Intimität, Abgrenzung und Ausgleich (Tantra?)

Ein nahezu unerschöpfliches Thema: Psychologische Betrachtungsweise der Sexarbeit
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Nymphe
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Intimität, Abgrenzung und Ausgleich (Tantra?)

Beitrag von Nymphe »

Hallo allerseits,

es gibt schon einige Threads hier, in denen diese Themen angerissen sind - falls jemand der Moderatoren es für sinnvoller hält, könnte man das auch zusammenfügen, aber ich fange jetzt erst mal neu an.

Ich finde es immer wieder superspannend, mich selbst dabei zu beobachten, wieviel Intimität mit meiner Kundschaft mir guttut.
Obwohl ich inzwischen wirklich lange dabei bin (ca. 16 Jahre Sexwork, davon die letzten zehn hauptberuflich) habe ich in den letzten zwei, drei Jahren nochmal einen "Entwicklungssprung" hingelegt: Offenbar habe ich gelernt, meine Grenzen souveräner zu wahren, und gerade deshalb mehr Intimität mit meinen zahlenden Gästen zulassen zu können. Ich finde das einerseits höchst erstaunlich, weil professionelle Abgrenzung und Intimität ja im Prinzip ein Widerspruch ist, andererseits ist vielleicht die Souveränität der entscheidende Faktor: Wenn ich weniger damit beschäftigt bin, meine Grenzen anzuzweifeln und damit ggf. durch meine eigene Unsicherheit proaktiv zu verteidigen, also mehr innere Klarheit habe, dann kann ich in diesem Rahmen einen anderen Menschen näher an mich heranlassen und auch selbst mehr aus dieser Begegnung ziehen.

Ich komme auf das Thema, weil ich am WE gerade wieder (privat) einen erotischen Workshop besucht habe, der Tantra-Elemente enthielt, und in dem ich mal wieder ausführlich zu mir gekommen und in mich hineingespürt habe in der Begegnung mit anderen - wieviel Nähe zu einem anderen tut mir gerade gut? Was brauche ich, was mag ich gerade nicht?

Nun habe ich von Tantra keine Ahnung, und das (Tschuldigung) teilweise gruselige Eso-Geschwurbel hält mich bisher erfolgreich davon ab, mich ernsthaft damit zu befassen. Andererseits stelle ich halt fest, wie gut mir die Selbst-Bewusstheit tut, die ich in solchen angeleiteten Aktionen erfahre.

Daher erst mal eine Frage an die Tantra-Ausübenden hier: gibt's die Möglichkeit, sowas regelmäßiger zu erleben, ohne es gleich zur Religion oder Lebensphilosophie zu erheben? Geht Tantra light? ;) Oder gibt es vielleicht noch andere Stichworte in dem Zusammenhang, nach denen ich mal googeln könnte, die ich nur noch nicht kenne?

Und wie erlebt ihr das in eurem Job - seid ihr immer in Verbindung mit euch selbst und entscheidet situationsbedingt, was passt und was nicht, oder arbeite ihr auch mit festen Regeln (z.B. was an Praktiken ihr anbietet)? Falls ihr das von Situation und Stimmigkeit abhängig macht, wie kommuniziert ihr das euren Kunden? Was letztes mal okay war, ist es heute gerade nicht?

Und an alle: Was tut ihr so für eure Abgrenzung auf der einen und Ausgleich auf der anderen Seite? Wieviel (echte) Intimität lasst ihr zu? Hat sich das mit der Zeit verändert? Welche inneren und äußeren Voraussetzungen braucht ihr, um aus der Begegnung mit euren Kunden mehr zu ziehen als das Honorar?


Ich bin von meiner derzeitigen Entwicklung fast ein bisschen überwältigt. Ich mochte meinen Job ja schon immer gern, aber in letzter Zeit fühle mich mich wohl dabei, deutlich mehr von mir zu geben, als ich es früher getan habe, und treffe (vermutlich deshalb) vermehrt auf Gäste, die offenbar tatsächlich auch mich als Person und weniger als Projektionsfläche meinen. Und trotzdem überschreitet keiner von uns den Rahmen einer professionellen Begegnung. Ich würde gern besser begreifen können, was genau da passiert, um es u.U. auch weitergeben zu können, denn offenbar mache ich gerade irgendwas besonders richtig, aber ich hab noch nicht genau analysiert was und wie. Hat hier vielleicht jemand sowas auch schon hinter sich und kan mir sagen, was ich sagen will? ;)

Oder rede ich völlig wirr?

