsdatum: 06.05.2009
Aktenzeichen: 19 A 91.07
Dokumenttyp: Urteil
Quelle: juris Logo
Normen: § 63 BauO BE, § 6 Abs 1 BauNVO
Bauplanungsrecht: Zulässigkeit einer Nutzungsänderung von Ladenräumen in ein Wohnungsbordell
Tenor
Es wird festgestellt, dass das Vorhaben der Klägerin zur Nutzungsänderung der Ladeneinheit im Erdgeschoss im Haus Ri.straße ...in 1... Berlin in eine prostitutive Einrichtung nach Maßgabe der Betriebsbeschreibung vom 28. September 2006 den Festsetzungen als gemischtes Gebiet des Baunutzungsplanes in Verbindung mit § 7 Nr. 9 der Bauordnung für Berlin 1958 entspricht.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.
Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils beizutreibenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Die Berufung wird zugelassen.
Entscheidungsgründe
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A. Die Klage ist im Hauptantrag als Festgestellungsklage gemäß § 43 VwGO zulässig und begründet.
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I. Feststellungsfähig sind u.a. Eigenschaften einer Sache oder eines Betriebes, an deren Vorliegen das Bestehen von Rechten und Pflichten geknüpft ist (Kopp/Schenke, VwGO, 15. Auflage 2007, § 43 Rdn. 13). Eine solche rechtserhebliche Eigenschaft ist die Übereinstimmung eines Bauvorhabens mit den Festsetzungen eines Bebauungsplanes (Plankonformität), da diese Voraussetzung für die Eröffnung des Anwendungsbereiches des Genehmigungsfreistellungsverfahrens nach § 63 der Bauordnung für Berlin in der Fassung vom 29. September 2005 (GVBl. S. 495), zuletzt geändert durch § 9 des Gesetzes vom 7. Juni 2007 (GVBl. S. 222) - BauO Bln - ist. Das erforderliche Feststellungsinteresse ist gegeben, denn die Klägerin muss sich nicht auf Rechtsschutzmöglichkeiten gegen eine eventuell spätere Nutzungsuntersagung verweisen lassen. Der Zulässigkeit der Feststellungsklage steht auch nicht entgegen, dass die eingereichten Bauvorlagen nach wie vor nicht vollständig sein dürften, denn Gegenstand der Klage ist insoweit nicht die Berechtigung zur Aufnahme der Nutzung - die Baufreigabe im engeren Sinne - (vgl. § 63 Abs. 3 Sätze 2 und 3 BauO Bln), sondern nur die Zulässigkeit der Nutzungsart im bauplanungsrechtlichen Sinne. Hierzu sei nur ergänzend angemerkt, dass der Bauherr zwar hinsichtlich der bauordnungsrechtlichen Anforderungen an ein Vorhaben im Verfahren nach § 63 BauO Bln die alleinige Verantwortung für die materiellen Legalität (vgl. § 60 Abs. 2 BauO Bln) trägt, da insoweit eine Prüfung der Bauaufsichtsbehörde entfällt, dies ihn jedoch nicht von der Verpflichtung entbindet, die erforderlichen Unterlagen (§ 63 Abs. 3 Satz 1 BauO Bln) nach Maßgabe der Verordnung über Bauvorlagen, bautechnische Nachweise und das Verfahren im Einzelnen (Bauverfahrensverordnung – BauVerfVO) vom 19. Oktober 2006 (GVBl. Seite 1035) einzureichen, um mit dem Vorhaben nach § 63 Abs. 3 BauO Bln beginnen zu dürfen.
22
Der Klägerin fehlt auch nicht das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis, denn das Vorhaben ist nicht bereits aus anderen Gründen offensichtlich unzulässig. So ist weder die Möglichkeit zur vollständigen Einhaltung der bauordnungsrechtlichen Anforderungen (Brandschutz, Rettungswege, Arbeitsstätten etc.), noch eine Betriebsführung aus gewerberechtlichen Gründen von vornherein ausgeschlossen.
23
II. Die Klage ist mit dem Hauptantrag begründet. Die Entsprechung der prostitutiven Einrichtung der Klägerin mit den Festsetzungen des Baunutzungsplanes 1958/60 i.V.m. § 7 Nr. 9 BO 58 war festzustellen, weil es sich um einen im gemischten Gebiet ausnahmsweise zulässigen gewerblichen Betrieb mittlerer Größe handelt, der keine Nachteile oder Belästigungen für die nähere Umgebung nach dem Maßstab der für das Grundstück geltenden bauplanungsrechtlichen Ausweisungen und Regelungen verursachen kann.
24
1. Der Anwendungsbereich des Genehmigungsfreistellungsverfahren nach § 63 BauO Bln ist eröffnet. Nach Absatz 1 dieser Vorschrift bedarf die Nutzungsänderung baulicher Anlagen, die keine Sonderbauten sind, unter den Voraussetzungen des Absatzes 2 keiner Genehmigung. Die prostitutive Einrichtung der Klägerin unterfällt nicht der verfahrenssteuernden Legaldefinition von Sonderbauten nach § 2 Abs. 4 BauO Bln, so dass eine Genehmigungspflicht gemäß § 60 Abs. 1 BauO Bln mit dem vollen Prüfprogramm der Bauaufsichtsbehörde nach § 65 Satz 1 BauO Bln nicht besteht. Die Voraussetzungen des Absatzes 2 Nr. 1 a sind gleichfalls erfüllt, denn das Vorhabengrundstück liegt im Geltungsbereich des Baunutzungsplanes von 1958/60, der mit der Gebietsfestsetzung als gemischtes Gebiet der Baustufe V/3 in Verbindung mit den planungsrechtlichen Vorschriften der BO 58, sowie den förmlich festgestellten Straßen- und Baufluchtlinien als qualifizierter Bebauungsplan im Sinne von § 30 Abs. 1 BauGB fort gilt (vgl. § 173 BBauG).
25
2. Nach § 7 Nr. 9 BO 58 sind im gemischten Gebiet allgemein zulässig: Wohngebäude, Geschäfts- und Bürohäuser und Ladengeschäfte sowie gewerbliche Kleinbetriebe, wenn sie keine Nachteile oder Belästigungen für die nähere Umgebung verursachen können. Ferner sind Gebäude für soziale, kulturelle, gesundheitliche und sportliche Zwecke und Verwaltung, Gaststätten, Hotels, Fremdenheime, Versammlungsräume, Vergnügungsstätten und ähnliches gleichfalls allgemein zulässig. Ausnahmsweise sind gewerbliche Betriebe mittleren Umfangs zulässig, wenn sie keine Nachteile oder Belästigungen für die nähere Umgebung verursachen können. Diese Nutzungsstruktur weicht teilweise von der in § 6 BauNVO 1990 umschriebenen Struktur für ein Mischgebiet ab. Dies gilt namentlich für die Zulässigkeit von Vergnügungsstätten, die im Gegensatz zur Regelung des übergeleiteten Berliner Rechts nicht ausdrücklich als allgemein zulässige Anlagen aufgeführt sind. § 6 Abs. 2 Nr. 8 BauNVO 1990 bestimmt demgegenüber, dass nicht kerngebietstypische Vergnügungsstätten nur in den Teilen eines Mischgebietes zulässig sind, die überwiegend durch gewerbliche Nutzung geprägt sind, während außerhalb dieser Bereiche nach Absatz 3 der Vorschrift Vergnügungsstätten nur im Wege einer Ausnahme nach § 31 Abs. 1 BauGB zugelassen werden können. Insgesamt gilt aber der Grundsatz, dass Maßstab für die Zuordnung von Nutzungen zu einem Baugebiet dessen Funktion im Verhältnis zu anderen Baugebieten mit Blick auf die Schutzwürdigkeit der im jeweiligen Baugebiet zulässigen Nutzungen ist. Die im jeweiligen Baugebiet nach der Baunutzungsverordnung oder – wie vorliegend nach dem übergeleiteten Planungsrecht – zulässigen Nutzungen ergeben eine gebietstypische Nutzungsstruktur, in der miteinander verträgliche Arten von Nutzungen zusammengefasst und von anderen Nutzungsarten abgegrenzt werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 24.September 1992 - 7 C 7.92 -,NVwZ 1993, 987 f.).
26
Für ein Mischgebiet nach der Baunutzungsverordnung beurteilt sich die Gebietsverträglichkeit aus dem Nebeneinander von Wohnen und der Unterbringung von Gewerbebetrieben. Beide Nutzungsarten stehen gleichberechtigt nebeneinander mit der Maßgabe, dass das Wohnen nicht wesentlich gestört werden darf (zum Ganzen: Fickert/Fieseler, BauNVO, 11. Auflage 2008, § 6 Rdn. 11 ff.). Dieses Nebeneinander ist ebenso städtebauliches Leitbild eines gemischten Gebietes nach der BO 58, wobei bei der Zulassung nichtstörender mittlerer Betriebe nach der Ausnahmeregelung des § 7 Nr. 9 Satz 2 BO 58 ein großzügiger Maßstab in der Großstadt gerechtfertigt ist (von Feldmann/Knuth, Berliner Planungsrecht, 3. Auflage 1998, Rdn. 112). Entsprechend und im Interesse einer Harmonisierung der Regelungen (vgl. OVG Berlin, Beschluss vom 26. Februar 1993 -2 S 1.93 -, BRS 55 Nr. 161; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 30. März 2007- 2 N 249.05 -, zitiert nach Juris, Rdn.15, m.w.N.) ist auch die Einschränkung bezüglich des nicht mehr zulässigen Störungspotenzials („keine Nachteile oder Belästigungen“) im Sinne eines Ausschlusses der das Wohnen wesentlicher Störungen zu verstehen.
27
3. Die Kammer ordnet das Vorhaben der Klägerin zur Bestimmung der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit als gewerblichen Betrieb mit einem – für eine prostitutive Einrichtung – mittleren Umfang ein. Die Zuordnung prostitutiver Einrichtungen zu den Kategorien des Bauplanungsrechts weist in der Rechtsprechung und Literatur eine sehr große Bandbreite auf.
28
a) Das Bundesverwaltungsgericht hatte sich erstmals im Jahre 1983 mit der planungsrechtlichen Zulässigkeit eines Bordells in einem Gewerbegebiet zu befassen und dieses dem Begriff der „Gewerbebetriebe aller Art“ im Sinne des § 8 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO 1977 zugeordnet (Urteil vom 25. November 1983 - 4 C 21.83 -, E 68, 213, 214). In der Entscheidung wurde offen gelassen, ob Bordellbetriebe Vergnügungsstätten im Sinne der Baunutzungsverordnung und damit in erster Linie den Kerngebieten und in zweiter Linie auch den besonderen Wohngebieten zugeordnet seien, denn jedenfalls handele es sich um eine atypische Art der von der Baunutzungsverordnung gemeinten Vergnügungsstätten wie Kinos, Tanzbars, Kabaretts usw. (BVerwG ebenda Seite 215). Eine Vergnügungsstätte konnte nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu den früheren Fassungen der Baunutzungsverordnung zugleich auch ein „sonstiger Gewerbebetrieb“ im Sinne des § 6 Abs. 2 Nr. 4 BauNVO 1977 sein, denn die Benennung spezieller gewerblicher Nutzungsarten wie der der Vergnügungsstätten bei einzelnen Baugebieten zeitigte nicht schlechthin eine Ausschlusswirkung für andere Baugebiete, bei denen die spezielle gewerbliche Nutzungsart neben „sonstigen Gewerbebetrieben“ oder neben „Gewerbebetrieben aller Art“ nicht ausdrücklich aufgeführt waren (BVerwG ebenda Seite 214; BVerwG, Urteil vom 25. November 1983 - 4 C 64.79 -, E 68, 207, 209). Nach der Novellierung der Baunutzungsverordnung stellt der Begriff der Vergnügungsstätte nunmehr einen eigenständigen städtebaulichen Nutzungsbegriff dar, der aus dem allgemeinen Begriff der Gewerbebetriebe herausgenommen wurde. Die Zulassung einer Vergnügungsstätte als „sonstiger Gewerbebetrieb“ kommt daher nach der Baunutzungsverordnung 1990 nicht mehr in Betracht (BVerwG, Beschluss vom 9. Oktober 1990 - 4 B 120/90 -, NVwZ 1991, 266). In späteren Entscheidungen hat das Bundesverwaltungsgericht die Zuordnung, ob Bordellbetriebe Vergnügungsstätten sind, weiter offen gelassen, aber auf die Atypik gegenüber dem in der Baunutzungsverordnung gemeinten Begriff der Vergnügungsstätten verwiesen (BVerwG, Beschluss vom 29. Oktober 1997 - 4 B 8/97 -, NVwZ-RR 1998, 540) und an anderer Stelle ein Bordell grundsätzlich als gewerbliche Nutzung qualifiziert, und zwar auch dann, wenn die Prostitution mit einer Wohnnutzung in denselben Räumen verbunden ist (BVerwG, Beschluss vom 28. Juni 1995 - 4 B 137/95 -, NVwZ-RR 1996, 84).
29
b) In der Rechtsprechung anderer Verwaltungsgerichte findet sich die Einordnung als Vergnügungsstätte nur vereinzelt (so: der 8. Senat des VGH Mannheim, Urteil vom 17. Oktober 1996 - 8 S 2136/96 - und die 6. Kammer des VG Sigmaringen, Urteil vom 23. Oktober 1997 - 6 K 923/97 -, jeweils zitiert nach Stühler, NVwZ 2000, 990, 993; ausdrücklich offen gelassen: VG Karlsruhe, Urteil vom 26. April 2007 - 5 K 2087/06 -; VG Würzburg, Urteil vom 23. Oktober 2007 - W 4 K 07.638 -; VGH München, Beschluss vom 16. Mai 2008 - 9 ZB 07.3224 -, jeweils zitiert nach Juris; zum Meinungsstand auch: Bielenberg in Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, Stand Oktober 2008, § 4a BauNVO Rdn. 58a).
30
c) Weit überwiegend werden prostitutive Einrichtungen in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung als gewerbliche Nutzungen bzw. Gewerbebetriebe im bauplanungsrechtlichen Sinne beurteilt (VGH Mannheim, Beschluss vom 9. August 1996 - 8 S 1987/96 -, zitiert nach Juris; Urteil vom 13. Februar 1998 - 5 S 2570/96 -, NVwZ-RR 1998, 550; VGH München, Beschluss vom 19. Mai 1999 - 26 ZB 99.770 -, GewArch 1999, 495; VG Stuttgart, Urteil vom 22. Oktober 2003 - 3 K 1019/03 -; OVG Berlin, Beschluss vom 9. April 2003 – 2 S 5.03 -; VG Osnabrück, Beschluss vom 7. April 2005 - 2 B 14/05 -; VG Sigmaringen, Urteil vom 8. Juni 2005 - 9 K 302/04 -; VG Berlin, Beschluss vom 21. April 2005 - 13 A 179.04 -; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 14. November 2005 - 10 S 3.05 -; VGH München, Beschluss vom 26. Februar 2007 - 1 ZB 06.2296 -; VG Berlin, Beschluss vom 28. September 2007 - VG 13 A 115.07 -, jeweils zitiert nach Juris; VG Berlin, Beschluss vom 19. September 2006 - 19 A 211.06 -).
31
d) Die bauplanungsrechtliche Einordnung wird auch im Schrifttum nicht einheitlich beurteilt. Während teilweise die Subsumtion als Vergnügungsstätte befürwortet wird (so: Stühler, NVwZ 1997, 861, 866 f.; derselbe NVwZ 2000, 990, 993) erstreckt sich das Spektrum bis hin zu der Feststellung, dass Prostitutionsausübung, soweit sie selbstständig und weisungsunabhängig erfolgt, eine freiberufliche Tätigkeit i.S. des § 13 BauNVO sei (Rhein/Zietzen, NJOZ 2009, 267, 280; diese Qualifizierung ausdrücklich ablehnend: VG Osnabrück, Beschluss vom 7. April 2005 - 2 B 14/05 - ; VG Arnsberg, Urteil vom 18. August 2008 - 14 K 2180/07 -, jeweils zitiert nach Juris).
32
Die Kammer schließt sich der Einordnung als Gewerbetrieb (sui generis) an, denn der Begriff der Vergnügungsstätte ist zwar gesetzlich nicht definiert, stellt aber eher einen Sammelbegriff für besondere Gewerbebetriebe dar, bei denen in unterschiedlicher Ausprägung die kommerzielle Unterhaltung und Freizeitgestaltung im Vordergrund steht, und die meist durch eine Lärmbelästigung für die Umgebung gekennzeichnet sind (vgl. Jahn, BauR 1990, 280, 281 m.w.N.).
