Konsum sexueller Dienstleistungen - Fremdgehen oder nicht?

Ein nahezu unerschöpfliches Thema: Psychologische Betrachtungsweise der Sexarbeit
lissi456
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Konsum sexueller Dienstleistungen - Fremdgehen oder nicht?

Beitrag von lissi456 »

Hallo,

ich will an dieser Stelle eine Frage aufwerfen, die ich für mich selbst bisher noch nicht beantworten konnte. :017

Wenn ein (gebundener) Kunde eine sexuelle Dienstleistung konsumiert, ist das für euch Fremdgehen?
Bzw. wenn ihr in einer Beziehung seid und eine sexuelle Dienstleistung nachfragt, ist das dann Fremdgehen?


Mein Freund kam öfters in den Genuss :002 mit mir über SW zu diskutieren. Meine Aussage diesbezüglich war, dass ich eine Nachfrage seinerseits nach einer sex. DL besser finden würde, als wenn er eine Affäre hätte. Ich würde auch gerne darüber Bescheid wissen, wie detailgenau das jetzt sein muss, ist eine andere Frage :002

Soweit die Theorie *ggg* Ich überdachte meine Einstellung bis ich Kontakt mit einer Barbesitzerin aufgenommen habe. Ich war zu einem total netten und langen Gespräch dort. Als ich die Bar verließ konnte ich mich ansatzweise in die "Wohlfühlstimmung" der Männerwelt dort einfühlen und ich erinnerte mich an meine Sichtweise. Beim Gedanken mein Freund würde "diese" Bar aufsuchen, um - ich sag mal - sich etwas zu holen, was ich nicht befriedigen kann/will, musste ich mir Eifersuchtsgefühle eingestehen.

Ich war/bin mir also meiner ursprünglichen Meinung nicht mehr so sicher und freu mich daher umso mehr auf eine spannende Diskussion.

LG
Elisabeth

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Moon Dog
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RE: Konsum sexueller Dienstleistungen - Fremdgehen oder nich

Beitrag von Moon Dog »

Das ist eine sehr theoretische und rein rhetorische Frage, ob man es als Fremdgehen bezeichnet. Wobei es nicht auf die Bezeichnung ankommt, finde ich.

Über 75% der Männer, die Sexdienstleistungen in Anspruch nehmen, sind fix gebunden. Ein Gutteil davon möchte die Beziehung in keinem Fall aufs Spiel setzen und ist auch durchaus in seine Partnerin verliebt. Das ist entgegen der Ansicht der Frauenwelt nicht unvereinbar.

Bei einer Umfrage in unserem (Kunden)Forum unter langjährigen Paysexkunden waren ca. 75% in Partnerschaft.
Davon antwortete niemand (0%!) "meine Partnerin weiß davon", aber 80% "sie weiß nichts davon". Die restlichen 20% entscheiden sich für die Variante "sie weiß davon, aber tut so, als würde sie es nicht wissen, und ich tue so, als würde ich nicht wissen, dass sie es weiß"

So ist die tatsächliche Welt der Kunden. Sie wenden viel Energie darauf, sich Alibis zu verschaffen, entsprechende Dateien am Computer zu verstecken, und wissen um die Gefährlichkeit fremder Gerüche und fremder Haare auf der Kleidung.

Meiner Ansicht nach (ich bin auch in einer Beziehung) schadet es dieser Beziehung nicht oder viel weniger, als eine dauerhafte Affäre, in die er sich verliebt. Echte Liebe ist nämlich mE nicht teilbar. Ich sehe die Sexdienstleistung eher in der Richtung Wellness...

Noch ein Zitat eines Kollegen bei seiner Vorstellung:
"Ich lebe in einer Beziehung (die übrigens, seit ich mich mit SWs treffe, viel besser, intensiver, ausgeglichener und glücklicher geworden ist!). Niemand weiß davon, auch und gerade meine besten Freunde nicht."
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Beitrag von lissi456 »

Hallo Moon Dog,

Das ist eine sehr theoretische und rein rhetorische Frage, ob man es als Fremdgehen bezeichnet. Wobei es nicht auf die Bezeichnung ankommt, finde ich.
Jein. Mir fällt keine Bezeichnung ein, die stimmiger ist...

