an denen alle nachfolgenden Inszenierungen und Dokus gemessen werden - leider.
Die Welt: Wo die Welt nur glänzt
Vor 50 Jahren erschien Truman Capotes Roman "Frühstück bei Tiffany".
Zu Besuch in Holly Golightlys New Yorker Sehnsuchtsort
Wenn Holly Golightly unter den "mean reds" zu leiden beginnt, dann steigt sie ein Taxi und fährt die Fifth Avenue hinunter zum teuersten Juweliergeschäft der Welt. Wie sollen wir nur "mean reds" übersetzen? Sicher ist eines: Es handelt sich jedenfalls nicht um den Blues. Den Blues bekommt man, wie Holly Golightly in ihrer unnachahmlichen Art erläutert, "weil man fett wird oder weil es vielleicht zu lang geregnet hat. Dann ist man halt traurig ... Aber die ,mean reds' sind grauenhaft. Du fürchtest dich und schwitzt wie sonst was und weißt nicht, wovor du dich fürchtest. Außer davor, dass irgendwas Schlimmes passiert, aber du weißt nicht, was es ist."
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Hier wird nun mit einem Schlag klar, was die beste Übersetzung für "mean reds" wäre: das urdeutsche Wort "Angst". Holly Golightly, die Heldin von Truman Capotes komischer, bestürzender, fein gearbeiteter, meisterhafter Novelle "Frühstück bei Tiffany", die vor 50 Jahren in Amerika erschien - Holly Golightly hat Angst. Bis auf den tiefsten Grund ihrer kindlichen Seele.
Gegen dieses Gefühl, auf einer leer gefegten Ebene schutzlos den Wirbelstürmen des Schicksals ausgeliefert zu sein, hilft kein Alkohol. Auch kein Aspirin. Nicht einmal Marihuana - Holly Golightly hat es ausprobiert, und es bringt sie nur zum Kichern. Aber ein Besuch bei Tiffany hilft auf der Stelle! "Es beruhigt mich sofort, die Ruhe und der stolze Anblick des Ganzen; nichts völlig Schlimmes kann dir dort zustoßen, nicht zwischen diesen freundlichen Männern in ihren eleganten Anzügen und bei dem wunderbaren Geruch nach Silber und Geldbeuteln aus Krokoleder." Wahr, alles wahr, jedes Wort.
Aber bevor wir uns von der Wahrheit all dessen überzeugen, holen wir uns einen Kaffee und einen Doughnut bei dem netten Menschen, der gleich um die Ecke seinen Stand aufgebaut hat (ein Dollar fünfzig). So können wir uns - wie Audrey Hepburn in der Verfilmung von Capotes Novelle - vor eines der Schaufenster stellen und in aller Ruhe frühstücken. Erst danach wagen wir den Schritt durch die Drehtür ins irdische Paradies: in die einzige Heimat, die es für Holly Golightly auf diesem Planeten gibt. Wenn sie einen Ort fände, der ihr "im richtigen Leben" dasselbe Gefühl verschafft wie Tiffany, so lässt sie uns wissen, dann ... ja, dann würde sie Möbel kaufen und ihrer Katze einen Namen geben. Im Moment bleibt die Katze namenlos. Und auf ihre Visitenkarten lässt sie drucken: "Holly Golightly, auf Reisen".
"Wie gehts", fragen die Männer in den eleganten Anzügen, die hinter den Vitrinen stehen, wo die kostbarsten Geschmeide der Welt ausliegen. Wie gehts: Das ist keine Frage, sondern ein Gruß. "Hallo, Fremder", soll das ungefähr heißen. "Es stört uns kein kleines bisschen, dass du in deiner billigen Regenjacke an uns vorüberschlurfst. Ein Blick auf deine verdreckten Hillybilly-Winterstiefel, die du vermutlich im Mittleren Westen erstanden hast, zeigt uns, dass du als Kunde keine Millisekunde lang infrage kommst. Macht nichts, du darfst dich hier herumtreiben wie jeder x-beliebige Krösus."