33
4. Die Zulässigkeit prostitutiver Einrichtungen richtet sich damit im Weiteren nach dem Störpotenzial eines solchen Gewerbebetriebes im Verhältnis zur Wohnnutzung. Beim Begriff der Störung kommt es allein auf bodenrechtliche Spannungen an. Das Vorliegen einer Störung durch ein Gewerbe in einem Mischgebiet ist danach zu beurteilen, ob ein Vorhaben der beabsichtigten Art geeignet ist, das Wohnen in einem Mischgebiet so zu stören, dass von einer Gleichgewichtigkeit und wechselseitigen Verträglichkeit zwischen Wohnen und Gewerbe nicht mehr gesprochen werden kann (Bielenberg in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, aa.O., Rdn. 9).
34
a) Die Beurteilung hierzu wird regelmäßig anhand der so genannten typisierenden Betrachtungsweise (vgl. statt vieler: BVerwG, Beschluss vom 28. Juli 1988 - 4 B 119.88 -, NVwZ 1989, 50) vorgenommen. Die Zulässigkeit von Nutzungen hängt dabei nicht nur von deren Immissionsträchtigkeit oder Immissionsverträglichkeit ab, sondern wird auch von anderen Maßstäben der städtebaulichen Ordnung bestimmt (BVerwG, Urteil vom 25. November 1983 - 4 C 64.79 -, E 68, 207, 211). Ob eine Nutzungsweise bei typisierender Betrachtungsweise störend ist, ist nach der Rechtsprechung nach seinem Gegenstand, seiner Struktur und Arbeitsweise typischerweise verbundenen Auswirkungen auf die nähere Umgebung, wie insbesondere die Art und Weise der Betriebsvorgänge, deren Umfang und Häufigkeit und den Zeitpunkten dieser Vorgänge, des damit verbundenen Zu- und Abfahrtsverkehrs sowie des Einzugsbereiches des Betriebes zu beurteilen (BVerwG, Beschluss vom 25. März 2004 - 4 B 15/04 -, Juris Rdn. 9).
35
Bei der zur planungsrechtlichen Beurteilung von prostitutiven Einrichtungen typisierenden Betrachtungsweise wird diesen regelmäßig ein Störpotenzial zugeordnet, das insbesondere in der früheren Rechtsprechung unter Hinweis auf Belästigungen der Hausbewohner, erhöhte Schutzbedürftigkeit Minderjähriger, unvermeidbare Kontakte der Hausbewohner mit Prostituierten und deren Kunden, Klingeln von Kunden an falschen Wohnungstüren, Verschmutzungen des Hausflures, unzufriedene oder alkoholisierte Kunden bis hin zu gewalttätigen Begleiterscheinungen (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 14. November 2005 - 10 S 3.05 -, Juris Rdn. 10; OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 15. Januar 2004 - 8 B 11983/03 -, BauR 2004, 644; VG Osnabrück, Beschluss vom 7. April 2005 - 2 B 14/05 -, Juris Rdn. 15) charakterisiert wird. In anderen Entscheidungen wird die Unzumutbarkeit von prostitutiven Einrichtungen allgemein mit dem Hinweis auf milieubedingte Begleiterscheinungen und Auswirkungen (OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 9. Februar 2007- 8 B 10019/07 -, Juris Rdn. 10; VG Stuttgart, Urteil vom 22. Oktober 2003 - 3 K 1019/03 -, Juris Rdn. 34) und einen städtebaulich unerwünschten „Trading-Down-Effekt“ begründet. Nach Maßgabe dieser Annahmen entspricht es ständiger Rechtsprechung, dass Bordelle und bordellartige Betriebe nicht nur in Wohngebieten, sondern auch in einem Mischgebiet als unzulässig angesehen werden (VGH Mannheim, Urteil vom 13. Februar 1998 - 5 S 2570/96 -, NVwZ-RR 1998, 550; VGH München, Beschluss vom 19. Mai 1999 - 26 ZB 99.770 -, BayVBl. 2000, 280; OVG Berlin, Beschluss vom 9. April 2003 - 2 S 5.03 -; VG Stuttgart, Urteil vom 22. Oktober 2003 - 3 K 1019/03 -; VGH München, Beschluss vom 16. Mai 2008 - 9 ZB 07.3224 -; VG Würzburg, Urteil vom 23. Oktober 2007 - W 4 K 07.638 -, jeweils zitiert nach Juris).
36
b) In der Rechtsprechung ist indes auch anerkannt, dass aus der Betriebsform, die den Rahmen sexueller Dienstleistungen bestimmt, auf ein unterschiedliches bauplanungsrechtliches Störungspotenzial geschlossen werden kann (VGH Mannheim, Beschluss vom 9. August 1996 - 8 S 1987.96 -,NVwZ 1997,601; Urteil vom 24. Juli 2002 - 5 S 149.01-, GewArch 2003, 496). So wird unter der Voraussetzung, dass die gewerbliche Nutzung nach außen nur wohnähnlich in Erscheinung tritt und dem Gebäude, in dem sie stattfindet, nicht „das Gepräge gibt“, auch davon ausgegangen, dass die im Falle der so genannten Wohnungsprostitution regelmäßig gegebene Störung typischerweise nicht so weit gehen muss, dass das Vorhaben in einem Mischgebiet i.S. des § 6 BauNVO generell unzulässig wäre (BVerwG, Beschluss vom 28. Juni 1995 - 4 B 137.95-, BauR 1996, 78). Die Unzulässigkeit könne für die Wohnungsprostitution nur mit § 15 BauNVO bei einem Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme begründet werden (so: VGH Mannheim, Beschluss vom 9. August 1996 - 8 S 1987/96 -, Juris Rdn. 3).
37
aa) Der Begriff der Wohnungsprostitution bleibt in der Rechtsprechung indes ebenso wie die Unterscheidung zwischen Bordell und bordellartigem Betrieb ohne einheitliche Struktur oder Begründung (vgl. Rhein/Zitzen, NJOZ 2009, 268, 273; Stühler, NVwZ 1997, 861, 865; Zimmermann, Die öffentlich-rechtliche Behandlung der Prostitution, Tübingen 2002, Seite 113 [„Begriffswirrwarr“], 116 ff., 122f.). Der VGH Mannheim hat zur Wohnungsprostitution in Abgrenzung zum bordellartigen Betrieb ausgeführt, dass bei aller Unschärfe in der Unterscheidung der Prostitutionsformen der Wohnungsprostitution jedenfalls eigen sei, dass die Prostituierten in dem betreffenden Gebäude auch wohnen (VGH Mannheim, Urteil vom 24. Juli 2002 - 5 S 149/01 -, GewArch 2003, 496, 498). Nach dem VGH München muss dabei noch hinzu kommen, dass die gewerbliche Nutzung nach außen nur wohnähnlich in Erscheinung tritt und dem Gebäude, in dem sie stattfindet, nicht „das Gepräge gibt“ (VGH München, Beschluss vom 19. Mai 1999 - 26 ZB 99.770 -, Juris Rdn. 6). Ein solches Gepräge könne ein Gebäude insbesondere durch von außen wahrnehmbare Hinweise auf den Verwendungszweck erhalten, etwa durch Reklametafeln oder -schriften, auffällige Beleuchtung (Rotlicht) oder akustische Signale, die aufmerksame Passanten Rückschlüsse auf die Prostitutionsausübung im Hause ziehen ließen (VGH Kassel, Beschluss vom 23. April 1992 - 11 CH 3607/90 -, NVwZ-RR 1992, 622, 623).
38
bb) In der Literatur vertretene Beschreibungen und Beurteilungen der Wohnungsprostitution werden von Rhein/Zitzen (NJOZ 2009, 267, 269 m. Nachweisen Fn. 20 bis 26) wie folgt zusammengefasst:
39
Die Wohnungsprostitution sei dadurch gekennzeichnet,
40
„dass keine anreizende Werbung stattfinde und die Prostituierten, ebenso wie die Kunden, welche sich überwiegend nach telefonischer Vereinbarung diskret in der Wohnung einfänden, auf Anonymität bedacht wären. In ihrer Idealform werde die Wohnungsprostitution von den 'besseren' Prostituierten ausgeübt und den 'besseren' Freiern in Anspruch genommen, da Wohnungsprostituierte verstärkt von Besuchern mit höherem sozialem Rang aufgesucht würden, welche die unauffällige Umgebung gegenüber einem Straßenstrich oder einem Kontakthof bevorzugten. Ferner wird dargelegt, dass 'Wohnungsprostituierte’ selbst häufig die Distanz zum 'Milieu’ suchten und sich aus diesem Grund in 'normaler’ unauffälliger Wohngegend niederließen. Wohnungsprostitution werde daher überwiegend ohne aufreizende, sicht- oder hörbare Werbung betrieben und die Prostituierten 'postierten’ sich nicht außerhalb des Hauses, wodurch ein voyeuristischer Besucherverkehr entfalle. Bei der Wohnungsprostitution sei ein versehentliches Ansprechen Unbeteiligter sowie ein versehentliches Klingeln an fremden Türen zwar nicht völlig auszuschließen, auf Grund der vorab erfolgten Verabredung jedoch erheblich reduzierter. Auf Grund des erhöhten Diskretionsbedarfs erfolgten Verabredungen überwiegend vorab und telefonisch. Der Kundenkreis lege selbst größten Wert auf Anonymität“.
41
c) Legt man diese Beschreibungen und Einschätzungen zu Grunde, so wird deutlich, dass das im Übrigen von der Rechtsprechung geforderte Merkmal des gleichzeitigen Wohnens nicht geeignet ist, die planungsrechtliche Zulässigkeit gegenüber einem störenden Gewerbetrieb abzugrenzen. Denn es fehlt jegliche empirische Grundlage für die Annahme, dass eine im Wesentlichen diskrete Betriebsform nur dann angestrebt und realisiert wird, wenn die Prostitutionsausübung in einem Wohnumfeld an eine gleichzeitige eigene Wohnnutzung der Prostituierten gekoppelt ist. Die geforderte gleichzeitige Wohnnutzung als Voraussetzung würde vielmehr zu unverständlichen Ergebnissen führen, da dann eine Wohngemeinschaft von drei dort zugleich arbeitenden Prostituierten als weniger störend anzusehen wäre, als die Einzelnutzung von Wohnräumen ausschließlich als Betriebsstätte. Wenn die Betriebstätte in einem ehemaligen Ladengeschäft mit direktem Zugang von der Straße untergebracht wäre, würde ein mögliches Störpotenzial eines Zugangs über einen Wohnflur entfallen; ein Ladenlokal ist aber grundsätzlich nicht zugleich zum Wohnen geeignet. Nach Auffassung der Kammer ist daher für die bauplanungsrechtliche Beurteilung mit dem Merkmal des gleichzeitigen Wohnens kein Erkenntnisgewinn verbunden. Das Fehlen einer Wohnnutzung kann nicht zwingend eine störende gewerbliche Nutzung begründen (Rhein/Zitzen, a.a.O., Seite 274; Zimmermann, a.a.O., Seite 130). Maßgeblich ist vielmehr, dass in Wohnungen oder Gebäuden mit Wohnungen, also in einem Umfeld mit zulässiger Wohnnutzung, Prostituierte tätig sind und die jeweilige prostitutive Einrichtung dem Gesamtgebäude nicht das Gepräge geben. Die Größe des jeweiligen Betriebes, die Öffnungszeiten und Betriebsabläufe bilden dann den Maßstab und Rahmen für die Frage der Gebietsverträglichkeit. Diese Form der Ausübung der Prostitution wird in der politischen Diskussion mit dem Begriff der Wohnungsbordelle umschrieben (vgl. Abgh.-Drucksache 16/1595 vom 27. Juni 2008; Abgh.-Drucksache 16/12093 vom 2. Juli 2008; BT-Drucksache 16/5068 vom 20. April 2007; BA Lichtenberg von Berlin, Drucksache-DS/0995/VI, Beschluss vom 18. September 2008).
42
d) Angesichts der unklaren Begrifflichkeiten und der Vielschichtigkeit der Erscheinungsformen prostitutiver Einrichtungen (Bordelle, Swinger-Clubs, Laufhäuser, Massagesalons, Terminwohnungen, Modellwohnungen, bordellähnliche Einrichtungen, Eskortservice, Bars etc.; zu den Erscheinungsformen der Prostitution: Brückner/Oppenheimer, Lebensituation Prostitution, Königsstein 2006; Mitrocic [Hrsg.], Arbeitsplatz Prostitution, Hamburg 2007; Zimmermann, a.a.O., Seite 14 ff.) und des mit den jeweiligen Betriebsformen und Betriebsabläufen verbundenen Störpotenzials ist für die planungsrechtliche Zulässigkeit die typisierende Betrachtungsweise nach Auffassung der Kammer grundsätzlich ungeeignet.
43
aa) Dies gilt umso mehr, als einer der Ausgangspunkte für die im Zusammenhang mit Prostitution vorgenommene typisierende Betrachtungsweise die Einordnung des Bundesverwaltungsgerichts ist, wonach auch auf die „allgemeine sozialethische Bewertung“ abgestellt wurde (BVerwG, Urteil vom 25. November 1983 - 4 C 21.83 -, E 68, 213, 215). Dieser Ansatz steht im Widerspruch dazu, dass dem Baurecht eine Wertung der Nutzung in sozialethischer Hinsicht fremd ist (OVG Münster, Urteil vom 19. Januar 1983 - 11 A 2171/82 -, VG Osnabrück, Beschluss vom 7. April 2005 - 2 B 14/05 -, jeweils zitiert nach Juris; Zimmermann, a.a.O., Seite 128; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 25. November 1983 - 4 C 21.83 -, E 68, 213, 216). Maßgeblich sind vielmehr bodenrechtlich relevante Umstände, nicht hingegen subjektive Empfindungen des Einzelnen. Daraus folgt, dass die Prostitutionsübung baurechtlich nicht wegen eines sittlichen Unwertes eingeschränkt werden darf, sondern nur, wenn von spezifischen, unter dem Gesichtspunkt der gegenseitigen Rücksichtnahme nicht hinzunehmenden Störungen auszugehen ist. Sittliche Erwägungen dürfen auch nicht durch die „Hintertür“ eingeführt werden, beispielsweise indem das Störpotential überhöht eingeschätzt wird oder das ungestörte Wohnen im Sinne eines Unbehelligtbleibens von sittlichen Anmaßungen verstanden wird (Zimmermann, a.a.O., Seite 128 mit ablehnenden Hinweis auf VG Augsburg, Urteil vom 10. Februar 1999 - Au 5 K 96.1110 -, wonach zum Wohnen auch das ungestörte und moralisch ungefährdete Aufwachsen von Kindern gehören soll). Weiter kommt es nicht unmittelbar darauf an, was sich im Inneren einer von Prostituierten genutzten Räumlichkeit abspielt, sondern nur wie das dortige Geschehen nach außen dringt. Der Ablauf im Inneren, dessen Gestaltung und sein Umfang haben allenfalls indizielle Wirkung (Zimmermann, a.a.O., Seite 128). Bedeutung kommt den Störungen zu, die den Bedürfnissen der Wohnnutzung gerade auch im Mischgebiet entgegenstehen. Dabei kann es sich v.a. um Störungen der Nachtruhe handeln. Grundsätzlich ist aber dem Bewohner eines Mischgebietes gegenüber Störungen durch gewerbliche Betriebe eine erhöhte Toleranz abzuverlangen (Zimmermann, a.a.O., Seite 132).
44
bb) Ein von sozialethischen Vorstellungen geprägter Ansatz verbietet sich zudem im Hinblick auf das Prostitutionsgesetz. Zwar hat dieses nach allgemeiner Ansicht keine maßgeblichen Auswirkungen auf die bauplanungsrechtliche Beurteilung, unterstreicht jedoch die Abkehr von einer negativen sozialethischen Bewertung. Die Kammer ist der Ansicht, dass wegen des Grundsatzes der Einheitlichkeit der Rechtsordnung und damit deren Unteilbarkeit in ihren rechtsethischen Annahmen (Gurlit, GewArch 2008, 426, 427 m.w.N.) das Unsittlichkeitsverdikt durch § 1 ProstG auch für andere Regelungsbereiche beseitigt wurde (zum Meinungsstand Nachweise bei: Gurlit ebenda Seite 427; Renzikowski, GewArch 2008, 432, 433; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 6. November 2002 - 6 C 16/02 -, Juris Rdn. 22; BVerwG, Beschluss vom 23. März 2009 - 8 B 2.09 -, Seite 5 des amtl. Abdrucks).
