Barcamp Frauen 2014
"Die Freiheit erweitern" – Eine Bestandsaufnahme des modernen Feminismus
„Mauern einreißen“ lautete das Motto des fünften Barcamp Frauen in Berlin im Jahr des 25. Mauerfalljubiläums. Was die frauenpolitische Veranstaltung mit dem Ende der DDR gemeinsam hat? Den Ruf nach Freiheit und Selbstbestimmung .
Passen Prostitution und Feminismus zusammen? Folgt man dem Grundtenor der Berichterstattung in Deutschland, lautet die deutliche Antwort Nein. Die vermeintliche Vorzeige-Feministin Alice Schwarzer und die von ihr gegründete Frauenzeitschrift „Emma“ haben im Oktober 2013 gar einen Appell gegen Prostitution ausgerufen. Binnen weniger Wochen unterschrieben mehr als 10 000 Menschen die Forderung nach einem „effektiven Gesetz gegen Prostitution“.
Der Barcamp-Workshop „Prostitution und Feminismus“ aber zeichnet ein ganz anderes Bild von Sexarbeit, eines, das wenig gemein hat mit Schwarzers Darstellung einer Unterwelt voll Menschenhandel, Zwang und Entwürdigung der Frau. Die Leiterinnen des Workshops stellten klar: Es gibt sie wirklich, die freiwillige Prostitution. Und nein, Sexarbeiter_innen sind nicht automatisch fremdbestimmt. „Man muss sich von dem Bild verabschieden, dass Männer die Frauen im Bordell ‚pflücken‘. Die Frauen entscheiden selbst, ob sie einen Kunden annehmen oder nicht“, erklärt Fabienne Freymadl vom Berufsverband Sexarbeit.
„Sexualität ist Teil unserer Freiheit“
„Früher waren wir die Schänder der bürgerlichen Moral, heute sind wir die Lobbyisten für Menschenhandel“, resümiert Pieke Biermann die öffentliche Meinung. Die ehemalige Sexarbeiterin und Buchautorin betont: „Uns geht es darum, die Freiheit derer zu erweitern, die mit Sexarbeit ihr Geld verdienen WOLLEN.“ Eine Teilnehmerin aber fragt sich, ob Prostitution in einer feministischen Gesellschaft überhaupt noch einen Platz hat. Biermann dagegen ist sich sicher: Hätten Frauen so viel Geld wie Männer, gäbe es auch mehr Freierinnen. „Sexualität ist Teil unserer Freiheit und Prostitution eine Art, den Sex zu inszenieren“, so Biermann.
Wie moderner Feminismus aussieht und welche Bereiche alle dazu gehören können, das war auf dem diesjährigen Barcamp Frauen in der Kalkscheune in Berlin immer wieder Thema. Was ist sexpositiver Feminismus und gibt es einen Dresscode für Feministinnen? Wie in den vergangenen Jahren kamen auch 2014 wieder um die 180 Teilnehmer_innen, darunter zunehmend auch Männer, um über Gleichstellung und Feminismus zu diskutieren. Die Organisatorinnen rund um Nancy Böhning haben zudem im Vorfeld nach prägenden Rollenbildern gefragt – „oder sind es eher Vorurteile, die uns prägen?“.
Auf Alltagsdiskriminierungen aufmerksam machen
Eine Frage, der Sandrine Micossé-Aikins („Körperpolitik und Rassismus“) und Pinkstinks („Sexismus in der Werbung“) in ihren Workshops ausführlicher nachgingen. Fehlende Vor- und falsche Rollenbilder, sowohl geschlechts- als auch hautfarbendiskriminierend, wurden hier kritisiert. Das Team von Pinkstinks ruft deshalb online dazu auf, sich an der Petition gegen geschlechtsdiskriminierende Werbung zu beteiligen, damit diese per Gesetz verboten wird. Jamie Schearer stellte in diesem Zusammenhang das Projekt gegen Alltagsrassismus #SchauHin vor.
Fehlende Vorbilder wurden auch in der Arbeitswelt bemängelt. Nach konkreten Problemstellungen und Lösungsvorschlägen fragten deshalb Ricarda Scholz und Hanna Wolf im Workshop „Vereinbarkeit von Arbeit und Leben – aber wie finanzieren?“. Beide arbeiten beim Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) an Gleichstellungsprojekten, Scholz im Projekt „Was verdient die Frau? Wirtschaftliche Unabhängigkeit!“, Wolf im Projekt „Vereinbarkeit von Familie & Beruf gestalten“, und wollen Bedürfnisse und Wünsche in ihre Projekte mit einfließen lassen.
Bemängelt wurden hier vor allem fehlende finanzielle Förderung von ehrenamtlichen Tätigkeiten sowie einer noch zu unflexiblen Arbeitswelt. „Weg von der Herdprämie hin zur Ehrenamtsprämie“, forderte deshalb Teilnehmerin Claudia. Zudem kritisierten einige Teilnehmer_innen die mangelnde Akzeptanz von Männern in Elternzeit gerade durch den Arbeitgeber. Hier drohten nicht selten eine Verweigerung seitens des Arbeitgebers bis hin zur Kündigung des Arbeitnehmers. Dadurch aber würden Frauen automatisch in eine längere Auszeit gezwungen, auch wenn sie diese gar nicht wollten.
Fazit
Die Fülle an spannenden Workshops – circa 18, verteilt auf drei Sessions – zeigt: Das Themenfeld auf dem Barcamp ist breit gefächert, und es gibt noch viel zu diskutieren, gerade im Bereich Arbeitswelt. Ein möglicher Schwerpunkt für das Frauenbarcamp 2015 ist deshalb schon gefunden: Frauen und Arbeit. Vorbeischauen lohnt sich!
http://www.vorwaerts.de/artikel/freihei ... feminismus
Passen Prostitution und Feminismus zusammen?
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- Admina
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Passen Prostitution und Feminismus zusammen?
Wer glaubt ein Christ zu sein, weil er die Kirche besucht, irrt sich.Man wird ja auch kein Auto, wenn man in eine Garage geht. (Albert Schweitzer)
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Fakten und Infos über Prostitution
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"Kampf für Hurenrechte IST Kampf für Frauenrechte,
und immer schon gewesen. Das zu leugnen ist Sexismus"
Das lässt sich auch ganz einfach historisch nachweisen
und beweisen. Leider in umgekehrter Richtung.
Ab dem 16. Jh. verloren Frauen Rechte im Arbeitsbereich
und im Familienbereich, und simultan verloren die bis
dahin gut organisierten Sexarbeiterinnen ihre Rechte zur
Ausübung ihres Berufes.