Meiner Ansicht nach (ich bin auch in einer Beziehung) schadet es dieser Beziehung nicht oder viel weniger, als eine dauerhafte Affäre, in die er sich verliebt. Echte Liebe ist nämlich mE nicht teilbar.
Der Meinung bin ich auch.


Ich sehe die Sexdienstleistung eher in der Richtung Wellness...
Weiß nicht; du hast es ja mit "Richtung" eingegrenzt. "Wellness" selbst ist für mich 'zu wenig'.

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Nymphe
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RE: Konsum sexueller Dienstleistungen - Fremdgehen oder nich

Beitrag von Nymphe »

Wenn wir mal den schwammigen Begriff "Fremdgehen" durch den weniger schwammigen Begriff "Betrug" ersetzen, ist es eigentlich ganz einfach: Alles, was die Vereinbarungen innerhalb der Partnerschaft bricht, ist Betrug. Damit hängt die Antwort auf die Frage individuell von den Beteiligten ab.

Leider sind Vereinbarungen wie sexuelle Exklusivität in vielen Beziehungen nur implizit durch gesellschaftliche Konventionen gegeben, und das erwähnte "sie weiss es, er weiss, dass sie es weiss, aber man redet nicht drüber" ist genauso wenig jemals formuliert worden.

Ich finde es todtraurig, wenn jemand gegenüber seinen intimsten Gefährten sich nicht traut, Bedürfnisse und Wünsche zu formulieren. Sei es auf der einen Seite der Wunsch nach ungewöhnlichen Praktiken und nach fremder Haut, oder auf der anderen Seite der Wunsch nach sexueller Exklusivität (wobei beide Seiten jeweils von Männern und Frauen eingenommen werden können).

Sich in (emotional) intimen Beziehungen auf Konventionen und "das macht man halt so, der andere wird's schon nicht anders machen" oder "man redet nicht über sowas" zu stützen, schreit meiner bescheidenen Meinung nach nach einer Katastrophe und die Beteiligten müssen sich nicht wundern, wenn's irgendwann kracht.

Ich möchte bei sowas die Leute immer schütteln. Es geht auch anders. Wirklich!

Gruß,
Nymphe (nicht monogam und liebevoll radikal ehrlich).

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Marc of Frankfurt
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Sexwork und Ethik

Beitrag von Marc of Frankfurt »

Weitergehende Frage an die Sexworker-kollegen:


Wenn für Klienten der Pay6-Konsum ein Fremdgehen i.S.v. Betrug ist,
wie gehen wir damit um dieses Verhalten zu unterstützen, zu bedienen und daran zu verdienen?






.

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Zwerg
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Beitrag von Zwerg »

Wenn man es schaffen würde in der gesellschaftlichen Meinung Sexualität und "Beziehung" oder auch "Zusammenleben" ein wenig differenzierter zu betrachten, dann wäre die Stellung der SexarbeiterInnen um Wesentliches besser.

Die Konkurrenzangst wäre nicht mehr begründet. Ich glaube nicht das Sexualität mit Liebe verwechselt werden darf. Es ist zwar schön, wenn man mit seinem Lebenspartner auch die sexuelle Erfüllung gefunden hat, aber wenn dem nicht so ist, sollte man sich deswegen trennen? Oder den Rest seines (Beziehungs-)Lebens unerfüllt ertragen? Noch ärger: Dem Partner Vorwürfe machen - er/sie wäre nicht mehr attraktiv genug - ihn/sie manipulieren/zwingen den eigenen sexuellen Wünschen nachzukommen?

Ich gehe sogar so weit zu behaupten, dass SexarbeiterInnen bisweilen Ehen retten. Und zwar ohne dem Risiko, dass der Partner/die PartnerIn in eine neue Beziehung flüchtet. Professionelle Sexarbeit setzt hier eindeutige Grenzen! Wir würden auch ein wenig professionellere Beziehungen brauchen. Verständnis für Sexualität - für die Wünsche, Bedürfnisse des/der Anderen - das wäre für mich eine der höchsten Formen der Achtung, die ich einer PartnerIn entgegen bringen könnte!