45
5. Angesichts der Vielfalt der Betriebsformen des Angebots sexueller Dienstleistungen bietet eine starre typisierende Betrachtungsweise keinen geeigneten Maßstab und Rahmen für eine bauplanungsrechtliche Beurteilung. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der üblichen Unterscheidungen prostitutiver Einrichtungen in Bordelle, bordellähnliche Betriebe und Wohnungsprostitution, denn abgesehen von deren begrifflicher Unschärfe, kann damit das jeweilige Störpotenzial nicht verlässlich erfasst und bewertet werden. Eine Typenbildung unterliegt immer der Gefahr von Unterstellungen, ohne Feststellung belastbarer Tatsachen für die Besorgnis von Störungen. So ist in der Rechtsprechung auch anerkannt, dass es neben den Betrieben, die nach ihrer Art ohne weiteres in einem Mischgebiet unzulässig wären, auch solche gibt, die wegen der mit ihnen verbundenen (geringeren) Störungen gleichwohl als gebietsunverträglich einzustufen sind und diese wegen des Vorliegens atypischer Umstände zulassungsfähig sein können (für ein Bauunternehmen im Mischgebiet: BVerwG, Beschluss vom 22. November 2002 - 4 B 72/02 -, zitiert nach Juris m.w.N.). Ob ein Betrieb, der seiner Art nach zu wesentlichen Störungen führen kann, aber nicht führen muss, in einem Mischgebiet zugelassen werden kann, hängt von der jeweiligen Betriebsstruktur ab. Je nach der Größe und dem Umfang des Betriebes, der technischen und personellen Ausstattung, der Betriebsweise und der Gestaltung der Arbeitsabläufe kann dies unterschiedlich zu beurteilen sein. Maßgeblich ist, ob sich die Störwirkungen, die die konkrete Anlage bei funktionsgerechter Nutzung erwarten lässt, innerhalb des Rahmens halten, der durch die Gebietseigenart vorgegeben wird (BVerwG ebenda Rdn. 4). Dieser Ansatz stellt zunächst nur eine Einschränkung der typisierenden Betrachtungsweise dar, weitergehend gilt aber auch der Grundsatz, dass bei der Prüfung, ob ein Betrieb zu den nicht wesentlich störenden wohnverträglichen Gewerbebetrieben im Sinne des § 6 Abs. 1 BauNVO zählt, sich die an sich gebotene typisierende Betrachtungsweise sogar verbietet, wenn der Betrieb zu einer Branche gehört, bei der die üblichen Betriebsformen hinsichtlich des Störgrades eine vom nicht wesentlich störenden bis zum störenden oder gar bis zum erheblich belästigenden Betrieb reichende Bandbreite aufweisen (VGH München, Beschluss vom 13. Dezember 2006 - 1 ZB 04.3549 -, Juris Rdn. 25 m.w.N.; VGH Mannheim, Urteil vom 16. Mai 2002 - 3 S 1637/01 -, BRS 65 Nr. 65). Bei solchen Vorhaben sind der Zulässigkeitsprüfung stets die konkreten Verhältnisse des Betriebs zugrunde zu legen. Dasselbe gilt im Einzelfall, wenn der Betrieb zwar zu einer Branche gehört, bei der eine typisierende Einstufung hinsichtlich des Störungsgrades grundsätzlich gerechtfertigt ist, es sich aber um eine atypische, von dem branchenüblichen Erscheinungsbild abweichendes Vorhaben handelt und wenn anzunehmen ist, dass der Betrieb diesen atypischen Charakter auch künftig beibehalten wird (zu einer Tischlerwerkstatt im allgemeinen Wohngebiet: BVerwG, Urteil vom 7. Mai 1971 - IV C 76.68 -, DÖV 1971, 633).
46
6. Bei der unter Abkehr von einer typisierenden Betrachtungsweise vorzunehmenden Gesamtschau der bauplanungsrechtlich relevanten Auswirkungen einer prostitutiven Einrichtung steht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zur Überzeugung der Kammer fest, dass der Betrieb der Klägerin mit der Wohnnutzung der näheren Umgebung vereinbar ist.
47
a) Die Kammer verkennt nicht, dass das sog. Rotlichtmilieu in vielfältiger Weise kriminalitätsbelastet ist und zwar in einer Weise, die es erforderlich macht, dass beim Landeskriminalamt Berlin (LKA) ein Dezernat der Abteilung Organisierte Kriminalität mit dem Bereich Rotlichtkriminalität befasst ist. Die Leiterin dieses Dezernats hat indes in ihrer Vernehmung als sachverständige Zeugin ausdrücklich betont, dass die Erscheinungsformen der Prostitution und deren Begleitkriminalität sehr differenziert zu betrachten seien. Sie ordnete den Betrieb der Klägerin - in der Terminologie des LKA - als Wohnungsbordell ein. Dieser Begriff werde dahingehend verstanden, dass es sich um eine Prostitutionsstätte handele, die nach außen nicht als solche in Erscheinung trete. Es seien unauffällige Betriebe in Wohnungen oder Wohnhäusern ohne Konzentration in einem Rotlichtmilieu. Im Bereich der polizeilich in Berlin festgestellten 232 Wohnungsbordelle gebe es kaum Auffälligkeiten, wobei gleichwohl jeder Betrieb einzeln betrachtet werden müsse. Der Betrieb der Klägerin sei noch in keiner Weise auffällig geworden; auch bei Kontrollen seien solche nicht festgestellt worden. Seit Inkrafttreten des Prostitutionsgesetzes sei eine Tendenz erkennbar, dass sich „die Spreu vom Weizen“ trenne und zunehmend Bordellbetreiber auf eine Anmeldung der Betriebe und die Einhaltung der Steuer- und Sozialversicherungspflichten bedacht seien. Aus der Sicht des Landeskriminalamtes würde eine Konzessionierung der Betriebe befürwortet werden, da hiermit auch Bedingungen verknüpft werden könnten und dies auch eine Erleichterung der Kontrollen bedingen würde.
48
b) Auch der im Bereich der Ri.straße als Kontaktbereichsbeamter tätige Polizeibeamte bestätigte in seiner Vernehmung als sachverständiger Zeuge die Unauffälligkeit des Betriebes der Klägerin. Ihm seien zu keinem Zeitpunkt Beschwerden bekannt geworden, weder über den Betrieb selbst noch wegen sonstiger damit im Zusammenhang stehender Verhaltensauffälligkeiten von Personen. Der Betrieb der Klägerin sei in der Straße „kein Thema“.
49
c) Die für die aufsuchende Beratung von prostitutiven Einrichtungen zuständige Sozialarbeiterin des Gesundheitsamtes ordnete den Betrieb der Klägerin, den sie aus ihrer beruflichen Tätigkeit persönlich kennt, gleichfalls als Wohnungsbordell ein. Nach ihrem Verständnis ist ein Wohnungsbordell eine prostitutive Einrichtung, die sich durch eine erhöhte Diskretion sowohl für die dort tätigen Frauen wie auch für die Kunden auszeichnet. Wohnungsbordelle seien zum Teil nur schwer auffindbar und als prostitutive Einrichtungen häufig nicht nach außen erkennbar, weil die Diskretion ein wesentliches Merkmal sei. Dies gelte insbesondere auch für den Betrieb der Klägerin. In Betrieben mit mehreren Prostituierten spiele die Kollegialität und die Möglichkeit zum Erfahrungsaustausch eine positive Rolle. Auch sei in Wohnungsbordellen die Sicherheit für die Frauen z.B. durch Zugangskontrollen wesentlich besser gewährleistet als in anderen Prostitutionsstätten. So würden auch die Kunden nicht in Gruppen, sondern einzeln die Einrichtungen aufsuchen. Der Betrieb der Klägerin zeichne sich neben Sauberkeit auch dadurch aus, dass ein Aufenthaltsraum und eine Küche für die Prostituierten vorhanden, dort eine Hausdame tätig sei und auf Professionalisierung Wert gelegt werde. Die sachverständige Zeugin verneinte die Frage nach der Wahrnehmung von störenden Erscheinungen der von ihr aufgesuchten Wohnungsbordelle, wobei sich die von ihr betreuten Einrichtungen nicht auf solche beschränkten, die an einer Kooperation mit dem Gesundheitsamt von sich aus interessiert seien. Vielmehr würden auch Betriebe auf der Grundlage eigener Recherchen (z.B. Zeitungsanzeigen oder Internet) aufgesucht werden.
50
d) Die Verfasserin der Studie „Berliner Wohnungsbordelle in Wohn- und Mischgebieten“, in deren Rahmen auch der Betrieb der Klägerin untersucht wurde, ordnete diesen in ihrer sachverständigen Zeugenvernehmung ebenfalls als Wohnungsbordell ein. Darunter versteht die Sozialwissenschaftlerin eine Prostitutionsausübung, die in Wohnungen bzw. in Wohnhäusern gelegenen Räumen erfolge, wobei die Größe der Wohnung/Räumlichkeiten, die Anzahl der dort arbeitenden Prostituierten und, ob dort auch (vorübergehend) gewohnt oder nur gearbeitet werde, keine Rolle spiele (Definition und Abgrenzungen Seite 4 der Studie). Die sachverständige Zeugin bescheinigte der prostitutiven Einrichtung der Klägerin auf der Grundlage teilnehmender Beobachtung und Befragungen einen völlig unauffälligen Betrieb. Die von ihr befragten Kunden seien gleichfalls auf Unauffälligkeit und Anonymität bedacht gewesen und deren Gewährleistung sei maßgeblich für die Entscheidung der Kunden zur Inanspruchnahme sexueller Dienstleistungen gerade in dieser Einrichtung. Durch die Tätigkeit einer Hausdame sei eine Vorauswahl der Kunden möglich und alkoholisierte Gäste würden gar nicht erst eingelassen werden. Die Zeugin berichtete, sie selbst habe zunächst Schwierigkeiten gehabt, die Betriebsstätte überhaupt aufzufinden. Sie gab zudem an, dass z.B. in einer Bäckerei, einem Schreibwarenladen und einem weiteren Gewerbebetrieb in der näheren Umgebung die Existenz der prostitutiven Einrichtung überhaupt nicht bekannt gewesen sei.
51
e) Die Kammer hat keinen Zweifel an der Richtigkeit der von den sachverständigen Zeugen getroffenen Aussagen und Beurteilungen. Insbesondere steht dem Beweiswert der Angaben der Verfasserin der Studie auch nicht entgegen, dass die Erhebungen nicht repräsentativ sind, sondern nur Betriebe erfasst werden konnten, die kooperationsbereit waren. Wesentlich ist insoweit, dass der Anspruch einer quantitativen Repräsentativität nach der zu beurteilenden Fragestellung, ob von Wohnungsbordellen typischerweise bestimmte Störungen ausgehen, gar nicht erhoben wird und auch nicht erhoben werden muss (vgl. Seite 20 der Studie). Die Kammer teilt daher nicht die Einwände des Beklagten. Im Übrigen ist maßgeblich, dass der Betrieb der Klägerin selbst Gegenstand der Untersuchung war und somit nicht bloße Schlussfolgerungen aus einer Übertragung von Feststellungen in anderen Betrieben auf die streitgegenständliche Einrichtung in Rede stehen. Die Bekundungen der sachverständigen Zeugin stehen zudem im Einklang mit den sonstigen Ergebnissen der Beweisaufnahme.
52
f) Davon, dass der Betrieb der Klägerin nach außen völlig unauffällig ist und nicht als prostitutive Einrichtung in Erscheinung tritt, konnte sich die Kammer im Ortstermin selbst überzeugen. Die Fensterfront der ehemaligen Ladeneinheit ist mit neutralen, blickdichten Lamellenjalousien versehen, wie sie z.B. bei Büros oder Arztpraxen üblich sind. An der ehemaligen Ladeneingangstür befindet sich ein dezentes Messingschild mit dem Betriebsnamen, der Angabe der Öffnungszeiten und dem Hinweis auf den Eingang um die Ecke. Selbst die Namenswahl „Salon Pr.“ bietet verschiedenen Interpretationsmöglichkeiten über die Art des dort ansässigen Gewerbes Raum (z.B. Modeatelier, Kosmetikstudio, Friseursalon) und weist somit den Betrieb der Klägerin nicht eindeutig als prostitutive Einrichtung aus. Auch sonstige Werbeanlagen sind nicht vorhanden. Zwar ist der Eingang zu den Betriebsräumen entgegen der Betriebsbeschreibung vom 28. September 2006 von der Straßenfront in den Hausflurbereich verlegt worden, und entsprechend besteht ein gemeinsamer Hauseingang für die gewerbliche und die Wohnnutzung des Gebäudes; auch befindet sich die Klingel für den Betrieb der Klägerin auf dem gleichen Tableau wie die Klingeln der Wohnungsmieter. Der Klägerin ist jedoch zuzugeben, dass diese Gestaltung der Eingangssituation dem Interesse an Unauffälligkeit und Anonymität stärker Rechnung trägt als ein Zugang von der Straßenfront. Denn der Eingangsbereich selbst ist von der Straße nicht einsehbar und Kunden, die nach dem Klingeln auf das Öffnen der Haustür warten, sind für Dritte nicht als Besucher der prostitutiven Einrichtung erkennbar. Selbst die auffallend rote Lackierung der Eingangstür zur Betriebsstätte im Hausflur ist letztlich positiv zu bewerten, da diese Gestaltung dazu beiträgt, dass ortsunkundige Kunden diesen Zugang leicht wahrnehmen können und somit keine Veranlassung haben, im weiteren Hausflur und Treppenbereich des Gebäudes nach der Betriebsstätte zu suchen. Nicht zuletzt ist anzumerken, dass auch die Hauseingangstür zur Eingangskontrolle durch die Hausdame videoüberwacht wird. Diese Kameraüberwachung dient nach den glaubhaften Angaben der Klägerin zudem auch den dort tätigen Prostituierten zur Entscheidung, ob sie sich einem Kunden vorstellen wollen, oder den Kontakt zu einem möglichen Gast ablehnen.
53
7. Insgesamt verfügt die Einrichtung der Klägerin über die Merkmale, die üblicherweise hinsichtlich des (fehlenden oder geringen) Störungspotenzials der Wohnungsprostitution im Unterschied zu Bordellen oder bordellartigen Betrieben zugestanden werden. Daraus folgt, dass es sich um einen ausnahmsweise zulässigen Gewerbebetrieb mittlerer Größe im Sinne des § 7 Nr. 9 Satz 2 BO 58 handelt, von dem keine Nachteile oder Belästigungen für die nähere Umgebung ausgehen. Die Kammer konnte diese uneingeschränkte Feststellung treffen, denn die ausnahmsweise Zulässigkeit erfordert keine Ausnahme im Sinne des § 31 Abs. 1 BauGB, deren Erteilung in das gerichtlich nach § 114 VwGO nur eingeschränkt überprüfbare behördliche Ermessen gestellt ist. Dies folgt aus dem Wortlaut der Vorschrift, der die Zulässigkeit von gewerblichen Vorhaben nach § 7 Nr. 9 Satz 2 BO 58 mit einer gewissen Flexibilität ausstattet („ausnahmsweise sind zulässig“) und nicht die Kennzeichnung „können zugelassen werden“ für ein behördliches Ermessen aufweist, wie dies z.B. in § 7 Nr. 8 Satz 2 BO 58 der Fall ist. Die Einschränkung als Ausnahme beruht nach dem Verständnis der Kammer ausschließlich auf der planerischen Entscheidung, als Leitbild der gewerblichen Nutzung den Kleinbetrieb zu bestimmen.