Ich lese zur Zeit das Gilgamesh-Epos der Sumerer, das vor
etwa 7000 Jahren verfasst, 2000 Jahren mündlich weiter
gegeben, und dann in Keilschrift auf 12 Tafeln niedergeschrieben wurde.
Was ich darin gefunden habe ist hoch interessant in Bezug auf
Sexarbeit und die Stellung von Huren in der Gesellschaft Sumers.
In ein paar Tagen bin ich damit fertig, und werde eine Inhaltsangabe
hier im Forum einstellen.
Nur ein kurzer Kommentar im Voraus, bei den alten Sumerern
hatten Sexarbeiterinnen etwa die soziale Stellung wie heute
Filmschauspieleriunnen und Opernsängerinnen, wenn nicht mehr!
Nicole
und immer schon gewesen. Das zu leugnen ist Sexismus"
Das lässt sich auch ganz einfach historisch nachweisen
und beweisen. Leider in umgekehrter Richtung.
Ab dem 16. Jh. verloren Frauen Rechte im Arbeitsbereich
und im Familienbereich, und simultan verloren die bis
dahin gut organisierten Sexarbeiterinnen ihre Rechte zur
Ausübung ihres Berufes.
Ich lese zur Zeit das Gilgamesh-Epos der Sumerer, das vor
etwa 7000 Jahren verfasst, 2000 Jahren mündlich weiter
gegeben, und dann in Keilschrift auf 12 Tafeln niedergeschrieben wurde.
Was ich darin gefunden habe ist hoch interessant in Bezug auf
Sexarbeit und die Stellung von Huren in der Gesellschaft Sumers.
In ein paar Tagen bin ich damit fertig, und werde eine Inhaltsangabe
hier im Forum einstellen.
Nur ein kurzer Kommentar im Voraus, bei den alten Sumerern
hatten Sexarbeiterinnen etwa die soziale Stellung wie heute
Filmschauspieleriunnen und Opernsängerinnen, wenn nicht mehr!
Nicole
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- Admina
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- Ich bin: Keine Angabe
Danke , Nicole,
Da bin ich sehr dran interessiert . Freue mich auf deine Inhaltsangabe.
Liebe Grüße, Fraences
Da bin ich sehr dran interessiert . Freue mich auf deine Inhaltsangabe.
Liebe Grüße, Fraences
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Ich lese meist mehrere Bücher gleichzeitig, wie auch jetzt.
Eines habe ich immer in der Handtasche, und lese es wenn
ich warten muss. Ein anderes liegt am Bett, das ich vor dem
Einschlafen lese, und dann habe ich noch eines für unter Tags.
Was ich noch gerade lese, ist die Upanishad-Lehre des alten Indiens,
Grundlage des Hinduismus, verfassst etwa vor
3000 Jahren. Auch dort fand ich interessante Hinweise auf
Sozialverhalten im Sexualbereich, die ich später hier vorstellen werde.
nicole
Eines habe ich immer in der Handtasche, und lese es wenn
ich warten muss. Ein anderes liegt am Bett, das ich vor dem
Einschlafen lese, und dann habe ich noch eines für unter Tags.
Was ich noch gerade lese, ist die Upanishad-Lehre des alten Indiens,
Grundlage des Hinduismus, verfassst etwa vor
3000 Jahren. Auch dort fand ich interessante Hinweise auf
Sozialverhalten im Sexualbereich, die ich später hier vorstellen werde.
nicole
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- Admina
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RE: Passen Prostitution und Feminismus zusammen?
Feministische Standpunkte
Die emanzipierte Prostituierte
Interview: Brigitte Hürlimann
Am internationalen Frauentag in Berlin wurde in diesem Jahr auch für die Rechte von Sexworkern und Sexworkerinnen demonstriert.
Der Stadtzürcher Strassenstrich und der erste schweizerische Strichplatz in Altstetten prägen die Diskussion über den Umgang mit Prostitution. Schweizer Feministinnen legen nun ihre Standpunkte dar – Natalie Trummer erklärt, warum das nötig ist.
Frau Trummer, sind Prostituierte emanzipierte Frauen oder im Gegenteil Opfer von patriarchaler Gewalt?
Die Frage ist typisch für die gegenwärtige Diskussion über die Sexarbeit – sie ist pauschalisierend und vereinfacht ein komplexes Thema auf eine unangebrachte, irreführende und wenig hilfreiche Art und Weise. Meine Antwort lautet deshalb: Das ist sehr individuell, denn Sexarbeiterinnen stellen keine homogene Gruppe dar. Feministisches Gedankengut ist unter den Frauen, die in der Sexarbeit tätig sind, sehr wohl anzutreffen. Und Opfer gibt es auch; wobei sich die Frage stellt, von was oder von wem die Sexarbeiterinnen eigentlich in erster Linie Opfer sind.
Darauf kommen wir später noch zu sprechen. Erläutern Sie doch zunächst einmal, warum es überhaupt ein feministisches Grundsatzpapier zur Prostitution in der Schweiz braucht.
Wir, und das sind die Vertreterinnen verschiedenster Organisationen, stellen fest, dass es in der derzeitigen Debatte fast nur um technische oder regulatorische Fragen geht , dies insbesondere auch in der Stadt Zürich. Wo dürfen die Frauen anschaffen und wo nicht? Welche Bewilligungs- und Kontrollprozedere und welche neuen Auflagen sollen eingeführt werden? Und so weiter und so fort. Die Metaebene wird dabei völlig ausgeblendet, das ist falsch und gefährlich, auch angesichts der diversen politischen Vorstösse, die auf Bundesebene und in den Kantonen hängig sind.
Und was ist Ihre Conclusio, aus feministischer Sicht?
Wir haben selbstbestimmte Entscheide von Sexarbeiterinnen ernst zu nehmen, und zwar unabhängig davon, ob diese in die feministischen Theorien passen oder nicht. Die Theorie muss sich der Praxis anpassen und nicht umgekehrt. Oder anders gesagt: Ich als Feministin habe zu akzeptieren, dass sich eine Frau, die zwischen verschiedenen Optionen wählen kann, für die Prostitution entscheidet. Und ihr stehen in der Sexarbeit sämtliche Rechte zu, und zwar uneingeschränkt: die Menschenrechte, die persönlichen und wirtschaftlichen Rechte, die Bürgerrechte und das Recht auf physische und psychische Integrität. Es gibt keinen Grund dafür, einer Sexarbeiterin die Fähigkeit, Entscheide zu treffen und frei zu handeln, generell abzusprechen. Dabei ist streng zwischen Zwangsprostitution, Menschenhandel und freiwilliger, selbstbestimmter Prostitution zu unterscheiden, das ist ein ganz wesentlicher Punkt.
Natalie Trummer, Geschäftsleiterin von Terre des Femmes Schweiz.
