Fucking Berlin

Buchtips für Sexworker oder von Sexworkern
Benutzeravatar
Tanja_Regensburg
PlatinStern
PlatinStern
Beiträge: 1401
Registriert: 22.02.2007, 20:17
Wohnort: Regensburg
Ich bin: ehemalige SexarbeiterIn

Fucking Berlin

Beitrag von Tanja_Regensburg »

Berliner Studenten-Hure schreibt
mit 25 Jahren ihre Memoiren
Sonia Rossi erzählt in „Fucking Berlin“ von Herzinfarkten im Bordell, lüsternen Familienvätern und verliebten Freiern

Birgit Bürkner

Die Berliner Studentin Sonia Rossi (25) verkaufte während ihres Studiums ihren Körper für ein luxuriöses Leben. Ihre Erlebnisse schildert sie in dem Buch „Fucking Berlin“.

Sex statt Kellnern: Sonia fand es weniger schlimm, sich zu prostituieren, als auf Restaurantbesuche mit ihrem stets abgebrannten Freund zu verzichten. „Ich habe es gehasst, ständig pleite zu sein“, sagt sie. „Ich musste als Kind nie auf etwas verzichten. Ich bin nicht daran gewöhnt, zu sparen.“

Über Webcam-Strippen und erotische Massage kam sie zum Job in dem Wohnungsbordell. Ihre Kolleginnen, erzählt sie, waren überwiegend alleinerziehende Mütter, die über den krippenkompatiblen Arbeitsplatz froh waren.

Sonia berichtet über den Familienvater, der einen Quickie für 30 Euro genoss, während seine Frau draußen einen Parkplatz suchte. Über Wolfgang, den netten Rentner aus Marzahn, dessen einziges Vergnügen darin bestand, ab und zu bei Jazz und Rotwein ein Callgirl zu befummeln. Als er einen Herzinfarkt erlitt, wacht eine ganze Kompanie besorgter Huren an seinem Krankenhaus-Bett. In ihren Memoiren sind auch der spindeldürre Bauarbeiter und der New Yorker Galerist, die sich in sie verliebten, verewigt.

Als Kind träumte Sonia davon, Schriftstellerin zu werden. Das hat sie jetzt geschafft.

„Fucking Berlin“, 265 Seiten, Ullstein-Verlag, 8,95 Euro

http://www.bz-berlin.de/BZ/berlin/2008/ ... -hure.html
Das Leben genießen, sich nicht über Kleinigkeiten ärgern und großzügig sein: dann gelingt der Tag heute, und der morgige auch. Liebe und tu, was du willst. (Aurelius Augustinus)

ehemaliger_User
verifizierte UserIn
verifizierte UserIn
Beiträge: 2968
Registriert: 27.04.2008, 15:25
Ich bin: Keine Angabe

Beitrag von ehemaliger_User »

Schade, dass in dem Artikel der BZ wieder vom "Verkaufen des Körpers" die Rede ist. Nicht mal die Verlage kapieren den Unterschied.
Auf Wunsch des Users umgenannter Account

Benutzeravatar
Marc of Frankfurt
SW Analyst
SW Analyst
Beiträge: 14095
Registriert: 01.08.2006, 14:30
Ich bin: Keine Angabe

Sprach-Anal-yse

Beitrag von Marc of Frankfurt »

Mitlerweile glaube ich nicht mehr daran, dass es ums kapieren geht.


Es hat Methode und die geht wie folgt:
Hier ist es das Ziel reißerisch zu wirken um Leser/Zeitungsverkäufe/Buchauflage zu generieren.

Sonst ist es das Ziel Sexarbeit als nicht gewünschte Verndienstquelle auszutrocknen, um die moralische Mehrheit wirtschaftlich zu stärken und um Paysexkonsum einzuschränken, damit Ehefrauen und Familienmodell gestärkt werden.





Wie funktioniert die Sprache im Detail?:

1. - Ein mal wird von verkaufen gesprochen. Ich verkaufe mein Auto, mein Buch, mein Haus... Etwas völlig normales und Verkäufe werden täglich abermillionenfach getätigt.