54
8. Die Kammer verkennt nicht, dass prostitutive Einrichtungen in einem Wohnumfeld auch nach dem Fortfall des Unsittlichkeitsverdikts durch das Prostitutionsgesetz nach wie vor auf Ablehnung in der Nachbarschaft stoßen können. Dies ist indes keine Besonderheit dieses Gewerbezweiges, sondern gesellschaftliche Realität wie sie auch immer wieder in einer von Wertungen und subjektiven Empfindungen geprägten Ablehnung von Nachbarn bei anderen Bauvorhaben zum Ausdruck kommt, die einer bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit indes nicht entgegensteht (vgl. zu einem psychiatrischen Krankenhaus: VG Berlin, Beschluss vom 23. April 2007 - VG 19 A 16.07 -; Einrichtung des Maßregelvollzuges im allgemeinen Wohngebiet: VG Berlin, Beschluss vom 17. September 2008 - VG 13 A 104.08 -; Einrichtung zur Suchtrehabilitation: VG Berlin, Urteil vom 27. Januar 2004 - VG 19 A 245.03 -; Bestattungsinstitut im allgemeinen Wohngebiet: Thüringer OVG, Urteil vom 20. November 2002 - 1 KO 817/01 -, zitiert nach Juris; Moscheen: OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 30. März 2007- OVG 2 N 249.05 -; VG Berlin, Urteil vom 18. Februar 2009 - VG 19 A 355.04; sowie die umfangreiche Judikatur zu Asylbewerberwohnheimen und ähnlichen Einrichtungen). Im Übrigen ist dem Bewohner eines Mischgebiets gegenüber Störungen durch gewerbliche Betriebe eine erhöhte Toleranz abzuverlangen. Das gilt grundsätzlich auch gegenüber prostitutiven Einrichtungen, wobei es nicht darauf ankommt, dass gegenüber prostitutiven Tätigkeiten eine erhöhte, sittlich begründete Empfindlichkeit besteht (Zimmermann, a.a.O., Seite 132). Diese Betrachtungsweise findet indes dort ihre Grenze, wo sozialethische - an sich unbeachtliche - Bewertungen in bodenrechtlich relevante Spannungen umschlagen können, namentlich durch einen Fortzug der angestammten Wohnbevölkerung in einem Gebiet infolge prostitutiver Einrichtungen. Insgesamt ist zudem immer auch die Gefahr städtebaulicher Fehlentwicklungen durch so genannte „Trading-Down-Effekte“ in den Blick zu nehmen. Hierfür bestehen vorliegend jedoch keinerlei Anhaltspunkte, vielmehr ist die Wahl der Betriebsstätte gerade dadurch bestimmt, nicht mit Erscheinungsformen des sog. Rotlichtmilieus in Verbindung gebracht zu werden. Im Übrigen bietet für die Zulässigkeit prostitutiver Einrichtungen insbesondere nach Anzahl, Lage und Umfang das allgemeine Gebot der Rücksichtnahme (§ 7 Nr. 5 BO 58/§ 15 Abs. 1 BauNVO/§ 34 BauGB) ein bauplanungsrechtliches Korrektiv.
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9. Anhaltspunkte für eine Verletzung des § 7 Nr. 5 BO 58 bestehen für den Betrieb der Klägerin nicht. Dieser hält sich in jeder Hinsicht im Rahmen der Nutzungsstruktur eines gemischten Gebietes nach § 7 Nr. 9 BO 58. Obwohl danach auch Gaststätten allgemein zulässig sind, ist darauf hinzuweisen, dass ein Alkoholausschank im Betrieb der Klägerin nicht stattfindet. Die Gebietsverträglichkeit gilt namentlich auch für die Öffnungszeiten nach Maßgabe der Betriebsbeschreibung vom 28. September 2006. Eine beachtliche Störung insbesondere der Nacht- und Sonntagsruhe ist abgesehen von der bereits gewürdigten grundsätzlichen Unauffälligkeit des Betriebes unter Berücksichtigung der Öffnungszeiten bis 23.00 Uhr und nach dessen Umfang nicht zu besorgen. Hierbei ist neben den zwischenzeitlich üblichen Geschäftszeiten z.B. von Lebensmittelgeschäften bis 22.00 Uhr oder auch erweiterten Öffnungszeiten anderer Dienstleistungsunternehmen oder wie bei Arztpraxen mit Sprechzeiten auch an Wochenenden darauf hinzuweisen, dass sich das Vorhabengrundstück in unmittelbarer Nähe von Kerngebietsausweisungen bzw. eines besonderen Wohngebietes nach § 4a BauNVO befindet. Damit besteht eine plangegebene Vorbelastung (vgl. allgemein dazu: Fickert/Fieseler, a.a.O., § 15 Rdn. 23.2 ff.), die zu Gunsten des Betriebes der Klägerin streitet. Die Anzahl der (unauffälligen) Kunden, die die Klägerin mit durchschnittlich 30 bis 35 pro Tag angibt, dürfte zudem auch bei einer stärkeren Frequentierung des Betriebes unter der eines Ladengeschäftes, einer Gaststätte oder z.B. einer durchschnittlichen Arztpraxis liegen, so dass der Ziel- und Quellverkehr kein besonderes Störpotenzial bergen kann.
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III. Die Kammer ist sich durchaus der Schwierigkeiten bewusst, die es für die Bauaufsichtsbehörde angesichts der im Rotlichtmilieu auch anzutreffenden erheblichen Kriminalitätsbelastung bereiten kann, allein auf der Grundlage von Betriebsbeschreibungen die Zulässigkeit einer prostitutiven Einrichtung zu beurteilen, zumal das Bauplanungsrecht ausschließlich grundstücks- und gerade nicht personenbezogen ist, tatsächlich für ein mögliches Störungspotenzial aber gerade auch die Art der Betriebsführung und die Person des Betreibers bzw. Anbieters sexueller Dienstleistungen mit maßgeblich ist. Hierin unterscheidet sich das mögliche Konfliktpotenzial indes nicht von anderen baurechtlichen Genehmigungsverfahren. Auch an Hand von Bauvorlagen für eine Gaststätte können keine Aussagen über den Betreiber und dessen Zuverlässigkeit getroffen werden. Eine solche Beurteilung gehört wegen der allein maßgeblichen Grundstücksbezogenheit auch nicht zum Prüfprogramm der Bauaufsichtsbehörden. Mit den Mitteln des Baurechts kann und soll eine präventive Kontrolle, ob z.B. ein Gastwirt unter Verstoß gegen Jugendschutzvorschriften Alkohol an Jugendliche ausschenken oder eine Lärmbelästigung der Nachbarschaft durch seine Gäste zulassen wird, nicht geleistet werden. Für diese ordnungsrechtlichen Belange stellt das allgemeine und besondere Gewerberecht (GewO, GaststättenG) das Kontrollinstrumentarium zur Verfügung. Für den Bereich der prostitutiven Einrichtungen gilt, dass diese durch das Prostitutionsgesetz zwar in das öffentliche Wirtschaftrecht hineingewachsen sind, ohne dort jedoch einen angemessenen Regelungsrahmen vorzufinden (Gurlit, GewArch 2008, 426, 431; vgl. BT-Drucksache 16/4146, Bericht der Bundesregierung zu den Auswirkungen des Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten [Prostitutionsgesetz - ProstG] vom 25. Januar 2007, Seite 36 ff.; Renzikowski, Gutachten im Auftrag des Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Gesundheit, Reglementierung von Prostitution: Ziele und Probleme, 2007). Strafrechtliche Interventionsmöglichkeiten wurden abgebaut, ohne das dadurch entstandene Kontrolldefizit durch andere Regelungen zu schließen (Renzikowski, GewArch 2008, 432, 435). Dieses gesetzgeberische Regelungsdefizit kann nicht durch das Baurecht ausglichen oder aufgefangen werden. Insbesondere verbietet sich eine Einschränkung an sich zulässiger baulicher Nutzungen im Wege eines Rückgriffs auf sozialethische Betrachtungsweisen bei der bauplanungsrechtlichen Beurteilung zur Begründung eines im Übrigen gar nicht feststellbaren Störpotenzials.
57
IV. Danach hat die Klage bereits mit dem Hauptantrag Erfolg. Das Vorhaben der Klägerin bedarf keiner Ausnahme oder Befreiung nach § 31 Abs. 1 oder 2 BauGB. Wegen der feststellenden Wirkung des Urteils war auch die Aufhebung des ablehnenden Bescheides des Bezirksamtes Charlottenburg-Wilmersdorf von Berlin vom 4. Dezember 2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides derselben Behörde vom 27. Februar 2007 nicht erforderlich, weil sich dessen Regelungsgehalt in der Versagung einer - nicht erforderlichen - Befreiung erschöpft und diese Entscheidung für die Zulässigkeit des Vorhabens der Klägerin keine Regelungswirkung (mehr) zeitigen kann.
58
B. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO; die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen waren nicht für erstattungsfähig zu erklären, da diese mangels Antragstellung selbst kein Kostenrisiko im Verfahren übernommen hat (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO). Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt in entsprechender Anwendung aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 709 ZPO.
59
C. Die Berufung war wegen der aus Sicht der Kammer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§§ 124 Abs. 2 Nr. 3, 124a Abs. 1 VwGO.
Es wurde keine Berufung eingelegt. Die Entscheidung ist rechtskräftig. Mehr dazu später...
Kasharius
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Was (mittelbar) aus der Café-Pssst-Entscheidung wurde
Leitsatz:
Wer in einem Bordell eine Gaststätte betreibt und dort die Anbahnung von Kontakten zwischen Prostituierten und Kunden ermöglicht, leistet dadurch nicht stets im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GastG der Unsittlichkeit Vorschub.
Beschluss des 8. Senats vom 23. März 2009 BVerwG 8 B 2.09
I. VG Augsburg vom 22.11.2006 Az.: VG Au 4 K 06.290
II. VGH München vom 09.09.2008 Az.: VGH 22 BV 06.3313 –
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 8 B 2.09
VGH 22 BV 06.3313
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 23. März 2009
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Gödel
und die Richterinnen am Bundesverwaltungsgericht Dr. von Heimburg und
Dr. Hauser
beschlossen:
Die Beschwerde der Beteiligten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 9. September 2008 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 15 000 € festgesetzt.
Gründe:
1Die Beschwerde, die sich allein auf eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO beruft, hat keinen Erfolg. Der geltend gemachte Zulassungsgrund liegt nicht vor.
2Die Grundsatzrüge setzt die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts voraus, der eine allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (Beschluss vom 19. August 1997 BVerwG 7 B 261.97 Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 26 S. 14).
3Die von der Beschwerdeführerin gestellte Frage,
„Ist die gaststättenrechtliche Erlaubnis für den Ausschank von (alkoholischen und nichtalkoholischen) Getränken in einem Bordell zu versagen, weil dadurch der Unsittlichkeit im Sinne von § 4 Abs. 1 Nr. 1 GastG Vorschub geleistet wird?“,
erfordert keine Klärung in einem Revisionsverfahren. Dazu genügt nicht, dass die Frage von einem Teil der Literatur noch bejaht wird (vgl. zum Streitstand Gurlit, VerwArch 2006, 409 <425> und GewArch 2008, 426 <427> je m.w.N.), oder dass sie seit Inkrafttreten des Prostitutionsgesetzes nicht (wieder) Gegenstand einer höchstrichterlichen Entscheidung war. Nur wenn ihre Klärung gerade eine solche Entscheidung verlangt, muss zur Wahrung der Rechtseinheit einschließlich der gebotenen Rechtsfortentwicklung ein Revisionsverfahren durchgeführt werden. Das ist nicht der Fall, wenn die Frage sich anhand der üblichen Regeln sachgerechter Gesetzesinterpretation auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung ohne weiteres beantworten lässt (vgl. Beschlüsse vom 28. Mai 1997 BVerwG 4 B 91.97 Buchholz 407.4 § 5 FStrG Nr. 10 und vom 24. August 1999 BVerwG 4 B 72.99 BVerwGE 109, 268 <270> = Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 228). Hier zeichnet das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 6. November 2002 BVerwG 6 C 16.02 (Buchholz 451.41 § 4 GastG Nr. 25), das die frühere Rechtsprechung zum Tatbestandsmerkmal der Unsittlichkeit fortentwickelt, dessen Auslegung auch in Bezug auf die Prostitution vor.
4Danach ist der Rechtsbegriff der Unsittlichkeit nicht als moralische Kategorie oder ethische Forderung zu verstehen, sondern im Hinblick auf den Normzweck der Gefahrenabwehr und mit Rücksicht auf die grundrechtlichen Gewährleistungen in Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG auszulegen. § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GastG soll das Zusammenleben der Menschen ordnen, soweit deren Verhalten sozialrelevant ist, d.h. nach außen in Erscheinung tritt und das Allgemeinwohl beeinträchtigen kann. Die Vorschrift dient nicht dazu, die Sittlichkeit um ihrer selbst willen zu wahren, sie zu fördern oder zu ihr zu erziehen. Ihr Anwendungsbereich beschränkt sich auf Vorgänge, die dem grundgesetzlich verbürgten Menschenbild widersprechen, mit Strafe oder Bußgeld bedroht sind oder wegen ihres Öffentlichkeitsbezugs einem sozialethischen Unwerturteil unterliegen. Dazu zählt sexuelles Verhalten, das schutzwürdige Belange der Allgemeinheit berührt, insbesondere, wenn es nach außen tritt und dadurch die ungestörte Entwicklung junger Menschen in ihrer Sexualsphäre gefährden kann oder andere Personen, die hiervon unbehelligt bleiben wollen, erheblich belästigt (Urteile vom 16. September 1975 BVerwG 1 C 44.74 BVerwGE 49, 160 <163> = Buchholz 451.41 § 4 GastG Nr. 6 S. 8 und vom 6. November 2002 a.a.O. S. 4 f.).
5Auf freier Selbstbestimmung beruhende, den Regelungen des Prostitutionsgesetzes entsprechende sexuelle Handlungen ohne Öffentlichkeitsbezug widersprechen nicht schon wegen ihrer Entgeltlichkeit dem Menschenbild des Grundgesetzes. Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG gewährleisten die freie Selbstbestimmung auch in sexueller Hinsicht. Sie schützen den Einzelnen vor einer Beeinträchtigung dieser Selbstbestimmung und vor einer Behandlung oder Darstellung, die seine Subjektqualität oder seinen Wert- und Achtungsanspruch leugnet, indem sie ihn zum entpersonalisierten Objekt entwürdigt (Urteil vom 6. November 2002 a.a.O. S. 5 f.). Das Vorliegen solcher Umstände hat der Verwaltungsgerichtshof aufgrund seiner nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen Tatsachenfeststellungen ebenso verneint wie einen Verstoß gegen Straf- oder Bußgeldtatbestände.
6Für die Frage, ob die Prostitution wegen ihres Öffentlichkeitsbezugs einem sozialethischen Unwerturteil unterliegt, sind die sozialethischen Wertvorstellungen maßgeblich, die in der Rechtsgemeinschaft als Ordnungsvoraussetzungen anerkannt, jedoch dem geschichtlichen Wandel unterworfen sind (Urteile vom 30. Januar 1990 BVerwG 1 C 26.87 BVerwGE 84, 314 <317> = Buchholz 451.20 § 33a GewO Nr. 7 S. 6 ff. und vom 6. November 2002 a.a.O. S. 4 f.). Der früheren Rechtsprechung, die aufgrund der damaligen Wertvorstellungen die Prostitution stets für unsittlich hielt (Urteil vom 15. Juli 1980 BVerwG 1 C 45.77 BVerwGE 60, 284 <289> = Buchholz 402.24 § 10 AuslG Nr. 71) und deshalb den Betrieb eines sie fördernden Ausschanks als Vorschubleisten im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GastG beurteilte (Beschlüsse vom 14. November 1990 BVerwG 1 B 74.90 Buchholz 451.41 § 4 GastG Nr. 17 und vom 19. Februar 1996 BVerwG 1 B 24.96 Buchholz 451.41 § 4 GastG Nr. 21), hat der im Erlass des Prostitutionsgesetzes zum Ausdruck kommende Wandel der sozialethischen Wertvorstellungen die Grundlage entzogen. Nach den heutigen Wertvorstellungen der Rechtsgemeinschaft ist die kommerzielle Ausnutzung sexueller Bedürfnisse oder Interessen nicht mehr grundsätzlich als sittenwidrig anzusehen. Selbst entgeltliche sexuelle Handlungen werden nicht mehr „automatisch“ als unsittlich beurteilt (Urteil vom 6. November 2002 a.a.O. S. 5; vgl. BTDrucks 14/5958 S. 6; zum Gesetzgebungsverfahren im Einzelnen vgl. Pöltl, Gaststättenrecht, 5. Aufl. 2003, § 4 Rn. 65 m.w.N.).
7Der im Urteil vom 6. November 2002 nachgezeichnete Wandel der Wertvorstellungen der Rechtsgemeinschaft wird seither auch in der instanzgerichtlichen Rechtsprechung berücksichtigt. Sie argumentiert nicht mehr mit einer Unsittlichkeit der Prostitution als solcher, sondern stellt auf deren konkreten Öffentlichkeitsbezug oder auf Verstöße gegen Rechtsvorschriften ab (vgl. VGH München, Beschlüsse vom 28. Juli 2004 22 CS 03.2276 juris; Sperrge¬bietsverordnung und vom 20. September 2004 22 CE 04.2203 GewArch 2004, 491 <492> Menschenhandel; OVG Koblenz, Beschluss vom 5. Juli 2005 6 B 10673/05 GewArch 2005, 387 f. und VG München, Beschluss vom 17. Juni 2004 M 16 S 04.2829 jeweils Sperrgebietsverordnung; VG Gießen, Beschluss vom 12. August 2004 8 G 2592/04 GewArch 2004, 432 Verstöße gegen das Ausländergesetz, § 259 StGB; VG Weimar, Beschluss vom 13. Mai 2002 8 E 202/02.We GewArch 2002, 298 <299> Sperrgebietsverordnung; allgemein VG Stuttgart, Urteil vom 22. Juli 2005 10 K 3330/04 GewArch 2005, 431 <432> und zuvor bereits das in den Materialien zum Prostitutionsgesetz, BTDrucks 14/5958 a.a.O., zustimmend zitierte Urteil des VG Berlin vom 1. Dezember 2000 VG 35 A 570.99 GewArch 2001, 128). Auch der Bundesgerichtshof hält die Prostitution nicht mehr für grundsätzlich sittenwidrig (vgl. BGH, Urteile vom 13. Juli 2006 I ZR 241/03 NJW 2006, 3490 <3491> und vom 8. November 2007 III ZR 102/07 NJW 2008, 140). Die Verwaltungspraxis zieht aus dem Erlass des Prostitutionsgesetzes ebenfalls im Einzelnen noch umstrittene gewerberechtliche Konsequenzen. So befürworten der Bund und die Mehrheit der Länder inzwischen, für Bordellbetriebe und „Anbahnungsgaststätten“ eine Anmeldemöglichkeit zu eröffnen (Bericht über die Frühjahrssitzung 2007 des Bund-Länder-Ausschusses „Gewerberecht“, GewArch 2007, 320 <321>).