Das Problem beginnt für mich in dem Glauben, dass Bereiche des Körpers "heilig" wären - Vieleicht ist meine Einstellung damit begründet, dass ich mich selbst als Ganzkörpererogen bezeichne. Vor Kurzem lief im österreichischen TV wieder einmal "Pulp Fiction" in dem die herrliche Diskussion vorkommt, ob es in Ordnung ist, dass man Jemand aus dem Fenster wirft, weil er der FreundIn des Bosses eine Fußmassage gegönnt hat - Der Disput findet seinen Höhepunkt in der Frage "spielen Fußmassagen in der gleichen Liga bzw. im gleichen Stadium wie "das Andere" - wo beginnt Sexualität?"

Liebe ist Zuneigung - der Wunsch nach einer Partnerschaft.
Sexualität ist meines Erachtens nicht zwingend das Selbe!
Ob jetzt nur "die Kirche" dafür verantwortlich ist - oder ob auch noch andere Kräfte (der Staat?) hier mitwirken, entzieht sich meiner Kenntnis.

christian (monogam lebend - weils passt)

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Re: Sexwork und Ethik

Beitrag von Zwerg »

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Marc of Frankfurt hat geschrieben:Weitergehende Frage an die Sexworker-kollegen:

Wenn für Klienten der Pay6-Konsum ein Fremdgehen i.S.v. Betrug ist,
wie gehen wir damit um dieses Verhalten zu unterstützen, zu bedienen und daran zu verdienen?
Obwohl kein aktiver Sexarbeiter - trotzdem mein Einwurf: Am Besten gar nicht! Dieser Gedanke ist ein gesellschaftspolitischer Irrwitz! Gerade die Einstellung "SW wäre Betrug an Partnerschaften" ist mitverantwortlich für die negative Einstellung der sogenannten Gesellschaft gegenüber Sexarbeit

christian

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Moon Dog
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Re: RE: Konsum sexueller Dienstleistungen - Fremdgehen oder

Beitrag von Moon Dog »

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Nymphe hat geschrieben:Alles, was die Vereinbarungen innerhalb der Partnerschaft bricht, ist Betrug. Damit hängt die Antwort auf die Frage individuell von den Beteiligten ab.
Mit dieser Einstellung machst du dir unter deinen Kunden keine Freunde. Wie gehst du mit Kunden um, die ihre Partner mit dir "betrügen"? Du dürfstest nach deiner Haltung diese Aktivitäten nicht unterstützen.

Die eine Sache ist schöne Theorie - offene Beziehung in dem Sinne, dass Sexualität nicht als etwas exklusives angesehen wird - die Praxis sieht jedoch anders aus. Mir ist keine einzige Beziehung bekannt, in der der der Mann sagen kann: "Schatz, du hast ja gerade deine Tage, ich geh jetzt kurz ins Bordell. Außerdem, du weißt ja, Abwechslung im Sex belebt unsere Beziehung. Ich liebe dich!"

Undenkbar.

Wie zwerg bemerkte: Die Aussage
"Sexarbeit ist Betrug an den Partnerschaften"
ist mit Sexarbeit an sich nicht vereinbar, weder für Anbieter(innen), noch für Kunden. Denn in Partnerschaften gedultetes Konsumieren von paysex ist quasi nicht existent, das sind nichts anderes als schöne Träume.
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Steuersparmodell

Beitrag von Jason »

Ist es nicht auch ein Unterschied ob man gerade frisch verliebt ist, keine Verpflichtungen wie Wohnung/Haus und Kinder hat und trotzdem zu einer SW geht oder ob man in einer Beziehung lebt in der die Ehe nur noch ein Steuersparmodell ist?

Im ersten Fall würde ich auch eher zu fremdgehen tendieren, im 2. Fall sicher nicht.
Beantworten muß diese Frage aber eh jeder für sich alleine.

Viele Grüße

Jason
> ich lernte Frauen zu lieben und zu hassen, aber nie sie zu verstehen <

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Re: RE: Konsum sexueller Dienstleistungen - Fremdgehen oder

Beitrag von Aoife »

Moon Dog hat geschrieben:Mir ist keine einzige Beziehung bekannt, in der der der Mann sagen kann: "Schatz, du hast ja gerade deine Tage, ich geh jetzt kurz ins Bordell. Außerdem, du weißt ja, Abwechslung im Sex belebt unsere Beziehung. Ich liebe dich!"

