
Hallo Josef,Josef_K. hat geschrieben:Hmm .... was meinst Du mit „nicht therapierbaren persönlichen Besonderheiten"? Ich weiß jetzt nicht wirklich, worauf Du hinaus willst ...
Eine therapiebedürftige (was ja Voraussetzung für jegliche Therapie ist) Besonderheit, für die Sexarbeit ein Teil der Lösung sein könnte, fällt mir auch bei intensivem Nachdenken nicht ein.
ich will's zu erlären versuchen - ist mir aber selber klar, dass das sehr schwierig nachzuvollziehen ist. Wobei ich denke. du hast mit deinem Alkoholikerbeispiel schon eine gute Vorgabe gemacht.
Wenn du gelegentlich einen Brandy trinkst, so ist das deswegen nicht therapiebedürftig, weil kein Leid dadurch verursacht wird.
Rein unter diesem Aspekt wäre eine borderline personality disorder therapiebedürftig. Ich folge keineswegs den Thesen der Antipsychiatrie, dass jede sogenannte psychische Störung nur eine andere Form von Normalität sei und eine Therapie sich daher verbiete. Das beobachtbar verursachte Leiden würde eine Therapie rechtfertigen.
Nur: Persönlichkeitsstörungen sind prinzipiell nicht therapierbar. Selbst wenn ich bewußt und vernünftig überzeugt bin, dass ich lieber ganz anders wäre, weil es mir dann in vielerlei Hinsicht erheblich besser ginge, so wird mein Unbewußtes trotzdem jeden erfolgversprechenden Versuch zur Änderung blockieren, weil eine solche Veränderung mit der Individualität inkompatibel ist. Unbewußtes wird also reagieren als würde ich vernünftigerweise beschließen, mich zu suzidieren, damit jemand anderes, gesünderes meinen Platz einnehmen kann. Denn das Ergebnis einer solchen "Therapie" wäre nicht mehr "ich". Deshalb heißen diese Problematiken ja Persönlichkeitsstörungen.
Deshalb kann es bei solchen Therapien nur darum gehen, die Entwicklung leidvoller Folgen aus der gegebenen Persönlichkeitsstruktur nach Möglichkeit zu verhindern.
BPS könnte man aufgrund des im allgemeinen daraus folgenden Leidens schon als therapiebedürftig bezeichnen. Nur ist eben eine Therapie nicht möglich, und ich behaupte keinesfalls, dass auf dieser Ebene Sexarbeit eine Lösung sein könnte. Auf der nachgeordneten, jedoch in der Praxis alleine zu beeinfussenden Ebene der Entwicklung von störenden Symptomen halte ich sie jedoch für eine in manchen Fällen geeignete Lösung. Natürlich würde ich nicht jedem borderliner empfehlen aus therapeutischen Gründen Sexarbeit zu machen, bei vielen wäre das der absolut falsche Weg. Aber bei denjenigen, die ohnehin eine Neigung in dieser Richtung zeigen, sehe ich darin einen instinktiven und richtigen Selbstheilungsversuch. Weil hier viele Besonderheiten der BPS (beispielsweise Dissoziationsfähigkeit oder die von Analytikern als "manipulativ" erlebte Fähigkeit zum ultraschnellen Aufbau einer vom Gegenüber als persönlich empfundenen Beziehung), die in einem "normalen" Job sich eher störend auswirken, positiv eingesetzt werden können. Alleine schon sich selbst sein zu dürfen, zu erleben, dass man in diesem Bereich seine andernorts eher mit Mißtrauen betrachteten bis offen abgelehnten Fähigkeiten sowohl zum eigenem finanziellen Gewinn als auch zur Kundenzufriedenheit einsetzen kann, kann erheblich zur Stabilisierung beitragen.
Um auf dein Alkoholikerbeispiel zurückzukommen: Ich sehe die Paralle keineswegs zwischen der Flasche Schnaps und der Sexarbeit. Die Flasche Schnaps wäre auf Seiten des borderliners beispielsweise das Bedürfnis sich selbst zu verletzen, Drogen zu gebrauchen, selbst- und fremdgefährdend zu fahren ...
Sexarbeit hingegen sehe ich für manche borderliner als das an, was für den Alkoholiker ein Arbeitsplatz ohne Zwang zum Alkoholkonsum ist: Vorraussetzung, um mit seinem Problem überhaupt umgehen zu können. Und insofern Teil der Lösung.
Diesen relativ wenig strukturierten Bereich aus letzlich fiskalischen Begehrlichkeiten und dem Kontrollzwang mancher Entscheidungsträger so durchstrukturieren zu wollen, dass er für borderliner mit ihrem gering ausgeprägten Strukturniveau unattraktiv bzw. unnutzbar wird halte ich übrigens nicht nur unter humanitären und therapeutischen Gesichtspunkte für falsch und unmoralisch, sondern auch volkswirtschaftlich für schädlich. Bei deinem Alkoholikerbeispiel vergleichbar mit einem Verbot von alkoholfreien Arbeitsplätzen (schließlich würde das die Einkünfte aus der Alkoholsteuer erhöhen und wäre dem "Normalen" durchaus zumutbar, er muß ja nicht mehr trinken als er verträgt) wäre der Schaden weit größer als der Nutzen. Selbst wenn eine Sexarbeiterin völlig konsequent die Abgabe ihrer Steuererklärung vergißt (ganz so schlimm bin nicht einmal ich

Liebe Grüße, Aoife (die hofft sich einigermaßen verständlich ausgedrückt zu haben)