Gerade von feministischer Seite ist aber zu hören, Prostitution sei grundsätzlich Ausbeutung und freiwillige, selbstbestimmte Sexarbeit gar nicht möglich.
Wir vertreten klar eine andere Auffassung. Es gibt Frauen, Männer und Transmenschen, die sich für die Sexarbeit entschieden haben und sich keinen anderen Beruf wünschen. Andere haben zwischen verschiedenen Optionen gewählt, und das können schlechte und schlechtere, gute und bessere Optionen sein, die immer in einem bestimmten Kontext stehen. Eine Frau kann sich also dafür entscheiden, dass sie der Armut und der Perspektivenlosigkeit entfliehen will, indem sie sich in einem reichen, westlichen Land prostituiert. Oder dass sie nicht mehr Tag für Tag im Supermarkt an der Kasse sitzen will. Solche Entscheide zwischen mehreren Optionen haben wir zu akzeptieren. Im Übrigen verkaufen die Prostituierten weder sich noch ihren Körper. Sie bieten eine Dienstleistung an, eine intime und eine, die enge Kontakte mit anderen Menschen erfordert. Das liegt nicht allen. Das Gleiche gilt jedoch auch für pflegerische Arbeiten.
Ist für Sie die Prostitution ein Beruf wie jeder andere?
Nein, es ist ein risikoreicher Job, der gesellschaftlich stigmatisiert ist und die Gefahr von Ausbeutung birgt – wie jedoch manch andere Berufe auch. Aus feministischer Sicht fordern wir deshalb faire und würdige Arbeitsbedingungen, die Entkriminalisierung und ein Empowerment der Sexarbeiterinnen, die wir ernst nehmen und nicht bevormunden. Prostitution hat durchaus Emanzipationspotenzial. Die Frauen verdienen Geld, durchbrechen Hierarchien, übernehmen Verantwortung, werden unabhängiger – auch von den Männern – und können Lebensträume verwirklichen: ein Geschäft eröffnen oder für sich und ihre Familien ein Haus bauen lassen. Viele Sexarbeiterinnen sind tüchtige Geschäftsfrauen. Das geht oft vergessen, weil das Bild der ausgebeuteten Strassenprostituierten, die unter der Fuchtel von Zuhältern und Menschenhändlern steht, die Debatte prägt; dies, obwohl die meisten indoor arbeiten.
Würden Sie einer Frau empfehlen, den Beruf einer Prostituierten auszuüben?
Die Frage ist provokativ. Es geht nicht darum, dass wir als Feministinnen zur Sexarbeit aufrufen. Es geht aber auch nicht darum, die Sexarbeit zu verdammen; abgesehen davon sind die Grenzen ja fliessend. Eine Frau, die von ihrem Geliebten teure Geschenke erhält, gilt nicht als Prostituierte, ebenso wenig die Frau, die offen und zielstrebig nach einem reichen Ehemann sucht. Auch Pornodarstellerinnen oder Telefonsex-Anbieterinnen sind keine Prostituierte, und im Kanton Genf werden Frauen, die sexuelle Dienstleistungen für Menschen mit Behinderungen anbieten, vom Prostitutionsgesetz explizit ausgenommen. Doch um auf Ihre Frage zurückzukommen: Es gibt Frauen, die sich prostituieren. Punkt. Das ist ein Fakt – unabhängig davon, ob ich den Beruf jemandem empfehle oder nicht. Und ich wünsche all diesen Frauen, dass sie in ihrem anspruchsvollen Beruf gute, anständige, sichere Bedingungen antreffen, dass sie keinen Schaden nehmen und nicht mit gesellschaftlicher Ächtung bestraft werden. Nur so wird es ihnen möglich sein, den Beruf auch zu ändern, falls sie dies wünschen und falls sie die Möglichkeit dazu haben.
Fakten, Positionen, Visionen
brh. ⋅ Fünf Nichtregierungsorganisationen haben diesen Sommer das «Diskussionspapier Sexarbeit» veröffentlicht, das «Fakten, Positionen und Visionen aus feministischer Perspektive» abhandelt. Zu den Verfasserinnen gehören: Natalie Trummer und Aglaia Wespe von Terre des Femmes Schweiz, Rebecca Angelini von der Fachstelle Frauenhandel und Frauenmigration (FIZ), Theodora Leite Stampfli von der Feministischen Friedensorganisation (cfd) sowie die Menschenrechtsexpertin Stella Jegher. Mitgetragen wird das Diskussionspapier zudem von der Berner Fachstelle für Sexarbeit Xenia sowie vom schweizerischen Netzwerk Prokore, das sich für die Rechte der Menschen in der Sexarbeit einsetzt.
Haben Sie eine Erklärung dafür, warum über Prostitution bis heute derart emotional diskutiert wird?
Ich vermute, es liegt an der weiblichen Sexualität, die immer noch ein Tabuthema ist. Einerseits besteht wohl nach wie vor eine unterschwellige Angst vor einer sehr selbstbewussten, promiskuitiven weiblichen Sexualität – und andererseits wird die weibliche Sexualität als etwas Heiliges auf den Altar gehoben. Ich vertrete einen pragmatischen Standpunkt. Jeder und jede soll selber entscheiden können, wie er oder sie mit der Sexualität umgeht. Man kann Geld und Geschenke dafür entgegennehmen oder nicht. Man kann oft Sex haben oder nicht, mit einem oder mit mehreren Partnern. Aus feministischer Sicht wehren wir uns dagegen, dass die weibliche Sexualität, die ausserhalb der Norm stattfindet, eingeschränkt wird.
Um auf Ihre eingangs erwähnte Bemerkung zurückzukommen: Von was oder von wem sind Prostituierte Opfer?
Beratungsstellen wie die FIZ in Zürich stellen fest, dass für die Sexarbeiterinnen die Ausgrenzung meist das grössere Problem darstellt als die Gewalt von Freiern oder Zuhältern. Sexarbeit ist immer noch derart stigmatisiert, auch in der Schweiz, dass viele ein Doppelleben führen. Das permanente Verheimlichen ist mit psychischen Belastungen verbunden, die krank machen können. Will man die Sexarbeiterinnen stärken, braucht es gesellschaftliche Anerkennung – keine Prostitutionsverbote.
http://www.nzz.ch/zuerich/die-emanzipie ... 1.18406146
Die emanzipierte Prostituierte
Interview: Brigitte Hürlimann
Am internationalen Frauentag in Berlin wurde in diesem Jahr auch für die Rechte von Sexworkern und Sexworkerinnen demonstriert.