Lieben Gruß,
Nymphe

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Aoife
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Re: Intimität, Abgrenzung und Ausgleich (Tantra?)

Beitrag von Aoife »

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Nymphe hat geschrieben:Nun habe ich von Tantra keine Ahnung, und das (Tschuldigung) teilweise gruselige Eso-Geschwurbel hält mich bisher erfolgreich davon ab, mich ernsthaft damit zu befassen.
Das geht mir auch nicht anders, mit dem "Eso-Geschwurbel" :001
Und ich habe auch ernsthaft Zweifel, ob das überhaupt zum Tantra gehört,
oder ob man nur glaubt das braucht's, um auf dem westlichen Markt zu bestehen?

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Nymphe hat geschrieben:Daher erst mal eine Frage an die Tantra-Ausübenden hier: gibt's die Möglichkeit, sowas regelmäßiger zu erleben, ohne es gleich zur Religion oder Lebensphilosophie zu erheben? Geht Tantra light? ;) Oder gibt es vielleicht noch andere Stichworte in dem Zusammenhang, nach denen ich mal googeln könnte, die ich nur noch nicht kenne?
Versuchs mal hiermit:
Barbara Carrellas: Urban Tantra ISBN: 978-1587612909

Nicht nur "urban" in dem Sinn, dass das einfach so auch im normalen Leben sich einfügt,
sondern auch die Verbindung von Tantra/Tao mit *unseren* Spielarten wie beispielsweise
Paysex oder BDSM gewagt wird.

Ach ja, die Illustrationen im Buch sind übrigens von Annie Sprinkle.

Liebe Grüße, Aoife
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Sinamore
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Beitrag von Sinamore »

Ich kenne dieses Gefühl, ist wirklich sehr spannend. Also wirr redest du sicher nicht;-) Wenn sich ein Kunde mir gegenüber öffnet, ohne dass er allzu abhängig scheint, so gehe ich darauf ein. Daraus entsteht manchmal wirkliche Intimität. Ich finde es etwas schwierig wie ich damit umgehen soll, weil ich dann Angst habe dass er sich in mich verliebt.
Für mich ist die Voraussetzung, um mehr aus einer Begegnung zu ziehen, dass ich persönlich mit dem Kunden "klicke", oder auch nur unsere Körper. Merkwürdigerweise hatte ich die interessantesten menschlichen Begegnungen bisher mit Kunden, mit denen der Sex eher ..naja war. Aber ich glaube das ist nur Zufall.

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Nymphe
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Re: Intimität, Abgrenzung und Ausgleich (Tantra?)

Beitrag von Nymphe »

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Aoife hat geschrieben:          Bild
Das geht mir auch nicht anders, mit dem "Eso-Geschwurbel" :001
Und ich habe auch ernsthaft Zweifel, ob das überhaupt zum Tantra gehört,
oder ob man nur glaubt das braucht's, um auf dem westlichen Markt zu bestehen?
Hmm, das ist eine interessante Frage.
Versuchs mal hiermit:
Barbara Carrellas: Urban Tantra ISBN: 978-1587612909
Wie cool, das klingt genau richtig. Soeben bestellt, vielen Dank!
Und was wirklich witzig ist, die Frau sehe ich sowieso in ein paar Wochen hier. Wusste ich doch, dass ich den Namen kürzlich gelesen hatte.


Sinamore, danke für das Feedback! Also dass das "Klicken" nicht in Zusammenhang damit steht, wie spektakulär der Sex ist, ist mir auch schon aufgefallen. Manchmal bekomme ich dieses Gefühl von Intimität auch erst hinterher beim Kuscheln nach dem Sex, und dann denke ich mir, das wäre bestimmt noch netter geworden, wenn's vorher passiert wäre.

Hat sich deine Befürchtung mit den verliebten Kunden in solchen Fällen denn auch schon bestätigt?

Gruß,
Nymphe

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Marc of Frankfurt
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Beitrag von Marc of Frankfurt »

Das Abgrenzungs/Hingabe-Intimitäts-Thema berührt das Kerntabu der Prostitution und ist Basis für Stigmatisierung aufgrund der von vielen innerlich-gefühlten Prostitutionsgegnerschaft.

Daher ist persönlicher Erfahrungaustausch evt. freier und besser aufgehoben im SW-only (z.B. unter "Sexwork als heilende bis heilsame Tätigkeit")
Andererseits ist dieser offene Bereich hier geeignet, um gerade einen sexpositiven und kompetenten Umgang von Sexworkern darzustellen.





