22.12.2009
«Meist sind es die Männer, die ohne wollen«
Interview mit Claudia Fischer-Czech vom Prostituierten-Selbsthilfeverein Kassandra
NÜRNBERG - Ab 1. Januar 2010 wird ungeschützter käuflicher Sex offiziell teuer. Dann nämlich will die Stadt die bayerische Hygieneverordnung mit Hilfe von Zwangsgeldern durchsetzen. Claudia Fischer-Czech, Leiterin der Prostituierten-Selbsthilfe- und -Beratungsstelle Kassandra e.V., äußert sich zu den Tücken bei der Umsetzung.
Frau Fischer-Czech, wie viele Prostituierte arbeiten derzeit in Nürnberg?
Claudia Fischer-Czech: Es sind Schätzungen zufolge 1200 Frauen und Männer. Die Anzahl insgesamt ist recht konstant, aber die Fluktuation ist sehr hoch. Die meisten Prostituierten bleiben nur wenige Wochen in Nürnberg und reisen dann weiter in die nächste Stadt.
Es gibt Statistiken, die belegen, dass jeder dritte bis fünfte Mann die Dienste von Sexarbeiterinnen in Anspruch nimmt. Halten Sie diese Zahlen für realistisch?
Fischer-Czech: Ich halte keine dieser Statistiken für seriös. Das Zahlenmaterial basiert auf Hochrechnungen, ausgehend von der Zahl der Prostituierten und einer geschätzten Anzahl von Kunden. Das kann nicht stimmen. Fakt ist, dass die Nachfrage nach käuflichem Sex über die Jahre hinweg konstant bleibt, während das Angebot deutlich gestiegen ist.
Woran liegt das?
Fischer-Czech: An der Arbeitsmigration aus Osteuropa. Rund 70 Prozent der in Nürnberg tätigen Prostituierten haben einen Migrationshintergrund. Viele kommen aus Bulgarien oder Rumänien, Ungarn, Polen oder der Ukraine und Tschechien.
Spielt die Finanzkrise auch eine Rolle?
Fischer-Czech: Es gibt deutlich mehr Halbtags-Prostituierte. Auch am Verhalten der Freier merken es die Frauen. Die Kunden verlangen zwar nach denselben Dienstleistungen, wollen aber weniger dafür bezahlen. Die Konkurrenz unter den Frauen ist so groß, dass viele, um überhaupt etwas zu verdienen, Praktiken anbieten, hinter denen sie nicht stehen. Dazu gehört auch der Verkehr ohne Kondom.
Aber das ist verboten.
Fischer-Czech: Theoretisch schon, aber praktisch ist dieser Damm schon vor Jahren gebrochen. Trotz der Gefahr, sich mit Aids oder Hepatitis anzustecken, von verschiedenen Geschlechtskrankheiten ganz zu schweigen. Die bayerische Hygieneverordnung ist bereits seit 2001 in Kraft. Doch bislang hat in Nürnberg noch nie jemand kontrolliert, ob Kondome verwendet werden oder eben nicht.
Das soll sich jetzt ändern. Was kostet der Verstoß gegen die Hygieneverordnung?
Fischer-Czech: Werden Prostituierte dabei erwischt, ihre Dienste ohne Kondom anzubieten, werden sie mit 1000 Euro Zwangsgeld belangt. Dasselbe blüht den Kunden - sofern sie erwischt werden. Bordellbetreiber, die mit ungeschütztem, oft «tabulos« genannten Verkehr werben, müssen mit 1500 Euro rechnen.
Und wer soll kontrollieren?
Fischer-Czech: Die Polizei. Es ist geplant, dass Zivilbeamte Sexarbeiterinnen aufsuchen und testen, ob sie ihre Dienste ohne Kondome anbieten würden.
Das Gesetz schließt aber auch die Kunden mit ein. Wie werden diese in die Verantwortung genommen?
Fischer-Czech: Ich habe keine Ahnung, und darüber wird auch noch heftig diskutiert. Man müsste die Freier ja in flagranti erwischen. Wie soll das gehen? Ich befürchte, die Sache wird auf dem Rücken der Frauen ausgetragen. Dabei ist es leider mittlerweile fast üblich, Oralverkehr ohne Gummi anzubieten. Wenn eine Sexarbeiterin da nicht mitzieht, hat sie eben weniger Kunden und geringere Verdienstmöglichkeiten. Doch in dieser Branche geht es nur ums Geld.