Undenkbar.
Zumindest nahezu undenkbar :003

Jedoch stellt sich für mich die Frage, wieso *meine* Einstellung dazu davon abhängen sollte, was in anderen Partnerschaften stattfindet.
Ich bin der Überzeugung, dass das Zusammenfassen von Liebe, sexueller Exklusivität und Wirtschaftsgemeinschaft in der so. "Ehe"
nicht der psychischen Veranlagung des Menschen entspricht.

Daher habe ich kein Problem damit, paysex anzubieten, denn auch wenn das in der Partnerschaft meines Kunden als "Betrug"
gesehen wird - ich selbst halte das für eine nicht zutreffende Bewertung, und habe somit auch nicht den Eindruck,
mit meinem Angebot einen Betrug zu unterstützen.

Liebe Grüße, Aoife
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Marc of Frankfurt
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Re: RE: Konsum sexueller Dienstleistungen - Fremdgehen oder

Beitrag von Marc of Frankfurt »

Moon Dog hat geschrieben:Denn in Partnerschaften gedultetes Konsumieren von paysex ist quasi nicht existent, das sind nichts anderes als schöne Träume.
- Das ist erstmal eine subjektive Beobachtung und Feststellung, die viele zwar teilen, aber dadurch keine Allgemeingültigkeit erlangt und erstrecht nicht begründet, dass es immer so bleiben wird ...

- Der Konflikt liegt im übrigen nicht nur interpersonal also in Partnerschaften vor, sondern es ist sogar ein intrapersonaler Konflikt, den jeder einzelne Bürger oder Pay6konsument für sich auszutragen bzw. zu entscheiden hat.



Dennoch halte ich die Aussage von Nympfe als den einzig ethisch haltbaren Obersatz:
"Alles, was die Vereinbarungen innerhalb der Partnerschaft bricht, ist Betrug. Damit hängt die Antwort auf die Frage individuell von den Beteiligten ab."
(Verhandlungsehtik)

Daraus folgt, daß die real existierenden Schwierigkeiten diesem hohen Anspruch gerecht zu werden, entweder mit Heimlichkeit, Scheinheiligkeit und Doppelmoral kaschiert werden.

Dann ist die Prostitutionsfeindlichkeit (Putophobie) die direkte und logische Folge.

D.h. die Verhandlungsschwäche der Paare und Unreife der Menschen ist die Ursache für die hegemoniale Prostitutionsfeindlichkeit.

Ergo ist die Prostitution nichts anderes als ein Sündenbock.





Die wichtigere Frage für das Sexworker-Forum und jeden Sexworker ist jedoch:

Wie halten wir Sexworker das aus?

Wie bleiben Sexworker seelisch unangefochten und heil beim Umgang mit sich schuldig fühlenden Intimpartnern und bei solch penetranten Projektionen seitens der öffentlichen Moral?






Ethik der Wollust:
viewtopic.php?p=43748#43748 (im Thema Stigmaforschung...)





.

Leu
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Beitrag von Leu »

Ein Bekannter von mir mit Freundin meinte, dass er auch hin und wieder zu SW geht. Ich denke mal, dass der Konsum sexueller Dienstleistungen für viele Männer sehr intim ist und deshalb reden sie nicht darüber, mit niemanden.
Also ich denke, dass es eine reine Privatsache ist, die man als Mann für sich tut (und nur für sich) und eben aus dem ganzen Beziehungs/Fremdgehkasten fällt. Immerhin ist es eine Dienstleistung, die man bewußt wählt und kein privater sozialer Kontakt..

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Marc of Frankfurt
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Re: RE: Konsum sexueller Dienstleistungen - Fremdgehen oder

Beitrag von Marc of Frankfurt »

Danke für diesen Satz
Aoife hat geschrieben:Ich bin der Überzeugung, dass das Zusammenfassen von Liebe, sexueller Exklusivität und Wirtschaftsgemeinschaft in der sog. "Ehe" nicht der psychischen Veranlagung des Menschen entspricht.
Das gehört in den Ethikunterricht für Sexworker auf dem zukünftigen Huren-College ;-)

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Aoife
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Re: RE: Konsum sexueller Dienstleistungen - Fremdgehen oder

Beitrag von Aoife »

Marc of Frankfurt hat geschrieben:Dennoch halte ich die Aussage von Nympfe als den einzig ethisch haltbaren Obersatz:
"Alles, was die Vereinbarungen innerhalb der Partnerschaft bricht, ist Betrug. Damit hängt die Antwort auf die Frage individuell von den Beteiligten ab."
(Verhandlungsehtik)

Daraus folgt, daß die real existierenden Schwierigkeiten diesem hohen Anspruch gerecht zu werden, entweder mit Heimlichkeit, Scheinheiligkeit und Doppelmoral kaschiert werden.