Der Stadtzürcher Strassenstrich und der erste schweizerische Strichplatz in Altstetten prägen die Diskussion über den Umgang mit Prostitution. Schweizer Feministinnen legen nun ihre Standpunkte dar – Natalie Trummer erklärt, warum das nötig ist.
Frau Trummer, sind Prostituierte emanzipierte Frauen oder im Gegenteil Opfer von patriarchaler Gewalt?
Die Frage ist typisch für die gegenwärtige Diskussion über die Sexarbeit – sie ist pauschalisierend und vereinfacht ein komplexes Thema auf eine unangebrachte, irreführende und wenig hilfreiche Art und Weise. Meine Antwort lautet deshalb: Das ist sehr individuell, denn Sexarbeiterinnen stellen keine homogene Gruppe dar. Feministisches Gedankengut ist unter den Frauen, die in der Sexarbeit tätig sind, sehr wohl anzutreffen. Und Opfer gibt es auch; wobei sich die Frage stellt, von was oder von wem die Sexarbeiterinnen eigentlich in erster Linie Opfer sind.
Darauf kommen wir später noch zu sprechen. Erläutern Sie doch zunächst einmal, warum es überhaupt ein feministisches Grundsatzpapier zur Prostitution in der Schweiz braucht.
Wir, und das sind die Vertreterinnen verschiedenster Organisationen, stellen fest, dass es in der derzeitigen Debatte fast nur um technische oder regulatorische Fragen geht , dies insbesondere auch in der Stadt Zürich. Wo dürfen die Frauen anschaffen und wo nicht? Welche Bewilligungs- und Kontrollprozedere und welche neuen Auflagen sollen eingeführt werden? Und so weiter und so fort. Die Metaebene wird dabei völlig ausgeblendet, das ist falsch und gefährlich, auch angesichts der diversen politischen Vorstösse, die auf Bundesebene und in den Kantonen hängig sind.
Und was ist Ihre Conclusio, aus feministischer Sicht?
Wir haben selbstbestimmte Entscheide von Sexarbeiterinnen ernst zu nehmen, und zwar unabhängig davon, ob diese in die feministischen Theorien passen oder nicht. Die Theorie muss sich der Praxis anpassen und nicht umgekehrt. Oder anders gesagt: Ich als Feministin habe zu akzeptieren, dass sich eine Frau, die zwischen verschiedenen Optionen wählen kann, für die Prostitution entscheidet. Und ihr stehen in der Sexarbeit sämtliche Rechte zu, und zwar uneingeschränkt: die Menschenrechte, die persönlichen und wirtschaftlichen Rechte, die Bürgerrechte und das Recht auf physische und psychische Integrität. Es gibt keinen Grund dafür, einer Sexarbeiterin die Fähigkeit, Entscheide zu treffen und frei zu handeln, generell abzusprechen. Dabei ist streng zwischen Zwangsprostitution, Menschenhandel und freiwilliger, selbstbestimmter Prostitution zu unterscheiden, das ist ein ganz wesentlicher Punkt.
Natalie Trummer, Geschäftsleiterin von Terre des Femmes Schweiz.
Gerade von feministischer Seite ist aber zu hören, Prostitution sei grundsätzlich Ausbeutung und freiwillige, selbstbestimmte Sexarbeit gar nicht möglich.
Wir vertreten klar eine andere Auffassung. Es gibt Frauen, Männer und Transmenschen, die sich für die Sexarbeit entschieden haben und sich keinen anderen Beruf wünschen. Andere haben zwischen verschiedenen Optionen gewählt, und das können schlechte und schlechtere, gute und bessere Optionen sein, die immer in einem bestimmten Kontext stehen. Eine Frau kann sich also dafür entscheiden, dass sie der Armut und der Perspektivenlosigkeit entfliehen will, indem sie sich in einem reichen, westlichen Land prostituiert. Oder dass sie nicht mehr Tag für Tag im Supermarkt an der Kasse sitzen will. Solche Entscheide zwischen mehreren Optionen haben wir zu akzeptieren. Im Übrigen verkaufen die Prostituierten weder sich noch ihren Körper. Sie bieten eine Dienstleistung an, eine intime und eine, die enge Kontakte mit anderen Menschen erfordert. Das liegt nicht allen. Das Gleiche gilt jedoch auch für pflegerische Arbeiten.
Ist für Sie die Prostitution ein Beruf wie jeder andere?
Nein, es ist ein risikoreicher Job, der gesellschaftlich stigmatisiert ist und die Gefahr von Ausbeutung birgt – wie jedoch manch andere Berufe auch. Aus feministischer Sicht fordern wir deshalb faire und würdige Arbeitsbedingungen, die Entkriminalisierung und ein Empowerment der Sexarbeiterinnen, die wir ernst nehmen und nicht bevormunden. Prostitution hat durchaus Emanzipationspotenzial. Die Frauen verdienen Geld, durchbrechen Hierarchien, übernehmen Verantwortung, werden unabhängiger – auch von den Männern – und können Lebensträume verwirklichen: ein Geschäft eröffnen oder für sich und ihre Familien ein Haus bauen lassen. Viele Sexarbeiterinnen sind tüchtige Geschäftsfrauen. Das geht oft vergessen, weil das Bild der ausgebeuteten Strassenprostituierten, die unter der Fuchtel von Zuhältern und Menschenhändlern steht, die Debatte prägt; dies, obwohl die meisten indoor arbeiten.
Würden Sie einer Frau empfehlen, den Beruf einer Prostituierten auszuüben?
Die Frage ist provokativ. Es geht nicht darum, dass wir als Feministinnen zur Sexarbeit aufrufen. Es geht aber auch nicht darum, die Sexarbeit zu verdammen; abgesehen davon sind die Grenzen ja fliessend. Eine Frau, die von ihrem Geliebten teure Geschenke erhält, gilt nicht als Prostituierte, ebenso wenig die Frau, die offen und zielstrebig nach einem reichen Ehemann sucht. Auch Pornodarstellerinnen oder Telefonsex-Anbieterinnen sind keine Prostituierte, und im Kanton Genf werden Frauen, die sexuelle Dienstleistungen für Menschen mit Behinderungen anbieten, vom Prostitutionsgesetz explizit ausgenommen. Doch um auf Ihre Frage zurückzukommen: Es gibt Frauen, die sich prostituieren. Punkt. Das ist ein Fakt – unabhängig davon, ob ich den Beruf jemandem empfehle oder nicht. Und ich wünsche all diesen Frauen, dass sie in ihrem anspruchsvollen Beruf gute, anständige, sichere Bedingungen antreffen, dass sie keinen Schaden nehmen und nicht mit gesellschaftlicher Ächtung bestraft werden. Nur so wird es ihnen möglich sein, den Beruf auch zu ändern, falls sie dies wünschen und falls sie die Möglichkeit dazu haben.
