Nachtrag: Dieses Posting knüpft an die Eröffnungs-Ankündigung Flatrate-Club-Wien-Meidling an
www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?p=133157#133157
Erstmal die kostenlose Presse einfach laufen lassen und in abgesicherter Position schaun können wie die Behörden auf den Versuchtsballon reagieren. (Ein vergleichbares und letztlich gelungenes Lehrstück war in Deutschland die hier im Forum dokumentierte Eröffnung vom Bordell und FKK-Club 'das 5. Element' irgendwo auf dem Lande im Herzen von Deutschland...)
Der starke Presserummel i.V.m. der Tatsache, dass sofort die Polizeiführung Prostitution aufmaschiert ist zeigt, dass das Projekt Flatrate Österreich gescheitert ist/scheitern wird. Aber die Immobilie lässt sich ja auch anders bewirtschaften (Zimmervermietung).
Dennoch wird die Flatrate-Debatte medial weiterhin benutzt, um gegen Prostitution Stimmung zu machen. Das sollten wir uns nicht länger bieten lassen und zu verhindern versuchen, z.B. indem wir "neutral", also nicht betreiberspezifisch, "pro Flatrate" Stellung beziehen, weil wir "pro Sexwork-Vielfalt" und "pro Wahlfreiheit für Sexworker" und Sexworkarbeitsstätten sind (Arbeitsplätze schaffen).
Wir sollten dabei die Kern-Tabus der Prostitution ansprechen und dekonstruieren und nicht etwa steuerliche Details eines Betreibermodells diskutieren...
Mögliche Leitsätze Pro Sexwork Wahlfreiheit könnten sein:
- Ob eine Arbeitsform in der Sexarbeit ausbeuterisch ist, kann im aufgeklärten Rechtsstaat nicht vom äußeren ersten Anschein aus Medienberichten und auch nicht vom moralischen Urteil einzelner Teilgruppen abhängig gemacht werden.
- Ob eine Arbeitsform in der Sexarbeit ausbeuterisch ist, hängt zentral von der Würdigung der dort arbeitenden Sexworker ab. Ihre Arbeitsentscheidung und zugrundeliegende Kosten-Nutzen-Kalkulation muß anerkannt werden. Pendelnde Sexwork-Migranten sind Wanderarbeiter die vom Arbitrage-Gewinn profitieren. Sexworker brauchen nicht vor sich selbst geschützt oder gerettet zu werden. Es darf nicht eine Werbeaussage mißbraucht werden (auch wenn sie im Bereich des Sexbiz verständlicherweise sexualisiert ist) als Grundlage für ein Urteil gegen eine Arbeitsform. "Dirty talk is NOT dirty".
- Finanzieller Bedarf bzw. der Arbeitswille von Arbeitern, darf nicht zu ihrer rechtlichen oder öffentlichen Entmündigung mißbraucht werden.
Die rechtlich prekäre Lage von Migranten und Sexworkern muß in den Blick genommen werden, statt nach weiteren Verboten zu rufen.
Gebt uns Sexworkern Rechte gegen Unrecht! - Sexworker müssen in den Status versetzt werden, von der Polizei Hilfe erhalten zu können, wie alle Menschen und Arbeiter auch. Es kann nicht sein, dass Sexworker die Polizei vielfach ausschließlich als strafenden Gegner erfahren müssen.
- Damit eine Arbeitsform in der Sexarbeit nicht ausbeuterisch entartet, brauchen Sexworker Rechte und institutionellen Schutz sich selbst schützen zu können. Das ist z.B. in einem Bordell-Betrieb eine geregelte Sexarbeiter-Mitbestimmung und in einem Rotlichtviertel oder Stadtbezirk ein Sexworker-Büro, was die Kommune einzurichten hat.
- Holzschnittartige Vereinfachungen über Prostitution und als öffentliche Anklage helfen nicht weiter, wenn man nicht bereit ist die tatsächliche Mikrokommunikation und Realitäten in der Sexarbeit mit Sexarbeiter_innen und ihren Vertreter_innen selbst zu diskutieren.
- Nur weil wir Sex vermarkten, sind wir keine Opfer. Wir sind alt genug um zu entscheiden, wie und wann wir uns wie würdevoll verhalten. Wer öffentlich behauptet uns würde im Flatratebordell oder Straßenstrich ... die Würde genommen, der ist es in Wahrheit der uns die Würde raubt.
- Prostitution ist die ritualisiert auf Augenhöhe verabredete Trennung von Sexualität und Liebe.
Die Dienstleistungskunst der Sexarbeit ist eine uralte Kulturleistung.
Jede Kultur braucht Kultivierung. Nur dann kann sie ihr humanes Potential entfalten. - Um die strukturelle Übermacht des sexsuchenden Mannes oder des renditesuchenden Finanzkapitals auf ein gleichberechtigtes Niveau mit (migrantischen) Sexarbeiterinnen und Sexarbeitern zu bringen, braucht es intelligente Lösungen struktureller Prävention und offentlicher Sicherheiten (z.B. faire Bordellbetriebe, sichere Strichplätze wie die bekannten Safer-Sex drive-in Liebes-Lauben, Beratungs-Infrastruktur, Outplacement-Optionen, berufsbegleitende Erwachsenenfortbildung, rechtliche Entkriminalisierung, Abbau von Stigmatisierungen...). Die regulierenden Rahmenbedingungen sind gemeinsam mit den Betroffenen, den Sexworkern und ihren Angehörigen transparent fortzuentwickeln (Deliberation statt nur Governance).
- Wir brauchen eine auf wissenschaftlich überprüfbaren Erkenntnissen beruhende Entscheidungen und keine moralisch geprägten Vorverurteilungen aus dem Bauch heraus.
- Sexworker leisten einen wertvollen Beitrag für eine aufgeklärte und befriedigte Gesellschaft.
Sexworker sind nicht das Problem. Wir sind bereits Teil der Lösung. - ...
Historischer Brief an die Kanzlerin
und Linkübersicht Thema Flatrate
www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?p=61383#61383