Die Ware, mit der bei Tiffany gehandelt wird, ist dermaßen teuer, dass es schon keine Preisschilder mehr gibt. An der Seite des großen Verkaufraumes liegt ein Kabäuschen für individuelle Beratungsgespräche, das gegen neugierige Augen und Ohren abgeriegelt werden kann wie ein Chambre séparée in einem viktorianischen Bordell.
Die hinreißende Szene, in der Holly Golightly und ihr mittelloser Gelegenheitsfreund, der Schriftsteller, bei Tiffany etwas suchen, was nur zehn Dollar kostet - sie findet sich nicht in Truman Capotes Novelle, nur in der Verfilmung. Zu guter Letzt lässt Holly Golightlys Freund dann einen Ring, den er in einer Cornflakespackung gefunden hat, mit ihren Initialen gravieren. Der Angestellte von Tiffany führt nicht nur ein äußerst zivilisiertes Verkaufsgespräch, er ist sogar richtig nett: "Ach ja", sagt er im Film und ist beinahe am Rand eines Grinsens, während er den billigen Ring zwischen Daumen und Zeigefinger hin- und herdreht, "das ruft Kindheitserinnerungen wach." - So freundlich, so zivilisiert geht es bei Tiffany tatsächlich zu. Irgendwann spricht einer jener hünenhaften schwarzen Männer, die hier unauffällig mit Knopf im Ohr die Drehtüren bewachen und durch die Korridore zwischen den Ausstellungstresen patrouillieren, den Fremden in seiner billigen Regenjacke an. Ob er denn etwas Bestimmtes suche. "So, so, Sie schauen also nur? Hm, hm. Dann müssen Sie unbedingt noch in den vierten Stock und sich das Porzellan und das Silbergeschirr geben. Und im zweiten sollten Sie sich einen Überblick über die Verlobungsringe verschaffen." Später wird der Hüne den Besucher fragen, ob er denn seinem Rat gefolgt und mit dem Aufzug in die oberen Stockwerke gefahren sei. "Ist das Silbergeschirr nicht erstaunlich?", fragt der Hüne von oben herab. "Einen schönen Tag wünsche ich Ihnen noch."
Inhaltsangabe
Bei Leuten, die dieses Land nicht oder nur oberflächlich kennen, gilt Amerika als prüde - deshalb sei hier in zarten Strichen angedeutet, wovon "Frühstück bei Tiffany" im Kern handelt. Holly Golightly, die so abgeklärt new-yorkerisch tut, heißt in Wahrheit Lulamae, also gut: eine Südstaatenpflanze. Sie ist ihrem Mann ausgebüxt, der vom Alter her ihr Papa sein könnte, und ernährt sich nun von Galanen, die ihr jeweils 50 Dollar zustecken, damit sie "ins Puderzimmer gehen kann". Gleichzeitig hält Holly nach einem Millionär Ausschau, der sie nach getaner Tat nicht sitzen lässt, sondern heiratet. Sprechen wir es offen aus: Holly Golightly ist eine nette kleine Nutte. Wie aber verhält es sich mit ihrem Freund, dem mittellosen Schriftsteller? In Capotes Novelle ist er irgendwann gezwungen, einen Brotberuf anzunehmen (das, was man in den USA einen "nine-to-five job" nennt). Im Film lässt er sich von einer älteren Freundin aushalten: ein Gigolo.
Halten wir fest: Einer der schönsten amerikanischen Filmklassiker zeigt, wie eine Hure und ein Gigolo zusammenfinden. In Capotes Novelle stolpert man überdies dauernd über das Verb "fuck" in all seinen grammatischen Ableitungen. Eine Fehlgeburt wird geschildert (im Film freilich ausgespart). Und es ist deutlich, dass Holly Golightly und ihr Schriftsteller nicht nur keusche Gutenachtküsse miteinander tauschen.