8Die von der Beteiligten sinngemäß gestellte abschließende Frage, ob zumindest die gewerbliche Förderung der Prostitution durch Dritte unabhängig von der sozialethischen Beurteilung der Prostitution selbst den Tatbestand des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GastG erfülle, beantwortet sich ohne weiteres aus dem Gesetz. Danach hängt die Tatbestandsmäßigkeit eines „Vorschub leistenden“ Förderns von der sozialethischen Beurteilung des geförderten Verhaltens ab. Die Förderung der Prostitution ist daher ebenso differenziert zu beurteilen wie die Prostitution selbst.
9Eine Divergenz im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO ist weder dargelegt, noch lässt die Grundsatzrüge sich entsprechend umdeuten. Eine mögliche Abweichung von der früheren Rechtsprechung zu „Anbahnungsgaststätten“ (Beschlüsse vom 14. November 1990 und vom 19. Februar 1996 a.a.O.) kann keine Divergenz begründen, weil diese Entscheidungen durch die dargestellte Rechtsentwicklung überholt sind (vgl. zu einer frühere Entscheidungen überholenden Änderung der Rechtslage das Urteil vom 11. April 2002 BVerwG 4 C 4.01 BVerwGE 116, 169 <173> = Buchholz 310 § 127 VwGO Nr. 11).
10Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 47, 52 Abs. 1 GKG.
Gödel Dr. von Heimburg Dr. Hauser
http://www.bverwg.de/enid/0,5bcd00655f7 ... ng_8n.html
Kasharius
Wer in einem Bordell eine Gaststätte betreibt und dort die Anbahnung von Kontakten zwischen Prostituierten und Kunden ermöglicht, leistet dadurch nicht stets im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GastG der Unsittlichkeit Vorschub.
Beschluss des 8. Senats vom 23. März 2009 BVerwG 8 B 2.09
I. VG Augsburg vom 22.11.2006 Az.: VG Au 4 K 06.290
II. VGH München vom 09.09.2008 Az.: VGH 22 BV 06.3313 –
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
BESCHLUSS
BVerwG 8 B 2.09
VGH 22 BV 06.3313
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 8. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 23. März 2009
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Gödel
und die Richterinnen am Bundesverwaltungsgericht Dr. von Heimburg und
Dr. Hauser
beschlossen:
Die Beschwerde der Beteiligten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 9. September 2008 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 15 000 € festgesetzt.
Gründe:
1Die Beschwerde, die sich allein auf eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO beruft, hat keinen Erfolg. Der geltend gemachte Zulassungsgrund liegt nicht vor.
2Die Grundsatzrüge setzt die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts voraus, der eine allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (Beschluss vom 19. August 1997 BVerwG 7 B 261.97 Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 26 S. 14).
3Die von der Beschwerdeführerin gestellte Frage,
„Ist die gaststättenrechtliche Erlaubnis für den Ausschank von (alkoholischen und nichtalkoholischen) Getränken in einem Bordell zu versagen, weil dadurch der Unsittlichkeit im Sinne von § 4 Abs. 1 Nr. 1 GastG Vorschub geleistet wird?“,
erfordert keine Klärung in einem Revisionsverfahren. Dazu genügt nicht, dass die Frage von einem Teil der Literatur noch bejaht wird (vgl. zum Streitstand Gurlit, VerwArch 2006, 409 <425> und GewArch 2008, 426 <427> je m.w.N.), oder dass sie seit Inkrafttreten des Prostitutionsgesetzes nicht (wieder) Gegenstand einer höchstrichterlichen Entscheidung war. Nur wenn ihre Klärung gerade eine solche Entscheidung verlangt, muss zur Wahrung der Rechtseinheit einschließlich der gebotenen Rechtsfortentwicklung ein Revisionsverfahren durchgeführt werden. Das ist nicht der Fall, wenn die Frage sich anhand der üblichen Regeln sachgerechter Gesetzesinterpretation auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung ohne weiteres beantworten lässt (vgl. Beschlüsse vom 28. Mai 1997 BVerwG 4 B 91.97 Buchholz 407.4 § 5 FStrG Nr. 10 und vom 24. August 1999 BVerwG 4 B 72.99 BVerwGE 109, 268 <270> = Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 228). Hier zeichnet das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 6. November 2002 BVerwG 6 C 16.02 (Buchholz 451.41 § 4 GastG Nr. 25), das die frühere Rechtsprechung zum Tatbestandsmerkmal der Unsittlichkeit fortentwickelt, dessen Auslegung auch in Bezug auf die Prostitution vor.
4Danach ist der Rechtsbegriff der Unsittlichkeit nicht als moralische Kategorie oder ethische Forderung zu verstehen, sondern im Hinblick auf den Normzweck der Gefahrenabwehr und mit Rücksicht auf die grundrechtlichen Gewährleistungen in Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG auszulegen. § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GastG soll das Zusammenleben der Menschen ordnen, soweit deren Verhalten sozialrelevant ist, d.h. nach außen in Erscheinung tritt und das Allgemeinwohl beeinträchtigen kann. Die Vorschrift dient nicht dazu, die Sittlichkeit um ihrer selbst willen zu wahren, sie zu fördern oder zu ihr zu erziehen. Ihr Anwendungsbereich beschränkt sich auf Vorgänge, die dem grundgesetzlich verbürgten Menschenbild widersprechen, mit Strafe oder Bußgeld bedroht sind oder wegen ihres Öffentlichkeitsbezugs einem sozialethischen Unwerturteil unterliegen. Dazu zählt sexuelles Verhalten, das schutzwürdige Belange der Allgemeinheit berührt, insbesondere, wenn es nach außen tritt und dadurch die ungestörte Entwicklung junger Menschen in ihrer Sexualsphäre gefährden kann oder andere Personen, die hiervon unbehelligt bleiben wollen, erheblich belästigt (Urteile vom 16. September 1975 BVerwG 1 C 44.74 BVerwGE 49, 160 <163> = Buchholz 451.41 § 4 GastG Nr. 6 S. 8 und vom 6. November 2002 a.a.O. S. 4 f.).
5Auf freier Selbstbestimmung beruhende, den Regelungen des Prostitutionsgesetzes entsprechende sexuelle Handlungen ohne Öffentlichkeitsbezug widersprechen nicht schon wegen ihrer Entgeltlichkeit dem Menschenbild des Grundgesetzes. Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG gewährleisten die freie Selbstbestimmung auch in sexueller Hinsicht. Sie schützen den Einzelnen vor einer Beeinträchtigung dieser Selbstbestimmung und vor einer Behandlung oder Darstellung, die seine Subjektqualität oder seinen Wert- und Achtungsanspruch leugnet, indem sie ihn zum entpersonalisierten Objekt entwürdigt (Urteil vom 6. November 2002 a.a.O. S. 5 f.). Das Vorliegen solcher Umstände hat der Verwaltungsgerichtshof aufgrund seiner nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen Tatsachenfeststellungen ebenso verneint wie einen Verstoß gegen Straf- oder Bußgeldtatbestände.
6Für die Frage, ob die Prostitution wegen ihres Öffentlichkeitsbezugs einem sozialethischen Unwerturteil unterliegt, sind die sozialethischen Wertvorstellungen maßgeblich, die in der Rechtsgemeinschaft als Ordnungsvoraussetzungen anerkannt, jedoch dem geschichtlichen Wandel unterworfen sind (Urteile vom 30. Januar 1990 BVerwG 1 C 26.87 BVerwGE 84, 314 <317> = Buchholz 451.20 § 33a GewO Nr. 7 S. 6 ff. und vom 6. November 2002 a.a.O. S. 4 f.). Der früheren Rechtsprechung, die aufgrund der damaligen Wertvorstellungen die Prostitution stets für unsittlich hielt (Urteil vom 15. Juli 1980 BVerwG 1 C 45.77 BVerwGE 60, 284 <289> = Buchholz 402.24 § 10 AuslG Nr. 71) und deshalb den Betrieb eines sie fördernden Ausschanks als Vorschubleisten im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GastG beurteilte (Beschlüsse vom 14. November 1990 BVerwG 1 B 74.90 Buchholz 451.41 § 4 GastG Nr. 17 und vom 19. Februar 1996 BVerwG 1 B 24.96 Buchholz 451.41 § 4 GastG Nr. 21), hat der im Erlass des Prostitutionsgesetzes zum Ausdruck kommende Wandel der sozialethischen Wertvorstellungen die Grundlage entzogen. Nach den heutigen Wertvorstellungen der Rechtsgemeinschaft ist die kommerzielle Ausnutzung sexueller Bedürfnisse oder Interessen nicht mehr grundsätzlich als sittenwidrig anzusehen. Selbst entgeltliche sexuelle Handlungen werden nicht mehr „automatisch“ als unsittlich beurteilt (Urteil vom 6. November 2002 a.a.O. S. 5; vgl. BTDrucks 14/5958 S. 6; zum Gesetzgebungsverfahren im Einzelnen vgl. Pöltl, Gaststättenrecht, 5. Aufl. 2003, § 4 Rn. 65 m.w.N.).
7Der im Urteil vom 6. November 2002 nachgezeichnete Wandel der Wertvorstellungen der Rechtsgemeinschaft wird seither auch in der instanzgerichtlichen Rechtsprechung berücksichtigt. Sie argumentiert nicht mehr mit einer Unsittlichkeit der Prostitution als solcher, sondern stellt auf deren konkreten Öffentlichkeitsbezug oder auf Verstöße gegen Rechtsvorschriften ab (vgl. VGH München, Beschlüsse vom 28. Juli 2004 22 CS 03.2276 juris; Sperrge¬bietsverordnung und vom 20. September 2004 22 CE 04.2203 GewArch 2004, 491 <492> Menschenhandel; OVG Koblenz, Beschluss vom 5. Juli 2005 6 B 10673/05 GewArch 2005, 387 f. und VG München, Beschluss vom 17. Juni 2004 M 16 S 04.2829 jeweils Sperrgebietsverordnung; VG Gießen, Beschluss vom 12. August 2004 8 G 2592/04 GewArch 2004, 432 Verstöße gegen das Ausländergesetz, § 259 StGB; VG Weimar, Beschluss vom 13. Mai 2002 8 E 202/02.We GewArch 2002, 298 <299> Sperrgebietsverordnung; allgemein VG Stuttgart, Urteil vom 22. Juli 2005 10 K 3330/04 GewArch 2005, 431 <432> und zuvor bereits das in den Materialien zum Prostitutionsgesetz, BTDrucks 14/5958 a.a.O., zustimmend zitierte Urteil des VG Berlin vom 1. Dezember 2000 VG 35 A 570.99 GewArch 2001, 128). Auch der Bundesgerichtshof hält die Prostitution nicht mehr für grundsätzlich sittenwidrig (vgl. BGH, Urteile vom 13. Juli 2006 I ZR 241/03 NJW 2006, 3490 <3491> und vom 8. November 2007 III ZR 102/07 NJW 2008, 140). Die Verwaltungspraxis zieht aus dem Erlass des Prostitutionsgesetzes ebenfalls im Einzelnen noch umstrittene gewerberechtliche Konsequenzen. So befürworten der Bund und die Mehrheit der Länder inzwischen, für Bordellbetriebe und „Anbahnungsgaststätten“ eine Anmeldemöglichkeit zu eröffnen (Bericht über die Frühjahrssitzung 2007 des Bund-Länder-Ausschusses „Gewerberecht“, GewArch 2007, 320 <321>).
8Die von der Beteiligten sinngemäß gestellte abschließende Frage, ob zumindest die gewerbliche Förderung der Prostitution durch Dritte unabhängig von der sozialethischen Beurteilung der Prostitution selbst den Tatbestand des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GastG erfülle, beantwortet sich ohne weiteres aus dem Gesetz. Danach hängt die Tatbestandsmäßigkeit eines „Vorschub leistenden“ Förderns von der sozialethischen Beurteilung des geförderten Verhaltens ab. Die Förderung der Prostitution ist daher ebenso differenziert zu beurteilen wie die Prostitution selbst.
9Eine Divergenz im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO ist weder dargelegt, noch lässt die Grundsatzrüge sich entsprechend umdeuten. Eine mögliche Abweichung von der früheren Rechtsprechung zu „Anbahnungsgaststätten“ (Beschlüsse vom 14. November 1990 und vom 19. Februar 1996 a.a.O.) kann keine Divergenz begründen, weil diese Entscheidungen durch die dargestellte Rechtsentwicklung überholt sind (vgl. zu einer frühere Entscheidungen überholenden Änderung der Rechtslage das Urteil vom 11. April 2002 BVerwG 4 C 4.01 BVerwGE 116, 169 <173> = Buchholz 310 § 127 VwGO Nr. 11).
10Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 47, 52 Abs. 1 GKG.
Gödel Dr. von Heimburg Dr. Hauser
http://www.bverwg.de/enid/0,5bcd00655f7 ... ng_8n.html
Kasharius
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FKK-Sex-Club Urteil
Ich finde auch Gerictsurteil im Bezug auf Darkrooms vom 06.11.2002 hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in einem Urteil
entschieden, dass die kommunalen Ordnungsämter einer Gaststätte, Disko oder Sauna die
Betriebserlaubnis nicht mit der Begründung verweigern oder entziehen können, dass dort
nach § 4, Abs. 1, Satz 1 Gaststättengesetz (GastG) der Unsittlichkeit Vorschub geleistet
wird
http://www.ak-aids-koeln.de/docs/aktuel ... Urteil.pdf
und deren Begründung nicht uninteressant.
Liebe Grüsse, Fraences
entschieden, dass die kommunalen Ordnungsämter einer Gaststätte, Disko oder Sauna die
Betriebserlaubnis nicht mit der Begründung verweigern oder entziehen können, dass dort
nach § 4, Abs. 1, Satz 1 Gaststättengesetz (GastG) der Unsittlichkeit Vorschub geleistet
wird
http://www.ak-aids-koeln.de/docs/aktuel ... Urteil.pdf
und deren Begründung nicht uninteressant.
Liebe Grüsse, Fraences
Wer glaubt ein Christ zu sein, weil er die Kirche besucht, irrt sich.Man wird ja auch kein Auto, wenn man in eine Garage geht. (Albert Schweitzer)
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RE: Was (mittelbar) aus der Café-Pssst-Entscheidung wurde
Genau. Die kenne ich auch. Mit der habe ich damals meine Diss. von wegen hoffnungsvoller Ausblick beendet. Hier nun die Entscheidung:
Leitsatz:
Wer ohne strafrechtlich relevantes Verhalten in einem abgeschirmten
Bereich einen Swinger-Club betreibt, leistet dadurch nicht stets im
Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GastG der Unsittlichkeit
Vorschub. Urteil des 6. Senats vom 6. November 2002 BVerwG 6 C
16.02 I. VG Würzburg vom 25.10.2001 Az.: VG 6 K 01.177 II. VGH
München vom 29.04.2002 Az.: VGH 22 B 01.3183 -
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 6 C 16.02 Verkündet
VGH 22 B 01.3183 am 6. November 2002
Thiele
Justizobersekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 6. November 2002
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. Bardenhewer und die Richter am Bundes-
verwaltungsgericht Dr. Hahn , Büge ,
Dr. Graulich und Vormeier
für Recht erkannt:
Das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 29. April 2002 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
II.
15Die zulässige Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an den Verwaltungsgerichtshof (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).