Fakten, Positionen, Visionen
brh. ⋅ Fünf Nichtregierungsorganisationen haben diesen Sommer das «Diskussionspapier Sexarbeit» veröffentlicht, das «Fakten, Positionen und Visionen aus feministischer Perspektive» abhandelt. Zu den Verfasserinnen gehören: Natalie Trummer und Aglaia Wespe von Terre des Femmes Schweiz, Rebecca Angelini von der Fachstelle Frauenhandel und Frauenmigration (FIZ), Theodora Leite Stampfli von der Feministischen Friedensorganisation (cfd) sowie die Menschenrechtsexpertin Stella Jegher. Mitgetragen wird das Diskussionspapier zudem von der Berner Fachstelle für Sexarbeit Xenia sowie vom schweizerischen Netzwerk Prokore, das sich für die Rechte der Menschen in der Sexarbeit einsetzt.
Haben Sie eine Erklärung dafür, warum über Prostitution bis heute derart emotional diskutiert wird?
Ich vermute, es liegt an der weiblichen Sexualität, die immer noch ein Tabuthema ist. Einerseits besteht wohl nach wie vor eine unterschwellige Angst vor einer sehr selbstbewussten, promiskuitiven weiblichen Sexualität – und andererseits wird die weibliche Sexualität als etwas Heiliges auf den Altar gehoben. Ich vertrete einen pragmatischen Standpunkt. Jeder und jede soll selber entscheiden können, wie er oder sie mit der Sexualität umgeht. Man kann Geld und Geschenke dafür entgegennehmen oder nicht. Man kann oft Sex haben oder nicht, mit einem oder mit mehreren Partnern. Aus feministischer Sicht wehren wir uns dagegen, dass die weibliche Sexualität, die ausserhalb der Norm stattfindet, eingeschränkt wird.
Um auf Ihre eingangs erwähnte Bemerkung zurückzukommen: Von was oder von wem sind Prostituierte Opfer?
Beratungsstellen wie die FIZ in Zürich stellen fest, dass für die Sexarbeiterinnen die Ausgrenzung meist das grössere Problem darstellt als die Gewalt von Freiern oder Zuhältern. Sexarbeit ist immer noch derart stigmatisiert, auch in der Schweiz, dass viele ein Doppelleben führen. Das permanente Verheimlichen ist mit psychischen Belastungen verbunden, die krank machen können. Will man die Sexarbeiterinnen stärken, braucht es gesellschaftliche Anerkennung – keine Prostitutionsverbote.
http://www.nzz.ch/zuerich/die-emanzipie ... 1.18406146
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RE: Passen Prostitution und Feminismus zusammen?
Feministisches Manifest zur Unterstützung der Rechte von Sexarbeiter*innen
http://feministsforsexworkers.com/femin ... -manifest/
Unterzeichnung des Manifests erwünscht (obiger Verlinkung folgen)
Ich stelle das Dokument in diesen Zusammenhang. Es hätte aber auch in manche anderen Threads gepasst. Z.B.:
- Prostitution: Jenseits des Bevormundungsfeminismus, http://www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?t=12451
- Prostitutionsgegner und deren Philosophie zur Prostitution, http://www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?t=12636
- Ist Prostitution ein Menschenrecht?, http://www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?t=13090
Text
Als Unterzeichner*innen dieses Manifests bekunden wir unsere Unterstützung für die Selbstbestimmungsrechte von Sexarbeiter*innen und die Anerkennung von Sexarbeit als Arbeit. Weil Frauenrechte, reproduktive Rechte und die Gleichstellung der Geschlechter in ganz Europa und Zentralasien bedroht sind, erklären wir unsere Solidarität mit Sexarbeiter*innen, die mit unzähligen Formen von Gewalt konfrontiert sind: von der strukturellen und institutionellen bis zur körperlichen und zwischenmenschlichen Gewalt. Um die systematische Unterdrückung von Sexarbeiter*innen angehen zu können, fordern wir alle Feministinnen auf, ihre Ressourcen auf die Inklusion von Sexarbeiter*innen und auf die Verstärkung ihrer Stimmen in der Bewegung zu konzentrieren und gleichzeitig aufzuhören, rechtliche Rahmenbedingungen zu unterstützen, die sich als schädlich für die Rechte von Sexarbeiter*innen erwiesen haben.
Wir fordern eine feministische Bewegung, die Geschlechterungerechtigkeit in patriarchalischen, kapitalistischen, und rassistischen, weiß dominierten Gesellschaften identifiziert, und die außerdem Trans-Personen und Sexarbeiter*innen einschließt. Unsere Strafjustizsysteme sind repressiv und gewalttätig, und deshalb sehen wir verstärkte Polizeikontrollierung, Verfolgung und Inhaftierung nicht als die einzige Lösung gegen Gewalt an Frauen, Trans-Menschen und die Ungleichheit der Geschlechter. Wir glauben an ein gemeinschaftliches Einschreiten und an eine auf Dauer angelegte Organisation und Mobilisierung gegen Gewalt an Frauen und Trans-Personen in ihrer ganzen Komplexität, einschließlich wirtschaftlicher Benachteiligung und fehlendem Schutz durch soziale Netze und Dienste.
1. Wir erkennen Sexarbeiter*innen als Expert*innen ihres eigenen Lebens und ihrer Bedürfnisse an. Der Feminismus muss, wie er es immer in der Vergangenheit getan hat, die Handlungsfähigkeit und Selbstbestimmung von Frauen über ihre Arbeit und ihre Körper unterstützen. Sexarbeiter*innen sollten dabei keine Ausnahme sein.
2. Wir respektieren die Entscheidung von Sexarbeiter*innen, in der Sexarbeit zu tätig zu sein. Als Feminist*innen lehnen wir sexistische und frauenfeindliche Formulierungen ab, nach denen Sexarbeiter*innen “ihre Körper verkaufen” oder “sich verkaufen”. Die Andeutung, dass Sex Selbstaufgabe oder den Verlust von sich selbst oder eines Teiles von sich selbst bedeutet, ist zutiefst unfeministisch. Der Wert von Frauen wird durch Sex nicht reduziert. Wir lehnen außerdem jede Bewertung ab, die darin besteht, dass Sexarbeiter*innen zur “Objektifizierung von Frauen, Sex oder Intimität” beitragen. Wir werden nicht den Sexarbeiter*innen für einen Schaden an Frauen die Schuld geben, sondern dem Patriarchat und anderen unterdrückenden Strukturen.
