Best Practice - Strategien Pro SW

Beiträge betreffend SW im Hinblick auf Gesellschaft bzw. politische Reaktionen
Klaus Fricke
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Best Practice - Strategien Pro SW

Beitrag von Klaus Fricke »

Da ich kein entsprechendes Thema finde, in dem Vorschläge zu Strategien ProSW gesammelt
und Best Practice Modelle vorgestellt werden, mache ich diesen Threat auf.
Veranlasst wurde ich dazu hier:

http://www.sexworker.at/phpBB2/viewtopi ... 246#144246

siehe auch
http://www.sexworker.at/phpBB2/viewtopi ... 237#144237
http://www.sexworker.at/phpBB2/viewtopi ... 693#143693

Grenzzersetzung - Best Practice - Streetwork, vom Kopf auf die Füße gestellt

Die Grenzen des Feldes der erotischen und sexuellen Dienstleistungen, das zeigt obiger Bericht insbesondere durch seinen Abdruck in der EMMA, sowie die Flut von Berichten ähnlichen Inhaltes, die in den Länder- und Lokalnachrichten hier auf sw.at zu finden sind, werden durch die Institutionen bzw gesellschaftlichen Subsysteme Polizei, Gesundheitsbehörden und Beratung markiert. Die Bewertungen, die damit einhergehen, sind: kriminell, krank/gesundheitsgefährdent, defizitär/unfähig/unmündig. Bis auf sehr wenige Ausnahmen werden in der medialen Berichterstattung und der öffentlichen Debatte diese Bewertungsmuster und Grenzsetzungen wiederholt, mit denen das Feld der SW exkludiert, zumindest jedoch contained wird.

Dieses Containment findet sich auch räumlich und rechtlich (Baunutzungsordnung) und es findet sich sozial, im SW Alltag in der zumeist gelebten Doppelexistenz der SW wieder, die, sofern täglich zwischen Arbeitsort und Wohnort wechselnd, zwei verinnerlichte, alltägliche, normierende Grenzkontrollen mit Identitätswechsel durchlaufen. Solange die Doppelexistenz notwendiges Ergebnis tradierter Stigmatisierung für SW ist, sind ihre täglichen Grenzübertritte und Identitätswechsel selbstproduzierter Teil des sozialen Containment, sozialer Exklusion (siehe: http://de.wikipedia.org/wiki/Containment-Politik) von SW.

So verstanden sind SW-Aktive an jedem Tag ihres Tuns Migrierende zwischen der Welt des Soliden und einem stadt-/ wohnungsräumlich fassbaren Ausgrenzungsort des gefährlichen, vielleicht vergleichbar den Verbannungsorten der Aussätzigen. Auch deswegen funktioniert das Thema Migration, das gefährliche Fremde, so gut im Kontext von SW-Ablehnung. Es ergeben sich habituell gesicherte Zuständigkeit der Gesundheitsbehörden und die habituelle Selbstverständlichkeit des caritativen/diakonischen Zugriffes. Das intuitive Misstrauen von SW gegen diese mit Streetwork und Akzeptanz gewappneten sozialen Subsysteme ist emotional intelligent richtiges Wissen. Jeder Besuch Streetworkender dieser Subsysteme erneuert Containment/Exklusion.

Die Streetworkenden sind trotzdem willkommen, wenn Sie sich dieser Erneuerung von Grenzmarkierung durch ProSW-Statements und -Aktion wiedersetzen. Z.B. Sie fordern von Nachbarschaft/Politik/Presse nachzufragen, ob sie willkommen sind zum Kaffeetrinken in Bordell, Club, Studio, Wohnung, Wohnwagen oder auf der Straße. Sie machen aufsuchende Arbeit in der Nachbarschaft, bei Politik und bei Medienschaffenden. Dadurch würde die virtuell/habituelle Grenze tätig, emotional und kognitiv zersetzt, wie dies die Erfahrungen der SW-abstinenten Mitglieder des Runden Tisches Prost NRW zeigen:


„Der Runde Tisch Prostitution Nordrhein-Westfalen hat sich als gelungener partizipativer Prozess erwiesen, der auf dem schwierigen Themenfeld der Prostitution auf innovative Weise eine einzigartige Wissensbasis geschaffen hat. ... Nicht wenige Mitglieder des Runden Tisches haben zurück gespiegelt, dass sie die Teilnahme an diesem Prozess als ungewöhnlich bereichernd erlebt haben. ... Bewusste oder auch unbewusste innere Bilder gerieten ins Wanken, manche Sitzungen wurden durchaus als emotional sehr bewegend erlebt. Insofern ist es dem Runden Tisch Prostitution gelungen, nicht nur zu einer fachlichen Kompetenzerweiterung beizutragen; er hat auch Veränderungen von ethischen Positionen bewirkt.“
( http://www.mgepa.nrw.de/mediapool/pdf/e ... ericht.pdf ).