161. Das Berufungsurteil verletzt zwar nicht § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GastG, beruht aber auf einer Verletzung von § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO, weil der Verwaltungsgerichtshof den Beklagten unter Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide verpflichtet hat, den Antrag des Klägers nach Maßgabe der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden. Nach § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO spricht das Gericht, soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Verwaltungshandlung vorzunehmen. Ist dies namentlich bei Ermessensentscheidungen und bei Einräumung eines Beurteilungsspielraums nicht möglich, spricht das Gericht nach § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden. Steht der Erlass des beantragten Verwaltungsakts nicht im Ermessen der Behörde, so ist das Gericht grundsätzlich verpflichtet, die Sache spruchreif zu machen. Auf die Erteilung der gaststättenrechtlichen Erlaubnis besteht ein Rechtsanspruch, wenn Versagungsgründe nicht vorliegen (vgl. Urteil vom 17. Oktober 1989 – BVerwG 1 C 18.87 – Buchholz 451.41 § 4 GastG Nr. 15, S. 13; Michel/Kienzle, Gaststättengesetz, 13. Aufl. 1999, § 2 Rn. 14). Ermessen ist der Behörde nicht eingeräumt. Unter diesen Umständen durfte das Gericht die Voraussetzungen der Erlaubnis nicht weiterer Prüfung vorbehalten. Allenfalls die Hinzufügung von Auflagen nach Maßgabe des § 5 GastG hätte weiterer Entschließung der Behörde vorbehalten bleiben dürfen (vgl. Beschluss vom 25. November 1997 – BVerwG 4 B 179.97 – NVwZ-RR 1999, 74). Unter diesen Umständen wird der Klageantrag vor dem Berufungsgericht wieder als Verpflichtungsantrag zu fassen sein, ohne dass darin eine Klageänderung zu sehen ist, da die Verpflichtung von Anfang an das Rechtsschutzziel des Klägers war (vgl. Urteil vom 29. August 2001 – BVerwG 6 C 4.01 – BVerwGE 115, 70, 71 = GewArch 2001, 479, 480).
172. Gemäß § 2 Abs. 1 GastG bedarf der Erlaubnis, wer ein Gaststättengewerbe betreibt. Ein Gaststättengewerbe betreibt gemäß § 1 Abs. 1 GastG, wer im stehenden Gewerbe Getränke (Schankwirtschaft) oder zubereitete Speisen (Speisewirtschaft) zum Verzehr an Ort und Stelle verabreicht oder Gäste beherbergt (Beherbergungsbetrieb), wenn der Betrieb jedermann oder bestimmten Personenkreisen zugänglich ist. Die Erlaubnis wird für bestimmte Räume und eine bestimmte Betriebsart erteilt (§ 3 GastG).
18a) Der Kläger möchte in baulich von seiner bereits betriebenen Schank- und Speisewirtschaft getrennten Räumen einen so genannten Swinger-Club führen und dort Getränke und zubereitete Speisen verabreichen. Er benötigt dafür eine Gaststättenerlaubnis. Die bereits betriebene Schank- und Speisewirtschaft weist keine besonderen Merkmale auf und kann als Schank- und Speisewirtschaft ohne besondere Betriebseigentümlichkeit bezeichnet werden. Der Swinger-Club erhält hingegen sein Gepräge durch das vorgesehene sexuelle Geschehen, dem gegenüber die Verabreichung von Speisen und Getränken nur eine untergeordnete Bedeutung hat. Diese besondere Gestaltung kann zu anderen Anforderungen im Sinne des § 4 GastG führen. Die Bindung der gaststättenrechtlichen Erlaubnis an eine bestimmte Betriebsart beruht vor allem auf der Erwägung, dass je nach Betriebsart die nach § 4 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 bis 3 GastG zu stellenden Anforderungen unterschiedlich sein können (Metzner, GastG, 6. Aufl. 2002, § 3 Rn. 5). Demgemäß wird der Swinger-Club als besondere Betriebsart angesehen (Metzner, § 3 Rn. 43). Die räumliche Trennung der beiden Anlagen sowie die unterschiedliche Betriebsart sprechen dafür, dass der Kläger einen weiteren selbstständigen Gaststättenbetrieb führen will, es sich also nicht lediglich um eine Erweiterung einer vorhandenen Gaststätte handelt. Demgemäß hat der Verwaltungsgerichtshof den Antrag der Sache nach wie einen selbstständigen Erlaubnisantrag geprüft.
19b) Der Antrag ist nicht schon mit der Begründung abzulehnen, der Kläger wolle mit dem Swinger-Club kein Gewerbe betreiben. Gewerbe im Sinne der Gewerbeordnung und des Gaststättengesetzes, das ein besonderes Gewerbegesetz ist (vgl. Beschluss vom 15. Dezember 1994 – BVerwG 1 B 190.94 – Buchholz 451.41 § 18 GastG Nr. 8 = GewArch 1995, 155, § 31 GastG), ist jede nicht sozial unwertige (nicht generell verbotene), auf Gewinnerzielung gerichtete und auf Dauer angelegte selbständige Tätigkeit mit Ausnahme der Urproduktion, der freien Berufe und bloßer Verwaltung und Nutzung eigenen Vermögens (Urteil vom 26. Januar 1993 – BVerwG 1 C 25.91 – Buchholz 451.20 § 14 GewO Nr. 5 = GewArch 1993, 197). Der Betrieb eines Swinger-Clubs ist nicht generell verboten. Die vom Kläger vorgesehene Tätigkeit stellt kein dem Dreizehnten Abschnitt des Strafgesetzbuchs unterfallendes Verhalten dar, wie sich aus den Feststellungen des Berufungsgerichts ergibt. Ein der Unsittlichkeit Vorschubleisten im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GastG würde die Tätigkeit nicht bereits aus dem Gewerbebegriff ausscheiden, wie aus dem Regelungssystem der §§ 1 und 4 GastG ohne weiteres folgt (a.A. Metzner, Gaststättengesetz, 6. Aufl., 2002, § 1 Rn. 37).
20c) Dem Verwaltungsgerichtshof ist darin zu folgen, dass der Erlaubnisversagungsgrund des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GastG nicht vorliegt. Nach dieser Vorschrift ist die Erlaubnis zu versagen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Antragsteller die für den Gewerbebetrieb erforderliche Zuverlässigkeit nicht besitzt, insbesondere befürchten lässt, dass er "der Unsittlichkeit Vorschub leisten wird".
21aa) Die Auslegung des Begriffs der Unsittlichkeit muss dem Recht des Einzelnen auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit gemäß Art. 2 Abs. 1 GG gerecht werden, das auch das Recht auf Freiheit in der Gestaltung der Intimsphäre einschließt. Dem Einzelnen steht grundsätzlich ein Recht zur Selbstbestimmung zu, in welcher Form er sein Sexualleben ausrichtet, soweit dadurch die grundgesetzliche Wertordnung, normative Vorgaben oder Rechte anderer nicht verletzt werden. Daraus folgt zunächst, dass der Staat Veranstaltungen entgegentreten muss, die gegen die Menschenwürde verstoßen (Art. 1 Abs. 1 GG). Unsittlichkeit im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GastG liegt darüber hinaus in Bezug auf solche geschlechtsbezogenen Handlungen vor, die durch Strafgesetz verboten sind. Der Tatbestand der Unsittlichkeit ist außerdem gegeben, wenn durch ein Verhalten, das nicht mit Strafe bedroht ist, schutzwürdige Belange der Allgemeinheit berührt werden, was insbesondere dann der Fall ist, wenn es nach außen in Erscheinung tritt und dadurch die ungestörte Entwicklung junger Menschen in der Sexualsphäre gefährden kann oder wenn andere Personen, die hiervon unbehelligt bleiben wollen, erheblich belästigt werden. Der Staat darf auch nicht verbotenes Verhalten der Intimsphäre aus dem öffentlichen Bereich verweisen und mit rechtlichen Mitteln erzwingen, dass sie in dem für andere nicht wahrnehmbaren Privatbereich verbleiben (Urteil vom 16. Dezember 1975 – BVerwG 1 C 44.74 – BVerwGE 49, 160 ). Gaststättenrecht ist als besonderes Gewerberecht Gefahrenabwehrrecht. Normziel des § 4 Abs. 1 Satz 1 GastG ist demgemäß nicht, die Sittlichkeit als solche zu fördern oder zu ihr zu erziehen. Der Gefahrenabwehrcharakter der Vorschrift beschränkt ihren Anwendungsbereich vielmehr auf solche Vorgänge, die dem grundgesetzlich verbürgten Menschenbild widersprechen, durch Strafnormen verboten sind oder wegen ihres Öffentlichkeitsbezugs einem sozialethischen Unwerturteil unterliegen. Daraus folgt, dass aus gaststättenrechtlicher Sicht sexuelle Handlungen in den allgemein zugänglichen Räumen einer Schankwirtschaft grundsätzlich zu unterbleiben haben. Eine andere Beurteilung kann aber dann geboten sein, wenn ein nicht dem Menschenbild des Grundgesetzes widersprechendes und nicht mit Strafe bedrohtes sexuelles Verhalten Erwachsener in einem durch den Gastwirt bereitgestellten abgeschirmten Bereich stattfindet, der eine ungewollte Einsichtnahme des Publikums ausschließt. In derartigen Fällen kann der für die Anwendung des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GastG maßgebliche Öffentlichkeitsbezug des Geschehens entfallen, weil dieses Geschehen von der Rechtsgemeinschaft nicht dem Gastwirt, sondern in erster Linie den Teilnehmern selbst zugerechnet wird. Auch im Anwendungsbereich des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GastG ist auf die dem geschichtlichen Wandel unterworfenen sozialethischen Wertvorstellungen, die in der Rechtsgemeinschaft als Ordnungsvoraussetzungen anerkannt sind, abzustellen (Urteil vom 30. Januar 1990 – BVerwG 1 C 26.87 – BVerwGE 84, 314 ).
22Allein der Umstand, dass sich der Gastwirt in den hier in Rede stehenden Fällen nicht auf eine entgeltliche Bewirtung im üblichen Sinne beschränkt, sondern auch oder gar hauptsächlich aus der Bereitstellung der Räumlichkeiten mit der Möglichkeit, darin Geschlechtsverkehr mit wechselnden Partnern auszuüben und/oder diesen zu beobachten, finanziellen Nutzen zieht, rechtfertigt die Anwendung des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GastG nicht. Die kommerzielle Ausnutzung sexueller Bedürfnisse oder Interessen wird nicht grundsätzlich als sittenwidrig angesehen. Das folgt schon daraus, dass sich der Gesetzgeber bei Erlass des Gesetzes zur Verbesserung der rechtlichen und sozialen Situation der Prostituierten (Prostitutionsgesetz) vom 20. Dezember 2001 (BGBl I S. 3983) von der Erwägung hat leiten lassen, dass nach überwiegender Auffassung die Prostitution nicht mehr als sittenwidrig angesehen werde. Namentlich hat er auch die Schaffung guter Arbeitsbedingungen für Prostituierte zum Beispiel in Luxus-Bordellen und Sauna-Clubs durch Streichung des § 180 a Abs. 1 Nr. 2 StGB a.F. aus dem Tatbestand des § 180 a StGB herausgenommen. Daher kann allein die Erzielung von Einkünften aus geschlechtsbezogenem Verhalten Dritter nicht als sittenwidrig angesehen werden. Der Gesetzgeber hat in dem Prostitutionsgesetz von Folgeänderungen im Gaststättengesetz abgesehen, sich dabei aber von der Erwägung leiten lassen, dass (selbst) bei entgeltlichen sexuellen Handlungen nicht mehr "automatisch" von Unsittlichkeit ausgegangen werden kann (BTDrucks 14/5958, S. 6). Darin drückt sich ein Wandel der sozialethischen Vorstellungen mit der Folge aus, dass ordnungsrechtliches Ziel des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GastG nicht der Schutz vor dem sexuellen Geschehen als solchem oder die Verhinderung der Erzielung von Einkünften daraus ist, sondern vornehmlich der Schutz vor der ungewollten Konfrontation mit derartigen Vorgängen. Demgemäß übernimmt der Staat in dem hier in Rede stehenden Bereich auch keine Verantwortung für ein den Normen des Strafrechts und den sozialethischen Wertvorstellungen der Rechtsgemeinschaft nicht zuwiderlaufendes Verhalten Erwachsener in einer Gaststätte, wenn dadurch Gefahren für Dritte durch ungewollte Konfrontation nicht zu besorgen sind.
23bb) Nach diesen Maßstäben ist unter den Umständen des Falles nicht zu befürchten, dass der Kläger der Unsittlichkeit Vorschub leistet.
24Eine Verletzung der Menschenwürde liegt in der Teilnahme an einem "Pärchentreff" nicht. Die Subjektqualität der Gäste wird nicht in Frage gestellt, und der fundamentale Wert- und Achtungsanspruch des Menschen wird nicht durch Gewaltakte geleugnet. Den Besuchern wird keine objekthafte Rolle auferlegt, die als entwürdigend angesehen werden könnte, sondern sie entscheiden frei, in welcher Weise sie sich an dem Geschehen beteiligen. Das gilt auch, soweit nach den obwaltenden Umständen einzelnen Besuchern des Swinger-Clubs die Möglichkeit eingeräumt ist, den Geschlechtsverkehr anderer zu beobachten. Insoweit nehmen die Besucher gleichsam als Angehörige einer "Zweckgemeinschaft" Gleichgesinnter an dem Geschehen teil, ohne dass der Gastwirt wie etwa bei der öffentlichen Vorführung von Geschlechtsverkehr zahlenden Gästen ein Schauobjekt präsentiert.
25Strafbares Verhalten soll nicht stattfinden, und Personen, die mit dem Geschehen nicht konfrontiert werden wollen, sind nicht betroffen, wie der Verwaltungsgerichtshof anhand der örtlichen Verhältnisse dargelegt hat. Auch im Übrigen hat der Verwaltungsgerichtshof einen nach § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GastG bedeutsamen Öffentlichkeitsbezug des vom Kläger beabsichtigten Gaststättenbetriebs rechtsfehlerfrei ausgeschlossen.
26Nach den für den Senat bindenden Tatsachenfeststellungen des Berufungsgerichts, denen der Beklagte zwar eigene Bewertungen entgegensetzt, die er aber nicht mit zulässigen und begründeten Verfahrensrügen angreift, kann keine in der Rechtsgemeinschaft eindeutig herrschende Auffassung über die nicht nur individualethische, sondern sozialethische Verwerflichkeit des hier vorgesehenen Betriebs festgestellt werden. Liberalität der Sexualmoral, Pluralität der Meinungen und die Zeitgebundenheit von Anschauungen und Gewohnheiten schließen dies nach den Ausführungen des Berufungsgerichts aus. Danach ist zwar weiter davon auszugehen, dass Gruppensex, Partnertausch und die Beobachtung des Geschlechtsverkehrs durch Dritte von der überwiegenden Zahl der Menschen unseres Kulturkreises als grob schamverletzend empfunden werden. Dem entspricht aber kein ebenso verbreitetes sozialethisches Unwerturteil, wenn dritte Personen und Jugendliche nicht ungewollt mit dem Geschehen in den Betriebsräumen in Kontakt kommen können.
27Diese Ausführungen werden dadurch bestätigt, dass Rechtsprechung und veröffentlichte Rechtsmeinung kein einheitliches Verdikt des Geschehens erkennen lassen, sich vielmehr eine etwa gleichgewichtige unterschiedliche Sicht feststellen lässt. Als den guten Sitten zuwiderlaufend beurteilen einen solchen Betrieb das Verwaltungsgericht Würzburg im vorliegenden Verfahren, Pauly in: Michel/Kienzle, GastG, § 4 Rn. 16, S. 180 sowie in GewArch 2000, 203 und in GewArch 2002, 217 ), Metzner, a.a.O., § 4 Rn. 79, Aßfalg in: Aßfalg/Lehle/ Rapp/Schwab, Aktuelles Gaststättenrecht, § 4 GastG Rn. 6 b S. 18/1; Stollenwerk, GewArch 2000, 317. Der vielfach ebenfalls für diese Auffassung angeführte Beschluss des VGH Mannheim vom 16. Juli 1998 – 14 S 1568/98 –(GewArch 2000, 193) betrifft ein so genanntes Dunkelzimmer eines Einzelhandelsgeschäfts für Sex-Artikel mit der Gelegenheit zu homosexuellen Kontakten. Das BayObLG, Beschluss vom 16. Juni 2000 – 2 Z BR 178/99 – (NJW-RR 2000, 1323 ) hält das Betreiben eines derartigen Clubs in einer als "Sauna" in einer Eigentumswohnanlage vorgesehenen Teileinheit – wohnungseigentumsrechtlich - für unzulässig.