3. Wir unterstützen die Berechtigung von Sexarbeiter*innen, Ihre Zustimmung (consent) zu sexuellen Handlungen geben zu können. Die Behauptung, dass consent im Rahmen von Sexarbeit grundsätzlich unmöglich sei, nimmt Sexarbeiter*innen die Möglichkeit, die eigenen Grenzen zu benennen, sowie die Befähigung, gegen Gewalt die Stimme zu erheben. Die Verbreitung der Idee, dass die Kund*innen die Körper von Sexarbeitenden „kauften“ – und somit Sexarbeitenden antun könnten, was immer sie wollen – hat gefährliche und reale Folgen für das Leben von Sexarbeiter*innen. Außerdem kann die generelle Gleichsetzung von Sexarbeit mit Gewalt zu einem harten Durchgreifen der Ordnungsmacht und Polizei gegen Sexarbeit im Namen des Kampfes gegen Gewalt führen – obwohl die Bekämpfung der Sexarbeit den Schutz von Sexarbeiter*innen vor Gewalt tatsächlich verringert.
4. Wir plädieren für Maßnahmen, die den Opfern von Menschenhandel echte Hilfe und Unterstützung bieten und gleichzeitig den Schutz ihrer Menschen- und Arbeitsrechte in vollem Umfang respektieren. Dementsprechend prangern wir die Vermischung und Gleichsetzung von Migration, Sexarbeit und Menschenhandel in der Politik an. Als Folge dieser Vermischung werden vor allem migrantische Sexarbeiter*innen zum Opfer von polizeilicher Verfolgung, von Razzien, Inhaftierung und Abschiebung. Sie werden so in den Untergrund gedrängt, wo sie in ihrer Arbeit anfälliger für Gewalt und Ausbeutung sind.
5. Wir kämpfen für die Beseitigung aller Formen von Gewalt gegen Sexarbeiter*innen. Sexarbeit ist selbst keine Form von sexueller Gewalt, aber Sexarbeiter*innen sind aufgrund von Kriminalisierung und Mehrfachdiskriminierungen wie Sexismus, Hurenhass, Homo- und Transphobie, Rassismus und Klassismus besonders anfällig für sexualisierte und häusliche Gewalt. Unterdrückung und Kriminalisierung machen Sexarbeiter*innen anfällig für Übergriffe durch Einzelpersonen, Sozialarbeiter*innen, die Polizei, Einwanderungsbehörden und die Justiz. Die Betrachtung von Sexarbeit als von Natur aus gewaltvoll führt zusammen mit der Verneinung der Zustimmungsfähigkeit von Sexarbeiter*innen dazu, dass Gewalt gegen sie als normal angesehen wird.
6. Wir arbeiten jeden Tag an der Abschaffung von Misogynie in allen Bereichen des Lebens. Frauenfeindlichkeit ist aber nicht die Ursache von Sexarbeit, sie sondern entsteht in Reaktion auf Handlungen und Entscheidungen von Frauen, ganz gleich ob es um das Tragen von Make-Up, die Entscheidung zu einer Abtreibung oder um Sexarbeit geht. Wir benennen frauenfeindliche Gefühle und Handlungen als das Problem und lehnen gleichzeitig Aufrufe ab, Verhaltensweisen zu ändern oder zu beseitigen, die diese Misogynie angeblich „provozieren“. Sexarbeit abschaffen zu wollen, weil sie angeblich Frauenfeindlichkeit provoziert, bedeutet letztlich, dass man mit jenen einer Meinung ist, die behaupten, dass bestimmte Handlungen von Frauen – wie der Verkauf sexueller Dienstleistungen – grundsätzlich auch Frauenfeindlichkeit verdienen.
7. Wir respektieren die Rechte von Migrant*innen. Migrant*innen sind mit einem begrenzten Zugang zu Arbeit und oft mit schwierigem oder gar keinem Zugang zu Sozialleistungen konfrontiert. Einige unter ihnen verkaufen sexuelle Dienstleistungen aufgrund stark eingeschränkter Optionen, ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Die Kriminalisierung von Kund*innen und andere Formen der Kriminalisierung von Sexarbeit setzen Sexarbeiter*innen der ständigen Bedrohung durch Polizeigewalt, Verhaftung und Abschiebung aus und verweigern ihnen das Anrecht, sich gerichtlich zu wehren oder Schadenersatz zu erstreiten. Die Kriminalisierung der Kund*innen nimmt ihnen das Einkommen aus der Sexarbeit, ohne ihnen gleichzeitig Alternativen für ihr Überleben zu bieten.
8. Wir unterstützen LGBT-Rechte. Die Zurückweisung von LGBT-Menschen durch ihre Familien und vorhandene Hindernisse beim Zugang zu Bildung und Beschäftigung in cissexististischen und heteronormativen sozialen Strukturen führen dazu, dass Sexarbeit für LGBT-Menschen oftmals eine von wenigen Möglichkeiten für Einkommen und Arbeit darstellt, vor allem für Transfrauen. Gesetze gegen Sexarbeit bringen LGB und Trans-Menschen keinen Nutzen, da sie die komplexen Aspekte ihrer sozialen Ausgrenzung ignorieren. Hiervon sind Transfrauen besonders betroffen, da Gesetze zur Kriminalisierung von Sexarbeit allzu oft auch dazu genutzt werden, um dieser Gruppe von Personen nachzustellen und sie zu verfolgen, mitunter sogar ganz unabhängig davon, ob die betroffene Person überhaupt ein*e Sexarbeiter*in ist.
9. Wir fordern die vollständige Entkriminalisierung von Sexarbeit. Es gibt deutliche Belege dafür, dass das schwedische Modell und alle anderen Formen der Kriminalisierung von Sexarbeit Sexarbeiter*innen schaden. Das schwedische Modell drängt sie in die Armut, schwächt ihre Verhandlungsposition mit Kund*innen, bestraft sie, wenn sie zur eigenen Sicherheit zusammen arbeiten, vertreibt sie aus ihren Wohnungen und führt zu ihrer Abschiebung. Indem sie ihnen eine Organisation als Arbeiter*innen ermöglicht, reduziert eine Entkriminalisierung die Verletzlichkeit von Sexarbeiter*innen für ausbeuterische Arbeitspraktiken und Gewalt.