2. - Dann geht es um Sexarbeit. Auch völlig normal. Viele Millionen Frauen machen es täglich ohne größeren Schaden durch die Sache selbst dabei zu nehmen. Eher umgekehrt, sie werden in die Lage versetzt z.B. kinderkrippenkompatibel Geld verdienen zu können.

1.+2. - Dann wird ein harmloses aber falsches Wort "verkaufen" mit einer Dienstleistungstatsache verknüpft "Körper verkaufen" und das Tabu entsteht.
D.h. die Sprache, die sprachliche Anwendung läßt erst das Tabu entstehen. Erst im drüber sprechen und im so darüber sprechen entsteht das Stigma.

Weil hier wird das Bild und Gefühl der Unversehrtheit des Körpers (Menschenrecht) sprachlich ausgebeutet, um die moralische Botschaft zu verkünden "sowas tut man doch nicht".





Der Journalist folgt nur dem journalistischen Lehrsatz "Aus einem gesellschaftlichen Tabu, kannst du die höchste Aufmerksamkeit generieren".

Was ich mir also wünsche ist eine Lobby für politisch korrektes Sprechen und Schreiben.





.

Hanna
PlatinStern
PlatinStern
Beiträge: 908
Registriert: 08.10.2007, 19:06
Ich bin: Keine Angabe

Re: Sprach-Anal-yse

Beitrag von Hanna »

das hast du sehr schön analysiert, Marc
den Nachrichten sind eine Ware - sie müssen sich verkaufen

nur:
Marc of Frankfurt hat geschrieben: Was ich mir also wünsche ist eine Lobby für politisch korrektes Sprechen und Schreiben.
.
...die "politisch korrekten" sind m.E. leider (meistens) auf der anderen Seite!
Augen gab uns Gott ein Paar / um zu schauen rein und klar / um zu GLAUBEN was wir lesen / wär ein Aug' genug gewesen (aus HH. zur Teleologie)

ehemaliger_User
verifizierte UserIn
verifizierte UserIn
Beiträge: 2968
Registriert: 27.04.2008, 15:25
Ich bin: Keine Angabe

Beitrag von ehemaliger_User »

Das schlimme ist, dass auch SW dieses "Ich verkaufe meinen Körper" übernehmen. Ich habe deshalb schon sehr viele Diskussionen mit Sexarbeiterinnen geführt, die meisten verwenden diese Redewendung nun nicht mehr.
Auf Wunsch des Users umgenannter Account

Micha Ebner
hat was zu sagen
hat was zu sagen
Beiträge: 88
Registriert: 05.11.2007, 19:56
Wohnort: Berlin
Ich bin: Keine Angabe

Beitrag von Micha Ebner »

Das Wort "verkaufen" wird umgangssprachlich auch für den Abschluss anderer Verträge als den Kaufvertrag verwendet. Ein Versicherungsvertrag beispielsweise ist kein Kaufvertrag, trotzdem "verkauft" ein Versicherungsvertreter umgangssprachlich Versicherungen.

Mich würde somit weniger das "verkaufen" als vielmehr das Wort "Körper" stören. Sexarbeiterinnen verkaufen eine Dienstleistung, häufig eine Illussion, aber eben nicht ihren Körper.
Berufsrategeber für Huren - ISBN 3837014185

Benutzeravatar
certik
Vertrauensperson
Vertrauensperson
Beiträge: 1152
Registriert: 12.01.2007, 20:05
Ich bin: Angehörige(r) von SexarbeiterIn

RE: Fucking Berlin

Beitrag von certik »

Aus dem aktuellen DER SPIEGEL, leider nur in der aktuellen Printausgabe Nr. 35 vom 25.08.08

Lebensläufe


"Es wird viel gequatscht"

Die Ex-Prostituierte Sonia Rossi über Erlebnisse mit Freiern, gesellschaftliche Vorurteile und ihr Buch "Fucking Berlin".

Sonia Rossi ist das Pseudonym einer jungen Italienerin, die 2001 zum Mathematikstudium nach Berlin kam und ihren Lebensunterhalt bald durch Prostitution aufbesserte. Ihre Erfahrungen schildert Rossi, 25, in dem gerade erschienenen Memoirenband "Fucking Berlin".

SPIEGEL: Frau Rossi, empfinden Sie Prostitution als normalen Beruf?