28Demgegenüber beurteilen das Geschehen als nicht unsittlich das Verwaltungsgericht Köln, Urteil vom 14. April 1983 – 1 K 3900/81 – GewArch 1984, 33, das Verwaltungsgericht Berlin, Beschluss vom 17. Januar 2000 – 4 A 441/99 – GewArch 2000, 125, der Bayerische Verwaltungsgerichtshof im vorliegenden Verfahren sowie Haferkorn, GewArch 2002, 145 , Schwab in: Aßfalg/Lehle/Rapp/Schwab, Aktuelles Gaststättenrecht, § 23 GastG Rn. 2. Das Landgericht Berlin (NJW-RR 2000, 601) hält einen Anspruch auf Mietminderung wegen eines in dem fraglichen Haus geführten Swinger-Clubs für nicht gegeben. Das Landes-
29arbeitsgericht Hamm (Urteil vom 19. Januar 2002, 5 Sa 491/00 juris Nr. KARE600002979) hat im Mitbetreiben eines Swinger-Clubs einschließlich sexueller Betätigung durch eine Grundschullehrerin für sich allein keinen Kündigungsgrund nach § 8 Abs. 1 BAT gesehen.
30Unter diesen Umständen kommt der Verwaltungspraxis, auf die sich das Berufungsgericht berufen hat, ebenfalls Gewicht zu. Nach den Ermittlungen von Haferkorn (GewArch 2002, 145 ) werden gegenwärtig in Deutschland über 250 Swinger-Clubs betrieben. Dieser nicht unerheblichen Anzahl stehen nur wenige gerichtliche Entscheidungen gegenüber. Das kann bereits darauf hindeuten, dass Swinger-Clubs von den Verwaltungsbehörden nur in geringem Umfang zum Gegenstand behördlicher Maßnahmen gemacht werden. Den nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs ist zu entnehmen, dass zumindest im großstädtischen Bereich von den zuständigen Behörden "für die hier strittige Betriebsart Gaststättenerlaubnisse erteilt oder faktische Duldungen vorgenommen (werden), ohne dass diese Praxis in der Öffentlichkeit auf Widerspruch oder auch nur auf ein erkennbares gegenläufiges Interesse gestoßen ist". Berücksichtigt man ferner, dass der Bund-Länder-Ausschuss "Gewerberecht" in seiner Herbst-Sitzung 2001 keine Einigung über die Beurteilung von Swinger-Clubs erzielen konnte, wobei dort sogar offenbar nur über die Förderung der Prostitution in einem Swinger-Club diskutiert worden ist (Schönleiter und Kopp, GewArch 2002, 56 ), so kann die Erkenntnis des Berufungsgerichts revisionsgerichtlich nicht beanstandet werden. Die Befugnisse der Behörde nach § 5 GastG sowie nach § 22 GastG ermöglichen es im Übrigen, die Einhaltung der Rechtsordnung wirksam zu gewährleisten.
31d) Das Berufungsgericht wird nunmehr zu prüfen haben, ob sonstige Gründe vorliegen, die eine Versagung der nachgesuchten Erlaubnis erfordern. Dabei kann u.A. § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 GastG zu prüfen sein (vgl. Urteile vom 26. Februar 1974 BVerwG 1 C 27.72 – Buchholz 451.41 § 4 GastG 1970 Nr. 4 = GewArch 1974, 201 und vom 16. September 1975 – BVerwG 1 C 27.74 – BVerwGE 49, 154 = Buchholz 451.41 § 4 GastG Nr. 7 = GewArch 1975, 388; vgl. auch Beschluss vom 19. Februar 1996 BVerwG 1 B 24.96 – Buchholz 451.41 § 4 GastG Nr. 21 = GewArch 1996, 251).
323. Die Entscheidung über die Kosten muss der Schlussentscheidung vorbehalten bleiben.
Bardenhewer Hahn Richter am Bundes-
33 verwaltungsgericht Büge
34kann wegen Urlaubs nicht unterschreiben.
35Bardenhewer
Graulich Vormeier
http://www.bundesverwaltungsgericht.de/ ... ng_8n.html
Kasharius grüßt
Leitsatz:
Wer ohne strafrechtlich relevantes Verhalten in einem abgeschirmten
Bereich einen Swinger-Club betreibt, leistet dadurch nicht stets im
Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GastG der Unsittlichkeit
Vorschub. Urteil des 6. Senats vom 6. November 2002 BVerwG 6 C
16.02 I. VG Würzburg vom 25.10.2001 Az.: VG 6 K 01.177 II. VGH
München vom 29.04.2002 Az.: VGH 22 B 01.3183 -
BUNDESVERWALTUNGSGERICHT
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
BVerwG 6 C 16.02 Verkündet
VGH 22 B 01.3183 am 6. November 2002
Thiele
Justizobersekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In der Verwaltungsstreitsache
hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 6. November 2002
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht
Dr. Bardenhewer und die Richter am Bundes-
verwaltungsgericht Dr. Hahn , Büge ,
Dr. Graulich und Vormeier
für Recht erkannt:
Das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 29. April 2002 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
II.
15Die zulässige Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an den Verwaltungsgerichtshof (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).
161. Das Berufungsurteil verletzt zwar nicht § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GastG, beruht aber auf einer Verletzung von § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO, weil der Verwaltungsgerichtshof den Beklagten unter Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide verpflichtet hat, den Antrag des Klägers nach Maßgabe der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden. Nach § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO spricht das Gericht, soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Verwaltungshandlung vorzunehmen. Ist dies namentlich bei Ermessensentscheidungen und bei Einräumung eines Beurteilungsspielraums nicht möglich, spricht das Gericht nach § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden. Steht der Erlass des beantragten Verwaltungsakts nicht im Ermessen der Behörde, so ist das Gericht grundsätzlich verpflichtet, die Sache spruchreif zu machen. Auf die Erteilung der gaststättenrechtlichen Erlaubnis besteht ein Rechtsanspruch, wenn Versagungsgründe nicht vorliegen (vgl. Urteil vom 17. Oktober 1989 – BVerwG 1 C 18.87 – Buchholz 451.41 § 4 GastG Nr. 15, S. 13; Michel/Kienzle, Gaststättengesetz, 13. Aufl. 1999, § 2 Rn. 14). Ermessen ist der Behörde nicht eingeräumt. Unter diesen Umständen durfte das Gericht die Voraussetzungen der Erlaubnis nicht weiterer Prüfung vorbehalten. Allenfalls die Hinzufügung von Auflagen nach Maßgabe des § 5 GastG hätte weiterer Entschließung der Behörde vorbehalten bleiben dürfen (vgl. Beschluss vom 25. November 1997 – BVerwG 4 B 179.97 – NVwZ-RR 1999, 74). Unter diesen Umständen wird der Klageantrag vor dem Berufungsgericht wieder als Verpflichtungsantrag zu fassen sein, ohne dass darin eine Klageänderung zu sehen ist, da die Verpflichtung von Anfang an das Rechtsschutzziel des Klägers war (vgl. Urteil vom 29. August 2001 – BVerwG 6 C 4.01 – BVerwGE 115, 70, 71 = GewArch 2001, 479, 480).
172. Gemäß § 2 Abs. 1 GastG bedarf der Erlaubnis, wer ein Gaststättengewerbe betreibt. Ein Gaststättengewerbe betreibt gemäß § 1 Abs. 1 GastG, wer im stehenden Gewerbe Getränke (Schankwirtschaft) oder zubereitete Speisen (Speisewirtschaft) zum Verzehr an Ort und Stelle verabreicht oder Gäste beherbergt (Beherbergungsbetrieb), wenn der Betrieb jedermann oder bestimmten Personenkreisen zugänglich ist. Die Erlaubnis wird für bestimmte Räume und eine bestimmte Betriebsart erteilt (§ 3 GastG).
18a) Der Kläger möchte in baulich von seiner bereits betriebenen Schank- und Speisewirtschaft getrennten Räumen einen so genannten Swinger-Club führen und dort Getränke und zubereitete Speisen verabreichen. Er benötigt dafür eine Gaststättenerlaubnis. Die bereits betriebene Schank- und Speisewirtschaft weist keine besonderen Merkmale auf und kann als Schank- und Speisewirtschaft ohne besondere Betriebseigentümlichkeit bezeichnet werden. Der Swinger-Club erhält hingegen sein Gepräge durch das vorgesehene sexuelle Geschehen, dem gegenüber die Verabreichung von Speisen und Getränken nur eine untergeordnete Bedeutung hat. Diese besondere Gestaltung kann zu anderen Anforderungen im Sinne des § 4 GastG führen. Die Bindung der gaststättenrechtlichen Erlaubnis an eine bestimmte Betriebsart beruht vor allem auf der Erwägung, dass je nach Betriebsart die nach § 4 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 bis 3 GastG zu stellenden Anforderungen unterschiedlich sein können (Metzner, GastG, 6. Aufl. 2002, § 3 Rn. 5). Demgemäß wird der Swinger-Club als besondere Betriebsart angesehen (Metzner, § 3 Rn. 43). Die räumliche Trennung der beiden Anlagen sowie die unterschiedliche Betriebsart sprechen dafür, dass der Kläger einen weiteren selbstständigen Gaststättenbetrieb führen will, es sich also nicht lediglich um eine Erweiterung einer vorhandenen Gaststätte handelt. Demgemäß hat der Verwaltungsgerichtshof den Antrag der Sache nach wie einen selbstständigen Erlaubnisantrag geprüft.
19b) Der Antrag ist nicht schon mit der Begründung abzulehnen, der Kläger wolle mit dem Swinger-Club kein Gewerbe betreiben. Gewerbe im Sinne der Gewerbeordnung und des Gaststättengesetzes, das ein besonderes Gewerbegesetz ist (vgl. Beschluss vom 15. Dezember 1994 – BVerwG 1 B 190.94 – Buchholz 451.41 § 18 GastG Nr. 8 = GewArch 1995, 155, § 31 GastG), ist jede nicht sozial unwertige (nicht generell verbotene), auf Gewinnerzielung gerichtete und auf Dauer angelegte selbständige Tätigkeit mit Ausnahme der Urproduktion, der freien Berufe und bloßer Verwaltung und Nutzung eigenen Vermögens (Urteil vom 26. Januar 1993 – BVerwG 1 C 25.91 – Buchholz 451.20 § 14 GewO Nr. 5 = GewArch 1993, 197). Der Betrieb eines Swinger-Clubs ist nicht generell verboten. Die vom Kläger vorgesehene Tätigkeit stellt kein dem Dreizehnten Abschnitt des Strafgesetzbuchs unterfallendes Verhalten dar, wie sich aus den Feststellungen des Berufungsgerichts ergibt. Ein der Unsittlichkeit Vorschubleisten im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GastG würde die Tätigkeit nicht bereits aus dem Gewerbebegriff ausscheiden, wie aus dem Regelungssystem der §§ 1 und 4 GastG ohne weiteres folgt (a.A. Metzner, Gaststättengesetz, 6. Aufl., 2002, § 1 Rn. 37).
20c) Dem Verwaltungsgerichtshof ist darin zu folgen, dass der Erlaubnisversagungsgrund des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GastG nicht vorliegt. Nach dieser Vorschrift ist die Erlaubnis zu versagen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Antragsteller die für den Gewerbebetrieb erforderliche Zuverlässigkeit nicht besitzt, insbesondere befürchten lässt, dass er "der Unsittlichkeit Vorschub leisten wird".
21aa) Die Auslegung des Begriffs der Unsittlichkeit muss dem Recht des Einzelnen auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit gemäß Art. 2 Abs. 1 GG gerecht werden, das auch das Recht auf Freiheit in der Gestaltung der Intimsphäre einschließt. Dem Einzelnen steht grundsätzlich ein Recht zur Selbstbestimmung zu, in welcher Form er sein Sexualleben ausrichtet, soweit dadurch die grundgesetzliche Wertordnung, normative Vorgaben oder Rechte anderer nicht verletzt werden. Daraus folgt zunächst, dass der Staat Veranstaltungen entgegentreten muss, die gegen die Menschenwürde verstoßen (Art. 1 Abs. 1 GG). Unsittlichkeit im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GastG liegt darüber hinaus in Bezug auf solche geschlechtsbezogenen Handlungen vor, die durch Strafgesetz verboten sind. Der Tatbestand der Unsittlichkeit ist außerdem gegeben, wenn durch ein Verhalten, das nicht mit Strafe bedroht ist, schutzwürdige Belange der Allgemeinheit berührt werden, was insbesondere dann der Fall ist, wenn es nach außen in Erscheinung tritt und dadurch die ungestörte Entwicklung junger Menschen in der Sexualsphäre gefährden kann oder wenn andere Personen, die hiervon unbehelligt bleiben wollen, erheblich belästigt werden. Der Staat darf auch nicht verbotenes Verhalten der Intimsphäre aus dem öffentlichen Bereich verweisen und mit rechtlichen Mitteln erzwingen, dass sie in dem für andere nicht wahrnehmbaren Privatbereich verbleiben (Urteil vom 16. Dezember 1975 – BVerwG 1 C 44.74 – BVerwGE 49, 160 ). Gaststättenrecht ist als besonderes Gewerberecht Gefahrenabwehrrecht. Normziel des § 4 Abs. 1 Satz 1 GastG ist demgemäß nicht, die Sittlichkeit als solche zu fördern oder zu ihr zu erziehen. Der Gefahrenabwehrcharakter der Vorschrift beschränkt ihren Anwendungsbereich vielmehr auf solche Vorgänge, die dem grundgesetzlich verbürgten Menschenbild widersprechen, durch Strafnormen verboten sind oder wegen ihres Öffentlichkeitsbezugs einem sozialethischen Unwerturteil unterliegen. Daraus folgt, dass aus gaststättenrechtlicher Sicht sexuelle Handlungen in den allgemein zugänglichen Räumen einer Schankwirtschaft grundsätzlich zu unterbleiben haben. Eine andere Beurteilung kann aber dann geboten sein, wenn ein nicht dem Menschenbild des Grundgesetzes widersprechendes und nicht mit Strafe bedrohtes sexuelles Verhalten Erwachsener in einem durch den Gastwirt bereitgestellten abgeschirmten Bereich stattfindet, der eine ungewollte Einsichtnahme des Publikums ausschließt. In derartigen Fällen kann der für die Anwendung des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GastG maßgebliche Öffentlichkeitsbezug des Geschehens entfallen, weil dieses Geschehen von der Rechtsgemeinschaft nicht dem Gastwirt, sondern in erster Linie den Teilnehmern selbst zugerechnet wird. Auch im Anwendungsbereich des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GastG ist auf die dem geschichtlichen Wandel unterworfenen sozialethischen Wertvorstellungen, die in der Rechtsgemeinschaft als Ordnungsvoraussetzungen anerkannt sind, abzustellen (Urteil vom 30. Januar 1990 – BVerwG 1 C 26.87 – BVerwGE 84, 314 ).
22Allein der Umstand, dass sich der Gastwirt in den hier in Rede stehenden Fällen nicht auf eine entgeltliche Bewirtung im üblichen Sinne beschränkt, sondern auch oder gar hauptsächlich aus der Bereitstellung der Räumlichkeiten mit der Möglichkeit, darin Geschlechtsverkehr mit wechselnden Partnern auszuüben und/oder diesen zu beobachten, finanziellen Nutzen zieht, rechtfertigt die Anwendung des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GastG nicht. Die kommerzielle Ausnutzung sexueller Bedürfnisse oder Interessen wird nicht grundsätzlich als sittenwidrig angesehen. Das folgt schon daraus, dass sich der Gesetzgeber bei Erlass des Gesetzes zur Verbesserung der rechtlichen und sozialen Situation der Prostituierten (Prostitutionsgesetz) vom 20. Dezember 2001 (BGBl I S. 3983) von der Erwägung hat leiten lassen, dass nach überwiegender Auffassung die Prostitution nicht mehr als sittenwidrig angesehen werde. Namentlich hat er auch die Schaffung guter Arbeitsbedingungen für Prostituierte zum Beispiel in Luxus-Bordellen und Sauna-Clubs durch Streichung des § 180 a Abs. 1 Nr. 2 StGB a.F. aus dem Tatbestand des § 180 a StGB herausgenommen. Daher kann allein die Erzielung von Einkünften aus geschlechtsbezogenem Verhalten Dritter nicht als sittenwidrig angesehen werden. Der Gesetzgeber hat in dem Prostitutionsgesetz von Folgeänderungen im Gaststättengesetz abgesehen, sich dabei aber von der Erwägung leiten lassen, dass (selbst) bei entgeltlichen sexuellen Handlungen nicht mehr "automatisch" von Unsittlichkeit ausgegangen werden kann (BTDrucks 14/5958, S. 6). Darin drückt sich ein Wandel der sozialethischen Vorstellungen mit der Folge aus, dass ordnungsrechtliches Ziel des § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GastG nicht der Schutz vor dem sexuellen Geschehen als solchem oder die Verhinderung der Erzielung von Einkünften daraus ist, sondern vornehmlich der Schutz vor der ungewollten Konfrontation mit derartigen Vorgängen. Demgemäß übernimmt der Staat in dem hier in Rede stehenden Bereich auch keine Verantwortung für ein den Normen des Strafrechts und den sozialethischen Wertvorstellungen der Rechtsgemeinschaft nicht zuwiderlaufendes Verhalten Erwachsener in einer Gaststätte, wenn dadurch Gefahren für Dritte durch ungewollte Konfrontation nicht zu besorgen sind.
