Selbstverwaltung eines Bordells

Hier können SexarbeitInnen ihren Arbeitsplatz bzw. ihre Arbeitsbedingungen beschreiben. Was erlebt Ihr alles in Eurem Beruf?
Captain
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Selbstverwaltung eines Bordells

Beitrag von Captain »

Hallo,
nachdem mir kein anderes Unterforum so richtig geeignet schien, packe ich meine (meine hoffentlich nicht allzu dumme) Frage hier rein:
Vor kurzem habe ich auf einem Streaming-Portal (ich glaube es war Youtube, aber leider habe ich die Adresse nicht gespeichert) einen Beitrag über ein Hamburger Bordell gesehen, in dem Prostituierte den Betrieb in einer Art Selbstverwaltung aufgezogen haben. Ziel dieses Projekt ist es, den Sex-Arbeiterinnen möglichst angenehme Arbeitsbedingungen zu bieten und den an die Prostituierten ausbezahlten Anteil am Gesamt-Lohn möglichst hoch zu halten, da es keinen Betreiber gibt, der mitkassiert.

Für mich als Aussenstehenden hört sich dies zunächst einmal nach einer guten Idee an. Gibt es in SW-Gemeinschaft (falls so etwas existiert) Bestrebung dieses Modell aufzugreifen, oder handelt es sich bei dieser Betriebsform um einen „Exoten“ ?


Des weiteren wurde in dem Beitrag ein Stundenlohn von 30 € angesprochen, der den Sex-Arbeiterinnen letztendlich bliebe, was mir ohne die Verhältnisse in Hamburg (oder irgendwo anders, was dies anbelangt) zu kennen, insbesondere unter dem Aspekt der Einkommenserhöhung der Prostituierten doch sehr niedrig erscheint.
Ist es für eine(n) Sex-ArbeiterIn eher erstrebenswert zu einem niedrigeren Satz zu arbeiten und hierdurch evtl. mehr Kunden anzulocken, oder ist es besser weniger Kunden mit höherem Lohn zu haben ?


Grüße
Der Captain

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Zwerg
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Beitrag von Zwerg »

Da Prostitution eine selbstständige Tätigkeit darstellt ist eigentlich die Handlung selbst in keinem Fall "abhängig" - dies trifft auch in sehr vielen Fällen auf das Umfeld zu. Wenn zum Beispiel eine SexarbeiterIn in einem Laufhaus ein Zimmer anmietet, so verwaltet sie diesen Raum auch selbst. Das mehrere SexarbeiterInnen gemeinsam ein Lokal anmieten ist meines Erachtens keine Norm und mag auch schon geschehen sein, die Frage ist halt nur, in welcher Gesellschaftsform hier vorgegangen wurde.

Jemand (juristische Person) muss verantwortlich sein - und da entsteht das Problem. Auf Grund der gewollten Ungebundenheit bzw. Flexibilität der SexarbeiterInnen (nicht zuletzt auf Grund der sich ständig verschiebenden Situationen von Angebot und Nachfrage) wird zwar investiert (Wohnungen zum Beispiel), aber selten in Gemeinschaft mit Anderen. Ich persönlich denke nicht, dass es (als Norm) funktionieren kann - wobei ich hier sicher nicht der Weisheit letzter Schluss bin!

An den nächsten Gedanken muss man sich erst gewöhnen, aber es ist wert darüber nachzudenken: Am Häufigsten tritt meines Erachtens eine Selbstverwaltung (Marketing, Umfeld, Preis- Leistungsgestaltung) am Straßenstrich, in der Wohnungsprostitution und bei unabhängigen Escorts auf. Also zumeist dort, wo eine Investition überschaubar ist. Das eine Gruppe von SexarbeiterInnen eine Bar, oder ein Laufhaus aufmacht ist für mir nicht wirklich (als erstrebenswerte Norm) denkbar. Auch die Bewilligungspflicht für Ausschank usw. steht dem oft in Wege - abgesehen von der Investition...

Was mich jetzt ein wenig stört: Man stellt eigentlich mit der Frage "ob es denn nicht wünschenswert wäre" irgendwie in den Raum, dass die Zusammenarbeit mit BetreiberInnen in jedem Fall negativ ist. Und ohne jetzt eine Lanze für BetreiberInnen brechen zu wollen (gerade ich bin kein Freund der BetreiberInnen) sehe ich hier nicht die Problemstellung. Die Gesetzgebung muss dahingehend geändert werden, dass Ausbeutung (egal durch wen) verhindert werden kann. SexarbeiterInnen müssen derart gestärkt werden, damit sie sich im Falle von Übervorteilung zur Wehr setzen können.

Aber wie gesagt: Es ist eine selbstständige Tätigkeit, also obliegt die Entscheidung, ob und wie Jemand mit wem zusammen arbeitet, oder eben nicht, einzig und alleine in den Händen der Personen welche sexuelle Dienstleistungen anbieten.

Eine, wenn auch freundlich gemeinte, "Lösung" steht Niemand zu - und schon gar nicht die jetzt stattfindende Lenkung des Staates von SexarbeiterInnen in behördlich bevorzugte Modelle.

christian

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Re: Selbstverwaltung eines Bordells

Beitrag von Zwerg »

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Captain hat geschrieben:Des weiteren wurde in dem Beitrag ein Stundenlohn von 30 € angesprochen, der den Sex-Arbeiterinnen letztendlich bliebe, was mir ohne die Verhältnisse in Hamburg (oder irgendwo anders, was dies anbelangt) zu kennen, insbesondere unter dem Aspekt der Einkommenserhöhung der Prostituierten doch sehr niedrig erscheint.
Was ist der Stundenlohn? Mit Vorbereitung, Anreise (bzw. Wartezeit), Nachbereitung, Aufwand für Werbung, Buchhaltung, Kosmetik, Friseur,..... usw.?

Man kann nicht den Preis für eine sexuelle Dienstleistung als Berechnungsgrundlage in Relation zu dem dafür benötigten Zeitraum, betrachten, sondern muss einen Schnitt des gesamten Aufwandes (inkl. sämtlicher nicht zu unterschätzender Nebenberäusche) einer Summe von Einkünften abzüglich Spesen (auch die sind oft unterschätzt) vermindert um Steuer und Sozialversicherung über einen längeren Zeitraum gegenüber stellen.

Und da denke ich nicht, dass es viele SexarbeiterInnen gibt, welche da 30 Euro pro Stunde erreichen können.... (leider)

Deshalb nerven mich persönlich auch Postings in diversen Freierforen die als Botschaft "zu teuer" oder "wofür" deponieren. Noch schlimmer sind die Typen welche andere Berufe als Vergleichszahl heranziehen....

Die Legende vom "guten Schnitt" möchte ich ins Reich der Mythen und Legenden verweisen. Wie so Vieles an "Geschichten" welche sich rund um das Rotlicht ranken (im Bösen, aber auch im Guten). Frau Dr. Amesberger - die ich über alle Maßen schätze - hat es in einem Vortrag einmal so ausgedrückt. Charakteristisch am Rotlich ist: Jeder hat eine Meinung aber die Meisten keine Ahnung.

Christian

PS.: Beitrag nach "Arbeitsplatz der SexarbeiterInnen" verschoben

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Marc of Frankfurt
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