Rossi: Mittlerweile schon. Am Anfang war das natürlich anders. Da habe ich mich durchaus gefragt, was andere Menschen von mir denken. Aber irgendwann bin ich einfach ins Bordell gefahren, wenn die anderen ins Büro gingen - das war halt meine Arbeitsstelle, und ich fand es nicht besonders. Die anderen Frauen, die diesen Job machen, sehen das genauso.

SPIEGEL: Tatsächlich?

Rossi: Es wäre falsch zu behaupten, dass es keine missbrauchten Frauen oder auch Zwangsprostituierte gibt, aber sie stellen nicht die Mehrheit der Prostituierten. Ich habe viele einseitige Berichte über das Thema gelesen, da ging es immer um Zuhälter, Missbrauch, die üblichen Themen. Ich wollte eine andere Perspektive zeigen.

SPIEGEL: Haben Sie darum Ihre Erlebnisse aufgeschrieben?

Rossi: Ja, ich wollte dazu beitragen, dass die Akzeptanz wächst. Die Mehrheit der Frauen macht den Job, weil sie schnell und einfach Geld verdienen wollen – und zwar mehr, als sie das in einem normalen Beruf könnten. Für viele ist es ein Mittel zum Zweck; es ist nicht ihr Traumjob, aber er bringt Geld. Die meisten machen es freiwillig und können zu jeder Zeit aufhören.

SPIEGEL: War das Geld auch für Sie der Grund?

Rossi: Ich habe eine Zeitlang gekellnert und andere typische Studentenjobs gemacht, aber es hat einfach nicht gereicht, und ich wollte nicht in die Armutsfalle geraten. Außerdem wollte ich mir ein bisschen was leisten können, was ich völlig legitim finde.

SPIEGEL: Würden Sie den Job weiterempfehlen?

Rossi: Das ist schwer zu sagen. Für viele Frauen kommt er sicher nie in Frage, und das sollte man respektieren. Man muss die Vor- und Nachteile abwägen. Einerseits kann man ein angenehmes Leben führen, hat nicht die langweilige Büroroutine, dafür aber ausreichend Geld. Andererseits muss man sich bewusst machen, dass es nicht einfach ist, mit fremden Männern zu schlafen. Manchmal hat man keine Lust und muss sich zwingen. Aber jeder Job hat seine unangenehmen Seiten.

SPIEGEL: Sie scheinen auch erstaunlich viel Kurioses mit Ihren Freiern erlebt zu haben.

Rossi: Ich frage mich oft, was in den Köpfen der Männer vorgeht. Da hetzt ein Familienvater ins Bordell und fordert einen Quickie, während seine Frau gerade das Auto parkt. Andere wiederum haben den Einkaufsbummel ihrer Frau genutzt, und manchmal kamen Touristen vorbei, während sich ihre Familien die Sehenswürdigkeiten anschauten. Wenn man lange genug als Prostituierte arbeitet, wundert einen gar nichts mehr.

SPIEGEL: Geht es immer nur um Sex im Bordell?

Rossi: Nein, es wird viel gequatscht. Am Anfang habe ich mich sehr gewundert, wie viel die Männer erzählen. Man denkt immer, es geht nur um Sex, aber das ist falsch. Ich glaube, die Anonymität ist die perfekte Voraussetzung, die Männer wissen, dass sie mich mehr treffen, und erzählen darum viel freier. Im Prinzip ist eine Prostituierte wie eine Psychologin, man muss sich wirklich viel anhören.

SPIEGEL: Angefangen haben Sie mit dem Webcam-Strippen, über Massagesalons sind Sie dann im Bordell gelandet und damit immer tiefer im Gewerbe. Sind Sie jetzt noch aktiv?

Rossi: Nein, schon sieben Monate nicht mehr. Ich wollte mich einfach aufs Studium konzentrieren, jetzt suche ich gerade ein Thema für meine Diplomarbeit.

SPIEGEL: Hatten Sie schon früher ans Aussteigen gedacht?

