WIRTSCHAFTSKRISE IN SÜDEUROPA
Schweden für Menschenhändler immer attraktiver
Zwangsprostitution ist ein wachsendes Problem in Schweden
Im Zuge der Wirtschaftskrise, die vor allem den Süden Europas in den letzten Jahren hart getroffen hat, konzentrieren sich Menschenhändler derzeit verstärkt auf Skandinavien als Markt für Zwangsprostitution. Dies ist einer der Hauptgründe für die drastisch angestiegene Zahl an Opfern von Menschenhandel in Schweden, erklärt Kriminalinspektor Per Hjort von der Spezialeinheit der Stockholmer Polizei für Zwangsprostitution im Interview mit Radio Schweden.
"Skandinavier zahlen viel mehr"
"Ich glaube, dass die schlechte Wirtschaftslage in weiten Teilen Europas dazu geführt hat, dass wir hier in Nordeuropa besser dastehen und es einen kaufkräftigeren Markt gibt. Dies sehen ja auch diejenigen ein, die den Menschenhandel betreiben. Will man weiter Geld in der Sexindustrie verdienen, muss man sich dorthin begeben, wo es einen besseren Markt dafür gibt. Und wenn man einmal die Preise vergleicht, dann zahlen die Kunden in Skandinavien ziemlich viel, verglichen damit, was man für den gleichen Service in Südeuropa ausgibt."
Per Hjort ist einer von 25 Mitarbeitern, die sich bei der Stockholmer Polizei ausschließlich mit Ermittlungen zu Menschenhandel zwecks sexueller Ausbeutung beschäftigen. Er arbeitet damit in der einzigen Spezialeinheit dieser Art in Schweden und hat tagtäglich mit den Drahtziehern, ihren Helfern sowie den Opfern von Zwangsprostitution zu tun.
International vernetztes organisiertes Verbrechen
"Hierbei handelt es sich um grenzüberschreitende organisierte Kriminalität. Man arbeitet in mehreren Ländern und schickt seine "Waren", wie ich die Opfer jetzt einmal nenne, immer wieder in andere Städte, um nicht zu lange am gleichen Ort zu bleiben. Es ist ja so, dass die Kunden auch immer neue "Waren" nachfragen", so der Kriminalinspektor.
Die aktuellen Zahlen, was Menschenhandel in Schweden angeht, sprechen dabei eine deutliche Sprache. Nach Angaben der
Europäischen Statistikbehörde Eurostat haben die von den Behörden registrierten Fälle hierzulande von 2008 bis 2010 um mehr als 350% zugenommen.
In absoluten Zahlen geht es dabei um einen
Anstieg des Menschenhandels um 350% von 21 Fällen 2008 auf 74 Fälle 2010 innerhalb von nur 2 Jahren - und die Dunkelziffer ist hoch.
Deutliche Zunahme von Menschenhandel in Skandinavien
Damit liegt Schweden im europäischen Vergleich zwar weiterhin auf den hinteren Rängen, was das Ausmaß des Menschenhandels angeht. Die Zunahme ist jedoch deutlich und liegt weit über dem EU-Durchschnitt, wo im gleichen Zeitraum etwa 18% mehr Fälle zu verzeichnen waren. Auch in Dänemark und Finnland liegt der zwischen 2008 und 2010 registrierte Anstieg in ähnlichen Größenordnungen wie in Schweden.
Per Hjort führt dies darauf zurück, dass der nordische Markt durch die Wirtschaftskrise im Süden für Menschenhändler attraktiver geworden sei. Darüber hinaus habe aber auch die Polizei Fortschritte dabei gemacht, den Hintermännern von Zwangsprostitution auf die Schliche zu kommen: "Es gibt keine Universallösung für dieses Problem, weil es sich dabei um Kriminalität handelt, bei der unglaublich viel Geld umgesetzt wird. Und so lange es Leute gibt, die sexuelle Dienste nachfragen, wird es auch immer eine Angebotsseite geben. Aber unsere Aufgabe als Polizei ist es, denjenigen, die solche Dienste bereit stellen, die Arbeit zu erschweren."