Razzien, wie die, auf die oben Bezug genommen wird, sind Grenzsetzungsinszenierungen, die Teil der notwendigen Reinszenierung zur Festschreibung etablierter Kriminalitätserzählung über die SW sind. Es handelt sich, bourdieusche Kategorien nutzend, um habituelle Mechanismen der Komplexitätsreduzierung zwecks Handlungsorientierung, die selbstreferentiell und unbewusst sind, um im Sinne der luhmanschen Systemtheorie autopoietische Prozesse (siehe: http://de.wikipedia.org/wiki/Autopoiesis ).

"Der Habitus als „System verinnerlichter Muster“ erzeugt eine Auswahl von kulturtypischen und klassenspezifischen Gedanken, Wahrnehmungen und Handlungen, die den Individuen als ihre eigenen erscheinen, die sie jedoch mit den anderen Mitgliedern ihrer jeweiligen Klasse teilen. Die Theorie Erich Fromms zum Sozialcharakter ist ein Beispiel für einen dem Habitus-Konzept in der Erkenntnisleistung vergleichbaren Ansatz. Auch der „Sozialcharakter“ dient als Vermittlungsglied zwischen der individuellen psychischen Struktur und den sozioökonomischen Verhältnissen, erfüllt die Funktion der Herrschaftssicherung unterhalb des Bewusstseins der Menschen, die scheinbar freiwillig das tun, was sie aus funktionalen Gründen tun sollen.
„Habitus“ umfasst für Bourdieu zunächst die objektive Kategorisierung von Angehörigen bestimmter sozialer Klassen innerhalb der gesellschaftlichen Strukturen und darüber hinaus ein auf das Subjekt bezogenes Konzept der Verinnerlichung kollektiver Dispositionen. Der Habitus ist ein Erzeugungsprinzip von Praxisformen und Verhaltensstrategien eines sozialen Akteurs. In Bezug auf eine der drei zentralen Strukturkategorien der Gesellschaft, auf die soziale Klasse, wird die Ausprägung des Habitus unter anderem von der Teilhabe an den gesellschaftlichen Gütern abhängig. Dabei spielen das ökonomische, kulturelle, soziale und symbolische Kapital eine entscheidende Rolle.
Um die Funktionsweise des Habitus klarzustellen, muss man erstens verstehen, was Bourdieu unter der „generativen Grammatik“ versteht und zweitens muss man den Habitus im sozialen Kontext, vor allem in Bezug auf die drei zentralen Kategorien der Gesellschaft – soziale Klasse, Geschlecht und soziales Feld betrachten." ( http://de.wikipedia.org/wiki/Habitus_%28Soziologie%29 ).

Siehe auch ausführlich bezogen auf SW-Gäste: U. Gerheim, Die Produktion des Freiers.

Gerade vor dem Hintergrund dieser Analyse wäre das obige Modell der auf die Füße der "Öffentlichkeit" gestellten aufsuchenden Arbeit von Streetworkenden aus sozialer Beratung und von Gesundheitsbehörden Best Practice im Sinne von SW. Ob es bündnisfähig wäre, also die Streetworkenden es zumindest modellhaft praktizieren würden, wäre zu probieren.

Grüße
Klaus
Zuletzt geändert von Klaus Fricke am 20.12.2014, 19:09, insgesamt 1-mal geändert.

Klaus Fricke
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RE: Best Practice - Strategien Pro SW

Beitrag von Klaus Fricke »

Eine andere Erzählung

Die öffentliche Diskussion um erotische und sexuelle Dienstleistungen wird von Erzählungen bestimmt, die auf Abscheu, Ächtung und Abwertung zielen. Dagegen, insbesondere gegen gesetzliche Massnahmen, die auf Abscheu, Ächtung und Abwertung zielen, die diese festschreiben und als billig und gerecht legitimieren, wird von uns ExpertInnen argumentativ, diskursiv und wissensbasiert reagiert.