Rossi: Ich habe immer wieder versucht auszusteigen und mir auch immer wieder die Frage gestellt, ob es wirklich sein muss. Aber gleichzeitig war mir klar, dass ich meinen Lebensstil ändern müsste, wenn ich tatsächlich aussteigen würde. Es ging ja nicht nur um Geld fürs abendliche Ausgehen, sondern auch um wichtige Dinge, etwa Unternehmungen mit meinem kleinen Sohn. Ich wollte mit ihm ja auch mal ins Schwimmbad oder in den Zoo gehen können. Man sagt immer, Geld ist nicht alles. Aber das ist Heuchelei, finde ich.

SPIEGEL: Apropos Heuchelei: Sie haben als Prostituierte ein Doppelleben geführt. Ihr Umfeld in Berlin und auch Ihre Familie in Italien wussten nichts von Ihrer Tätigkeit. Warum haben Sie sie verschwiegen?

Rossi: Es gab einige gute Freunde, die wussten Bescheid und haben auch akzeptiert, was ich mache. Aber im Prinzip bestand mein Leben aus Lügen. Ich bin auch froh, dass "Fucking Berlin" nur in Deutschland erscheint und nicht in meinem Heimatland. In Italien ist Prostitution ein sehr heikles Thema. Durch den Einfluss der katholischen Kirche neigen die Menschen zu Doppelmoral.

SPIEGEL: Und in Deutschland nicht?

Rossi: Hier sind schon viele Fortschritte gemacht worden. Mittlerweile gibt es die Vorstellung, dass eine Frau sexuell freizügig sein darf, aber es ist leider immer noch zu viel, wenn man sagt: Ich habe mit tausend Männern geschlafen. Aufgrund meines Berufs gelte ich immer noch automatisch als böses Mädchen. Da gibt es noch viel zu tun.

SPIEGEL: Was stellen Sie sich vor?

Rossi: Ich wünsche mir, dass eine Frau sagen kann: "Ich bin Prostituierte", so wie sie sagen würde, dass sie Ärztin oder Friseurin ist.
* bleibt gesund und übersteht die Zeit der Einschränkungen *

ehemaliger_User
verifizierte UserIn
verifizierte UserIn
Beiträge: 2968
Registriert: 27.04.2008, 15:25
Ich bin: Keine Angabe

Beitrag von ehemaliger_User »

Ich habe das Buch gelesen, die beschriebenen Szenen konnte ich mir vorstellen. Das Buch liest sich leicht, auch wenn die Erzählerin wesentlich kritischer mit sich selbst, mit ihren Gefühlen umgeht als z.B. Sophie Berlin in ihrem Buch.
Ich denke, es ist ein wichtiges Buch, um der Allgemeinheit zu zeigen, dass nicht Gewalt vorherrschend ist. Sondern der ganz normale Wahnsinn, der sich Leben nennt.
Auf Wunsch des Users umgenannter Account

Benutzeravatar
marlies
Forenmuse
Forenmuse
Beiträge: 82
Registriert: 10.08.2008, 19:54
Ich bin: Keine Angabe

Beitrag von marlies »

Dieses Buch befand sich auf meiner Wunschliste - lustigerweise hat mir ein Kunde vorgestern genau dieses Buch geschenkt und ich musste darüber schmunzeln.

In dem Buch beschreibt die Autorin ziemlich mitreißend ihre Story, wobei sie meiner Meinung nach viel mehr auf ihre private Beziehungen Gewicht legt anstatt ihre Gefühle in ihrer Profession schildert. Ich habe zumindest nach dem Lesen den Eindruck dass sie weder freiwillig in Bordellen war (auch wenn sie dies immer wieder behauptet) noch dass ihre Arbeit Spaß gemacht hat. Für sie war es einfach eine Einnahmequelle, um sich aus der finanziellen Notsituation herauszuwinden, die sie mehr Überwindung gekostet hat als dass wirkliches Interesse an ihrer Arbeit empfunden hat. In mehreren Passagen schreibt sie über Ekel, den sie Kunden gegenüber empfindet, auch wenn hin und wieder kleine Lichtblicke auftauchen.

Das Buch baut weder Vorurteile ab, noch setzt sich die Autorin für ein besseres Arbeitsklima von Prostituierten ein - es wirkte mich eher wie eine persönliche Anekdote, immerhin es vermittelt das Gefühl dass Sonia eine ganz gewöhnliche Frau ist, somit verliert das Thema "Prostitution" ein wenig das mystische und verbotene.
Don't part with your illusions. When they are gone you may still exist, but you have ceased to live.