Dann ist die Prostitutionsfeindlichkeit (Putophobie) die direkte und logische Folge.
Diese Logik ist mir jetzt nicht nachvollziehbar, Marc.
WENN Verhandlungsethik zu Putophobie als direkte und logische Folge führt (weil der Mensch nun mal nicht dazu da ist, solch
hohen Ansprüchen gerecht zu werden), dann ist sie ethisch
unhaltbar, und bestimmt schon gar nicht der "einzig ethisch haltbare Obersatz".

Auch rein pragmatisch entstehen größte Probleme, wenn die Verhandlungen ursrünglich (und das ist wohl der typische Fall)
im Hormonrausch oder unter dem Eindruck der Fehlinformation, was "gut" und was "richtig" sei, stattgefunden haben.
Ich halte es für ethisch unhaltbar, auf das Einhalten dieser Verhandlungsergebnisse seitens eines der Partner zu pochen,
nur weil der andere Partner nicht fähig oder nicht Willens ist,
bei eventuellen Nachverhandlungen einen neuen, reiferen Standpunkt einzunehmen.

Natürlich ist Einvernehmlichkeit ein schönes Ziel, an dem wir auch hoffnungsvoll arbeiten sollen, aber "im Hier & Jetzt" kann für mich
nur meine eigene moralische Einstellung relevant sein. Ich biete paysex an, weil ich das für völlig in Ordnung halte,
und ich würde mir selbst einen schlechten Dienst erweisen, wenn ich die andersartigen Einstellungen Anderer mir zu eigen machen würde.
Seien das jetzt Kunden oder Partner von Kunden oder völlig Außenstehende wie Moraltheologen ...

Liebe Grüße, Aoife
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Nymphe
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Re: RE: Konsum sexueller Dienstleistungen - Fremdgehen oder

Beitrag von Nymphe »

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Moon Dog hat geschrieben:          Bild
Nymphe hat geschrieben:Alles, was die Vereinbarungen innerhalb der Partnerschaft bricht, ist Betrug. Damit hängt die Antwort auf die Frage individuell von den Beteiligten ab.
Mit dieser Einstellung machst du dir unter deinen Kunden keine Freunde. Wie gehst du mit Kunden um, die ihre Partner mit dir "betrügen"? Du dürfstest nach deiner Haltung diese Aktivitäten nicht unterstützen.
Klar darf ich das. Ich bin nicht Teil des Vertrags, die die beiden miteinander haben - das sind erwachsene Menschen, und wenn die sich gegenseitig wehtun wollen, ist das deren Entscheidung.
Wenn für einen Mann kurze Haare bei seiner Partnerin ein Scheidungsgrund sind, macht auch keiner den Friseur für das Ende der Beziehung verantwortlich, der dem Mädel die Mähne stutzt, wenn sie das bestellt und ihn dafür bezahlt.

(Ich persönlich möchte übrigens weder die Frisur noch das Sexualleben meiner Partner kontrollieren.)

Was ich dagegen schön lassen würde, ist eine Beziehung mit jemandem einzugehen, der seine Partnerin mit mir betrügt, schon alleine deshalb, weil ich keine Lust hätte, die nächste zu sein.