Die Selbstwahrnehmung und das Menschenbild entscheiden:

- Wer Sexualität als persönliche Bindungskraft zum Aufbau einer festen Partnerbeziehung als Lebensbasis eines nachhaltig geglückten, gottgeschenkten Leben ansieht (und wir alle haben und kennen dieses Gefühl), wird Sexwork garnicht oder nur distanziert/mechanisch bzw. nach strengem Abgrenzungsritual anbieten können (Sexwork als Job).
- Wer Sexualität hingegen als frei fließende und vielfach teilbare kosmische Energie kennt, kann sie mit vielen teilen und vielfältig auch als Arbeiter oder Lehrer einsetzen (Sexwork als Berufung).

Das ist ein Feld für unendlich tiefe und feine Auslotungen und scheint auf den ersten Blick jede textliche Annäherung zu überfordern. Es gibt da so viel zu Entdecken auf der persönlichen Bewußtseinsreise durchs Leben und unendlich viele Nuancen und auch Fallen von Täuschung und Selbstbetrug.

Konservatismus kennzeichnet sich in diesem Zusammenhang als "die Liebe zum Bewährten". Allerdings ist gerade das uralte Tantra auch eine solche Weisheitstradition. Aber auch sie ist gespalten in verschiedene Lager wie weißes und rotes Tantra (ohne/mit Vereinigungsriten).

Und auch in den angebotenen Tantrakursen wird die Tabugrenze Sexualität immer auftauchen sowohl grundsätzlich als auch bezogen auf die konkreten gesetzlichen Rahmenbedingungen oder Konventionen hinsichtlich dessen was in Seminaren überhaupt so angeboten oder gemacht werden darf.





"Tantra light" klingt nach "wasch mich aber mach mich nicht naß" oder "Königsweg in die Philosophie oder Mathematik". Dergleichen eigentlich nicht zu haben.

Dennoch gibt es Tipps fürs tantrische Leben oder einen alltagskompatiblen Weg. Da gibt es natürlich die unzähligen Bücher, offene wöchentliche Gruppen oder viele Wochenendseminarangebote und darüber hinaus sog. Ausbildungen d.h. Pakete von mehreren Wochenenden innerhalb von ein paar Jahren, so daß ein tieferes Verständnis wachsen kann. Dabei ist eine feste Gruppe als pers. Spiegel fürs pers. Wachstum sehr wichtig (vgl. Community, Kirche, Sanga).

Hier als abschließende Inspiration ein schöner tantrischer Paar-Urlaub:
www.sexyRetreats.com

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Re: Intimität, Abgrenzung und Ausgleich (Tantra?)

Beitrag von Brunhilde »

..interessantes thema..
ich kenne das auch..diese intimität..die anfangs vielleicht ein teil des deals ist..und später eine eigendynamik entwickelt..und dann kann ich wirklich mit einem guten gefühl nach hause gehen..dann habe ich nicht nur gegeben..sondern auch genommen..dann wurde mir auch gegeben..
ich gehe immer mit dem gefühl zum kunden..alles ist möglich..wenn ich dort bin, relativiert sich das dann..es kommt immer wieder auf die situation und den menschen an..

bei mir ist es zumindest immer so..wenn mich jemand mag, gern mit mir zeit verbringt..der sex nicht mehr die ganze zeit über am wichtigsten ist..dann gehe ich mit einem guten gefühl und komme mit dem selben guten gefühl wieder..

Bruni

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RE: Intimität, Abgrenzung und Ausgleich (Tantra?)

Beitrag von Moon Dog »

Für Österreich kann ich als "in-sich-reinspüren"-Experimente völlig ohne Eso-Geschwurbel die Workshops von www.yabyum.at empfehlen. Es werden da Workshops in Taoistischer Massage, oder auch Lingam-Massage nach Stephen Russel und Yoni Massage nach Annie Sprinkle / Joseph Kramer angeboten. Auch reine Frauen Workshops.

Ich habe so einen workshop am eigenen Leib erfahren. Es hat auch die eine oder andere SW teilgenommen.
Maithuna - von der Wurzel geht der Strom ins Universum und zurück. (c) J.K.

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Sinamore
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RE: Intimität, Abgrenzung und Ausgleich (Tantra?)

Beitrag von Sinamore »

@Nymphe: Nein, bei solchen Begegnungen bisher nicht. Das ist bei zwei anderen Kunden vorgekommen, dort dürfte es sich aber eher um eine Projektion gehandelt haben, da sie nach zwei Stunden schon behaupteten, sich in mich verliebt zu haben. Diese habe ich dann auch nicht wieder getroffen.