Benutzeravatar
Marc of Frankfurt
SW Analyst
SW Analyst
Beiträge: 14095
Registriert: 01.08.2006, 14:30
Ich bin: Keine Angabe

Die Gesellschaft sucht sich ihre HeldInnen

Beitrag von Marc of Frankfurt »

Ich glaube heute kann ein Buch pro Prostitution nicht wirklich medial erfolgreich sein.

Was Marlies schreibt erinnert mich an das Buch "Hure" von Nelly Sachs. Es wurde damals ähnlich gehyped durch alle Medienkanäle und ich glaube deshalb, weil es auch ein Erlebnisbericht letztlich gegen Prostitution war.

In beiden Autorinnen hat die Mediengesellschaft Frauen gefunden, die offen über Sexwork schreiben, was unser liberales Gesellschaftsselbstverständnis befriedigt und dem Buchgeschäft dienlich ist, aber in ihrem Innersten, und damit unangreifbar, die negativen Aspekte von Prostitution bezeugen und somit den sozialen Status quo der Repressionen und herrschenden Prostitutionskontrolle legitimieren.





.

Benutzeravatar
Marc of Frankfurt
SW Analyst
SW Analyst
Beiträge: 14095
Registriert: 01.08.2006, 14:30
Ich bin: Keine Angabe

Die Zeit anal-ysiert tiefschürfender, wenn auch falsch

Beitrag von Marc of Frankfurt »

Negative Kritik von Jens Jessen im Video-Clip

über den Erfolg von pseudofeministischen Pronografien in der modernen Literatur


http://www.zeit.de/2008/40/KA-Stapel40





Sexbuch

Hure oder Friseuse?


DIE ZEIT, Ausgabe 40, 2008
Von Ursula März | © DIE ZEIT, 25.09.2008 Nr. 40


Sonia Rossi schreibt einen Hurenroman [Gattung: Hurenbeichte sagt J.J.], beklagt sich über die Doppelmoral der Gesellschaft – und tappt selbst in die Falle

© Ullstein

In regelmäßigen, wirklich absolut regelmäßigen Abständen erscheint auf dem Buchmarkt ein belletristisches Werk, in dem eine Prostituierte aus ihrem Berufsleben erzählt. Man kann von einer regelrechten Gattung sprechen: dem Hurenroman. Es fing mit der Mutzenbacherin an und reicht bis in die unmittelbare Gegenwart. An der erzählerischen Darstellung der eigentlichen Dienstleistung hat sich im Lauf der Zeit naturgemäß wenig geändert. An der ideologischen Sichtweise indes schon. Es gibt den klassisch sozialkritischen Hurenroman, den eher feministischen Hurenroman sowie einen vor allem in Frankreich beliebten Typus des intellektuellen Hurenromans, der dem Lebensgefühl der guten alten Libertinage die Treue hält.

In Zeiten von Hartz IV und deutschen Prekariatsdebatten ist es durchaus plausibel, dass der Hurenroman mit dem Denk- und Erzählstil eines ökonomischen Realismus einhergeht. Das jüngste Beispiel hierfür ist Fucking Berlin von Sonia Rossi (Verlag Ullstein Taschenbuch, Berlin 2008; 284 S., 8,95 €). Es handelt sich um die Autobiografie einer inzwischen 25-jährigen Italienerin, die im Jahr 2001 ihre sizilianische Heimat verließ und nach Berlin kam, um Mathematik zu studieren. Neben einer exzellenten Rechenbegabung verfügt die junge Dame über einen nicht minder ausgeprägten, aber auf der stecknadelkopfgroßen Finanzbasis des Studentenlebens schwer zu realisierenden Lebensdrang. Sonia Rossi, so das Autorenpseudonym, verdingte sich deshalb über mehrere Jahre hinweg als freie Mitarbeiterin in ein paar Berliner Bordellen und gibt nun zum Besten, was sie in den Etablissements erlebte, die man sich, nebenbei bemerkt, als die Kleinbürgerhöllen schlechthin vorstellen darf.