Ich thematisiere das ganze gelegentlich mit meinen Kunden, nicht missionarisch, aber wenn sie selbst erwähnen, dass sie gebunden sind und da ein Konflikt besteht, und versuche aufzuzeigen, dass Möglichkeiten jenseits von Heimlichkeit und Hintergehen zumindest denkbar sind.
Sollte mir ein Gast wiederholt vorjammern, wie schwer er's hat, weil seine Frau ihn nicht versteht, ohne was daran zu ändern, weise ich allerdings durchaus darauf hin, dass sein Leben die Summe seiner Entscheidungen und mein Mitleid begrenzt ist. Und klar, damit mache ich mir ganz sicher nicht nur Freunde, was völlig in Ordnung ist - auch als Dienstleisterin kennt meine Heuchelei Grenzen. ;)
Die eine Sache ist schöne Theorie - offene Beziehung in dem Sinne, dass Sexualität nicht als etwas exklusives angesehen wird - die Praxis sieht jedoch anders aus. Mir ist keine einzige Beziehung bekannt, in der der der Mann sagen kann: "Schatz, du hast ja gerade deine Tage, ich geh jetzt kurz ins Bordell. Außerdem, du weißt ja, Abwechslung im Sex belebt unsere Beziehung. Ich liebe dich!"
Witzig, ich kenne dafür gleich mehrere, meine eigene eingeschlossen.
Wie zwerg bemerkte: Die Aussage
"Sexarbeit ist Betrug an den Partnerschaften"
ist mit Sexarbeit an sich nicht vereinbar, weder für Anbieter(innen), noch für Kunden. Denn in Partnerschaften gedultetes Konsumieren von paysex ist quasi nicht existent, das sind nichts anderes als schöne Träume.
Letzteres ist sicher in unserer Zeit und Gesellschaft leider selten, erstes folgt daraus allerdings nicht. Ich habe keinen Erziehungsauftrag, ich muss meine Mitmenschen inklusive meiner Gäste nicht bezüglich ihrer selbstverantwortlichen Entscheidungen bevormunden. Ich setze Grenzen, soweit sie mich betreffen, und das war's. Meine Moral ist (ganz offensichtlich) nicht der allgemeine Standard, auch wenn ich mir von Herzen wünschen würde, alle Menschen wären radikal ehrlich und frei von Angst.

Ich bleibe dabei - wenn ich etwas mache, von dem ich weiss oder annehme, dass es meinen Partner verletzen würde, wenn er es wüsste, weil er von anderen Annahmen und Vereinbarungen ausgeht, und ich es ihm deshalb verschweige, dann ist das Betrug. Was denn bitte sonst?

Sollte z.B. der "Vertrag" tatsächlich darin bestehen, Dinge zu tun, aber nicht drüber zu sprechen, dann wäre nicht der Besuch bei der Dienstleisterin der "Vertragsbruch", sondern das Erwähnen desselben. Schwierig wir's, wenn man nicht mal über diesen Vertrag metakommunizieren darf. ;) Mir persönlich wäre das ein kleines bisschen zu kompliziert und zu unsicher, aber hey, wie gesagt, Eigenverantwortung und so.

JayCynic
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Beitrag von JayCynic »

Unter Freiern herrscht tatsächlich die Ansicht vor, man könne mit der eigenen Partnerin nicht über dieses Thema reden, und es handle sich um einen "Vertragsbruch"; gleichzeitig gehen sie aber während der Partnerschaft weiter hin, wenn auch meist mit schlechtem Gewissen beziehungsweise unter "stillschweigender" Tolerierung, die natürlich nie abgesprochen wurde. Auch das scheint eine "gesellschaftliche Konvention" zu sein, die ich allerdings problematisch finde.

Das ist die Kehrseite der Ansicht, es gäbe ja auch keine Männer, die die Tätigkeit als sexuelle Dienstleisterin ihrer Partnerin akzeptieren könnten. Und auch das Selbstbild vieler Dienstleisterinnen ist mitnichten so prickelnd.

Für mich selbst kann ich sagen, ich habe ziemlich gute Erfahrungen mit Offenheit in beide Richtungen gemacht; sexuelle Exklusivität finde ich als Beziehungsgrundlage allerdings auch nur begrenzt hilfreich.

Ich sehe mich, wie Nymphe (welche Überraschung! ;-) ) aber auch nicht als Erfüllungsgehilfen mir fremder Absprachen, weder als Anbieter noch als Gast, ebensowenig privat. Natürlich ignoriere ich das nicht, und es ist meinem Bild der Person nicht unbedingt förderlich, aber es ist nicht mein Leben.
You will always be fond of me. I represent to you all the sins you never had the courage to commit. Oscar Wilde

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Beitrag von lissi456 »

Uii, da hab ich ja was losgetreten.