Holly Golightly bewohnt ein unaufgeräumtes Apartment in einem Brownstone-Haus oben in einer der Straßen, die mit "70" anfangen, östlich vom Central Park. Heute eine stinkvornehme Wohnung, niemals könnte eine Holly sich dort die Miete leisten: Sie käme aus dem "Puderzimmer" gar nicht mehr heraus (oder sie müsste für einen Besuch dort mehr berechnen als einen lumpigen Fünfziger). Ist es übrigens nicht unglaublich, dass Truman Capote als Namen für seine seltsame und wunderbare Heldin anfangs im Ernst "Connie Gustafson" in Betracht zog? Was für ein Glück, dass er sich später für eine sprechende Alternative entschied: "Holly" ist die Abkürzung für "Holiday" (Ferien), und "Golightly" ist der einzig passende Nachname für eine junge Frau, die mit leichten Füßen durchs Leben geht, tanzt, wirbelt.
Apropos "mit leichten Füßen": Truman Capote hatte für die Verfilmung seines Buches nicht die elfenhafte Audrey Hepburn ins Auge gefasst, sondern die blonde, die großbusige Marilyn Monroe. Mag man sich das vorstellen?
Wenn der Juwelierladen Tiffany in dieser Novelle für die verwirklichte Utopie, für das Himmelreich auf Erden, steht, dann repräsentiert die Public Library an der Ecke Fifth Avenue und 42. Straße die steingewordene Anti-Utopie: Hier fühlt Holly Golightly sich von den Bibliotheksangestellten mies behandelt. Schreibt man aber die richtige Nummer auf einen kleinen Zettel und nimmt man auf einer Holzbank Platz und wartet man, bis die Nummer aufgerufen wird, kann man bald seine Hände auf die Originalausgabe legen: "Breakfast at Tiffany's. A short novel and three stories by Truman Capote", veröffentlicht von Random House, New York 1958. Beim Blättern wird dem Leser allerdings schmerzhaft bewusst, dass die Hollywood-Künstler das Happy End des Films in die Geschichte hineingelogen haben. Dieses Filmende sieht so aus: Holly und ihr Gelegenheitsfreund fahren mit dem Taxi, draußen schüttet es, sie ist gerade eben gegen Kaution aus dem Gefängnis entlassen worden. Sie lässt den Taxifahrer anhalten, schubst ihre namenlose Katze aus dem Wagen und besteht darauf, dass sie jetzt mal eben nach Brasilien fliegen wird. Darauf hält ihr Schriftstellerfreund ihr einen Vortrag über Glück und Liebe und so weiter, sie lässt das Taxi wenden, springt aus dem Auto, schließt die völlig durchnässte Katze in ihre Arme, er läuft hinterher: Es regnet wie verrückt, leidenschaftlicher Filmkuss, Abblende.
Nicht so bei Truman Capote. "Aber die Katze war nicht an der Ecke, wo wir sie zurückgelassen hatten. Dort war gar niemand, auf der Straße war nichts außer einem Betrunkenen, der urinierte, und zwei schwarzen Nonnen, die eine Reihe von süß singenden Kindern hüteten. Andere Kinder kamen aus Hauseingängen, und Damen lehnten über ihre Fensterbänke, um Holly dabei zuzuschauen, wie sie die Straße rauf und runter schoss, vor und zurück lief und sang: ,Du. Katze. Wo bist du? Hier, Katze.'" Aber Holly findet sie nicht, und am Ende steigt sie ins Flugzeug und verschwindet nach Irgendwo, nach Nirgendwo. Liebesglück? Nein.
Es ist einfach, sich über den Hollywood-Filmschluss zu mokieren: Kitsch, Lüge, Konfektionsware. Alles klar, Genossen! Aber dann erinnert sich der Fremde, der in seiner billigen Regenjacke in der Public Library sitzt und Buchseiten durch seine Finger gleiten lässt, plötzlich an Tiffany. An die funkelnden Diamanten und matt glänzenden tropfenförmigen Naturperlen und das Lächeln der Verkäufer. Und plötzlich will er nur noch eines: an ein glückliches Ende für Holly Golightly glauben.
welt.de/welt_print/article1738235/Wo_die_Welt_nur_glnzt.html

Roman
http://de.wikipedia.org/wiki/Fr%C3%BChs ... ei_Tiffany
Film
http://de.wikipedia.org/wiki/Fr%C3%BChs ... %28Film%29
Geschenkartikel
www.tiffany.com
Mehr Filme:
viewtopic.php?t=737
Beispiele und Checklisten für eigene Filmprojekte:
viewtopic.php?p=31160#31160
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