Das ist ja auch alles ganz in Ordnung und wäre kaum der Erwähnung wert, wenn die Autorin auf ein Klischee verzichtet hätte, das so alt ist wie das Gewerbe selbst: das Klischee von der Doppelmoral der Gesellschaft [Die tatsächliche lebensweltliche Erfahrung eines sublim deklassierend wirkenden inhumanen Stigmas kann wohl nur eine Betroffene, Eingeweihte also SexarbeiterIn wirklich spüren und mit anderen SexarbeiterInnen teilen. Anm.]. Diese, so das Klischee, kompensiert einerseits nur allzu gern ein paar ihrer Neurosen mit Hilfe der Prostitution, verachtet andererseits aber die Figur der Hure und ist nicht bereit, Prostitution als ganz normalen Dienstleistungsberuf anzuerkennen.

Wie den Beruf von Friseusen, Krankenschwestern et cetera. Na ja. Mal ganz ehrlich: Es ist ja wohl kein Zufall, dass die Literaturgeschichte nicht die Gattung des Friseusenromans ausgebildet hat, wohl aber den des Hurenromans. Offensichtlich ist Haareschneiden gegen Geld halt doch was anderes als Sex gegen Geld. [Da hat aber eine Zeit-Autorin das bürgerliche Putophobie-Stigma wirklich gut verinnerlicht. Anm.] Offensichtlich fällt der Vorwurf der Doppelmoral auf die Dichterinnen der Horizontale zurück. [Das ist der perfideste Pseudobeweis für die Legitimation eines die Huren versklavenden Stigmas: "Die Sklaven würden ja leiden jetzt wo sie freigelassen wurden". Anm.] Sie erwarten, ihr Beruf möge betrachtet werden wie irgendein anderer Beruf auch. Reklamieren aber, indem sie ein ganzes Buch über ihre Erwerbstätigkeit schreiben, deren Besonderheit. Also, was denn jetzt?

[Noch nie was von Protestkultur gehört? Eine Subkultur einer als deviant kriminalisierten Minderheit, um die eigene psycho-soziale Überlebensfähigkeit sicherzustellen. Wo bleibt hier die Frauensolidarität? Oder sind die Frauen, die um dauerhafte Partner und die damit verbundene Ehegattensplittinggewinne ringen, tatsächlich die wahrhaften Wettbewerber der Sexarbeiterinnen? Anm.]





Sonja macht in der Talk-Show keine so überzeugende Figur:
viewtopic.php?p=43540#43540





.

ehemaliger_User
verifizierte UserIn
verifizierte UserIn
Beiträge: 2968
Registriert: 27.04.2008, 15:25
Ich bin: Keine Angabe

Sendung Polylux

Beitrag von ehemaliger_User »

Auf Wunsch des Users umgenannter Account

translena
verifizierte UserIn
verifizierte UserIn
Beiträge: 374
Registriert: 15.05.2007, 13:16
Wohnort: Essen
Ich bin: Keine Angabe

Bestseller "Fucking Berlin" wird verfilmt

Beitrag von translena »

Bestseller "Fucking Berlin" wird verfilmt Svenja Jung - von "Unter uns" ins Bordell

Mit ihrem autobiografischen Buch "Fucking Berlin" sorgte die Studentin Sonia Rossi für Schlagzeilen. Jetzt wird das Bekenntnis einer jungen Frau, die sich ihr Mathematik-Studium mit [lexicon]Prostitution[/lexicon] finanzierte, verfilmt. Hauptdarstellerin des Films ist die aus der RTL-Serie "Unter uns" bekannte Schauspielerin Svenja Jung.

Als einer ihrer Arbeitskollegen im Bordell steht außerdem Paul Boche als Transvestit vor der Kamera. Boche ist ein Model, das neben seiner Arbeit auf den Laufstegen auch immer wieder in Filmen auftritt.

Film-Premiere im Bordell

In einer weiteren Rolle als Rossis Freund ist Mateusz Dopieralski zu sehen. Regie bei dem Film führt Florian Gottschick. Am Donnerstag (18.6.) stellt er sein Kinoprojekt und die Darsteller in Berlin vor - in einem Bordell am Kurfürstendamm.
http://www.t-online.de/unterhaltung/kin ... filmt.html