10. Wir sprechen uns gegen die zunehmende Prekarisierung von Frauen im Arbeitsleben aus. Frauen auf der ganzen Welt, einschließlich Sexarbeiter*innen, gehen Beschäftigungen nach, die schlechter bezahlt und unsicherer sind. Sie arbeiten unter ausbeuterischen Bedingungen – von kriminalisierter Arbeit, Saison- oder Aushilfsarbeit zu Heim- und Zeitarbeit, zur Beschäftigung als Subunternehmer, Freiberufler*innen oder (Schein-)Selbständige. Sexarbeit im Besonderen weist Ähnlichkeiten mit den Pflege- und Betreuungsberufen auf, da sie hauptsächlich von Frauen ausgeführt wird, besonders oft von Frauen mit migrantischem Hintergrund oder Frauen of Colour. Für Arbeiter*innen in Pflegeberufen gilt genau wie für Sexarbeiter*innen, dass sie oftmals nicht dieselben Schutzrechte genießen wie Arbeiter*innen in Berufen, die eher männlich besetzt sind. Der Einsatz für die Rechte von Sexarbeiter*innen muss daher ihre Arbeitsrechte betonen und muss prekäre Arbeitsbedingungen und Ausbeutung in der Sexindustrie genauso ansprechen, wie er die rechtlichen Rahmenbedingungen fordern muss, um Sexarbeiteri*nnen dieselben Rechte wie anderen Arbeiter*innen zu verschaffen.
11. Wir fordern die Einbeziehung von Sexarbeiterinnen in die feministische Bewegung. Ihre Einbeziehung bringt unschätzbare Einsichten, Energie, Vielfalt und Erfahrung bei der Mobilisierung in unsere Bewegung und zwingt uns außerdem, uns mit unseren Vorurteilen über Geschlecht, Klasse und „Rasse“ auseinander zu setzen. Sexarbeiter*innen gehörten zu den ersten Feminist*innen der Welt und unsere Gemeinschaft ist ohne sie unvollständig und geschwächt.
http://feministsforsexworkers.com/femin ... -manifest/
Unterzeichnung des Manifests erwünscht (obiger Verlinkung folgen)
Ich stelle das Dokument in diesen Zusammenhang. Es hätte aber auch in manche anderen Threads gepasst. Z.B.:
- Prostitution: Jenseits des Bevormundungsfeminismus, http://www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?t=12451
- Prostitutionsgegner und deren Philosophie zur Prostitution, http://www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?t=12636
- Ist Prostitution ein Menschenrecht?, http://www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?t=13090
Text
Als Unterzeichner*innen dieses Manifests bekunden wir unsere Unterstützung für die Selbstbestimmungsrechte von Sexarbeiter*innen und die Anerkennung von Sexarbeit als Arbeit. Weil Frauenrechte, reproduktive Rechte und die Gleichstellung der Geschlechter in ganz Europa und Zentralasien bedroht sind, erklären wir unsere Solidarität mit Sexarbeiter*innen, die mit unzähligen Formen von Gewalt konfrontiert sind: von der strukturellen und institutionellen bis zur körperlichen und zwischenmenschlichen Gewalt. Um die systematische Unterdrückung von Sexarbeiter*innen angehen zu können, fordern wir alle Feministinnen auf, ihre Ressourcen auf die Inklusion von Sexarbeiter*innen und auf die Verstärkung ihrer Stimmen in der Bewegung zu konzentrieren und gleichzeitig aufzuhören, rechtliche Rahmenbedingungen zu unterstützen, die sich als schädlich für die Rechte von Sexarbeiter*innen erwiesen haben.
Wir fordern eine feministische Bewegung, die Geschlechterungerechtigkeit in patriarchalischen, kapitalistischen, und rassistischen, weiß dominierten Gesellschaften identifiziert, und die außerdem Trans-Personen und Sexarbeiter*innen einschließt. Unsere Strafjustizsysteme sind repressiv und gewalttätig, und deshalb sehen wir verstärkte Polizeikontrollierung, Verfolgung und Inhaftierung nicht als die einzige Lösung gegen Gewalt an Frauen, Trans-Menschen und die Ungleichheit der Geschlechter. Wir glauben an ein gemeinschaftliches Einschreiten und an eine auf Dauer angelegte Organisation und Mobilisierung gegen Gewalt an Frauen und Trans-Personen in ihrer ganzen Komplexität, einschließlich wirtschaftlicher Benachteiligung und fehlendem Schutz durch soziale Netze und Dienste.
1. Wir erkennen Sexarbeiter*innen als Expert*innen ihres eigenen Lebens und ihrer Bedürfnisse an. Der Feminismus muss, wie er es immer in der Vergangenheit getan hat, die Handlungsfähigkeit und Selbstbestimmung von Frauen über ihre Arbeit und ihre Körper unterstützen. Sexarbeiter*innen sollten dabei keine Ausnahme sein.
2. Wir respektieren die Entscheidung von Sexarbeiter*innen, in der Sexarbeit zu tätig zu sein. Als Feminist*innen lehnen wir sexistische und frauenfeindliche Formulierungen ab, nach denen Sexarbeiter*innen “ihre Körper verkaufen” oder “sich verkaufen”. Die Andeutung, dass Sex Selbstaufgabe oder den Verlust von sich selbst oder eines Teiles von sich selbst bedeutet, ist zutiefst unfeministisch. Der Wert von Frauen wird durch Sex nicht reduziert. Wir lehnen außerdem jede Bewertung ab, die darin besteht, dass Sexarbeiter*innen zur “Objektifizierung von Frauen, Sex oder Intimität” beitragen. Wir werden nicht den Sexarbeiter*innen für einen Schaden an Frauen die Schuld geben, sondern dem Patriarchat und anderen unterdrückenden Strukturen.
3. Wir unterstützen die Berechtigung von Sexarbeiter*innen, Ihre Zustimmung (consent) zu sexuellen Handlungen geben zu können. Die Behauptung, dass consent im Rahmen von Sexarbeit grundsätzlich unmöglich sei, nimmt Sexarbeiter*innen die Möglichkeit, die eigenen Grenzen zu benennen, sowie die Befähigung, gegen Gewalt die Stimme zu erheben. Die Verbreitung der Idee, dass die Kund*innen die Körper von Sexarbeitenden „kauften“ – und somit Sexarbeitenden antun könnten, was immer sie wollen – hat gefährliche und reale Folgen für das Leben von Sexarbeiter*innen. Außerdem kann die generelle Gleichsetzung von Sexarbeit mit Gewalt zu einem harten Durchgreifen der Ordnungsmacht und Polizei gegen Sexarbeit im Namen des Kampfes gegen Gewalt führen – obwohl die Bekämpfung der Sexarbeit den Schutz von Sexarbeiter*innen vor Gewalt tatsächlich verringert.
4. Wir plädieren für Maßnahmen, die den Opfern von Menschenhandel echte Hilfe und Unterstützung bieten und gleichzeitig den Schutz ihrer Menschen- und Arbeitsrechte in vollem Umfang respektieren. Dementsprechend prangern wir die Vermischung und Gleichsetzung von Migration, Sexarbeit und Menschenhandel in der Politik an. Als Folge dieser Vermischung werden vor allem migrantische Sexarbeiter*innen zum Opfer von polizeilicher Verfolgung, von Razzien, Inhaftierung und Abschiebung. Sie werden so in den Untergrund gedrängt, wo sie in ihrer Arbeit anfälliger für Gewalt und Ausbeutung sind.