Opfer meist aus anderen EU-Ländern
Zwangsprostitution steht für knapp 2/3 aller Fälle von Menschenhandel in der Europäischen Union. Opfer sind zumeist junge Frauen aus ärmeren EU-Ländern wie Rumänien und Bulgarien, die häufig mit leeren Versprechungen ins Ausland gelockt werden. Für Per Hjort ist klar, dass die noch immer vergleichsweise niedrigen schwedischen Zahlen vor allem der geltenden Prostitutionsgesetzgebung zu verdanken seien.
Seit 1999 ist es hierzulande verboten, für sexuelle Dienste zu bezahlen. Bereits der Versuch, Sex zu kaufen ist strafbar.
"Das ist eine Wertefrage.
Wir haben vor 300 Jahren in Europa die Sklaverei abgeschafft. Es ist nicht mehr rechtens, jemanden zu kaufen, jemanden zu besitzen.
Für mich bedeutet Prostitution, dass man jemanden für 30 Minuten oder eine Stunde kauft und mit dieser Person macht, was man will. Und ich finde, dieses Recht sollte man sich nicht nehmen dürfen."
Prostitutionsverbot kein Problem für polizeiliche Ermittlungen
Auch in Ländern, in denen Prositution gesetzlich erlaubt ist und man der Meinung ist, über verschiedene Behörden einen recht guten Einblick in das Gewerbe zu haben, sei Menschenhandel ein großes Problem, so der Kriminalinspektor.
Dass in Schweden alles verdeckt im Untergrund stattfinden müsse, erschwere die Ermittlungen dagegen nicht. Potentielle Freier müssten die Prostituierten schließlich finden und mit ihnen zum Beispiel über das Internet Kontakt aufnehmen können. Dies ermögliche auch der Polizei, den Überblick über die aktuelle Lage im Rotlichtmilieu zu behalten.
Um Zwangsprostitution und andere Formen von Menschenhandel in Zukunft noch effektiver bekämpfen zu können, setzt Hjort nun ebenso wie die zuständige
EU-Kommissarin Cecilia Malmström auf verstärkte internationale Zusammenarbeit. Malmström hatte bei der Vorstellung der europäischen Zahlen in der vergangenen Woche gefordert, dass die EU-Mitgliedsländer das Problem ernster nehmen und zur Lösung enger kooperieren müssten.
"Ich glaube, man muss hier auf breiter Front vorgehen und eine bessere Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Polizeibehörden zustande bekommen. Also
Europol einbeziehen und gute Kanäle aufbauen, über die man zusammenarbeiten und Informationen austauschen kann.
Das organisierte Verbrechen lernt ja auch ständig dazu. Die schauen sich an, was es in Schweden für Gerichtsurteile gibt und was in anderen Ländern passiert und passen ihre Aktivitäten dementsprechend an.
Aber wir haben eine gute Gesetzgebung und mit Europol eine gute Organisation. Jetzt müssen wir nur noch besser zusammenarbeiten und miteinander Informationen austauschen", so Per Hjort.
Veröffentlicht: onsdag 24 april kl 15:27 , Radio Schweden
http://sverigesradio.se/sida/artikel.as ... el=5515196
EU Bericht Menschenhandel
www.sexworker.at/phpBB2/viewtopic.php?p=130887#130887
Table 1: Number of identified and presumed victims
2010 (S. 35 pdf; 31 print):
0,8 Opfer je 100.000 Einwohner - Deutschland
0,8 Opfer je 100.000 Einwohner - Schweden (ansteigender Trend)
Diese Info an alle diejenigen, die behaupten mit einem Prostitutionsverbot wie in Schweden gebe es weniger Menschenhandel [Holger Rettig].