23bb) Nach diesen Maßstäben ist unter den Umständen des Falles nicht zu befürchten, dass der Kläger der Unsittlichkeit Vorschub leistet.
24Eine Verletzung der Menschenwürde liegt in der Teilnahme an einem "Pärchentreff" nicht. Die Subjektqualität der Gäste wird nicht in Frage gestellt, und der fundamentale Wert- und Achtungsanspruch des Menschen wird nicht durch Gewaltakte geleugnet. Den Besuchern wird keine objekthafte Rolle auferlegt, die als entwürdigend angesehen werden könnte, sondern sie entscheiden frei, in welcher Weise sie sich an dem Geschehen beteiligen. Das gilt auch, soweit nach den obwaltenden Umständen einzelnen Besuchern des Swinger-Clubs die Möglichkeit eingeräumt ist, den Geschlechtsverkehr anderer zu beobachten. Insoweit nehmen die Besucher gleichsam als Angehörige einer "Zweckgemeinschaft" Gleichgesinnter an dem Geschehen teil, ohne dass der Gastwirt wie etwa bei der öffentlichen Vorführung von Geschlechtsverkehr zahlenden Gästen ein Schauobjekt präsentiert.
25Strafbares Verhalten soll nicht stattfinden, und Personen, die mit dem Geschehen nicht konfrontiert werden wollen, sind nicht betroffen, wie der Verwaltungsgerichtshof anhand der örtlichen Verhältnisse dargelegt hat. Auch im Übrigen hat der Verwaltungsgerichtshof einen nach § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GastG bedeutsamen Öffentlichkeitsbezug des vom Kläger beabsichtigten Gaststättenbetriebs rechtsfehlerfrei ausgeschlossen.
26Nach den für den Senat bindenden Tatsachenfeststellungen des Berufungsgerichts, denen der Beklagte zwar eigene Bewertungen entgegensetzt, die er aber nicht mit zulässigen und begründeten Verfahrensrügen angreift, kann keine in der Rechtsgemeinschaft eindeutig herrschende Auffassung über die nicht nur individualethische, sondern sozialethische Verwerflichkeit des hier vorgesehenen Betriebs festgestellt werden. Liberalität der Sexualmoral, Pluralität der Meinungen und die Zeitgebundenheit von Anschauungen und Gewohnheiten schließen dies nach den Ausführungen des Berufungsgerichts aus. Danach ist zwar weiter davon auszugehen, dass Gruppensex, Partnertausch und die Beobachtung des Geschlechtsverkehrs durch Dritte von der überwiegenden Zahl der Menschen unseres Kulturkreises als grob schamverletzend empfunden werden. Dem entspricht aber kein ebenso verbreitetes sozialethisches Unwerturteil, wenn dritte Personen und Jugendliche nicht ungewollt mit dem Geschehen in den Betriebsräumen in Kontakt kommen können.
27Diese Ausführungen werden dadurch bestätigt, dass Rechtsprechung und veröffentlichte Rechtsmeinung kein einheitliches Verdikt des Geschehens erkennen lassen, sich vielmehr eine etwa gleichgewichtige unterschiedliche Sicht feststellen lässt. Als den guten Sitten zuwiderlaufend beurteilen einen solchen Betrieb das Verwaltungsgericht Würzburg im vorliegenden Verfahren, Pauly in: Michel/Kienzle, GastG, § 4 Rn. 16, S. 180 sowie in GewArch 2000, 203 und in GewArch 2002, 217 ), Metzner, a.a.O., § 4 Rn. 79, Aßfalg in: Aßfalg/Lehle/ Rapp/Schwab, Aktuelles Gaststättenrecht, § 4 GastG Rn. 6 b S. 18/1; Stollenwerk, GewArch 2000, 317. Der vielfach ebenfalls für diese Auffassung angeführte Beschluss des VGH Mannheim vom 16. Juli 1998 – 14 S 1568/98 –(GewArch 2000, 193) betrifft ein so genanntes Dunkelzimmer eines Einzelhandelsgeschäfts für Sex-Artikel mit der Gelegenheit zu homosexuellen Kontakten. Das BayObLG, Beschluss vom 16. Juni 2000 – 2 Z BR 178/99 – (NJW-RR 2000, 1323 ) hält das Betreiben eines derartigen Clubs in einer als "Sauna" in einer Eigentumswohnanlage vorgesehenen Teileinheit – wohnungseigentumsrechtlich - für unzulässig.
28Demgegenüber beurteilen das Geschehen als nicht unsittlich das Verwaltungsgericht Köln, Urteil vom 14. April 1983 – 1 K 3900/81 – GewArch 1984, 33, das Verwaltungsgericht Berlin, Beschluss vom 17. Januar 2000 – 4 A 441/99 – GewArch 2000, 125, der Bayerische Verwaltungsgerichtshof im vorliegenden Verfahren sowie Haferkorn, GewArch 2002, 145 , Schwab in: Aßfalg/Lehle/Rapp/Schwab, Aktuelles Gaststättenrecht, § 23 GastG Rn. 2. Das Landgericht Berlin (NJW-RR 2000, 601) hält einen Anspruch auf Mietminderung wegen eines in dem fraglichen Haus geführten Swinger-Clubs für nicht gegeben. Das Landes-
29arbeitsgericht Hamm (Urteil vom 19. Januar 2002, 5 Sa 491/00 juris Nr. KARE600002979) hat im Mitbetreiben eines Swinger-Clubs einschließlich sexueller Betätigung durch eine Grundschullehrerin für sich allein keinen Kündigungsgrund nach § 8 Abs. 1 BAT gesehen.
30Unter diesen Umständen kommt der Verwaltungspraxis, auf die sich das Berufungsgericht berufen hat, ebenfalls Gewicht zu. Nach den Ermittlungen von Haferkorn (GewArch 2002, 145 ) werden gegenwärtig in Deutschland über 250 Swinger-Clubs betrieben. Dieser nicht unerheblichen Anzahl stehen nur wenige gerichtliche Entscheidungen gegenüber. Das kann bereits darauf hindeuten, dass Swinger-Clubs von den Verwaltungsbehörden nur in geringem Umfang zum Gegenstand behördlicher Maßnahmen gemacht werden. Den nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs ist zu entnehmen, dass zumindest im großstädtischen Bereich von den zuständigen Behörden "für die hier strittige Betriebsart Gaststättenerlaubnisse erteilt oder faktische Duldungen vorgenommen (werden), ohne dass diese Praxis in der Öffentlichkeit auf Widerspruch oder auch nur auf ein erkennbares gegenläufiges Interesse gestoßen ist". Berücksichtigt man ferner, dass der Bund-Länder-Ausschuss "Gewerberecht" in seiner Herbst-Sitzung 2001 keine Einigung über die Beurteilung von Swinger-Clubs erzielen konnte, wobei dort sogar offenbar nur über die Förderung der Prostitution in einem Swinger-Club diskutiert worden ist (Schönleiter und Kopp, GewArch 2002, 56 ), so kann die Erkenntnis des Berufungsgerichts revisionsgerichtlich nicht beanstandet werden. Die Befugnisse der Behörde nach § 5 GastG sowie nach § 22 GastG ermöglichen es im Übrigen, die Einhaltung der Rechtsordnung wirksam zu gewährleisten.
31d) Das Berufungsgericht wird nunmehr zu prüfen haben, ob sonstige Gründe vorliegen, die eine Versagung der nachgesuchten Erlaubnis erfordern. Dabei kann u.A. § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 GastG zu prüfen sein (vgl. Urteile vom 26. Februar 1974 BVerwG 1 C 27.72 – Buchholz 451.41 § 4 GastG 1970 Nr. 4 = GewArch 1974, 201 und vom 16. September 1975 – BVerwG 1 C 27.74 – BVerwGE 49, 154 = Buchholz 451.41 § 4 GastG Nr. 7 = GewArch 1975, 388; vgl. auch Beschluss vom 19. Februar 1996 BVerwG 1 B 24.96 – Buchholz 451.41 § 4 GastG Nr. 21 = GewArch 1996, 251).
323. Die Entscheidung über die Kosten muss der Schlussentscheidung vorbehalten bleiben.
Bardenhewer Hahn Richter am Bundes-
33 verwaltungsgericht Büge
34kann wegen Urlaubs nicht unterschreiben.
35Bardenhewer
Graulich Vormeier
http://www.bundesverwaltungsgericht.de/ ... ng_8n.html
Kasharius grüßt

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Ich hab neulich in Düsseldorf mit einem Gastronomen einen konroverse Diskussion gehabt weil er mir als Privaträume über die Kneipe (leider im Sperrgebiet) Räumlichkeiten zu anmieten geboten hat.
Da ich Düsseldorfer Behördliche Vorgehensweise ziemlich gut kenne, (besonders vom Ordnungsamt)konnte ich Ihm nicht verständlich machen, das dies nicht funktionieren würde.
Er bezog sich immer auf das Urteil, was für Darkrooms auf höchste Gerichtsebene entschieden würde.
Nach dem Motto, das sind Privaträume und ob sexuelle Handlung mit oder ohne Pay6 stattfinden, geht den Behörden nichts an.
Liebe Grüsse,Fraences
Da ich Düsseldorfer Behördliche Vorgehensweise ziemlich gut kenne, (besonders vom Ordnungsamt)konnte ich Ihm nicht verständlich machen, das dies nicht funktionieren würde.
Er bezog sich immer auf das Urteil, was für Darkrooms auf höchste Gerichtsebene entschieden würde.
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Wer glaubt ein Christ zu sein, weil er die Kirche besucht, irrt sich.Man wird ja auch kein Auto, wenn man in eine Garage geht. (Albert Schweitzer)
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Erstes legales Bordell in Deutschland 2000
Urteil Café Pssst 2000
Diese epochale Entscheidung war der Wegbereiter für das Prostitutionsgesetz ProstG von 2002 unter Rot-Grüner Bundesregierung...
www.sexworker.at/prostg
Richter MacLean ließ sich ein besonderes Verfahren einfallen. Er führte eine Befragung bei wichtigen Verbänden durch (Gewerkschaften, Kirchen...) um festzustellen, wie sich die Einstellung gegenüber Prostitution inzwischen verändert hatte.
Strittig war zwischen Betreiberin Felicitas Schirow und Stadtverwaltung, dass sie sowohl die Anbahnungsgaststätte "Café Pssst" als auch die Verrichtungsherberge schräg im Hinterhof gegenüber in ihrer Hand gemeinsam d.h. als Bordell betrieb, obwohl Bordelle per Gesetz nicht legal zu betreiben waren und es somit in Deutschland bisher nur Grauzonen von Duldungen oder Zimmervermietungen gab ...
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin auf ihrer Homepage
Leitsätze
1. Das Gaststättengesetz ist gewerbliches Ordnungsrecht. Es soll das Zusammenleben der Menschen ordnen, soweit ihr Verhalten sozialrelevant ist, nach außen in Erscheinung tritt und das Allgemeinwohl beeinträchtigen kann. Es geht jedoch nicht darum, den Menschen ein Mindestmaß an Sittlichkeit vorzuschreiben (in Anlehnung an BVerwGE 49, 160).
2. Prostitution, die von Erwachsenen freiwillig und ohne kriminelle Begleiterscheinungen ausgeübt wird, ist nach den heute anerkannten sozialethischen Wertvorstellungen in unserer Gesellschaft - unabhängig von der moralischen Beurteilung - im Sinne des Ordnungsrechts nicht (mehr) als sittenwidrig anzusehen.
3. Für die Feststellung der heute anerkannten sozialethischen Wertvorstellungen in unserer Gesellschaft darf der Richter nicht auf sein persönliches sittliches Gefühl abstellen, sondern muss auf empirische Weise objektive Indizien ermitteln; dazu kann es geboten sein, neben Rechtsprechung, Behördenpraxis, Medienecho und (mit Einschränkungen) demoskopischen Erhebungen auch Äußerungen von Fachleuten und demokratisch legitimierten Trägern öffentlicher Belange einzuholen, um den Inhalt von „öffentlicher Ordnung“ bzw. „Unsittlichkeit“ weiter zu konkretisieren.
4. Wer die Menschenwürde von Prostituierten gegen ihren Willen schützen zu müssen meint, vergreift sich in Wahrheit an ihrer von der Menschenwürde geschützten Freiheit der Selbstbestimmung und zementiert ihre rechtliche und soziale Benachteiligung.
5. Offengelassen: Bedeutung von Art. 12 Abs. 1 GG [Freie Berufswahl www.dejure.org/gesetze/GG/12.html ] für das Betreiben eines Bordells mit Anbahnungsgaststätte
VG 35 A 570.99
Urteil
Im Namen des Volkes
In der Verwaltungsstreitsache
der Frau [...]
Klägerin,
g e g e n
das Land Berlin, vertreten durch das Bezirksamt W. von Berlin,
Beklagten,
hat das Verwaltungsgericht Berlin, 35. Kammer, aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 1. Dezember 2000 durch [...] für Recht erkannt:
Der Bescheid des Bezirksamtes W. von Berlin, Abteilung Finanzen - Wirtschaftsamt -, vom 14. Dezember 1999 wird aufgehoben.
Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte [Land Berlin] zu tragen.
Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
...
www.cafe-pssst.de/volltext_urteil.html
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Richter MacLean ließ sich ein besonderes Verfahren einfallen. Er führte eine Befragung bei wichtigen Verbänden durch (Gewerkschaften, Kirchen...) um festzustellen, wie sich die Einstellung gegenüber Prostitution inzwischen verändert hatte.
Strittig war zwischen Betreiberin Felicitas Schirow und Stadtverwaltung, dass sie sowohl die Anbahnungsgaststätte "Café Pssst" als auch die Verrichtungsherberge schräg im Hinterhof gegenüber in ihrer Hand gemeinsam d.h. als Bordell betrieb, obwohl Bordelle per Gesetz nicht legal zu betreiben waren und es somit in Deutschland bisher nur Grauzonen von Duldungen oder Zimmervermietungen gab ...
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin auf ihrer Homepage
Leitsätze
1. Das Gaststättengesetz ist gewerbliches Ordnungsrecht. Es soll das Zusammenleben der Menschen ordnen, soweit ihr Verhalten sozialrelevant ist, nach außen in Erscheinung tritt und das Allgemeinwohl beeinträchtigen kann. Es geht jedoch nicht darum, den Menschen ein Mindestmaß an Sittlichkeit vorzuschreiben (in Anlehnung an BVerwGE 49, 160).
2. Prostitution, die von Erwachsenen freiwillig und ohne kriminelle Begleiterscheinungen ausgeübt wird, ist nach den heute anerkannten sozialethischen Wertvorstellungen in unserer Gesellschaft - unabhängig von der moralischen Beurteilung - im Sinne des Ordnungsrechts nicht (mehr) als sittenwidrig anzusehen.
3. Für die Feststellung der heute anerkannten sozialethischen Wertvorstellungen in unserer Gesellschaft darf der Richter nicht auf sein persönliches sittliches Gefühl abstellen, sondern muss auf empirische Weise objektive Indizien ermitteln; dazu kann es geboten sein, neben Rechtsprechung, Behördenpraxis, Medienecho und (mit Einschränkungen) demoskopischen Erhebungen auch Äußerungen von Fachleuten und demokratisch legitimierten Trägern öffentlicher Belange einzuholen, um den Inhalt von „öffentlicher Ordnung“ bzw. „Unsittlichkeit“ weiter zu konkretisieren.
4. Wer die Menschenwürde von Prostituierten gegen ihren Willen schützen zu müssen meint, vergreift sich in Wahrheit an ihrer von der Menschenwürde geschützten Freiheit der Selbstbestimmung und zementiert ihre rechtliche und soziale Benachteiligung.
5. Offengelassen: Bedeutung von Art. 12 Abs. 1 GG [Freie Berufswahl www.dejure.org/gesetze/GG/12.html ] für das Betreiben eines Bordells mit Anbahnungsgaststätte
VG 35 A 570.99
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Der Bescheid des Bezirksamtes W. von Berlin, Abteilung Finanzen - Wirtschaftsamt -, vom 14. Dezember 1999 wird aufgehoben.
Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte [Land Berlin] zu tragen.
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