Sex, so sollte nicht verkann werden, ist, so körperlich es zugehen mag, ein emotionales Geschehen. Der Abscheudiskurs, den die AntiSexFront führt, basiert auf Emotion. Aktiviert wird Scham, die die Produktion von Beschämung gefühlsbasiert nicht nur rechtfertigt, sondern als Notwehrhandlung des in seiner sittlichen Identität sich bedroht fühlenden Individuums auslöst.

Da hilft ein wissensbasierter Sachdiskurs wenig, sondern eine andere, schamreduzierende Erzählung. z.B.:


Sexarbeit ist

gelebtes Europa

Empathie

Kooperation

ein besseres Leben

Emanzipation

Gleichberechtigung

Frauenpower

Pluralität

eine Chance

individuell

flexibel

Selbstständigkeit

unternehmerisch

niederschwellig

Toleranz

Freiheit

Horizonterweiterung

ein Geschenk

Freude

Aufbruch

Wertschätzung

befreiend

Kultivierung des Begehrens

menschenwürdig

liebenswert

ein Erlebnis

neue Kraft

Sanftmut

Grenzerfahrung

menschlich

unersetzlich

unverzichtbar

in der Nachbarschaft

Kaffeeklatsch

Erfahrungsaustausch

Ermutigung des eigenen Begehrens


....

(bitte fortsetzen)
Zuletzt geändert von Klaus Fricke am 13.12.2014, 16:58, insgesamt 1-mal geändert.

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RE: Best Practice - Strategien Pro SW

Beitrag von Klaus Fricke »

Abscheu wird zur Zwangslage der Bedrohung -
Eine andere Erzählung ist erforderlich

Kommentar zu Sonja Dolinsek, Populistische Doku: “Verkauft, verschleppt, missbraucht – Vom
Kampf gegen den Menschenhandel” auf http://menschenhandelheute.net/2014/09/ ... mment-3074, vom 22.09.14

Wegen der leichteren Handhabbarkeit als Anlage zum Download
Dateianhänge
2014-09-22, Abscheu wird zur Zwangslg. der Bedrhg..pdf
(113.43 KiB) 267-mal heruntergeladen

Klaus Fricke
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RE: Best Practice - Strategien Pro SW

Beitrag von Klaus Fricke »



Das Portal kaufmich bittet in seinem Magazin am 15.12.2014 diese Frage zu beantworten:

SEXARBEIT IST FÜR MICH…

32 Kommentare (wohl durchaus eine Top Quote) kamen als Antwort zusammen, nachdem von uns der Text aus dem Beitrag 2 dieses Threads (vom 13.12.2014) als erster Kommentar Antwort auf die kaufmich Frage gab. Hier die Übersicht:


Sexarbeit ist für mich… ein verrücktes Metier voller (finanzieller ) Verlockungen einerseits, eine Hölle des Stalkings, der Abhängigkeit und Gewalt andererseits.


SELBSTVERWIRKLICHUNG


Sex ist keine Arbeit….Sex ist ein Vergnügen.
Wer Sex als Arbeit sieht, der hat den “Job” hier verfehlt.
Für mich die schönste Sache der Welt und gebe es gerne weiter.
SEXARBEIT IST FÜR MICH……Hingabe, Gefühl, Lust, Leidenschaft……DICH, zu spüren.


Sexarbeit ist für mich…
…eine große Herausforderung mit den bekannten Gesetzen und Vorgaben umzugehen.
…Wenn man Freiwillig und Selbstbestimmt arbeitet eine schöne Tätigkeit, die bestimmte Freiheiten gewährt und auch sehr großen Spaß macht.
…in einigen Fällen nur eine ausbeuterisches System, dass gerade ums Überleben kämpft und keine Gnade mehr kennt.


Sexarbeit ist für mich- definitiv kein Job wie jeder andere, dazu ist er viel zu intensiv und berührt nicht nur die Körper.

Sexarbeit ist für mich …Befriedigung

Friedensarbeit ;-)

Das älteste Gewerbe der Welt mit allen menschlichen Fehlern und Aspekten gespickt.