Versuchen die Freier, die Hygieneverordnung zu unterlaufen, indem sie für ungeschützten Sex extra bezahlen?
Fischer-Czech: Ja, das ist üblich. 20 bis 50 Euro werden je nach Praktik extra bezahlt. Die Frauen selbst wollen keinen ungeschützten Geschlechtsverkehr. Wegen der Infektionsgefahr aber auch aus persönlichen Gründen. Es sind in der Regel die Männer, die ungeschützten Verkehr wollen. Doch die Kunden werden von der Hygieneverordnung nicht erreicht. Das finde ich in hohem Maße ungerecht.
Gibt es aus anderen bayerischen Städten Erfahrungen mit der Hygieneverordnung?
Fischer-Czech: Aus München und Landshut zum Beispiel. In beiden Städten wird das Gesetz seit einigen Jahren mit Hilfe von Zwangsgeldern durchgesetzt. Mit gutem Erfolg. Viele Prostituierte arbeiten gerne dort, weil sie mit den Kunden eben nicht über den Gebrauch von Kondomen diskutieren müssen. Dort gab es anfänglich viele Kontrollen, und das hat sich herumgesprochen. Die Einführung von Zwangsgeldern zur Durchsetzung der Hygieneverordnung gilt übrigens nur für die Stadt Nürnberg. Alle weiteren Kommunen und Städte der Metropolregion sind momentan noch ausgenommen.
http://www.nn-online.de/artikel.asp?art ... t=10&man=3
Die Safer-Sex-Kontrollen greifen kaum
Regelung ist nichts anderes als ein Papiertiger
Die Safer-Sex-Kontrollen greifen kaum
NÜRNBERG - Die Hygieneverordnung ist ein ausgewachsener Papiertiger. Im ersten Moment klingt das Knurren gefährlich, denn ein Zwangsgeld von 1000 Euro ist nicht nur für Prostituierte wahrhaft kein Pappenstiel. Doch ganz schnell wird klar, dass laut geknurrt noch lange nicht fest gebissen heißt. Und wenn, dann beißt das Gesundheitsamt in diesem Fall die Falschen.
Die Geldstrafe trifft nämlich gar nicht diejenigen, die das Angebot durch ihre Nachfrage erst schaffen: die Kunden. Sie werden keine Kontrollen fürchten müssen, weil der Besuch einer Dame aus dem horizontalen Gewerbe meist mit größter Diskretion vonstatten geht. Wie sollen Kontrollen da greifen?
Mit ein paar Euro Nachdruck verleihen
Weniger diskret wird den Sexarbeiterinnen vor Ort dann der Wunsch nach Praktiken ohne Kondom vermittelt - dem mit ein paar Euro extra Nachdruck verliehen wird. Ein Problem, das der Prostituierten-Beratungsstelle Kassandra nur zu gut bekannt ist.
Die mit einem Zwangsgeld aufgerüstete Hygieneverordnung wird letztlich auf dem Rücken der Frauen ausgetragen. Die Prostituierten sind, im Gegensatz zu ihren Freiern, registriert, da sie Steuern zahlen - und können so viel leichter zur Verantwortung gezogen werden.
Obwohl es gerade die Frauen sind, die keinen ungeschützten Verkehr wollen. Aus Gründen der eigenen Sicherheit, aber auch zur persönlichen Abgrenzung von einem Job, der häufig der letzte Ausweg ist.
Harte Konkurrenzsituation
Doch finanzielle Not und die harte Konkurrenzsituation in einer Stadt wie Nürnberg machen die Frauen angreifbar und leisten so indirekt auch der Übertragung von Geschlechtskrankheiten Vorschub. Denn wer das Spiel ohne Gummi nicht mitspielt, verliert Kunden und damit seine Existenz.
Vor einem Papiertiger muss sich niemand fürchten. Zumal die Polizei, der die Kontrolle obliegt, schwerpunktmäßig mit anderen Problemen beschäftigt ist.
Die personellen Kapazitäten wären auch gar nicht vorhanden, jedes Bordell und jede Model-Wohnung regelmäßig zu besuchen, um zu kontrollieren, ob dort Safer-Sex praktiziert wird.
http://www.nn-online.de/artikel.asp?art=1144631&kat=10
I wouldn't say I have super-powers so much as I live in a world where no one seems to be able to do normal things.