Auf zwei Dinge möchte ich reagieren:

* Meinem Verständnis nach trifft die SW keine Schuld, wenn sie der Nachfrage einer sex. DL erfüllt. Der Vergleich mit dem Frisör hat was ;-) Ich hab da noch einen - wenn jemand meint, er muss Alkohol trinken, kann ich auch nicht die Kellnerin verantwortlich machen, die ihn serviert.

* Und Marc
Dennoch halte ich die Aussage von Nympfe als den einzig ethisch haltbaren Obersatz:
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Daraus folgt, daß die real existierenden Schwierigkeiten diesem hohen Anspruch gerecht zu werden, entweder mit Heimlichkeit, Scheinheiligkeit und Doppelmoral kaschiert werden.

Dann ist die Prostitutionsfeindlichkeit (Putophobie) die direkte und logische Folge.

D.h. die Verhandlungsschwäche der Paare und Unreife der Menschen ist die Ursache für die hegemoniale Prostitutionsfeindlichkeit.

Ergo ist die Prostitution nichts anderes als ein Sündenbock.
Also das hab ich jetzt mehrmals lesen müssen, bis ich es (wie ich jetzt glaube) verstehe. Der Schlussfolgerung kann ich was abgewinnen. Kann durchaus eine Erklärung sein.




Und ja, ich denke auch, dass es von der Abmachung in der Beziehung abhängig ist, welche Position man dazu bezieht.
Trotzdem kann ich die Frage für mich bisher ungenügend beantworten, weil ich mir einer Spannung, was Interessantem, einem Reiz, bewusst wurde (?) keine Ahnung, irgendetwas lag in der Luft - wo es, meinem Empfinden nach, nicht 'nur' um die Befriedigung sexueller Praktiken geht - sondern sehr viel Emotionales mitgespielt. Klar bin ich nicht naiv, und sag, da wird nur gef..., aber sich den Emotionen im Raum bewusst zu werden, ist wieder was anderes!? Leu, genau deswegen fällt es für mich in den Beziehungs-/Fremdgehkasten.

LG
Elisabeth

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Beitrag von Blanca »

Ich habe da eine Geschichte mit vielen Wendungen hinter mir. Früher war ich offen polygam. Ich habe mich geweigert, die Exklusivität in einer Partnerschaft - und ich bin der Meinung, diese muß es irgendwie geben, sonst ist die Partnerschaft wertlos - über Sex zu definieren.
Dann habe ich meine große Liebe kennengelernt und die Monogamie entdeckt. Es hat mir Freude gemacht, treu zu sein und ich habe alles an dieser Beziehung geliebt. Dann hat er mich verlassen :merror
Und dann habe ich mit der SW angefangen. Ich glaube, man kann einem Menschen, einer Beziehung oder der betrogenen Frau oder dem betrogenen Mann nichts wegnehmen, was ihm oder ihr nicht schon vorher weggenommen wurde.
Meinen Dienst an dem Menschen sehe ich im Kontext des Zusammenseins über die paar Stunden als nichts Unmoralisches oder Betrügendes an.

Blanca

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Beitrag von Moon Dog »

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lissi456 hat geschrieben:irgendetwas lag in der Luft - wo es, meinem Empfinden nach, nicht 'nur' um die Befriedigung sexueller Praktiken geht - sondern sehr viel Emotionales mitgespielt. Klar bin ich nicht naiv, und sag, da wird nur gef..., aber sich den Emotionen im Raum bewusst zu werden, ist wieder was anderes!?
Klar wird niemals "Nur gef..."!
Teil des angenehmen paysex-Erlebnisses ist ja oft die vielerwähnte und oft missverstandene "girl friend experience".
Heißt, es ist für eine kurze Zeit ein Setting, ein Theaterstück, in dem genauso Emotionen ausgelebt werden. Aber eben nur für eine kurze, begrenzte Zeit...
Gerade für erfahrene paysex-Kunden steht oft die sexuelle Befriedigung eben NICHT im Mittelpunkt, sondern ist (angenehmes und auch in diesem Fall erwartetes) Beiwerk, aber eben nur als ein Teil des Gesamtkunstwerks.
Maithuna - von der Wurzel geht der Strom ins Universum und zurück. (c) J.K.

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Beitrag von lissi456 »

Hallo Moon Dog,

vielen Dank. Ja genau, das war es. Ich hatte den Schwall an Emotionen gar nicht mit GFE in Verbindung gebracht.

LG