5. Wir kämpfen für die Beseitigung aller Formen von Gewalt gegen Sexarbeiter*innen. Sexarbeit ist selbst keine Form von sexueller Gewalt, aber Sexarbeiter*innen sind aufgrund von Kriminalisierung und Mehrfachdiskriminierungen wie Sexismus, Hurenhass, Homo- und Transphobie, Rassismus und Klassismus besonders anfällig für sexualisierte und häusliche Gewalt. Unterdrückung und Kriminalisierung machen Sexarbeiter*innen anfällig für Übergriffe durch Einzelpersonen, Sozialarbeiter*innen, die Polizei, Einwanderungsbehörden und die Justiz. Die Betrachtung von Sexarbeit als von Natur aus gewaltvoll führt zusammen mit der Verneinung der Zustimmungsfähigkeit von Sexarbeiter*innen dazu, dass Gewalt gegen sie als normal angesehen wird.
6. Wir arbeiten jeden Tag an der Abschaffung von Misogynie in allen Bereichen des Lebens. Frauenfeindlichkeit ist aber nicht die Ursache von Sexarbeit, sie sondern entsteht in Reaktion auf Handlungen und Entscheidungen von Frauen, ganz gleich ob es um das Tragen von Make-Up, die Entscheidung zu einer Abtreibung oder um Sexarbeit geht. Wir benennen frauenfeindliche Gefühle und Handlungen als das Problem und lehnen gleichzeitig Aufrufe ab, Verhaltensweisen zu ändern oder zu beseitigen, die diese Misogynie angeblich „provozieren“. Sexarbeit abschaffen zu wollen, weil sie angeblich Frauenfeindlichkeit provoziert, bedeutet letztlich, dass man mit jenen einer Meinung ist, die behaupten, dass bestimmte Handlungen von Frauen – wie der Verkauf sexueller Dienstleistungen – grundsätzlich auch Frauenfeindlichkeit verdienen.
7. Wir respektieren die Rechte von Migrant*innen. Migrant*innen sind mit einem begrenzten Zugang zu Arbeit und oft mit schwierigem oder gar keinem Zugang zu Sozialleistungen konfrontiert. Einige unter ihnen verkaufen sexuelle Dienstleistungen aufgrund stark eingeschränkter Optionen, ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Die Kriminalisierung von Kund*innen und andere Formen der Kriminalisierung von Sexarbeit setzen Sexarbeiter*innen der ständigen Bedrohung durch Polizeigewalt, Verhaftung und Abschiebung aus und verweigern ihnen das Anrecht, sich gerichtlich zu wehren oder Schadenersatz zu erstreiten. Die Kriminalisierung der Kund*innen nimmt ihnen das Einkommen aus der Sexarbeit, ohne ihnen gleichzeitig Alternativen für ihr Überleben zu bieten.
8. Wir unterstützen LGBT-Rechte. Die Zurückweisung von LGBT-Menschen durch ihre Familien und vorhandene Hindernisse beim Zugang zu Bildung und Beschäftigung in cissexististischen und heteronormativen sozialen Strukturen führen dazu, dass Sexarbeit für LGBT-Menschen oftmals eine von wenigen Möglichkeiten für Einkommen und Arbeit darstellt, vor allem für Transfrauen. Gesetze gegen Sexarbeit bringen LGB und Trans-Menschen keinen Nutzen, da sie die komplexen Aspekte ihrer sozialen Ausgrenzung ignorieren. Hiervon sind Transfrauen besonders betroffen, da Gesetze zur Kriminalisierung von Sexarbeit allzu oft auch dazu genutzt werden, um dieser Gruppe von Personen nachzustellen und sie zu verfolgen, mitunter sogar ganz unabhängig davon, ob die betroffene Person überhaupt ein*e Sexarbeiter*in ist.
9. Wir fordern die vollständige Entkriminalisierung von Sexarbeit. Es gibt deutliche Belege dafür, dass das schwedische Modell und alle anderen Formen der Kriminalisierung von Sexarbeit Sexarbeiter*innen schaden. Das schwedische Modell drängt sie in die Armut, schwächt ihre Verhandlungsposition mit Kund*innen, bestraft sie, wenn sie zur eigenen Sicherheit zusammen arbeiten, vertreibt sie aus ihren Wohnungen und führt zu ihrer Abschiebung. Indem sie ihnen eine Organisation als Arbeiter*innen ermöglicht, reduziert eine Entkriminalisierung die Verletzlichkeit von Sexarbeiter*innen für ausbeuterische Arbeitspraktiken und Gewalt.
10. Wir sprechen uns gegen die zunehmende Prekarisierung von Frauen im Arbeitsleben aus. Frauen auf der ganzen Welt, einschließlich Sexarbeiter*innen, gehen Beschäftigungen nach, die schlechter bezahlt und unsicherer sind. Sie arbeiten unter ausbeuterischen Bedingungen – von kriminalisierter Arbeit, Saison- oder Aushilfsarbeit zu Heim- und Zeitarbeit, zur Beschäftigung als Subunternehmer, Freiberufler*innen oder (Schein-)Selbständige. Sexarbeit im Besonderen weist Ähnlichkeiten mit den Pflege- und Betreuungsberufen auf, da sie hauptsächlich von Frauen ausgeführt wird, besonders oft von Frauen mit migrantischem Hintergrund oder Frauen of Colour. Für Arbeiter*innen in Pflegeberufen gilt genau wie für Sexarbeiter*innen, dass sie oftmals nicht dieselben Schutzrechte genießen wie Arbeiter*innen in Berufen, die eher männlich besetzt sind. Der Einsatz für die Rechte von Sexarbeiter*innen muss daher ihre Arbeitsrechte betonen und muss prekäre Arbeitsbedingungen und Ausbeutung in der Sexindustrie genauso ansprechen, wie er die rechtlichen Rahmenbedingungen fordern muss, um Sexarbeiteri*nnen dieselben Rechte wie anderen Arbeiter*innen zu verschaffen.
11. Wir fordern die Einbeziehung von Sexarbeiterinnen in die feministische Bewegung. Ihre Einbeziehung bringt unschätzbare Einsichten, Energie, Vielfalt und Erfahrung bei der Mobilisierung in unsere Bewegung und zwingt uns außerdem, uns mit unseren Vorurteilen über Geschlecht, Klasse und „Rasse“ auseinander zu setzen. Sexarbeiter*innen gehörten zu den ersten Feminist*innen der Welt und unsere Gemeinschaft ist ohne sie unvollständig und geschwächt.