Sexarbeit ist für mich spass und ein guter Nebenverdienst.

Sexarbeit ist für mich Berufung.

Sexarbeit ist für mich die schönste “Nebensache” der Welt. Sich vollkommen sexuell ausleben mit dem anderen und Zufriedenheit und glückliche Männer “zurückzulassen”. Zu wissen und zu spüren, dass das Treffen etwas ganz besonderes war, ein Moment, der so nie wieder kommt und einzigartig bleiben wird.

Sexarbeit ist für mich … harte Arbeit.

SEXARBEIT IST FÜR MICH…Absolutyfuckinggeil.

Sexarbeit ist für Mich….auf die bedürfnisse einer Frau einzugehen !

Sexarbeit ist für mich eine wunderbare und lustvolle absolut Möglichkeit, meine Neugier auf Menschen und ihre intimsten Bedürfnisse diskret und empathisch zu stillen.

Sexarbeit ist für mich keine Arbeit sonder eine Sache wo man einiges erleben kann.Muss sagen hier bei KM erlebte und erfuhr was Orgasmus ist ))

Sexarbeit ist für mich …neue Leute kennen lernen…..

… Berufung

…ist für mich begrenzung des chaos zwischen den welten von männern und frauen

Sexarbeit-. Sex ist für mich keine Arbeit. Es bereitet mir immer sehr viel Spass mich für mein Date herzurichten und ich geniesse jedesmal die Zeit, die ich mit meinem Kunden verbringe. Ganz abgestimmt auf die Person die es grad ist.
Das aber bin ich, die nur selten datet.
Andere, die es sehr viel öfters machen, mögen das vielleicht anders sehen. Wir sind doch alle unterschiedlich und auch unsere persönlichen Lagen stimmen nicht überein.

Sexarbeit ist wohl eine der schwierigsten Arbeiten die geleistet werden. Die Person, ob weiblich oder männlich, muß sich in vielen Sparten doch schon gut auskennen und manchmal auch den Phychologen ersetzen.
Jeder Kunde ist anderes und hat andere Bedürfnisse. Das alles gut unter einen Hut zu bekommen ist oft nicht einfach.


Sexarbeit ist für mich… eine Möglichkeit, auch für Menschen mit körperlicher und seelischer Einschränkung das zu erleben, was körperliche Nähe und Geborgenheit ausmacht.

Das Wort Sexarbeit beschreibt die Tätigkeit einer Sexdienstleisterin.
Es bedeutet Arbeit.


ich zolle großen Respekt allen Beteiligten aus dieser Branche.

SEXARBEIT IST FÜR MICH… Gesellschaftsfähig

Sexarbeit ist für mich… Jeden Tag auf’s neue spannend, aber auch manchmal eine herausforderung…

Sexarbeit?
Für mich ist es keine Arbeit,sondern Leidenschaft,Erotik und Hingabe.
Es ist abtauchen in eine andere Welt,die geniesse ich und vergesse dabei den täglichen Stress.


Vielschichtig

Alltagsstressausgleich ,unbedingt erhaltenswert!! Lustdieb62

Sexarbeit ist für mich total normal!

Sexarbeit ist für mich die Möglichkeit wunderbare selbstbestimmte Frauen zu treffen, zu genießen und wieder zu verlassen, ohne schlechtes Gewissen oder Scham. Meine Hochachtung gilt allen Sexarbeiterinnen, die es jeden Tag schaffen sich auf fremde Männer einzustellen und Ihnen das Gefühl geben einzigartig zu sein. Ich bin in meinem Beruf bei weitem nicht so gut, wie ich es bei Sexarbeiterinnen erlebe. Trotzdem bin ich in der Gesellschaft akzeptiert und angesehen. Eine ehrenwerte Welt, oder eine verlogene Welt???

Sex ist für mich, die menschlichste und schönste Art auf einander zu zugehen!


Klaus Fricke
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RE: Best Practice - Strategien Pro SW

Beitrag von Klaus Fricke »


Klaus Fricke
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RE: Best Practice - Strategien Pro SW

Beitrag von Klaus Fricke »

Querverweis

http://www.sexworker.at/phpBB2/viewtopi ... 960#144960 -

Hinweis auf die Filme Irina Palm und Der kalte Himmel (Andere Erzählung, Sexarbeit? - Respekt!)